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Verschollen am Nahanni
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eBook287 Seiten3 Stunden

Verschollen am Nahanni

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Über dieses E-Book

Wohin ist Uwe Breuer mit dem goldhaltigen Erz verschwunden? Seit Wochen ist er mit seinem Wasserflugzeug und einer attraktiven jungen Geologiestudentin in der undurchdringlichen Wildnis am Nahanni River in Nordwestkanada verschollen. Seine Kameraden glauben noch an seine Ehrlichkeit, im Gegensatz zur Polizei und seiner in der Trading Post gebliebenen Partnerin. Ist Uwe mit dem Gold und der jungen Frau untergetaucht? Aber Breuer hatte sich entschlossen, einen Umweg zu fliegen, nachdem er feststellt, dass Sue seine Begeisterung für die großartige Landschaft teilt. Doch dann gibt ein dramatisches Ereignis dem Leben der beiden eine tiefgreifende Wendung.
Der Text entstand nach einem Entwurf von Rudolf H. Woller. Geboren in Singen/Hohentwiel, gestorben 1996 in Kanada, wird Woller nach dem Krieg Journalist. Ab 1950 arbeitet er als Bonner Korrespondent verschiedener Tageszeitungen, darunter der „Schwäbischen Zeitung“ bis 1962, anschließend als Bonner Studioleiter des Zweiten Deutschen Fernsehens, ab 1971 als dessen Chefredakteur. Im Jahr 1976 wandert er mit seiner Frau nach Kanada aus. Dort betreiben die beiden bis zu seinem Tod eine biologisch-dynamisch geführte Farm. Sein Buch „6 x Kanada“ wird 1984 in der Reihe „Panoramen der Welt“ veröffentlicht. Im seit 1993 in zwei Auflagen erschienenen Buch „Kanada“ von Rainer Hamberger beteiligt er sich mit einem Kapitel „Pelze für Europa“. Woller war selbst leidenschaftlicher Flieger.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Apr. 2019
ISBN9783948097516
Verschollen am Nahanni
Autor

Rainer Hamberger

Monika und Rainer Hamberger betreiben das Redaktionsbüro „Erleben durch Reisen“. Durch regelmäßige Vorträge mit Fotos aus allen Regionen des zweitgrößten Landes der Erde und Veröffentlichungen, u. a. zehn Bildbände, berichtet Rainer über Reiseziele in Europa, Afrika, Amerika und Asien. Monika beschreibt in ihren Reportagen Natur und Kultur in nahen und fernen Ländern. Beruflich bedingt verbringen sie fünf Jahre in Kanada. Dies verändert ihr Leben grundlegend. Seit zahlreichen weiteren Aufenthalten dort, während aller Jahreszeiten, sind sie immer wieder fasziniert von der Weite des Landes, der Freundlichkeit seiner Bewohner und den Erlebnissen in der Wildnis. Sie publizieren laufend in Büchern, Magazinen und der Tagespresse sowie in Reiseführern. Dabei ist Kanada als ihre zweite Heimat Schwerpunkt der journalistischen Arbeit. Von Eisbären bei Churchill und Fliegerabenteuern vor der Westküste bis zu Jagd- und Kanutouren erlebt Rainer Hamberger in Kanada viele Extremsituationen. Während ihrer Recherchen treffen sie mehrfach Rudolf Woller bei Hundred Mile House auf seiner Farm in British Columbia. Sie haben das Skript von seiner Witwe erhalten, ergänzt und zu einem Roman überarbeitet.

