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Der Protestant. Historischer Roman
Der Protestant. Historischer Roman
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eBook478 Seiten6 Stunden

Der Protestant. Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Jakob Ziegler, Sohn eines Weinhändlers, erlebt als Lateinschüler in Neustadt an der Haardt und als Student in Heidelberg den Vorabend der Reformation. Zunächst in den Ängsten seiner Zeit gefangen, begegnet er dem Ablasshandel, aber auch den Humanisten, deren Ideen ihn begeistern. Als Jurist beobachtete er Martin Luther bei der Heidelberger Disputation (1518) und beim Reichstag zu Worms (1521), wird verstrickt in die Kriege gegen Franz von Sickingen (1523), gegen die Bauern (1525) und in die Verfolgung der Täufer (1527). Schließlich hat er den Mut, eigene Wege zu gehen. Er gestaltet die Umsetzung der Reformation in Hessen mit und gehört auf dem Reichstag zu Speyer (1529) zu den „Protestanten“, die unter Berufung auf ihr Gewissen gegen den Kaiser und die Mehrheit der Reichsstände ihren Glauben verteidigten.

Der historische Roman „Der Protestant“ beleuchtet die Zeit zwischen 1500 und 1529 im Südwesten Deutschlands. Die Romanfigur begegnet Persönlichkeiten, die in der Zeit der Reformation in der (Kur)Pfalz, in den Reichstädten Worms, Speyer, Landau und Straßburg sowie in Hessen eine zentrale Rolle spielten. Sein persönliches Schicksal offenbart die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit an der Wende zur Neuzeit. Anhand von Holzschnitten erhalten die Leserinnen und Leser auch einen Einblick in die damals verbreiteten Medien.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Sept. 2016
ISBN9783954286706
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    Buchvorschau

    Der Protestant. Historischer Roman - Michael Landgraf

    Dank

    Personen

    Fiktive Romanfiguren

    Jakob Ziegler / Jakobus Justus

    Hannes und Agnes Ziegler: Eltern von Jakob

    Elisabeth, Gertrud, Georg, Margret: Geschwister Jakobs

    Lenhart und Adelheid: Jakobs Patenonkel und dessen Frau in Worms

    Katharina, Albert und Martin: Wirtsleute des Schwarzen Löwen / Freund Jakobs

    Anna, Peter und Jost: Metzger / Freund Jakobs

    Meister Bertram: Schulmeister, ehemals Landschreiber von Simmern

    Magister Thomas: Lehrer an der Stiftsschule

    Eberhard und Ewald von Winzingen: Burgvögte

    Clara von Winzingen: Tochter von Burgvogt Eberhard

    Kilian Busch: Jakobs Freund seit Studientagen; Kaufhausmeister in Landau

    Clemens, Jobst und Balthasar: Mitstudenten in der Katharinenburse

    Dietrich von Handschuhsheim: Sohn des Diether von Handschuhsheim

    Lorenz: Bauernführer aus Nußdorf

    Mechthild: Frau Kilians, Tochter des Bauernführers Lorenz aus Nußdorf

    Historische Personen

    Historische Personen in Neustadt (Amtszeit)

    Schultheiß von Neustadt: Hans Forst (1501-1542)

    Landschreiber in Neustadt: Erpf Hambacher (1511-1521), Wendel Hipler (1522-1524), Eucharius Zorn (1523-1529).

    Prediger am Stift Neustadt: Sebastian Laub (um 1505), Heinrich Stoll (1523), Heinrich Mumprat (1525).

    Stiftsdekane: Johannes Dernbecher (bis 1519), Michael Weinmar (1519-1525).

    Reformatoren, Humanisten und Gelehrte

    Aquilla, Kaspar (1488-1560)

    Bader, Johannes (1487-1545)

    Brenz, Johannes (1499-1570)

    Butzer, Martin (1491-1551)

    Capito, Wolfgang (1478-1541)

    Hutten, Ulrich von (1488-1523)

    Irenicus, Franciscus / eigentlich: Fritz Franz (1495-1553)

    Jonas, Justus (1493-1555)

    Karlstadt, Andreas / eigentlich: Bodenstein (1486-1541)

    Krafft, Adam (1493-1558)

    Lambert, Franz (1487-1530)

    Luther, Martin / eigentlich: Luder (1483-1546)

    Melanchthon, Philipp / eigentlich: Schwarzerdt (1497-1560)

    Müntzer, Thomas (1489-1525)

    Oekolampad, Johannes (1482-1531)

    Osiander, Andreas (1498-1552)

    Reuchlin, Johannes (1455-1522)

    Schlick, Arnolt (1460-1521)

    Schnepf, Erhard (1495-1558)

    Schwebel, Johann (1490-1540)

    Zwingli, Huldrych (1484-1531)

    Herrschende

    Kaiser Maximilian (1459-1519)

    Kaiser Karl V. (1500-1558)

    König Ferdinand, Erzherzog von Österreich, König von Böhmen, Ungarn und Kroatien (1503-1564)

    Kurfürst Philipp von der Pfalz, genannt: der Edelmütige (1448-1508)

    Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz, genannt: der Friedfertige (1478-1544)

    Pfalzgraf Friedrich II. (1482-1556), Bruder von Kurfürst Ludwig V.

    Pfalzgraf Wolfgang (1494-1558), Bruder von Kurfürst Ludwig V.

    Bischof Georg von Speyer (1486-1529), Bruder von Kurfürst Ludwig V.

