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Aberglaube und Geschäfte: Historischer Kriminalroman
Aberglaube und Geschäfte: Historischer Kriminalroman
Aberglaube und Geschäfte: Historischer Kriminalroman
eBook310 Seiten4 Stunden

Aberglaube und Geschäfte: Historischer Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Winter 1582/1583. Leichenfunde in den Wäldern um Wolfenbüttel und im Erzbergwerk Rammelsberg bei Goslar geben dem jungen Juristen Konrad von Velten Rätsel auf. Während sich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel Ruhe in seinem Herzogtum wünscht, da ein wichtiges Kolloquium zur Einigung von lutherischen Theologen und Fürsten bevorsteht und ein Handelsabkommen geschlossen werden soll, wecken höhnische Gedichte einen unglaublichen Verdacht. Und wieder einmal scheint Konrad von Velten den Ereignissen - auch im privaten Bereich - hinterherzulaufen.
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum8. Aug. 2018
ISBN9783839257449
Aberglaube und Geschäfte: Historischer Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Aberglaube und Geschäfte - Susanne Gantert

    Zum Buch

    Gereimte Intrige Winter 1582/1583. Konrad von Velten vergnügt sich auf der Hochzeitsfeier seiner Mutter, als Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel nach ihm schickt, um ihm einen neuen Fall zu übertragen. Der Herzog braucht für seine kirchenpolitischen Ziele Ruhe im Land, und die droht durch wieder aufflackernden Aberglauben gestört zu werden. Denn im Wald wurde eine grausam zugerichtete Säuglingsleiche gefunden, und ein Mann, der sich vom Teufel verfolgt wähnte, ist unter mysteriösen Umständen gestorben. Zwei weitere Leichenfunde, einer davon in einem Stollen des Erzbergwerks Rammelsberg im Harz, bringen Konrad, der auch privat in Schwierigkeiten steckt, in Handlungszwang. Zum Glück stehen ihm auch bei diesem Fall sein Onkel Andreas Riebestahl und der Rest seiner Familie zur Seite. Laura von Kaltenburg, Konrads Schutzbefohlene, die nun bei seiner Mutter lebt, ist indes mit den Sorgen um ihre eigene Zukunft beschäftigt, die in ihren Träumen nicht wenig mit Konrad zu tun hat.

    Susanne Gantert, wurde in Salzgitter als Pfarrerstochter geboren. Die Mutter von drei Kindern lebt heute mit ihrem zweiten Mann in ihrer Wahlheimat Wolfenbüttel und arbeitet als Theologin. Die interessante (Kirchen-)Geschichte des Braunschweiger Landes, die sie im Rahmen einer populärwissenschaftlichen Auftragsarbeit genauer kennenlernte, dient ihr als Grundlage für ihre historischen Romane. Nach »Das Fürstenlied« und »Der Mädchenreigen« ist »Aberglaube und Geschäfte« der dritte Band ihrer Konrad-von-Velten Reihe. Sie veröffentlicht (unter dem Namen Susanne Diestelmann) auch gemeinsam mit ihrem Lebenspartner.

    Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

    Der Mädchenreigen (2016)

    Das Fürstenlied (2015)

    Impressum

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    © 2018 – Gmeiner-Verlag GmbH

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    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage 2018

    Lektorat: Dominika Sobecki

    Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung der Bilder von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marinus_van_Reymerswaele_(Follower_of)_-_The_Money_Changers_-_Google_Art_Project.jpg und

    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Decorated_Initial_D_-_Google_Art_Project_(6821879).jpg und

    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Braunschweig_Lüneburg_(Merian)_336.jpg

    ISBN 978-3-8392-5744-9

    Prolog

    Dezember 1582

    Der Mann, der sich im begrenzten Lichtkegel eines blakenden Talglichtes dicht über eines der vielen Papiere beugte, die auf dem Schreibtisch wild durcheinander lagen, gab erzürnte Laute von sich, schlug immer wieder mit der flachen Hand auf die Schrift und raufte sich zwischendurch die Haare.

