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Shadow
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eBook701 Seiten9 Stunden

Shadow

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Über dieses E-Book

In der fremden Welt Gesfalin existiert ein Artefakt, das die Schöpfer als den Ursprung des Schattens bezeichnen. Jeder der es besitzt, erhält die Macht der Unsterblichkeit und wird für zehntausend Jahre in den Stand der Götter erhoben. Als jedoch der Fürst der Finsternis davon erfährt, entsendet er seine dunklen Vasallen, um jene Quelle für sich zu beanspruchen. Doch sein Plan scheint zu scheitern, denn Gesandte des Schicksals sind bereits auf dem Weg dieser Bedrohung EInhalt zu gebieten, deren ungewollte Verbundenheit zum Schatten schon bald an allem zweifeln lassen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Juli 2017
ISBN9783962174569

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    Buchvorschau

    Shadow - Adrian Daray

    Prolog

    Am Anfang war die Stille! Die Sieben hatten soeben die Halle des Erbauers betreten, um über die Schöpfung zu sprechen, die sie so sehr bewegte. Nichts konnte sie mehr davon abhalten, auch wenn sie sich bewusst waren, dass kein Weg mehr zurückführen würde.

    »Des Prinzen Schöpfung nähert sich der Trägheit. Verlangt sind neue Kreationen, das Alte muss vergehen. Kräfte schwinden, dunkle Energien erscheinen, behaften die Welt mit Zerstörung.«

    »Zerstörung? Weshalb erneuern, wenn schon geschaffen? Ein Tod ist nicht immer verknüpft mit Neuem.«

    »Zumeist doch schon, erblickt das Chaos: einst vernichtet für das Leben. Nach dem Dunkel kommt das Licht, strebt Ihr nicht auch nach den Gesetzen eines Gottes?«

    »Recht sprecht Ihr, doch wo ist das Ziel? Verlangt es denn nach unserem Tod?«

    »Mitnichten, so seid gewiss. Die Welt der Schöpfung muss vergehen, so wird getan was kommen muss.«

    »Doch die Welt wird danach verändert sein, bedenkt dies auch in Eurem Tatendrang.«

    »Gewiss, Begegnung ist Veränderung. Regeln, die zu befolgen sind.«

    »Und wenn die Grenzen uns entschwinden?«

    »Grenzen? Der Schöpfungswille besitzt dies nicht!«

    »Doch was geschieht mit uns dabei? Die Welten tragen Leben, so ist das Denken nahe, das auch uns die Formung prägt.«

    »Mit Sicherheit, so akzeptiert des Prinzen Wille.«

    »Dies Ziel vor Augen stimmt mich elend! In diesem Zustand herrscht das Glück, das Neue rühmt das Fremde!«

    »Tiefe Kreationen verlangt die Kraft, die heißen Feuer verglühen rasch, ein neuer Funke nährt die Glut!«

    »Unsere Kraft? Oder die der Euren?«

    Ein Schweigen durchzog die Halle, dessen zauberhafte Melodie die Quelle der Macht inspirierte.

    »Die Bereitschaft ist gefragt, deshalb der Rat. Der Prinz verlangt nach Order, nicht die Zweifel.«

    »Doch wie geschieht ein neuer Tag, wenn doch Welten schon geschaffen?«

    »Manifestationen der Sinne, ein anderer Weg ist nicht bestimmt. «

    »Ein jeder ist des eigenen Ziels bewusst, die Schöpfenden sind wir, der Fluss jedoch ist nur der Prinz!«

    »Bestreben, bestreben, so ist´s denn getan, die Kraft des Guten gegen die Macht des Bösen – nicht anders! «

    »Im Sinne des Prinzen wahrlich sehr weise!«

    »Weshalb dann unsere Präsenz?«

    »Schändlichkeit behaftet diese Erkundigung!«

    »Der Blauen Flamme Wirken ist nicht der Abgrund!«

    »Sein Wort ist Erbauung, es beginnt bereits!«

    »Lasst die Manifestation beginnen!«

    Ein Raunen ging durch die Beteiligten, deren geistige Anwesenheit die Seele der Quelle verkörperte. Die Kreation war soeben in Gang gesetzt worden, dessen Ausklang niemand vorhersehen konnte. Und die Sieben nahmen ihren Platz in der Zusma-Ebene ein, deren Wirken unermessliche Konstellationen freisetzte.

    Die 13 Kapitel der Prophezeiung

    Der Mut eines Wolfes

    Browl war auf dem Weg um Milch holen. Er machte dies einmal pro Woche, damit sie genügend im Hause hatten. Auch wenn ihm diese Aufgabe alles andere als gefiel, hatte er doch das Bedürfnis seiner Mutter zu helfen. Natürlich hatte er oft davon geträumt, irgendwann einmal auf eine große Reise zu gehen, um reich und mächtig zurückzukehren. Dann bräuchte er nicht mehr diese nervigen Botengänge ertragen, die er stets verrichtete, damit wenigstens ein bisschen Geld vorhanden war.

    Seit sein Vater vor über zwei Jahren an der Fischseuche starb, standen er und seine Mutter alleine vor dem Nichts. Sie besaßen lediglich eine Hütte in der Stadt Laarn, die in keinem sonderlich guten Zustand war. Immerhin stand sie recht günstig, die Fenster in der Stube richteten sich genau auf die Hauptstraße. Von dort aus konnte man wenigstens gut die Händler sehen, die sich einmal im Monat nach Laarn wagten, um dort ihre Waren feilzubieten. Doch sie hatten selten Glück, Käufer fanden sie kaum, denn Laarn war verarmt.

    Im seinem Dorf lebten an die tausend Einwohner, davon waren die meisten Frauen und Kinder, die entweder sich selbst versorgten, oder so wenig Lohn bekamen, dass es gerade mal für das Nötigste reichte. Browl lungerte oft bei den Händlern herum und gaffte auf die Dinge, die er sich nicht leisten konnte.

    Letztes Jahr hatten sie sich einige Hühner angeschafft, die immerhin einen kleinen Beitrag für ihren Geldbeutel leisteten. Dennoch war das Geld knapp, es reichte gerade so, dass sie nicht verhungerten.

    Irgendwann wollte sich Browl auch der Fischerei zuwenden. Viele Bewohner des Dorfes hielten ihn deswegen für verrückt, da die Fischbestände in den letzten Jahren, nach der Seuche, sehr weit zurückgegangen waren. Aber das störte Browl nicht, die Dorfbewohner hänselten ihn ohnehin, völlig egal was er auch tat. Sie behaupteten, er wäre sowieso ein Muttersöhnchen, das nichts richtig machen konnte.

    »Ha! Dass ich nicht lache«, stieß Browl aus, während er darüber grübelte, ob er den kürzeren, dunklen Waldpfad nehmen sollte oder lieber den Umweg, über die helle Hauptstraße. Er würde schon irgendwann mutig werden und es ihnen dann schon zeigen.

    Browl schlug die Hauptstraße ein und beschleunigte seine Gangart, denn die Hühner mussten noch versorgt werden. Der Weg zum Müller war lang und beschwerlich, mit einer Reisestunde war immer zu rechnen.

    »Jetzt nur noch über den Hügel«, murmelte Browl mühselig den kleinen Berg hinaufsteigend. Kaum oben angekommen, war die Mühle bereits in seinem Sichtfeld. Majestätisch schwang sie ihre Flügel im Wind. Hinter dem Gemäuer standen die Kühe, die in einem Holzzaungehege gehalten wurden.

    Als er kurze Zeit später eintrat, empfing ihn die Dunkelheit. Er blickte sich zwar mehrmals um, aber er konnte nichts erkennen. Doch bevor sich seine Augen an die Finsternis gewöhnen konnten, gab es einen gellenden Schrei, der sich anhörte, als ob ein Wolf aufgeheult hätte. Dann wurde Browl heftig zu Boden geworfen, gleichzeitig entflammten einige Öllampen.

