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ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer
ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer
ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer
eBook370 Seiten4 Stunden

ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer

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Über dieses E-Book

ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer

Eine zusammengewürfelte Gruppe windiger Typen begibt sich auf eine gefährliche und abenteuerliche Schatzsuche über die - mindestens genauso abenteuerliche, gefährliche und windige - Isla PELARGONIA im Südatlantik. Doch nicht jeder Reiseteilnehmer kommt an, und längst nicht jeder findet das, was er gesucht hat.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum17. Juni 2020
ISBN9783347068315
ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer

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    Buchvorschau

    ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer - Klaus Schafmeister

    Kaliber 1 - Preludio

    Die Posse spielt in der frühen Mitte eines unbestimmten 20. Jahr100s. Anhängern von Vacuumfluktuation und inflationistischen Welttheorien soll gern überlassen bleiben, in welchem Universum sie diese Mitte - genauer: das Jahr 1952 - verorten wollen.

    Auf der Jagd nach dem Glück würfelt sich eine Notgemeinschaft zusammen zu halsbrecherischer Reise durch Pelargonien, dem südatlantischen Eiland aus Staub, Kakteen und Vogeldreck. Wir lernen herrliche Huren kennen, kleinwüchsige Opernsänger, Schönheitstänzerinnen, Scheinriesen und andere schräge Vögel. Eine historische Präsidentin samt mechanisiertem Sohn treten auf, jede Menge Hühner, Karnevalsprinzen, schwarze Urnenbestatter und weiße Blumenmädchen. Hunnen preschen heran zum Tanz ums Goldene Kalb, und der berüchtigte Kaktusschnaps Pirazzo fließt immer und überall. Selbst GOTT und Gas mischen mit im abgekarteten Spiel und ein paar andere krumme Hunde.

    Zum bösen Schluß spielt auch ein schroffer Meeresfels vor Pelargoniens Küste seine heroische Rolle: El-Trozo, die unheilige Klippe; Teilzeit-Gefängnis eines kaffeesaufenden Seeungeheuers, das angekettet ist an einen untoten Leuchtturm.

    Doch nun: Prosit! Vorhang auf! Das Bühnenbild ist ausgeleuchtet, die Protagonisten wollen selber schwadronieren - wollen darstellen, nicht belehren; wollen unterhalten, nicht die Welt erklären.

    Der Erzählung Stil und Sprachduktus verdienen die Bezeichnungen: anachronistisch, geschwätzig, manieriert, grotesk, sarkastisch, albern. Mit Klischees, Banalitäten und Gemeinplätzen, mit Trivia und Phrasen, Adjektiven und Alliterationen wurde nicht gespart und auch nicht mit eingängiger Klugscheißerei. Zitate und kolportierte Redensarten sind zumeist halbseiden und an den Haaren herbeigezogen, jedoch kulturelles Allgemeingut.

    Auch Orthographie & Interpunktion sollten sportlich gesehen werden - was glauben Sie denn, was ein professioneller Korrektor kostet?

    Weiterhin enthält das Textbuch Produktplazierungen, aber die sind für die genannten Herstellerfirmen ganz umsonst.

    Dafür fehlt der Erzählung jedwede political correctness - was ja auch schon etwas ist!

    Kaliber 2 - Ein Bildfehler im Südatlantik

    Pelargonien kann nur übers Meer erreicht werden. Flugplätze, die diesen Namen verdienen, gibt es nicht. Seefahrt tut not, doch mancher wird nie ein guter Fahrensmann. So kriecht man nach zwei Wochen magenumkehrender Schiffspassage von Kapstadt aus in Vayacondios, dem einzigen Hafen Pelargoniens, an Land. Wenn sich die Innereien wieder beruhigt haben, könnte die Tour über die Insel los gehen, doch wird dies dem Explorateur nicht leicht gemacht, denn Wetter und Topographie sind absurd, die politischen Zustände verworren, Fremde längst nicht mehr gern gesehen.

    Aber wir haben nicht den stürmischen Seeweg gemacht, die Seele ausgekotzt übers Deck und uns beinahe den Tod geholt in gischtnasser Kledage, um ununterrichteter Dinge wieder abzulegen. Denn wenn man (be)richten will über die Insel, ihre Gegebenheiten und ihre Bewohner, muss man die Örtlichkeit kennen. Und ihre Geschichte. Um zu verstehen, halbwegs.

