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Licht vom Strom
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eBook308 Seiten3 Stunden

Licht vom Strom

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Über dieses E-Book

In einer Seemannsherberge von Plymouth tauchen zwei abgerissene Gestalten auf, die sich dort einmieten. John Stephens, Matrose, Heizer und Hafenarbeiter ist wie Paddy, sein Gefährte um die dreißig. Bis Mitternacht wollen sich beide in dem Zimmer verstecken und anschließend trennen. einen Bericht: "Ich bin glücklich durchgekommen", schreibt Stephens an seinen Auftraggeber. Was hat er angestellt?
Währenddessen trifft sich eine Herrengesellschaft im Klub, um zu spielen, als wieder einmal Mysteriöses passiert: "Auch in dieser Nacht kam das Licht vom Strom wieder nach Farnham Green herüber. Es schoß plötzlich aus dem dunklen Wasserspiegel in einem dünnen, flimmernden Streifen hervor, zuckte gleich einem Blitz über den wolkenlosen Himmel und strich dann in immer breiter werdendem Kegel langsam über das Ufergelände. Das Laubwerk der Gärten sprang silberglänzend aus der Dunkelheit, und die Fenster der Villen glühten im Widerschein flammend auf." Später schlägt ein Schuss im Klubhaus ein. Welcher dieser Herren hat etwas zu verbergen?
Aber auch Claudia Gray spielt eine zwielichtige Rolle. Ihr scheint das "Licht vom Strom" freundlich zugetan. Kennt sie den Urheber?
Polizeiliche Nachforschungen zum Tod eines angeblichen Landstreichers sind im Gange. Scheinbar wurde er überfahren, tatsächlich aber durch einen Stich getötet. Ein gewöhnliches Verbrechen ist ausgeschlossen, denn Drahtzieher scheint die "Kette der einarmigen Bettler". Kommissar Spencer, einer der besten Ermittler von Scotland Yard, wird mit der Aufklärung beauftragt.
Nichts bleibt, wie es scheint. Ehrenmänner erweisen sich als Schurken und umgekehrt. Ein virtuoses Verwirrspiel, das den Leser bis zuletzt in Atem hält. Eine Rarität unter den Werken Louis Weinert-Wiltons!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Apr. 2019
ISBN9783946554066
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    Buchvorschau

    Licht vom Strom - Louis Weinert-Wilton

    58

    1

    In der Seemannsherberge „Zu den drei Meerjungfrauen" in Plymouth, wo man von einem Messerstiche nicht mehr Aufhebens machte als von einem Wanzenbisse, waren gegen Abend zwei abgerissene Gentlemen erschienen. Sie hatten wortlos eine halbe Krone sehen lassen, und der geschäftstüchtige Wirt war beflissen vorangekeucht, um ihnen sein Staatszimmer im Oberstocke zur Verfügung zu stellen, dessen Tür sich sonst nur vor Schmugglerkapitänen und ähnlichen zahlungskräftigen Persönlichkeiten aufzutun pflegte.

    Als der Bos wieder davongeeilt war, um ein Abendbrot herbeizuschaffen, stieß der größere der beiden Ankömmlinge die klapprigen Fensterflügel auf und wartete mit gespreizten Beinen und gerümpfter Nase, bis der Gestank des Hafenwinkels die höllischen Düfte des düsteren Loches verschlungen haben würde.

    Der Mann mochte um die Dreißig sein, war auffallend gut gebaut, und wenn die halbzölligen Bartstoppeln in dem tief gebräunten Gesicht und die schäbige Kluft nicht gewesen wären, hätte er sehr ansehnlich aussehen müssen.

    Der andere war kaum viel älter, aber gut um einen Kopf kleiner und hatte eine wildverwucherte verschmitzte Zigeunervisage, über der das pechschwarze Haar sorgfältig zu einem schnurgeraden Scheitel geklebt war. Er legte eben die löchrige Jacke ab, und der zurückkehrende Wirt schielte mißtrauisch nach den phantastisch tätowierten Armen, an denen beängstigende Muskeln spielten.

