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Der Schrei des Herzens und die Antwort des Raben
Der Schrei des Herzens und die Antwort des Raben
Der Schrei des Herzens und die Antwort des Raben
eBook455 Seiten6 Stunden

Der Schrei des Herzens und die Antwort des Raben

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Über dieses E-Book

Fabian ist neun Jahre alt und ein aufgeweckter Junge. Aber etwas beunruhigt ihn: Warum ist sein Vater für ihn emotional nicht erreichbar? Warum streiten sich seine Eltern immer? Wie viele Kinder, die in einer solchen Situation sind, sucht er die Schuld bei sich. Doch dann treten zwei Ereignisse in sein Leben: Er begegnet im Traum einem weisen Raben, der viel über ihn und das Leben weiß und ihm geheimnisvolle Ratschläge gibt - und er erhält ein Spielzeugauto, einen roten Mustang, der im Leben seines Vaters und seines Großvaters eine fatale Rolle als ‚Fluchtauto‘ vor familiären Problemen gespielt hat. Es beginnt für Fabian ein harter, aber heilsamer Weg der Erkenntnis und der Heilung.
In dieser spannenden Geschichte mit vielen überraschenden Wendungen muss sich nicht nur Fabian seiner Vergangenheit stellen. Auch Elias, sein Onkel und bald sein Vertrauter, wird mit dem konfrontiert, was ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Wie sie es schaffen, ihre familiären Belastungen zu bewältigen und damit das Leben anzunehmen, erzählt dieser Roman, indem er Fabian und Elias in Träumen und Erinnerungen, aber auch in Szenen, in denen ihre Familienmitglieder ihnen symbolisch gegenübergestellt werden, mit den Quellen ihrer Leiden konfrontiert. Mit den Mitteln der Literatur werden hier auf erhellende Weise wirksame heilende Wege zur Erkenntnis und Verarbeitung der eigenen (Familien-)Proble¬matik vor Augen geführt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum8. Nov. 2018
ISBN9783746052113
Der Schrei des Herzens und die Antwort des Raben
Autor

Rolf Müller

Rolf arbeitete als Investment-Banker 20 Jahre bei Großbanken. 1995 erhielt er eine drastische Botschaft aus der geistigen Welt, woraufhin er ausstieg und in die Natur der Berge ging. Seine spirituelle Entwicklung stieg sprunghaft an, er lebt ein einfaches,naturverbundenes leben, ist glücklich und möchte mit diesem Buch vielen Menschen helfen, ihr Leben zu verbessern. Da er bereits 71 Jahre auf dieser Welt ist,fließ auch seine enorme Lebenserfahrung mit ein.

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    Buchvorschau

    Der Schrei des Herzens und die Antwort des Raben - Rolf Müller

    Über den Autor:

    Rolf Müller wurde 1939 in Zürich in der Schweiz geboren. Nach der Schulzeit absolvierte er eine Lehre als Matrose auf dem Rhein und fuhr drei Jahre lang zur See. Danach besuchte er für zwei Jahre die Militär-Instruktoren-Schule und war zwanzig Jahre als Instruktor in der Schweizer Armee tätig. Darauf absolvierte er eine dreijährige Ausbildung zum Naturheilpraktiker und eröffnete eine eigene Praxis, das Institut für ganzheitliche Therapie (IGT). Zusätzlich ließ er sich zum Systemtherapeuten für Systemaufstellungen und Organisationsaufstellungen ausbilden. Die Leitung der Seminare erfolgt zusammen mit seiner Partnerin Gabrielle Biétry.

    Weitere Titel des Autors:

    Zwischen den Zeilen (2013)

    Aller Anfang ist JA (2015

    Inhalt

    Der schwarze Rabe und der rote Mustang

    Abschied

    Theres

    Fabian und seine Mutter

    Mason Connor

    Roberto wird zurückerwartet

    Robertos Rückkehr

    Ungewissheit

    Gewissheit

    Trauerfeier

    Elias Raban

    Krise

    Fabian, Alina und Noemi

    Fabian und Elias

    Rückreise in die Zukunft

    Wiedersehen

    Der schwarze Rabe und der rote Mustang

    Fabian begegnet dem schwarzen Raben und

    Roberto dem roten Mustang

    »Kinder haben Augen, die sehen,

    wofür wir längst schon blind sind.

    Kinder haben Ohren, die hören,

    wofür wir längst schon taub sind.

    Kinder sind Seelen, die spüren,

    wofür wir längst schon stumpf sind.

    Kinder sind Spiegel, die zeigen,

    was wir gerne verbergen.«

    Unbekannter Autor

    Ein Ohren-zerreißender Schrei gefolgt vom lauten Knall eines Aufpralls mitten in der Nacht.

    Margrit schießt auf, »was war das? … Fabian!«, kommt aus ihrem Mund geschossen. Sie knipst die Lampe an, springt aus dem Bett und rennt ins Zimmer von Fabian. Roberto, ihr Ehemann, stürmt hinterher.

    Schreiend, mit Schreck-erstarrtem Gesicht liegt Fabian, ihr neunjähriger Sohn, auf dem Boden. Eine Hand senkrecht nach oben gestreckt, starrt er die beiden mit weit aufgerissenen Augen an.

    »Papa, bist du das, wieso bist du abgehauen?«, stöhnt er und versucht den Kopf zu heben.

    Die Mutter kniet sich neben Fabian. »Hast du dir wehgetan?«, ruft sie erschrocken.