    Man stelle sich Pelargonien vor als einen kreisrunden Fladen, eine Pizza von annähernd 200 Kilometern Durchmesser und mitten im Südatlantik gelegen. Wahrlich kein Möwenschiss - trotzdem kaum einem Schulkind dieser Erde gegenwärtig, denn nur wenige Globen und Atlanten kartographieren dieses Eiland in halbwegs gemäßigter Lage bei 36 Grad südlicher Breite und auf dem 18. Längengrad West als nahezu geographisch-mittige Verschnaufpause zwischen Afrika und Südamerika.

    Die Insel war bislang so gut wie nie Tagesgespräch in Wirtschaftsclubs und Außenministerien, oder Thema transozeanischer Briefe oder Funkfernverkehrs, und keiner, der sich hier aufhielt, hat diese Schlichtheit bestätigen oder verwerfen können, weil er die Örtlichkeit bereits kurz nach seiner Abreise wieder gnädig vergaß.

    Selbst heutzutage zeigen die spärlichen Luftaufnahmen der Region nur einen verwaschenen Fleck aus Wolken und Dunst; man will eher an einen Bildfehler glauben als an eine konkrete Landmasse.

    Ur-Pelargonien wurde aus submarinem Höllenfeuer geboren am Stoßrand der afrikanischen zur südamerikanischen Kontinentalscholle. Später lagerten sich auf dem unterseeischen Vulkansockel Sand und Muscheldreck ab wie in einem Suppenteller. Die Erdzeitalter und nachdrängendes Magma hoben das Tiefseeporzellan hoch und höher, bis dass die Isla Pelargonia schaumgeboren zu Tage trat. Ihr harter Rand aus längst erloschenen Kleinvulkanen, die Picos genannt werden, quoll in den Äonen bis auf annähernd 1.500 Höhenmeter über Normalnull. Ringförmig verläuft dieser ex-eruptive Stachelwulst rund um die Isla, ungefähr 20 Kilometer breit von der abrupten Meereskante zur Inselmitte hin.

    Vulcanus ists gewesen, der vor Urzeiten diesen Fladen buk. Nur an einer kleinen Randstelle hat er die Hefe vergessen - oder aber Mars, boshafter Kumpan, hat auf Süd-Südost bis fast herunter auf den Meeresspiegel eine ordentliche Delle in den Ring geschlagen, genannt: Porta del Sud; 300 Meter in der Breite misst der olympische Hieb, mittig hineingesenst noch eine grundtiefe Scharte, in die sich die Brückenkonstruktion der Wüstenbahnlinie spreizt und unter deren verrosteten Eisenträgern sich der Rio Zinnober ins Meer ergießt. Wo auch der Insulaner ohne beschwerliches Klettern hinunterkäme an den einzigen Sandstrand der Insel, wollte er das. Doch weil der gemeine Pelargonio wasserscheu ist wie eine maghrebinische Wanderhure, sonnen sich daselbst nur Walgerippe; Seeelefanten knirschen darüber hinweg, während versprengte Pinguine auf dem schwarzen Lavagries umher watscheln, Luftsegeleien gelegentlicher Albatrosse bestaunend.

    Wer hier unten steht, erblickt linksab das Städtchen Vayacondios: Pelargoniens einziger Seeport. Mitten hindurch und zum Hafen hin führen die Gleise der vorgenannten inselhalbierenden Wüstenbahnstrecke, über welche Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts die Massen- und Menschentransporte gelaufen sind während des Guano-Runs. Heutzutage legt nur noch gelegentlich ein Frachtschiff an, und man meint zu spüren, dass es möglichst schnell wieder fort will. Hier dümpelt die Zeit vertäut am Pier, auf dem noch ein klappriges Einwanderungsbüdchen steht, durch das sich jedoch lange nichts mehr bewegt hat außer Spinnen und Staubflusen.

    Das Wetter in und um Pelargonien entfacht ebenfalls keine Begeisterungsstürme. Jene erloschenen Picos, aus deren seewärtig schroffen Abseiten der Meeresrand des insularen Fladens besteht, paradieren als Schildwache; die Seewolken kalben deshalb ihre nassen Lasten schon vor und über dieser Steilküste ab, so dass von Zeit zu Zeit wenigstens in den seeseitigen Bergtälern ein anerkennenswertes Grünen und Blühen aufkommt.