    Es ging jedoch alles in Ordnung, und als der glückliche Besitzer der „Drei Meerjungfrauen" das zweifellos gute Geld in der Tasche hatte, fühlte er sich verpflichtet, noch ein übriges zu tun.

    „Das Schloß ist gut und sicher, deutete er mit vorsichtig gedämpfter Stimme an, „aber etwas Ordentliches bei der Hand ist doch immer das Sicherste.

    Der Große hatte für den wohlgemeinten Rat kein Ohr, aber der Schwarzhaarige verzog den breiten Mund, der kein Ende zu haben schien und hob die Rechte, um dem fürsorglichen Herbergsvater beruhigend die feiste Wange zu tätscheln.

    In der nächsten Sekunde gab es dem armen Bos einen gewaltigen Ruck, denn aus der sehnigen Hand, die doch völlig leer gewesen war, guckte plötzlich ein winziges schwarzes Loch, durch das man im Nu in die Ewigkeit hinüberrutschen konnte.

    Der erschreckte Mann war bereits längst die Treppe unten, als ihm noch immer das höllische Gelächter nachtönte, mit dem der verteufelt geschickte Paddy sich über seinen gelungenen Spaß freute. Erst als er die unwillige Falte zwischen den Brauen seines Genossen gewahrte, wurde er jäh still und schlich bescheiden in eine Ecke, wo er sich mit gekreuzten Beinen niederhockte.

    Der Große setzte sich an den wackligen Tisch, und während er nach einer Schnitte Brot und einem Ei langte, deutete er auf den ansehnlichen Rest.

    „Greif zu und stärke dich gehörig, sagte er in der schlampigen Mundart des unverfälschten Cockney. „So um Mitternacht drücken wir uns dann; du nach links, ich nach rechts, und, wer weiß, ob wir uns je wiedersehen. Dein Geld kannst du dir übermorgen an der gewissen Stelle holen. Ich werde noch etwas zulegen, denn es ist diesmal verdammt heiß hergegangen. Heute vor vierzehn Tagen hätte ich nicht einen Penny daraufgelegt, daß wir den Kopf doch noch aus der Schlinge bekommen.

    John Stephens, nach seinen schmierigen, aber einwandfreien Papieren Vollmatrose, Schiffsheizer und Hafenarbeiter, je nach Laune und Bedarf, begann mechanisch zu kauen, und Paddy beeilte sich, das einladende Tablett ebenfalls in Reichweite zu bekommen.

    „Aus der Schlinge – bah …, meinte er geringschätzig, indem er mit flinken Fingern nach der dicksten Speckscheibe stieß. „War das schon eine Schlinge? Nicht einmal ehrlicher Spagat war das, was man uns so hübsch um den Leib gewickelt hatte. Als wir uns ein bißchen rührten, ist er geplatzt wie eine Hosennaht, und einem der heulenden Hunde ist dabei ein Auge herausgefallen. Hoffentlich hat er es den stinkenden Vögeln vorgeworfen, die uns fressen sollten.

    Der etwas großmäulige Paddy hätte darüber noch einiges zu sagen gehabt, aber der andere hörte ihm schon längst nicht mehr zu, sondern glättete an einem zerknitterten Briefblatt herum und brachte dann aus einer seiner Taschen einen winzigen Bleistiftstumpf zum Vorschein.

    Die Arbeit, die er vorhatte, schien ihm viel Kopfzerbrechen und wenig Vergnügen zu bereiten. Er dachte lange nach, bevor er begann, und als er endlich Wort für Wort mit unbeholfenen Buchstaben niedermalte, wurden seine Mienen immer verdrießlicher. Schließlich las er die wenigen Zeilen nochmals aufmerksam durch und sagte sich beruhigt, daß daraus wirklich nur derjenige klug werden konnte, den die Mitteilung anging.

