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Kursbuch 197: Das Grün
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eBook239 Seiten2 Stunden

Kursbuch 197: Das Grün

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Über dieses E-Book

Grün ist die Hoffnung. Du bist noch grün. Grün ist die Mitte. Alle wollen grün sein. Die grüne Technologie. Grüne Lungen der Städte. Grün ist das Leben. Grüngürtel. Grüne Energie. Die grüne Revolution. Bei Grün fahren wir. Grüner Kraftstoff. Grünkost. Grünzonen. Alles im grünen Bereich. Grünzeug. Grün ist die Farbe der Stunde. Nicht Giftgrün, sondern Grün. Sie klingt fast immer als Erlösung, zumindest als Lösung, wenigstens als harmonischer Horizont. Warum ist Grün die Farbe der Zeit, warum will alles grün sein, und warum sind das Grün selbst und die grüne Metapher so erfolgreich? Dieses Kursbuch kündigt kein blaues Wunder an, sondern spürt der grünen Revolution nach. Mit Beiträgen unter anderem von Peter Unfried, der erklärt, wieso Deutschland überhaupt keine ökologische Partei hat und brand eins Gründer Wolf Lotter, der die Grünen auffordert, endlich ihre Rückwärtsgewandtheit zu überkommen. Kulturwissenschaftlerin Mareike Vennen wagt sich an einige Episoden der Naturgeschichte der Stadt und Soziologin Irmhild Saake hinterfragt unser reflexives Verhalten zu Tieren.
SpracheDeutsch
HerausgeberKursbuch
Erscheinungsdatum2. März 2019
ISBN9783961960675
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    Buchvorschau

    Kursbuch 197 - Kursbuch

    Impressum

    Armin Nassehi

    Editorial

    Der Verleger des neurechten Antaios-Verlages hat vor einigen Tagen eine Feinderklärung abgegeben. Auf seinem Blog heißt es: »Das grüne Kon­zept ist das der offenen Grenzen, der Dekonstruktion des Entstandenen, der Totalemanzipation des Ichs auf Kosten der Allgemeinheit, des Neu­baus der Gesellschaft und der moralistischen Weltordnung.« Es sei das Konzept, das das Gewachsene, das gewissermaßen Natürliche ver­nichte – auch das »Volk« als letzte Kategorie des Natürlichen, des Gewachsenen. Der Autor versteigt sich sogar dazu, an der Dekonstruktion des Volkes, an jener für ihn und seinesgleichen natürlichen Grundlage aller Kultur und Gesellschaft, den Punkt zu sehen, an dem aus dem po­litischen Gegner nicht nur ein Feind, sondern sogar ein »Todfeind« wird. Steht da so.

    Aber, das muss man ihm zugutehalten, recht hat er. Das grüne Konzept ist in der Tat eines jenes Milieus, das sich in der postmaterialistischen Generation nach dem Zweiten Weltkrieg von fast allen Institutionen be­freien wollte, sie verflüssigt hat, Alternativen ausprobiert hat, Stehendes und Geltendes infrage gestellt hat. Nicht von den Grünen ist hier nur die Rede, sondern von einer gesellschaftlichen Pluralisierung, die tatsächlich dort Fragen stellt, wo man vorher nicht einmal Antworten brauchte. Es ist der angemessene Feind für diejenigen, die all das im Be­wusstsein einer quasi natürlichen Ordnung nicht wollen. Diese Feind­schaft hat sich das grüne Konzept redlich verdient. Es gibt nichts Schlim­meres, als von den Falschen zum Feind erklärt zu werden.

    Aber ganz stimmt das mit dem Gewachsenen und der Natur nicht. Denn bei aller Verflüssigung klarer Bedeutungen und Zugehörigkeiten ist es gerade das Gewachsene, ist es die Natur, die dem grünen Konzept sogar seinen Namen gibt. Da geht es um Erhaltung der natürlichen Le­bensgrundlagen, um den Boden aller Horizonte, um die Frage des Bewahrens, auch einer gewissen Modernitätskritik. Nur das Volk und die Lebensformen, die haben sich nicht nur im grünen Konzept aus der Na­türlichkeit der Natur emanzipiert – und was das angeht, ist das Grüne tatsächlich zu einer neuen Normalität geworden –, so die Formulierung von einer der beiden Parteispitzen der Grünen, Robert Habeck, im Ge­spräch, das Peter Felixberger und ich mit ihm geführt haben.