    Bischof Heinrich von Worms und Utrecht (1487-1552), Bruder von Kurfürst Ludwig V.

    Kurpfälzischer Kanzler Florenz von Venningen (1466-1538)

    Herzog Ulrich von Württemberg (1487-1550)

    Kurfürst und Erzbischof Albrecht von Mainz, Bischof von Brandenburg und Halberstadt (1490-1545)

    Reichsritter Franz von Sickingen (1481-1523)

    Kurfürst Friedrich von Sachsen, genannt: der Weise (1463-1525)

    Kurfürst Johann von Sachsen, genannt: der Beständige (1468-1532)

    Sächsischer Kanzler Gregor von Brück (1484-1557)

    Landgraf Philipp von Hessen, genannt: der Großmütige (1504-1567)

    Päpste (Amtszeit)

    Alexander VI. Borgia (1492-1503)

    Julius II. (1503-1513)

    Leo X. Medici (1513-1521)

    Hadrian VI. (1522-1523)

    Clemens VII. Medici (1523-1534)

    Weitere historische Personen

    Reuter, Elisabeth (1450-1518), Melanchthons Großmutter

    Schwarzerdt, Barbara (1476-1529), Melanchthons Mutter

    Otmar, Johann, Druckermeister (um 1460 bis um 1515)

    Otmar, Silvan, Druckermeister (1481-1540)

    Cajetan, Thomas (1469-1534), Ordensgeneral der Dominikaner

    Eck, Johann (1486-1543), Theologieprofessor in Ingolstadt

    Aleander, Girolamo (1480-1542), Gesandter des Papstes

    Cochläus, Johannes (1479-1552), Reformationsgegner

    von der Ecken, Johann, Jurist des Erzbischofs von Trier (?-1524)

    Sturm, Kaspar, Reichsherold (1475-1552)

    Diether VI. von Handschuhsheim (1482-1521)

    Täufer

    Denck, Hans (1495-1527)

    Hätzer, Ludwig (1500-1529)

    Hubmayer, Balthasar (1480-1528)

    Kautz, Jakob (1500-1532)

    Manz, Felix (1498-1527)

    Rinck, Melchior (1494-1545)

    Sattler, Michael (1490-1527)

    Der Stammhalter Anno 1500

    Lärm drang aus dem Hof der Familie Ziegler. Nachts hörte man sonst in den Gassen von Neustadt nur Wachhunde bellen oder den Nachtwächter die Stunde ansagen.

    „Nimm endlich die Beine in die Hand und schaff die Hebamme her!", polterte eine Stimme. Das geschlossene Tor des Stadthofes wurde aufgeschoben und ein junger Knecht stürmte los.

    Der Lärm weckte die Nachbarschaft. Manch einer schaute neugierig aus dem Fenster oder kam auf die Straße. Der Nachtwächter eilte vom nahen Marktplatz herbei, wo er gerade seine Runde drehte. Er wollte der Ursache des Lärms auf den Grund gehen und spähte durch das halboffene Tor. Im langgezogenen Hof waren jedoch nur im Dunklen huschende Gestalten zu sehen. Als sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, sah er Mägde, die aus dem Brunnen Wasser holten.

    Inzwischen war der Türmer auf dem nahe gelegenen Südturm der Stiftskirche auf den Lärm aufmerksam geworden. Von seiner Plattform in schwindelerregender Höhe spähte er nach unten. War die Ursache des Lärms ein Feuer, vor dem er die Einwohner der Stadt warnen musste? So angestrengt er auch schaute – es waren nur ein paar Fackeln vor dem Hof der Zieglers zu sehen.

    Schon kam die Hebamme mit dem Knecht über den Marktplatz gelaufen. Sie trug noch ihr Nachthemd unter dem Mantel, das im schnellen Lauf immer wieder weiß hervorblitzte.

    Als der Nachtwächter die Hebamme sah, schloss er, dass es sich wohl nur um die Geburt eines Kindes handelte. Mürrisch raunte er in die Menge, die sich inzwischen versammelt hatte: „Geht wieder ins Bett! Kinder werden jeden Tag geboren. Das ist nichts Besonderes."

    Die Nachbarn nickten und schlurften müde nach Hause. Sie wuss­ten, dass Agnes Ziegler schwanger war. Es war bereits das dritte Kind, das sie zur Welt bringen sollte.

    Die Wirtsfrau Katharina, die mit Agnes befreundet war, blieb stehen. Zu ihrem Mann Albert, mit dem sie die Wirtschaft Zum Schwarzen Löwen betrieb, sagte sie: „Geh wieder nach Hause und schlaf weiter. Morgen ist ein langer Tag. Das hier ist Frauen­sache!"

    Albert war sowieso nur widerwillig seiner Frau aus dem Bett gefolgt. Es war spät gewesen, als die letzten Gäste die Wirtschaft verlassen hatten. Müde nickend trottete er in das am Marktplatz gelegene Wirtshaus. Die Familie bewohnte die Kammern unter dem Dach.

    Katharina blieb vor dem Tor des Hofes stehen und wartete, bis die Hebamme mit ihrer Arbeit begonnen hatte. Sie wusste, was in der Gebärenden vor sich ging. Die Wirtsfrau hatte selbst bereits drei Kindern das Leben geschenkt. Geburten waren immer ein Risiko für eine Frau. Wenn das Kind falsch im Körper seiner Mutter lag, bedeutete das oft für beide den Tod. Auch wusste sie, dass Frauen im Kindbett Fieber bekommen konnten. Sie hatte bei der Geburt ihres Sohnes Martin im Fieber gelegen. Drei Tage hatte sie zwischen Leben und Tod geschwebt. Wenn Agnes sich nicht Tag und Nacht um sie gekümmert hätte – weiß Gott, ob sie heute Nacht hier stehen würde.

