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Nowitschok: Tödliches Gift. Ein Kokoschansky-Krimi
Nowitschok: Tödliches Gift. Ein Kokoschansky-Krimi
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eBook485 Seiten6 Stunden

Nowitschok: Tödliches Gift. Ein Kokoschansky-Krimi

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Über dieses E-Book

Bei einer Auktion vergessener Gepäcksstücke am Wiener Hauptbahnhof ersteigert ein älteres Ehepaar einen Trolley unbekannter Herkunft. Doch als sich die Frau ein paar Tropfen des darin befindlichen Parfums hinter die Ohren tupft, bricht sie leblos zusammen. Nowitschok - ein Gift, entwickelt von den Russen. Kokoschansky kommt bald dahinter, dass dieses Nowitschok für einen russischen Oligarchen bestimmt war. Nach und nach stellt sich heraus, dass es dabei auch um die Ölpipeline Nord Stream 2 geht. Plötzlich erscheinen mehrere Ereignisse der letzten Jahre in einem völlig neuen Licht. Kokoschansky gerät in einen fürchterlichen Strudel aus Korruption, undurchsichtigen Geschäften und dubiosen Machenschaften und kommt der Wahrheit viel zu nahe. Er ahnt nicht, dass ihn der Kreml längst im Visier hat.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum18. Nov. 2019
ISBN9783990740774
Nowitschok: Tödliches Gift. Ein Kokoschansky-Krimi

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    Buchvorschau

    Nowitschok - Günther Zäuner

    Krim.

    Prolog

    Freitag, 26. April 2019

    Wien, 10 Uhr

    »Hundertzehn Euro! Wer bietet mehr? Höre ich noch ein weiteres Gebot? Nein? … Zum Ersten, zum Zweiten …« Der Auktionator unterbricht kurz, blickt in den bis auf den letzten Platz gefüllten Saal.

    Einige fanden gar keinen Sitzplatz mehr, stehen entlang der Wände. Vielleicht hebt noch jemand die Hand, aber niemand ist mehr daran interessiert.

    »… und zum Dritten!«

    Der Auktionator schlägt mit einem kleinen hölzernen Hammer auf eine Scheibe auf seinem Stehpult, hat das Auditorium fest im Griff, bewahrt souverän den Überblick.

    »Die E-Gitarre mit Koffer geht an den Herrn in dem schwarzen Sweater.«

    Der jüngere Mann mit den langen Haaren ist mehr als erfreut, dass ihm ein offensichtliches Schnäppchen gelungen ist. Das Instrument dürfte nicht sehr oft in Verwendung gewesen sein, es zeigen sich keinerlei nennenswerte Gebrauchsspuren auf dem Griffbrett, die Saiten waren bestimmt erst vor kurzer Zeit neu aufgezogen worden.

    Für den begeisterten Rockmusiker, der in einer Kommerzband spielt, absolut unverständlich, wie man sein Instrument in einem Zug vergessen kann und sich auch nicht darum schert, es wiederzubekommen.

    Für ihn ist die Versteigerung vergessener, herrenloser Gepäckstücke im Wiener Hauptbahnhof gelaufen. Er hat bekommen, was er wollte, und verlässt selig den Saal. Er kam wie viele andere zu dieser Auktion ohne jegliche Erwartungen. Zwar ist es keine Fender Stratocaster, aber bei diesem Preis darf man nicht meckern.

    Verwundert schüttelt der Gitarrist den Kopf, als er den Raum verlässt und an den ausgestellten Stücken, die an den Mann gebracht werden sollen, vorbeigeht. Unglaublich, was die Leute vergessen oder vielleicht auch auf diese Weise absichtlich loswerden wollen. Es gibt nichts, was es nicht gibt.

    Laptops, Monitore, elektronische Geräte jeder Art, komplette Kamera- und Videoausrüstungen, Kopfhörer, ein Karton voller Handys, darunter einige Smartphones der neuesten Generation.

    Koffer und Trolleys in den unterschiedlichsten Größen und Farben, Taschen, Schlaf- und Rucksäcke, Fahrräder und Scooter. Selbst Rollatoren, Krücken und Gehstöcke warten auf neue Besitzer. Ganz zu schweigen von den Unmengen an Regenschirmen. Ein gewaltiges Warenlager ist hier aufgebaut, und so mancher Laden würde damit sein Auslangen finden.

    Heutzutage kauft man im Internet ein, lässt es sich nach Hause liefern. So läuft das in der Wegwerfgesellschaft. Verliert man einen Gegenstand, macht sich kaum noch jemand die Mühe, danach zu suchen. Umgehend wird es neu gekauft, und es ist erledigt.

    Ähnliche Gedanken gehen durch die Köpfe des älteren Ehepaars, das in der zweiten Reihe sitzt und die Auktion aufmerksam verfolgt. Eigentlich sind sie auf ihre Initiative hier gelandet.

    Im Fernsehen sah die Frau schon einige Male Berichte über Versteigerungen in Bahnhöfen. Nun will sie es selbst erleben. Schließlich kann in so einem Koffer, der zu einem Schleuderpreis den Besitzer wechselt, auch Wertvolles drin sein. Niemand erfährt vorher etwas von den Inhalten, selbst das Versteigerungspersonal hat keine Ahnung.

    Ihr Mann war ursprünglich ziemlich skeptisch, ließ sich aber doch breitschlagen, nachdem sie eine Ankündigung in der Zeitung entdeckt hatte. Inzwischen ist er selbst vom Jagdfieber angesteckt, doch das wird er niemals zugeben.

