Sandra, du musst jetzt tapfer sein: Die Klinik am See 32 – Arztroman
Von Britta Winckler
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Über dieses E-Book
Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete.
Obwohl Schliersee nur eine kleine Stadt mit knapp 8000 Einwohnern war, konnte sich die Städtische Bibliothek über bildungshungrige und informationsbesessene Besucher nicht beklagen. Aus allen Schichten kamen sie – Jugendliche ebenso wie Ältere, gut Betuchte und weniger gut Betuchte, beiderlei Geschlechts. Bärbel Scheller und ihre Kollegin, Frau Rombach, konnten sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen. Es machte fast den Eindruck, als kämen vor allem männliche Kunden gern in diese Bibliothek, weil sie mit der stets freundlichen und hübschen blondhaarigen Bärbel ein paar Worte wechseln wollten. Sie schien so etwas wie ein Anziehungspunkt in dieser Bibliothek zu sein. Das war durchaus verständlich bei ihrem attraktiven Äußeren. Sie war jung, vor einigen Wochen gerade erst zweiundzwanzig Jahre alt geworden, hatte eine Figur, mit der sie durchaus bei einer Miß-Wahl hätte kandidieren können, und ihre dunkelblauen Augen strahlten Lebensfreude aus. Keiner der männlichen Bibliotheksbesucher jedoch konnte sich rühmen, es zu einem näheren Kontakt mit ihr gebracht zu haben. Sie ließ sich auf nichts ein. Einladungen zu einer Tasse Kaffee oder zu einem Glas Wein nahm sie von niemandem an. Zuvorkommend, oft auch ratgebend bediente sie an der Buchausgabe die Kunden, notierte die Aus- und Eingänge der Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Fachblätter auf den Karteikarten und hatte für jeden ein kleines Lächeln übrig. Mehr aber nicht. Das heißt, es gab doch jemanden, den sie ganz gern in der Bibliothek sah und mit dem sie – sofern es die Arbeit und die Zeit zuließ – auch dann und wann ein paar Worte wechselte, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatten. Das war der junge aufstrebende Rechtsanwalt Volker Brinck. Vor Wochen war er das erste Mal in die Bibliothek gekommen. Seither aber erschien er regelmäßig jeden dritten Tag. Immer vormittags. Bärbel fand ihn sehr sympathisch. Vor allem gefiel ihr, daß er keinerlei Annäherungsversuche machte wie manche andere. Sie rechnete ihm das hoch an, wußte sie doch, oder besser gesagt, fühlte sie doch, daß er sich für sie interessierte.
Ähnlich wie Sandra, du musst jetzt tapfer sein
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Buchvorschau
Sandra, du musst jetzt tapfer sein - Britta Winckler
Die Klinik am See
– 32–
Sandra, du musst jetzt tapfer sein
Britta Winckler
Obwohl Schliersee nur eine kleine Stadt mit knapp 8000 Einwohnern war, konnte sich die Städtische Bibliothek über bildungshungrige und informationsbesessene Besucher nicht beklagen. Aus allen Schichten kamen sie – Jugendliche ebenso wie Ältere, gut Betuchte und weniger gut Betuchte, beiderlei Geschlechts.
Bärbel Scheller und ihre Kollegin, Frau Rombach, konnten sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen. Es machte fast den Eindruck, als kämen vor allem männliche Kunden gern in diese Bibliothek, weil sie mit der stets freundlichen und hübschen blondhaarigen Bärbel ein paar Worte wechseln wollten. Sie schien so etwas wie ein Anziehungspunkt in dieser Bibliothek zu sein. Das war durchaus verständlich bei ihrem attraktiven Äußeren. Sie war jung, vor einigen Wochen gerade erst zweiundzwanzig Jahre alt geworden, hatte eine Figur, mit der sie durchaus bei einer Miß-Wahl hätte kandidieren können, und ihre dunkelblauen Augen strahlten Lebensfreude aus. Keiner der männlichen Bibliotheksbesucher jedoch konnte sich rühmen, es zu einem näheren Kontakt mit ihr gebracht zu haben. Sie ließ sich auf nichts ein. Einladungen zu einer Tasse Kaffee oder zu einem Glas Wein nahm sie von niemandem an. Zuvorkommend, oft auch ratgebend bediente sie an der Buchausgabe die Kunden, notierte die Aus- und Eingänge der Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Fachblätter auf den Karteikarten und hatte für jeden ein kleines Lächeln übrig. Mehr aber nicht.