    „Ich bin glücklich durchgekommen, hieß es ohne jede Anrede, „und die Leute, die die heiße Suppe auszulöffeln haben, sind über den Koch wieder einmal nicht klüger geworden. Es wird also keine Schwierigkeiten geben. Für alle Fälle steige ich aber nun eine Weile aus dem Geschäft heraus, und vielleicht bin ich überhaupt nicht mehr dafür zu haben.

    John Stephens faltete das Blatt mit einem energischen Griff zusammen, schob es in einen Umschlag und versah diesen mit der Adresse eines ehrsamen Altwarenhändlers in Newington.

    „Und was wirst du nun anfangen?" fragte er unvermittelt, als er so weit war.

    Paddy riß schleunigst seine bewundernden Blicke von den drei üppigen Meerjungfrauen los, die ein kunstbegnadeter Logiergast mit einem Zimmermannsbleistift an die verräucherte Wand geworfen hatte.

    „Ich? murmelte er mit vollem Munde und hob dann die Schultern. „Wenn wir jetzt Juni haben, wie Sie mir sagten, so werde ich nach Surrey hinaufmachen und dann nach Middlesex und Buckingham. Da gibt es um diese Zeit ein Volksfest nach dem andern, und irgendwo wird sicher die Carawan von Mr. McPherson stehen. Es sind fünf schöne Wagen, erklärte er, „und wenn es diesmal länger dauern sollte …"

    Er richtete seinen Blick mit einer stummen Frage auf den andern, der zerstreut und mißmutig vor sich hinstarrte und erst nach einer Weile eine Antwort fand.

    „Diesmal wird wahrscheinlich überhaupt Schluß sein", sagte er kurz, und wieder zuckte Paddy mit den Achseln.

    „Dann werde ich vielleicht Miß Arabella heiraten. Sie ist für das Seil schon etwas zu schwer geworden, und ich habe alle die vielen Pfunde, die Sie mir für unsere schönen Ausflüge zahlten, auf die Seite gelegt. Mr. McPherson weiß das und hat gewisse Absichten. Aber erst muß ich sehen, was mit Miß Arabella los ist. Wir sind ein paar Monate weg gewesen, und wenn sie auch gesagt hat, daß sie auf mich warten wird, so ist das bei ihr doch so eine Sache. – Jedenfalls werde ich mir das mit dem Heiraten noch eine Weile überlegen."

    „Jawohl, mein Sohn, pflichtete ihm der andere ernsthaft bei, „das kann auf keinen Fall schaden. Zunächst wirf jedoch einmal diesen Brief in einen Postkasten. Aber strolche nicht unnütz herum, denn es ist für uns noch zu früh, uns in einem englischen Hafen allzuviel sehen zu lassen.

    Paddy hielt sich an diese Weisung, und es war noch keine Viertelstunde verflossen, als auf dem Flur bereits wieder seine eiligen Schritte zu hören waren. Dann machte er aber plötzlich einige Augenblicke halt, und als er endlich auftauchte, schien er sehr gereizt und lauschte noch eine Weile mißtrauisch nach dem Gang.

    „Das hier habe ich an unserer Tür gefunden, berichtete er in aufgeregtem Flüsterton, indem er seinem Genossen ein Papier in die Hand steckte. „Als ich fortging, war es noch nicht da, und der Bursche muß mir knapp über den Weg gelaufen sein. Wenn man vielleicht wirklich mit uns anbinden will, wird es am besten sein, ich gehe gleich hinunter und kehre die Bude gründlich aus.

    Er krempelte auch schon tatenlustig die Ärmel seiner Jacke auf und sah erwartungsvoll nach Stephens, der aber den Zettel erst eine Weile gleichgültig zwischen den Fingern drehte, bevor er ihn entfaltete und einen Blick auf den Inhalt warf.

    Dann allerdings fuhr er bereits nach den ersten Worten, die er las, mit verkniffenem Gesicht in die Höhe.

    Daß die kurze Mitteilung ihm galt, stand außer Zweifel. Da waren zunächst die gewissen zwei Buchstaben, die noch etwas anderes bedeuteten als die Initialen seines alltäglichen Namens, und vor allem die Anspielung auf eine Geschichte, von der außer ihm nur noch einer wissen konnte. Über diesen Einen hatte er sich schon oft vergeblich den Kopf zerbrochen, und nun gab ihm der Mann ein neues Rätsel auf.

