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Die Geschichte eines Eisbären: Nanuk 1 – Abenteuerroman
Die Geschichte eines Eisbären: Nanuk 1 – Abenteuerroman
Die Geschichte eines Eisbären: Nanuk 1 – Abenteuerroman
eBook437 Seiten6 Stunden

Die Geschichte eines Eisbären: Nanuk 1 – Abenteuerroman

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Über dieses E-Book

Die Geschichte eines Eisbären - In der großartigen nordischen Landschaft Grönlands wächst der kleine Nanuk zu einem großen, klugen Eisbären heran. Er ist der Herr der unendlichen Eiswüsten und des weiten Landes der Mitternachtssonne.
Spannend berichtet der bekannte Tierschriftsteller Otto Boris von der Fauna und Flora der arktischen Regionen und von ihren Bewohnern, den Eskimos, mit denen Nanuk leider nicht in Frieden leben kann. Immer wieder sucht er ihre Zelte heim und räumt ihre Fleischgruben leer. Endlich beschließt man, eine große Jagd auf den weißen Räuber zu veranstalten …

Es war Nacht ringsum, wundervolle Nacht, die Eisnacht Grönlands mit ihrer ganzen Großartigkeit, ihrer Schwere und Tiefe. Am Himmel funkelten so viele Sterne, dass sie einen goldenen Puder über seine Stahlbläue zu streuen schienen. Nur vereinzelte Größen machten sich durch ein schier unerhörtes Strahlengefunkel bemerkbar. Der Wind zog sachte aber stetig aus dem Osten. Er kam von dem fernen Sibirien her und passte sich der kalten Drift an, die vom Pol südwärts gehend die Ostküste der größten Insel der Erde bespült. Das Eis sang das Lied vom allbeherrschenden Tod und der ewigen Stille. Mächtige Schollen zogen langsam mit der Drift. Die Dünung hatte sie losgebrochen, und nun trieben sie daher, rastlos, unaufhaltsam südwärts, südwärts! Klirren, Schieben, Knirschen! Da und dort ein leises Flüstern, ein Rauschen. Dann ein silberner Ton, wenn die harschige Masse irgendwo barst. Sonst schaukelten die Schollen auf und nieder, eine einschläfernde Bewegung, die nach und nach das Denken auslöschte, ein Ausdruck des großen Schlafes, der alles ringsum befallen hatte. Kein Schrei, kein lebender Laut unterbrach das einförmige Drängen. Alles Leben schien gestorben oder geflohen zu sein, als hätte es sich auf einen anderen glücklicheren Stern gerettet. Aber siehe, auf einer Scholle regte es sich. Ein großes, schweres weißes Tier hob sich, streckte den beweglichen Hals und prüfte mit erhobener Nase den Wind. Es stand fest auf seinen vier Branten, die wie schwere Säulen den massigen Leib trugen. Die schwarzbraunen Augen und die beweglichen Nüstern zeigten gesteigertes Leben. Zisamet, die alte Eisbärenfrau, rang sichtbar mit einem Entschluss. Sie begann nun sich wiegend hin und her zu treten und in Richtung der Küste zu spähen.
SpracheDeutsch
HerausgeberKelter Media
Erscheinungsdatum7. Feb. 2019
ISBN9783740942151
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    Buchvorschau

    Die Geschichte eines Eisbären - Otto Boris

    Nanuk

    Die Geschichte eines Eisbären

    Otto Boris

    Es war Nacht ringsum, wundervolle Nacht, die Eisnacht Grönlands mit ihrer ganzen Großartigkeit, ihrer Schwere und Tiefe. Am Himmel funkelten so viele Sterne, dass sie einen goldenen Puder über seine Stahlbläue zu streuen schienen. Nur vereinzelte Größen machten sich durch ein schier unerhörtes Strahlengefunkel bemerkbar.

    Der Wind zog sachte aber stetig aus dem Osten. Er kam von dem fernen Sibirien her und passte sich der kalten Drift an, die vom Pol südwärts gehend die Ostküste der größten Insel der Erde bespült.

    Das Eis sang das Lied vom allbeherrschenden Tod und der ewigen Stille. Mächtige Schollen zogen langsam mit der Drift. Die Dünung hatte sie losgebrochen, und nun trieben sie daher, rastlos, unaufhaltsam südwärts, südwärts! Klirren, Schieben, Knirschen! Da und dort ein leises Flüstern, ein Rauschen. Dann ein silberner Ton, wenn die harschige Masse irgendwo barst. Sonst schaukelten die Schollen auf und nieder, eine einschläfernde Bewegung, die nach und nach das Denken auslöschte, ein Ausdruck des großen Schlafes, der alles ringsum befallen hatte.

    Kein Schrei, kein lebender Laut unterbrach das einförmige Drängen. Alles Leben schien gestorben oder geflohen zu sein, als hätte es sich auf einen anderen glücklicheren Stern gerettet.

    Aber siehe, auf einer Scholle regte es sich. Ein großes, schweres weißes Tier hob sich, streckte den beweglichen Hals und prüfte mit erhobener Nase den Wind. Es stand fest auf seinen vier Branten, die wie schwere Säulen den massigen Leib trugen. Die schwarzbraunen Augen und die beweglichen Nüstern zeigten gesteigertes Leben. Zisamet, die alte Eisbärenfrau, rang sichtbar mit einem Entschluss. Sie begann nun sich wiegend hin und her zu treten und in Richtung der Küste zu spähen.