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    Buchvorschau

    Verschollen am Nahanni - Rainer Hamberger

    50

    1

    Der staubbedeckte Greyhound-Bus kommt ächzend am Straßenrand zum Stehen. Im Leerlauf geht der sonore Ton des schweren Dieselmotors in ein dröhnendes Nageln über. Eine von den gebremsten Rädern aufgewühlte Staubwolke zieht träge zum angrenzenden Feld hinüber und verliert sich langsam im Gelb des reifen Weizens. Felder so groß, dass es scheint, sie würden bis an den Horizont reichen. Vom Wind getriebene Steppenhexen bleiben am nächstbesten Hindernis hängen, bis eine noch stärkere Bö sie mitnimmt. Präriehunde strecken neugierig den Kopf aus ihrem Bau, um gleich darauf wieder in der kühlen Höhle zu verschwinden. Die wabernde Hitze dieses Spätsommertags in der topfebenen, unendlichen Prairie-Landschaft der Provinz Saskatchewan im kanadischen Westen verzerrt die Konturen ins Unwirkliche, als wäre es eine Fata Morgana in der Wüste. Es ist kurz nach zwei Uhr nachmittags.

    Nein, hier am Straßenrand, nicht weit von dem einsamen Farmhaus, ist eigentlich keine Haltestelle. Der Mann, der sich jetzt mit einem leichten Akzent in der Stimme beim Fahrer bedankt – ist er Niederländer oder Deutscher? – fragt, ob man ihn hier absetzen könne. Er wisse sonst nicht, wie er von dem letzten Ort hier heraus kommen sollte. Die vor sich hin dösenden Fahrgäste in den ersten Sitzreihen haben mit halbem Interesse zugehört, und einer von ihnen hat genickt. Er wusste wohl, was Reisen in dieser Weltgegend bedeutet. Ist doch selbstverständlich, dass man den hier rauslässt. Der abschätzende Blick des Omnibusfahrers lässt seine Gedanken erkennen. Mit dem Koffer und dem Rucksack, sagt er sich mit einem verborgenen Grinsen, hätte der Mann in der sengenden Hitze viele Stunden gebraucht, um die sechzehn Meilen von dem kleinen Ort hierher zu laufen. Taxis gibt es ja in dem Nest nicht. Und hier draußen fahren nur hin und wieder Autos oder Trucks vorbei, die einen Anhalter mitnehmen könnten. Fremde kommen überhaupt selten zu einer dieser Farmen in der Mitte von Nirgendwo. Und der sieht nicht aus wie ein Geschäftsmann aus dem hundertzwanzig Meilen entfernten Saskatoon. Er trägt Jeans und ein ausgebleichtes Holzfäller-Hemd und hat sich keinen Schlips umgebunden. Wer könnte das denn sein? Sein neugieriger Blick kann nichts ergründen. So nickt er dem Mann freundlich zu, als der aussteigt und zieht dann kräftig am Hebel. Die schwere Tür schließt ächzend. Dann den ersten Gang rein und weiter geht es über die Ebene zum nächsten Halt, vielleicht nach hundert Meilen. Wäre da nicht flotte Musik aus dem Radio und eine gut gefüllte Kaffeekanne, hätte der Busfahrer Mühe bei so viel Eintönigkeit die Augen offen zu halten.

    Das Farmhaus liegt um die zweihundert Schritte weit von der Landstraße, meilenweit entfernt vom nächsten Nachbarn. Auf der Westseite ist es durch eine dichte Reihe von Pappeln gegen die Präriewinde geschützt. Es ist eines dieser zweistöckigen Dutzendhäuser aus dem Katalog, wie sie im Westen überall zu finden sind. Breit ausladend, unter einem flachen, mit unempfindlichen Asphaltschindeln gedeckten Satteldach. Das Hauptgeschoss ist oben, darunter befindet sich, was hier Basement genannt wird. Nein, schön oder architektonisch bemerkenswert ist es sicherlich nicht, aber zweckmäßig. Dahinter schaut die Scheune hervor, rot gestrichen mit ausladendem Giebel. Und daneben, in einem offenen Hufeisen, der Maschinenschuppen samt Werkstatt. Alles ist ordentlich aufgeräumt. Der Hund, dessen Bellen weithin hörbar ist, muss hinter dem Haus angebunden sein. Sonst gibt es kein Zeichen von Leben. Es ist noch zu heiß im Freien.

