Wie öffentliche Moral gemacht wird: Die Einführung des § 175 in das Strafgesetzbuch 1871
Von Jens Dobler
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Über dieses E-Book
Jens Dobler beschreibt die Geburtsstunde des § 175 StGB vor diesem Hintergrund nicht als einseitige Durchsetzung reaktionärer Politik, sondern als ein "Spektakel in verschiedenen Arenen": Er skizziert die widerstreitenden Kräfte innerhalb eines komplexen Systems von Politik, Jurisprudenz, anderen Wissenschaften und "Betroffenen", vor allem aber auch von einer Öffentlichkeit, deren schwankende Stimmung stark von brisanten, aktuellen Ereignissen geprägt wurde. Diese stark geweitete Perspektive auf ein folgenreiches Kapitel deutscher Rechtsgeschichte eröffnet neue Fragestellungen auch für die Erforschung der jeweiligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die spätere Reformbemühungen zum § 175 lange scheitern ließen.
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Buchvorschau
Wie öffentliche Moral gemacht wird - Jens Dobler
2014
EDITORIAL
Vielleicht allzu lange haben sich die politischen Debatten im les-bi-schwultrans-inter* Feld sowie die wissenschaftlichen Diskussionen der Homosexualitätengeschichte und der Queerstudien mit gleichsam internen Fragen beschäftigt. Ist die Homo-Ehe ein konter-revolutionäres Projekt? Steht die subversiv-sexradikale Attitude dem Erringen rechtlicher Gleichstellung im Weg? Kann man nach wie vor eine auf der zweiwertigen Geschlechterlogik basierende Identitätspolitik betreiben, die das Begehren nach dem gleichen Geschlecht ins Zentrum stellt?
So wichtig diese Fragen sind, sie laufen Gefahr, einer anderen, mindestens ebenso relevanten Reihe von Problemen die verdiente Aufmerksamkeit zu entziehen: Warum sind Menschen, die nicht in heteronormative Muster passen, in verschiedenen Weltregionen gewalttätigen Anfeindungen ausgesetzt? Wieso können homosexuellenfeindliche Parolen in Frankreich oder Baden-Württemberg beträchtliche Teile der Bevölkerung mobilisieren? Was bringt politische, religiöse oder mediale Leitfiguren in Russland und den Vereinigten Staaten dazu, gegen die angeblich um sich greifende Propagierung homosexueller Lebensweisen ins Feld zu ziehen?
Jens Dobler erforscht die Ursachen und Logiken des Homosexuellenhasses, indem er historisches Terrain neu sondiert. Ohne voreilige Parallelen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart ziehen zu wollen, untersucht er die Entstehung des deutschen Strafrechtsparagrafen 175 im 19. Jahrhundert. Diese Bestimmung, die die Geschichte der Homosexualitäten über 100 Jahre lang auf so furchtbare Weise geprägt hat, war – anders als man vielleicht vermuten würde – höchst umstritten und resultierte letztlich aus teils widersprüchlichen Interessen und Einflüssen. Doblers Analyse regt zu drei aus meiner Sicht besonders bemerkenswerten Überlegungen an. Diese betreffen die spezifische Modernität der Homosexuellenfeindlichkeit, den engen Zusammenhang zwischen dem Verbot des homo- und der Regulierung des heterosexuellen «Beischlafs» sowie die besondere Rolle der Öffentlichkeit.
Anders als in heutigen Debatten oft unterstellt wird, war der Homosexuellenhass kein Relikt aus vormodernen Zeiten. Zwar hat die Strafbarkeit sexueller Handlungen zwischen Männern (und teilweise auch zwischen Frauen) eine lange Tradition, aber das Sexualstrafrecht des 19. Jahrhunderts resultierte letztlich aus einer spezifisch modernen Verknüpfung von sozialdisziplinierender Staatlichkeit, biopolitischen Strategien und einer massendemokratischen Öffentlichkeit. Paradoxer Weise basierten die im 19. Jahrhundert ebenfalls formulierten Argumente gegen die Verfolgung und für eine Tolerierung der Homosexuellen auf ganz ähnlichen Grundlagen. Gleichzeitig fanden sich aber auch sozusagen traditionellere Einwände gegen die Strafbarkeit der Homosexualität. Dobler deutet an, dass religiös-kirchliche Milieus die gesetzliche Verfolgung des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Männern nicht einhellig unterstützten. Manche waren wohl der Meinung, dass das Reden über solche Sünden im Beichtstuhl besser aufgehoben wäre als im öffentlichen Gerichtssaal.
Ähnlich ambivalent wirkte sich der Zusammenhang zwischen Homo- und Heterosexualitäten auf die Debatten um das Strafrecht aus. Es überrascht zwar wenig, dass die Befürworter der juristischen Verfolgung die «Heiligkeit der Ehen» ins Feld führten. Zu deren Schutz, so behaupteten sie, sei eine strenge Bestrafung des nicht-ehelichen Geschlechtsverkehrs unabdingbar. Aber dieses Argument betraf konsequent zu Ende gedacht nicht nur männerliebende Männer. Wenn es letzteren verboten sein sollte, einander anal zu penetrieren, galt das dann auch für verschiedengeschlechtliche Paare mit oder ohne Trauschein? Die Geschichte des Sexual- oder Sittenstrafrechts, das macht Dobler deutlich, betraf nicht nur homosexuelle Männer. Vielmehr fürchteten sich die verschiedensten Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen vor einer Einmischung des Staates und seiner Behörden in ihr eigenes Geschlechtsleben und das anderer Bürger_innen.
Schließlich zeigt Dobler, indem er nacheinander die verschiedenen «Arenen» der Debatte um den § 175 untersucht, dass bei dessen Entstehung und Durchsetzung mitnichten nur politische und wissenschaftliche Eliten eine ausschlaggebende Rolle spielten. Letztlich trafen die widerstreitenden Ansichten in der breiten Öffentlichkeit aufeinander und mussten sich dort behaupten, die liberalen wie die konservativen, die für Milde wie die für unnachsichtige Verfolgung plädierenden, die von aufgeklärtem Humanitarismus wie die von religiösen Überzeugungen getragenen. Auch die frühe Homosexuellenbewegung erhob ihre Stimme in der öffentlichen Arena und