    Katharina und Agnes sprachen oft am Waschplatz der Stadt am nahen Speyerbach über das, was sie bewegte. Die beiden ersten Kinder von Agnes waren Mädchen – Gertrud und Elisabeth. Sie waren inzwischen zwei und vier Jahre alt. Doch es waren eben nur Töchter. Es fehlte der Sohn, der Stammhalter, auf den ihr Mann Hannes und sie sehnsüchtig warteten.

    Hannes Ziegler war ein Kaufmann, der mit Wein aus der Region handelte. In Neustadt lag die Kellerei des Kurfürsten, dem die kurpfälzischen Winzer der Umgebung ihren Zehnten abführten. Gerne hätte er auch Aufträge der Kellerei übernommen, doch für die alteingesessenen Patrizier galt er noch als Emporkömmling. Seine Familie lebte zwar in dritter Generation in der Stadt, stammte jedoch aus dem Bauernstand. Daher musste er auf sein Geschick im Verhandeln mit den Winzern hoffen und war oft auf Handelsreisen.

    Nicht immer gelang es ihm, einen guten Gewinn zu erzielen. Zu viele Grenzen und Zollstationen gab es, die den Ertrag schmälerten. Doch wenn ihm einmal ein guter Handel gelang, wurde er oft trübsinnig. Nicht nur einmal sinnierte er im Schwarzen Löwen: „Was nützt mir die ganze Arbeit, wenn kein Stamm­halter da ist, der einmal das Ganze übernimmt?"

    Das hörte auch Katharina, die Freundin seiner Frau.

    *

    Während die Wirtsfrau weiter durch das Tor spähte, erinnerte sie sich. Bei der Geburt seiner zweiten Tochter Gertrud hatte Hannes nur müde gelächelt, als die Hebamme ihm verkündete: „Deine Frau hat dir ein gesundes Mädchen geschenkt. Sie hat die Geburt gut überstanden. Du kannst der heiligen Margareta danken."

    Hannes kniete daraufhin nieder und folgte dem Brauch, der Schutzheiligen für Gebärende zu danken. Doch murmelte er am Ende des Dankgebetes: „Egal, wie gesund das Kind ist. Eine Tochter ist kein Sohn."

    Die Hebamme schüttelte den Kopf. Sie kannte solche Reaktionen. Ungehalten schob sie Hannes in das Zimmer, in dem seine Frau auf ihn wartete. Als Agnes ihren Mann in die Stube kommen sah, spürte sie seine Enttäuschung. Zaghaft berührte er seine Tochter, doch es wirkte wenig herzlich.

    Agnes wusste, wie ausgelassen Hannes sich freuen konnte. Bei einem Sohn hätte er einen Freudentanz aufgeführt, zur Laute gegriffen und Musiker aus der Nachbarschaft zusammengerufen. Der beste Wein wäre aus dem Keller geholt worden. Hannes hätte die ganze Stadt in den Hof einladen, um mit ihm zu feiern. Doch stattdessen bereitete er im Lagerhaus eine Lieferung Wein vor, die nach Speyer gehen sollte.

    Immer wenn Hannes seither von der Zukunft sprach, stieg Angst in Agnes auf. Ihre Angst wurde schlimmer, als sie hörte, was einer Frau in der Nachbarschaft widerfahren war, die sieben Töchter und keinen Sohn hatte. Ihr Mann war überraschend gestorben. Nach dem Gesetz hatten es Frauen und Töchter schwer, an das Erbe heranzukommen. Erst durch das Eingreifen eines Zunftmeisters, der für sie das Erbe verwalten sollte, konnte das Schlimmste verhindert werden.

    Agnes ging täglich in die Kirche und betete, ihr sehnlichster Wunsch möge bald in Erfüllung gehen. In ihrer Not hatte sie Hannes im letzten Jahr dazu gebracht, der Stiftskirche einen größeren Betrag zu spenden. Damit war aber ein Großteil ihrer Rücklagen aufgebraucht. Auch das belastete die Ehe der beiden.

    Die Wirtin sah, dass im Hof Ruhe eingekehrt war, und ging durch das Hoftor. Während die Hebamme in der Schlafkammer bei der werdenden Mutter war, wartete Hannes draußen im Hof. Er rich­tete seinen Blick immer wieder nach oben zur Stube. ­Katharina nickte dem Hausherrn zu, der sie anlächelte. „Sei ge­grüßt", brummte er. Mehr konnte er in seiner Anspannung nicht sagen.

    Die Wirtsfrau ging ins Haus. Über eine Stiege kam sie in die Stube. Zwei Mägde warteten auf Anweisungen der Hebamme. Aus der Schlafkammer hörte sie das Stöhnen der Gebärenden. Mit ruhiger Stimme redete die Hebamme auf sie ein. Katharina betrat die Kammer und blickte in das Gesicht von Agnes. Es war von Schweißperlen bedeckt. Sie suchte den Blick ihrer Freundin einzufangen, doch die schaute ihr nur kurz in die Augen. Dann forderte die Hebamme Agnes auf, zu pressen.