    Das Gesicht des Fremden nimmt die Szene mit einem Ausdruck von Genugtuung auf, als freute er sich, dass alles noch da sei. Er hat den prallen Rucksack locker über die Schulter gehängt. Der Koffer scheint nicht sonderlich schwer zu sein. So setzt er ohne Eile einen Fuß vor den anderen auf dem Einfahrtsweg zur Farm hinüber. Da öffnet sich dort die Haustür im Untergeschoss. Ein älterer Mann, die Holzfällerkappe auf dem schütteren grauen Haar, tritt ins Freie und geht in Richtung des Maschinenschuppens. Plötzlich bemerkt er den Fremden den Weg heraufkommen und bleibt stehen. Etwas wie ungläubiges Erkennen zeigt sein Mienenspiel. Er zögert noch einen Moment, als ob er es nicht glauben kann, was er sieht, um dann dem Ankömmling ein paar vorsichtige Schritte entgegen zu gehen. Dann bleibt er stehen, schirmt seine Augen mit der Hand gegen das gleißende Sonnenlicht und fragt mit verhaltener, belegter Stimme:

    „Bist du das, Uwe?"

    „Ja John, ich bin es", kommt die Antwort, während der Mann seinen Koffer abstellt und den Rucksack heruntergleiten lässt.

    Er ergreift die ausgestreckte Hand mit einem festen Griff. Die beiden schauen sich in die Augen und mustern sich eine Weile schweigend. John Musgrove, der alte Farmer, bekommt eine feierliche Miene.

    „Es ist lange her, Uwe Breuer. Ist es dreizehn oder vierzehn Jahre, seit du aus der Gefangenschaft entlassen worden bist?"

    „Ja, kommt die leise Antwort, „und damals hast du gesagt, ich sei bei euch stets willkommen, wenn mich mein Geschick je in dieses Land zurückbrächte.

    „Das Wort gilt. Aber komm doch erst mal ins Haus."

    Seine Stimme wird fröhlich lärmend.

    „Donna wird sich freuen. Du musst erzählen, was du so erlebt hast."

    Er greift nach dem Koffer, Uwes abwehrende Geste missachtend, und geht voraus in Richtung Haustür. Währenddessen mustert er Uwe von der Seite.

    „Du hast eine Menge Falten bekommen, na ja, wir werden eben alle älter, ich bin ja auch bald sechsundsechzig und werde mich in spätestens zwei Jahren auf meinen Altenteil zurückziehen. Tom ist in Saskatoon und studiert Landwirtschaft. Er ist bald fertig und will dann hier übernehmen. Und der Zweitälteste, der Wally, der nie genug von deinen Fliegergeschichten hören konnte, der ist in dein Fach gegangen, er ist Pilot geworden; da drüben, kaum zwanzig Meilen von hier, weißt du, auf dem alten Flugplatz, der während des Krieges für die Flugschule gebaut wurde."

    Sie sind an der Haustür angekommen. John öffnet sie und ruft mit polternder Stimme das Treppenhaus hinauf:

    „Donna, du wirst nicht glauben, wer hier ist!"

    Oben in der Küche legt Donna Musgrove hastig die Schürze ab, hängt sie ordentlich an den Haken und schaut neugierig das Treppenhaus herunter.

    „Sag' schon, wer es ist", sagt sie ärgerlich.

    Gegen die Helligkeit von den kleinen Fenstern über der Haustür kann sie das Gesicht des Fremden nicht erkennen. So kommt sie mit zögernden Schritten die Treppe herunter, um plötzlich wie angenagelt stehen zu bleiben.

    „Mein Gott, das ist doch nicht möglich – Uwe!"

    Sie nimmt ihn an die Hand und zieht ihn zu dem Flurfenster hinüber, um ihn bei vollem Licht anschauen zu können. Da wird sie still und streichelt ihm mütterlich die Wange.

    „Du hast es schwer gehabt, nicht wahr?"

    Und Uwe antwortet gemessen: „Ja, so friedlich wie es hier für einen Kriegsgefangenen auf der Farm war, ist es nie wieder gewesen!"