    Sie hatte eine lange Reise hinter sich. Bei beginnendem Winter war sie mit den anderen Jagdgefährten weit über Land nach dem Norden gewandert. Jetzt trieb sie allein auf den Schollen südwärts. Zwar musste sie häufiger ihr Gefährt wechseln, wenn es sich festgerannt hatte und eingefroren war. Sie musste sich sogar den Weg selber suchen, wenn sich das riesige Eisfeld staute.

    Strebte sie doch einem bestimmten Ziel zu. Eine Höhle, ein stilles, verborgenes Heim stand unverrückbar vor ihrem geistigen Auge. Und wie es so bei Minderbegabten zu sein pflegt, konzentrierten sich auch bei Zisamet alle ihre Gedanken auf das eine Ziel, den einen Punkt.

    Feiner Schnee begann zu rieseln. Von den Schneebergen der Küste war nun gar nichts mehr zu sehen. Und doch wusste die alte Bärin, dass sie sich in der Höhe des gesuchten Plätzchens befand. Sie begann von Scholle zu Scholle weiter nach dem Ufer zu wandern. Zuweilen musste sie hüpfen. Jetzt aber dehnte sich eine weite, beschneite Fläche vor ihr aus, das Randeis.

    Nun schritt sie zielbewusst darauf los. Immer deutlicher zeichneten sich die felsigen Berge ab. Es ging über verschneite Schotterhalden, Gletscherzungen, Felsgeklüfte und Steintrümmer immerfort aufwärts.

    Ein riesiger Bergkegel hob sich. Rechts trennte ihn eine tiefe, zerklüftete Schlucht von seinen Nachbarn. Diese stieg Zisamet aufwärts. Sie befand sich an der Liverpoolküste. Aber das wusste sie nicht, denn sie hatte sich um Geographie noch nie gekümmert. Noch ein paar Wendungen um steile, aufstrebende Felsen, die wie Türme emporragten, dann begann das eigentliche Klettern.

    Das Zielbewusstsein der Bärin war zum Erstaunen, denn sie fand hier unter einer überragenden Gesteinsplatte eine Höhle und ließ sich endlich tief und befreit aufseufzend nieder. »So, das wäre geschafft!«, sagte ihr ganzes Wesen. Noch einmal trat sie vor die Höhle, holte von allen Seiten Wind. Nein, es war ihr niemand gefolgt. Also rollte sie sich zusammen, streckte die Nase zwischen die Hinterbranten und – schlief. Der Schnee fiel dichter. Vor der Höhle trieb ihn der Wind zu einer Schanze auf, sodass nur noch ein enger Spalt der Luft Zutritt zu dem verborgenen Plätzchen gestattete. Er war sogar in die Höhle hin­eingeweht und hatte sich auf den dichten Pelz Zisamets gelagert. Das störte sie nicht im Geringsten.

    »Eigentlich eine wunderliche Geschichte«, wird man sagen, »sich vom Nordpol aufzumachen und mir nichts, dir nichts mehrere hundert Kilometer ohne Unterbrechung zurückzulegen, nur um in einem Felsenloch zu schlafen?«

    Nein, so war’s nicht. Zisamet schlief nicht nur, sondern sie träumte. Und sogar ziemlich lebhaft von blühenden Halden, duftendem Gras und niedlichen Bärenkindern, die sich in dem Grün wälzten. Wo sie hinschauen mochte, wimmelte es von täppischen, drolligen Kleinen. Und das war herrlich. Ein tiefes Glücksgefühl durchpulste die alte Bärendame.

    Hunger hatte sie nicht, denn sie hatte für Vorräte gesorgt. Zwar lagen diese nicht aufgestapelt in der Höhle, aber sie hatten sich als eine dicke Fettschicht unter ihrer Haut abgelagert, erfüllten den Bauch, steckten zwischen den Nieren und Därmen und im Nacken. Zisamet war, dank der vielen Puschis (Seehunde), die sie gerissen und verzehrt hatte, außerordentlich fett. Und es ist nun mal beim Bären so eingerichtet, dass er imstande ist, vom eigenen Fett zu zehren und auf das Fressen so lange zu verzichten, wie dieser Vorrat reicht.

    Acht Tage träumte die gute Zisamet. Dann erfüllten sich ihre Träume. Eines Tages, wenn man in Grönland von einem solchen sprechen darf, lagen zwei kleine Bärenkinder auf dem Lager neben der Alten. Just an dem Tag hatte sich die Sonne zum ersten Male mittags auf fünf Minuten über den Horizont erhoben. Es war also der 16. Februar.

    Das war ein gutes Vorzeichen. Und Zisamet hatte allen Grund anzunehmen, dass die beiden Neugeborenen zu einem außerordentlichen Lebensweg bestimmt waren. Freilich hatten sie nur die Größe von Ratten und waren, nachdem die Alte sie trockengeleckt hatte, nicht viel mehr als zwei kleine weiße Pelzknäuel, an denen man kaum Beine und Kopf unterscheiden konnte, aber für die Alte waren sie der Inbegriff alles Schönen, die Hoffnung des ganzen Bärengeschlechts.

    Nanuk hieß der Erstgeborene, also schlichtweg Bär oder »der Bär«, weil er ein Repräsentant seines ganzen Geschlechts sein sollte. Numi hieß seine Schwester.

    Vorerst bestand ihre ganze Umwelt nur aus den Zitzen der Mutter und dem Platz zwischen deren Vorder- und Hinterbranten. Mehr brauchten sie auch nicht, denn sie waren blind, und laufen konnten sie auch nicht. Sie kugelten sich nur mühsam um die eigene Achse. Freilich ist es verwunderlich, wie die Tierchen bei einer Temperatur von minus 40 Grad zu leben vermochten, denn obwohl der Körper der Alten etwas Wärme ausstrahlte, blieb den beiden Kleinen doch nichts übrig, als von sich aus mit der gewaltigen Kälte fertig zu werden. Dabei half die fette Milch der Alten sehr viel.