    Wenige Augenblicke später erblickte ein Junge das Licht der Welt. Als Agnes hörte, dass sie einen gesunden Sohn geboren hatte, fiel sie erschöpft auf ihr Lager und lächelte.

    Schnell verbreitete sich die Nachricht auf dem Hof. Wie von Agnes erwartet, tanzte Hannes voller Freude im schmalen Innen­hof umher. Ein Knecht holte die Knochenflöte aus seinem Gür­tel­beutel und spielte eine Melodie, die er aus dem Wirtshaus kannte.

    „Bring den besten Wein, rief Hannes seinem anderen Knecht zu. „Hol die Leute von der Straße, damit sie mitfeiern.

    Doch vor dem Tor stand nur noch der Nachtwächter, der gerne einen Schoppen nahm und wohlgelaunt Hannes beim Tanz zuschaute.

    Währenddessen setzte sich Katharina auf das Bettlager ihrer Freundin und hielt ihre Hand. Die Augen geschlossen, erwiderte Agnes den Händedruck.

    Die Hebamme ließ Hannes holen. Der stand wenig später im Türrahmen der Schlafkammer. Seine große Gestalt wirkte mäch­tig in dem kleinen Raum. Aufgeregt und den Kopf rot vom nächtlichen Tanz blickte er sich um und entdeckte das bereits in Leinentüchern verpackte Kind.

    Wie bei der letzten Geburt richtete die Hebamme Worte an den Vater.

    „Deine Gebete wurden erhört – du hast einen gesunden Sohn. Vergiss nicht, dem Herrn und der heiligen Margareta dafür zu danken!"

    Freudig rief Hannes: „Und wie ich der heiligen Margareta danken werde!"

    Lächelnd schaute er zu seiner Frau, doch er hatte nur noch eines im Sinn: Er wollte seinen Sohn endlich in die Arme schließen. Unsicher nahm er mit seinen kräftigen Händen das Bündel und legte es auf seinen Arm. Wieder schaute er zu seiner Frau, die gerade die Augen öffnete. Als sich ihre Blicke trafen, wusste sie, was ihr Mann empfand, und lächelte. Von beiden war eine große Last abgefallen.

    *

    Agnes verbrachte einen Tag im Bett und schlief viel. Dann konnte sie zumindest wieder in der Stube auf und ab gehen. Als Hannes sich bei einer Brotzeit zu ihr setzte, fragte sie: „Bist du einverstanden, dass mein Bruder Lenhart Taufpate wird?"

    „Natürlich bin ich damit einverstanden. Ich schicke sofort einen Knecht nach Worms. Wenn dein Bruder sich gleich auf den Weg macht, kann das Kind am 25. Juli getauft werden."

    „Das ist der Jakobstag. Jakob wäre ein guter Name für unser Kind."

    „Besser als noch ein Hans oder Hannes, scherzte Hannes. „Davon laufen bei uns in Neustadt einfach zu viele herum.

    Er dachte an seinen Freund aus Kindertagen, Hans Forst, der dem Stadtrat angehörte. Der machte sich einen Spaß daraus, dass von den zwölf Ratsherren Neustadts sieben den Namen Hans trugen. Hannes wäre stolz gewesen, wenn sein erstgeborener Sohn wie er hieße. Doch folgte er in diesem Fall gerne der Sitte, dem Kind den Namen eines Heiligen zu geben, an dessen Gedenktag die Taufe lag.

    „Der heilige Jakobus ist wirklich ein guter Namenspatron, befand Hannes. „Der war viel unterwegs und kam bis ans Ende der Welt. Das ist ein gutes Omen für einen, der später einmal ein Händler werden soll. Wenn der kleine Jakob alt genug ist, werde ich vielleicht mit ihm aus Dank für seine Geburt eine Wallfahrt zum Grab des Apostels machen.

    „Das liegt doch, wie du gesagt hast, am Ende der Welt, im fernen Spanien!, sagte Agnes sorgenvoll. „Du kennst doch die Berichte der heimgekehrten Jakobspilger.

    Hannes erinnerte sich an so manchen Reisebericht, den er im Schwarzen Löwen gehört hatte. Für die Strecke bis Santiago de Compostela konnte man mehr als ein Jahr brauchen. Die Reise war mit Gefahren verbunden. Viele Pilger wurden ausgeraubt und von manchen hörte man nie wieder etwas.

    „Wir werden sehen, wohin es unseren Jakob verschlägt", sagte Hannes. Bereits seit seiner Jugend träumte er davon, einmal bis ans Ende der Welt zu reisen. Nicht allein, um für sich und seine Familie Verdienste im Himmel zu erwerben, wie es die meisten Pilger taten. Er war einfach nur neugierig auf die Welt. Außerdem gab es dann ja auch die Chance, neue Handelskontakte zu knüpfen. Begehrt war der Rheinwein schließlich im gesamten Reich, zu dem auch Spanien gehörte.

    Hannes jedoch wusste, dass dies für ihn nur ein Traum war. Er hatte eine Familie zu versorgen. Ihm blieb die Hoffnung, mit seinem Sohn vielleicht einmal eine lange Reise zu unternehmen.

    *

    „Ich muss noch zum Stadtschreiber, um das Kind zu melden, sagte Hannes, als er fertig gegessen hatte. „Außerdem möchte ich Hans Forst besuchen, ihn zur Tauffeier einladen und mit ihm etwas besprechen.

    „Heißt besprechen, dass ihr ins Wirtshaus geht und irgend­welchen Unfug anstellt? Wenn dem so ist, möchte ich dich bitten, das mir zuliebe nicht zu tun. Ich bin froh, wenn du bald wieder bei mir bist."