    Um so trockener und staubiger ist es im Malpais, dem Schlechten Land, das auf einen wartet, wenn man über die Spitzen und Grate hinab stößt ins Inselinnere. Mittig in dieser rund 150 Kilometer durchmessenden, mit unzähligen Kakteen besetzten Sandschüssel spitzt ein einzelner Vulkankegel auf: der ebenfalls lang entschlafene, 500 Meter hohe ComeddoZentral. Wetter und Zeiten haben das Meeressediment rings um den Comeddo zu schichtigem Gebröckel verpulvert und zu rotgrauem Staub, der im Verbund mit dem allgegenwärtigen Vogeldreck aller Augen und Lungen martert. Der böse Dunst wird fleißig umgeschaufelt durch LaRotonda: ein seltsam und stetig um den Comeddo zirkulierender Wirbelwind. Und wenn es denn doch mal regnet im Malpais, verklumpt der Staub zu zähem Schlick.

    Mitten hindurch führt der einzige nennenswerte Wasserlauf der Insel, der sich von ringsum aus dem Randgebirge landeinwärts sickernden Gräben und Rinnsalen nährt. Und ab dem am Fuß der westlichen Picos gelegenen Ort Nombredelrio darf sich der bis dahin gemütliche Bach dann auch von Beruf Rio und mit Namen, analog der Farbe der inneren Wüste, Zinnober nennen. Ab hier mäandriert er durch die Desertas - dicht mit Opuntien überwucherte Sandsteinformationen aus abschilfernden Schichtstufen - bevor er in Höhe Comeddo Zentral, gedunsen durch unterwegs einverleibte ober- und unterirdische Feuchtgeschwister, in Richtung Südosten abbiegt, um bei Vayacondios unterhalb der Eisenbahnbrücke die Porta del Sud zu passieren und sich danach rotschlammig und fast 30 Meter breit ins Meer zu ergießen. Und aus dem Morgenrot der östlichen Kimm grüßt eine halbe Seemeile entfernt ein verwitterter kleiner Leuchtturm auf der winzigen Klippe ElTrozo als letzter Vorposten bis Afrika hin, von den Insulanern verächtlich genannt:

    El Culo del Mundo - der Arsch der Welt.

    Kaliber 3 - Bibeln und Beschwerlichkeiten

    Den Geschichten des Mimbrenjo Paranusz wird gern gelauscht, der ist dabeigewesen 1952. Wenn Rotwein auf den Tisch kommt, lässt er sich nicht lange bitten und kommt ins Erzählen. Der Methusalem gilt als anekdotenschwerer Bursche: einer jener verstaubten stolzen Veteranen biblischen Alters, die bei solcherlei Berichten versonnen brummen, sich gegenseitig anstoßen mit ernstem wissenden Blick; die Halbwüchsigen hängen gebannt an den faltigen Lippen, wenn sie Erinnerungen hervorstoßen.

    Mimbrenjos Geschichte trägt sich zu im Norden Pelargoniens auf einem Gebirgsübergang zu den Desertas - fünf Wochen, bevor ein nasser Sack auf ElTrozo stranden und von GOTT an einen Leuchtturm gekettet wird.

    Auf der Südhalbkugel herrscht Frühling, Herbst in der Nordwelt. Zu diesem Zeitpunkt röhrt der Bürgerkrieg am lautesten in Pelargoniens Südwesten, liegt dafür im Norden in den letzten Zügen. Doch was an diesem Tage auf einem vergessenen Pass hinter einem vergessenen Dorf geschieht, bekommt außer den Beteiligten niemand mit.

    Kurz nach der vom Caudillo Magno Don Episcopao Sprizz (scheu auch genannt: EL SUPREMO) angeordneten Bürgerkriegswende ist Mimbrenjo Paranusz unterwegs mit seinem betagten Renault-Lastwagen durch die Schroffen und Schluchten des meerzugewandten Höhenzuges von DosLaszivos. Mann und Maschine werden sich die Serpentinen hinaufschrauben in die Picos, um an einem kleinen Bergsee eine verhängnisvolle Pause einzulegen. Die genauen Koordinaten sind nicht überliefert, doch jeder der Beteiligten, so er denn heute noch lebt, schisse dem, der nachbohrte, einen wütenden Haufen auf seine maßstäbliche Landkarte - so kommt höchstens heraus: die Örtlichkeit liegt kurz hinter dem Kaff ElPaseo auf einem Hochplateau mit namenlosem Gebirgsweiher längs der Piste.