    Seiner Frau gegenüber meint er nur, das absolute Limit sind hundertfünfzig Euro. Schließlich beziehen beide keine üppigen Pensionen. Doch einmal im Jahr ein bisschen über die Stränge schlagen ist schon drin. Selbstverständlich sahen sie sich vorher einige der ausgestellten Dinge an, und beide waren sich einig, dass es einiges gäbe, was ihnen gefällt. Aber das Haushaltsbudget zeigt ihnen ihre Grenzen auf. Hundertfünfzig Euro für einen eventuellen Flop wären bereits ein enormes Risiko.

    Inzwischen sind einige Fahrräder, Kinderspielzeug und drei Laptops unter den Hammer gekommen. Jetzt hat die dickliche, ziemlich aufgedonnerte, neben dem Ehepaar sitzende Frau einen äußerst ramponierten großen Karton für einen Pappenstiel ersteigert.

    Die neuen Besitzer müssen sofort nach dem Zuschlag an der provisorischen Kasse bar bezahlen, bevor sie ihr neues Eigentum ausgehändigt bekommen.

    Die meisten öffnen die Errungenschaften sofort. Natürlich auch diese Frau, die es kaum erwarten kann und obendrein noch sehr affektiert wirkt. Anscheinend ist sie nicht zum ersten Mal hier, da sie aus ihrer Handtasche Schere und Taschenmesser zaubert, um die Klebestreifen, mit denen der Karton äußerst wild umwickelt ist, zu lösen.

    Das Ehepaar beobachtet sie verstohlen und amüsiert sich köstlich. Die Gier in den Augen ist nicht zu übersehen. Endlich ist die Schachtel geöffnet und umso größer ihre Enttäuschung. Mehr als ein Haufen Dreckwäsche, wobei an einigen Stücken, besonders an unterschiedlicher Unterwäsche mehr als deutliche Gebrauchsspuren zu sehen sind, kommt nicht zum Vorschein. Einige der Umstehenden können sich ein Grinsen nicht verkneifen.

    »Da wollte sich wohl jemand die Wäscherei ersparen«, kommentiert einer der Besucher trocken, »das hätte sie billiger haben können und nicht vierzig Euro in den Sand setzen müssen.«

    Es bestärkt den ohnehin misstrauischen Oskar Meissner abermals, dass es ein Fehler war, überhaupt herzukommen. Andererseits muss er sich eingestehen, dass dem Herrn vor ihnen mit der Reisetasche tatsächlich ein Superwurf gelungen ist.

    Wie er sehen kann, ist in der Tasche auch eine Schatulle, und darin liegen einige Damen- und Herrenarmbanduhren. Für achtzig Euro kein schlechtes Geschäft. Wer weiß, woher die Chronometer ursprünglich stammen, wem sie gehört haben und was sie tatsächlich wert sind? Möglicherweise heiße Ware, die aus einem Einbruch oder einer anderen krummen Tour stammt. Wer weiß, vielleicht bekommt der neue Besitzer massive Probleme, wenn er die Uhren selbst verhökern will? Oskar Meissner will das gar nicht wissen.

    »Jetzt schlagen wir zu«, meint Franziska Meissner, »den Trolley können wir gut gebrauchen, wenn wir auf Kur fahren. Unserer ist doch bereits reif für den Müll.«

    Der Auktionator preist den fahrbaren Koffer in Dunkelblau an, startet mit einem Aufrufungspreis von fünfundzwanzig Euro, holt die ersten Angebote ein.

    »Das ist ein Samsonite, Oskar«, weist Franziska Meissner ihren Mann extra auf die Nobelmarke hin, »und der sieht ziemlich neu aus.«

    »Aber sicherlich gebe ich für das Ding keine hundertfünfzig aus«, bremst er seine Frau ein. »So einen Trolley kriegt man inzwischen weitaus billiger.«

    »Es kommt auch auf den Inhalt an«, beharrt sie etwas eingeschnappt, hebt die Hand.

    »Eben drum.«

    Inzwischen ist das Angebot auf siebzig gestiegen.

    »Außerdem ist das ein Markenkoffer.«

    »Und wenn wir ihn tatsächlich bekommen und öffnen, ist vielleicht auch nur dreckiges Zeug drin, und wir sind die Vollkoffer².«

    »Ach …«, winkt sie ab, bietet abermals mit.

    »Achtzig Euro sind geboten«, tönt die wohlklingende Stimme des Auktionators, »höre ich fünfundachtzig? Fünfundachtzig von dem Herrn hinten rechts in dem hellen Trenchcoat.«

    Franziska Meissner hebt abermals ihre Hand.

    »Neunzig sind für das gute Stück geboten!«

    »Das wird sich erst weisen«, knurrt Oskar Meissner, während sich seine Frau mehr und mehr ins Auktionsfieber steigert.

    »Neunzig! Niemand mehr als neunzig? Neunzig zum Ersten … zum Zweiten … und zum Dritten! Der dunkelblaue Samsonite-Trolley geht an das Paar in der zweiten Reihe.«

    »Bist du jetzt zufrieden?«, fragt Oskar Meissner. »Wenn es ein Flop ist, ich fahre mit dem Zeug sicherlich nicht auf die Deponie. Das geht mich nichts an.«

    »Du hast doch immer an allem etwas auszusetzen«, erwidert sie, steht auf, bezahlt und kehrt mit dem Trolley zurück. Ihr Mann folgt ihr ‒ schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig – zu einem Tisch, auf dem bereits der Koffer liegt und seine Frau die Reißverschlüsse der Vortaschen geöffnet hat. Mehr als drei Packungen Papiertaschentücher kommen nicht zum Vorschein.