    Als er sich mit weit aufgerissenen Augen umsah, vernahm er lautes Gelächter. Um ihn herum standen vier Heranwachsende, die sich köstlich über ihn amüsierten. Es waren die Söhne des Müllers, die ihn hinters Licht geführt hatten. Browl war es peinlich, dass er auf ihren Streich hereingefallen war.

    »Angsthase, Muttersöhnchen«, spotteten sie.

    »Hört auf damit« ertönte es aus einer dunklen Ecke der Mühle. »Er hat genug!«

    Der Müller kam zum Vorschein.

    »Guten Tag«, stammelte Browl. »Ich wollte die Milch holen.«

    »Mensch, Junge«, ermahnte ihn der Müller. »Was ist bloß los mit dir? Das ganze Dorf spricht über dich. Du bist schon siebzehn Jahre alt und fürchtest dich wie ein fünfjähriges Mädchen. Du solltest mal etwas gegen deine Angst tun.«

    Doch Browl ging nicht weiter darauf ein, er schämte sich zu sehr, außerdem fürchtete er sich davor, seine Angst zuzugeben.

    »Könnte ich nun die Milch haben?«, fragte Browl ungeduldig auf die leere Milchkanne deutend. Der Müller jedoch blickte Browl nur kopfschüttelnd an, verzog die Miene und tauschte seine leere Kanne gegen eine gefüllte aus.

    Browl verließ das Gebäude. Sein Ärger über das soeben geschehene ließ ihn eine für ihn waghalsige Entscheidung treffen. Er wollte nun über den dunklen Waldpfad Laarn erreichen, den er sonst eigentlich immer mied, auch wenn er weitaus kürzer war. Doch nun wollte er es sich selbst beweisen. »Sollen sie nur kommen«, dachte er laut, »ich werde es ihnen schon zeigen, mit wem sie sich angelegt haben.«

    Der Pfad führte etwas in die Tiefe, denn der Wald bedeckte ein Tal. Das Gehölz stand mächtig und frisch da und es roch penetrant nach Tannennadeln.

    Die Sonne war zwar noch hoch am Himmel, aber die Bäume waren so dicht beieinander, dass es den Anschein erweckte bereits zu dämmern. Nicht umsonst wurde die Gegend Finstertal genannt.

    Nach ungefähr zwei Kilometern war er am tiefsten Punkt angekommen. Hier war es so richtig finster. Die Nadeln waren besonders dicht, der Boden tiefschwarz, überall raschelte es und seltsame Tiergeräusche waren zu vernehmen. Browls Angst nahm überhand, er verspürte plötzlich Panik, die ihn dazu trieb, die Beine in die Hand zu nehmen und zu flüchten. Da hörte er plötzlich ein bekanntes Geräusch, welches er schon in der Mühle vernommen hatte: Wolfsgeheul!

    Doch dieses Mal hörte es sich sehr echt an. Im hinteren Dickicht, geschützt vor den wenigen Lichtstrahlen, die den Wald durchzogen, standen einige Wölfe. Sie beobachteten Browl aus sicherer Entfernung, dennoch starrte er sie voller Furcht an und wagte es kaum zu atmen, während leichte Nebelschwaden durchs Nadelgehölz wanderten.

    Erst langsam setzte er einen Fuß vor den anderen, immer dem Pfad folgend, der raus aus dem Finstertal führte. Browl hielt eine ganze Weile diesen Laufschritt bei, bis er plötzlich, wie vom Teufel geritten, davonraste. Mit verzerrtem Gesicht und Angstschweiß auf der Stirn, rannte er in Windeseile aus dem Tal hinaus.

    »Na, wieder zurück?«, fragte ihn Gorkat.

    »Ja, alles in Ordnung«, erwiderte Browl.

    »Wirklich? Du siehst so verschwitzt aus. War etwas Besonderes?«

    »Nein, nichts«, winkte Browl ab und ging seiner Wege.

    Gorkat war der Schwätzer im Dorf. Er hatte nichts anderes zu tun, als die Leute zu beobachten, alles von ihnen zu erfahren und abends im Wirtshaus jedem davon zu erzählen. Man hörte ihn am lautesten im Goldenen Horn schreien, der einzigen Dorfschenke in Laarn. Er ging abends als erster hinein und kam als letzter, stockbesoffen, wieder heraus. Browl konnte ihn gar nicht leiden.

    Als er zuhause ankam, richtete er seine Blicke ungewollt auf das Haus, in dem er und seine Mutter lebten. Es war eine alte, vermoderte Hütte, an der schon der Holzwurm fraß. Die alten Holzlatten waren vom Wetter gezeichnet und der Dachstuhl hing auch schon etwas schief. Der hölzerne Gartenzaun war zusammengebrochen und im Garten wuchs mehr Unkraut, als essbares Gemüse.

    Auf dem kleinen Grundstück sah er das Dutzend Hühnervieh, das wild scharrend in der Erde umher pickte, immer auf der Suche nach einem Wurm oder einem Käfer, denn für mehr Futter fehlten ihnen einfach die Mittel. Mit verachtendem Blick ging er ins Haus.

    »Mutter«, ließ er lauthals verlauten, »ich bin wieder da.«

    »Ich bin hier oben«, rief sie ihm entgegen und kam geradewegs die Treppe hinunter. »Du warst aber lange weg«, bemerkte sie und griff nach der Milchkanne.

    Wortlos ging Browl in seinen Raum und schloss die Tür hinter sich. Er setzte sich auf seinen Stuhl, blickte durch das Dachfenster, von dem er in weiter Entfernung den vernebelten Wald im Finstertal sehen konnte. Er dachte über die Begegnung mit den Wölfen nach. Die Augen geschlossen haltend, ließ er sich alles noch mal durch den Kopf gehen. Er stellte sich vor, wie er mit einem Pferd durch den Wald ritt, schwer bewaffnet die Wölfe durchs Dickicht jagend, um sie mit seinen schweren Hieben zu zerschmettern. Ja, er träumte oft von solch einem Heldentum, denn er wäre so gern mutig wie ein Barbar, ja wie ein Berserker gar. Oft hörte er von den Händlern, die aus dem Norden des Landes kamen, Heldentaten von Soldaten des Königs, von mutigen Söldnern, die für einen Batzen Mondtaler ihr Leben riskierten.

    Seufzend legte er sich auf sein Strohlager, machte es sich so bequem wie möglich und träumte von Helden und wie er dem König und ganz Katalunar bewies, dass er nicht feige war. »So mutig wie ein Wolf sollte man sein«, murmelte er im Halbschlaf vor sich her, bevor er endlich einschlief.

    Am nächsten Morgen wurde er etwas unsanft geweckt. »Aufstehen, Schlafmütze«, rief seine Mutter von unten herauf, »Mertak wartet auf dich.«

    »Nicht schon wieder«, dachte sich Browl. »Immer muss ich seine stinkenden Fische von der Küste, in seinen Laden schleppen.«

    Mertak hatte in Laarn ein kleines Geschäft, in dem er seine Fische verkaufte. Er war nahezu der Einzige, der sich noch dem Fischfang widmete, denn er hatte den größten und seetüchtigsten Kutter des Dorfes.

    Browl machte sich fertig und lief hinaus, wo Mertak schon auf ihn wartete. »Komm schon, Junge«, schrie er ihn an. »Ich bezahle dich nicht fürs Herumstehen!«

    Sein Kutter war wieder einmal randvoll mit Fischen. Das roch nach Arbeit. Browl spuckte in die Hände, nahm die erste Holzkiste und stellte sie auf den Karren, den Mertak immer bereitstellte, um seine frisch gefangene Ware in seinen Laden zu transportieren. An den Wagen hatte er seinen Ochsen gespannt, der die schwere Last ziehen sollte. Es war eine furchtbare Arbeit. Erstens wurde sie schlecht bezahlt, aber er brauchte das Geld. Zweitens roch er bestimmt eine Woche nach Fisch, welches den Nachteil hatte, dass ihn die Dorfbewohner schon von weitem rochen und ihn erst recht beschimpften.