    John Stephens begann breitbeinig in dem kleinen Raume auf und ab zu marschieren und brauchte eine lange Weile, um mit dieser Überraschung fertig zu werden. Daß ihn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen jemand schon in den ersten Stunden seiner Ankunft auf englischem Boden so ohne weiteres aufstöbern könnte, hätte er nie für möglich gehalten, und daß er diesen findigen Mann auf seiner Spur nicht kannte, wirkte doppelt beunruhigend.

    Dazu kam noch, daß der Unbekannte ein Ansinnen an ihn stellte, über dessen Bedeutung er sich nicht klarzuwerden vermochte. Er erinnerte sich zwar an den kleinen Villenort an der unteren Themse, von dem in der knappen Aufforderung die Rede war, aber die Namen Claudia Gray und River-House sagten ihm gar nichts, und mit dem „Licht vom Strom", auf das er acht haben sollte, konnte es alle mögliche Bewandtnis haben.

    Trotzdem kam Stephens mit seinem ärgerlichen Grübeln immer wieder zu dem Schlusse, daß ihm keine Wahl blieb. Um der gewissen Geschichte willen mußte er sich jedenfalls zunächst einmal zu dem verstehen, was jener von ihm wollte.

    Er hielt in seinem nachdenklichen Marsch jäh inne, steckte eine Zigarette zwischen die Lippen und warf eine zweite in die Luft. Der Schwarzhaarige fing sie mit der einen Hand auf, und mit der andern griff er hinters Ohr, um von dort ein brennendes Zündholz hervorzuholen.

    „Kennst du die Gegend unterhalb Kingston?"

    Paddy wußte nicht, was die kurze Frage bedeuten sollte, hatte aber bereits zu viele üble Erfahrungen gemacht, um irgendwelche Neugierde zu verraten.

    „Wie meine Tasche, versicherte er. „Wir sind jedes Jahr ein paar Wochen dort herumgezogen. Im Sommer gibt es am Strom ein sehr feines Publikum und …

    „Gut, unterbrach ihn der Große ungeduldig, „so soll es also sein. Wenn es dir paßt, kannst du mich morgen nachmittag irgendwo dort unten am Ufer treffen. Aber richte dich etwas menschlicher her, denn ich möchte nicht, daß die ganze Themse bei unserem Anblick rebellisch wird.

    „Es paßt mir, und Sie werden zufrieden sein, erklärte Paddy schlicht. „Beim Barte des Weißen …

    Er verstummte unter dem drohenden Blick, der ihn aus den scharfen Augen des andern traf und kroch schuldbewußt und ängstlich in sich zusammen.

    „Wenn diese alberne Redensart noch einmal auf deine verdammte Zunge kommt, sollst du daran ersticken", fuhr ihn Stephens grimmig an, und dies waren die letzten Worte, die zwischen ihnen gewechselt wurden, bis sie um Mitternacht wie Schatten aus dem Hause glitten.

    2

    Auch in dieser Nacht kam das Licht vom Strom wieder nach Farnham Green herüber.

    Es schoß plötzlich aus dem dunklen Wasserspiegel in einem dünnen, flimmernden Streifen hervor, zuckte gleich einem Blitz über den wolkenlosen Himmel und strich dann in immer breiter werdendem Kegel langsam über das Ufergelände. Das Laubwerk der Gärten sprang silberglänzend aus der Dunkelheit, und die Fenster der Villen glühten im Widerschein flammend auf.

    Als die Helle das Klubhaus oben am Hang überflutete, wo man mit heißen Gesichtern an den Spieltischen saß, schien dies Lord Sherffield eine günstige Gelegenheit, aus dem hartnäckigen Pech herauszukommen, das ihn wieder einmal verfolgte.