    »Ich habe es ja gewusst«, schimpft Oskar Meissner, »neunzig Euro sinnlos für ein paar Rotzfetzen zum Fenster rausgeschmissen.«

    »Du gehst mir mit deinem Pessimismus schwer auf die Nerven«, giftet seine Frau zurück. »Wir haben das Ding doch noch gar nicht richtig geöffnet. Offensichtlich hat ein Ausländer diesen Trolley verloren oder vergessen.« Sie deutet auf die Packungen der Papiertaschentücher. »Was ist das für eine Schrift? Wem wohl dieser Trolley gehört hat?«

    »Keine Ahnung«, ihr Mann zuckt mit den Schultern, »es ist cyrillisch. Vielleicht ein Russe, Ukrainer, Bulgare – was weiß ich? Und es ist mir auch herzlich wurscht.«

    »Ob da echter Kaviar drin ist?«, meint Franziska Meissner. »Oder Krimsekt?«

    »Ja klar«, macht sich ihr Mann lustig, »dazu eine Balalaika und die Donkosaken, versteckt in einer Matroschka. Dafür musst du erst mal den Trolley öffnen können.«

    Tatsächlich ist der Hauptreißverschluss mit einem kleinen Schloss gesichert, und natürlich ist das dazu passende Schlüsselchen nicht vorhanden. Ein Auktionsbesucher, anscheinend ein Profi auf diesem Gebiet, der die Szene wortlos beobachtet, reicht Oskar Meissner eine kleine Zange, mit der sich das Schlösschen problemlos knacken lässt.

    Der Inhalt des Trolleys bestätigt Oskar Meissners Befürchtungen. Nichts von Wert, abgesehen von einigen hochwertigen männlichen Kleidungsstücken, jedoch nicht seine Größe. Ebenso zwei Paar elegante Schuhe, ebenfalls um mindestens eine Nummer zu klein. Entsprechend sauer reagiert er. Im Gegensatz zu seiner Frau, die noch immer auf den großen Coup hofft.

    Sie öffnet den Kulturbeutel, gefüllt mit erstklassigen Toilettenartikeln, natürlich für einen Mann. Dafür kann sie ihren Alten absolut nicht begeistern. Ihm reichen die billigen Pflegeprodukte aus dem Drogeriemarkt. Zumindest den elektrischen Rasierapparat nimmt er näher in Augenschein. Für ihn das bisher einzig brauchbare Ding in diesem Trolley.

    Dafür jubelt seine Frau umso mehr. Sie hält ein wunderschön gestaltetes, türkisfarbenes Parfümflacon in Form einer Muschel in Händen.

    »Kenzo World«, murmelt sie.

    »Was ist?«, fragt ihr Mann.

    »Es hat sich doch gelohnt«, antwortet sie triumphierend. »Das ist ein exklusives Parfüm von diesem japanischen Modeschöpfer. Das bekommst du niemals um neunzig Euro.«

    Insgeheim wundert sich Oskar Meissner, was seine Frau weiß. Bringt anscheinend doch etwas, die Gesellschaftskolumnen in den Gazetten und die einschlägigen Fernsehsendungen über die High Society zu verfolgen. Er gönnt es ihr, wenn sie damit Freude hat. Jetzt besitzt auch sie einen exklusiven Duft. Was zu Hause im Badezimmer herumsteht, riecht zwar ganz gut, aber Markennamen sind es nicht. Entweder sind es kleine Geschenke zu unterschiedlichen Anlässen, oder sie kauft sich ab und zu selbst ein billiges Duftwässerchen.

    »Mach doch mal auf«, fordert er seine Frau in versöhnlichem Ton auf, »lass mal schnuppern.«

    Das Parfüm ist nicht mehr originalverpackt, ist bereits verwendet worden, ungefähr zur Hälfte verbraucht. Franziska Meissner macht sich keine weiteren Gedanken darüber, die paar fehlenden Tropfen kann sie leicht verschmerzen. Es ist noch genügend vorhanden.

    »Hm«, verzieht er das Gesicht, »für ein Parfüm ist es aber mehr als geruchlos.«

    »Du hast doch keine Ahnung«, weist sie ihn augenblicklich zurecht, »das kommt erst richtig zur Geltung, wenn es mit der Haut in Berührung kommt und einwirkt.«

    »Jedes Parfüm verströmt doch einen gewissen Duft«, lässt Oskar Meissner dieses Argument nicht gelten, »auch wenn das Fläschchen geöffnet wird.«

    »Wart’s ab.«

    Sie sprüht sich sofort ein bisschen vermeintliches Kenzo World hinter die Ohren, auf die Handgelenke und die Wangen, schnuppert ebenfalls ausgiebig.

    »Die Kleidung könnte Gregor passen«, meint sie.

    »Franziska, das glaubst du doch selbst nicht, dass unser Sohn gebrauchte Klamotten anzieht. Ein Feinspitz, wie er nun einmal ist.«

    »Dann spenden wir das Zeug der Caritas oder …«

    Sie darf den Satz nicht mehr vollenden. Plötzlich wird sie aschfahl im Gesicht, verdreht die Augen. Das Flacon fällt ihr aus der Hand, zerbricht auf dem Boden. Schaum bildet sich vor ihrem Mund, Sekret fließt aus den Mundwinkeln. Sie röchelt, und ein gewaltiger Schwall Erbrochenes ergießt sich über den Trolley. Krampfhaft versucht sie noch, Halt an dem Tisch zu finden, doch es fehlt ihr sichtlich an Kraft. Dazu ein ungeheurer Schweißausbruch.

    Entsetzt weichen einige der unmittelbar Umstehenden zurück. Franziska Meissner verdreht die Augen, bricht zusammen, verkrampft sich. Sämtliche Muskelfunktionen quittieren den Dienst, und sie verfällt in tiefe Bewusstlosigkeit.