    Ein eingeschüchterter Dienstbote, der es nicht wagte, sich zu Bett zu begeben, bevor der Herr es ihm ausdrücklich gestattet hatte, lugte vorsichtig in das Arbeitszimmer und gab ein leises Hüsteln von sich.

    »Darf ich Euch noch etwas bringen, Herr?«, versuchte er den Erzürnten auf sich aufmerksam zu machen, doch er hatte keinen Erfolg.

    Ohne ihn wirklich wahrzunehmen, starrte sein Herr ihn an, wies dann mit dem Finger auf ihn, als wenn er ihn einer Untat bezichtigen wollte, und rief:

    »Bei meiner unsterblichen Seel, das ist tiefster Calvinismus! Er kann es doch nicht wagen, dieses durchzusetzen und unsere reine Lehre so zu verwässern!«

    Der Diener, der solche Anwandlungen seines Herrn kannte und gewohnt war, seufzte tief und beschwichtigte:

    »Gewiss, gewiss, Herr Pfarrer, aber das Problem wird heute nicht mehr zu lösen sein. Tatsächlich hat sogar der neue Tag begonnen, eben schlug es zwölf! Bedenkt, Herr Pfarrer, dass Ihr in wenigen Stunden auf der Kanzel zu stehen habt. Da ist es gewiss besser, Ihr begebt Euch jetzt zur Ruhe!«

    Als wenn er die Worte seines Dieners nicht gehört hätte, fuhr der Pfarrer fort: »Man wird sich gegen solche Unart in unserem Herzogtum stählen müssen – ein eisiger Wind wird sonst die reine Lehre, die unser Herr Martinus uns hinterlassen hat, verwässern und schließlich ertränken! Ich muss unseren Herrn Julius sofort warnen und ermuntern, seinen Groll gegen den Herrn Chemnitius zu begraben. Tut er es, besteht noch Hoffnung, tut er es nicht, so Gnade uns Gott.«

    Der Diener, ein schlichter, aber sehr frommer Mann, erschauerte bei den Worten seines Pfarrherrn. Er verstand nie so recht, worum es in den sehr gelehrten Streitigkeiten ging, in die sein Herr sich regelmäßig vertiefte. Der Verlust der reinen Lehre des Herrn Martinus – das wusste er – würde Auswirkungen auf alle einfachen Seelen im Herzogtum haben. War selbige erst so spät für die Untertanen erstritten worden. Undenkbar, dass der Trost, den das einfache Volk durch die Predigten der lutherischen Pfarrer und das endlich unter beiderlei Gestalt empfangene Altarsakrament seit etwas mehr als zehn Jahren erhielt, von einer wie auch immer gearteten Verwässerung gefährdet sein sollte. Wörter wie »Calvinismus«, »Zwinglianismus« und »Philippisten« waren in diesem Haus bedrohliche Schimpfwörter, ohne dass der Diener verstand, was genau sie bedeuteten. Nichtsdestoweniger bebte er bei ihrem Klang, so wie er um seinen Pfarrherren fürchtete, wenn dieser sie zornsprühend in den Raum schleuderte.

    Jetzt schien der Pfarrer zu erkennen, wem er seine Worte entgegengeschleudert hatte. Sein Blick wurde milder, sein Ton weicher. »Ach, Walter, gewiss, es ist spät, und ich muss dir nicht zu dieser Stunde predigen, was du in wenigen Stunden von meiner Kanzel hören kannst. Geh zu Bett, ich bedarf deiner nicht mehr. Und in der Tat werde ich das auch bald tun, denn es bedarf eines wachen, frischen Geistes, um seine Schafe in der rechten Art zu weiden.«

    Erleichtert zog sich der Diener zurück, ließ aber die Tür zum Amtszimmer des Pfarrers als Mahnung, dass dieser ihm wirklich bald folgen solle, offen stehen und begab sich zu Bett.