    „Eine unerhörte Rücksichtslosigkeit, diese Blinkerei, krähte er ärgerlich, indem er die Karten auf den Tisch klappte und die fleischige Hand schützend über die Augen legte. „Und das scheint sich nun jede Nacht wiederholen zu wollen. Ich werde darüber Beschwerde führen; auch wenn es sich um ein Polizeiboot handeln sollte.

    Da die Partie nun einmal unterbrochen war, tänzelte der kleine kurzbeinige Mr. King mit neugieriger Geschäftigkeit zu der offenen Balkontür, durch die das weiße Licht hereinströmte und sah angelegentlich nach dem Flusse hinunter.

    „Es kommt wieder genau von derselben Stelle, wie gestern und vorgestern, berichtete er in seiner lebhaften Art. „Das Boot scheint ungefähr gegenüber von River-House festzuliegen, und Lady Claudia dürfte es ziemlich deutlich sehen können.

    Dennis Trevor hob den interessanten Kopf mit den angegrauten Schläfen und blickte etwas gelangweilt nach der Uhr. Sie zeigte kurz nach elf.

    „Ich glaube, daß es dabei nicht viel zu sehen geben wird, sagte er, indem er einige Aschenflöckchen von seinem tadellosen Abendanzuge stäubte. „Einige der jungen Leute, die jetzt Tag und Nacht auf der Themse herumlungern, haben eben das Grammophon und das Radio satt bekommen und sich zur Abwechslung einen Scheinwerfer beigelegt, um sich die Abende zu vertreiben.

    „Nein, es scheint doch etwas anderes zu sein als ein gewöhnlicher Unfug, behauptete Mr. King nachdrücklich und schüttelte den dicken, runden Kopf, dessen Glatze ein kunstvoll gezogener seitlicher Scheitel verdeckte. „Das Licht nimmt nämlich immer denselben Weg, und ich wette, daß es auch heute sofort erlöschen wird, wenn es River-House erreicht hat.

    Er lugte wieder gespannt in die Nacht, ob seine Vorhersage zutreffen würde, und Trevor wandte sein schmales dunkles Gesicht mit einem leichten Lächeln Lord Sherffield zu.

    „Vielleicht bietet sich Ihnen da eine Gelegenheit, den alten Bau vorteilhaft loszuwerden. Er muß sich in dieser Beleuchtung äußerst romantisch ausnehmen, und es gibt Leute, die dafür etwas übrig haben."

    Sherffield konnte sonst bei derartigen Anspielungen auf seinen letzten Besitz sehr gereizt werden, denn River-House bereitete ihm wirklich viel Ärger und Sorgen. Es war nicht nur nicht an den Mann zu bringen, sondern nicht einmal mehr mit der winzigsten Hypothek zu belasten. Aber diesmal überhörte er die anzügliche Bemerkung, da ihn augenblicklich noch weit unangenehmere Dinge beschäftigten. Außerdem ließ sich Mr. King bereits wieder mit großer Wichtigkeit vernehmen.

    „Nun, was habe ich gesagt? Jetzt ist River-House an der Reihe, und das wird einige Minuten dauern. Man könnte fast annehmen, daß das überhaupt der Hauptzweck sei, denn der Scheinwerfer blendet ununterbrochen auf und ab, und es sieht ganz so aus, als ob er Signale gäbe."

    Mr. King war so bei der Sache, daß er bis an die Brüstung des Balkons trippelte, um noch besseren Ausblick zu gewinnen, und auch der vierte Mann der Partie, Mr. Mahaffey, der bisher breitbeinig und teilnahmslos in der offenen Tür gestanden hatte, zog eine der gewaltigen Hände aus der Hosentasche, um ein winziges Glas an die Augen zu bringen.

    „Nun, woher kommt es? erkundigte sich Trevor. „Von einem dieser vergnügten Hausboote oder von einer Polizeijolle?

    Mahaffey ließ sich mit der Antwort Zeit, und als er endlich das Glas absetzte und sich ins Zimmer wandte, blickte er noch mürrischer drein als sonst.