    Erst zur Mittagszeit war er endlich fertig.

    »Eine kleine Verschnaufpause wäre nicht schlecht«, dachte er sich und setzte sich auf einen großen Stein, der ziemlich nah am Wasser lag. Verträumt erblickte er den Horizont und träumte davon, eines Tages in dieses Meer zu stechen, um fantastische Abenteuer zu bestehen. An seiner körperlichen Kraft sollte es nicht liegen, denn deine jahrelange und schwere Arbeit, wie Fische tragen, Waldhölzer ins Dorf schleppen und das Eisenerz vom Dorfschmied zu lagern, brachte ihm einiges an Stärke ein.

    »Jetzt bräuchte ich noch ein Schiff und eine Waffe und fürwahr, ich würde in See stechen«, sagte Browl laut in Richtung Meeres. »Wenn ich nur nicht so viel Angst hätte«, fügte er kleinlaut hinzu und warf verärgert einen kleinen Stein ins Meer.

    Plötzlich wurde er aufmerksam. Eine schnelle und kräftige Brise schien vom Meer heraufzukommen und ein unheimlicher Dunst war am Horizont zu sehen. Eine kleine Flagge wurde nun deutlich, die an einem Boot befestigt war. Der Stoff zeigte einen roten Untergrund mit einem schwarzen Raben auf ihr. Das Boot selbst machte einen soliden Eindruck, aber niemand war darauf zu sehen. So intensiv er auch hinsah, er erkannte nur dieses verlassene Boot, welches mit rasender Geschwindigkeit auf die Küste zu fuhr.

    »Wenn er nicht bald beidreht, wird er sich am steinigen Strand den Schiffsboden zerstören«, dachte Browl. Er fing an zu rufen, ging bis zu den Knien ins Wasser hinein, aber es gab keine Reaktion von Bord. Das Boot raste unaufhörlich auf das Land zu, bis es schließlich polternd strandete und abrupt stehen blieb.

    Browl starrte es schweigend an. Erst jetzt wurde ihm gewahr, dass jenes Boot ein kleines Häuschen vorwies, dessen Tür geschlossen war. Wahrscheinlich war der Besitzer des Gefährts in jener Hütte dort. Zögerlich ging er darauf zu.

    Auffällig war ein im Bug steckendes Kurzschwert mit ledernem Griff, dessen Klinge mit Blut gezeichnet war. Erschrocken wich er wieder zurück.

    Browl war nun etwas ratlos. Was sollte er jetzt tun? Aufs Boot brachten ihn jetzt keine zehn Pferde mehr, dafür hatte er einfach zu viel Angst. Aber einfach so zu tun, als wäre nichts geschehen, konnte er auch nicht. Und der Gedanke, dass einer der Dorfbewohner es finden könnte, gefiel ihm auch nicht, auch wenn er diese Möglichkeit als nahezu unwirklich einstufte. Bis auf Mertak hielt sich hier unten kaum einer auf, vor allem auch deshalb nicht, weil er sich an einem abgelegenen Teil des Strandes befand.

    Ein Geistesblitz durchfuhr ihn, der genährt von seiner Neugier ausgelöst wurde. Er wollte das Schiff schon noch genauer unter die Lupe nehmen, aber ihm Schutze der Nacht schien ihm dieser Plan geeigneter zu sein. Außerdem konnte er sich dann sicher sein, wenn bis dahin niemand mehr hier auftauchen würde, wäre die Gefahr gebannt und es handelte sich dabei um ein Geisterschiff. Rasch und voller Euphorie ging er wieder seiner Arbeit nach und lieferte Mertak seine Ware, bevor er in seine Kammer ging und auf die Nacht wartete.

    Lautes Grollen ließ Browl erwachen. Draußen tobte ein Gewitter und die Regentropfen klopften an sein Dachfenster. Auf den Straßen war es menschenleer. Der Regen prasselte auf die Dorfstraße, die sich förmlich in einen Matschfluss verwandelt hatte. Blitze zuckten vom Himmel, die die stockfinstere Nacht taghell werden ließ.

    Browl machte sich auf den Weg. Mit einem Kapuzenumhang sah man ihn durch das Dorf eilen, woraufhin er schnell den Pfad zum Strand erreichte. Erst dort entzündete er seine Sturmlaterne, die ihm den Weg zum Boot etwas an Licht spendete.

    Mit der Lichtquelle in der Hand, begann er sich langsam zum gestrandeten Boot hinüber zu schleichen. Seine Knie zitterten vor Angst und Neugier.

    Das Boot lag unverändert da. Durch den Sturm flatterte die Flagge wie ein wild gewordenes Tier.

    Plötzlich blitze es so gewaltig, das der ganze Himmel hell erleuchtet wurde und Browl sah einen großen schwarzen Raben am Himmel fliegen, der krächzenden Rufe ausstieß. Seltsamerweise zog er seine Kreise über dem Boot.

    Ein weiterer Schock durchfuhr ihn, denn das Schwert am Bug, dass er heute Mittag noch sehen konnte, war verschwunden. Außerdem stand die Tür am Bootshaus einen Spalt offen.

    Soeben wollte er sich wieder zurückziehen, als er auf einer naheliegenden Düne eine Gestalt erkennen konnte, die in seine Richtung starrte. Wie gelähmt blieb er stehen. Doch als er glaubte, dass dieses Phantom auf ihn zulief, verfiel er in Panik und kletterte auf das Boot um dort im Innern Schutz zu suchen. Er empfand dies als weitaus sicherer, als sich einen Wettlauf mit jener Gestalt nach Hause zu liefern. Panisch schlug er die Tür des Bootshaus hinter sich zu.

    Er hielt den Atem an und horchte. Doch nichts geschah. Über eine Viertelstunde lang verharrte er in dieser Stellung. Draußen vernahm er nur den pfeifenden Sturm und die schallenden Donnerschläge. Erst als sich weiter nichts tat, sah er sich im Innern des Bootes um.

    Seine Laterne war wie ein Segen. Alles konnte er im Innern erkennen, selbst die Masern der schwarzen Hölzer blieben ihm nicht verborgen. Auf dem Boden war alles mit weichem Stroh ausgelegt. An den Wänden hingen Kerzenhalter, in denen rote Kerzen steckten. Sie waren bereits benutzt worden, denn man sah die schwarzen Dochte.

    Durch den Schein seiner Lampe kamen viele Dinge zum Vorschein. Er sah Ornamente, Amulette, Tiegel und einige Flaschen, in denen sich seltsame Flüssigkeiten befanden.

    Am hinteren Ende des Hüttchens stand auffällig eine dunkle Seemannskiste, die ein goldenes Vorhängeschloss vorwies. Als er es berührte, fiel es wie von Geisterhand zu Boden und die Kiste klappte auf.

    Im Innern lag ein violett strahlender, faustgroßer Diamant, der ihn fast schon blendete und plötzlich wie von Geisterhand in die Höhe schwebte. Er war davon so fasziniert, dass er rückwärts nach hinten fiel.

    Genau über ihm blieb der fliegende Stein stehen. Immer heller wurde dieser und projizierte mit seinen Strahlen farbige Bilder, die sich an den Wänden abzeichneten.

    Er erkannte jetzt eine große Landschaft, die erst grün und saftig war und später, im hinteren Teil des Bildes, feurig wurde. Er sah eine Vielzahl seltsamer aufrechtgehender Echsenwesen, die einen gewaltigen, nicht definierbaren Gegenstand schleppten.