    Sie selber regte sich kaum. Sie schlief größtenteils. Nur dann und wann berührte sie die Kleinen mit der Nase und ließ ein zärtliches Brummen hören.

    Die Tage, eigentlich Nächte, von einem kurzen Gastspiel der Sonne zum anderen, gingen hin. Es schneite, zuweilen raste ein wütender Sturm um das über 1000 m hoch gelegene Felsverlies.

    Aber eines Tages musste sie sich doch erheben, denn oberhalb ihres Lagers hatte sich am Hang eine Schneewechte gelöst, war als Lawine herabgerutscht und versperrte nun mit staubigem Puderschnee der Luft den Zutritt zur Höhle. Wenn die drei Lebewesen auch nicht viel von der Kälte da draußen wissen wollten, so brauchten sie immerhin etwas Luft zum Atmen. Also machte Zisamet mit Branten und Schnauze eine kleine Lücke.

    Die Wochen gingen hin. Die Kleinen wuchsen sehr schnell. Schon hatten sie die Größe eines mittelstarken Eskimohundes erreicht. Die Mutter war nun so mager geworden, dass ihr das Fell um die Glieder schlotterte. Der ganze Körper sagte ihr, dass es an der Zeit wäre, das Idyll aufzugeben und für neue Säfte zu sorgen.

    Sie erhob sich, streckte sich, gähnte lange und ausdrucksvoll. Dann schüttelte sie sich, dass die Haare des Pelzes wie eine Bürste abstanden. Es war mehr eine symbolische Handlung, denn hiermit schüttelte sie den Schlaf ab. Sie spähte blinzelnd nach der Luftritze. Heller Sonnenschein flutete herein. Da schob sie den Schnee vollends zur Seite und trat hinaus.

    Es war Anfang Mai. Verschiedene Hänge, gegen die die Sonne prallte, waren schneefrei geworden. Junges Grün spross aus dem Boden. Die Moose hoben ihre zierlichen Rispen dem Licht entgegen. Da und dort wagte sich ein Goldstern aus der Erde. Die Wacholder begannen zu treiben. Zisamet windete lange und aufmerksam nach der grünenden Matte hinüber. Dann machte sie sich auf die Beine.

    Die beiden Bärenkinder konnten nun schon sehen. Was sie aber wahrnahmen, war ihnen so unerhört neu, dass sie nur in komischen Sprüngen und Purzelbäumen ihr Erstaunen bekunden konnten. Sie überkugelten sich, spielten miteinander Haschen und vergaßen auf diese Weise den eigentlichen Zweck ihres Ausflugs. Die Mutter musste des Öfteren stehen bleiben und sie durch zärtliches Brummen zum Folgen auffordern.

    Es fiel den Kleinen nicht leicht, durch den Matschschnee vorwärtszukommen. Auch leuchtete ihnen der Sinn des Ausflugs noch nicht ein. So dauerte es eine geraume Zeit, bis sie auf der erstrebten Matte anlangten. Hier aber hatten sie von ihrer Wanderung bereits genug. Sie legten sich in der Sonne hinter einem Felsblock nieder und ruhten zunächst einmal, während die Mutter eifrig dabei war, ihrem Magen die Futteraufnahme wieder anzugewöhnen.

    Dazu eigneten sich die saftigen Grasspitzen und die jungen Moosschösslinge ganz ausgezeichnet. Die Alte graste wie ein Schaf oder ein Rind. Mit schlenkernden, schlottrigen Beinen war sie eifrig dabei, ihren Magen zu füllen. Sie grub sogar schmackhafte Wurzeln aus.

    Endlich entsann sie sich ihrer Kinder, suchte sie auf und bot ihnen die Zitzen. Nanuk fiel wie wild über die Nahrung her. Er versuchte sogar, seine Schwester wegzudrängen. Man merkte seinem Benehmen schon jetzt an, dass er einst ein großer Rabauke werden würde.

    Ein Stündchen rastete die Familie, dann führte Mutter sie zum Meeresstrand. Dieser wurde besonders an den offenen Stellen genau abgesucht. Und hier fanden sie hin und wieder ein totes Fischlein, welches das Meer ausgespien hatte, oder es lagen Muscheln und Krabben da. Die Alte war nicht wählerisch. Sie würgte alles hinab, was sich ihr bot. Die Jungen kamen gerade noch manchmal rechtzeitig, um an dem Fund zu riechen. Dann war er auch schon verschwunden.

    Nanuk merkte sich wohl, worum es ging. Er hüpfte bald munter der Alten voraus. Und als ihm ein toter Hering gerade in den Schuss kam, fing er an, ihn zu zerknaubeln. Der erste Fund machte Appetit auf mehr. Und nun suchte er selbstständig. Er patschte sogar bereits einige Male ins Wasser, um nach Mücken zu haschen, die über dessen Oberfläche tanzten.

    So ging es eine beträchtliche Strecke weit. Die Sonne verschwand. Der Himmel bezog sich. Die Bärenkinder fingen an zu frieren. Um in die Höhle zurückzukehren, war es zu weit. Auch waren die Kleinen zu müde, um den beschwerlichen Weg aushalten zu können. Also suchte die Mutter ein Gestrüpp von Kriechweiden auf, scharrte sich drinnen eine Mulde und tat sich in dieser nieder.