    Der Vater steht hilflos daneben. »Wieso bist du aus dem Bett gefallen? Was ist passiert?«

    Die Mutter legt behutsam Fabians Kopf auf ihre Oberschenkel. »Hast du geträumt?«

    »Nein«, wimmert Fabian unter Tränen, »wir sind abgestürzt. Wo ist mein Papa?«

    »Du bist hier in deinem Zimmer, Papa und ich sind auch da. Es war nur ein Traum«, versucht sie ihn zu beruhigen. »Hast du Schmerzen?« Und streicht ihm dabei zärtlich über das Gesicht.

    Roberto kniet ebenfalls nieder, ergreift Fabians nach oben gestreckter Hand. »Ich bin da. Du bist aus dem Bett gestürzt. Komm, wir helfen dir zurück.«

    Fabian schüttelt schluchzend den Kopf: »Nein, nein, nein, nicht noch mal abstürzen. Ich will bei euch bleiben.«

    »Ja, du kannst bei uns bleiben und bei uns im Bett weiterschlafen«, beruhigt ihn die Mutter. »Wo tut es dir weh? Komm, wir helfen dir, aufzustehen.« Und zum Vater gewendet: »Versuche, ihn aufzusetzen, ich hole ein Glas Wasser.«

    Roberto fasst Fabian unter den Achseln. »Wir probieren jetzt, ganz sorgfältig aufzusitzen« und zieht ihn sanft nach oben.

    Fabian beruhigt sich langsam und lehnt sich an den hinter ihm sitzenden Vater. »Hier habe ich Schmerzen«, dabei legt er seine linke Hand auf die Brust, »auch der Arm tut mir weh.«

    Die Mutter kommt mit einem Glas Wasser: »Versuche zu trinken, das wird dir guttun.«

    »Auaaahhh, das tut so weh!«, schreit Fabian, als er das Glas ergreifen will. Sie legt ihm den Glasrand direkt an den Mund. Fabian trinkt und lehnt sich wieder erschöpft an seinen Papa, was ihn entspannt und beruhigt.

    »Ich helfe dir, aufzustehen. Kannst du selbst zu unserem Bett laufen oder soll ich dich tragen?« Roberto zieht ihn dabei sanft auf die Beine.

    Fabian schweigt. Er geht mit wackligen Schritten an der Hand seines Vaters ins Schlafzimmer der Eltern.

    »Wo sind wir abgestürzt?«, erkundigt sich Fabian und legt sich im Bett auf den Rücken.

    Margrit setzt sich, auf den Bettrand: »Was hast du denn geträumt?«

    »Ich habe nicht geträumt, wir sind abgestürzt«, beteuert Fabian und schaut mit verzerrtem Gesicht seinen Vater an.

    »Wer war denn dabei?«, erkundigt sich die Mutter geduldig.

    »Niemand, ich war allein. Aber der Papa ist mir davongefahren.« Fabians Stimme ist kaum hörbar. »Wo ist Papa?«

    »Du siehst doch, dass ich da bin. Keiner ist dir davongefahren, du bist nur aus deinem Bett gefallen. Aber jetzt bist du da, in unserem Bett, und ich bin auch da.« Nach kurzer Pause fährt er fort: »Wenn du noch etwas zur Mitte rückst, haben wir beide genug Platz. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht, versuchen wir noch ein wenig zu schlafen. Morgen gehe ich mit dir auf das Dorffest, wenn du magst«, versucht er seinen Sohn abzulenken.

    Margrit schaut Roberto an: »Ja, es ist wirklich zehn vor zwölf.« Sie zerrt ihn lautlos ins Kinderzimmer: »Hast du erneut im Sinn zu verschwinden?«

    »Spinnst du?«

    »Ich höre, was Fabian sagt. Kinder nehmen wahr, was wir verbergen und sie tun es uns kund, auf ihre kindliche Weise.«

    Roberto läuft davon und legt sich wortlos neben Fabian ins Bett.

    Margrit bringt Fabian seine Bettdecke: »Hier hast du deine eigene Decke. Versuche zu schlafen und rufe mich, wenn du etwas brauchst.« Dabei küsst sie ihn auf die Stirn. Sie nimmt erneut eine Schlaftablette, legt sich auf ihre Bettseite, löscht das Licht und dreht den beiden den Rücken zu.

    Mit halbgeöffneten Augen liegt Fabian auf dem Rücken. Er legt eine Hand auf die schmerzende Brust und sucht mit der anderen den Kontakt zum Vater, als wolle er sich an ihm festhalten, um nicht erneut abzustürzen. So sieht es zumindest aus.

    Oder versucht er im Gegenteil, den Vater festzuhalten?

    Fabian bemerkt, wie sein Herz unter der Hand pocht. Die Angst ist noch da, obwohl er jetzt zwischen den Eltern liegt. Mit der Verbindung zum Papa entspannt sich sein Körper jedoch.

    Kaum ist Fabian eingeschlafen, verraten seine zuckenden Bewegungen, dass er erneut zu träumen beginnt:

    Meine Stirn klatscht auf den Boden, ich liege flach, wie unter einer Fliegenklatsche. Der Fuß hängt noch immer in dieser blöden Wurzel, die mich vornüber stürzen ließ. Die Stirne hat ein Leck, es blutet. Doch die Angst ist stärker, reißt mich hoch und zwingt mich weiter. Mein Angst-Motor hat tausend PS und dreht voll durch. Wenn es nur nicht so dunkel wäre und der Wald nicht so dicht. Ein Stein liegt mir im Wege und ich stolpere erneut kopfüber.

    Wo bin ich eigentlich? Was ist vorne und was hinten? Wo geht es von zu Hause fort? Die Stirn blutet und der Fuß schmerzt. Der Stein, auf den ich mich setze, ist kalt und ich wische Blut von der Stirn. Allein und Dunkel wohin ich schaue. Wenn nur die Mama da wäre.