    „Weder von dem einen, noch von dem andern", erklärte er kurz, aber nur Mr. King fand diese Auskunft unbefriedigend.

    „Ich werde der Sache morgen einmal nachgehen, sagte er entschieden. „Wahrscheinlich handelt es sich doch um irgendwelche polizeiliche Nachforschungen. Der gewisse Fall mit dem angeblichen Landstreicher ist ja noch immer nicht aufgeklärt, und es dürfte weit mehr dahinterstecken als ein gewöhnliches Verbrechen. Das geht schon aus der Geschichte von der Kette der einarmigen Bettler hervor. Leider haben die Burschen rechtzeitig Lunte gerochen, und man konnte keinen einzigen von ihnen fassen. Aber es sieht ganz so aus, als ob da wieder einmal der geheimnisvolle ,Captain Ghost‘, wie man ihn nennt, seine Hände im Spiele hätte.

    Der vierschrötige Mahaffey, der mit schweren Schritten auf und ab marschierte, stoppte mit einem Ruck und sah aus verkniffenen Augen auf den geschwätzigen kleinen Mann hinab.

    „Mir scheint, Sie lernen jeden derartigen Zeitungsquatsch auswendig, knurrte er bissig. „Daß diese windigen Reporter um jedes bißchen Blut gleich einen ganzen Kriminalroman herumschreiben, ist ja schließlich ihr Geschäft. Aber daß es Leute gibt, die darauf so prompt hereinfallen, sollte man nicht für möglich halten.

    „Hereinfallen, echote Mr. King gereizt. „Meinen Sie damit vielleicht mich? Da müßte ich denn doch sehr bitten …

    Mr. King schnappte mit gespitzten Lippen nach Luft und versuchte sich zu recken, um über den obersten Westenknopf des andern hinauszukommen. Er nahm von dem Kreise, in den er sich mit so beharrlicher Ausdauer gedrängt hatte, gerne manches hin, aber den ungehobelten Mahaffey zählte er nicht dazu. Der Mann war bestenfalls ein reich gewordener Krämer, wenn nicht noch etwas Gewöhnlicheres, und Geld allein vermochte Mr. King nicht im geringsten zu imponieren. Davon besaß er selbst genug. Er war einer der gesuchtesten Herrenschneider von St. James, und seitdem ein begeisterter Kunde ihn bei Gelegenheit „Meister" King und einen Künstler genannt hatte, bekam er es immer mehr mit dem Größenwahn zu tun. Besonders da er sich in der letzten Zeit in Gesellschaft eines wirklichen Peers und Dennis Trevors zeigen durfte, der in zahlreichen vornehmen Klubs eine maßgebende Rolle spielte. Dieser Mahaffey aber spielte keine Rolle und war noch dazu ein ganz unverdaulicher Mensch, dem er in seinem Salon um keinen Preis einen Anzug hätte anmessen lassen. Noch weniger war er natürlich gewillt, von diesem ungehobelten Plebejer eine so beleidigende Bemerkung ruhig hinzunehmen.

    „Überhaupt – Mr. King war endlich so weit, seine Empörung in zusammenhängende Worte kleiden zu können – „verstehe ich nicht, wieso Sie sich über den Fall ein Urteil anmaßen wollen. Meines Wissens waren Sie ja damals noch nicht in Farnham Green, ich aber bin bereits einige Minuten, nachdem man den Mann gefunden hatte, an Ort und Stelle gewesen. Er war augenscheinlich überfahren worden, aber bei der Obduktion wurde festgestellt, daß er vorher einen tödlichen Stich erhalten hatte. Das ist gewiß ein auffallender Umstand, und daß ein Toter einen Zettel im Munde hat, dürfte auch nicht oft vorkommen. Wahrscheinlich war es auf dieses Papier abgesehen. Und …

    „Was Sie nicht sagen", höhnte Mahaffey schon wieder, aber diesmal kam Trevor dem bedrängten kleinen Manne zu Hilfe.

