Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Allahs Internet: Thriller
Allahs Internet: Thriller
Allahs Internet: Thriller
eBook433 Seiten5 Stunden

Allahs Internet: Thriller

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Burkhard Eschbach, Kriminalarchäologe des deutschen Bundeskriminalamtes, ist einem internationalen Hehlerring auf der Spur, der antike Raubkunst aus irakischen Museen im Auftrag der Dschihad-Kämpfer des IS verkaufen soll. Auch dem Wiener TV-Journalisten Heinz Kokoschansky ist manches zu Ohren gekommen. Doch die Regierung will von seinen Erkenntnissen nichts wissen. Im Zuge seiner Ermittlungen findet er Zusammenhänge zwischen den Kunsthehlern und Waffenschiebern heraus, die für den IS arbeiten. Dabei wird ihm klar, wie tief der IS in Österreich in der salafistischen Szene verankert ist. Eines Tages steht ein mysteriöses Paket mit makabren Inhalt vor seiner Tür. Es ist der Kopf eines Kollegen.
Ein knallharter, packender Kokoschansky-Thriller – Österreichs Antwort auf Michel Houllebecq.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum31. Okt. 2015
ISBN9783902784698
Allahs Internet: Thriller

Mehr von Günther Zäuner lesen

Ähnlich wie Allahs Internet

Titel in dieser Serie (5)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Mystery für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Allahs Internet

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Allahs Internet - Günther Zäuner

    Dschihad.«¹³

    Prolog - Donnerstag, 14. Mai 2015

    Regen, Regen und nichts als Regen. Dieses Sauwetter drückt auf die Stimmung. Das soll der Frühling sein? Reicht es nicht, dass die Menschen allgemein spinnen und die Politik durchdreht, muss das Wetter auch noch sonderbare Kapriolen schlagen?

    Zwar ist er beruflich in Wien, doch ein wenig private Zeit möchte er sich zwischendurch gönnen. Allerdings zu diesen Bedingungen und bei diesen Wassermassen vergeht ihm jegliche Lust.

    Es ist nicht sein erster Besuch in der österreichischen Bundeshauptstadt, daher kennt er sich gut aus. Doch einiges an Sehenswürdigkeiten steht noch auf seiner Liste. Der bald fünfzigjährige Mann mit Halbglatze, untersetzter Statur und einem nicht zu übersehenden Bauchansatz rückt seine Brille zurecht, zieht den Vorhang beiseite. Von seinem Fenster aus im Parkhotel Schönbrunn sieht er auf den Hietzinger Platz hinunter, einen der Knotenpunkte im 13. Wiener Gemeindebezirk, wo ständig der Verkehr fließt und geschäftiges Treiben herrscht. Reisebusse halten vor dem Hotel, ein neuer Schwung an vorwiegend asiatischen Touristen steigt aus. Das weltberühmte Schloss Schönbrunn, nur einen Steinwurf entfernt, genießt absolute Priorität und steht an oberster Stelle ihres Besichtigungsprogramms.

    Der allein reisende Hotelgast in seinem Zimmer blickt hinüber zum Kaiserstöckl, das genau gegenüber dem Hotel liegt und einst Gerard van Swieten, dem niederländischen Leibarzt von Kaiserin Maria Theresia, als Wohnsitz diente. Längst ist es mit dem Prunk vorbei, und das prächtige Gebäude beherbergt heute die Hietzinger Hauptpost.

    Er ist erst heute Mittag aus Maastricht in den Niederlanden angereist, aß nach seiner Ankunft einen Happen, hielt ein entspannendes Mittagsschläfchen, um sich danach auf das gleich stattfindende wichtige Treffen vorzubereiten.

    Der Mann zieht sich von seinem Beobachtungsposten zurück, blickt auf die Uhr. Gleich achtzehn Uhr. Noch ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. Die Krawatte und der Anzug sitzen perfekt, die Schuhe sind blank poliert. Repräsentation und das gewisse seriöse Auftreten sind wichtig in seinem Geschäft und oft bereits die halbe Miete zum Erfolg. Daher ist auch ein entsprechendes Hotel mit weltmännischem Flair und Ambiente notwendig, was wiederum der Verrechnungsstelle Magenschmerzen bereiten wird, wenn er seine Spesenabrechnung vorlegt.

    Er verlässt sein Zimmer, fährt mit dem Lift in die Lobby, und auf halbem Weg zur Gloriette-Bar fängt der Rezeptionist ihn ab.

    »Ein Nachricht für Sie, Herr Dr. Rüthers.«

    »Danke schön.«

    Rüthers nimmt das Kuvert entgegen, zieht den Zettel heraus und liest, dass der Termin auf neunzehn Uhr verschoben wurde. Damit hat er gerechnet. Das übliche Spielchen bei heiklen konspirativen Zusammenkünften. Es gibt immer tausend Gründe für den jeweiligen Informanten oder Geschäftspartner, dass der ursprünglich vorgesehene Ort plötzlich nicht mehr geeignet ist. Zu viele Leute, zu viel Betrieb. Meist nur ein Test, um auszuloten, ob der eventuelle Partner tatsächlich an dem sich anbahnenden Deal interessiert ist. Besonders wenn es sich um eine schwer kriminelle Aktion handelt.