    Urplötzlich Geräusch und Bewegung auf dem Baum vor mir, mein Angst-Motor heult auf und ringt nach Luft. Ein gespenstischer Vogel hebt ab und fliegt auf mich zu. Nichts wie weg hier, kann nicht, »Mama«, doch die hört mich nicht. Er landet wenige Meter vor mir … ein schwarzer Rabe mit glänzenden Federn.

    »Hast du mich erschreckt«, schreie ich ihn an um die Angst zu verstecken. Der Rabe bleibt stehen und schaut hoch.

    Ich bekomme wieder Luft was mich erleichtert. »Wo bin ich hier?«

    Der Rabe legt die kräftigen Flügel auf seinem Rücken zurecht und streckt den langen Hals nach vorne. Aus seinem spitzen Schnabel kommt ein Geräusch, das wie ein Lachen klingt. Dabei schaut er mit seinen hervorstechenden grün-schwarzen Augen eindringlich zu Fabian auf und eröffnet ihm: »Fabian, du hast dich verlaufen im Urwald, im Dschungel deiner Gefühle.«

    »Wieso weißt du, wer ich bin?« Doch irgendwie kommt mir der Vogel gar nicht so fremd vor. »Wo ist dieser Dschungel und wo ist mein Papa?« Ich wische dabei Tränen von den Wangen. »Ich will zurück zu Papa und Mama.«

    Der Rabe hüpft näher heran und sagt beruhigend: »Der Dschungel ist in dir drin!« Er hüpft noch näher heran: »Auch dein Papa ist in dir drin, aber er ist in seinem eigenen Dschungel, darum vermagst du ihn nicht zu sehen. Deswegen kann er auch dich nicht sehen.«

    Der Rabe kommt jetzt ganz dicht heran, streckt den langen Hals noch mehr nach vorne und schaut mir mit seinem durchdringenden Blick direkt in die Augen: »Auch dein Papa sitzt auf einem eiskalten Stein und sehnt sich nach Hause zu seinen Eltern, wie du.«

    »Nein, mein Papa schläft in seinem Bett, geht morgen mit mir zum Dorffest und übermorgen nach Amerika. Übrigens: Woher willst du das wissen? Wer bist du eigentlich?«

    »Ich heiße Raban und bin ein Teil von dir.« Dabei neigt er sein schwarzes Köpfchen behutsam und würdevoll. »Ich bin der Teil von dir, der das weiß, was du auch weißt, aber nicht wissen willst, und erinnere dich an das, was du schon weißt. Ich bin hier, um dir zu helfen, weil du dich im Urwald deiner Gefühle verlaufen hast. Ich kenne die Wege zurück und kann dir ein Wegweiser sein.«

    Meine Stirn schmerzt, ich betaste sie: »Aber wenn der Dschungel in mir ist, dann bist du ja auch in mir. Ich habe doch keinen Vogel.«

    Raban öffnet kurz seinen Schnabel und gibt erneut diesen komischen Ton von sich, als würde er lachen. Eindringlich sagt er: »Du siehst mich jetzt, weil du in der Traumwelt bist, deine Kopfaugen geschlossen sind und du mit dem Herzauge siehst. Wenn du am Tag nur mit den Kopfaugen schaust, erblickst du etwas anderes, dann kannst du mich nicht mehr sehen, obwohl ich da bin. Aber auch das, was du am Tag entdeckst, stimmt.«

    Meine Augen machen sich groß und größer, ich taste nach den Ohren, um ja kein Wort zu verpassen. Bin völlig fixiert auf seinen Schnabel, höre ihn weitersprechen: »Wenn es dir gelingt, dein Herzauge offen zu halten, während du mit den Kopfaugen siehst, so siehst du mit dem Herzauge durch die Kopfaugen hindurch. Damit erkennst du das, was du anschaust, gesamtheitlich, weil du beides zu sehen vermagst, auch mich und den Dschungel in dir. Ebenso Papa und den Urwald in ihm. Mit den Kopfaugen kannst du nur das erblicken, was außen ist, was sich dir sichtbar zeigt. Mit dem Herzauge siehst du, was die Kopfaugen nicht zu sehen vermögen. So erkennst du die Zusammenhänge. So verstehst du, was du siehst. Dadurch vermagst du jederzeit den Weg auszuloten, der für dich der richtige ist, auch den Heimweg zu deinen Eltern.«

    Etwas fasziniert mich an ihm und was er sagt, das trifft mich, interessiert mich, macht mich neugierig, beruhigt mich. Der Wald bleibt rabenschwarz, doch es scheint Licht hindurch.

    Ich merke wie es mich entspannt, hocke jetzt gelassen auf dem Stein und lasse lässig die Beine baumeln.

    Raban unterbricht das kurze Schweigen: »Deine Mama macht sich Sorgen, komm, wir begeben uns nach Hause. Ich zeige dir den Weg.«

    Kaum hat er dies gesagt, breitet er seine Flügel aus und fliegt gemächlich voraus. Verdutzt schaue ich hinterher, stehe auf und folge ihm vertrauensvoll.

    Als Fabian am nächsten Morgen aufwacht, stutzt er zunächst, dann setzt er sich auf, reibt seine Augen und schaut sich erstaunt und suchend um – doch Raban ist nirgendwo zu sehen. »Danke!«, kommt aus seinem Mund.

    »Danke für was?«, hört er Papa neben sich. Erst jetzt realisiert Fabian, dass er bei den Eltern im Bett liegt.