    „Ist gut – anscheinend haben Hans und ich einen schlechten Ruf?"

    „Das kann man sagen", lachte Agnes und gab ihrem Mann zum Abschied einen Klaps auf den Rücken.

    Als Hans und Hannes waren die beiden schon als Kinder der Schrecken der Nachbarschaft gewesen. Doch seit Hans Forst Ratsherr war und Hannes ein angesehener Weinhändler, waren sie wesentlich gesitteter geworden, wenngleich ihnen der Schelm noch oft genug im Nacken steckte.

    Hannes ging über den Marktplatz und spürte die Wärme des heißen Sommertags. Er liebte die schwüle Hitze, die durch die Luftfeuchte des nahen Oberrheins entstand. Manchmal scherzte er, in seiner Ahnengalerie müsse wohl ein Römer stecken, der immer frohlockte, wenn es warm wurde.

    Die Liebe zu solchem Wetter hatte aber auch Gründe geschäftlicher Natur, von denen er gerne seinen Kunden vorschwärmte.

    „Die Güte unseres Weines hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das sind die stabile Wärme und die Luftfeuchte am Oberrhein. Hinzu kommt, dass es am Haardtrand satte Böden gibt. Die nahen Berge helfen mit, dass der Wein prächtig gedeiht. Sie schützen ihn vor dem Frost, da sie die kalte Luft über die Reben hinwegleiten. Das alles hatten bereits die Römer erkannt, die uns den Wein als Erbschaft hinterließen."

    Hannes erntete immer Beifall für seinen Vortrag. Dabei spürte er, dass der Hinweis auf die Römer bei Gelehrten, Künstlern, Adligen und bei manch einem Bürger gut ankam. Viele interessierten sich für die Antike, die Zeit der Römer und Griechen. So mancher ging sogar so weit, seinen deutschen Namen ins Lateinische oder Griechische zu übertragen.

    Nun, da sein Sohn auf der Welt war, überlegte auch Hannes, ob er dies tun solle. Er sprach einen Stiftsgeistlichen darauf an. Der Hinweis auf die Stiftung an die Kirche im letzten Jahr und ein Schoppen Wein ermunterten den Kleriker, ihm weiterzuhelfen.

    „Nennt Euch doch Figulus", schlug der Geistliche vor. „Das bedeutet Töpfer. Im alten Rom stellten Töpfer sowohl Ziegel her als auch Amphoren für den Wein. Na, wenn das nicht passt."

    Hannes fand die Idee gut, doch wollte er das noch mit Hans Forst besprechen. Er hielt viel vom Rat seines Freundes.

    „Ich habe leider wenig Zeit, bedauerte Hannes, als er seinen Freund in dessen Eckhaus am Ende der Hauptstraße Neustadts antraf. „Ich muss noch zum Stadtschreiber. Außerdem will Agnes, dass ich bald wieder nach Hause komme. Ich wollte dich zur Taufe meines Jungen am Jakobstag einladen. Vielleicht hast du ja auch am Abend zuvor noch ein wenig Durst. Da möchte ich mit dir und meinem Schwager Lenhart auf die Ankunft meines Erben anstoßen.

    „Nichts lieber als das", lachte der Ratsherr.

    „Ich wollte aber noch etwas mit dir besprechen, bevor ich zum Stadtschreiber gehe, sagte Hannes. „Was hältst du davon, wenn ich meinen Namen ändern lasse? Ein Geistlicher meinte, der Name Ziegler könne auf Latein mit Figulus übersetzt werden.

    Hans Forst prustete: „Hannes Figulus? Im Ernst? Ich weiß ja, dass du Interesse an den Römern hast. Aber jetzt geht mit dir wohl ein römischer Gaul durch. Was sollen die Bauern denken, mit denen du Handel treibst, oder die einfachen Bürger, die deine Nachbarn sind?"

    Hannes hatte nicht mit dieser schroffen Reaktion gerechnet.

    Der Ratsherr erklärte weiter: „Im Stadtrat von Neustadt gibt es nur einen, der das getan hat. Jetzt heißt er Lorenz Pistor statt Bäcker. Mancher hat schon seinen Spaß mit dem neuen Namen gemacht – was bei Pistor wahrlich nicht schwer fällt. Ganz ehrlich, mein Freund: Wenn du ein Gelehrter wärst, würde ich das für angemessen halten. Einfache Bürger wie du sollten sich jedoch keinen lateinischen Namen geben."

    „Offen und ehrlich – das liebe ich an dir, sagte Hannes. „Gut, ich werde meinen Sohn unter dem Namen Jakob Ziegler eintragen lassen.

    Auch Hans Forst hatte seinem Freund etwas mitzuteilen.

    „Bevor du gehst und es vielleicht über andere erfährst: Man hat mir das Amt des Schultheißen angetragen. Ich soll es im nächsten Jahr übernehmen."

    Hannes sah ihn erstaunt an. „Das ist eine große Ehre! Dann haben wir ja doppelt zu feiern. Wie ist das, wenn du etwas ausfrisst? Kommst du dann bei dir selbst vor Gericht?"

    Hans Forst lachte. „Ich kann mir noch nicht recht vorstellen, was da auf mich zukommt. Aber ich freue mich, dass mich der Kurfürst für die Aufgabe vorgesehen hat. Es gehen also auch ein paar Runden auf mich."