    Die Kleinen schliefen nach diesem ihrem ersten Ausflug ganz ausgezeichnet. Nur gegen den Morgen hin wurde ihnen kalt. Aber da kam Schnee. Er fiel langsam und dicht. Im Nu war die Familie eingeschneit.

    Bereits in der ersten Dämmerung waren alle drei wieder auf den Beinen. Wieder begann die Nahrungssuche. Nanuk versuchte nun auch ein paar Gräser zu kosten. Sie schmeckten ihm nicht. Dafür machte er einen anderen bedeutenden Fund.

    Während er herumtappelte, fuhr etwas aus dem vorjährigen Dürrgras heraus, tat einen lauten Schrei und entschwand schwirrend durch die Luft. Es war ein Schneehuhn. Nanuk setzte sich im ersten Schrecken stracks auf den Hintern. Als er zu sich kam, fiel ihm ein warmer Nestgeruch in die Nase. Er folgte ihm, und siehe da, es lag vor ihm ein ziemlich liederliches Nest. Es war noch warm. Die hellgrauen, dunkelocker gesprenkelten Eier kamen ihm lustig vor. Er versuchte mit ihnen zu spielen. Das eine zerbrach an seiner ungefügen Tatze. Nanuk leckte. Es schmeckte ausgezeichnet. Aha, jetzt wusste er Bescheid. Als Numi hinzukam, um zu sehen, was er gefunden hatte, fand sie ihn knurrend, breitbeinig über dem Nest stehend und nachdenklich eines der Eier nach dem anderen verzehren. Sie hatte wenigstens das Vergnügen, an den Schalen zu lecken und zu riechen.

    Zisamet führte ihre Kinder zu einem Vogelberg. Er erhob sich an dem zerklüfteten Ufer eines Fjords zu bedeutender Höhe. Seine Spalten, Risse und Vorsprünge waren von unzähligen Scharen laut lärmender Vögel bevölkert. »Rab, rab!«, schallte es in einem wilden Chor. Gar zu klein waren sie nicht, sondern hatten die respektable Länge von beinahe einem Meter, und wenn sie mit ihrer Auslage von beinahe 2 Meter dicht über die Bären hinstrichen, ja selbst auf sie hinunterstießen, dann fuhr Nanuk ordentlich zusammen, und Numi gar verkroch sich zwischen den Branten der Mutter. Es war der nordische Tölpel, der hier den Felsen zu Zehntausenden bewohnte. Obwohl die Vögel sehr gut in den nachbarlichen Gründen und steilen Felsenufern ihre Nester anlegen konnten, drängten sie dennoch so dicht auf einem Berg zusammen, dass kaum eines vor den andern Platz hatte.

    Die Vögel waren schneeweiß, allein ihre Schwingen zeigten ein Schwarzbraun und der lange, spitze Schnabel ein richtiges Möwenblau. Wenn sie auf den Felssimsen saßen, sahen sie aus der Ferne wie kleine Schneeklümpchen aus. Sie waren unordentliche Wesen. Obwohl sie nur ein Ei legten, ließen sie es dennoch häufig eingehen. Und so roch die Gegend nach den faulen Eiern, die sie stellenweise den Hang hin­abgestürzt hatten, sodass sich der Inhalt über das Gestein ergoss. Auch manches gestorbene Junge wurde pfeilgrade hinabgestoßen.

    Die Alten aber schleppten, obwohl sie keine Abnehmer hatten, gewohnheitsmäßig neue Beute aus dem offenen Meer heran. Sie spien dieselbe andern Nesthockern vor. So gab es oben in den Felsspitzen einen Überfluss an Fischen. Auch diese wurden kurzerhand hinabbefördert. Sie bedeckten in verwestem und teils auch in frischem, genießbarem Zustand den Boden.

    Zisamet spähte zu denm Felsen empor. Sie entsann sich, dass es ihr einmal in der Jugend gelungen war, auf eine solche Brutstätte hinaufzuklettern. Eia, wie hatten da die fetten Jungen gemundet! Aber das war lange her und weiter oben im Norden. Diese Bastion hier stand zu isoliert da. Zwar hatte Zisamet auch hier bereits den Versuch zu einer Kraxeltour unternommen, er war aber missglückt. Jetzt mit den Jungen konnte sie erst recht nicht solche waghalsigen Experimente riskieren. Sie begnügte sich daher damit, einen sehnsüchtigen Blick an den von Vogelschmutz weißbekalkten Wänden emporzuschicken, dann wandte sie sich der nützlicheren Beschäftigung der Bodensuche zu.

    Sie belohnte sich, zumal die Bärin nach dem langen Fasten nicht wählerisch war. Hier ein Fisch, dort ein totes Junges wanderte in den heißhungrigen Schlund der Alten. Die Jungen folgten ihr in gemessener Entfernung. Auch sie hielten sich an die Abfälle. Sie lernten gar schnell, was Fressen bedeutet, denn auch sie hatten einen wilden Heißhunger, da die Mutter nicht mehr genügend Milch hergeben konnte.

    Doch allzu viel brauchten sie noch nicht. Bald waren sie satt und vergnügten sich damit, vorauszulaufen und in allen Winkeln herumzustöbern. Dabei trafen sie auf ein sonderbares Tier. Es war etwas kleiner als sie selbst, schlanker gebaut, hatte zierliche Füße, einen buschigen Schwanz und eine spitz zulaufende Schnauze. Aufmerksam hochgerichtete Ohren standen steil vom Köpf ab. Im Übrigen war es weiß und langhaarig wie just die Bären selber. Es war der Polarfuchs Kibi, dem sie hier begegnet waren.