    »Franziska! Was ist los?«

    Mehr kommt auch ihrem Mann nicht mehr über die Lippen. Oskar Meissner knallt mit den gleichen Symptomen wie seine Frau auf die Steinfliesen und verliert augenblicklich das Bewusstsein.

    Der Auktionator bemerkt sofort die Unruhe im hinteren Teil des Saals, unterbricht, eilt herbei, sieht die beiden älteren Leute am Boden liegen, ruft nach einem Arzt.

    Mithilfe einiger beherzter Besucher bringt er die Meissners in die stabile Seitenlage, damit sie nicht an ihren eigenen Zungen ersticken.

    »Verdammt noch mal, wo bleibt denn ein Arzt? Hat jemand die Rettung verständigt? Ist den beiden schlecht geworden?«

    Der Auktionator kniet direkt neben den Splittern des zerborstenen Parfümbehälters.

    Der Mann, der Oskar Meissner die Zange gereicht hatte, um das Schloss des Trolleys durchzuzwicken, erklärt, dass die beiden an etwas gerochen hatten und sie sich damit eingesprüht hatte. Seiner Ansicht nach kann es sich nur um ein Parfüm gehandelt haben.

    »Dann müsste doch etwas zu riechen sein«, meint der Auktionator, fühlt dabei abwechselnd den Puls der Bewusstlosen, der bereits nicht mehr spürbar ist, »aber ich …«

    Ein dritter Mensch kippt an diesem Freitagvormittag zur Seite und verliert sein Bewusstsein. Ebenso ein junges Pärchen, das sich um das alte Ehepaar kümmerte und mit dieser unbekannten, gefährlichen Flüssigkeit in Berührung kam, indem es vorsichtig Splitter des Flacons aufgehoben und dran gerochen hatte.

    Inzwischen hat der Großteil der Anwesenden den Vorfall bemerkt und kapiert, dass etwas nicht stimmen kann. In Sekundenschnelle bricht Panik aus, die Menschen verlassen fluchtartig den Saal.

    Trotzdem gibt es in solchen Situationen Typen, die ‒ gewissenlos, ohne jegliche Pietät ‒ sämtliche Anstandsregeln über Bord werfen und kriminell werden. So verschwinden einige der ausgestellten Handys in den Taschen, und auch ein Fotoapparat wird blitzschnell entwendet.

    In Windeseile verbreiten sich Angst und Schrecken im gesamten Areal des Hauptbahnhofes, verlagern sich hinaus in die Stadt und ins Land. Handytelefonate, SMS, WhatsApp und die sozialen Medien tragen ihren Teil dazu bei, dass sich Panik wie eine Seuche verselbstständigen kann.

    Obwohl niemand Genaueres weiß, ist augenblicklich die Rede von zahlreichen Toten, und unzählige Gerüchte machen die Runde, werden aufgebauscht und geben neuen, immer absurderen Meldungen reichlich Nahrung.

    Zwar twittert die Pressestelle der LPD Wien, der Landespolizeidirektion, dass noch keinerlei Anhaltspunkte für einen etwaigen Terroranschlag vorliegen, und ersucht, Ruhe zu bewahren, aber sobald der Ofen in der Gerüchteküche entzündet ist, sind sämtliche Löschversuche zum Scheitern verurteilt.

    Das unbekannte Schreckliche, Gefährliche und sichtlich Tödliche schwebt wie eine unsichtbare Dunstglocke über dem Hauptbahnhof, nimmt von Wien und schließlich von Österreich Besitz.

    Selbstverständlich bildet sich sofort eine bestimmte Meinung in weiten Teilen der Bevölkerung. Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten, den Fremdenfeindlichen und Islamgegnern. Dahinter können nur der IS, Rückkehrer aus dem ehemaligen Islamischen Staat oder Asylwerber mit Terrorabsichten stecken.

    Unschuldige kommen zum Handkuss. Auf dem riesigen Vorplatz des Hauptbahnhofs wird ein arabisch aussehender Mann mit Rucksack auf dem Rücken von einigen Männern umzingelt, brutal zusammengeschlagen und festgehalten. Schnell stellt sich heraus, der bedauernswerte Mensch ist österreichischer Staatsbürger, arbeitet in einem der Geschäfte im Bahnhof und wollte seinen Dienst antreten.

    Inzwischen sind sämtliche verfügbaren Kräfte zusammengezogen worden, und ein Polizeigroßaufgebot riegelt den Hauptbahnhof ab. Ein Trupp der WEGA³ hat vor dem Unglücksraum, in dem die fatale Auktion stattfand und in dem nun fünf Leichen liegen, Stellung bezogen.

    Immer mehr Blaulichter tauchen auf, und Folgetonhörner sind zu hören. Die Berufsrettung schickt alle zur Verfügung stehenden K-Züge⁴ und vorerst nicht benötigten Rettungsfahrzeuge zum Unglücksort. Nach ersten Befragungen unmittelbarer Augenzeugen, die an der Auktion teilgenommen hatten, gehen die Einsatzkräfte von einem Giftanschlag aus. Vielleicht sogar mit radioaktivem Material.

    Die Feuerwehr stellt entsprechende Schutzkleidung und schwere Atemschutzgeräte zur Verfügung. Dermaßen ausgerüstet, wagen sich einige Rettungsärzte und Sanitäter in den Auktionsraum, untersuchen die Opfer, können jedoch nur mehr den Tod aller fünf unmittelbar Beteiligten feststellen. Die vorhandenen Splitter des vermeintlichen Parfümflacons werden eingesammelt, in speziellen Behältern gesichert und den Kriminaltechnikern übergeben. Erste vorläufige Messungen ergeben glücklicherweise keinerlei Verstrahlung.