    »Es war nur ein Traum«, weicht Fabian aus. »Wann gehst du mit mir zum Dorffest?«

    »Jetzt stehen wir erst einmal auf und nach dem Frühstück packe ich meinen Koffer für die Reise morgen. Danach besuchen wir das Dorffest.«

    Margrit hat trotz der Tablette kaum geschlafen. Es war noch stockdunkle Nacht, als sie aufgestanden ist.

    Beim Frühstück herrscht eine bedrückende Stimmung. Mutter und Vater reden kaum miteinander, nur das Allernotwendigste. Fabian schaut verunsichert drein, rutscht zappelig auf seinem Stuhl herum und würde sich lieber irgendwohin verkriechen.

    Margrit unterbricht dieses erdrückende Schweigen:

    »Weißt du noch, was du geträumt hast, Fabian, bevor du aus dem Bett gefallen bist?«

    »Nein, ich erinnere mich nur, dass wir abgestürzt sind. Aber ich war ganz allein. Der Papa war schneller als ich.«

    Margrit schaut in gedankenversunken zu Roberto, ohne ihn zu sehen.

    An Papa gewendet, erkundigt sich Fabian: »Warst du auch schon mal im Dschungel, Papa?«

    »Ich war einmal in Südamerika, wo es noch Dschungel gibt, aber da drin war ich nicht.«

    »Ich meine den Dschungel in dir.«

    Die Mutter verschluckt sich beim Kaffeetrinken, stellt hustend und klirrend die Tasse ab und schaut Roberto mit fragendem Blick an. Dieser starrt verunsichert vor sich auf den Teller und sucht nach Worten. Wie jedes Mal, wenn er sich bei einem Thema unwohl fühlt, weicht er auch jetzt aus, indem er sein Wissen ausbreitet.

    »Der Dschungel ist ein naturbelassener Regenwald«, antwortet er, »der größte ist in Südamerika, rund um den Amazonas herum. Der Amazonas ist der längste Fluss der Welt. Wenn du in den Dschungel willst, musst du nach Südamerika, Afrika oder Asien reisen.« Dabei steht er auf und beendet das Thema ganz: »So, nun packe ich meinen Koffer, nicht für den Dschungel, aber für Amerika, danach brechen wir auf zum Dorffest.«

    Noch bevor Fabian etwas sagen kann, ist der Vater aufgestanden und hat den Tisch verlassen.

    Fabian senkt den Kopf, erinnert sich an Raban und den Traum von letzter Nacht. Er würde so gerne seinem Papa erzählen, was er vom Dschungel und dem schwarzen Raben geträumt hat, doch er traut sich nicht. Er bemerkt, wie sein Papa ihm genauso ausweicht wie der Mama. Obwohl seine Augen den Vater sehen, die Hände ihn berühren können, ist er für Fabians Herz in unerreichbarer Entfernung. Fabian nimmt sich vor, mit Raban darüber zu reden, wenn er ihn wieder mal sieht.

    Fabian sitzt gedankenverloren da, mit einer Hand das Kinn stützend. Das in der letzten Nacht im Traum Erlebte lässt ihm keine Ruhe. Immer wieder zieht es ihn in Gedanken zurück in den Dschungel zu Raban. Er schiebt mit der freien Hand den leergetrunkenen Kunststoffbecher auf dem Holztisch hin und her. Den Lärm und das Leben um ihn herum scheint er gar nicht wahrzunehmen. Das Gekreische der Kinder, wenn die Achterbahn den höchsten Punkt erreicht und steil nach unten rast, klingt für ihn wie weit entfernt. Selbst das Gehupe der Autoskooter direkt nebenan vermag sein Interesse nicht zu wecken.

    Noch andere Festbesucher sitzen an diesem langen Holztisch. Sein Vater neben ihm auf der Holzbank redet mit einem Kollegen. Die Mutter ist nicht da. Viele Eltern sind mit ihren Kindern gekommen an diesem sommerlichen Nachmittag. Es ist Jahrmarkt und Flohmarkt im Dorf, wie jedes Jahr um diese Zeit. Seine Mama wollte nicht mitkommen, sie meinte, dies sei eine günstige Gelegenheit für einen ›Männernachmittag‹, da der Vater ja morgen für drei Wochen nach Amerika reise.

    »Papa, darf ich auf die …«

    Roberto unterbricht ihn: »Du siehst doch, dass ich im Gespräch bin, also warte gefälligst, bis ich fertig bin«, und wendet sich wieder dem Gesprächspartner zu.

    »Für andere hat er Zeit, nur für mich nicht«, murmelt Fabian tonlos in sich hinein und schaut trübsinnig vor sich hin.

    »Hey, Fabian«, hört er unverhofft hinter ihm. »Schau mal, was ich bekommen habe.« Fabian blickt auf.

    »Weißt du, was das für eine Automarke ist?«

    Fabian dreht sich um und erkennt Ricardo, seinen Schulfreund aus der vierten Klasse, der ihm ein gelbes Spielzeugauto entgegenstreckt.

    »Hat mir mein Papa soeben gekauft, dort vorne, am Spielzeug-Stand. Das ist der erste VW, den es gab, und der heißt Käfer, sieht ja auch aus wie ein Käfer, wie ein Maikäfer. Ich habe ihn selbst ausgewählt«, meint er mit stolzem Unterton.

    Fabian ergreift das Auto und fährt mit ihm auf dem Holztisch um seinen Wasserbecher herum. »Das ist ja schon ein komischer Käfer, aber ich hätte lieber ein rotes Auto«, dabei gibt er ihm den VW zurück.