    Das grüne Konzept ist nicht identisch mit der politischen Partei der Grünen. Die »neue Normalität« ist das Grüne auch deshalb, weil seine Themen – die Pluralisierung von Lebensformen, die selbstbewussten Le­benskonzepte urbaner Mittelschichten, aber auch ökologische Fragestel­lungen und manchmal auch die Romantisierung des Natürlichen und die Moralisierung des Eigenen – weit über das eigentliche Milieu hinaus Geltung beanspruchen können. Das politische Grün ist auf dem Weg zur Volkspartei – da ist es wieder, das Volk. Das grüne Konzept selbst gilt weit über das unmittelbare grüne Milieu hinaus. Freilich ist das, was manche als »grüne Hegemonie« (Giovanni di Lorenzo) bezeichnen, eher ein Platzhalter für die Erfahrungen der lebensweltlichen Pluralisierungen und Liberalisierungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts, aber die klassische industriegesellschaftliche Phase nach 1945, explizit ab Mitte der 1960er-Jahre wird auch gerne als die »sozialdemokratische Epoche« bezeichnet, ohne dass da nur Sozialdemokraten mitgewirkt hätten.

    Dass das Grüne von rechts (und von richtig links) so sehr gehasst wird, ist nur konsequent. Der vielleicht interessanteste Wandel der Grü­nen und auch des grünen Konzepts – ich bleibe jetzt bei dieser Formulierung – besteht wohl darin, dass das Grüne Ende der 1970er-Jahre damit angetreten war, alle Institutionen plattzumachen, infrage zu stel­len und für überflüssig zu erklären, heute aber als große Verteidigung der klassischen staatlichen Institutionen und des bundesrepublikanischen Institutionenarrangements gilt. Das ist eine erstaunliche, aber durchaus konsequente Karriere. Übrigens gilt für die Rechten auf der Suche nach dem Feind die Kanzlerin als die grüne Amazone schlechthin.

    Dieses Kursbuch hat einen Schwerpunkt auf dem politischen Grün, aber nicht nur, es befasst sich mit der Vergrünung des Denkens. Wir beginnen mit einem Beitrag des taz-Chefreporters Peter Unfried, wohl einer der besten Kenner des grünen Innenlebens, zugleich aber auch dessen schärfster Kritiker. Kaum jemand hat die inneren Wi­dersprüche zwischen hehren Idealen und dem konkreten Leben tugend­hafter Idea­­listen schöner auf den Punkt gebracht als Peter Unfried. Meine Lieb­lings­passage aus diesem Kursbuch: »Keiner hatte selbst zu Hause ein Atomkraftwerk in der Garage. Der Atomprotest war ideal mit der Vorstellung eines tugendhaften Weltbürgerlebens verknüpfbar, weil er die Alltagsnotwendigkeiten dieser Weltbürger nicht tangierte.«

    Es folgt das schon erwähnte Gespräch, das die beiden Herausgeber mit Robert Habeck geführt haben. Das Gespräch changiert zwischen biogra­fischen und systematischen Perspektiven. »Uns fehlt im Moment eine Erklärung des gesellschaftlichen Zustandes«, sagt Habeck darin, und diese Einsicht ist in der Tat bereits Teil der Analyse. Biografisch ist auch der Blick von Karl Bruckmaier, der mit dem und den Grünen eine enttäuschte Liebe verbindet. Enttäuscht, weil die linke Bewegungshälfte ver­schwunden ist, immer noch Liebe, obwohl es ihm wie »eine flächen­deckende Rückbildungsgymnastik für einstige Utopisten« erscheint. Wolf Lotter nimmt den Widerspruch zwischen dem grünen Ideal der Selbstbestimmung und der gleichzeitigen Staatstreue des grünen Milieus aufs Korn, gepaart mit dem Vorwurf, diesem ökonomisch saturierten Bildungsmilieu fehle es vor allem an ökonomischer Bildung.