    Die gesamte, nicht versteigerte Auktionsware wird beschlagnahmt. Ebenso der Trolley unbekannter Herkunft, in dem dieses Teufelszeug war, und sämtliche persönlichen Gegenstände der fünf Opfer. Die Sachen werden in Spezialcontainern gelagert und zu weiteren Untersuchungen ins Österreichische Forschungszentrum Seibersdorf in Niederösterreich geschafft.

    Zusätzlich wird vom Bundesheer die ABC-Abwehrtruppe angefordert, die für einen solchen Ausnahmefall bestens gerüstet ist, mit atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen umzugehen versteht. Hubschrauber der Polizei und des Innenministeriums kreisen über dem Gelände.

    Die Einsatzleitung will nichts riskieren, besteht auf der sofortigen Evakuierung des Hauptbahnhofes und auf einen Sperrring von einigen Hundert Metern rund um das Bahnhofsgelände. Niemand weiß, worum es sich eigentlich handelt, aber sämtliche Verantwortlichen sind sich einig, es kann nur Gift, ein spezieller Kampfstoff sein. Ebenso ist völlig unklar, ob und wie viel von diesem unbekannten Zeug noch im Umlauf ist und vor allem wo? Nur im Bahnhof? Oder bereits an anderen Orten in Wien, in Österreich?

    Ein Polizeioffizier spricht es im kleinen Kreis aus, woran einige bereits denken: »Salisbury …«

    Die Evakuierung des Hauptbahnhofes geht zügig voran, dennoch lassen sich Angst und Panik nicht vermeiden. Vielen Menschen steht der Horror in die Gesichter geschrieben.

    Offensichtlich, dass etwas nicht stimmt. Doch was ist der Grund? Was steckt dahinter? Eine Bombendrohung, ein verhinderter Anschlag? Oder steht ein Attentat unmittelbar bevor? Es ist die Ungewissheit, die mürbemacht. Nichts wie raus hier und schnellstens so weit wie möglich weg.

    Man sieht sich die nähere Umgebung genau an, ist misstrauisch gegenüber allen und jeden. Kinder weinen. Entweder aus Angst oder weil sie in dem Trubel von ihren Angehörigen getrennt wurden.

    Hundertschaften von Polizisten sorgen für den geregelten Abzug. Hundestaffeln sind im Einsatz, die Spürnasen versuchen, Verdächtiges zu erschnüffeln. Auch Kriminalbeamte und LVT-Leute, dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, sind eingetroffen.

    Einige Leute stolpern über in der Hektik zurückgelassene, herrenlose Gepäckstücke. Zusätzliche Mehrarbeit für die Einsatzkräfte. In jedem Trolley, jedem Koffer, jeder Tasche, jedem Rucksack kann eine Bombe verborgen sein, und irgendwo in dem Getümmel lauert vielleicht der Attentäter, zündet den Sprengkörper mit seinem Handy oder mit einer anderen elektronischen Vorrichtung.

    Das Chaos ist längst perfekt und die Polizei redlich bemüht, dass die angespannte Situation nicht eskaliert. Natürlich gibt es einige Unverbesserliche, die unbedingt die Gelegenheit nützen müssen, um Fotos zu knipsen und Videos mit ihren Mobiltelefonen zu drehen für die eigene Profilierungssucht auf Facebook, Instagram und Twitter.

    Manches Handy geht dabei zu Bruch, und etliche Möchtegernreporter kassieren völlig zu Recht Ohrfeigen von Leuten, die nicht verstehen können, warum man eine solche Ausnahmesituation so schamlos ausnützt.

    In dem infernalischen Wirbel gehen Lautsprecherdurchsagen völlig unter. Polizisten und andere Einsatzkräfte brüllen herum, versuchen, die Massen halbwegs geordnet zu eskortieren, zu den richtigen Ausgängen zu dirigieren.

    Inzwischen ist der Auktionssaal hermetisch abgeriegelt. Große Sichtblenden verhindern neugierige Blicke. Noch liegen die Leichen in dem Raum, die vorläufigen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Erst nach der Evakuierung werden die Toten in Spezialsärgen auf Schleichwegen, um der bereits vor dem Hauptbahnhof lauernden Journalistenmeute zu entgehen, in die Gerichtsmedizin transportiert.

    Nur die Einsatzleitung, einige leitende Kriminalbeamte und der Verfassungsschutz wissen, dass der Auslöser ein zerbrochenes Parfümflacon mit unbekannter Flüssigkeit war, die Mannschaften selbst bleiben weiterhin uninformiert, und es wird ein generelles Interviewverbot ausgesprochen, das auch für die Pressesprecher der Einsatzkräfte gilt.

    Über einen der Nebeneingänge werden der Polizeipräsident und der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit geschleust, um sich nicht Journalistenfragen stellen zu müssen.

    Nur der Innenminister muss wieder einmal aus der Reihe tanzen, nützt diesen mysteriösen Zwischenfall für die eigene Publicity. Selbstverständlich gefolgt von seiner nicht minder mediengeilen rechten Hand, seinem Generalsekretär, der nichts Besseres zu tun hatte, als sich in seine schmucke Fantasieuniform zu werfen, die er sich extra anfertigen ließ, nachdem für ihn im Ministerium ein Posten geschaffen wurde, den es vorher gar nicht gab.

    Etlichen Kriminalbeamten, Verfassungsschützern und Polizisten schlafen sofort die Gesichter ein, als dieses äußerst unbeliebte Duo aufkreuzt, doch sie müssen gute Miene zum bösen Spiel machen.