    »Sagen Sie«, fragt Rüthers, »wo ist die Marxingstraße?«

    »Das ist nicht weit«, erklärt der Portier. »Wenn Sie aus dem Hotel gehen und sich rechts halten, kommen Sie nach ein paar Schritten zu der großen Kreuzung, die Sie überqueren. Dann stehen Sie schon gewissermaßen in der besagten Straße. Ein Fußweg von ein paar Minuten.«

    »Bei dem Wetter?«, bleibt Rüthers skeptisch.

    »Es hat soeben zu regnen aufgehört.«

    »Sie sind ein Optimist«, meint der Gast lächelnd.

    »Welche Nummer brauchen Sie in der Marxingstraße?«

    »Ach, das war nur eine Frage«, weicht Rüthers aus, das baldige Treffen ist zu heikel, um auch nur irgendetwas darüber auszuplaudern.

    »Wenn ich mir noch den Hinweis erlauben darf«, gibt der freundliche Hotelangestellte bereitwillig Auskunft, »diese Straße ist historisch sehr interessant. Rechter Hand, ein Stück hinauf, finden Sie das Wohnhaus von Johann Strauß, wo er die Operette Die Fledermaus komponierte. Ein paar Meter weiter, in der Gloriettegasse, sind einige wunderbare Villen aus der Gründerzeit zu sehen. Auch der Hietzinger Friedhof ist sehr interessant. Hier liegen Gustav Klimt, Otto Wagner, Katharina Schratt, die Vertraute von Kaiser Franz Joseph I., und noch einige andere große Persönlichkeiten. Leider ist um diese Zeit der Friedhof bereits geschlossen, aber vielleicht morgen?«

    »Vielen Dank für den Hinweis.«

    »Keine Ursache und noch weiterhin einen schönen Aufenthalt.«

    Rüthers kehrt in sein Zimmer zurück, überzeugt sich selbst, dass der Himmel tatsächlich ein Einsehen hat, nimmt aber zur Vorsicht einen Schirm mit, zieht auch einen leichten Mantel über und macht sich wieder auf den Weg. Die kleine, nicht geplante Verschnaufpause kommt ihm sehr gelegen, da er diesen Teil Wiens nicht kennt. Er kann dem Portier nur zustimmen. Es ist wirklich eine besonders schöne Ecke von Wien. Die Villen in dieser Gloriettegasse sind tatsächlich beeindruckend. Meist allerdings von unterschiedlichen Botschaften genutzt. Jedenfalls, die Privatleute, die hier wohnen, müssen sich am Ende des Monats bestimmt keine Sorgen um ihre Kontostände machen.

    Der neue Treffpunkt ist der »Bergwirt« am Ende der Marxingstraße, gegenüber vom Haupteingang des Hietzinger Friedhofs. Ein altes, bekanntes Gasthaus mit Hotelbetrieb, etwas abseits gelegen. Gut gewählt von seinem noch unbekannten Partner, der anscheinend sehr gut informiert ist. Immerhin geht es um ein illegales Geschäft in Millionen Dollarhöhe, bei dem neugierige Ohren unerwünscht sind. Daher ist es ein weitaus besserer Ort als eine gut besuchte Hotelbar. Rüthers merkt, dass er es mit einem Profi zu tun hat, der seinen Vorschlag nicht sofort akzeptierte. Der elegante Mann sieht sich öfters um, achtet auf Fahrzeuge und Personen. Auch er ist Profi und spürt instinktiv, dass er observiert wird. Allerdings bemerkt er nichts Verdächtiges. Auf der linken Straßenseite gibt es keine Möglichkeit, sich auf die Lauer zu legen, da hier eine Mauer, die zum Tiergarten Schönbrunn gehört, steht. Doch sie sind da, und es stört Rüthers nicht im Geringsten. Bisher ist alles bestens verlaufen. In wenigen Minuten tritt die Operation in eine entscheidende Phase, und darauf muss Rüthers sich konzentrieren.

    Zwei Minuten vor neunzehn Uhr. Er betritt den rustikalen, alten Schankraum des Bergwirts. Es ist nicht viel los. Schließlich ist ein Feiertag. Wahrscheinlich nützen viele das verlängerte Wochenende für einen Kurzurlaub. Daher ist es einfach, eine Ecke zu finden, wo es sich ungestört reden lässt.

    Rüthers legt seinen Mantel ab, stellt den Schirm in den Ständer. Wider Erwarten hat das Wetter doch durchgehalten. Der Kellner bringt die Speisekarte, doch Rüthers lehnt ab, will nur etwas trinken. Zwar hat er unbändige Lust auf ein kühles Bier, doch wahrscheinlich wäre das jetzt ein gravierender Fehler, und deshalb entscheidet er sich für Kaffee.

    »Einen großen Mokka, bitte«, bestellt er. Durch seine Aufenthalte in der Stadt hat er inzwischen gelernt, dass in Wien Kaffee nicht gleich Kaffee ist.