    Erstaunt stellte der Diener am nächsten Morgen, als er den Pfarrherrn wecken wollte, fest, dass dieser sich offensichtlich doch nicht zur Ruhe begeben hatte. Doch war dies nicht das erste Mal, dass so etwas passiert war, und so erwartete Walter, als er die Treppe zum Amtszimmer seines Herrn hinunter beschritt, dass dieser an seinem Schreibtisch über seinen Schriften eingeschlafen war.

    Die Tür stand genau den gleichen Spalt weit offen, wie er sie hinterlassen hatte. Ein unangenehmer, kalter Luftzug drang aus dem Raum. Der Diener unterdrückte ein Schaudern, das nicht nur allein dem Luftzug geschuldet war, sondern einer seltsamen Ahnung, die ihn anwehte. Er stieß die Tür ganz auf und gab einen erstaunten Laut von sich.

    Sein Pfarrherr saß am Schreibtisch, wie er ihn verlassen hatte. Einen Augenblick lang dachte Walter, dass den alten Pastor der Schlag getroffen hatte, denn er saß zusammengesunken, den Blick starr auf das weit geöffnete Fenster gerichtet. Doch als er ihn vorsichtig an der Schulter berührte, kam ein wenig Bewegung in den Mann, der halb erfroren zu sein schien.

    »Die Sünde der Väter sucht sie heim bis ins dritte und vierte Glied«, flüsterte er und schien dabei den Blick auf irgendein fernes Grauen zu richten.

    Kapitel 1

    Konrad von Velten reichte seiner entzückend erröteten Mutter den Brautstrauß zurück. Woran keiner mehr so recht geglaubt hatte, sie hatte es tatsächlich getan: Sie hatte Pastor Paul Wegener aus Fümmelse ihr Jawort gegeben. Fast zwei Jahre hatte ihr innerer Kampf mit ungewissem Ausgang gedauert. Nicht etwa, dass sie dem stattlichen Mann abgeneigt gewesen wäre. Das Gegenteil war der Fall: Sie, die eigentlich mit dem Ehedasein nach dem Tod ihres innig geliebten ersten Ehemannes abgeschlossen hatte und sich vollkommen auf ihren Beruf als Leiterin einer höheren Mädchenschule und auf die Erziehung ihrer fünf minderjährigen Kinder konzentriert hatte, erfuhr unter dem sanften, aber beharrlichen Werben dieses dunklen, ernsten Mannes das Aufwallen des Blutes und das Sehnen aller Sinne erneut, vertraut und doch anders als vor ihrer ersten Ehe.

    Paul Wegener war kein typischer Vertreter seines Standes, wenn es so etwas überhaupt gab. Seine hoch aufgerichtete, breitschultrige Gestalt, die dunkle Haut, das ungebärdige schwarze Lockenhaar und nicht zuletzt die riesige rote Narbe, die sein Gesicht von der rechten Schläfe, knapp am Auge vorbei, bis zur linken Seite des Kinns durchlief, passten eher zu dem Aussehen eines wilden Landsknechtes. Unwillkürlich suchte man in seinem Gesicht nach kämpferisch funkelnden schwarzen Augen und traf stattdessen auf rehbraune mit sanftem, grüblerischem Blick. Sein Amt als Pfarrer des Dorfes Fümmelse versah er seit drei Jahren, und sein Leben davor war eine lange Geschichte voller Irrungen und Wirrungen gewesen, die Agnes bisher nur in Bruchstücken in Erfahrung hatte bringen können. Sie wusste so viel, dass sie ihm aus tiefstem Herzen vertraute. Sie konnte nicht anders, denn vom ersten Augenblick an war er ihr mit einer Wärme und Sanftmütigkeit begegnet, die sein Aussehen in jeder Hinsicht Lügen straften.