    *

    Am Tag vor der Taufe waren die Mutter von Agnes und ihr Bruder Lenhart aus Worms eingetroffen. Lenharts Frau war im siebten Monat schwanger und wollte das Risiko der beschwerlichen Reise nicht eingehen.

    Für Agnes war es das erste Familienfest, zu dem ihre Verwandten nach Neustadt kamen. Ihre Trauung hatte in Worms stattgefunden. Bei der Taufe ihrer Töchter hatte Hannes nicht so ein Aufsehen machen wollen.

    Beim Anblick der Verwandten von Agnes erinnerte sich ­Hannes daran, wie er einst seine Frau kennengelernt hatte. Die Kurpfalz hatte mit den freien Reichsstädten Worms, Speyer und Landau Handelserleichterungen vertraglich geregelt. Der Rheinische Gulden war die gemeinsame Währung. Als junger Mann hatte Hannes seinen Vater auf Handelsreisen begleitet, die sie oft nach Worms führten. Dabei hatte er Agnes kennengelernt. Sie war die Tochter eines Küfermeisters, vom dem sein Vater Fässer bezog.

    Wäre es nach dem Willen seines Vaters gegangen, hätte er Agnes nicht zur Frau bekommen. Der hatte nämlich die Tochter eines Straßburger Weinhändlers im Sinn gehabt, mit dem er neue Handelskontakte aufbauen wollte. Doch Hannes war hartnäckig geblieben und hatte darauf bestanden, Agnes zu heiraten. Die Hartnäckigkeit hatte seinem Vater gefallen. Ein zweiter Grund, warum er dann doch eingewilligt hatte: Durch die Verbindung zum Küfermeister aus Worms kam er leichter an Weinfässer heran. Am Ende waren alle zufrieden gewesen.

    Auch Agnes erinnerte sich an die Zeit, als Hannes um sie geworben hatte. Bis heute war er ein stattlicher Mann, der gerne seine Muskeln zeigte, wenn er ein Weinfass in die Höhe hob. Was ihr am meisten gefallen hatte, war sein herzliches Lachen und dass er trotz seiner kräftigen Hände die Laute spielen konnte.

    Dann dachte sie aber auch daran, wie schnell sie beide die volle Verantwortung hatten übernehmen müssen. Noch im Jahr ihrer Hochzeit war ein harter Winter gekommen. Ein schlimmes Fieber hatte die Eltern von Hannes dahingerafft. Seither mussten sie den Betrieb allein stemmen – ein hartes Leben, besonders seit die Kinder da waren.

    *

    Am Abend vor der Taufe gingen Hannes und Lenhart zum Schwarzen Löwen. Dort wartete Hans Forst auf die beiden. Lenhart kannte das Wirtshaus bereits. Nach dem Tod seines Vaters vor einem Jahr hatte er die Küferei übernommen und reiste öfter her – auf der Suche nach Eichenholz für den Bau von Fässern. Da der Wald zwischen Neustadt und Kaiserslautern voller Eichen war, nutzte er seine Familienkontakte, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.

    Albert, der Wirt des Schwarzen Löwen, und seine Frau ­Katharina freuten sich am Tag vor der Taufe über die Spendierfreude von Hannes und Hans. Großzügig gaben sie den anderen Gästen ebenfalls einen Schoppen des guten Weins aus. Hannes und Hans waren aber auch vorzügliche Musikanten. Während Hannes die Laute spielte, trug Hans mit lauter Stimme Lieder vor. Lenhart begleitete die Melodie mit seiner Holzflöte, die er selbst geschnitzt hatte. Für alle im Gasthaus war es ein schöner und langer Abend.

    Doch er hatte Folgen. Am nächsten Morgen kamen Hannes und Lenhart kaum aus den Federn. Agnes musste ihnen die Decke wegziehen und mit Wasser nachhelfen.

    „Wer lange feiert, darf sich morgens nicht wundern!", rief Agnes laut.

    Sie richtete für ihren Gemahl und ihren Bruder das Frühstück. Da sie gewusst hatte, was auf sie zukam, hatte sie am Tag zuvor in Salz eingelegte Fische besorgt, die die beiden gierig verschlangen.

    Als die Taufgesellschaft sich auf den Weg in die Stiftskirche machte, waren die Ringe unter den Augen der beiden Männer noch deutlich zu erkennen. Vor ihnen erhoben sich die mächtigen Türme der Stiftskirche. Viel zu groß wirkte das Gotteshaus für das beschauliche Neustadt.

    Den Grund für dessen Größe kannte jeder im Ort. Nicht die Bürger der Stadt hatten sie geplant, sondern deren Stifter, die Pfalzgrafen bey Rhein. Kurz nach der Grundsteinlegung der Kirche anno 1356 hatten sie sich Kurfürsten nennen dürfen.

    Als die Bürger von der geplanten Größe der Kirche hörten, waren viele gegen den Bau. Schließlich mussten dafür ja der Friedhof und einige Bürgerhäuser weichen. Doch verbanden andere damit auch die Hoffnung, dass Neustadt in seinem Ansehen steigen würde. Die Stiftskirche war nämlich zu dem Zweck gebaut worden, dass darin täglich für das Herrscherhaus der pfälzischen Wittelsbacher gebetet würde. Den Chorraum der Kirche hatte die Herrscherfamilie als Grabstätte vorgesehen.