    „Wo kommst du denn jetzt her?", fragt John, die bei seiner Frau aufkommende Rührung abfangend.

    „Wie lange bist du schon unterwegs?"

    „Die letzten vier Tage habe ich praktisch im Bus geschlafen, von der Gegend um Toronto. Ich habe dort nach meiner Ankunft für ein halbes Jahr als Mechaniker gearbeitet, in einer Autowerkstatt, manchmal auch auf einem nahen Flugplatz, für so einen Fliegerclub. Und Inhaber eines Berufspilotenscheins bin ich auch. Aber dann habe ich mir in den Kopf gesetzt, in den Westen zu gehen."

    „Und wo ist deine Frau?", fragt Donna Musgrove leise.

    „Du bist doch verheiratet."

    „Nein, Donna, nicht mehr. Aber das ist eine lange Geschichte."

    Sein Gesicht bekommt einen gequälten Ausdruck.

    „Also Schluss jetzt. Du wirst uns das ja erzählen, wenn du willst. Aber jetzt soll er sich erst mal frischmachen. Er kann ja in seinem alten Zimmer im Keller schlafen, nicht wahr, Donna?"

    „Ja, selbstverständlich. Ich habe es in ein paar Minuten fertig. John, biete ihm was zu trinken an. Er wird es brauchen bei der Hitze. Oben im Kühlschrank ist noch Limonade, die hast du doch immer so gerne gemocht, Uwe."

    Und sie macht sich eilig auf den Weg in den Flur des Untergeschosses, in dem Uwe zwei Jahre als Kriegsgefangener beim Arbeitseinsatz untergebracht war.

    Uwe Breuer steht am Fenster seines alten Zimmers. Es ist klein und schmucklos, mit einer Art Feldbett, einem Nachttisch und einem in die Wand eingebauten schmalen Schrank. Auf der Kommode steht eine Waschschüssel mit einem Wasserkrug aus Blech, eine Seifenschale daneben. Und Donna hat ihm ein Handtuch dazugelegt. Ihm ist, als sei er in die Vergangenheit zurückgekehrt. Hier stand er oft und dachte an Zuhause zurück. Und an den Krieg im Mittelmeer, wo er als Oberleutnant im Jagdgeschwader 2, mit seinen Kameraden jenen aussichtslosen Kampf gegen die wachsende Übermacht in der Luft zu fechten hatte. Und an jenen Palmsonntag 1943, an dem für ihn der Krieg zu Ende gegangen war.

    Für ihn ist alles, als sei es gestern gewesen.

    Die Erinnerung überwältigt ihn.

    Er ist unterwegs von Sizilien kommend mit sieben Maschinen Geleitschutz für einen riesigen Schwarm von Transportflugzeugen, Ju 52 und Messerschmitt Giganten. Im Luftkampf wird seine Messerschmitt 109 F flugunfähig geschossen. Er setzt die Maschine ins Wasser und hofft, dass sein Schlauchboot von deutschen Seenot-Flugzeugen entdeckt wird. Aber dann fischt ihn ein englischer Zerstörer aus dem Meer und er landet schließlich in einem Gefangenenlager in Kanada, nahe der Stadt Saskatoon. Dort meldet er sich freiwillig für die Arbeit in der Landwirtschaft. Er erinnert sich noch genau wie freundlich und ohne Vorurteile ihn die Musgroves aufnehmen.

    Szenen tauchen in seinem Gedächtnis auf, wie er gemeinsam mit der Familie am Tisch sitzt, glücklich über eine kräftige Mahlzeit. Wie dankbar John für jede Hilfe bei der schweren Farmarbeit ist. Welchen Spaß er hat beim Spiel mit den Kindern. Aber auch, wie der Winter mit seinen Minusgraden und fürchterlichen Stürmen alles Leben mit Schnee oder später im Frühjahr mit Staub zudeckt.