    „Jawohl, alle diese Dinge stimmen ungefähr, bestätigte er leichthin. „Daß es hierbei um den gewissen Zettel ging, ist allerdings bloß eine Vermutung, doch hat diese etwas für sich. Der arme Kerl hatte nämlich einige Stunden vorher in Pimlico einem der erwähnten einarmigen Bettler eine in ein Papier gewickelte Münze entrissen, die diesem aus einem Auto zugeworfen worden war. Daraus hatte sich eine erbitterte Schlägerei entwickelt, als jedoch ein Polizist auftauchte, zogen die beiden Kämpfer es vor, das Weite zu suchen. Immerhin bot aber der Bericht über diesen an sich belanglosen Vorfall einen wichtigen Anhaltspunkt, als am nächsten Morgen hier draußen die Leiche des einen gefunden wurde. Die weiteren Erhebungen sollen dann ergeben haben, daß viele Wochen hindurch von Poplar bis Kensington und von Brompton bis Deptford eine ganze Kette solcher Bettler gesessen hatte. – Seither scheint man allerdings nicht viel weiter gekommen zu sein.

    Mr. King, der sich bereits wieder obenauf fühlte, hob vielsagend die wattierten Schultern und blinzelte sehr geheimnisvoll.

    „Das heißt, meinte er nachdrücklich, „man hat in der letzten Zeit nichts mehr über den Fall gehört. Aber je sicherer die Polizei sich auf einer Fährte fühlt, desto schweigsamer wird sie bekanntlich. Jedenfalls läßt Scotland Yard sich die Sache sehr angelegen sein, denn ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß nun Kommissar Spencer dahinter her ist. Das bedeutet aber auch, daß es um etwas Besonderes geht. Wegen eines einfachen Mordes pflegt sich Mr. Spencer nicht selbst zu bemühen. Ich vermute, wie schon gesagt, daß man endlich eine Spur von diesem ‚Captain Ghost‘ aufgestöbert hat.

    Mahaffey sah sich veranlaßt, wieder einmal die Hände aus den tiefen Hosentaschen zu befördern und in die massigen Hüften zu stemmen.

    „Spencer … Spencer …, fauchte er. – „Wer ist dieser Spencer?

    Es bereitete Mr. King eine große Genugtuung, die plötzlich erwachte lebhafte Wißbegierde seines ruppigen Gegners befriedigen zu können.

    „Dieser Spencer ist der Mann, der den Frauenmörder von Old Ford auf die Falltür geschleift hat, erklärte er über die Schulter. „Und der den gefährlichen Tom Stubbs fing und seine bis an die Zähne bewaffnete Bande wie eine Herde Schafe zusammentrieb.

    „So", sagte Mahaffey nach einer kleinen Pause gleichgültig und trat dann wieder zur offenen Balkontür, um sich eine Zigarre anzuzünden. Er war dabei so zerstreut, daß der unförmige dunkle Tabakstengel zwischen seinen Zähnen erst an der Flamme des dritten Streichhölzchens richtig in Brand geriet.

    Dennis Trevor wippte etwas ungeduldig mit der Fußspitze, dann neigte er sich plötzlich zu Lord Sherffield, der nervös mit der dicken Unterlippe klapperte und ununterbrochen an seinem Hemdkragen und der Krawatte herumfingerte.

    „Wenn es Ihnen recht ist, nehmen wir jetzt eine kleine Erfrischung ein, und dann holen wir uns Revanche. Wir beide sind ja heute die Leidtragenden. Mr. Mahaffey hatte ein geradezu unerhörtes Glück, und auch Mr. King kann sich nicht beklagen. Hoffentlich wendet sich nach der Pause das Blatt. Bis dahin wird sich wohl auch Aylott einstellen."

    „Ja, Aylott, natürlich … Sherffield wurde mit einem Male lebhaft und brachte den schwammigen Körper schwerfällig auf die etwas zu dünn geratenen Beine. „Er mußte in die Stadt, wollte aber bereits vor dem Dinner wieder zurück sein. Es wäre mir sehr peinlich, wenn … Er steckte schon wieder zwei Finger zwischen Hals

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