    Einen ganz anderen Widerspruch – oder ist es gar kein wirklicher Widerspruch? – macht Oliver Jahraus aus. Er liest Ernst Jünger als einen grünen Vordenker, zumindest im Hinblick auf die modernitäts- und ent­­fremdungskritischen Elemente des ökologischen Denkens – Jahraus zieht hier Parallelen zu Martin Heidegger, aber auch zu Max Webers Perspektive auf die »Entzauberung der Welt«. Sein Beitrag kommt zu dem Ergebnis, dass man die Fragen, ob Jünger eher ein Wegbereiter des Nationalsozialismus war oder ein Vorläufer der ökologischen Bewegung, nicht isoliert voneinander betrachten dürfe.

    Cordula Kropps Beitrag interessiert sich für grüne Inseln in der Groß­stadt. Kropp vergleicht hier zwei unterschiedliche Begründungsebenen des Urban Gardening – sie vergleicht solche Projekte in Leipzig und Nantes. Während der deutsche Fall eher an der ökologischen Frage ansetzt, ist das Projekt in Frankreich eher sozialpolitisch motiviert. Mit dieser Spannung zwischen ökologischen und sozialpolitischen Perspek­tiven beschäftigt sich auch Max Koch, der unter dem Stichwort einer »nachhaltigen Wohlfahrt« das Zusammenspiel sozial- und ökologiepolitischer Perspektiven auslotet.

    Eine ganz andere grüne Insel in der Stadt nimmt der Beitrag von Irmhild Saake auf. Saake dekonstruiert darin das romantische und sym­metrisierende Naturkonzept des großstädtischen Grünkonzepts, das die Welt zum Zoo macht: »Was also machen wir mit diesen Zootieren? Wir sehen sie an und sehen dabei vor allem die Zäune und stellen uns vor, wie gut es den Tieren ginge, wenn sie frei wären. Aber als Zootiere, nicht als Raubtiere.« Also nicht als solche, die sich in einer wohldefinier­ten Nahrungskette jagen und fressen. Diese grüne Insel holt nicht die Welt in den Zoo, sondern projiziert die symmetrischen Ansprüche eines Milieus auf die Welt. Das Motiv des Einschlusses des Grünen, der Natur in urbane Räume, hier: hinter Glas, findet sich auch bei Mareike Vennen, die Beispiele für die Domestizierung der Natur als urbanisierten beziehungsweise urban vermessenen Raum zusammenträgt. Und Stefan Rammler gibt einen Überblick über nachhaltige Verkehrskonzepte, an denen sich alle Interessen, Perspektiven und auch Widersprü­che einer ökologischen Nachhaltigkeitsstrategie ablesen lassen.

    Dass eine der ältesten Pflanzen, die auf der Erde leben, eine immergrüne Pflanze ist, hätten wir uns nie zu erfinden gewagt. Aber es ist so. Der Künstler Thorsten Baensch sammelt die Araukarie (Araucaria arau­cana) – als Fotografien in ihrem Habitat. Wundervolle Bilder, die die lange Geschichte des Grüns und eine Aussicht auf eine noch lange Zukunft geradezu meditativ nähren.

    Svenja Flaßpöhler sei dafür gedankt, dass sie den 24. Brief einer Leserin beisteuert. Sie setzt sich hier kritisch mit der Initiative des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn auseinander, für die postmortale Organspende die sogenannte doppelte Widerspruchslösung einzuführen. Bezug nehmend auf dessen Beitrag in Kursbuch 196 rekonstruiert unsere Leserbriefschreiberin, dass diese Lösung tatsächlich durch die religiösen Motive inspiriert ist, die der Minister in seinem Beitrag aufgeführt hatte. Flaßpöhler sieht darin das Problem, nicht die Lösung.

    Es ist immer wieder faszinierend, wie sich ein Kursbuch zusammenfügt – wir konzipieren zwar, wählen Autorinnen und Autoren aus, machen uns unsere Gedanken über die Inhalte, können sie aber nicht vollständig kontrollieren. Und am Ende passt dann doch alles wieder zusammen. Ist das nun eine Metapher auf die grüne Natur, in der sich alles fügt, oder auf den grünen Pluralismus, der am Ende meistens doch in allzu kollektivistischen Versöhnungsfantasien aufgeht? Nichts von bei­dem: Es ist die Evolution von Perspektiven, der wir ein wenig auf die Sprünge helfen wollen.