    Neben Paranusz und seinem französischen Lastwagen bestreitet die Eröffnungssequenz des Dramas ein lampedusischer Signore namens Rinaldo: winziger Opernsänger mit großer Stimme und dem schwachsinnigen Familiennamen Tagliatelle. Zugegen auch seine normal ausgewachsene Stieftochter Esmeralda: rothaarige Augenweide und gefeierte Ausdruckstänzerin. Hinzu kommen drei, abgedroschene Lebensweisheiten und Landwein feilbietende Halsabschneider, ein schwarzer Bestattungshelfer, dazu ein rüder Mordskerl und noch ein paar andere komische Heilige.

    Soviel zum Personal. Auch Zeit und Orte sind abgesteckt. Man braucht das alles nicht so genau zu behalten - aber damit beginnt es!

    Bei DaPlauz im Nordwesten ist die Volksfront der Cimarrones zusammengebrochen, die Region Punta-Cocolor befreit! so die offizielle Meldung. Während EL SUPREMO an der Spitze der Armee über schmale Gebirgspfade gegen südliche Rebellennester stürmte, durfte Mimbrenjo Paranusz in diesem befreiten Landstrich bleiben und Bibeln fahren für Monsignore Ruiz dePomello, Bischof der vom Caudillo jüngst rückeroberten Cocolorischen Provinz. Der Oberpriester hatte verfügt dass in unserer mit GOTTes und EL SUPREMOs Hilfe rückgegebenen Vicarie nach all den gottlosen Monaten der überdauernde Rest der aufbegehrenden und dafür kriegsgezüchtigten Taglöhner und Arbeiter baldmöglichst wieder das Heilige Wort aus den Mündern der von ihnen schändlich verjagten und nunmehr schleunigst zu retournierenden Priesterschaft zu vernehmen hat, Halleluja!

    Mimbrenjo Paranusz war wie geschaffen für solch gebenedeite Transporte, hatte er doch im Namen des HERRn und im Auftrage Hochwürdens schon einige Fuhren gedeichselt mit allerlei empfindlichen Gütern wie Alkohol und Sprengstoff, Waffen und Jungfrauen. Und jetzt Bibeln - wieder solch explosives Zeug!

    Paranusz, Ende 30 damals, führte als Berufsbezeichnung Zuckerschleck, Motormechanik und Galgenstrick im Schilde. Das abenteuerlustige Einzigkind eines Hostienbäckers aus dem elenden VivaLaDiva im Nordosten verkrachte sich 20-jährig wegen seiner exorbitanten Naschsucht mit dem Vater, tourte fast zwei Jahrzehnte über den amerikanischen Doppelkontinent, sich von Süd nach Nord und zurück mit dubiosen Verrichtungen durchschlagend, wobei er gute technische Kenntnisse über Lastwagen, Kranbahnen und Miststreuer erwarb. Trotzdem hatte es Paranusz nie wirklich zu auskömmlichem Dasein, geschweige denn Dolce Vita gebracht.

    Eines Nachts - Mimbrenjo logierte gerade im finstersten Asyl der südamerikanischen Stadt Sulaco in der Costaguanaischen Repubik - spülten ihm dunkle Kanäle eine amtliche Note in die Hände, in der es hieß, dass sein alter Vater verstorben sei und ihm die elterliche Hostienbackstube hinterlassen habe. Der verlorene Sohn versah sich daraufhin unter Gefahr für Leib und Leben mit den Börsen betrunkener Mitschläfer und eilte auf einem preiswert gedungenen Seelenverkäufer zurück nach Pelargonien. Doch kurz bevor er seinen Heimatort VivaLa-Diva erreichte, war der Bürgerkrieg auch über diesen Flecken hinweggegangen und hatte Papas Backstube in Waffelbruch zerlegt. Aus purer Existenznot heuerte Mimbrenjo bei den RegularesPelargonias an und diente EL SUPREMO - genauer: der regierungstreuen Mutter Kirche - als armierter Leibchauffeur des Provinzbischofs.

    Zum Zeitpunkt der Begebenheit lagen 13 unaufgeregte Tage hinter ihm. Der Sold war karg, dafür gabs in den wiederbelebten Kirchen und Klöstern für den Verteiler des gedruckten Heiligen Wortes umsonst zu essen und zu trinken; oft nur bitteren Kräuteraufguss oder sauren Wein zu Bohnenbrot und Bohnensuppe - Bohnen, gekocht, gebraten, gebacken oder geröstet, aus letzteren auch ein Gebräu, dass sich frecherweise Bohnen-Kaffee nannte - doch oft fanden sich auch ein paar Brocken Ziegen- oder Hammelfleisch auf dem Teller. Der Magen füllte sich, nachts wartete ein trockenes und friedliches Nachtlager - warum also hetzen?