    Dahinter gab das Bild dreizehn große schwarze Echsenmenschen preis, die auf sechs Beinen auf ihn zumarschierten. Sie trugen seltsame Stäbe mit sich, die an der Spitze einen grünlichen Rauch von sich gaben. Sie richteten sie auf ein weiteres, teuflisches Wesen auf einem Thron, vor dem sie sich verbeugten. Auf dessen Kopf saß eine majestätische Krone.

    Doch bevor er es genauer inspizieren konnte, schwebte der Stein in die Truhe zurück, wobei sich der Deckel mit lautem Getöse schloss.

    Browl war so überwältigt, dass er kaum die Schritte wahrgenommen hatte, die auf dem Dach des Bootes zu hören waren. Voller Panik löschte er das Licht.

    Kaum atmend saß er da. Lauschend horchte er, doch es zeichnete sich dasselbe Bild ab wie vorhin: es tat sich nichts weiter. Auch die Schritte waren verstummt. Zurück blieb eine unheimliche Stille.

    Aber er wusste auch, dass er nicht ewig hier verweilen konnte, also schritt er leise zur Tür und öffnete sie behutsam.

    Zu seiner Erleichterung wartete niemand auf ihn, doch seine angstvollen Blicke suchten unentwegt die Umgebung ab. Draußen war es immer noch tiefste Nacht und der Sturm tobte. Doch als er vom Boot kletterte, fiel ihm entsetzt etwas auf: Das Kurzschwert mit dem Rabenknauf steckte wieder im Bug!

    Strandgut

    Es dämmerte bereits, als Browl wieder in seiner Kammer angekommen war. Trotz seiner Erschöpfung lag er noch eine ganze Weile wach. Seine Gedanken an das gestrandete Boot ließen ihn kaum zur Ruhe kommen. Erst als die Sonnenstrahlen sein Fenster erreicht hatten, schlief er ein.

    Zwei Stunden später schreckte er auf. Die Glocke des Dorfes schlug unentwegt Alarm und er starrte aufgeschreckt aus seinem Fenster. Sogleich vermutete er, dass das Boot von den Leuten hier entdeckt worden war, was ihn äußerst missmutig stimmte. Völlig abgeschlagen ging er dieser Vermutung nach.

    Am Strand angekommen, entdeckte er die ungebetene Volksversammlung. Der Blick an jenen Teil der Küste, wo das Boot gestrandet war, verriet ihm, dass es wohl noch unentdeckt geblieben war. Etwas anderes muss der Auslöser der Massenpanik gewesen sein.

    Die aufgeregte Menschenmasse stand direkt am Wasser. Sie sprachen wild durcheinander und fuchtelten hektisch mit ihren Händen durch die Lüfte. Browl ging näher heran, um zu hören, was sie so erregte.

    Frakam, der Bürgermeister des Dorfes, hielt eine zerrissene Fahne in den Händen, die Brand- und Blutspuren vorwies. Der Stoff selbst war dunkelrot und in der Mitte war in schwarz einen Kämpfer zu sehen, der soeben einen Speer in das Maul eines Drachen stieß.

    Als Frakam Browl sich zu ihm durchkämpfen sah, zeigte er ihm dieses Banner.

    »Weißt du, von wem die Fahne stammt?«

    »Nein«, antwortete Browl unwissend. »So etwas habe ich noch nie gesehen!«

    »Diese Fahne bedeutet nichts Gutes. Es ist das Banner der Roten Rebellion.«

    »Der Roten Rebellion?«, forschte Browl nach. »Wer ist das?«

    »Die Rebellion ist ein gefährliches Piratenvolk, das sehr weit von Katalunar seine Heimat hat. Es befindet sich im Südosten von hier und hauptsächlich befahren sie die östlichen Gewässer. Dieser Fund bezeugt jedoch, dass sie nahe an unseren Grenzen sein müssen. Wir können von einer großen Gefahr ausgehen und sollten einen Rat einberufen.«

    Browl zog interessiert die Augenbrauen hoch. Sofort dachte er an das gestrandete Boot. War dies etwa eines von diesem Piratenvolk? Er spielte mit dem Gedanken, ihnen von dem Boot zu erzählen, das gestern hier angeschwemmt wurde, schlug sich das aber wieder aus dem Kopf, denn er befürchtete eine Euphorie, die ins Negative schwappen könnte und am Ende würden sie ihm noch die Schuld dafür geben.

    Während er nachdachte, ging Frakam zurück ins Dorf. Nach und nach folgten ihm die anderen Leute, während sie ununterbrochen miteinander redeten und Browl nahezu ignorierten - was ihm sehr gelegen kam. Er wartete sogar bis der Strand letztendlich leer war und er nur noch das Rauschen der Wellen vernehmen konnte.

    Browl suchte den Strand noch mal genauer ab. Im Wasser, etwas weiter vom Land entfernt, sah er etwas aufblitzen. Als er danach griff, konnte er kaum glauben, was ihm soeben in die Hände gefallen war.

    »Heiliger Himmel«, rief er aus. Es raubte ihm fast den Atem. »Das ist doch…«

    »Gold!«, wurde er von einer tiefen Männerstimme unterbrochen. Browl drehte sich blitzschnell um und erblickte erschrocken einen großen, wundersamen Mann. Ein dunkler Mantel bedeckte weitgehend seine Gestalt und ein spitz zulaufender Hut schmückte seinen Kopf, der sein Gesicht im Dunkeln ließ.

    Kurz darauf landete ein Rabe auf dessen Schulter und stieß ein paar kräftige Schreie aus.

    »Mein Name ist Xurbakan und das ist Shadow, mein treuer Begleiter.«

    »Ich bin Browl«, stellte er sich stammelnd vor, denn der Fremde machte ihm ein wenig Angst. Während er das sagte, sah sich Xurbakan ständig um, als würde er etwas suchen.

    »Ich bin hier gestern etwas unsanft mit meinem Boot gestrandet«, sagte er, »und darin sind Dinge, die von äußerster Wichtigkeit sind. Du weißt nicht zufällig wo es sich jetzt befindet?«

    »Verzeiht mir meine Neugier, aber wer seid Ihr?«

    »Gerne beantworte ich dir deine Frage, doch zuerst muss ich mein Gefährt wiederfinden.«

    Browl überlegte einen Moment. Er konnte seinen Gegenüber nicht einschätzen. Vielleicht war es einer der Feinde, von dem Frakam berichtet hatte oder zumindest ein Spion. Wenn er ihm helfen würde, könnte das weitgehende Folgen für seine Heimat haben.

    »Ich reiß dir schon nicht den Kopf ab«, gab Xurbakan von sich, nachdem er Browls nachdenkliche Stirn gesehen hatte. »Wenn du weißt wo es ist, würde ich mich erkenntlich zeigen. Es wäre nicht gut, wenn es meinen Feinden in die Hände fallen würde.«

    Browl gab nach und nickte. »Ist gut, ich zeige es Euch.«

    Etwa fünfhundert Meter entfernt kamen sie an einen kleineren Hügel, hinter dem das Boot mit Häuschen verborgen lag. Der Fremde freute sich ersichtlich, besonders dann, als er seine Klinge entdeckt hatte, die im Bug steckte. »Dafür lade ich dich auf eine Tasse Tee ein, wenn du das willst.«

    Browl überkam leicht der Schauder. Er wollte mit diesem Fremden nicht etwas gemeinsam trinken, wer wusste schon, welches Gift er ihm einflößen wollte. Er hegte den Gedanken, eine Ausrede dafür zu finden, doch Xurbakan unterbrach seine Überlegungen.

    »Du brauchst keine Angst zu haben, ich lasse auch die Tür offen.«

    »Ich habe keine Angst«, räumte Browl unglaubwürdig ein und folgte dem Mann mit dem Raben nun doch noch.

    Xurbakan klatschte freudig einmal in die Hände und rieb sie warm. »So ist es auch viel gemütlicher, findest du nicht? Die andauernde Meeresbrise fröstelt mich allmählich.«

    Browl setzte sich mit genügend Abstand neben ihn.