    Svenja Flaßpöhler

    Brief einer Leserin (24)

    Mit Interesse verfolge ich die derzeitige Debatte um Organspende, in deren Zentrum ein Vorschlag von Jens Spahn steht, den ich für falsch halte. Vor diesem Hintergrund habe ich Spahns Text im letzten Kursbuch, »Christ und Demokrat in Union«, mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen. Ein Text, in dem der Gesundheitsminister sein Verhältnis zur Religion mit Blick auf seine politische Profession zu fassen versucht.

    »Ich bin überzeugter Katholik«, schreibt Spahn direkt zu Beginn und führt aus: »Mein Glaube gibt mir nicht nur spirituellen Halt, umhüllt mich und hält mich seelisch gesund. Die christliche Religion ist auch untrennbar mit unserer Kultur verbunden, dem Humanismus und unserem Menschenbild, das wir Europäer teilen. […] Wo kommen wir her und wohin gehen wir, wie wollen wir uns weiterentwickeln, was in die Zukunft mitnehmen? Und: Welche zivilisatorischen Standards sind uns als Errungenschaften wichtig?«

    Während der Lektüre dieser Ausführungen wurde mir immer klarer, wie sehr auch Spahns Position zur Organspende von seinem Glauben beeinflusst und getragen ist. Der Christdemokrat ist Befürworter der sogenannten doppelten Widerspruchslösung. Weil die Zahl der Organ­spenden sehr gering, der Bedarf an Organen aber ungleich höher ist, soll dieser Lösung zufolge jeder automatisch Organspender sein, so er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Der Gedanke, der dahinter steht, lässt sich wie folgt umreißen: Als Tote habe ich von mei­nen Organen nichts mehr, sehr wohl aber unter Umständen ein anderer Mensch, der meine Niere oder mein Herz zum Weiterleben notwendig braucht. Dass nur so wenige Menschen ihre Organe spenden, ist deshalb nicht auf eine innere, gut begründbare Überzeugung, sondern schlicht auf Trägheit zurückzuführen – und genau die soll mit der doppelten Widerspruchslösung ausgehebelt werden.

    So weit, so nachvollziehbar, möchte man meinen und sieht den chri­s­tologischen Aspekt sogleich klar vor sich: Ist es nicht schlicht ein Ausdruck von Nächstenliebe, wenn ich durch meinen Organspendeausweis potenziell Leben rette? Und steht die doppelte Widerspruchslö­sung nicht eindeutig im Dienst dieses Ideals? Allein, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Eine Organspende, die durch die doppelte Widerspruchslösung erfolgt, ist keineswegs notwendig ein Ausdruck von Nächs­­tenliebe. Denn von einer solchen Liebe getragen ist eine Handlung schließlich nur dann, wenn sie bewusst gewollt wird, was aber bei einem nicht erfolgten Widerspruch keineswegs zwangsläufig der Fall ist. Tatsächlich greift ja bei der doppelten Widerspruchslösung das Träg­­­heitsmoment gleichermaßen: Ein Mensch, der aus welchen Gründen auch immer verpasst, eine Bereitstellung seiner Organe nach dem Tod abzulehnen, ist ja noch lange nicht spendenbereit. Vielleicht hat er sich schlicht nicht mit der ethischen Vielschichtigkeit der Organspende aus­einandergesetzt, die Spahn als überzeugter Katholik leider ebenfalls übersieht.