    Nein, nein, es hatte nicht an ihm gelegen, dass sie so lang gezögert hatte. Es hatte daran gelegen, dass sie fürchtete, aufgeben zu müssen, was einen Großteil ihres bisherigen Lebens und Strebens ausmachte, um seine Ehefrau sein zu können. Konnte eine Pfarrfrau im Braunschweiger Land weiterhin Schulleiterin sein? – Undenkbar! Konnte sie, die sie selbst Tochter und Schwester von Pastoren war, sich vorstellen, ein Leben, wie ihre Mutter und dann ihre Stiefmutter es geführt hatten und ihre Schwägerin es jetzt noch führte, zu leben? – Fast genauso undenkbar!

    Von Anfang an hatte Paul ihre Bedenken und Zweifel verstanden und mitgetragen. Er hatte Agnes in ihrer Funktion als Schulleiterin kennengelernt, als er seine eigene Tochter aus seiner kurzen ersten Ehe an Agnes’ Schule in der Heinrichstadt angemeldet hatte. Vor sich hatte er eine kleine, kerzengerade blonde Frau gesehen. Erste graue Haare, kaum erkennbar in dem hellen Blond, wiesen unmissverständlich darauf hin, dass diese Frau nicht mehr ganz jung war, doch ihr zartes Gesicht mit den riesengroßen blauen Augen zeigte nur wenige Fältchen in den Augenwinkeln. Die Falten an den Mundwinkeln jedoch zeugten von erlittenen Sorgen und von Trauer und gaben dem Gesicht eine ernsthafte Reife, die im Gegensatz zu der mädchenhaften Figur und den flinken Bewegungen zu stehen schien. Paul Wegener hatte noch nie eine Frau gesehen, die er so wenig einordnen konnte, und war vom ersten Augenblick fasziniert von Agnes.

    Tatsächlich wussten beide nicht, wie sich ihr zukünftiges gemeinsames Leben gestalten würde. Zunächst hatte Agnes die Verwaltung und Führung der Schule kommissarisch in die Hände ihrer langjährigen Mitarbeiterin und Stellvertreterin Luise Steibach gelegt und ihren turbulenten Haushalt in der Krummen Straße in der Heinrichstadt aufgelöst. Fümmelse lag nahe genug an der Heinrichstadt, dass ihre drei Mädchen und ihre Pflegetochter Laura zusammen mit ihrer neuen Stiefschwester Regina die Schule würden besuchen können. Das neue Pfarrhaus bot genug Platz für eine große Familie, sogar Agnes’ drei Söhne würden Aufnahme finden können. Konrad hatte eine eigene kleine Hofbeamtenwohnung in der Heinrichstadt und die Zwillinge Julius und Nicolaus weilten meistens an der Universität Helmstedt, wo der eine Medizin, der andere Jura studierte.

    Ein Tuscheln und Kichern lenkte Konrads Blick von dem Gesicht seiner Mutter ab, und er versuchte, eine strenge, mahnende Maske anzulegen, ehe er sich nach hinten zu der blumenbekränzten Mädchenschar wandte. Aus überwiegend blauen Augen blickten ihn fünf Mädchen, die aufgereiht wie Orgelpfeifen standen, gespielt unschuldig an. Nur die Kleinste, Käte, seine sechsjährige jüngste Schwester, hatte ihre Züge nicht rechtzeitig im Griff und auf ihnen war alles zu lesen, was hier vor sich gegangen war.

    In Konrads Mundwinkeln zuckte es leicht, was das breite Grinsen auf dem Gesicht seiner Schwester unmittelbar vertiefte. Schnell ließ er seinen Blick zu den anderen Mädchen schweifen. Über Elisabeth und Adelheid, die sich an den Händen gefasst hatten, wie sie es oft seit ihrer frühesten Kindheit taten, denn sie waren im Alter nur ein knappes Jahr auseinander, zu Regina, seiner neuen Schwester, die mit ihrem tiefschwarzen Haar und ihren grünen Augen einen erstaunlichen Kontrast zu all den blonden Mädchen darstellte und mit ihren elf Jahren fast einen Kopf größer war als die beiden älteren.