Das heißt, es gab doch jemanden, den sie ganz gern in der Bibliothek sah und mit dem sie – sofern es die Arbeit und die Zeit zuließ – auch dann und wann ein paar Worte wechselte, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatten. Das war der junge aufstrebende Rechtsanwalt Volker Brinck. Vor Wochen war er das erste Mal in die Bibliothek gekommen. Seither aber erschien er regelmäßig jeden dritten Tag. Immer vormittags.
Bärbel fand ihn sehr sympathisch. Vor allem gefiel ihr, daß er keinerlei Annäherungsversuche machte wie manche andere. Sie rechnete ihm das hoch an, wußte sie doch, oder besser gesagt, fühlte sie doch, daß er sich für sie interessierte. Natürlich schmeichelte ihr das. Doch vorläufig stand ihr nicht der Sinn nach einer festen Beziehung zu einem Mann, und für ein kurzfristiges Abenteuer war sie schon gar nicht zu haben. Das hatte sie einmal, vor nunmehr fast vier Jahren, erlebt, als sie noch Schwesternschülerin in der Klinik am See in Auefelden war. Achtzehn Jahre jung war sie damals gewesen, und wie ein Blitz hatte die Liebe bei ihr eingeschlagen, als Jörg Flemming ihr über den Weg gelaufen war. Er hatte sie mit seinem Wagen angefahren. Es war nicht schlimm gewesen. Nicht einmal eine Schramme hatte sie davongetragen. Aber sie hatte seine Entschuldigung und seine Einladung zu einem Wiedergutmachungs-Kaffee angenommen. Das war dann der Augenblick gewesen, in dem es bei ihr gefunkt hatte. Aus diesem Funken war innerhalb weniger Tage ein inneres Feuer bei ihr entstanden, das alle Bedenken weggefegt hatte – sie war für eine einzige Nacht seine Geliebte geworden. Nur jenes eine Mal hatte sie beiseite geschoben, was ihre Mutter ihr immer wieder versucht hatte, beizubringen. Das Ergebnis jener Nacht war die nun dreieinhalbjährige Sandra, ihre kleine süße Tochter, die sie abgöttisch liebte.
»So nachdenklich heute, Frau Scheller?«
Bärbel schrak aus ihren erinnernden Gedanken hoch, in die sie sich einige Sekunden lang verloren hatte. Ihre Blicke trafen sich mit dem vor dem Ausgabepult stehenden Dr. Brinck. »Ich habe Sie gar nicht kommen sehen, Herr Doktor«, sagte sie lächelnd. »Außerdem ist das auch gar nicht ihre gewohnte Zeit. Es ist gleich Mittag, und in ein paar Minuten wäre ich nicht mehr hier gewesen. Sie hätten sich dann mit Frau Rombach begnügen müssen.«
Volker Brinck verzog das Gesicht ein wenig. »Na, da habe ich ja noch einmal Glück gehabt«, meinte er. »Frau Rombach ist…«
»Ist auch nett«, fiel Bärbel dem Anwalt ins Wort.
»Aber sie ist eben schon ein älteres Semester und lange nicht so hübsch wie Sie«, konterte Volker Brinck lächelnd.
»Soll das nun ein Kompliment sein?«
»Es ist lediglich eine Feststellung«, gab der Anwalt zurück.
»Tja, was darf es denn heute sein, Herr Doktor?« wechselte Bärbel fragend das Thema.
»Nichts, Frau Scheller«, erwiderte Volker Brinck und legte zwei Bücher auf die Pultplatte. »Ich möchte die beiden Bücher nur zurückbringen und Ihnen auf Wiedersehen sagen.«
»Auf Wiedersehen?« wiederholte Bärbel fragend und sah den Anwalt verwundert an. »Kommen Sie denn nicht mehr her?«
»Doch«, versicherte der Anwalt, »aber erst in einer Woche oder zwei. Ich fahre in einer Stunde aus beruflichen Gründen nach Hamburg.«
Schade, dachte Bärbel, behielt es aber für sich. Ihr Lächeln verflüchtigte sich. Schweigend nahm sie die beiden auf dem Pult liegenden Bücher und trug sie aus Dr. Brincks Karteikarte aus.
*
Apathisch ließ die kleine Sandra die Untersuchungen des Arztes über sich ergehen. Ihre Augen glänzten fiebrig, und ihr ganzer Körper war heiß.
»Seit wann hat die Kleine das Fieber?« fragte Dr. Welpert die Großmutter des Mädchens.
»Schon seit einigen Tagen«, erwiderte Anna Scheller und sah den Arzt besorgt an. Sie hatte ihn am Vormittag kurz entschlossen um sein Kommen gebeten, weil sie wirklich Angst um ihre kleine geliebte Enkeltochter hatte. Ihre Geduld war auf eine harte Probe gestellt worden, denn Dr. Welpert, der auch ihrer Tochter Bärbel auf diese Welt verholfen hatte, war nicht so schnell von seiner Praxis freigekommen. »Wovon um Himmels willen hat das Kind denn das Fieber?« fragte sie.