    Auf die Sekunde genau betritt ein jüngerer Mann, topmodisch und sehr gepflegt, das Lokal. Rüthers wartet ab, zeigt sich desinteressiert, obwohl er den Fremden nicht aus den Augen lässt, und blättert scheinbar gelangweilt in einer Zeitung. Der Gast blickt sich um, steuert dann gezielt Rüthers Tisch an.

    »Dr. Rüthers«, fragt er leise.

    »Ja. Und Sie?«

    »Saif«, kommt es noch eine Nuance leiser aus dem Munde des dunkelhaarigen Mannes mit dem sorgfältig gestutzten Vollbart.

    »Dann sind wir verabredet«, Rüthers bietet dem Mann Platz an. »Setzen Sie sich.«

    Rüthers reicht Saif die Hand, die der nur zögerlich annimmt. Ihm wurde ein Araber als Mittelsmann angekündigt ohne jedoch dessen Nationalität und weitere Angaben zur Person.

    »Sie sind mein Gast. Möchten Sie etwas essen? Was trinken Sie?«

    »Danke, nur Tee.«

    Rüthers winkt den Kellner herbei, und Saif verlangt einen Earl Grey. Obwohl er sein Gegenüber auffällig mustert, verrät keinerlei Regung in seinem eher dunklen Gesicht mit den stechenden Augen, was er denken könnte. Saif ist ein gut gewählter Codename, arabisch für Schwert. Auch Rüthers lässt sich nichts anmerken, ahnt nur, dass er möglicherweise einem direkten Repräsentanten des IS, des Islamischen Staates, in diesem Hietzinger Wirtshaus gegenübersitzt.

    »Sie sind also …«, Saif unterbricht kurz, wartet, bis der Kellner ihm seine Teetasse auf den Tisch stellt und sich wieder entfernt, »… an dem Geschäft interessiert.«

    »Mein Mandant, den ich vertrete, hat größtes Interesse«, verbessert ihn Rüthers. »Ich bin autorisiert, ihn in dieser heiklen Angelegenheit zu vertreten. Aber gestatten Sie mir eine Bemerkung. Dass Sie kein Europäer sind, sehe ich. Aber haben Sie in Europa, vorzugsweise in Deutschland, der Schweiz oder Österreich gelebt, weil Sie ein ausgezeichnetes Deutsch sprechen?«

    Natürlich mit deutlichem Akzent, doch das übergeht Rüthers.

    »Es geht ausschließlich um dieses Geschäft«, weist Saif ihn augenblicklich in die Schranken. »Alles andere ist unwesentlich.«

    Dieser Schuss, Saif etwas mehr herauszulocken, ging gründlich nach hinten los. Trotz seiner offensichtlichen Jugend ist der Mann bestens geschult und gestattet nicht den geringsten Blick in seine Karten.

    »Ist Ihr Klient überhaupt in der Lage, die geforderte Summe zu bezahlen?«

    »Das ist er.«

    »Immerhin reden wir von einer Größenordnung in Höhe von fünfundvierzig Millionen Dollar.«

    »Das ist kein Problem. Um Ihre Zweifel sofort zu zerstreuen«, Rüthers zieht ein zusammengefaltetes Papier aus seiner Sakkotasche, »das ist eine Beglaubigung der RBC Royal Bank auf den Cayman Islands, die bescheinigt, dass mein Mandant über diese Summe jederzeit verfügen kann.«

    »Darf ich sehen?« Saif studiert das Dokument in englischer Sprache sehr genau und scheint auch damit keine Schwierigkeiten zu haben. »Ich möchte das behalten und meinem Auftraggeber übergeben.«

    »Das ist bereits für Sie vorbereitet, Saif.«

    »Gut.«

    »Wer garantiert meinem Mandanten, dass es sich bei der Ware nicht um erstklassige Fälschungen handelt?«

    Zuerst folgt ein bohrender Blick wie ein Dolchstoß, danach ist Saif am Zug und präsentiert Rüthers ein Papier in arabischer Sprache, legt aber zugleich auch eine deutsche und englische Übersetzung des Schreibens vor. Diesen arabischen Wisch hat niemand Geringerer als Abu Bakr al-Baghdadi¹⁴, der Kalif, Oberhaupt des IS, geschrieben und unterzeichnet. Darin bürgt er im Namen Allahs und seines Propheten Mohammed persönlich für die Echtheit der Kunstwerke.

    »Mein Mandant wird diese exklusive Bestätigung prüfen lassen«, zeigt Rüthers sich unbeeindruckt.

    »Selbstverständlich, das steht Ihnen frei. Ebenso, wie wir die Bonität«, dabei deutet Saif auf das Bankpapier, »einer gründlichen Überprüfung unterziehen werden.«

    »Ist die Ware bereits in Europa?«

    »Ja, an einem sicheren Ort.«

    »Doch das Land werden Sie mir nicht verraten.«

    »Wenn die nötigen Formalitäten erledigt sind.« Erstmals löst etwas Ähnliches wie ein Lächeln Saifs stoischen Gesichtsausdruck ab. »Erst wenn die Überprüfungen positiv ausgefallen sind.«