    »Nun sagt schon, warum seid Ihr hier und weshalb dieser unsanfte Auftritt am Ufer?«

    Xurbakan zog die Augenbrauen nach oben. »Als mein Boot auf den Strand schellte, war ich nicht an Bord!«

    »Wie meint Ihr das?«

    »Ich bin vorher abgesprungen, denn ich hatte einen ungebetenen Gast an Bord.«

    Browl runzelte die Stirn.

    »Mein Kurs war die Südküste Katalunars, doch kurz vor meiner Ankunft durchfuhr ich eine Nebelbank, die so dicht war, dass ich meine Hände vor Augen nicht mehr sehen konnte. Sie ist unerwartet aufgetaucht, wobei auch der Wind vollständig nachgelassen hatte und ich keinen Meter mehr vorwärts kam.

    Als ich versuchte mich neu zu orientieren und irgendetwas durch den Nebel zu erkennen, geschah etwas, dass meine ganze Reise durcheinander gebracht hat. Plötzlich kam Bewegung auf und die Nebelschwaden zogen kreisförmig, als ob etwas von oben herabgekommen wäre. Ein gewaltiges Flugschiff der Drox hatte sich mir nämlich unbemerkt durch die Lüfte genähert, dass von zwei mächtigen Ballons angetrieben wurde.«

    »Ein Flugschiff?«, stieß Browl aus.

    »Ja«, antwortete Xurbakan. »Und solch ein Großes habe ich noch nie gesehen. Ich vernahm seltsame Schlangenlaute von dort, die äußerst aggressiv klangen. Rasch belegte ich das Segel mit einem Zauber, dass ich wenigstens von deren Landeplatz entfliehen konnte.«

    »Zauberei?«

    »Du hast schon richtig gehört, ich bin der Magie mächtig, doch sie einzusetzen hat einen großen Nachteil: Man wird deutlich mehr wahrgenommen! Nun, wie dem auch sei, ich bin beinahe zu Tode erschrocken, als einer dieser schwerbewaffneten Echsenmenschen auf mein Dach gesprungen ist. Du kannst dir vorstellen, dass ich sofort das Weite gesucht habe. Gegen solch eine schwere Attacke würde keine Magie helfen. Das einzige was ich noch tun konnte, war meinen Zauber auf das Segel zu verstärken, dass das Boot schneller an Fahrt aufnehmen konnte, um es von mir hinfort zutreiben, auch wenn es gefährlich war, allein inmitten des Meeres zu treiben. Doch lieber versinke ich in der tiefsten See, als von einem Drox getötet zu werden.«

    »Wo ist dieser Drox jetzt?«

    Der Magier zuckte mit den Schultern. »Hast du ihn gesehen?«

    Browl schüttelte mit dem Kopf.

    »Nun, dann ist ja gut. Ich hoffe, dass er hier nicht am Strand umherstreift.«

    Browl überkam ein ungutes Gefühl. »Glaubt Ihr denn, dass er noch auf dieser Insel ist?«

    Doch Xurbakan antwortete nicht, sondern starrte eisern in die Leere.

    Browl geriet dabei leicht in Panik. Nicht um alles Gold der Welt würde er dieser seltsamen und für ihn unbekannten Kreatur begegnen wollen.

    »Wie kamt Ihr dann hier her, wenn nicht mit Eurem Boot?«, forschte Browl nach.

    »Lange Zeit bin ich auf dem Meer umhergetrieben, doch mithilfe meines Rabens konnte ich schließlich mitten in der Nacht den Strand hier erreichen. Erschöpft machte ich mich gleich auf, um nach einer Schlafgelegenheit zu suchen, da ich mein Boot nicht mehr finden konnte. Ich wurde in dem Dorf dort hinten in einer Scheune fündig

    »Warum seid Ihr hier und woher kommt Ihr?«

    Doch Xurbakan antwortete erneut nicht. Es hatte den Anschein, als wäre er in Gedanken versunken, dessen Herkunft ein finsteres Geheimnis verbarg.

    Eine ganze Weile beherrschte das Schweigen ihre Gegenwart, das nur vom entfernten Rauschen des Meeres unterbrochen wurde.

    »Du solltest nun gehen«, gab der Magier plötzlich von sich. »Morgen Abend kannst du wiederkommen und mir weiter Löcher in den Bauch fragen.«

    »Aber…«

    »Keine Fragen bitte! Ich bin sehr erschöpft und brauche etwas Ruhe. Bitte gewähre mir dies. «

    Tief durchatmend und enttäuscht verließ Browl wortlos das Boot. Völlig in seinen Gedanken vertieft ging er nach Hause und legte sich endlich schlafen, auch wenn er noch lange an die Begegnung mit Xurbakan nachdachte.

    Am nächsten Tag war Browl schon früh auf den Beinen. Von seiner Mutter erfuhr er, dass sich heute die ranghöchsten Männer im Pferdehof treffen wollten, um über die an den Strand gespülte Flagge zu sprechen. Er wollte unbedingt dabei sein, auch wenn seine Gedanken sich sofort an den geheimnisvollen Fremden hefteten. Aber die Zusammenkunft seines Dorfes betreffend, lockte ihn noch mehr.

    Kaum dort angekommen, schlich er sich an ein geöffnetes Fenster und lauschte der Unterredung. Lauthals ging es dort her.

    »Beruhigt euch, liebe Freunde«, sagte Frakam, das Stadtoberhaupt. »Es bringt doch nichts hier herumzustreiten. Wir sollten in aller Ruhe über die Situation sprechen.«

    »Wir sollten dem König eine Nachricht zukommen lassen«, schrie Mertak. »Er soll uns Soldaten schicken.«

    »Genau«, kam es von den anderen.

    Doch Frakam schüttelte den Kopf. »Ihr wisst ganz genau, dass der König sich nicht groß um uns schert. Wir sollten die Situation erst einmal selbst in die Hand nehmen. Nehmen wir doch mal an, die Rote Rebellion will uns wirklich angreifen. Was wollen sie denn von uns rauben? Unsere Kleider vom Leib?«

    »Nein« rief Klargon, der Bäckermeister in Laarn, »aber Brandschatzen, unsere Kinder verschleppen und unsere Frauen schänden.«

    »Mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand«, rief Frakam und versuchte die Meute zu beruhigen.

    »Außerdem könnten sie unsere Kutter zerstören und dann sind wir verloren«, rief Gorkat, der am lautesten von allen schrie.

    »Hört auf, ihr Narren«, ertönte unerwartet eine Stimme aus dem Hintergrund. Es war Browl, der sie abrupt unterbrochen hatte.

    »Was willst du denn, Junge?«, rief Mertak erbost.

    »Du warst nicht eingeladen«, fügte Frakam hinzu.

    »Spielt das denn eine Rolle? Ihr kommt doch sowieso auf kein Ergebnis. Aber im gewissen Sinne hat Frakam Recht. Wir sollten das selbst regeln. Wir könnten dort hinaus fahren, um zu sehen, was es mit diesem Fund am Strand auf sich hat. Dann können wir immer noch nach dem König schicken.«

    »Gut gesprochen, Browl, doch wer soll fahren? Welche Männer sind denn seetüchtig genug? Ich muss hier bleiben, denn wer sonst sollte die Verantwortung übernehmen? Wir brauchen Leute mit Erfahrung!« Dabei sah er mit stechendem Blick die Menschen vor ihm an und blieb bei Hagan stehen, dem hiesigen Dorfschmied. »Wie wäre es mit dir?«

    Hagan überlegte einem Moment und schnaubte lustlos durch die Nase. »Wenn Ihr selbst nicht in der Lage dazu seid, werde ich es tun! Aber nicht allein. Ich will das ihr eure Söhne mit auf die Reise schickt, sonst rühre ich keinen Finger für euch!«

    Eine ganze Weile herrschte eine erdrückende Stille, bis schließlich einer der Leute etwas dazu beisteuerte.