    Womit wir beim springenden Punkt wären. Es ist der Leib-Seele-Dua­lismus, der tief im christlichen Glauben wohnt und für die doppelte Wi­derspruchslösung ebenfalls grundlegend ist. Leib und Seele sind diesem Dualismus zufolge nicht nur klar voneinander unterschieden, die Seele ist dem Leib auch übergeordnet. Christologisch gesehen gilt es, den Leib schon zu Lebzeiten beständig zu transzendieren, nach dem Tod ist er nicht mehr als eine identitätslose Hülle. Unsterblicher Träger von Iden­ti­tät ist einzig die Seele, die dem Leichnam entfleucht. Von diesem Dua­lis­mus ist es nicht mehr weit zu jener Enteignung, die durch die doppelte Widerspruchslösung faktisch erfolgt: Meine Organe gehören nach mei­nem Tod nicht länger (zu) mir, sondern sie gehen über in den Besitz des Staats, der sie für die Organspende freigibt – es sei denn, ich widerspreche.

    Schaut man sich das Phänomen Organspende jedoch genauer an, wird schnell klar, dass ein solcher Dualismus die Realität verfehlt. Das Problem beginnt damit, dass ein Körper, dem Organe entnommen wer­den, ja nicht wirklich tot ist, denn dann wären die Organe überhaupt nicht zu gebrauchen. Das Herz-Kreislauf-System eines hirntoten Menschen wird durch künstliche Maßnahmen für eine gewisse Zeit noch aufrechterhalten. Was konkret bedeutet, dass ein hirntoter Mensch zwar nie wieder ins Leben zurückkehren kann, der Körper aber zur Zeit der Organentnahme noch warm ist, die Lunge atmet, das Herz schlägt.

    Daran schließt sich die Frage an, ob ein funktionstüchtiges Organ, das transplantiert wird, tatsächlich nur neutrale Materie ist – oder eben nicht doch Träger von Identität. Wenn eines Tages mein Herz in einem anderen Menschen weiterschlagen und dieser Mensch also nur durch mich am Leben bleiben sollte: Werde ich dann nicht unweigerlich zu ei­nem Teil von ihm? Fragen, die tief in die Philosophie des Geistes ­hineinreichen und einen kruden Leib-Seele-Dualismus als klar überholt ausweisen. Vor diesem Hintergrund riet der Deutsche Ethikrat 2015, mit dem Thema Organspende sehr sensibel zu verfahren: »Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, seine individuelle Entscheidung zur Or­gan­spende auf der Grundlage hinreichender Informationen zu treffen«, so heißt es in der Erklärung. Dies unter anderem auch deshalb, weil ein Organspendeausweis schwerlich zu vereinen ist mit dem – durch­aus nachvollziehbaren – Wunsch, nach einem schweren Unfall nicht künstlich am Leben gehalten zu werden.

    Woraus folgt, dass die Organspende das Resultat einer sehr bewussten Entscheidung für diese Maßnahme sein sollte – und keine quasi­natür­liche Grundannahme, gegen die ein Mensch Einspruch erheben muss. Die Organspende als ethisch hochkomplexe Praxis ist nicht able­h­nungs- sondern zustimmungsbedürftig. Weitaus sinnvoller wäre es da­her, dem menschlichen Trägheitsmoment durch eine »Entschei­dungs­lösung« zu begegnen, wie auch Kritiker im Bundestag vorschlagen: Jeder, der einen Personalausweis beantragt, muss sich entscheiden: Organspende ja oder nein? So würde die Spenderzahl erhöht und gleichzeitig der Kern menschlicher Autonomie gewahrt: nämlich die grundsätzliche Verfügungsgewalt über den eigenen Körper.

    »Religion soll keine Grundlage von staatlichen Handlungen mehr sein«, schreibt Jens Spahn im Kursbuch und betont das Neutralitätsgebot, »wonach der Staat sich aus der transzendentalen Deutung der Welt und dem Streben nach Glück, Glaube und Wahrheit des Individuums herauszuhalten hat.« Spahn ist sich folglich durchaus klar darüber, dass sein Katholizismus nicht seine Politik bestimmen, gar in Moralismus ausarten darf. Unklar ist mir aber, wie Herr Spahn dann ganz selbstverständlich von »unserem Menschenbild« sprechen kann, das sich christlicher Prägung verdanke. »Unser Menschenbild«. Was soll das sein? Kaum etwas ist so umstritten und historisch wandelbar wie das viel beschworene Menschenbild. Leib-Seele-Dualismus versus Materia­lismus: Das Bild bildet sich um, verändert sich, wird beeinflusst durch

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