    Ricardo nimmt den gelben Käfer wieder an sich und meint ganz aufgeregt: »Zu Hause habe ich noch ein blaues, ganz aus Holz, mit knallgelbem Dach.« Zu seinem Vater gedreht, der sich hinter ihn gestellt hat, fragt er mit bittenden Augen: »Papa, Papa, darf Fabian heute bei mir schlafen, wir möchten noch mit dem Auto spielen, bitte, bitte«, dabei zupft er den Vater an der Hand vor Aufregung.

    Ricardos Vater schaut zu Roberto, der sich nun Fabian zugewendet hat: »Ja, ich bin einverstanden. Mama hat sicher nichts dagegen.«

    Fabian ist wieder ganz gegenwärtig und neugierig.

    Roberto wendet sich an den Vater von Ricardo: »Von mir aus ja.«

    Dieser nickt und ergänzt: »Ich frage aber noch meine Frau, sie ist mit der Tochter dort vorne beim Flohmarkt, aber sie hat sicher nichts dagegen.«

    Fabian lehnt sich an seinen Vater und fragt mit schmollendem Gesichtsausdruck: »Kaufst du mir auch ein Auto, ein rotes, damit wir heute damit spielen können?« Ricardo unterstützt ihn und meint: »Dort vorne am Spielzeug-Stand gibt es noch viele, auch rote sind dabei.«

    »Wir schauen mal, was es dort gibt.«

    Roberto kommt es gelegen, dass sein Sohn Fabian heute bei Ricardo schläft, denn er befürchtet, dass der heutige Abend mit seiner Frau Margrit schwierig und unerfreulich sein wird. Diese Streitereien und die weiteren Eheprobleme belasten ja auch Fabian immer mehr. Dazu kommt, dass er morgen beruflich für drei Wochen nach Amerika fliegen wird, was Margrit gar nicht gerne sieht.

    Ricardo, mit dem gelben Käfer in der Hand, stupft Fabian in den Rücken: »Komm, Fabian, ich zeige dir, wo es ist«, und zieht ihn an der Hand hoch.

    Roberto steht auf: »Geht schon mal voraus, ich muss noch bezahlen, dann komme ich nach.«

    Vor dem Spielzeug-Stand werden Fabians Augen groß und immer größer und sein Mund öffnet sich staunend. Er starrt auf ein rotes Auto: Dieses Auto muss ich haben, nur dieses. Er schaut sich aufgeregt um, ob Papa nicht bald kommt. Die Frau hinter dem Stand hört er fragen: »Welches möchtest du denn haben?«

    Als er sieht, dass Papa sich nähert, schaut er die Frau hinter dem Stand auffordernd an: »Das große, rote dort«, und streckt ihr verlangend die zitternde Hand entgegen. Dabei hüpft er aufgewühlt hin und her, steht auf den Zehenspitzen und beugt sich über den Tisch der Verkäuferin zu. Diese drückt ihm das rote Auto in die Hand. Fabian dreht sich sofort um und springt seinem Papa entgegen: »Ich habe es schon, schau mal, ich darf es doch haben?«, und streckt ihm mit beiden Händen das Auto entgegen.

    Roberto bleibt verdutzt stehen, er ergreift das rote Auto und starrt es fassungslos an. Dabei wird er todernst. Wie zur Salzsäule erstarrt, fixiert er das Auto, regungslos, eine ganze Weile lang. Langsam dreht er sein Gesicht Fabian zu, blass und mit geröteten Augen, als blicke er durch ihn hindurch in eine weite Leere.

    Fabian erschreckt, machtlos der gleichen Angst ausgeliefert wie letzte Nacht im Dschungel, als er auf dem kalten Stein saß.

    Roberto geht ein paar Schritte zurück und hockt sich auf den Stein am Wegesrand. Er betrachtet das rote Auto von vorne, schaut es danach von beiden Seiten an. Mit Stielaugen starrt er es von hinten an und flüstert dann mit gepresster Stimme: »Ein roter Ford Mustang … und sogar Candy Apple Red.«

    Er schließt die Augen und presst die Lippen aufeinander, sein kreidebleiches Gesicht ist schmerzverzerrt. Verdrängte Erinnerungen rollen wie eine Dampfwalze über ihn. Er parkiert den roten Mustang auf seinen Oberschenkeln und drückt mit beiden Händen die Ohren zu, während er von seiner Vergangeheit vergewaltigt wird …

    »Wenn dir etwas nicht passt, dann verschwindest du einfach, hör endlich auf mit diesem Machtspiel. Unser Sohn Roberto ist schon sieben, er braucht einen Vater, den er spüren kann, der für ihn seelisch erreichbar ist, aber du siehst ihn nicht einmal. Auch mich siehst du nicht.«

    »Schluss damit. Du wirst mich jetzt tatsächlich nicht mehr sehen …, ich komme nicht mehr zurück!«, brüllt der Vater. Darauf die Explosion der knallenden Türe.

    Ich krieche unter dem Bett hervor, öffne zitternd die Zimmertür und sehe, wie Mama sich schluchzend ins Schlafzimmer verkriecht. Barfuß renne ich dem Papa nach und sehe gerade noch, wie der rote Mustang vom Parkplatz rollt und davonfährt. Ich hetze hinterher, »Papa, Papa«, starre auf die zweimal drei Striche der Stopplichter in der Hoffnung, dass sie aufleuchten … doch das tun sie nicht. Hinter mir höre ich Mama rufen: »Roberto, Roberto«, bis das Heck des roten Mustangs in der Straßenkurve verschwindet.

    Ich stolpere, falle hin, schlage mit dem Kopf auf den Asphalt mitten auf der Straße. Das Herz heult schmerzvoll auf …, es wurde soeben gebrandmarkt. Endlich schließt mich Mama in ihre Arme.