    Der Rat der Stadt glaubte damals noch, Neustadt könnte so zum Zentrum der Kurpfalz werden. Dafür sprachen unter anderem die vielen Reliquien, die die Kurfürsten ihrer Kirche spendeten. Unzählige Pilger erwartete man daher in der Stadt. Die Händler hofften auf große Einnahmen, wenn die Kurfürsten ständig in der Stadt residierten.

    Doch kaum war der Bau der Stiftskirche vollendet, kam es anders. Kurfürst Ruprecht III., der anno 1400 zum deutschen ­König Ruprecht I. gewählt wurde, kehrte Neustadt den ­Rücken. Er machte stattdessen das Heidelberger Schloss zu seiner Hauptresidenz. Als neue Grablege der Fürsten wurde dort die Heiliggeistkirche gebaut.

    Agnes sah hingegen in der Stiftskirche kein Symbol verlorener Macht wie manch alteingesessener Bürger. Sie kannte den Wormser Dom aus ihrer Kindheit – und der war ihr düster und kalt vorgekommen. Die Stiftskirche hingegen liebte sie, weil warmes Licht durch die spitzen Bögen der Fenster strömte und der bunt bemalte Sandstein Wärme ausstrahlte. Sie war beeindruckt von den Wandmalereien, die Heilige und die kurfürstliche Familie darstellten, und von den filigranen Schlusssteinen, die Symbole des christlichen Glaubens offenbarten.

    Unter einem der Schlusssteine stand ein Seitenaltar, an dem Agnes zu beten pflegte. Wenn sie nach oben sah, erblickte sie die dort dargestellte Hand Gottes. Diese schien sie zu mahnen: „Achte auf dein Leben und auf das deiner Kinder."

    *

    Die Familie betrat die Kirche durch das Portal an der Westseite. Hans Forst, der ebenfalls Ringe unter den Augen hatte, wartete bereits.

    Am Taufbecken erwartete sie Stiftsdekan Johann Dernbecher, der seit drei Jahren diesen Dienst versah. Als Hannes die Taufe angemeldet hatte, war noch nicht klar gewesen, wer sie durchführen würde.

    Dass der Dekan die Taufe übernahm, war ungewöhnlich. Er war oft in Heidelberg und galt als enger Berater des pfälzischen Kurfürsten Philipp. Doch als Hans Forst dem Dekan einen Blick zuwarf und der Geistliche ihm zunickte, war Hannes die Sache klar. Der Stadtrat und spätere Schultheiß hatte wohl seine Finger im Spiel gehabt.

    Nach einem Gruß begann die Taufmesse. Auf Latein spulte der Priester Formeln herunter, die die Anwesenden nicht verstanden. Keiner hatte die Lateinschule besucht. Das Evangelium, das zu Beginn der Messe hochgehalten wurde, las er auf Latein. Selbst die kurze Ansprache auf Deutsch war mit lateinischen Worten gespickt.

    Hannes beobachtete die Taufgesellschaft, die nicht mehr dem Gottesdienst folgte. Alle betrachteten lieber die bunten Bilder an den Wänden. Erst als das Kind über den Taufstein gehalten und mit Wasser begossen wurde, schauten alle wieder interessiert zu.

    Hannes erinnerte sich an eine Reise nach Straßburg, wo er eine vollständige Messe auf Deutsch gehört hatte. Er war begeistert gewesen, wie der Prediger den Bibeltext für ihn verstehbar gemacht und eine Brücke zum Leben der Menschen geschlagen hatte. Seither wollte Hannes der lateinischen Messe am Sonntag kaum noch folgen und schweifte mit seinen Gedanken ab. Er plante inzwischen sogar vor dem Besuch der Messe, worüber er während des Gottesdienstes nachdenken wollte. Manchmal war es eine Reiseroute, ein anderes Mal die Strategie eines Handelsgespräches.

    Heute ärgerte es ihn besonders, dass der Gottesdienst auf Latein gehalten wurde. Es war die Taufe seines erstgeborenen Sohnes, und er wollte sich ein Leben lang daran erinnern. Er war froh, als die Messe vorbei war.

    Die Frauen und Mägde machten sich gleich auf den Weg in den Hof, um das Festessen vorzubereiten. Die Männer wollten dabei nicht stören und boten an, in den Schwarzen Löwen zu gehen.

    Als Agnes von dem Vorschlag hörte, polterte sie: „Es genügt, was ihr von gestern Abend noch im Blut habt! Später werdet ihr ja auch nicht beim Essigwasser bleiben. Vertretet euch lieber die Beine und seid in einer halben Stunde wieder da. Sonst fangen wir ohne euch an."

    Missmutig wie drei zurechtgewiesene Jungs nickten die Männer. Sie beschlossen, zu der Westmauer zu gehen. Dort hatten die Wachen neue Büchsen erhalten, die die alten Armbrüste er­setzten.

    *

    Als Hannes, Lenhart und Hans zurückkamen, hatten sie Hunger und Durst. Im schmalen Innenhof erwartete sie bereits die gedeckte Tafel. Es gab Schweine- und Gänsebraten, frisch gebackenes Brot und würzige Soßen. Krüge voller Wein wurden aufgetischt, über die sich die Männer gleich hermachten.

    „Es ist ja schon besonders, dass dein Sohn im Jahre des Herrn 1500 zur Welt kommt, sinnierte Lenhart. „Was das neue Jahrhundert bringen mag? Wenn es so aufregend weitergeht wie das alte, wird das für den kleinen Jakob spannend werden.

    „Du hast recht, Schwager. Weißt du noch, als wir vor fünf Jahren beim Reichstag zu Worms waren? Da wurde mit dem Ewigen Landfrieden wahrlich eine neue Zeit eingeläutet."