Dr. Welpert erhob sich von der Bettkante und verstaute sein Stethoskop in seiner geräumigen Arzttasche, der er dann einen Rezeptblock entnahm. Sein faltenreiches Gesicht – er ging immerhin schon langsam auf das Pensionsalter zu – zeigte keine Regung. Die letzte Frage der Großmutter des Kindes ließ er unbeantwortet. »Gehen wir ins Wohnzimmer, Frau Scheller«, sagte er nur.
Anna Scheller nickte, wandte sich an das im Bett liegende kleine Mädchen und rief ihm zu: »Ich komme gleich wieder, mein Liebling.«
Sandra war aber auch wirklich ihr Liebling. Sie liebte das Kind ihrer Tochter abgöttisch. Dabei wußte sie bis heute noch nicht, wer Sandras Vater war. Trotz ihrer mehrmaligen Versuche, das von Bärbel zu erfahren, hatte die bis zum heutigen Tag geschwiegen. Sie konnte das nicht verstehen. Doch mit der Zeit hatte sie es aufgegeben, ihre Tochter zu bedrängen. Sie wußte nur, daß auf dem Konto ihrer Tochter regelmäßige Unterhaltszahlungen eingingen.
»Also, Frau Scheller«, ergriff Dr. Welpert das Wort, als sie beide im Wohnzimmer waren, »ich habe Ihnen hier ein Rezept aufgeschrieben, das Sie in der Apotheke einlösen können.« Er reichte der Großmutter des Kindes den Rezeptzettel.
Anna Scheller seufzte verhalten, legte das Rezept auf den Wohnzimmertisch und begann in der Küche mit den Vorbereitungen für das Mittagessen. Bärbel würde ja auch bald kommen.
Es dauerte auch gar nicht lange eine Viertelstunde war seit Dr. Welperts Weggang verstrichen, da kam Bärbel. Sie gab ihrer Mutter einen Kuß auf die Wange und fragte nach Sandra. »Wie geht es ihr? Hat sie immer noch Fieber?«
Anna Scheller nickte. »Sie scheint jetzt aber eingeschlafen zu sein«, erwiderte sie. »Ich habe übrigens ein Rezept, Bärbel«, fuhr sie fort. »Es liegt drüben auf dem Tisch, und du mußt nachher noch zur Apotheke damit.«
»Ein Rezept? Von wem?« Erstaunt blickte Bärbel ihre Mutter an.
»Vom Arzt natürlich«, antwortete diese. »Von Dr. Welpert.«
»Warst du etwa mit Sandra beim Arzt?«
»Nein, er war hier«, klärte Anna Scheller ihre Tochter auf. »Ich habe ihn gerufen, weil ich mir Sorgen machte. Vor einer Viertelstunde ist er wieder gegangen.«
In Bärbels Zügen arbeitete es. Bange sah sie ihre Mutter an. »Und?« fragte sie mit zitternder Stimme. »Was hat der Doktor herausgefunden? Ist Sandra ernsthaft krank?«
»Ernsthaft nicht gerade, wenn ich Dr. Welpert richtig verstanden habe«, gab die Mutter zurück. Sie wollte Bärbel erklären, was sie von Dr. Welpert erfahren hatte.
»Laß nur, Mutti«, ließ Bärbel ihre Mutter gar nicht weitersprechen.
»Na, jedenfalls meint der Doktor, daß das Fieber durch das Medikament, das er aufgeschrieben hat, in spätestens einer Woche wieder weg sein wird.«
»Hoffen wir’s«, murmelte Bärbel, griff nach dem Rezept und steckte es ein. »Ich gehe jetzt gleich in die Apotheke«, rief sie der Mutter zu und wandte sich zur Tür.
»Willst du nicht vorher etwas essen?« fragte Anna Scheller.
»Nachher, wenn ich wieder zurück bin«, erwiderte Bärbel. Gleich danach schloß sich die Tür hinter ihr.
Seufzend ging Anna Scheller wieder in der Küche, um das Essen fertig zu machen. Die Apotheke war nicht weit entfernt, und Bärbel würde sehr schnell wieder zurück sein.
*
Bärbel Schellers Hoffnung, und damit auch die ihrer Mutter, erfüllte sich nicht. Obwohl sie ihrer kleinen Tochter wie vom Arzt verordnet täglich dreimal das Medikament eingab, war