    »In Ordnung. Wie verfahren wir weiter?«

    »Ich werde mich bei Ihnen melden. Sind Sie jederzeit verfügbar?«

    »Selbstverständlich. Ich bin rund um die Uhr erreichbar. Meine Nummer ist Ihnen bekannt. Natürlich ist es ein Wertkartenhandy. Ich komme auch unverzüglich an jeden Ort.«

    »Versuchen Sie niemals«, Saifs Stimme senkt sich abermals und klingt nun extrem bedrohlich, »uns in irgendeiner Form zu betrügen. Vergessen Sie niemals, wir sind bereits überall, auch in Europa. Wir trauen keinem Kāfir¹⁵. Noch brauchen wir euch für bestimmte Transaktionen. Derzeit betrachten wir Sie als Musta’min¹⁶ mit einem Amān¹⁷, einem zeitlich begrenzten Kontrakt. Doch beim geringsten Fehler Ihrerseits, und das gilt auch für Ihren Mandanten, werden Sie unverzüglich zu Harbīs¹⁸. Und wir finden euch alle. Ich denke, wir haben uns verstanden.« Abrupt steht Saif auf, wendet sich grußlos ab und stößt beinahe mit diesem Hünen zusammen, der mit seiner Frau und einem kleinen Jungen den Gastraum betreten will.

    »Pardon«, knurrt der Araber und eilt aus dem Lokal.

    »Vollkoffer«, flucht der Riese, »sind nur mehr Idioten unterwegs?«

    Doch da ist Saif bereits längst auf der Straße.

    »Wollen wir hier?«, fragt der Zwei-Meter-Mann und deutet auf einen Tisch an einem Fenster.

    Da kein Einspruch erhoben wird, setzt er sich, während die weitaus jüngere Frau dem Buben aus seiner Jacke hilft.

    »Ein wenig sitzen schadet auch nicht«, stellt er sichtlich zufrieden fest und streckt seine langen Beine von sich. »Außerdem habe ich einen Bärenhunger. Wann war ich das letzte Mal im Tiergarten? Das war noch im vorigen Jahrhundert.«

    »Mir knurrt auch gewaltig der Magen.«

    »Das ist ja ganz etwas Neues bei dir, Günther«, scherzt der Mann, der offensichtlich sein Vater ist. »Ich habe keine Ahnung, wie du das machst und alles in dich hineinstopfen kannst. Im Gegensatz zu mir, wo ich bereits nur beim Anblick von Essen zunehme. Beneidenswert! Wahrscheinlich hast du diese gute Anlage von Mama geerbt.«

    »Weil ich so viel esse«, mault der Sohn.

    »Jetzt brauchst du doch nicht gleich eingeschnappt sein«, versucht die Frau, ihn zu besänftigen. »Papa hat es nicht böse gemeint. Aber einiges hast du heute schon im Tiergarten verzwickt. Den Schokoriegel, das Eis und zu Mittag hast du auch kräftig zugelangt.«

    »Was soll ich machen, wenn ich hungrig bin?«

    »Egal, jetzt wird ordentlich gespachtelt«, bestimmt der Vater.

    »Du sollst doch nicht immer solche Ausdrücke verwenden, Koko«, mahnt ihn seine Frau, die um einiges jünger ist und seine Tochter sein könnte, »du weißt doch …« Damit will sie sagen, dass der Junge solche Wörter wie ein Schwamm aufsaugt und diese auch verwendet, ob sie nun passend sind oder nicht.

    »Kannst du mir dein Handy borgen, Papa?«

    »Wofür?«

    »Weil ich von uns ein Suglie machen möchte.«

    »Ein was?«

    »Na, ein Selfie«, erklärt Günther oberlehrerhaft, »aber wir müssen dabei Grimassen schneiden. Dann ist es ein Suglie, versteht ihr?«

    »Aha«, Heinz Kokoschansky sieht Lena ziemlich perplex an, »und wenn ich spachteln sage, handle ich mir einen Rüffel ein. Dagegen ist das doch Hochsprache!«

    »Was ist jetzt?«, drängt Günther.

    »Nach dem Essen«, stoppt Lena den Fotoeifer des Siebenjährigen, »dann machen wir dein Sulfie oder wie das heißt?«

    »Suglie«, verbessert der Junge sie und zeigt sich einsichtig, »na schön. Ich will ein Kinderschnitzel mit viel Pommes und Ketchup.«

    Nachdem die Bestellungen aufgegeben sind, sieht Kokoschansky sich in dem Raum um. Außer dem eleganten Herrn ist niemand anderer hier, und der steht soeben auf, verabschiedet sich mit einem leichten Kopfnicken.

    »Früher war ich oft hier«, erinnert Kokoschansky sich, »da hat sich tatsächlich nichts geändert.«

    Nur ein paar hundert Meter weiter ist das ORF-Zentrum am Küniglberg, wo er lange Jahre als TV-Journalist gearbeitet hatte. Sein Ruf, unbestechlich zu sein und nicht, trotz Widerstände von allen Seiten, von Recherchen Abstand zu nehmen oder sich gar zurückpfeifen zu lassen, wenn er sich einmal in eine Story verbissen hatte, hält sich noch immer.

