Jude sein nach Gaza
Von Esther Benbassa
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Über dieses E-Book
Esther Benbassa
Esther Benbassa is Chair in the History of Modern Judaism at the �cole Pratique des Hautes �tudes in Paris and is a French senator with Le Groupe �cologiste. She is the author of many books, including The Jews of the Balkans, The Judeo-Spanish Community, 15th to 20th Centuries, History of Sephardic Jewry, XIVth-XXth Centuries, The Jews of France, A History from Antiquity to the Present, The Jew and the Other, and Suffering as Identity.
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Buchvorschau
Jude sein nach Gaza - Esther Benbassa
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Autorin zur deutschen Ausgabe
Einleitung
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Vorwort der Autorin zur deutschen Ausgabe
IN DIESEM WERK spricht eine jüdische Stimme. Eine unter vielen anderen. Die Stimme einer Intellektuellen, der an der Existenz Israels liegt, die sich aber auch für die Sache der Palästinenser einsetzt. Juden tragen die schmerzliche Erfahrung der Verfolgung und die noch entsetzlichere des Holocaust in sich. Ihnen müsste es ein besonderes Anliegen sein, unermüdlich dafür zu kämpfen, dass den Palästinensern nicht das angetan wird, was Juden nicht wollen würden, dass man es ihnen antut. Dies ist der Grundstein einer Ethik, der jeder verpflichtet ist, der die Bezeichnung „Jude" verdient. Die Gewissenslast, die Deutschlands Geschichte seinen Nachkriegsgenerationen auferlegte, erklärt wohl, warum Stimmen wie die von Esther Benbassa hier so selten sind. Diese Stimme sollte jedoch gehört und verbreitet werden, damit der Teil des Nahen Ostens, um den es hier geht, eine lebenswerte Region mit zwei souveränen Staaten wird. Andernfalls würde sich eine der wenigen humanistischen Hoffnungen des 21. Jahrhunderts als Illusion erweisen.
Esther BENBASSA, Paris im September 2010
Einleitung
WIE KANN MAN nach der israelischen Gaza-Offensive Jude sein? In bester talmudischer Tradition könnte man diese Frage mit ein oder zwei Gegenfragen beantworten. Kann man denn überhaupt aufhören, Jude zu sein? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Und ist man eigentlich noch Jude, wenn man seine Religion nicht mehr praktiziert? Jude bleibt man wohl – ob man es nun will oder nicht – unter allen Umständen, wenn Jüdisch-Sein sich aus einer bestimmten Grundhaltung ergibt, nämlich derjenigen einer beständigen Aufmerksamkeit für sich und für andere, deren Ziel es ist, ein anhaltendes Gleichgewicht zwischen sich selbst und der Welt herzustellen. Für ein solches Jüdisch-Sein stellt die Gaza-Offensive selbstverständlich in mehr als einer Hinsicht eine Herausforderung dar.
I
WENN ES SCHON nicht einfach ist, praktizierender Jude zu sein, so ist es doch noch viel schwieriger, ein nicht praktizierender Jude zu sein. Worauf sollte ein Jude, der seine religiösen Orientierungspunkte verloren hat – wie dies viele von jenen taten, die sich ständig auf die jüdische Religion berufen – seine Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft gründen, wenn er diese Zugehörigkeit mit Leben erfüllen möchte, statt sich in Identitätslosigkeit aufzulösen? Auf eine gemeinsame Geschichte, antworten die meisten. Doch das ist nicht so einfach. Diese „gemeinsame" Geschichte nämlich ist zunächst eine angeeignete Geschichte, die meist in jener des Holocaust zusammengefasst wird. Diese Geschichte hat wiederum eine eigene Geschichte, die man kennen muss, wenn man die Haltung vieler Juden gegenüber Israelis und Palästinensern zu begreifen versuchen möchte.
Bis zu ihrem Exil, das in den 1950er-Jahren begann, spielte für die nordafrikanischen Juden und für die Juden aus dem Nahen Osten der Genozid keine allzu große Rolle. Erst als sie, ihrer eigenen Geschichte beraubt, nach Europa oder Israel kamen, eigneten sie sich jene prestigereichere Geschichte an, die aus Pogromen und Massakern besteht, die Geschichte der jüdischen „Aristokratie, die Geschichte der Aschkenasim, also die der ost- und mitteleuropäischen Juden, zu denen in Frankreich die sehr spezifische Minderheit der „Israeliten
hinzu kommt: bereits seit langem integrierte Aschkenasim, die sich vollkommen mit der Französischen Republik identifizieren und hervorragende Repräsentanten dessen sind, was als „francojudaïsme („französisches Judentum
) bezeichnet wurde. Nur das Anteilnehmen an dieser Geschichte der Leiden vermochte den Juden aus dem Maghreb und aus dem Nahen Osten einen Platz an der Seite der Aschkenasim zu verschaffen – wie wenig achtbar dieser Platz auch immer sein mochte.
In Frankreich wurden die Neuankömmlinge – im Wesentlichen Juden aus Nordafrika – von den alteingesessenen Juden als „Schwarze" (jiddisch: „schwartse) bezeichnet, worin all das mitschwang, was dieses Wort an Negativem zu transportieren vermag. War das Leben dieser Zuwanderer in ihren islamischen Herkunftsländern nicht immer von Gleichheit und ungetrübter Koexistenz geprägt gewesen, so war es, langfristig verglichen mit dem der Juden in christlichen Ländern, doch auch keine Hölle gewesen. Ihr Exil aber machte sie von nun an zu „Arabern
. Sie verwandelten sich von Juden in „Araber. So kam es, dass sie sich, um diese Schande auszulöschen, im Westen selbst lieber als „Sephardim
bezeichneten. Dieser neutrale und prestigereichere Begriff brachte sie auf mythischer Ebene in Verbindung zu den aus Spanien stammenden Juden – den „Sephardim" im strengen Sinn des Wortes –, während doch die meisten von ihnen historisch gesehen keinen Anspruch auf eine derartige verwandtschaftliche Verbindung erheben konnten.
In Israel wurden die aus dem östlichen Mittelmeerraum oder aus Nordafrika stammenden Juden zu „Orientalen" („Misrachim"). Als unterlegen gebrandmarkt, wurden sie