    Uwe kehrt zurück in die Gegenwart, als er Donnas Stimme hört, die ihn zum Essen ruft. Er gibt sich einen Ruck und geht nach oben.

    In der Wohnküche warten die beiden schon auf ihn. Am Tisch sitzend bemerkt John, dass die Runde kleiner geworden ist, seit die Kinder als Erwachsene das Haus verlassen haben. Nach einem kurzen Tischgebet beginnt jeder schweigend seine Mahlzeit. Es dauert eine Weile, bis Donna, die Uwe immer wieder mustert, das Schweigen bricht.

    „Wie lange hat es eigentlich damals gedauert, bis du zu Hause angekommen bist?"

    „Ich bin nie wieder nach Hause gekommen. Meine Heimat in Ostpreußen ist ja jetzt russisch. Ich wurde nach Westdeutschland entlassen, in die britische Besatzungszone. Über das Rote Kreuz habe ich nach vier Monaten erfahren, dass Inge, meine Frau, in Düsseldorf lebte. Da bin ich dann auch hingegangen. Inge war ja im Krieg Schreibkraft in einer Rüstungsfabrik. So hat sie bald eine gute Stelle bekommen, bei einem Wirtschaftsberater."

    Uwe macht eine Pause.

    „Ich selbst habe alles Mögliche angefangen. Auch auf dem Schwarzmarkt versuchte ich etwas Geld zu verdienen. Aber es ist nichts Rechtes draus geworden. Dann bin ich, sozusagen aus Zufall, zu zwei alten Lastwagen mit Holzvergaser-Motoren gekommen und fing damit einen kleinen Fuhrbetrieb an. Das lief auch nicht schlecht. Ich war ja immer ziemlich geschickt in mechanischen Dingen und konnte somit die beiden alten Wracks am Laufen halten. 1948, als unsere Währung bis auf zehn Prozent abgewertet wurde kam ich ganz gut heraus. Ich habe drei Laster dazugekauft. Aber es ging nur mühsam weiter."

    Uwe räuspert sich, seine Verlegenheit nur mühsam verbergend.

    „Ich hatte halt einfach kein Talent fürs Geschäftsleben. Also kurz und gut, es ging kaum mehr vom Fleck. Wir lebten zuerst vor allem von Inges Sekretärinnen-Gehalt." Uwes Stimme stockt. Leise fährt er fort.

    „Ja, sicher, sie hatte wohl mehr von mir erwartet. Und sie hat angefangen, darüber zu klagen, dass wir keine Kinder haben. Aber es hat nicht geklappt."

    Er macht eine Pause.

    „Und was das Geschäftliche anbelangt, hat sie mir immer ihren Chef als Vorbild geschildert, er bringe ihr zunehmend mehr Vertrauen entgegen. Da hat es ein paarmal richtig gekracht. Und ich habe bemerkt, dass ihr der Chef, ein Junggeselle, schöne Augen machte. So sind wir immer mehr auseinandergedriftet. Hin und wieder war auch zu viel Alkohol mit im Spiel."

    Uwe starrt vor sich hin. Ein wenig kleinlaut fährt er nach einer Pause fort.

    „Sicher, Inge hat sich viel Mühe mit mir gegeben. Auch nachdem ich aus unserer Wohnung ausgezogen bin. Und vielleicht wären wir wieder zusammengekommen, wenn das mit dem Unfall nicht passiert wäre. Wir verbrachten sogar wieder eine Nacht zusammen in ihrer Wohnung."

    Er schluckt, als seine Stimme beinahe versagt.

    „Aber dann ist mir am nächsten Tag nachts auf der Königsallee ein Betrunkener direkt vor das Auto gerannt." Wieder eine Pause.

    „Er war sofort tot."

    Donna legt mit einer mitleidigen Geste ihre abgearbeitete Hand auf Uwes verkrampfte Faust, die ein paar unkontrollierte Bewegungen auf dem Tischtuch gemacht hat.