    Sein Spitzname »Koko« hat in der Branche weiterhin einen ausgezeichneten Klang. Doch heute will Kokoschansky mit dem Fernsehgeschäft nichts mehr zu tun haben. Mit seiner Meinung, investigativer Journalismus ist in Österreich längst tot, weil unerwünscht, ist er nicht allein. Darum ist er schon vor vielen Jahren ausgestiegen, hat sich auf das erfolgreiche Schreiben von Büchern verlegt. Wenn das Honorar stimmt, dreht er zwischendurch Fernsehdokumentationen, meist für ausländische Sender, und betreibt mit einer handverlesenen Freundesrunde ein Internetportal, das immer wieder für Aufsehen sorgt.

    »Da sind wir oft gewesen«, erzählt Kokoschansky weiter, »wenn es etwas mit Informanten oder Kollegen zu besprechen gab und wir nicht wollten, dass man in der Kantine zusammen gesehen wird. Außerdem ist das Essen hier äußerst lecker. Kein Vergleich zu dem damaligen Fraß in der Kantine. So manche steile, vorzugsweise weibliche Karriere im ORF begann hier an diesem Ort. Tja, wenn die Wände sprechen könnten …«

    Dabei grinst Kokoschansky sehr frivol.

    »Die haben also da gebumst«, stellt Günther mit seinen sieben Jahren lakonisch fest.

    »Wie meinst du denn das?«

    Irgendwie fehlen dem Vater die passenden Worte, und das ist extrem selten. Auch Lena verschlägt es für einen Moment die Sprache.

    »Na, du und Mama macht es doch auch.«

    »Und du«, tippt Kokoschansky Lena an, »sag noch mal etwas, wenn ich statt essen spachteln sage.«

    »Ist ja nichts dabei«, dabei lacht Günther bis über beide Ohren, »ist doch ganz natürlich. Der Löwe vorhin im Zoo hat es doch auch mit seinem Weibchen getan.«

    Lena zerknüllt ihre Serviette und hält sie sich vor den Mund, und an ihren zuckenden Schultern ist deutlich zu sehen, wie sie krampfhaft bemüht ist, nicht loszuplatzen. Eine etwaige spätere Aufklärung in einem gewissen Alter hat sich somit erübrigt.

    »Was musst du da genau schreiben?«, versucht Kokoschansky, von dem heiklen Thema abzulenken.

    »Ach, so einen dämlichen Erlebnisaufsatz über wilde Tiere«, winkt Günther ab, und es ist ihm deutlich anzusehen, dass ihn ab sofort nur mehr sein Kinderschnitzel mit viel Pommes interessiert, was hoffentlich bald auf diesen Tisch stehen wird. »Aber erst am Montag.«

    »Nun, da ist noch etwas Zeit. Nach dem Essen fahren wir nach Hause und dann ab ins Bett.«

    »Ich bin doch nicht müde!«, protestiert Günther. »Darf ich am Samstag zu Zeki?«

    »Ah, das ist doch dein neuer Freund, oder?«

    »Ja.«

    »Von mir aus. Wenn Mama auch nichts dagegen hat.«

    Lena stimmt zu, und somit ist für Günther alles in bester Ordnung, denn obendrein wird das Essen serviert.

    Am gleichen Abend

    Rüthers sitzt in der Gloriette-Bar des Parkhotels Schönbrunn und trinkt endlich sein wohlverdientes Bier. Saifs überraschender, rüder Abgang und vor allem die unverhohlene Drohung wollen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er ist sich keiner Schuld bewusst. Ihm war kein Fehler unterlaufen, er hat den Mittelsmann weder beleidigt noch provoziert. Kein Wort über den Islam ist gefallen.

    War Saifs subtile Vorgangsweise die Machtdemonstration eines IS-Mannes oder eines Sympathisanten, um ihn, den Ungläubigen, zu verunsichern und die Überlegenheit des Islamischen Staates zu zeigen?

    Rüthers winkt dem Barkeeper, lässt die Rechnung auf sein Zimmer schreiben und zieht sich zurück. Der Tag war lang und anstrengend, dementsprechend ist er müde. Er ist felsenfest überzeugt, dass sein Verbindungsmann ein radikaler, bestens geschulter Salafist ist, der sich äußerst clever zu tarnen versteht. Wahrscheinlich aus sehr gutem Hause stammt, eine solide Ausbildung genoss oder noch mittendrin ist, bevor er sich entschloss, die Seiten zu wechseln. Wer weiß, wie viele Menschen dieser Typ bereits direkt oder indirekt auf dem Kerbholz hat? Ob er im Dschihad war und Menschen köpfte? Rüthers traut es ihm auf jeden Fall zu.

    Doch der Fisch hat den Köder gefressen. Nun wird sich zeigen, ob er am Haken hängen bleibt. Das wiederum hängt von Rüthers weiterer Vorgangsweise ab. Zumindest gibt es eine Spur, die direkt ins Wiener Dorotheum führt. Ein Mitarbeiter soll mit den Leuten, die hinter Saif stehen, unter einer Decke stecken.

    Rüthers ist sein Deckname. Real ist er aufgrund seiner besonderen Qualifikation ein V-Mann im Dienste des deutschen BKA in Wiesbaden¹⁹ und arbeitet auch eng mit dem BND²⁰ zusammen.