    An diesem Mittag also steuerte Paranusz den bibelschweren Laster aus dem zerschossenen Kloster PaviaGrande hinaus zu einem kleinen Pass in Richtung der sonst kargen Täler des Abendgebirges, die sich zum Malpais hin öffnen. Doch als hätte der HERR nur auf den Wiedereinsetzer der christliterarischen Oberherrschaft gewartet, ließ ER einen für diese herben Areale ungewohnt linden Frühling erwachsen; es kroch aus der Erde, was nur irgendwie zu grünen oder zu blühen vermochte, so dass auch EL SUPREMO ruhmbedeckt über blütenberauschte (Schlacht)Felder schreiten konnte - besser gesagt: rollen, denn der greise Caudillo Magno war seit längerem auf nämlichen Stuhl angewiesen, den er - wie es im PelargoniaCourier geschrieben stand - dem tückischen Rückenschuss eines nichtswürdigen Cimarrones-Rebellen verdankte.

    Wie auch immer! Auch Mimbrenjo Paranusz zeigte sich angerührt von der wohlig-weichen Luft, die in den blütenschwangeren Weißdornhecken döste, und in der die Glockentürme wieder ungestraft zur Vesper läuten durften. Mimosen, Lorbeeren und schwergrüner Wacholder plusterten sich am Wegrand in der Sonne, winkten dem Wagenlenker freundlich und wären sicher gern zugestiegen, aber das ginge ja nur mit gültigem Fahrschein.

    Menschenmäßig wars auf den Gebirgspisten ebenfalls nicht einsam: barfüßige Taglöhner ächzten am Wegrand ihre Karren daher mit mageren Frauen und Kindern neben sich im Geschirr; an Häuserecken lungerten borkige Vaqueros, Mülltonnen durchwühlend nach Essbarem und immer auf dem Sprung vor den funkelnagelneuen Cabriolets der örtlichen Kriegsgewinnler; verschwitzte Anzugträger hasteten vorbei mit Aktentaschen voller Denuntiatiönchen; rotbunte Soldatentrupps marschierten zackig längs - und natürlich die vorgenannten Priester, die wie Schwärme rückkehrender Krähen einfielen, durchdrungenes Leuchten in den Augen.

    Doch an jenem Tag hatte Mimbrenjo nur Blick, Nase und Ohren fürs Frühlingserwachen. Auch heutzutage noch, wenn wieder so ein Jahrhundertsprießen ausbricht im Ringgebirge, kann man verzückte Menschen durch diesen teilzeitgesegneten Landstrich stolpern sehen mit offenen Augen und Mündern, sich an den Schönheiten von Natur und Landschaft und auch an Mengen von Käfern und Fliegen sattessend.

    Am frühen Nachmittag waren die schwellenden Täler durchquert, und die Fuhre näherte sich dem unlängst noch umkämpften Höhenrücken von DosLaszivos, über den es via Schotterpiste talwärts ging in Richtung Nombredelrio und der Trockenebene des Malpais. Hier oben hielt sich die Natur merklich zurück; kalte Nebelschwaden zogen durch, Baumfarme mischten sich unter Kiefern und Kastanien; rechts und links des Pfades rosteten gelegentliche Reste von Kampfwagen; eine Flugzeugleiche stak dekorativ in den Schroffen und anderes Mordgerät. Paranusz steuerte den Renault vorsichtig zwischen den Wracks hindurch, umkurvte zerschellte Bäume und Granattrichter und bog endlich ab in Richtung ElPaseo, einem Kaff direkt unterhalb des Bergkamms, um den sich kürzlich noch Helden beider Seiten feste erschlagen hatten.

    Auf ElPaseos Marktplätzchen war eine museale TinLizzy verreckt. Aus ihrem geborstenen Motor troff Öl zu einer Lache zusammen, der Holzvergaser an der Rückseite des Gefährts ließ nur noch einen dünnen Rauchfaden aus dem Schornstein. Ein dicker Schwarzer in einst weißem Kaftan hockte stoisch auf dem Trittbrett und umklammerte eine große bunte Blechdose. Er trug tintenblaue Filzpantoffeln an den Füßen und auf dem krausen Schädel ein ebenso azurnes Rundkäppi mit Goldstickereien - solche Kerls findest du sonst nur in Märchenbüchern oder gelegentlich noch auf den Bazaren von Tanger und Timbuktu, wo sie dir getürkte Nobeluhren und schwach doublierten Goldschmuck andrehen wollen, dazu merkwürdige Gewürzkompositionen, nachgemachte Altertümer und verbeulte Kupferpfannen. Doch wie er da thronte, wirkte er richtig hochwohlgeboren als ich noch Prinz war in Arkadien! Einen veritablen Lederbeutel hielten Majestät neben sich.