    Im Zuge dieses unvorhersehbaren Ereignisses werden heute viele Geschäftsinhaber und Lokalbetreiber ein gewaltiges Minus in den Tageseinnahmen verzeichnen. Entweder ist Ware gleich gestohlen worden, oder im Zuge der Räumungsmaßnahmen wurden in den Lokalen die Zechen geprellt. Doch es gibt Videoüberwachung. Einige können sicherlich in den nächsten Tagen ausgeforscht und zur Rechenschaft gezogen werden.

    Sämtliche Züge, die den Hauptbahnhof anfahren wollen, werden entweder auf offener Strecke gestoppt oder nach Möglichkeit zum Westbahnhof umgeleitet. Da den Hauptbahnhof auch S-Bahnen frequentieren, dürfen die Züge stadteinwärts nur bis Bahnhof Wien-Mitte fahren. In der Gegenrichtung endet die Fahrt bereits im Bahnhof Meidling.

    Zwar sind die Reisenden der Österreichischen Bundesbahnen einiges an Kummer gewöhnt, doch dieses Tohuwabohu stellt alles Bisherige in den Schatten. Da der Hauptbahnhof auch mit der U-Bahnlinie U1 erreichbar ist, wird diese Station gesperrt und die U-Bahn-Züge bereits in den Stationen Taubstummengasse und Keplerplatz angehalten.

    Lediglich Taxilenker profitieren derzeit und machen das Geschäft ihres Lebens. Wer nicht schnell genug ist, schaut durch die Finger. Es dauert nicht lange, und sämtliche Wiener Taxis sind unterwegs. Wer eines braucht, muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Sämtliche Straßenbahnen, Busse und die U-Bahnen außerhalb des Sperrkreises sind restlos überfüllt.

    Die großräumigen Absperrungen verursachen einen totalen Verkehrskollaps mit endlosen Staus. Wien ist zum Stillstand gekommen. Es dominieren Einsatzfahrzeuge, ein gespenstisches, unheimliches Szenario. Die Geräuschkulisse eine Sinfonie der Angst, orchestriert vom Knattern der Hubschrauberrotorblätter und von den unterschiedlichen Tönen der Folgetonhörner von Polizei, Rettung und Feuerwehr.

    Der ORF unterbricht sein Programm. Die Redakteure des Verkehrsfunks kommen kaum zum Verschnaufen, die »Zeit im Bild«⁵ kündigt Sondersendungen auf beiden TV-Kanälen für die nächsten Stunden an.

    Natürlich gibt es trotz aller Geheimhaltungsversuche immer undichte Stellen. In einer Live-Schaltung der Nachrichtensendungen kommen einige Augenzeugen der Auktion zur Wort, die genau gesehen haben, wie ein älteres Ehepaar an einem Fläschchen schnupperte und kurz danach zusammengebrochen war. Ebenso wie der Auktionator, der helfen wollte, und ein weiteres Paar, das ebenfalls zu Hilfe geeilt war. Noch lässt man die Öffentlichkeit im Ungewissen, ob Todesopfer zu beklagen sind. Allerdings wird auf Dauer die Geheimniskrämerei nicht aufrechtzuerhalten sein.

    Im Bundeskanzleramt und im Innenministerium sind Krisenstäbe gebildet worden, um über die weiteren Vorgangsweisen zu beraten und Hilfsmaßnahmen zu koordinieren.

    Zum ersten Mal an diesem Tag fällt durch den Moderator der Vergleich mit Salisbury in Großbritannien, und er spricht Nowitschok an. Dieses mysteriöse Nervengift aus Russlands geheimen Labors, mit dem am 4. März 2018 der russische Ex-Agent und Überläufer Sergej Skripal und seine Tochter Julija in der englischen Stadt vergiftet wurden, jedoch mit sehr viel Glück überlebten.

    Als der Rockmusiker erfährt, was anscheinend geschehen ist, vergeht ihm augenblicklich jegliche Freude an seiner ersteigerten E-Gitarre. Wer kann schon wissen, ob nicht auch dieses Instrument mit irgendetwas Lebensgefährlichem kontaminiert ist. Das Ding muss schleunigst aus seiner Wohnung.

    Gegen Mittag

    »Verdammt!«, flucht der smarte Endvierziger im sündteuren Designeranzug und starrt gebannt auf den Fernsehapparat in seinem nicht minder feudalen Büro in bester Lage in der Singerstraße in der Wiener Innenstadt, einen Steinwurf vom Stephansdom entfernt. Er kann nicht glauben, was er auf dem Bildschirm sieht.

    Es interessiert ihn überhaupt nicht, was derzeit im Hauptbahnhof los ist. Ob vielleicht ein Terroranschlag geplant war, wie es bereits in der allgemeinen Berichterstattung vermutet wird, oder ein anderes Motiv dahintersteckt?

    Genauso ist es ihm egal, dass bisher fünf Menschen durch eine unbekannte Substanz ums Leben gekommen sind, wie inzwischen ebenfalls bekannt geworden ist.

    Er fürchtet, dass durch dieses unvorhergesehene Ereignis der von langer Hand eingefädelte Coup, die Regierungskoalition zu sprengen, deswegen vereitelt wird. Zumindest durch die Präsenz der Aktualität der Geschehnisse im Hauptbahnhof ins Hintertreffen gerät. Niemand weiß derzeit, wie lange die Ermittlungen dauern und ob sie überhaupt erfolgreich sein werden.

    Das kann mitunter Monate dauern, oder es wird überhaupt zu einem cold case. Soll die gesamte investierte Vorbereitungsarbeit wegen eines hirnverbrannten Anschlags oder was immer dahinterstecken mag, mit einem Mal zunichte gemacht werden und völlig umsonst gewesen sein?

    Kurz entschlossen greift der Anwalt iranischer Herkunft nach seinem Handy.