    »Mein Sohn wird bestimmt mit auf die Reise gehen. Ich werde ihm sagen, dass es sehr wichtig ist und dass das Schicksal aller davon abhängt. Aber bedenkt in Eurem Tatendrang, dass er von Beruf Bauer ist und kein Soldat. Ich möchte ihn wieder lebendig zurückhaben!«

    »So soll es sein. Ich möchte auch wieder lebend zurückkehren. Deshalb wünsche ich mir, dass Ihr all eure ältesten Söhne mit auf diese Erkundungsfahrt schickt. Wir werden drei Tage in südliche Richtung segeln, keine Meile mehr. Dies wäre lediglich nur einen Sonnenaufgang weiter, wie Mertaks bekannte Fischroute. Wenn wir dort keinen von diesem Piratenvolk erspähen können, wage ich zu behaupten, dass wir  außer Gefahr sind. Außerdem werden wir Tag und Nacht Ausschau halten, damit uns nichts verborgen bleibt. Wenn ich zählen kann und mich in der Runde umsehe, dann schätze ich auf zwei Dutzend Männer, die Augen und Ohren offen halten werden. Somit kann uns nichts geschehen. Wenn Gefahr droht, kehren wir auf dem schnellsten Weg wieder um.«

    Frakam war sehr erfreut. »Mertak, stelle du uns zwei deiner Kutter zur Verfügung. Sie sind seetüchtig genug um alle Männer sicher wieder in den Heimathafen zu führen. Rüste sie mit Proviant für eine Woche aus. Wir alle werden für deine Waren aufkommen. Weiterhin sollten die Männer mit Haispeeren ausgerüstet sein, damit sie sich im Notfall verteidigen können, denn solch eine Harpune ist ein mächtiger Gegner.«

    »Wann sollen wir in See stechen?«

    Frakam ging ein paar Schritte, bevor er zu einer Antwort kam. »Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Ihr solltet so für wie möglich aufbrechen. Am besten bereits wäre morgen früh!«

    Ein großes Seufzen beherrschte nun alle Anwesenden, denn niemand war wohl bei diesem Gedanken. Auch Browl verspürte eine innere Unruhe aufsteigen und in ihm brannte plötzlich das Verlangen es Xurbakan mitzuteilen. Irgendwie hatte er den Eindruck, dass der Fremde etwas darüber erzählen konnte. Ob es sich dabei um eine gute oder schlechte Nachricht handelte, wusste Browl natürlich nicht, doch er glaubte innerlich zu wissen, dass es notwendig war.

    Blinder Passagier

    Zwei Stunden später war Browl auf dem Weg zu Xurbakan, denn es dämmerte bereits zum Abend hin. Als er am Steinstrand ankam, staunte er nicht schlecht, als er sah, wie der Magier ein Lagerfeuer entzündete und darauf Fische briet. Auch sein Rabe, der ständig um ihn herumflog, schnappte sich einige Stücke, die er ihm zuwarf.

    »Da bist du ja«, rief der Magier. »Komm näher und nimm dir ein Stück.«

    Doch Browl hatte keinen Hunger.

    »Ich möchte Euch etwas Wichtiges mitteilen und ich glaube, dass Ihr mir mehr darüber erzählen könnt. Doch zuvor muss ich wissen, wer Ihr seid!«

    »Also gut, dann setz dich und ich erzähle dir, wer ich bin. Vor vielen Jahren, noch vor deiner und meiner Zeit, gab es einen furchtbaren, großen Krieg. Die Dämonen aus dem Schatten kämpften gegen die Zauber aus Orokon, einem weit entfernten Kontinent. Sie kämpften um die Vorherrschaft der Existenz. Entweder herrschte der Schatten oder das Licht. Die Schlacht schien für die Orokaner beinahe verloren, als wie aus dem heiterem Himmel ein Licht erschien, der die Schatten in die endgültige Verbannung trieb. Es war Enjuna, die Lichtkaiserin, die sich offenbarte und ihnen die Erlösung brachte. Ihr Glaube an das Gute in dieser Welt hatte sie angelockt. Zum Dank ihrer Rettung riefen die Zauberer einen Pakt ins Leben, das sie den Bund der Donnerraben nannten. Nun, ich gehöre dieser Bruderschaft an und mein Auftrag ist es den Gebrandmarkten zu finden.«

    »Den Gebrandmarkten?«, stieß Browl hervor.

    Der Zauberer nickte. »Ja, aber ich darf dir darüber nichts erzählen, dafür steht zu viel auf dem Spiel.

    Browl war etwas verärgert. »Traut Ihr mir etwa nicht?«

    Xurbakan sah ihn mit einem stechenden Blick an. »Ich traue niemandem mehr über den Weg, nicht in diesen Zeiten. An jenem Ort hier scheint die Welt noch in Ordnung, aber dort draußen herrscht ein Krieg. Die dunklen Vasallen rotten sich bereits zusammen und die Spione der Finsternis sind unterwegs. Ich bin sehr vorsichtig geworden, es hat nichts mit dir persönlich zu tun.«

    Browl akzeptierte seine Entscheidung, auch wenn ihm die Neugier beinahe ein Loch in den Bauch brannte.

    »Wisst Ihr etwas über die Rote Rebellion?«, fragte Browl interessiert.

    »Nicht sehr viel, begegnet bin ich ihnen noch nicht. Mir ist nur bekannt, dass sie eine große Streitmacht besitzen und die Meere des Ostens beherrschen. Weshalb fragst du?«

    »Unsere stärksten Männer wollen aufs Meer hinaus, um zu sehen, warum eine Flagge der Rebellion hier an unser Land geschwemmt wurde«, erklärte Browl.

    »Wirst du mit ihnen gehen?«, forschte Xurbakan nach.

    »Sie lassen mich nicht, sie denken ich wäre ein Feigling.«

    »Haben die denn Recht?«, schmunzelte der Magier.

    Doch Browl schwieg und starrte ins Meer hinaus. Wenn er ehrlich gewesen wäre, konnte er die Frage nicht eindeutig klären. Natürlich stand ihm die Angst im Nacken, doch seine Neugier war ebenso stark und der Drang endlich etwas dagegen zu tun wurde immer stärker.

    »Wann werden sie in See stechen?«

    »Gleich morgen früh, kurz vor Sonnenaufgang. Während sie auf Abenteuerreise gehen, sitze ich daheim und drehe Däumchen.«

    »Nun, dann fahre einfach mit. Was sollen sie den tun? Dich an den Pranger stellen?«

    Browl wurde hellhörig. Die Aussage Xurbakans brachte ihn auf eine Idee. Er wollte schon auf diese Reise, auch wenn die Angst ihm seine Beine schlottern ließen.

    »Was geht in dir vor?«, forschte der Magier nach, während er ihn stirnrunzelnd musterte.

    Doch Browl schüttelte mit dem Kopf. »Nichts, nichts, ich hatte nur eben einen Gedanken.«

    »Willst du mir darüber erzählen?«

    Doch Browl war so in seinen Überlegungen vertieft, dass er die Frage völlig ignorierte. Kurz darauf erhob er sich. »Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich muss gehen. Da lässt mir etwas keine Ruhe, dem ich nachgehen muss. Ich hoffe, Ihr seid noch da, wenn ich zurückkehre?«

    Der Magier stutzte einen Moment. »Nun, in den nächsten Tagen werde ich wohl noch hier verweilen müssen, bis ich wieder aufbrechen kann. Wenn du mir dann helfen würdest mein Boot wieder klar zu machen?«

    »Sicher«, antwortete Browl. »Auf meine Hilfe könnt Ihr zählen.«

    »Gut, dann ist ja alles geklärt. Pass auf dich auf, Browl«.