    Zur weiteren Motivbelebung diente ein Haufe räudiger Köter und Kinder. Die beguckten den schwarzen Mann mit offenen Mäulern oder tollten ums Gefährt und darüber hinweg. Als sie des Renaults ansichtig wurde, sprang die Meute johlend und bellend auf das frische Opfer zu und war weder durch Hupen noch durch Flüche zu vertreiben. Paranusz musste so heftig bremsen, dass er mit der Stirn gegen die Scheibe stieß und den Motor abwürgte. Schimpfend kletterte er vom Fahrersitz – und wurde sogleich von der jiffenden Woge umspült. Doch bevor er der Eingeborenenbrut an die schmutzigen Hälse fahren konnte, war die wieder hinter der Blechliesel und in den Seitengassen verschwunden.

    Die Cantina duckte sich unters knospende Kastaniendach des Marktplatzes. Paranusz ließ sich auf einen Stuhl fallen, rollte eine Zigarette, wurde träge. Auch hier starrte ein schläfriger EL SUPREMO vom Plakat überm Cantina-Eingang, krächzte aus dem Lautsprecher leise ein Ave Maria. Längs der Mauer darrten vorzeitliche Senores, aufgereiht in Korbstühlen, vom Leben zerknittert, von der Zeit vergilbt; die Strohhüte, die weißen Anzüge fadenscheinig geworden wie Haut und Haar der Altvorderen. Sie blickten ohne Regung in die Welt, als warteten sie auf die nächste; sicher hatten sie El Cid noch gekannt.

    Der Wirt schlurfte herbei. Paranusz orderte ein Glas Tinto, zahlte gleich, trank. Fragte nach einer Weile über die Schulter in Richtung eines der alten Eisen, wie wohl die Zustände sein möchten auf dem Pass und hinunter nach Nombredelrio. Schob dem Greis den Tabaksbeutel hin. Der führte keine Zähne mehr im Maule, doch - wie unser Chauffeur – die Schärpe mit dem DetenteBala überm Herzen: ehrwürdiges Herz-Jesu-Amulett der Kirchentruppen; vom Nutzen solchen Schmucks ist noch zu reden.

    Der Alte verharrte minutenlang wie versteinert. Plötzlich erwachte er, griff den Beutel, drehte ein Stäbchen mit knotigen aber flinken Fingern und schob es sich in den Mundwinkel. Paranusz zog Streichhölzer und gab Feuer. Der Greis inhalierte den Rauch, gebahr ihn zärtlich zurück aus Nase und krustigen Lippen, verbrachte eine Weile mit diesem Tun. Wandte den Aschekopf und ließ den Hidalgo heraus von vor –zig Jahren, funkelte den Bruder im HERRN an aus schwarzen Augenlöchern und wies mit großer Geste auf die Straße und aus dem Dorf hinaus: „Ein Geholper. Und Pack da oben wie früher. Trau keinem! Er bekreuzigte sich, endete: „Viva El DIO! Viva El SUPREMO! und ging erneut in Rauch auf. Seine Augen schlossen sich, den Moment bereits vergessen; der Caballero wehte zurück in seine innere Grabkammer, als hätte Paranusz nie daran gekratzt.

    Auf der anderen Platzseite tat sich was. Der schwarze Mann kam herübergeschlendert, in seinem Gefolge zwei Typen. Die Gesellschaft baute sich vor Paranusz auf.

    „Darf ich bekanntmachen? Der Kaftanträger wies in die Runde. In diesem ehrwürdigen Signore erblicken Sie Maestro Rinaldo Tagliatelle, mehrfacher Heldentenor und hochmögender Prinzipal des PiccoloTeatro Nuovo von der elegischen Mittelmeerinsel Lampedusa - dortens wohlbekannt aus Zeitung, Funk und Wochenschau! Und sein entzückendes Töchterlein, die begnadetste Tänzerin unter südlicher Sonne: LaEsmeralda!"