    »Hast du schon mitbekommen, was da draußen los ist? … Wie, na und?« Nervös zündet sich der Rechtsanwalt eine Zigarette an, macht ein paar hastige Züge, während er seinem Gesprächspartner zuhört. »Wie, alles im grünen Bereich? … Ja schon, da stimme ich dir zu. Bis zu den EU-Wahlen ist es noch ein Weilchen, aber die Zeit läuft … Ja, auch klar. Wir müssen abwarten, bis sich die erste Aufregung gelegt hat … Da bin ich ganz auf deiner Seite. Wenn man die Berichterstattung über die Terroranschläge in Europa in den letzten Jahren betrachtet, war bereits nach einigen Tagen das Interesse in der Bevölkerung geschwunden. Wen interessiert heute noch Bataclan oder Charlie Hebdo? Oder andere terroristische Angriffe? Nichts ist älter als die Nachrichten von gestern … Nein, jetzt mit unserem Material herauszurücken, wäre ein fataler Fehler. Da würden wir uns nur selbst ins Knie schießen, völlig kontraproduktiv. Wer weiß, was da wirklich im Hauptbahnhof abgelaufen ist? Immerhin gab es fünf Tote. Diese Scheiße muss ausgerechnet jetzt zur Unzeit passieren.«

    Angewidert dämpft er die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher ab, um sich nach wenigen Augenblicken sofort wieder eine neue anzustecken.

    »… Was ist mit den anderen? Hoffentlich halten sie ihre Füße still. Und da es mir soeben einfällt: Mir bereitet dieser schräge Vogel in Deutschland erhebliches Kopfzerbrechen.

    Erinnerst du dich an diese Preisverleihung im ORF, als die ROMY vergeben wurde? Da schickte dieser Typ eine mehr als kryptische Videobotschaft. Alle hatten das gesehen und gehört, aber zum Glück nicht verstanden, worum es tatsächlich geht.

    Woher weiß er das?

    Zwar kennt sich derzeit keiner mit seiner Aussage aus, halten es für den abgehobenen Humor dieses Satirikers … Wie, du hast auch keine Ahnung? Na prima! Haben wir einen Maulwurf? Und die beiden, um die es schließlich geht, werden es bestimmt mitbekommen haben, oder es ist ihnen zugetragen worden … Du, wenn das hochkommt, dass ich in dieser Geschichte voll drinhänge, kann ich meine Kanzlei zusperren und meine Anwaltslizenz als Klopapier verwenden …«

    13 Uhr

    »Was meint ihr? Ich denke, der Moderator liegt nicht so falsch, wenn er eine Parallele zu dem vergangenen Anschlag in Salisbury zieht.«

    Heinz Kokoschansky sitzt mit seinem Team in einem der Redaktionsräume von FNews und verfolgt, so wie ganz Österreich, die Berichte über die Vorgänge im und um den Hauptbahnhof.

    Auch ihm ist sogleich dieses Nowitschok in den Sinn gekommen, obwohl er im Grunde überhaupt nichts darüber weiß. Das spärliche Wissen stammt aus unterschiedlichen Berichten, als der Anschlag auf die Skripals in Großbritannien weltweit für Schlagzeilen sorgte und kurz danach ein völlig unbeteiligtes Pärchen mit dem Teufelszeug ebenfalls in Berührung kam.

    Koko alias Kokoschansky – mit diesem Spitznamen kennt man ihn seit Jahrzehnten in der Journalistenbranche – ist ein alter Hase und gerissener Fuchs mit besten Verbindungen in sämtliche Lager. Ein Grenzgänger, der oft auf verschiedenen Kirtagen gleichzeitig tanzt. Der Zwei-Meter-Mann, inzwischen über sechzig, denkt noch lange nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen, obwohl er es längst könnte.

    Dafür ist diese Zeit viel zu spannend und leider auch extrem gefährlich, wenn man die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen kritisch beobachtet und die Strömungen genauer analysiert.

    Einerseits die permanent latente, weltweite Terrorismusgefahr, ausgelöst von islamistischen Fanatikern und deren Mitläufern, was andererseits wiederum Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit schürt.

    Dass der Islam von gewissen Kräften für ein extrem dreckiges Spiel benutzt wird und vielfach die USA dafür sorgte, dass Al Qaida, sämtliche Nachfolgeterrororganisationen und daraus resultierend der IS so groß werden konnten, wissen nur sehr wenige. Nach 9/11 hat sich die Welt entscheidend und grundlegend verändert. Leider ins Negative mit allen seinen unangenehmen Begleiterscheinungen.

    Die Welt befindet sich wieder einmal im Umbruch, und davon bleibt Österreich nicht verschont. In Europa hat sich längst – wieder einmal ‒ der Rechtsextremismus etabliert, ist gewissermaßen hoffähig in der Gesellschaft geworden, breitet sich durch einschlägige Parteien in den Parlamenten aus und nimmt an Radikalität zu. Unterstützt durch die sozialen Medien – Fluch und Segen des Internets.

    In Österreich sitzen die Rechtspopulisten bereits auf der Regierungsbank und bekleiden Ministerämter. In den Nachbarländern wie in Deutschland legt die AfD ständig zu und sitzt im Bundestag und in den Länderparlamenten.

    In Italien spielt sich ein rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini auf. In Ungarn diktiert Viktor Orbán, wo es langzugehen hat, nennt seinen Regierungsstil selbst eine »illiberale Demokratie«.

    In der Türkei wütet Erdoğan mit seiner AKP im Machtrausch, lässt zu Tausenden kritische Journalisten, Oppositionelle und alle, die nicht auf seiner Linie sind, in den Kerkern verrotten.