    Dieser schlaue Patron wusste sofort, dass er junge, noch fast wehrlose Tiere vor sich hatte. Er sah sich zunächst einmal nach der Alten um, konnte sie aber nicht entdecken. »Ob ich mal versuche, einen dieser Säuglinge abzufangen?«, fragte er sich und näherte sich von seitwärts, hin und wieder keckernd, den Geschwistern.

    Dann ein Satz, und er saß der schwächeren Numi im Nacken. Nanuk erschrak zunächst einmal. Als seine Schwester kläglich wimmerte und sich am Boden wälzte, trat er der Sache näher und beroch den Angreifer von hinten. Der Kerl stank ganz eigenartig. Das machte auf Nanuk einen ungünstigen Eindruck. In ihm entstand irgendetwas Hartes, Kriegerisches. Er packte den Fuchs nun seinerseits mit den spitzen Milchzähnen ins Fell und fing an, kräftig zu zotteln.

    Kibi ließ los, riss sich dem Angreifer, wenn auch nur mit Mühe, aus dem Rachen, denn er liebte es nicht, seine teure Haut irgendwie zu gefährden, sprang um die Bärenkinder herum und kiffte laut.

    Und siehe da! Er kriegte Hilfe. Von überallher kamen Füchse hinzugeströmt. Sie hatten, gleich den Bären, ebenfalls nach den Überresten der Vogelkolonie gesucht.

    Numi sah die Gefahr. Sie hatte am eigenen Leibe gespürt, wie diese Tiere beißen konnten, und riss unter stoßweisem Wimmern Richtung auf die Mutter aus.

    Nanuk aber machte sich zum Kampf bereit. Die Füchse umkreisten ihn. Er setzte sich wie ein Alter auf die Keulen und hob die Vorderbranten zum Schlage aus. Dabei ließ er ein unmutiges Brummen hören.

    Die Füchse zauderten noch. Da kam auch schon Zisamet herangestürmt. Schimpfend und keifend zerstoben die Angreifer in alle Winde.

    Nanuk aber hatte gelernt, dass im Leben nicht alles so glatt und friedlich abläuft wie zwischen den Branten der Mutter. Er hatte begriffen, dass man sich wehren muss, wenn man seinen Platz behaupten will. Auch kam er sich von nun an ganz gewaltig männlich vor. Das bewies er vom Fleck weg, indem er in hölzernen Sprüngen hinter Kibi herjagte.

    Die Mutter aber war stolz auf ihren Sohn. Als er von der Verfolgung zurückkehrte, beroch und beleckte sie ihn von allen Seiten.

    Der Vogelfelsen hatte genug Abfälle für eine reichliche Mahlzeit geboten. Trotzdem bummelte die Bärenfamilie noch eine geraume Zeit schnüffelnd an den offenen Uferstellen des Fjords umher. Zur Nachspeise begab sich Frau Mama auf eine Matte, wühlte hier Krokuswurzeln aus der Erde und schob noch Gras und andere Salate hinterdrein, ehe sie sich entschloss, einen Schlafplatz zu suchen.

    Denselben fand sie im Geklüfte eines steinigen Grates. Von drei Seiten schützte der Fels die Schläfer vor dem rauen Wind. Man sah, dass Mutter Zisamet keinen Wert auf eine bleibende Dauerhöhle legte, sondern mehr ein Landstreicherleben führte.

    Und so befanden sich die drei Bären am nächsten Tag auf dem Marsch in eine andere Gegend. Sie trabten auf die schwimmenden Eisschollen hinaus. Zisamet hielt die Zeit für gekommen, sich einen deftigen Seehundsbraten zu leisten.

    Auf diese Jagd, die viel Umsicht und Schlauheit erforderte, konnte sie ihre Kinder nicht mitnehmen. Sie suchte und fand bald einen Platz zwischen hochgetürmten Schollen. Hier befahl sie den Kleinen, sich niederzulassen und zu warten. Nanuk wollte nicht recht. Zisamet aber fackelte nicht viel. Sie verabreichte ihm eine belehrende Ohrfeige, worauf er sich so lange bescheiden drückte, wie sie in Sicht war.

    Dann aber begann er, die Eisscholle, auf der sie sich befanden, einer genauen Revision zu unterziehen. Er maß sie nach allen Seiten aus. Von überall her, mit Ausnahme einer schmalen Brücke, wurde sie vom Wasser umspült. Wenn man fortwollte, hätte man ebenso schwimmen müssen wie Mutter Zisamet. Das gefiel ihm ganz und gar nicht, denn für das nasse Element schwärmte er nicht besonders.

    Also vertrieb er sich die Zeit damit, in munteren Sprüngen umherzutollen. Ließ sich eine Möwe oder eine Ente verleiten, auf der Scholle auszuruhen, gleich schoss er auf sie los.

    Sein Schwesterchen saß eine geraume Zeit ganz artig auf dem angewiesenen Platz. Schließlich dachte es: Warum soll Nanuk sich allein vergnügen? Also rannte es mit holprigen Sprüngen hinter ihm her, ohne zu wissen, um was es sich handelte.

    Wieder einmal war eine Rotte Eisenten eingefallen, wieder hatte Nanuk sie ins Wasser gesprengt und sah nun vom Bord der Scholle grimmig den Davonschwimmenden nach, als sich die Wogen plötzlich teilten und ein furchtbares Haupt zum Vorschein kam.

    Ein Paar starre Glotzaugen schauten feindlich auf den kleinen Bären. Aus dem Maul ragten zwei riesige Hauer, die allein schon imstande waren, eine ganze Schar von Jungbären in die Flucht zu treiben. Unter dem mächtigen Schnurrbart öffnete sich ein entsetzlich weiter Rachen. »Awuk – awuk!«, röchelte das Untier aus den tiefsten Tiefen seiner gewaltigen Brust. Weithin über das Eis schallte der Ruf.