    Den Abschluss der Reihe bildete Laura, und bei ihr traf er nicht auf einen unschuldigen, sondern auf einen höchst herausfordernden Blick. Erstaunt stellte Konrad fest, dass dieser Blick zu einer Laura gehörte, die er noch nicht wahrgenommen hatte. Er hatte Laura vor einigen Tagen in Begleitung von Agnes auf dem Markt getroffen und ein bisschen mit ihr herumgeschäkert. Er hatte die hübschen Zopfschnecken über ihren Ohren bewundert und schelmisch betont, wie viel besser ihm diese gefielen als die Knabenfrisur, die sie sich vor zwei Jahren auf der Flucht vor ihrem Bruder hatte schneiden müssen. Da war sie tief errötet und hatte kaum ein Wort erwidert.

    Laura war genauso groß wie Regina, im Gegensatz zu deren linkischer Unbeholfenheit eines Kindes kurz vor dem Erwachsenwerden hatte sie eine zierliche, aber wohl gerundete Figur. Sie hatte jede Ähnlichkeit mit der Laura verloren, die er vor zwei Jahren erst als verschmutzten Stallburschen, dann als verstörtes Opfer ihres skrupellosen Bruders kennengelernt hatte.

    Diese Laura hier, ebenso blond und blauäugig wie seine Schwestern, rief in diesem Moment alles andere als brüderliche Gefühle in ihm hervor. Verlegen wandte er seinen Blick von ihr ab und versuchte, sich auf das Geschehen der Trauung zu konzentrieren.

    Pastor Thomas Riebestahl, Bruder der Braut und Konrads jüngster Onkel, beendete den Traugottesdienst, und von der kleinen neuen Orgel der Fümmelser Kirche erschollen ungewohnt virtuose Klänge, denn nicht der Opfermann betätigte diese heute. Barbara Riebestahl, Konrads Tante, hatte es sich nicht nehmen lassen, diese am heutigen Tage für ihre Ziehschwester und Schwägerin erklingen zu lassen.

    Die fröhliche Festgemeinde quoll hinter dem Brautpaar aus der kleinen Kirche, vor der sofort von der Dorfjugend einiger Schabernack initiiert wurde, wie dies bei Trauungen üblich war. Heute schienen sie durch die Tatsache, dass es ihr Pastor war, der eine neue Frau heimgeführt hatte, zu besonderen Leistungen angetrieben.

    Da sich das Pfarrhaus gleich neben der Kirche befand, schloss sich an die Zeremonie kein großer Brautzug an, sondern die geladene Gesellschaft betrat in fröhlicher Ausgelassenheit die unteren Räume: die Amts- und Wohnstube sowie im hinteren Teil Küche und Essstube. Heute waren alle Möbel aus den Räumen entfernt und stattdessen lange Bretter zu Tafeln aufgebockt worden, an denen auf einfachen Bänken und Schemeln die ganze große Familie Riebestahl und die wenigen Dorfbewohner, die ihre Scheu überwunden hatten und der großzügigen Einladung ihres Pastors gefolgt waren, Platz fanden.

    Hauseigene und ausgeliehene Mägde wuselten hin und her und trugen von »Ahs« und »Ohs« der Gäste begleitet dampfende Schüsseln mit dem Hochzeitsmahl auf. Andreas Riebestahl, der Zwillingsbruder der Braut, stand am Kopfende der langen Tafel, hielt einen Humpen in der Hand und hob an, eine Rede zu halten. Aufmerksame Stille senkte sich über die Hochzeitsgesellschaft.

    »Meine liebe Schwester Agnes, mein lieber neuer Schwager Paul, nachdem mein kleiner Bruder heute das erste Wort haben durfte und euch in der Kirche getraut hat, habe ich das zweite Wort an euch. Beide wisst ihr bereits, was die Ehe bedeutet, beide habt ihr schmerzlichen Verlust erleben müssen. Ihr habt euch füreinander entschieden, weil ihr es wolltet, keiner konnte euch zwingen …«

    Konrad ließ es gegen seine Gewohnheit zu, dass seine Gedanken von der Rede seines Onkels abschweiften. Er wusste, was gesagt werden würde und gesagt werden musste, und die Seite des Zweiflers und Grüblers in ihm konnte die Oberhand gewinnen.