    Auf die Proklamation hin traten die Genannten in den Ring: ein blutjunges hübsches Mädchen mit dunkelrotem Schopf und eben der ehrwürdige Theaterdirektor - der reichlich kurz geraten war: liliputanisch. Kleinwüchsig wie man auch sagt. Der dunkle Hofmarschall schwoll wieder an, wollte wohl noch Wichtiges kundtun, doch der kleine Herr, dem eine respektable Brustweite zu Eigen war, wischte ihm das Wort aus dem Maul mit knappem Fingerschnipp. „Genug palavert! Unser Personenstandsregister interessiert den Mann nicht einen Deut."

    Der Alte, der Prinzipal - egal die Länge, so einer hat das Sagen!

    Herr Klitzeklein wies über die Schulter und auf den Ford. „Den alten Bock hats zerrissen, zu viel für ihn … Sie fahren, wie ich sehe, ein Automobil mit modernem petroleumbetriebenen Verbrennungsmotor und somit sicherlich im Auftrage der geschätzten Nobilität - und bestimmt bis Nombredelrio, gar weiter durch die Desertas in Richtung LaCita ELDORADO: nehmen Sie uns mit! Ihr Fahrzeug ist sicherlich stark genug, unser geringes Gewicht, er schielte auf den feisten Schwarzen, auch noch zu tragen."

    So sprach der Lampedusier mit voller wohltönender Stimme, und „Bitte!", flehte das Mädchen mit den Kastanienhaaren und dem liebreizenden Gesichtchen von zartbrauner Farbe; Paranusz wettete mit sich, dass die Kleine höchstens 16 war. Er legte aber vorsichtshalber erstmal die Stirn in Sorgenfalten und die Hand aufs Herz - auch seine Brust geziert (wie erwähnt) durch ein blechernes verbeultes DetenteBala wie der Kenner das kugelwehrende Herz-Jesu-Medaillon der Kirchentruppen nennt - ein fester Teil von ihm, ein Freund; fing es zwar noch keine Kugel, dafür jedoch den Huftritt eines rebellischen Maulesels ab (und zumindest einmal noch wird’s ihn vorm Loch bewahren).

    Paranuszs Zweifel lösten sich jedoch auf in Wohlgefallen, als der pergamentgesichtige Princeps in seine Börse griff und dem Chauffeur einen Stapel Pesoscheine in die Hand drückte. Der ließ die Lappen in der Tasche verschwinden Guck dir diese Goldparmäne an! und verlangte die Pässe. Vater und Tochter wiesen sich auch dokumentenkorrekt als Italienische aus, und nach der Aufschrift auf Seiner Kurzheit Koffer firmierte diese in der Tat als (angeblicher) Teatrodirettore und honoriges Mitglied der Academia Musice di Lampedusa. Paranusz wars am Ende aber gleich, welchen Dreck einer am Stecken hatte, Hauptsache, er zahlte anständig!

    Der Arkadische mochte ebenfalls nicht nachstehen und wedelte mit einer Herkunftsbescheinigung aus dem großen schwarzen Afrika (in dem als Vorname nicht etwa ein Casparmelchiorbalthasar verzeichnet stand, sondern nur ein einfallsloser Abdul), zog noch ein fleckiges Brevier aus dem Tasche, darin vom cimarronischen Agitationsbeauftragten bescheinigt dass der stattliche Maure samt den Italienischen sympathisierende Intellektuelle aus Europa und Afrika sind und sich in bewunderungswürdigerArt der Volksrevolution unter Einsatz von Körper, Geist und Seele als Kulturtragende zur angenehmsten Truppenbetreuung haben dienstbar gemacht! – ausschweifende Referenzen, aber hier nichts wert, sondern todgefährlich, weil von der falschen Fakultät. Für alle Eventualitäten zauberte Herr Abdul einen zweiten Wisch hervor, …suchen Sie sich einen aus!, der aber genauso heikel werden konnte: hierin bürgten keine cimarronischen Horden, sondern es bescheinigte der Glaubenshüter der Südprovinz dem Trupp GOTTgefällige Kunst- und Kulturbeflissenheit! verbunden mit einem huldvollen Halleluja!

    Mimbrejos Stirnrunzeln deutete das Prinzipalchen wieder falsch, trippelte sichtlich entnervt herbei, knurrte „ … hab dem blöden Kerl doch gleich gesagt, dass diese falschen Fuffziger nichts wert sind!, ergriff dessen Hand und zog Herrn Abdul grob den Goldring vom Finger, nicht achtend des Schwarzen Geschnatter. Der Signore hielt dem Fuhrmann das Geschmeide vor die Nase, „ … wenn die Pesos nicht reichen sollten!