    Von diesem verdammten Tag an habe ich meinen Papa nie mehr gesehen. Seit diesem Tag habe ich keinen Vater mehr. Das Heck des wegfahrenden roten Mustangs hat sich tief in mein Herz gebrannt und eine Wunde hinterlassen, die nie mehr zu heilen vermochte.

    »Papa!«, hört er sich rufen … und erschaudert … »Papa« –erschreckt reißt er die Augen auf und erkennt Fabian, der vor ihm steht. Er schaut um sich, sieht den roten Mustang und realisiert, wo er ist.

    Die Wut in Robertos Gesicht zeigt die schmerzende Wunde in seinem Herzen. Einen Moment lang sieht es so aus, als ob er das Auto am Boden zerschmettern oder weit wegwerfen wolle. Doch er beherrscht sich.

    Fabian ist vor Schreck erstarrt. Einmal mehr wähnt er sich schuldig, dass sein Vater jetzt so wutschnaubend ist. Die aufsteigende Angst lähmt ihn, er befürchtet, Papa könnte erneut davonlaufen, die ganze Nacht wegbleiben, wie so oft in letzter Zeit. In diesem Moment bemerkt er, wie sich eine Hand auf seine Schulter legt. Er sieht Ricardo neben sich. Beide schauen sie verunsichert zu Fabians Papa, der inzwischen aufgestanden ist. Impulsiv überwindet sich Fabian und fragt aus purer Verlegenheit mit angstvollem Unterton:

    »Papa, was ist das: Kändi Äppel Räd?« Er schaut dabei auf den Boden, in den er sich am liebsten verkriechen würde.

    Fabian hat öfters erlebt, was kommt, wenn Papa seine Lippen so zusammendrückt und die Mundwinkel nach unten zieht: Wutausbrüche, verletzende Worte, Herumschreien und dann Abhauen, bevor jemand etwas sagen kann. Er glaubt sich schuldig, weil er dieses Auto haben wollte.

    Er streckt dem Papa die Hand entgegen: »Ich habe ja schon ein Auto, ich brauche das nicht«, schaut zu ihm auf: »Wenn es dir nicht gefällt, möchte ich es sowieso nicht.«

    In diesem Moment kommt Ricardos Vater hinzu. »Mama ist einverstanden« und zu Fabian gewendet: »Du darfst gerne kommen und heute bei uns schlafen. Ich warte am Tisch bei der Scooter-Bahn auf euch.«

    Die Worte von Ricardos Vater haben die Spannung etwas gelöst, sodass sich Robertos Gesicht ein bisschen aufhellt, als er Fabian die Hand hinstreckt: »Komm, wir kaufen das Auto, dann kannst du heute bei Ricardo damit spielen.«

    »Gefällt es dir denn auch, Papa?« Fabian schaut dabei auf die Hand seines Vaters, die verkrampft das Auto umklammert, als wolle er es zerquetschen. Fabian greift mit der Hand an seine ballernde Brust.

    Roberto dreht das Auto dreimal um und meint: »Jein. Von vorne gefällt es mir«, er wendet es nochmals: »Von hinten finde ich es unerträglich, obwohl es sehr speziell ist, mit diesen drei roten Strichen als Stopplichter auf beiden Seiten des bulligen Hecks.«

    Roberto hat inzwischen am Stand das Auto bezahlt. Nun drückt er es Fabian genau dort an die Brust, wo es diesen schmerzt: »Es gehört dir. Pass darauf auf, es ist ein ganz spezielles Auto, mit einer eigenartig zuckersüßen Farbe.«

    Sein Gesicht verzieht sich dabei, als ob er in eine saure Zitrone beißen würde. Er ergreift Fabians Hand und sagt zu Ricardo gewendet: »Kommt, ich zeige euch etwas.« Er führt sie drei Stände weiter, wo Süßwaren angeboten werden.

    »Fabian, schau hier, diese farbigen kandierten Früchte, die du ja so gerne hast.« Roberto stutzt einen Moment, als er sieht, dass Fabian das Auto immer noch an seine Brust drückt. Gleichzeitig bemerkt er, wie sein eigenes Herz pocht.

    »Das Auto, der rote Mustang, wurde in Amerika gebaut. In Amerika essen alle gerne Süßigkeiten, da gibt es viele kandierte Früchte, auch kandierte Äpfel.«

    Er schaut zuerst auf den roten Mustang, danach zu Fabian: »Kändi Äppel Räd. Kändi sind Süßigkeiten, wie hier der zuckersüße Überzug der Früchte. Dieser zuckersüße Überzug heißt hier ›kandiert‹. Äppel Räd ist die Farbe eines roten Apfels. Kändi Äppel Räd ist die Farbe, die genauso süßlich aussieht wie ein kandierter roter Apfel.«

    Fabian schaut das Auto an, dann wünscht er von Papa zu hören: »Und was ist ein Mustang?«

    »Ein Mustang ist ein kräftiges Pferd, das in der freien Natur lebt.« Dabei versucht er, die aufsteigende Wut zu unterdrücken. »Das einem auch davongaloppieren kann!«

    Zu Fabian gewendet: »Mustang heißt das Auto, weil es kraftvoll ist, wie die freilebenden Pferde, die Mustangs. Das ist der Mythos von der Freiheit und Unabhängigkeit in Amerika. Die Indianer benutzten die Mustangs im Kampf gegen die Weißen, die ihnen ihr Land wegnehmen wollten. Das Auto heißt aber auch darum Mustang, weil es einen Motor mit spezieller Leistungskraft hat, einen V8-Motor.«

    »Und was ist V8?«

    »V8 ist ein Benzinmotor, der acht Zylinder hat, die V-förmig angeordnet sind, vier rechts und vier links«, dabei bildet er mit seinen beiden Händen ein V.