    Er weiß genau, worauf er sich eingelassen hat, doch das Risiko ist er bereit einzugehen. Allzu gut ist ihm bekannt, wie die betreffenden Dienststellen im Ernstfall V-Leute über die Klinge springen lassen, nur, um nicht das eigene Nest zu beschmutzen.

    Noch ist den österreichischen Behörden nichts vom seinem Wiener Aufenthalt und dem eigentlichen Zweck, natürlich in Absprache mit seinen deutschen Vorgesetzten, bekannt. Gerade in dieser speziellen und heiklen Mission wollen die Deutschen zuerst so weit als möglich allein vordringen, weil sie ihren Ösi-Kollegen die dafür notwendige Kompetenz nicht zutrauen. Sicherlich müssen die Österreicher in absehbarer Zeit in diese Operation eingebunden werden, und es wird erheblichen Stunk geben, weil bereits ohne jegliche offizielle Anfrage, trotz EU, auf ausländischem Staatsterritorium ermittelt wird. Doch das sollen die Innenministerin und ihr deutscher Amtskollege sich untereinander ausmachen. Das interessiert Rüthers nicht, und er denkt auch nicht daran, sich opfern zu lassen, sollte es hart auf hart gehen.

    Sein akademischer Titel ist echt. Burkhard Eschbach alias »Rüthers« ist promovierter Archäologe und im Zweitfach Kunsthistoriker aus Nürnberg, spezialisiert auf frühantike Kunst. Für das BKA arbeitet er als Kriminalarchäologe, ein Beruf, den es in dieser Art in Österreich nicht gibt. In den letzten Jahren hat Eschbach sich dem Aufspüren von antiken Kunstgegenständen aus dem arabischen Raum verschrieben. Durch die politischen Entwicklungen in Afghanistan, dem Irak und Syrien im Zusammenhang mit der ständig stärker werdenden Gefahr und den Okkupationsbestrebungen durch den IS, den Islamischen Staat, sind seine Recherchen zur Sisyphusarbeit geworden.

    Ausschlaggebend für Eschbach, sich für diesen gefährlichen Weg zu entscheiden, war der März 2001, als die Taliban weltweit für Empörung sorgten und im afghanischen Bamiyan-Tal die Buddha-Statuen aus vorislamischer Zeit in einem barbarischen Akt in die Luft sprengten, zusätzlich zur Vernichtung aus blinder Zerstörungswut von antiken Schätzen. Entgegen der Aussage gegenüber dem Westen, die antiken Kunst- und Kulturgegenstände zu schonen.

    Inzwischen sind die puristischen Taliban nahezu in den Hintergrund gerückt. Die Sorge gilt dem IS und seiner Ausbreitung, die anscheinend nicht mehr zu stoppen ist. Da Eschbach in Fachkreisen als internationaler Experte für antike Kunst mit dem Schwerpunkt Orientalistik gilt, war es nur eine Frage der Zeit, bis das BKA auf ihn aufmerksam wurde und ihn anwarb. Öffentlich ist sein richtiger Name kaum bekannt, und noch unbekannter ist sein Gesicht, da er mit Medien nichts zu tun haben will, weil er ihnen absolut kein Vertrauen schenkt. Ideale Voraussetzungen für einen V-Mann.

    Nach längerer Bedenkzeit erklärte Eschbach, in die Szene des illegalen Kunstmarktes, vorwiegend im Bereich der Raubkunst, im Auftrag des BKA einzusteigen. An sich für ihn nicht neu, da er sich schon seit Jahren in diesem undurchsichtigen grauen Markt bewegt. Da er auch ständig bei großen internationalen Auktionen wie bei Sotheby’s als stiller Beobachter im Hintergrund auftritt. Somit ist er auch mit dem Wiener Dorotheum bestens vertraut.

    Heute Vormittag flog er vom Maastricht Aachen Airport nach Wien. In den Niederlanden besuchte er im MECC-Messegebäude in Maastricht die TEFAF, die weltweit führende Messe für Kunst, Antiquitäten und Design, die 1975 als Pictura Fine Art Fair begann. Dort hatte er sich mit Kunsthändlern seines Vertrauens aus verschiedenen Nationen getroffen, die ebenfalls sehr viel hören und angeboten bekommen, was für ihn natürlich besonders interessant ist.

    Seit Jahren verbirgt Burkhard Eschbach sich erfolgreich hinter seinem Alter Ego, dem Anwalt und Kunstkenner Gideon Rüthers, der für eine auserwählte, äußerst betuchte Klientel, die völlig im Hintergrund bleiben will, seltene Kunstwerke, vor allem aus der Antike, beschafft. So weit seine Legende, sein getürkter Lebenslauf, die in Zusammenarbeit mit dem BKA und dem BND erstellt wurde. Selbstverständlich verfügt er auch über die entsprechenden Papiere inklusive einem falschen Reisepass, ebenso wie über ein repräsentatives Büro im noblen Frankfurter Bankenviertel. Doch den Namen Gideon Rüthers wird man im Web vergeblich suchen, es gibt keinen Internetauftritt. Das ist wesentlicher Bestandteil der Verschleierungsstrategie rund um den mysteriösen Dr. Rüthers.