    Jetzt wurde sein grunzender Awuk-Ton zu einem lauten Brüllen. Weithin über die Wasser dröhnte der Ruf in einem fürchterlichen tiefen Bass aus dem Innersten der mächtigen Brust.

    Ihm wurde schwächere Antwort aus dem Gewirr des Eises gegeben. Es dauerte nicht lange, so hob ein zweites, aber wesentlich schwächeres Ungeheuer den Kopf aus dem Wasser. Auch dieses schob sich auf die Eisscholle hinauf. Es war etwas lebhafter und beweglicher. Und so entdeckte es auch bald die Anwesenheit der Bärenkinder, die ihm missfiel. Es machte sich watschelnd auf, die jungen Tiere von der Scholle zu scheuchen. Grunzend schloss sich ihm der Walrossbulle an. Die Situation wurde kritisch, denn die beiden riesigen Robben waren in Grimm geraten. Ist doch der Eisbär außer den zweibeinigen Jägern fast der einzige Feind, den das Walross zu fürchten hat. Anscheinend gedachten sie sich an der Brut ihrer Todfeinde zu rächen.

    Nanuk und Numi flitzten auf der Scholle hin und her. Aber das Walrosspaar gab nicht nach. Je länger sich die Verfolgung hinzog, desto mehr gerieten die Untiere in Grimm. Schließlich gelang es ihnen, die Bärenkinder in eine Ecke zu treiben.

    Ratlos sahen diese sich um. Hinter ihnen Wasser, vor ihnen die beiden Ungeheuer, die auf sie zuwackelten. Da blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich dem nassen Element anzuvertrauen. Plumpsplatsch! Sie lagen im Wasser und sahen sich an.

    Nanuk behagte die Eiseskälte ganz und gar nicht. Er begann eifrig auf die nächste Scholle hinzurudern. Numi folgte. Aber, o Graus! Sie vermochten nicht, sie zu ersteigen, denn sie ragte zu hoch aus dem Wasser heraus. Also weiter. Die nächste Scholle war nicht besser. Nach vieler Mühe gelang es ihnen, eine schrägliegende Eisfläche zu finden, die sich auf eine andere hinaufgeschoben hatte. Hier krochen sie aufs Feste. Jetzt aber packte sie die Kälte. Sie schüttelten die Wassertropfen aus dem wolligen Pelz und drängten sich eng aneinander. Numi fing an, kläglich zu wimmern. Nanuk fiel ein. Möwen stießen auf sie herab in der Meinung, ein paar sterbende Bärlein vor sich zu haben. Nanuk hieb wild mit den Vorderbranten nach ihnen. Numi regte sich nicht. Sie war entschlossen, alles über sich ergehen zu lassen.

    Wohl zwei Stunden mussten sie in dieser furchtbaren, ungewissen Lage ausharren, denn so viel Begriffsvermögen hatten sie bereits, dass die Mutter sie vergeblich auf dem befohlenen Treffpunkt suchen würde. Da endlich kam die Alte.

    Sie hatte sich dadurch angekündigt, dass sie in einem Anfall ihrer Wut, in der Meinung, die Walrosse hätten ihre Kinder gefressen, sich mit wildem, röchelndem Wutgebrüll auf den Bullen gestürzt und ihn ins Meer getrieben hatte. Seine bessere Hälfte war ihm angstschnaubend gefolgt.

    Zisamet packte den erbeuteten Seehund und suchte zärtlich knörend die Umgegend ab. So fand sie ihre verängstigten Kinder.

    Kaum erblickte sie ihre Kleinen, so ließ sie den Seehund fallen, lief auf sie zu, beroch sie von allen Seiten und leckte ihnen das Gesicht.

    Während sich Numi zärtlich an die Mutter schmiegte, hatte Nanuk beim Anblick der Beute alle Ängste vergessen. Er tappelte auf sie los und fing an, mit ihr zu spielen.

    Die Mutter schnitt den Seehund vom Bauch her an. Die beiden Kleinen halfen nun beim Schmaus kräftig mit. Eines wühlte links, das andere rechts von dem Rachen der Alten in dem noch rauchenden Fleisch, den Gedärm und dem Speck. Sie besudelten sich mit Blut und mit dem Darminhalt. Das machte ihnen aber nichts aus. Bald waren sie zur Unkenntlichkeit verschmiert.

    Ein Seehund ist aber auch für Bären bereits eine ganz gehörige Portion. Und wenn dieser auch nur ein mittelgroßer von etwa 1 1/2 Zentnern Gewicht war, so reichte er immerhin so weit, dass der größere Teil übrig blieb.

    Die Kleinen waren hinreichend gesättigt, sie drängten sich an die Mutter, verschmähten aber die Zitzen und wollten nur schlafen.

    Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Sonne rollte noch ein Stündchen als eine feurige Kugel am Horizont. Die Sterne fingen an zu blinken. Da erhob sich im Nordosten Gewölk. Ein Sturm kam auf. Das Wasser wurde lebendig. Die Schollen gerieten in Bewegung. Ein Weilchen war Zisamet noch unschlüssig, ob sie an Land wandern sollte. Ein Blick aber auf die zusammengekuschelten Kinder ließ sie davon absehen. Sie scharrte unweit des Seehundkadavers Schnee zusammen, schuf ein Lager und ließ sich hier nieder.