    »Ihr auch«, antwortete er forsch und spurtete die Straße zum Dorf hinauf.

    Xurbakan, auf dessen Stirn sich einige Sorgen zeigten, sah ihm noch eine ganze Weile nach. Er mochte den Jungen bereits und er wusste nicht einmal weshalb. Irgendetwas war an ihm anders, wie ein Gefühl der Zugehörigkeit, dessen Herkunft unerklärbar war. »Wir werden ja sehen", murmelte er leise.

    Browl lief unterdessen so schnell wie der Wind nach Hause. In seiner Kammer nahm er sich einen Kohlestift zur Hand und ein Stück Pergamentpapier. Darauf kritzelte er folgendes:

    Liebe Mutter,

    mach dir keine Sorgen.

    Bin bald zurück,

    Browl

    Zu dem Papier legte er noch drei Mondtaler dazu, die er bei Hagan verdient hatte, schnappte sich noch ein Stück altes Brot und verließ leise das Haus.

    Er schlug den Weg nach Osten ein, der zu den Kuttern führte. Diese lagen etwas weiter in der Bucht von Laarn entfernt, da der Tiefgang dieser Schiffe es nicht anders zuließ.

    Sogleich entdeckte er Mertaks Kutter und kletterte ohne zu Überlegen hinauf. An Bord versteckte er sich in der Lagerkiste, die direkt am Heck angebracht war, klappte den Deckel zu und hielt inne.

    Es roch hier zwar furchtbar nach Fisch, doch er empfand dies als beste Versteckmöglichkeit, da sie ja nicht zum Fischen rausfuhren. Er war sich sicher, dass sie dort niemanden erwarten würden.

    Ein wenig mulmig war ihm jetzt doch zumute. Er wusste worauf er sich einließ und eine kurzzeitige Panik ließ ihn den Gedanken fassen, sofort wieder nach Hause zu laufen und sich im Bett zu verkriechen. Aber das durfte nicht seine Bestimmung werden. Wenn er jetzt kneifen würde, hätte die Angst ihn für immer besiegt, dessen war er sich bewusst.

    Am nächsten Morgen weckten ihn laute Stimmen. Ein schriller Pfiff ließ ihn aufschrecken und beinahe hätte er sich den Kopf am Kistendeckel gestoßen, was ihm mit Sicherheit sein Versteck gekostet hätte.

    Auf dem Kutter waren bereits einige Männer zu sehen, die sich laut miteinander unterhielten. Wieder ertönte dieser schrille Pfiff, den soeben Hagan erneut ertönen hat lassen.

    »Hört zu«, rief er. »Wir fahren heute da raus. Drei Tage in südliche Richtung. Dann verweilen wir einen Tag und kehren wieder zurück. Ich brauche wohl niemandem zu sagen, dass uns allen nicht wohl bei der Sache ist. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir in keinen Krieg ziehen, noch fordern wir eine einzelne Schlacht. Wir erkunden lediglich die südlichen Gewässer, um zu sehen, ob Gefahr droht. Wie es auch immer ausgehen mag, wir kehren in unser Dorf zurück. Unsere Waffen werden nur eingesetzt, wenn wir angegriffen werden und unsere Flucht fehlschlägt. Ist das von allen verstanden worden? Ich möchte keine Heldentaten sehen, dafür ist nicht die Zeit dazu. Und jetzt bringt uns dort raus!«

    Die ganze Meute setzte sich nun in Bewegung und es dauerte auch nicht lange, bis die Schiffe ablegten. Browl war ganz aufgeregt. Die Ansprache von Hagan hatte ihn irgendwie motiviert. Er war nun stolz darauf dabei zu sein.

    Die Männer lenkten die Kutter auf Hagans Kurs und arbeiteten eifrig daran, die Schiffe ruhig und ohne Vorkommnisse zu führen, was ihnen bestens gelang.

    Den ganzen Tag über geschah auch nichts weiter und Browls Knochen taten allmählich weh. Sobald sich die Gelegenheit bieten würde, wollte er die Kiste verlassen.

    Als endlich die Sonne zum Untergang ansetzte, befahl Hagan, die Segel zu streichen und die Anker zu werfen. Die Leute gingen unter Deck und auf den beiden Kuttern blieben lediglich zwei Mann als Wache zurück, die mit Öllampen bewaffnet das Deck patrouillierten.

    Jetzt wurde es still. Leise brach das Schiff die Wellen, die Holzplanken knarrten und die Seile der Segel klopften leise an die Masten. Am Bug erkannte Browl eine Wache mit einer Öllampe stehen, die sich nicht bewegte. Die zweite Wache war nicht allzu weit von dort entfernt und lief mit langsamen Schritten hin und her.

    Browl wusste, dass man durch die Schiffsmesse das Zwischendeck erreichen konnte und mit etwas Mühe gelang es ihm auch es unentdeckt zu erreichen. Keiner der Beiden hatte ihn bemerkt.

    Vor ihm offenbarte sich ein kurzer Gang, der zwei Türen beherbergte. Die Linke brachte einen zur Latrine und die Rechte zum Steuerraum. Weiter hinten ging es zu einer Luke im Boden, die zum Lagerraum, den Quartieren und zur Kajüte des Kapitäns führte, was auch sein Ziel war.

    Während er die Luke auf dem Boden anvisierte, horchte er angespannt die Umgebung ab. Doch offensichtlich waren die Männer schon in ihren Kojen, denn kein gesprochenes Wort drang zu ihm vor.

    Eine Leiter führte von dort ins Unterdeck, das mit einer Laterne beleuchtet wurde. Auch hier gab es einen Korridor, der drei Türen vorwies. Die Tür zum Lagerraum stand offen. Browl spähte hinein, konnte aber Mangels an Licht nicht viel erkennen. Nur am Anfang des Raumes, sah er einige Kisten und Fässer stehen.

    Browl jedoch widmete sich der Kapitänskajüte, denn er wollte nun seine Gegenwart nicht mehr länger vor Hagan geheim halten. Jetzt waren sie bereits auf dem Meer und sie hätten ihn nicht mehr fortschicken können. Und da er Hagan gut kannte, wusste er, dass er es verstehen würde. Dennoch war er etwas aufgeregt. Vorsichtshalber horchte er an dessen Tür und spähte durchs Schlüsselloch. Er erkannte einen grünlichen Lichtschimmer, der den Raum spärlich beleuchtete. Offensichtlich hielt sich niemand darin auf, denn kein Schatten war dort zu sehen, alles blieb ruhig. Selbst die mysteriöse Lichtquelle bewegte sich keinen Deut.

    Leise öffnete er die Tür und sah sich sofort um. Bis auf die typischen, rustikalen Möbel, samt dieser Standartseemannskiste, fiel ihm nichts Besonderes auf.

    Das seltsame Licht stammte von einer Kerze auf dem Schreibtisch, die wie ein Bunsenbrenner fungierte, welches er in dieser Form noch nie gesehen hatte. Es handelte sich um ein Metallstövchen, das mit drei gebogenen Eisenbügel die Flamme umgriff.

    Nachdem er die Seekarte auf dem Schreibtisch studiert hatte, widmete er sich der Truhe, die ihm seltsamerweise ein unbehagliches Gefühl bescherte, da er sofort an Xurbakans Zauberkiste dachte. Jene hier war aber um das Vielfache größer als die des Magiers, außerdem schmückte es ein silbernes Vorhängeschloss mit Schlüsselloch, in dem der Schlüssel noch steckte.

    Eigentlich war es ja nicht seine Art in fremden Sachen umher zu wühlen, doch irgendwie war seine Neugier geweckt und er konnte nicht anders. Mit Herzklopfen öffnete er sie. Als er jedoch hineinblickte, stockte ihm der Atem. Ohne es zu wollen ließ er sich zu Boden fallen. Er war derart geschockt, dass er nur daliegen konnte, um mit verzerrtem Gesicht an die Decke zu starren. »Bei den Göttern«, murmelte er entsetzt.