    Im Bereich der Kriminalarchäologie sind die Deutschen im Gegensatz zu Österreich weitaus fortgeschrittener. Eine Kooperation zwischen dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM), der Leibniz-Forschungsarchäologie in Mainz, dem Hessischen LKA²¹, der Zentralstelle Kriminal- und Verkehrsprävention (Kulturgüterschutz), der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE), der irakischen Botschaft und der Fachhochschule Mainz sorgt immer wieder für punktuelle kleinere Erfolge, die nicht zuletzt auch durch Eschbachs alias Rüthers unermüdliche Recherchen zustande kommen.

    Die Arbeit von Kriminalisten und Archäologen ist sich in vielen Bereichen sehr ähnlich, nutzen sie durchaus ähnliche Methoden für die Rekonstruktion vergangener Ereignisse, die sich aus erhaltenen Spuren ableiten lassen. Das RGZM ist federführend in der Bekämpfung des illegalen Handels mit antikem und archäologischem Kulturgut, dessen Herkunft ungeklärt ist. Letztendlich sind es die ungeheuren Gewinnspannen, die auf dem Schwarzmarkt erzielt werden können, um deshalb antike Stätten zu plündern. Mit dem Erlös werden Waffenkäufe finanziert.

    Der IS geht noch einen weitaus fataleren Schritt weiter, indem er zum finalen Bildersturm schreitet und Kulturgüter unwiederbringlich zerstört. Mosul, Ninive, Nimrud, Palmyra und Hatra sind erst der Beginn dieser sinnlosen Zerstörungswut, basierend auf einer verblendeten Ideologie. Die UNECSO muss tatenlos zusehen und rechnet mit weiteren Verwüstungen.

    »Wir befürchten, dass es in den nächsten Tagen und Wochen so weitergeht«, äußerte sich bereits im März 2015 der Leiter des UNESCO-Büros im Irak, Axel Plathe. »Die Gefahr ist groß, dass noch sehr viel verloren geht. Es gibt keinen Schutz.« Die archäologischen Stätten sind den Dschihadisten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.²²

    Vor einem Monat noch war Burkhard Eschbach im Berliner Bode-Museum, um sich die Artefakte der Ausstellung »Ein Gott – Abrahams Erben am Nil, religiöse und Alltagsgegenstände aus Ägypten vor dem dreizehnten Jahrhundert« genau anzusehen. Zur Eröffnung der Schau war auch extra Ägyptens Antikenminister, der Archäologe Mamdouh Eldamaty angereist, da diese Ausstellung für sein Land von großer Bedeutung ist.

    »Ägypten wird hier so dargestellt, wie wir es sehen: als ein Land, dessen Geschichte vorwiegend von Frieden geprägt ist«, sagte der Minister. »Diese Artefakte gehörten einst Juden, Christen und Muslimen, und sie zeigen, dass es ein Miteinander gab. Menschen können zwar unterschiedliche Religionen praktizieren, aber im Alltag pflegen sie dennoch die gleichen Sitten. Völker bilden sich eben nicht durch Religionszugehörigkeiten, es ist etwas anderes, was Menschen verbindet. Konflikte entstehen erst, wenn der Glaube nicht mehr nur eine private Angelegenheit ist.«²³

    Eldamaty sieht im IS eine ungeheure Bedrohung für das Weltkulturerbe.

    »Im Orient entstand die Welt, so, wie wir sie alle kennen. Dort ist unser Ursprung. Viele Monumente zeugen von der besonderen Bedeutung, vielleicht sind es sogar zu viele. Gebiete wie das, auf dem der heutige Irak sich befindet, wurden wegen der prachtvollen Stätten und Bauten schon früh zu einem bevorzugten Ziel. Schon als die Mongolen im dreizehnten Jahrhundert in Bagdad einfielen, vernichteten sie dort die wichtigste Bibliothek der damaligen Welt. Nun wird der Menschheit wieder ein wichtiger Baustein ihrer Identität geraubt. Eines ist klar: Jede Scherbe muss gerettet werden und dorthin zurück, wo sie gestohlen wurde. Noch einmal: Es geht nicht um Religion. Es geht um Macht, auch um Geld. Und alle kassieren mit, denn es ist leider ein lohnendes Geschäft. Jeder weiß, was Geldwäsche ist, es gibt aber auch seit Langem eine Altertumswäsche, und es sollte ein wichtiges Anliegen aller Staaten sein, sie zu verhindern. In den meisten Ländern, in denen mit alten Kulturgütern gehandelt wird, fehlen wirksame Gesetze. In diesen Zeiten brauchen wir eigentlich Ausnahmeregelungen, die schneller greifen.«²⁴

    Der ägyptische Antikenminister sieht keinen Zusammenhang zwischen den derzeitigen Raubzügen und dem »Arabischen Frühling«, daraus resultierend die ägyptische Revolution 2011, denn »schon vorher wurden Altertümer geschmuggelt. Aber wir vermuten, dass die Menge sich anschließend verdoppelt hat. Es geht um Tausende Artefakte. Einiges wurde aus Museumsdepots gestohlen, vieles stammt aus Raubgrabungen. Dahinter stecken organisierte Banden, manchmal auch Privatleute. Manche graben einfach nur unter ihren Häusern«.²⁵