    Die Scholle geriet in kreisende Bewegung. Sie stieß mit anderen zusammen. Es gab ein Knirschen und Knacken. Mit lautem Geräusch schoben sich in der Nähe einige Eistrümmer übereinander. Ein Krach, ein Bruch, Klirren und Poltern. Allmählich geriet die gesamte Eisfläche in eine langsamere Fahrt. Die äußeren Stücke trieben weiter ins Meer hinaus, kamen in die Drift, gerieten so nach Süden und sahen ihre nordische Heimat nicht wieder.

    Ein Teil der Eisstücke, darunter auch das Fahrzeug der Bärenfamilie, schob sich gemächlich den kleinen Inseln zu, die dem Skoresby-Sund vorgelagert waren. Es war ein ewiges Wippen, Knirschen, Gleiten.

    Ein plötzlicher Halt. Die Scholle tanzte auf der Welle. Die hinterherkommenden schoben sich auf.

    Vor ihnen aber erhob sich in gewaltiger Höhe ein Eisberg, der wohl aus dem Grönländischen Schweizerland kommen mochte, wo er sich von einem Gletscher losgelöst hatte. Das Eis begann, sich hoch aufzutürmen.

    Zisamet schaute umher. Die Dünung war gewaltiger geworden. Das ganze Eisfeld wogte und wallte mit Klirren und Klickern wie ein Riesenteppich. Sie sah vorwärts. Dort ging’s ins Ungewisse. Das dunkle Blaugrau verschwand in einem tiefen Schwarz. Dicht vor ihr ragte weiß in einem ungewissen Licht der 30 m hohe Eisberg wie ein dicker, umfangreicher Turm. In dieser Jahreszeit der Eiswanderungen traute sie ihm nicht.

    Sie erhob sich auf die Vorderbranten und schnüffelte zum massigen Turm hinüber. Dann stieß sie Numi mit der Nase wach. Nanuk war, von der Unruhe der Mutter angesteckt, bereits munter auf den Beinen und spähte nach allen Seiten umher.

    Zisamet fiel es sehr schwer, sich von den Resten des Seehundes zu trennen. Es musste aber sein. Sie begann, von Scholle zu Scholle wandernd, von dem gefährlichen Eisriesen Abstand zu nehmen. Manchmal trat offenes Wasser ihr in den Weg. Dann packte sie Numi mit den Zähnen ins Widerristfell und schwamm. Der stärkere Nanuk saß dabei auf ihrem Rücken.

    So mochten sie an 300 m Entfernung gewonnen haben, als ein gewaltiger Knall die Luft erschütterte. Ein Teil der oberen Hälfte des Eisberges hatte sich gelöst. Rauschen, Klickern, Prasseln. Ein zweiter Krach. Das riesige Eisstück war auf die treibenden Schollen herabgestürzt und hatte sie durchschlagen. Eine Fontäne von Wasser und Eissplittern schoss empor. Ringsum geriet alles in hüpfende Bewegung.

    Zisamet ließ nun den Kragen ihres Töchterchens nicht mehr los. In eiligen, holperigen Sprüngen strebte sie dem Land zu. Nanuk lief knörend hinterdrein.

    Sie erreichten bald festen Boden. »Es ist nichts mit dem Schlafen auf dem Eis«, brummte Zisamet. »Nur schade um den Seehund.« Da sie nun schon einmal munter waren, wurde eine Fußwanderung die Küste entlang unternommen.

    Nanuk entdeckte bald ein gar lustiges Spiel. Zwischen Engelwurz, Löffelkraut und den handlangen Sprösslingen der Uferweiden trieben Mäuse ihr Wesen. Nun vergnügte er sich damit, sie mit einem raschen Sprung zu betatzen. Meistens entkamen sie seinem Ungeschick. Zuweilen aber gelang es ihm, die eine oder andere zu erreichen. Zunächst beroch er dann eingehend das kleine, piepsende Wesen, ehe er es sich knautschend einverleibte. Es waren delikate Bissen. Außerdem machte ihm diese Art Jagd einen Heidenspaß.

    Es dauerte ziemlich lange, bis er sich endlich entschloss, seine Mutter aufzusuchen. Sein Stolz war nicht gering, als er, seiner Nase folgend, nach einigen Irrfahrten die Mutter wiederfand.

    Zisamet leckte ihm den Fang und die Ohren, denn sie hatte sich schon um ihn Sorge gemacht und war im Begriff gewesen, ihn suchen zu gehen.

    Der Wind nahm gegen Morgen an Stärke zu. Er wurde zum Sturm. Er heulte und pfiff in dem Gestein eine wilde Geistersymphonie. Wolken jagten über den Mond. Kein Wesen ließ sich hören oder sehen. Einsamkeit, weite, große Einsamkeit ringsum.

    Die Bären aber schliefen einen richtigen Bärenschlaf. Sie hatten dazu auch die genügende Grundlage im Magen.

    Am nächsten Tage, als bereits die Sonne am Horizont entlangglitt, erhob sich Zisamet, befahl ihren Kindern zu warten und trottete zum Strand. Ihr stak der Rest der Beute noch in der Nase. Sie hüpfte von einer Eisscholle zur anderen, nirgends war etwas zu finden. Da sah sie sich nach dem wandernden Eisberg um. Er trieb weit draußen auf dem Meer, nur noch als ein kleiner glitzernder Punkt zu erkennen. Nun gab sie das Suchen auf und kehrte zu ihren Kindern zurück.

    Nanuk war dabei, wie ein alter Bär Wurzeln aus der Erde zu scharren, während sich Numi an den zarten Grasspitzen gütlich tat. Mit lustigen Sprüngen eilten sie auf die Mutter zu.