    „Ich habe das wie ein Gottesurteil genommen. Und auch das Gericht hat eindeutig festgestellt, dass ich gar keine Chance gehabt hätte, so rechtzeitig zu reagieren, damit der Mann, der als notorischer Alkoholiker bekannt war, nicht von meinem Wagen erfasst worden wäre."

    „Aber, Uwes Augen sind unbeweglich und seine Stimme klingt heiser, „aber ich bin das einfach nicht mehr losgeworden. Es war mir, als hätte hier ein höheres Gericht gegen mich entschieden. Ich kam mir als Versager auf der ganzen Linie vor! Da war meine Ehe, die ich nicht ausfüllen konnte, meine Frau offensichtlich vom Glanz ihres erfolgreichen Chefs geblendet. Ja, wenn wir Kinder gehabt hätten. Aber das hat ja auch nicht geklappt! Im Geschäft war ich den harten Methoden der Branche in unserem Wirtschaftswunderland nicht gewachsen. Und nun das!

    Er spricht leise, sein Blick in die Ferne gerichtet.

    John und Donna hören schweigend zu und vermeiden, ihr Mitleid offen zu zeigen.

    „Ich wollte neu anfangen, wollte Inge nicht mehr im Wege stehen. Ich habe sie nicht mehr gesehen, sondern in aller Stille durch meinen Anwalt die Scheidung einreichen lassen, alle Schuld an der Zerrüttung auf mich genommen, mein Geschäft verkauft und den Erlös bis auf einen Betrag, den ich hier zum Start von ganz unten brauchte, an sie überweisen lassen. Sobald ich vom kanadischen Konsulat die Einwanderungspapiere erhielt, bin ich abgereist."

    Uwe macht einen erschöpften Eindruck. Aber man merkt ihm auch die Erleichterung an, sich das alles von der Seele geredet zu haben, was er tief im Innern mit sich herumschleppte.

    „Ja, es sind jetzt schon sieben Monate her. Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, ob ich das Richtige getan habe!"

    2

    Inge, heirate mich!". Die Worte kommen leise, aber eindringlich. Die Augen hinter der randlosen Brille strahlen ruhige Entschlossenheit aus. Karl Harder hält Inge Breuers Hände mit den seinen fest umschlossen, als wolle er sie daran hindern, sich ihm zu entziehen.

    Er hat das dezente Ambiente dieses vornehmen Restaurants im Düsseldorfer Parkhotel gewählt, weil er Inge nicht durch die Atmosphäre seines eigenen Hauses verunsichern wollte. Keine Zweifel, er weiß was er will, er will diese Frau gewinnen. Er ist sich ihrer Zustimmung nicht gewiss. Trauert sie immer noch ihrer ersten Ehe nach mit einem Mann, der nichts auf die Reihe brachte? Sie kennen sich schon viele Jahre, ob sie sich für ihn entscheiden wird? Nein, er ist nicht mehr der Jüngste. Vor zwei Wochen hat er seinen zweiundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Aber was heißt das schon bei seiner Generation! Man hatte ihnen ja die Jugend gestohlen. Als er nach dem Abitur seinen zweijährigen Wehrdienst antrat, wusste er noch nicht, dass er die Uniform für lange sieben Jahre nicht mehr ausziehen würde. Gerade als seine Pflichtjahre abgeleistet waren, brach der Krieg aus. Er, der Oberfähnrich, marschierte mit nach Polen, dann nach Frankreich und schließlich in die endlose Weite Russlands. Dann war alles vorbei. Karl Harder stand in seiner verschlissenen Hauptmannsuniform als Siebenundzwanzigjähriger am Grab seiner Eltern. Sie kamen kurz vor dem Zusammenbruch bei einem Bombenangriff ums Leben.