    Lenhart erinnerte sich gerne an etwas anderes. Auf dem Reichstag anno 1495 in seiner Heimatstadt hatten Hannes und er Unmengen Fässer Wein im Feldlager vor der Stadt verkauft. Das war ein satter Gewinn gewesen, von dem sie lange hatten zehren können.

    „Der Landfriede, den Kaiser Maximilian verabschieden ließ, ist für Händler ein Segen", sagte Hans Forst. „Doch leider braucht es wohl seine Zeit, bis sich alle daran halten. Viele Ritter wollen ihr altes Fehderecht nicht einfach aufgeben. Bald tagt der Reichstag in Augsburg. Dort wird darüber verhandelt, wie es damit weitergeht. Vermutlich soll bald ein Reichsgericht über Landfriedensbrecher richten."

    „Die Fehde ist besonders für Ritter eine der wenigen Einnahmequellen, gab Lenhart zu bedenken. „Sie haben kaum noch Macht und trauern ihrer alten Größe nach.

    „Mich treibt noch etwas anderes um, sagte Hannes. „Wie so oft habe ich mich heute bei der Taufe gefragt, wann sich endlich in der Kirche etwas ändert. Ich gestehe, dass ich abschalte, wenn ein Priester mit seinem Latein anfängt. Wenn ich recht beobachtet habe, ging es euch nicht anders. Viel lieber würde ich den Gottesdienst in meiner Sprache hören.

    Hans und Lenhart stimmten zu.

    „Das Problem mit der Kirche geht noch weiter", fuhr Lenhart fort. „Vor fünf Jahren war ein Ratsherr aus Nürnberg bei uns einquartiert, der viele Reichstage miterlebt hat. Er berichtete uns von Beschwerden, die er Gravamina nannte. Nach jedem Reichstag wurden sie mit einem Boten nach Rom geschickt. Als ich ihn fragte, wie der Papst darauf regiert hat, lachte der Ratsherr. Seit rund fünfzig Jahren schicke der Reichstag die Beschwerden nach Rom, aber noch nie sei eine beantwortet worden."

    „Worum ging es da?", fragte Hannes.

    „Die Fürsten und Ratsherren der Städte wollen vor allem den Ämterkauf abstellen. Um Bischof zu werden, muss man viel Geld nach Rom schicken. Damit das Geld wieder in die Kasse kommt, lassen sich die Kirchenherren im Reich einiges einfallen, um den Leuten Heller und Pfennig aus der Tasche zu ziehen."

    Hans Forst sah sich nervös um, ob jemand die Bemerkung gehört hatte.

    „Sprich leise, mein Freund. Man muss Vorsicht walten lassen bei dem, was man über die Kirche sagt. Schnell kann man heutzutage wegen ketzerischer Reden angezeigt werden. Wir müssen im Stadtrat gerade über ein Buch beraten, das in der Speyerer Druckerei Drach erschienen ist. Es trägt den Namen Hexenhammer. Da wir Ratsherren ja auch Schöffen beim Gericht sind, müssen wir über die Verfahrensfragen Bescheid wissen."

    „Den Druckermeister Peter Drach kenne ich gut", sagte Hannes. „Dem liefere ich regelmäßig Wein. Wenn ich in Speyer übernachte, sitzen wir beisammen und tauschen Neuigkeiten aus. Ich weiß daher von diesem Machwerk. Wenn jemand wegen Ketzerei und Hexerei angezeigt wird und nicht gesteht, soll gleich die peinliche Befragung beginnen."

    Hans nickte: „Ja, die Folter wird in dem Prozess anscheinend immer angewandt. Wer trotz Folter nicht gesteht, gilt dennoch als schuldig, weil ihm angeblich der Teufel geholfen hat, die Schmerzen durchzustehen."

    „Und wenn einer gesteht?"

    „Dann wird er gnädiglich verbrannt, um seine Seele zu retten."

    Hans Forst blickte nachdenklich in die Runde. „Das vermaledeite Buch hat sich schnell verbreitet. Wenn in der Kurpfalz das darin beschriebene Verfahren zur Anwendung kommt, weiß ich nicht, ob ich das Amt des Schultheißen noch haben möchte."

    „Glaubst du, die Sache wird sich durchsetzen?"

    „Ich habe die Hoffnung, dass es so weit nicht kommt. Bisher standen alle Kurfürsten und die Universität Heidelberg dem Hexenwahn kritisch gegenüber. Derzeit wird überprüft, ob der Hexenhammer nicht sogar eine große Lüge enthält. Der Autor Heinrich Kramer, der sich großspurig Henricus Institoris nennt, behauptet nämlich, das Buch sei vom Papst zugelassen. Manche Gelehrte wie der Heidelberger Professor der Rechte, Florenz von Vennigen, und viele Geistliche zweifeln daran."

    „Ob vom Papst zugelassen oder nicht: Das Buch macht mir Angst, gab Hannes zu. „Was ist, wenn jeder, der sich kritisch über die Kirche äußert oder bloß etwas verbessern will, in ein solches Verfahren gerät?

    „Noch ist es nicht so weit – und ich hoffe auf die Vernunft der Leute."

    „Doch das Buch hat bereits eine verheerende Wirkung", sagte Lenhart. „Reisende, die aus dem Norden kamen, berichteten uns von vielen Hexenprozessen und Scheiterhaufen. Das zeigt

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