    »Woher weißt du das alles, du hast doch gar keinen Mustang?« Fabian schaut neugierig seinen Papa an.

    »Nein, ich habe keinen Mustang, aber mein Vater hatte ein solches Kändi-Äppel-Räd-süßes Auto, der lebte viel lieber in der freien Wildnis als bei uns zu Hause. Darum kenne ich das.« In seiner Stimme klingt ein Unterton mit, der zwischen Verachtung und Begeisterung, Ablehnung und Zuneigung schwankt.

    »Ja, was denn?« Robertos Stimme klingt mürrisch, als er jetzt Fabian »Papa?« fragen hört.

    Fabian drückt sich sachte an seinen Vater: »Papa, spielst du mit mir und dem roten Mustang, wenn du aus Amerika zurückkommst? Du hast so lange nicht mehr mit mir gespielt.«

    »Ja, wenn ich zurückkomme« – ein Hustenreiz unterbricht ihn – »werde ich dir viel über den roten Mustang anvertrauen. Und ich bringe dir einen kandierten roten Apfel aus Amerika mit. Einen in echtem Kändiäppelräd.«

    Fabian lehnt sich noch stärker an ihn an und drückt gleichzeitig den roten Mustang an seine Brust. Dieses Versprechen scheint ihn zu beruhigen, er schaut zufrieden das Auto an.

    Mittlerweile sind sie bei der Scooter-Bahn angekommen, wo Ricardos Vater bereits auf sie wartet. Fabian hat schon des Öfteren bei Ricardo geschlafen, wie auch Ricardo bei Fabian.

    »Du brauchst ja noch deine Schulsachen für morgen.« Roberto streckt Fabian seine Hand hin. »Komm, wir holen sie, dann bringe ich dich zu Ricardo«.

    »Ja, bis bald bei uns zu Hause. Wir essen um sechs Uhr, schaffst du es bis dann?«, erkundigt sich Ricardos Vater.

    »Ja, bis sechs werden wir da sein«, bestätigt Roberto.

    Zu Hause angelangt, springt Fabian sofort zur Mutter: »Schau, Mama, was mir Papa geschenkt hat«, dabei streckt er ihr den roten Mustang hin.

    Die Mutter nimmt das Auto entgegen, erbleicht und schaut mit Falten auf der Stirn fragend Roberto an. Dieser zieht kurz die Schultern hoch und sagt ausweichend: »Fabian darf heute bei Ricardo schlafen. Sie wollen noch mit den Autos spielen. Er muss seine Schulsachen mitnehmen.« Darauf verzieht er sich ins Badezimmer.

    Schweigend hilft die Mutter Fabian, seine Schulsachen einzupacken und auch gleich die Schulkleider für morgen anzuziehen. Roberto fährt ihn danach zu Ricardo.

    »Du weißt ja, dass ich morgen für drei Wochen nach Amerika fliege. Ich werde abends mal anrufen, um zu hören, wie es dir geht.« Er öffnet die Autotür, steigt aus, läuft ums Auto herum und umarmt Fabian flüchtig.

    »Wieso bist du so kalt, Papa?«, fragte Fabian nach der kurzen Umarmung und schaut dabei auf den Boden.

    »Das meinst du nur. Ich friere nicht, es ist doch echt warm heute.« Dabei streckt er ihm den roten Mustang entgegen: »Pass auf ihn auf beim Spielen, es ist ein mega spezielles Auto.« Bei diesen Worten kneift er seine geröteten Augen zusammen. »Jetzt geh hinein, damit du rechtzeitig beim Essen bist. Tschüss.«

    Fabian schaut noch mal zurück und winkt mit dem roten Mustang in der Hand. Eine dumpfe Angst überkommt ihn, als er seinen Papa ins Auto steigen sieht. Er möchte zu ihm springen, mit nach Hause fahren, doch er kommt nicht vom Fleck. Angsterfüllt bleibt er stehen und sieht zu, wie das Auto wegfährt, dann sieht er es nur noch von hinten, bis es in der Kurve verschwindet.

    »Ich denke, es geht Papa und Mama besser, wenn wir zwei heute nicht zu Hause sind«, sagt er zum roten Mustang. Seitdem er im Traum aus dem Bett gestürzt ist, belastet ihn eine stetig heftiger werdende Furcht, es könnte ein Unheil geschehen. Irgendetwas, gegen das er sich nicht wehren kann.

    Roberto und Margrit sitzen nach dem Abendessen noch am Tisch. Obwohl Margrit ihr Beruhigungsmittel geschluckt hat, ist sie aufgewühlt, rutscht verstört auf dem Stuhl herum. Sie hat sich einen Kaffee zubereitet und er nippt am dritten Glas Bier. Bedrückende Stimmung. Roberto ist angespannt und gereizt, wie so oft in den letzten Jahren. Margrit getraut sich kaum, etwas zu sagen oder zu fragen, denn sie kennt seine launischen und oft verletzenden Reaktionen. Schweigend sitzen sie am Tisch. Morgen wird er im Auftrag seines Arbeitgebers für drei Wochen nach Amerika reisen, wie schon im letzten Jahr.