    Erst langsam richtete er sich auf und er hatte große Schwierigkeiten nicht zu erbrechen. Dieser Anblick war so grotesk, dass er kaum noch atmen konnte. Er schleppte sich taumelnd auf einen Stuhl. In der Truhe lagen Leichenteile, die nach dem Kopf zu urteilen zu Hagan gehörten. Er war wie gelähmt.

    Doch der blanke Schrecken holte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, denn von draußen waren schwere Schritte zu hören, die direkt auf die Tür zukamen.

    Panisch versteckte er sich im Schrank, was nicht eine Sekunde später hätte sein dürfen, denn sogleich öffnete sich die Kajütentür und jemand betrat das Zimmer. Schubladen wurden auf und zu geschoben, die Seemannskiste geöffnet und wieder geschlossen, allgemein wurde herumhantiert, doch etwas begleitete stetig die angespannte Situation: Ein röchelndes Atmen, aus dem man eine tiefe Stimme heraushören konnte.

    Ein Schlag gegen den Schrank ließ Browl zusammenfahren. Er glaubte, dass er jeden Moment entdeckt werden würde und kauerte sich am Boden zusammen. Es war wie ein Alptraum. Die Geräusche wurden immer unerträglicher, bis endlich die Befreiung folgte: Die Kreatur oder wer auch immer das war, hatte soeben die Kajüte verlassen und eine erdrückende Stille folgte.

    Browl erschien dies alles so unwirklich. Er benötigte einige Augenblicke um das Ganze zu begreifen. Was war nur geschehen?

    Er wartete horchend noch einige Augenblicke ab, bevor die Gelegenheit nutzte, um aus dem Schrank zu klettern. Rasch verließ er die Kajüte direkt in den Lagerraum. Dort war es zumindest dunkel und es gab einiges an Krimskrams, hinter das man sich gut verstecken konnte.

    Doch sein gedankliches Glück hielt nicht lange an, denn hinter einem großen Fass entdeckte er zwei weitere Leichenname, die von den Männern stammten. Offensichtlich wurden sie erstochen.

    »Hier tötet jemand die Mannschaft«, dachte er entsetzt, wobei er sich unkontrolliert von den Toten entfernte. Dabei trat in einen Haufen Matsch hinein, der an seinen Schuhen wie Klebstoff haftete und Fäden zog. Die Substanz ähnelte einer abgestorbenen Haut einer Schlange, als ob sich vor Kurzem hier etwas gehäutet hätte. Eine regelrechte Panik überkam ihn. Hier konnte er natürlich auch nicht bleiben, also raffte er sich noch einmal auf und schlich im Schutze der Nacht in sein altes Versteck zurück. Doch an einen Schlaf war nicht zu denken. Die Angst hielt ihn beinahe die ganze Nacht wach, erst in den frühen Morgenstunden fielen ihm die Augen zu.

    Eine Stunde später weckte ihn eine laute Stimme.

    »Alle mal herhören«, erklang es. »Ihr wisst sicher alle, dass heute Nacht auf diesem Kutter etwas vorgefallen ist. Irgendjemand scheint hier ein Verräter zu sein, der diese Erkundung zunichtemachen will. Ich vermute, dass es ein Spion der Roten Rebellion ist.«

    Browl erkannte die Stimme sofort. Es war ohne Zweifel Hagen, doch hatte er ihn nicht tot in der Kiste gesehen?

    »Wir müssen auf der Hut sein«, ertönte es weiter. »Zwei unserer Männer sind bereits tot. Ich vermute, dass es noch mehr werden. Von heute Nacht an werden wir auf den Oberdecks bleiben und jeder wird auf den anderen aufpassen. Habt ihr mich verstanden? Ich lasse keine Ausnahmen zu! Unser neuer Kurs ist Süd-ost-ost! Wir werden unsere geplante Route verlassen und den Kurs zur Echsenbucht folgen. Dort werden wir mit Sicherheit mehr erfahren!«

    Browl traute seinen Ohren nicht. Der ungeplante Kurswechsel gab ihm genügend Anlass dazu, dass dieser Hagan ein falsches Spiel trieb. Aber wieso tat er das?

    Während er in seiner Kiste lag, trieben die Kutter unaufhaltsam immer tiefer in die unbekannten östlichen Meere Katalunars vor und kamen von ihrem ursprünglichen Ziel immer weiter ab. Der Wind blies hier sehr stark und die Kutter kamen schneller voran, als die Männer es vermutet hatten.

    Browl jedoch wusste nicht, was er jetzt dagegen tun sollte. Aus seinem Versteck wollte nicht hinaus, er fürchtete sich zu sehr von Hagan entdeckt zu werden. Er traute ihm nicht mehr, auch wenn er ihn schon viele Jahre kannte und sein Verhalten nicht verstehen konnte. Hieß es denn nicht, dass sobald Gefahr drohen würde, er umkehren wollte?

    In seinen Gedanken vertieft, fielen ihm plötzlich die Haispeere ein. Er wollte sich bewaffnen, denn so langsam ging es ihm wie Xurbakan: Er vertraute hier auch niemandem mehr. Sobald die Sonne untergehen würde, wollte er in ins Unterdeck hinabgehen und sich einer dieser mörderischen Harpunen bemächtigen. Sicher ist sicher!

    Die Sonne ging unter und Browl schlich sich aufgeregt in den Lagerraum hinab. Mit Mühe tastete er sich langsam voran. Von der klebrigen Substanz konnte er nichts mehr entdecken, offensichtlich hatte sie jemand entfernt, denn davon hatte Hagen auf Deck nichts erzählt. Und so langsam glaubte er auch zu wissen, wer sich hier auf dem Kutter aufhielt: Der ungebetene Gast von Xurbakans Boot. Offensichtlich hatte sich dieser »Drox« hier eingenistet und treibt jetzt sein mörderisches Spiel mit seinen Leute. Dem musste er Einhalt gebieten! Allein schon deshalb, damit er wieder nach Hause kam, denn allein könnte er niemals solch einen der Kutter steuern.

    Mit dem Haispeer bewaffnet schritt er langsam zur Kapitänkajüte. Sein Herz pochte wie wild, als er sich endlich aufraffte anzuklopfen.

    »Wer ist da?«, rief eine raue Stimme hinaus. »Ich sagte doch, ihr sollt an Deck bleiben!«

    »Ich muss Euch dringend sprechen, etwas ist oben vorgefallen«, antwortete Browl mit zitternder Stimme.

    Einen Augenblick lang herrschte Stille.

    »Nun, dann kommt herein, doch spurtet Euch mit Eurem Anliegen!«

    Browl trat ein. Vor ihm saß Hagan am Schreibtisch und studierte scheinbar die Seekarte, wobei er ihm keinen Blick schenkte.

    »Sprecht rasch!«

    »Wo ist der Kapitän?«, fragte Browl.

    »Er sitzt vor Euch!«

    Noch immer waren Hagans Augen auf die Karte gerichtet.

    »Ihr seid nicht Hagan!«, stieß Browl hervor.

    »Was redet Ihr da? Seid Ihr von Sinnen? Und jetzt geht auf Euren Posten zurück! Ich habe noch zu tun!«

    Doch Browl dachte nicht daran diesem Befehl Folge zu leisten. Langsam holte er mit seinem Speer aus und schlug ihn mit voller Wucht auf den Schreibtisch.

    Völlig außer sich sprang Hagan auf und riss seinen Mund auf. Dabei sah er Browl direkt in die Augen.

    »Du törichter Narr!«, schrie er. »Jetzt bist du des Todes!« Hagan fauchte wie eine Echse! Sein Gesicht wandelte sich urplötzlich zu einem schuppenartigen Kopf, während ihm große Schwingen

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