    In Mosul wüteten die schwarz vermummten IS-Kämpfer wie die Berserker, zerstörten alles, was ihnen in die Hände fiel und nicht in ihre Wahnsinnsideologie passte. Zum Opfer fielen die Denkmäler des Dichters Abu Tammam, des Musikers Mullah Osman und anderer Persönlichkeiten der Stadtgeschichte. Auch am Denkmal einer Mosuler Institution, dem unbekannten Saftverkäufer, ließen sie ihre Wut aus. Dann kamen die Schreine der Heiligen in der »Stadt der vierzig Propheten«, wie auch Mosuls Beiname lautet, an die Reihe. Sprengstoff vernichtete die Grabmäler des Propheten Georg aus dem vierzehnten Jahrhundert; von Jonas, dessen Ursprünge bis in achte Jahrhundert reichten, und vom Propheten Seth, der sowohl von Christen und Moslems als dritter Sohn Adams und Evas verehrt wird.²⁶

    Nichts war vor den IS-Sprengkommandos sicher. Egal, ob heilige Gräber, schiitische Moscheen und Husseiniyas, religiöse Seminare der Schiiten-Minderheit. Christliche Kirchen und Klöster wurden beschlagnahmt. Um die Welt gingen die Bilder der Verwüstungen im Museum von Mosul, wo die durchgeknallten Terroristen assyrische Statuen vernichteten. Möglicherweise wurden Repliken zerstört, so lautet zumindest ein hartnäckiges Gerücht, um die Originale auf dem Schwarzmarkt zu verhökern, deren Erlös wiederum dem Waffenankauf dienen soll.²⁷

    Niemand weiß, wie die weiteren düsteren Pläne des IS aussehen, abgesehen von dem ungebändigten Expansionsdrang und dem barbarischen Vorgehen gegenüber den ihrer Auffassung nach Ungläubigen.

    Auch Burkhard Eschbach weiß nicht, wie die antiken Stätten oder vielmehr das, was der IS davon übrig gelassen hat, zu retten sind. Ninive und Nimrud waren einst Hauptstädte der Assyrer, Hatra eine mesopotamische Stadt eines kleinen Fürstentums unter dem Machteinfluss des Partherreiches. Die Ruinen von Hatra spiegeln in der Architektur römische, hellenische, arabische und persische Einflüsse wider.

    Die Beschlagnahme und Übergabe geplünderter antiker Kunstschätze an die jeweiligen Herkunftsländer sollen Raubgrabungen eindämmen helfen. Nach Sicherstellung aufgefundener Objekte gehört die wissenschaftliche Untersuchung ebenfalls zum Aufgabenbereich eines Kriminalarchäologen. Natürlich finden sich auch schwarze Schafe unter Altertumswissenschaftlern, die bei Kunstgegenständen zweifelhaften Ursprungs nicht lange fragen, Expertisen für den Handel erstellen, Studien über verkaufte Antiken publizieren oder gleich selbst das Objekt kaufen. In solchen Fällen stehen sowohl Kriminalisten wie Kriminalarchäologen meist auf verlorenem Posten.

    Burkhard Eschbach arbeitet auch eng mit ICOM²⁸ zusammen, einer Organisation, die 1946 gegründet wurde und vom U.S. Department of State Bureau of Educational and Cultural Affairs unterstützt wird. Allerdings kennt man ihn bei ICOM nur unter seinem Klarnamen, seine V-Mann-Tätigkeit für das BKA ist hier gänzlich unbekannt. Zumindest offiziell, aber er ist überzeugt, dass CIA und NSA längst wissen, dass er verdeckt auch für das deutsche BKA arbeitet. Doch das kümmert Eschbach nicht weiter.

    Rund einundzwanzigtausend Mitglieder in hunderteinundvierzig Staaten gehören dieser weltweit größten Organisation für Museen und Museumsfachleute an. Österreich ist mit tausendeinhundert Mitgliedern vertreten. Der Sitz des österreichischen Nationalkomitees von ICOM befindet sich im Wiener Jüdischen Museum.

    ICOM veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Red Lists von verschollenen Antiken aus Afghanistan, Afrika, Kambodscha, Mexiko und Zentralamerika, China, Kolumbien, Peru, der Dominikanischen Republik, Haiti, Ägypten, dem Irak und Syrien. Für Eschbach sind diese Roten Listen eine unverzichtbare Ausgangsbasis für seine Arbeit.

    Konkret fahndet er derzeit nach zwei Figuren und einer Vase von unschätzbarem Wert. Zumindest haben die Plünderer und Diebe keinerlei Ahnung, dass diese Antiken mit Geld einfach nicht messbar sind. Daher legen Saifs Auftraggeber den zwar stattlichen, aber trotzdem lächerlichen Kaufpreis mit fünfundvierzig Millionen Dollar fest. Für den Laien sind es zwei unscheinbare Statuen und eben eine Vase, für den Experten, Kenner und Kunstliebhaber ein unermesslicher Schatz.

    Stammen sie doch aus Uruk, dem heutigen Warka im Irak, zwischen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1