    Diese hatte sich entschlossen, die Randberge, die weithin nach Norden die Küste säumten, zu übersteigen und eine Wanderung nach dem Inneren zum Hurry Inlet zu unternehmen. In jener Gegend trieben Moschusochsen ihr Wesen. Und es mochte sein, dass sich ein junges, ein krankes oder ein unvorsichtiges Stück erbeuten ließ.

    Vorerst galt es, den richtigen Pass zum Übersteigen der steilen Felsen zu finden. Aufmerksam schlenderte sie durch die Gegend. Da stieß sie auf eine Fährte, bei der sich ihre Haare sträubten und ihrem Fang ein zorniges Brummen entfloh. Sie machte einen krummen Buckel, hielt den Kopf gesenkt, schielte böse von unten und trat auf der Stelle.

    Nanuk fand ihr Benehmen absonderlich, weil er an seiner Mutter noch nie die Äußerungen von Furcht und Zorn in einer so ausgeprägten Mischung gesehen hatte. Er roch in die Fährte hinein. Sie duftete streng, etwas nach Raubtier, dann nach Rauch und Schweiß, Gerüche, die Nanuk bisher noch nicht gekannt hatte. Auch ihm wurde nicht besonders wohl in seinem Innern.

    Zisamet aber folgte der Fährte. Sie gedachte sich zu vergewissern, wo ihre Feinde hausten.

    Bald standen sie vor einer Bucht, an deren Ufer ein spitzes Zelt emporragte, das übliche gronländische Sommerzelt. Es besteht zum größten Teil aus drei Stangen. Von diesen sind zwei am Eingang als Schenkel aufgestellt. In ihrer oberen Kreuzung ruht eine dritte Stange, die schräge dem Erdboden zuführt. Über dieses Gerüst ist ein weiter Mantel aus Seehundsfellen gebreitet, der vorn einen Schlitz als Eingangsloch offenlässt. Am Boden ist das Fell mit dicken Steinen beschwert. Primitiver kann man ein Zelt kaum herrichten. Aber es genügt den Eskimos als Schlafraum und zum Aufbewahren der wichtigsten Gebrauchsgegenstände. Gekocht wird draußen zwischen Steinen. Im Winter wohnen diese Leute in einer sogenannten Siedlung am Cap Tobin, wo sie sich Winterhäuser aus Erde und Steinen errichten. Mit steigender Sonne jedoch ziehen sie als ausgesprochene Jägernomaden in ihre Jagdgefilde hinaus, wo sie in den oben beschriebenen Sommerzelten hausen. Sie wechseln ihre Wohnsitze meistens aus lauter Lust an der Veränderung, denn es kommt häufiger vor, dass ein Trupp den Platz bezieht, den vor Kurzem ein anderer als unergiebig verlassen hat.

    Vor dem Zelt brannte ein Feuer. Zweibeinige Geschöpfe wirtschafteten hochaufgerichtet an ihm herum. In der Bucht lag auf freiem Wasser ein Umiak, das Familienboot des Eskimomannes Dauad. Es war eigentlich das Umzugsfahrzeug und so groß, dass es die neunköpfige Familie – sie bestand aus zwei Brüdern, deren Frauen und Kindern – samt ihren Habseligkeiten fassen konnte.

    Etwas weiter entfernt standen noch zwei Zelte, jedes in einem respektvollen Abstand vom andern. Die Kajaks fehlten. Also befanden sich die Männer draußen auf dem Meer zur Jagd oder zum Fischfang.

    Der Wind drehte sich und trieb den Bären den Geruch des Rauchs und des Gezeltes in die Nase. Zisamet nieste nachdrücklichst mehrere Male. Sie sah sich nach ihren Kindern um und brummte wütend. Nanuk begriff, dass die Wesen da unten feindselige Gewalten darstellten, vor denen sich ein ordentlicher Bär, der etwas auf sich hält, zurückziehen musste.

    Die Alte trat unruhig von einem Fuß auf den andern, denn in ihr lebte der Hass gegen die Zweibeiner, und sie wusste nicht recht, wie sie denselben auf ihre Nachkömmlinge übertragen konnte.

    Ihr kam ein Tag, es war lange her, recht deutlich ins Bewusstsein, denn er hatte sich ihr für immer eingeprägt.

    Sie war damals noch eine junge lebensfreudige Bärendame von 3 Jahren gewesen und hatte sich einen gleichaltrigen Jüngling zum Liebespartner erkoren. Unter verliebten Scherzen, Sprüngen, Haschenspielen und zuweilen auch Balgen hatten sie sich auf dem Eis getummelt.

    Da zeigte sich ihnen etwas Dunkles. Sie gingen der Sache nach. Es waren Wesen, die gleich Seehunden auf dem Eis lagen und an einem Wunenloch herumhantierten. So etwas hatten sie noch nicht gesehen. Die Neugier, deren jeder Bär eine gute Dosis besitzt, trieb sie, der Sache auf den Grund zu gehen.

    Vorsichtig umkreisten sie das Rätsel. Sie fanden Spuren, rochen hinein und erkannten, dass sie es mit eigentümlichen Wesen zu tun hatten. Die eine Spur, es war die Dauads, war Zisamet besonders in die Nase gefallen, denn sie roch nach gebratenem Seehundspeck, gewiss ein anziehender Duft, dem nachzugehen sich lohnte.

    Also traten sie den fremden Wesen näher. In respektvoller Entfernung standen sie da und staunten, weil sie sich nicht näher herantrauten. Da erhob sich das eine Geschöpf. Es richtete einen Knüppel gegen die Bären. Dann gab’s einen entsetzlichen Knall, als wenn

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