    In der Slowakei wird mit abtrünnigen Journalisten ebenfalls nicht lange gefackelt, ebenso wenig in Russland und in der Ukraine. Großbritannien führt einen nicht enden wollenden Eiertanz wegen des Brexits auf, angeführt von einer überforderten und unfähigen Theresa May, angezettelt von Nigel Farange und Boris Johnson.

    Im Weißen Haus twittert ein unberechenbarer und brandgefährlicher Politclown jeden Tag irgendeinen Schwachsinn, ignoriert die Realität ‒ kritische Berichterstattung über ihn und seinen Regierungsstil sind grundsätzlich Fake News ‒ und spielt ein gefährliches Spiel mit dem Iran und Nordkorea.

    In der östlichen Hemisphäre kocht Putin im Kreml seinen eigenen Borschtsch, in dem Trump schwimmt. Allerdings nicht als Fettauge, sondern nur als Einlage.

    In Brüssel bringt die kaum mehr ernst zu nehmende EU nichts Wesentliches zustande, verschleudert dafür Unsummen an Steuergeldern. Über globale Themen wird herumgestritten, ohne auf Dauer sinnvolle Ergebnisse zu erzielen.

    Täglich ersaufen im Mittelmeer Menschen, weil die Zustände in ihren Heimatstaaten unerträglich geworden sind. Die Flüchtlingsproblematik hängt Europa wie ein Klotz am Bein, der sich nicht mehr abschütteln lässt. Der deutsche Kabarettist Hagen Rether bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, jetzt fliegen uns sechshundert Jahre Kolonialismus um die Ohren.

    Dafür ist Brüssel ein Eldorado für abgehalfterte, unfähige Politiker, die mit Versorgungsposten inklusive fetten Gehältern und satten Privilegien reich für ihr Nichtkönnen belohnt werden.

    Die kritische Berichterstattung über gewisse Vorgänge ist mehr als lax, und davon ist Österreich nicht ausgenommen.

    Genau deshalb will und kann sich Kokoschansky keinen Ruhestand gönnen, und er weiß, wovon er spricht. Schließlich hatte er viele Jahre im öffentlich-rechtlichen Sender gearbeitet.

    Zwar gab es Zeiten, da war investigativer Journalismus durchaus gefragt und erwünscht, doch das liegt lange zurück. Politische Interventionen und Einflussnahme auf die Berichterstattung gab es immer in diesem Land, stirbt auch nie aus. Wenn es auch stets von den Verantwortlichen dementiert wird. So viel zur ständig propagierten Unabhängigkeit.

    Ein Armin Wolf ist langfristig in der aktuellen ORF-Berichterstattung zu wenig. Ob es der Mann auf Dauer durchhält, sei dahingestellt. Inzwischen ist er in zu viele Fadenkreuze geraten. Kokoschansky wird das Gefühl nicht los, dass sich die allgemeine Lage in Österreich zusehends unter der türkis-blauen Koalitionsregierung verschärft hat, und zwar in allen Lebensbereichen.

    Da nützt es auch nichts, wenn andauernd wie ein beschwichtigendes Mantra von Transparenz gefaselt wird und der bubenhafte, unerfahrene Bundeskanzler mit seinem Rechtsausleger-Vize ständig den Weihrauchkessel schwenkt, wie toll doch diese Regierung arbeitet. Dafür ist Gendern, offenes und verstecktes Bevormunden der Bürger, von enormer Wichtigkeit. Doch die Menschen sind nicht blöd. Die Lunte brennt. Irgendwann lassen sie sich nicht länger für dumm verkaufen. Was dann?

    Die Reichen werden immer saturierter, während der Mittelstand immer mehr beschnitten wird und die Armutsgrenze ansteigt. Alles unter dem Deckmantel von Sparmaßnahmen und Pseudoreformen, die in Wahrheit nur ein schleichender Umbau zu einem autoritären System sind.

    Kokoschanskys oft untrügliche Nase sagt ihm, dass es demnächst fürchterlich krachen und kein Stein mehr auf dem anderen bleiben wird.

    Umso bezahlter macht es sich nun, rechtzeitig beim ORF das Handtuch geworfen zu haben und ausgestiegen zu sein. Diese widerlichen Seilschaften, je nach politischer Gesinnung und Parteizugehörigkeit, der unverhohlene Lobbyismus gingen ihm fürchterlich auf den Geist, dieses sich ständig mit dem Wind zu drehen, um vorwärtszukommen.

    Die Arschkriecherei und das Schleimen, um auf der Karriereleiter hochzukommen, obwohl einem der Typ unsagbar zuwider war, aber man musste gut Wetter machen, weil der eben sehr viel zu melden hatte. Wem diese erlauchten Kreise verschlossen blieben, war chancenlos, so gut konnte er in seinem Job gar nicht sein.

    Kokoschansky war immer stolz darauf, dass er sich von dem allem fernhalten konnte, parteilos und unabhängig blieb, dafür jedoch auch keine Karriere machen durfte. Vielmehr galt er als unberechenbar, nicht einschätzbar und vor allem nicht zu kaufen.

    Selbstverständlich war ihm klar, dass er in diesem Beruf, für den er brennt, weiterarbeiten wird. Jedoch anders, nämlich wirklich total unabhängig. Enthüllungsjournalismus auf hohem Niveau. Keinen plumpen, billigen Boulevard- und Yellow-Press-Schmarren.

    Da war ihm das Internet eine überaus große Hilfe und kam zur richtigen Zeit. Zu Beginn des WWW hatten es viele Sender, Radiostationen und Printmedien unterschätzt. Als sie endlich kapierten, welche neuen Möglichkeiten sich durch das Netz ergaben, hechelten sie größtenteils hinterher.

    Zusammen mit einem Partner, der ihm durch eine glückliche Schicksalsfügung

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