    Paranusz nahm auch den Ring. „Ich fahr nur bis Nombredelrio. Und wenn wir von der Guardia angehalten werden: ich weiß von nix!"

    Die Sonne machte sich auf, hinter die Picos sinken; ein abendliches Kirchenglöcklein gemahnte der menschlichen Vergänglichkeit. Abdul wuchtete leise schimpfend den voluminösen Koffer der Italienischen auf die Ladefläche und sich auf den Beifahrersitz. Die Italiener kletterten nach hinten in den Kastenaufbau des Renault und nahmen auf ihrer Truhe Platz, wobei die hübsche Esmeralda frohgemut in die Hände klatschte und (im Gegensatz zu Abdul) nach Nelken und Rosinen duftete in ihrem roten weißgepunkteten Seidenkleid, die Strohhutbänder geziert mit Blumenstickereien. Auf ihre hohen Hacken war das kleine Herrchen gefolgt; es hatte die 70 sicherlich weit überschritten und überm fassgroßen Brustkorb die Gala altfränkischer Zeiten: schneeweißes, vorne bretthart gestärktes Frackhemd mit Vatermörder und roter Halsbinde, dazu beiger Leinenanzug, braune Lackschuhe samt beiger Stoffgamaschen, der Strohhut mit rotem Samtband, Lederhandschuhe (in Beige natürlich), weiterhin Stöckchen, Moschus-Parfüm - ein Loui, wie er im Buche stand mit Muskeln wie ein Huhn, eins-20 hoch, sie mindestens eins-70; er eine knittrige Spitzbartvisage ins Bild schiebend, sie zartbraun und glänzeglatt mit leuchtenden Kulleraugen und diesem Feuerbrand an Haaren.

    Der Lastwagen rollte an, überließ die Plaza samt Möblierung sich selbst und den länger gewordenen Schatten; die ausgespannten Hengste sanken zurück in sich und ihre Körbe. Minuten später war der Renault hinterm Wegesknick verschwunden, sein Motorbrummen leise, leiser, bald ganz vergangen. Das alte Schweigen wagte sich vorsichtig zurück auf die Plaza, freundlich erwartet von den Senores und ihrem Erinnerungsschorf der Jahre.

    Paranusz' Renault hat kurz darauf endlich die Passhöhe erklommen, dahinter gelegen eine windige Hochebene an einem kleinen blautiefen Bergsee vorm Zackenkamm der Picos. In der Nähe wars noch vor Dreimonatsfrist heftig zugegangen, da hätte sich kein normaler Mensch hergewagt ohne mindestens eine Bandera Regulares hinter sich. Rund um den Pass sind jedoch nicht nur Material und Kombattanten beider Kriegsparteien vergangen, genauso übel war, dass sich nach den Gefechten Leichenfledderer und anderes Mordsgesindel hier herumdrückten. Doch am heutigen Tag galt diese Ecke der Picos als ausgemistet, die Leichen weggeräumt; Desperados, Cimarrones und Aasgeier verjagt und die Gegend seit Wochen sicher repatriiert:

    Keine besonderen Vorkommnisse!

    Kaliber 4 - Interludio I : Wortgeplänkel

    Die Faseleien über die Insel Atlantis verstummen nicht, und die Narren werden nicht aufhören, sie ebenso zu suchen wie die Insel Kalypso, von der schon Homer gesagt hat, dass nicht einmal die Götter auf ihr verkehren. (1)

    Sie ist nicht leicht zu regieren; wer für ihre Befreiung tätig war, hat das Meer gepflügt. (2)

    Ich befinde mich in einem Lande von Vollidioten, in dem ich alles allein machen muß. (3)

    Ich aber versichere dem Leser, dass ich keine Geschichten nach Hörensagen wiedergebe, sondern nur das, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe. (4)

    Ich dachte: Nirgendwo ist auch ein Ort. (5)

    (1) Ulrich von Wilamovitz-Moellendorf, Philologe (1848-1931)

    (2) Simon Bolivar, südamerikanischer Nationalheld

    „El Libertador" (1783-1830)

    (3) Dr. Garcia Rodriguez de Francia, erster Diktator Paraguays

    „EL Supremo" (1766-1840)

    (4) John Esquemeling, Bukanier, Arzt & Schriftsteller (1645-1707)

    (5) Bruce Chatwin, Journalist & Schriftsteller (1940-1989)

    Kaliber 5 - Der Asanbosam

    Eine Felsnase kragt über den Weiher, daneben strebt eine gewaltige Araucarie zum Himmel, die unteren Stachelblattäste bis auf den

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