    Gewiss, der neue Ehemann seiner Mutter war ein famoser Kerl und es war nichts Schlechtes an ihm zu finden, seine Mutter ging jedoch ein hohes Risiko mit dieser Ehe ein. Sie gab für das Ehefrauendasein die Sicherheit eines geordneten und für eine Frau außergewöhnlich selbstständigen Lebens auf. Sie war noch nicht aus dem gebärfähigen Alter heraus, hatte bereits sechs Kinder, und die Gefahr, dass sie in einem neuen Kindbett sterben könnte, war nicht von der Hand zu weisen. Als Pfarrfrau würde man ihr nicht allzu viel Gelegenheit lassen, ihren gelehrten Vorlieben und organisatorischen Aufgaben in der Schule nachzukommen. War es das wert?

    Konrads Blick schweifte zu Barbara, die ihren kleinen Sohn Maximilian auf dem Schoß hielt und deren Blick seit dem jähen Tod des Zwillingsbruders von Maximilian den Schalk verloren hatte. Der Junge war vor ein paar Monaten an der sporadisch neu aufgeflackerten Pest gestorben.

    Ist nicht jede Eheschließung, jede Familiengründung der Anfang einer Reise, auf der in jedem Winkel das Gespenst des Verlustes lauert?, dachte er schaudernd.

    Er selbst wäre vor mehr als zwei Jahren nur zu bereit gewesen, sich auf diese Reise zu begeben, aber ihm war die Erwählte auf brutalste Art und Weise genommen worden, bevor es zu einer Hochzeit hatte kommen können. In den Monaten nach diesem tragischen Erlebnis hatte er diesen Umstand unbewusst als eine Art Strafe für seine eigene unwürdige Geburt akzeptiert. Niemand ahnte etwas davon, weil er sich jeder Anteilnahme und allen gut gemeinten Gesprächsangeboten systematisch verschlossen hatte. Er hatte sich in die Rolle des Beobachters von Freud und Leid zurückgezogen und begab sich nur in flüchtige Beziehungen zum anderen Geschlecht.

    Derzeit hielt er eine lockere Beziehung zu einer zehn Jahre älteren Kaufmannsgattin aufrecht. Gerade gestern hatte die ihm aber erbittert Dinge an den Kopf geworfen, die in ihm den Entschluss hatten reifen lassen, die Beziehung zu beenden, zumal die Gefahr einer peinlichen Entdeckung mit jedem Treffen stieg.

    Gewiss, er schämte sich nicht wenig, denn sein Gewissen hielt ihm immer wieder vor, was für ein lockerer Vogel er sei. Was war an ihm besser als an seinem leiblichen Vater, der ihn in Unehre gezeugt hatte? Trotzig dachte er, dass der Apfel eben nicht weit vom Stamm falle und dass es nun einmal sein Schicksal sei, Frauen zu lieben, aber nicht wirklich lieben zu dürfen.

    Der Trinkspruch, den sein Onkel ausrief, riss Konrad aus seinen düsteren Gedanken, er blickte auf, und zum zweiten Mal an diesem Tag begegnete er dem herausfordernden, stolzen Blick Lauras.

    Kapitel 2

    Mit in tiefe Falten gelegter Stirn las Herzog Julius ein weiteres Mal den Brief, den er in Händen hielt. Die Unterzeichner, die ehrwürdigen Professoren der Universität in Helmstedt Tilemann Heshusius und Basilius Sattler, hatten in ernsten Worten dargelegt, dass mit der Einladung zu einem Colloquium in Quedlinburg dem Ernst der Sache wahrhaftig noch nicht Genüge getan sei. Zwar würden sie das Einlenken der Kurfürsten begrüßen, aber die Einladung zu diesem Colloquium könne nicht die geforderte Einberufung einer rechten Synode ersetzen.