    Margrit versucht Roberto anzuschauen. Sorgenfalten auf der Stirn, beide Ellenbogen auf den Tisch gestützt, die Kaffeetasse mit den Händen umfassend, flüstert sie kummervoll: »Fabian vermisst dich sehr.«

    Roberto trinkt sein Bierglas aus, schaut auf und fragt mit empörtem Unterton: »Hat er das gesagt?«

    »Nein, aber das sieht doch jeder.«

    »Ach, was du alles siehst! Hör endlich auf damit. Ich bin doch so gut wie jeden Tag hier. Dass ich jetzt drei Wochen beruflich wegmuss, ist doch nicht tragisch, da kann ich ja nichts dafür. Meine Berufskollegen sind viel häufiger weg als ich.«

    »Er vermisst dich auch dann, wenn du da bist«, und mit vorwurfsvollem Klang in der Stimme fährt sie fort: »Auch wenn du nach Hause kommst, bist du nicht da. Wenn ein neunjähriger Sohn seinen Vater fragt, ob er schon mal in seinem inneren Dschungel gewesen sei, dann ist das alarmierend. Hörst du nicht die Glocken? Warum willst du das nicht sehen? Genügen wir dir nicht mehr? Es scheint, dass wir dir nur noch zur Last fallen.«

    »Ich habe weder eine Krankheit, noch brauche ich eine Psychotherapie. Und wenn, dann sicher nicht von einem Neunjährigen, der vom Dschungel träumt und dabei aus dem Bett fällt.«

    In diesem Moment läutet das Telefon. Margrit springt auf und läuft hin.

    »Nein, nein, wir kommen ihn holen. Ja, wir fahren sofort los«, hört Roberto seine Frau sagen, bevor sie auflegt.

    »Das war die Mutter von Ricardo. Fabian sei sehr niedergedrückt, er hat Heimweh und will unbedingt nach Hause. Willst du ihn abholen?«

    Robert steht auf. »Ich bin schon unterwegs.«

    Die Ablenkung scheint ihm gelegen zu kommen, um sich nicht weiterhin diesem Gespräch und den Fragen stellen zu müssen.

    Margrit hat soeben die Küche fertig aufgeräumt, da kommt Roberto mit Fabian zurück. »Fabian hat Heimweh, er möchte lieber zu Hause schlafen«, meldet Roberto, als sie eintreten.

    Fabian, mit dem roten Mustang in der Hand, rennt zur Mutter und wehrt sich trotzig: »Nein, ich habe kein Heimweh.« Er klammert sich an seine Mama und schaut hinüber zu seinem Papa: »Ich habe Angst, dass ich wieder abstürze, darum will ich bei euch schlafen. Bitte, Mama, darf ich?«

    »Aber das war doch nur ein Traum«, beschwichtigt der Vater, »in Träumen kann alles passieren.«

    »Nein, ich bin abgestürzt, es tut mir jetzt noch weh.«

    »Du bist nicht abgestürzt, sondern nur aus deinem Bett gefallen«, widerspricht sein Vater und schüttelt dabei den Kopf.

    Fabian schweigt, obwohl er gerne noch von seinem Urwald Erlebnis berichtet hätte, doch er traut sich nicht mehr. Er kennt es aus Erfahrung: Bei dieser Stimmlage seines Vaters darf niemand ihm widersprechen, sonst explodiert er.

    Margrit versucht abzulenken: »Komm, wir suchen in deinem Zimmer einen Platz für das rote Auto.«

    Fabian platziert das Auto auf seinem Schreibtisch. »Da gefällt es mir.«

    Der Vater, an den Türrahmen gelehnt, die Hände in den Hosentaschen, belehrt ihn: »Das Auto gehört auf den Boden, da kann es nicht abstürzen. Auf den Tisch gehören deine Schulsachen, um zu lernen. Überwinde dich endlich, mehr zu lernen, statt immer nur zu spielen, sonst bringst du es nie zu etwas.«

    Margrit schaut Roberto vorwurfsvoll an: »Warum hilfst du ihm denn nie beim Lernen?«

    Roberto schüttelt herablassend den Kopf und verschwindet wortlos im Badezimmer.

    Fabian steht mit gesenktem Kopf an seinem Schreibtisch, holt mit der Hand aus, doch kann er den Impuls, das Auto mit aller Kraft vom Tisch zu wischen, im letzten Moment noch unterdrücken.

    Die Mutter besänftigt ihn: »Du kannst das Auto hinstellen, wo es dir gefällt. Die Schulsachen finden auch noch ihren Platz.«

    »Bitte, Mama, darf ich bei dir schlafen? Ich habe Angst, wieder abzustürzen.«

    »Ja, das darfst du. Morgen musst du ja früh um halb acht in der Schule sein, ich bringe dich mit dem Auto hin. Es ist schon spät, beeile dich mit dem Zubettgehen.«

    Abschied

    Robertos Reise nach Amerika

    »Leben bedingt Austausch;

    Austausch bedingt Beziehung;

    Beziehung bedingt zwei eigenständige Menschen,

    die bereit sind, im Austausch zu wachsen.

    Austausch ist Geben und Nehmen an einer Grenze,

    die sowohl trennt, als auch verbindet.«

    Fabian ist schon in der Schule, die Mutter hat ihn hingebracht. Margrit und Roberto sitzen schweigend beim Frühstück. Die Stimmung ist angespannt.

    »Wenn nach der Rückkehr dein egoistisches Verhalten immer noch so ist, werde ich nicht mehr mitmachen. Dann verlasse ich dich, Fabian und mir zuliebe.« Margrit sagt das unmissverständlich beim Abräumen des Frühstückstisches mit beherrschter und klarer Stimme, ohne Roberto dabei anzuschauen.

    »Bist du so sauertöpfisch, weil ich drei Wochen weg bin?« Robertos Frage klingt zutiefst verletzt.

    »Du bist seit Ewigkeiten weg, das weißt du ganz genau«.

    »Warum fängst du jetzt damit an, so kurz vor meiner Abreise?« Er schaut sie vorwurfsvoll an und steht dabei auf.

    »Seit Jahren versuche ich, mit dir darüber zu reden, aber du weichst ja stets und ständig

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