    Aber er hatte insofern Glück gehabt, als er schon nach wenigen Monaten aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen wurde. Und mit der ihm eigenen Zähigkeit nahm er alle Unbilden des Studentenlebens in jenen Anfangsjahren auf sich, sobald die Bonner Universität wieder ihre Tore öffnete. Betriebswirtschaftslehre war sein Fach, weil er sich ausrechnete, dass Wirtschaftsberatung trotz oder gerade wegen der ungeheuren Zerstörungen ein Mangelberuf sein werde. Er sollte Recht behalten. Sein Beratungsunternehmen war ein Erfolg. Er wurde während dieses deutschen Wirtschaftswunders ein wohlhabender Mann. Nur zum Heiraten ist er nicht gekommen.

    Jetzt saß vor ihm die Frau, die er damals als seine erste Sekretärin eingestellt hatte. Bald schon bemerkte er, dass er sich auf diese Inge Breuer blind verlassen konnte. Seit zehn Jahren schmiss sie den ganzen Laden und entwickelte zudem jene damenhafte Sicherheit, die gerade sein Kundenkreis zu schätzen wusste. Schon nach kurzer Zeit war sie unentbehrlich geworden. Ihr Mann hatte sich mehr schlecht als recht im Transportgewerbe versucht. Nein, dafür war der nicht gemacht! Er hatte sich auch nichts sagen lassen, und schon gar nicht von ihm, Karl Harder, weil er wohl spürte, dass er in Inge mehr sah als nur eine Angestellte.

    Er hätte wohl keinerlei Chance gehabt, sie je von Uwe Breuer loszueisen. Inge war ihrem Mann unverbrüchlich treu. Sie liebte ihn. Karl Harder wusste das. Es wäre ihm nie eingefallen, auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, seine Gefühle für Inge offen zu zeigen.

    Aber dann war die Sache mit dem Unfall auf der Königsallee passiert. Uwe Breuer hatte wohl Panik bekommen. Er reichte die Scheidung ein, erklärte sich durch seinen Anwalt als allein schuldig für die Zerrüttung der Ehe und verschwand. Dass seine Frau ein Kind erwartete, scheint ihn nicht gerührt zu haben.

    Inge Breuer, die jetzt vor ihm sitzt, ist bleich geworden. Sie starrt ihn an und versucht, ihm ihre Hände zu entziehen.

    „Karl, ich bin schwanger mit dem Kind von Uwe!", sagt sie hilflos.

    „In zwei Monaten ist es soweit!"

    „Aber er hat dich doch im Stich gelassen, ist einfach weggelaufen!"

    Inge schlägt die Augen nieder, schweigt eine Weile, um dann fast tonlos zu sagen: „Er weiß nichts von dem Kind!"

    Die Worte hängen schwer in der Luft.

    „Was? Du hast es ihm nicht gesagt?"

    Zum ersten Mal fällt die überlegene Sicherheit von ihm ab.

    „Ich habe es nicht fertiggebracht", kommt leise die Antwort.

    Und dann öffnet sie sich, ganz langsam, stockend, Wort hinter Wort setzend.

    „Es war wohl mehr meine Initiative, damals, die Nacht vor dem Unfall, er wohnte ja nicht mehr bei mir, war ausgezogen. Ich lud ihn zum Essen ein und wir sprachen von den alten Zeiten, damals während des Krieges, von den Briefen, die wir uns geschrieben haben dann, als er verwundet war und bei uns in Stettin im Reservelazarett lag, und als er plötzlich die Heiratsgenehmigung herauszog – mit meinem Namen darin, er zweiundzwanzig und ich neunzehn. All die Erinnerungen an unsere Kriegstrauung kamen hoch, an die Trennung, und dass er dann wenige Wochen später abgeschossen wurde und in Gefangenschaft geriet. Die Erinnerung an die gemeinsamen Erlebnisse machten uns beide glücklich.''

    Sie schluckt.

    „Da ist er bei mir geblieben. Als er nach dem schrecklichen Unglück auf der Kö nicht mehr auftauchte und dann später sein Anwalt anrief, wegen der Scheidung", sie schluckt wieder und hält einen Moment inne, „da habe ich es einfach nicht fertiggebracht, das mit der Schwangerschaft zu sagen. Ich war verletzt und ich wollte ihn auch nicht mit dem Kind

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