    Der Herzog seufzte schwer. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Eingeständnis, dass er selbst nicht wusste, warum er sich der endgültigen Zustimmung zu diesem gewaltigen Einigungswerk so vehement verwehrte, und der tief empfundenen Überzeugung, dass er als Landesvater dieses Herzogtums eine enorme Verantwortung für die Reinerhaltung der Lehre in den Kirchen trug. Er versuchte, sich das eigentliche Problem zu vergegenwärtigen: Es ging um nichts weniger als die »Formula Concordiae«, die Formel der Eintracht der wahren, unverwässerten lutherischen Lehre. Eine Formel, die er, einer der lutherischsten Fürsten des Reiches, wahrhaft zu fördern und zu unterschreiben hätte, um den lutherischen Landen ein Bollwerk gegen die calvinistischen Angriffe auf die reine Lehre zu bauen. Und es war nicht so, dass der Wille dazu nicht da wäre.

    Seine Gedanken wanderten zurück in die glorreichen Jahre, da sein erstes Werk als neuer Landesvater die endgültige Einführung der Reformation ins Braunschweiger Land gewesen war. In einer gewaltigen Anstrengung hatte er das Land mit der Hilfe der hervorragenden Theologen Chemnitius und Andreae mit Kirchenvisitationen überzogen, hatte jeden Pfarrer und Kaplan auf Herz und Nieren überprüfen und strenge Examinationen durchführen lassen; diesen im Amt belassen, jenen abgesetzt und neue Pfarrer aus anderen, bereits seit Jahrzehnten lutherischen, Fürstentümern abgeworben.

    »Verdammter Chemnitius!«, entfuhr es ihm grollend aus tiefster Brust, während sich mit einem bitteren Aufstoßen sein Magen meldete. Was hatte sich dieser Pfaffe einzumischen, wenn es um hohe Politik ging? War es denn nicht so, dass Diplomatie und Staatsräson andere Maßnahmen erforderten, als es den weltfernen Theologis recht sein wollte? Es gab Kompromisse, die in der Politik machbar und erforderlich waren, die keineswegs die reine Gesinnung infrage stellten!

    Allein aus politischen Gründen hatte er 1566 zugestimmt, dass sein damals zweijähriger Sohn Heinrich Julius vom Halberstädter Domkapitel zum Bischof gewählt wurde. Es war eine Übereinkunft zu beiderseitigem Nutzen gewesen. Er hatte damit sichergestellt, dass dieses wichtige Territorium unter seinem Einfluss blieb. Und die Halberstädter konnten in ihren Interna schalten und walten, wie sie wollten, da festgelegt wurde, dass bis zur Mündigkeit des Zweijährigen das Domkapitel allein die Administration des Stifts innehatte.

    Natürlich gab es pro forma die Bestimmung, dass der Prinz katholisch zu erziehen sei, doch diese Forderung wusste der Herzog konsequent zu umgehen. Im Gegenteil hatte er für eine im höchsten Maße lutherische Erziehung durch den Theologen Andreae und den Hofmeister Curt von Schwicheldt gesorgt. Übrig geblieben war allein die Forderung nach der Tonsur bei der Einsetzungszeremonie des Prinzen als Bischof. Bis zum Schluss hatte er, Julius, darum gekämpft, dass die Tonsur, dieses kirchenrechtliche Zeichen der Zugehörigkeit zum Klerus, das einzige Zugeständnis blieb. Selbst die Entbindung von der Teilnahme des neuen Bischofs an der katholischen Messe hatte er erreichen können.

    Also, was wollte dieser vermaledeite Chemnitius? Wie hatte wegen so einer Sache aus dem Freund und Weggenossen ein Gegner werden können? Wie hatte es geschehen können, dass er, der rechtschaffene Kämpfer für die Sache der Konkordie, wegen solch zänkischen, rechthaberischen Theologengebarens in Misskredit bei den anderen Fürsten geriet? Nur der gute Andreae hatte durch seine unermüdlichen Bemühungen erreicht, dass man keine faulen Eier nach ihm warf, sondern ihn endlich wieder in den Kreis der Streiter für das Konkordienwerk

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