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Der Drachenfürst: Darkhanium Band 3
Der Drachenfürst: Darkhanium Band 3
Der Drachenfürst: Darkhanium Band 3
eBook449 Seiten6 Stunden

Der Drachenfürst: Darkhanium Band 3

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Über dieses E-Book

Nach einem furchtbaren Sturm auf offener See findet sich die Mannschaft des gefürchteten Piratenschiffs Seestern in unbekannten Gewässern treibend. In der Bucht einer nicht kartografierten tropischen Insel gehen sie vor Anker.
Mit an Bord ist der junge Darrien, der seit frühester Kindheit als Sklave auf dem Schiff zum Frondienst gezwungen wird. Er, der von den raubeinigen Gesellen oft misshandelt wird und tagein tagaus schwer arbeiten muss, fühlt sich von der geheimnisvollen Insel angezogen. Stets verfällt er bei ihrem Anblick in Träumereien, und allmählich keimt Hoffnung in ihm auf, seinem tristen Leben entfliehen zu können.
In den Reihen der Piraten häufen sich derweil die Gerüchte über eine verwunschene Insel, die sich angeblich irgendwo im Sturmmeer befinden soll. Es heisst, mächtige Drachen würden dort hausen und schon viele Schiffe und unbedachte Seefahrer seien diesen Ungeheuern zum Opfer gefallen und nie mehr gesehen worden. Dennoch wagen sich einige der Schurken, das Eiland zu erkunden.
Auch Darrien fasst den Entschluss, sein Glück zu versuchen. Im Glauben, auf der Insel ein besseres Leben führen zu können, flieht er heimlich... und lernt dabei sein wahres Schicksal kennen.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum5. März 2018
ISBN9783740743963
Der Drachenfürst: Darkhanium Band 3
Autor

Peter Bur

Geboren am 20. Oktober 1982 in Biel in der Schweiz. Seit 2016 verheiratet und wohnhaft in Ipsach, nahe Biel. Schreibt seit 1998 nebenberuflich und mit wachsendem Eifer an seinem gewaltigen Fantasy-Epos Darkhanium, einem Werk, dessen Umfang ihm wohl noch ein ganzes Leben an Schreibartbeit abverlangen wird - oder vielleicht auch zwei.

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    Buchvorschau

    Der Drachenfürst - Peter Bur

    Impressum

    Kapitel 1

    Die Sonne stach sengend vom klaren Himmel, denn nicht eine einzige Wolke bedeckte jene unendlichen azurblauen Tiefen, die wie ein riesiges Gewölbe über der Welt ausgebreitet lagen. Ihr feuriges Strahlen erhitzte die dunklen Planken bereits dermassen stark, dass die Luft über dem Deck leicht flirrte, als würden gestaltlose Gespenster einen kruden Tanz aufführen. Lediglich ein sanfter Wind strich zart über die weite Meeresbucht heran, doch sein Odem brachte kaum Kühlung, war nicht mehr als ein dünnes Säuseln, das sich wie die Berührung von Spinnweben auf der verschwitzten Haut anfühlte. Dafür aber führte er die blasse Ahnung eines rosigen Duftes mit sich, der den mannigfaltigen Gestank an Bord des Schiffes leicht übertünchte. Auch liess er das klare Wasser sich kräuseln, dessen gemächlich wogende Masse im goldenen Licht des noch jungen Tages herrlich glitzerte, wie wenn sie mit abertausenden gleissenden Diamantsplittern bestäubt wäre. Ständig stiessen kleine Wellen an die mächtige Bordwand des wuchtigen Schiffs, und der ewige Tanz des Wassers verführte den Schoner und wiegte ihn träge in seinem Rhythmus.

    Darrien stand schweissgebadet und kurzatmig auf dem Deck der Seestern und sah gedankenverloren in den Himmel auf, wo sich nun keine Spur vom gestrigen Unwetter mehr fand, das mit tosender Gewalt gewütet und das Meer zu riesigen Wellen aufgetürmt hatte. Nirgendwo waren mehr diese dräuenden und furchterregenden schwarzen Wolkenberge zu sehen, in deren geballten, nachtdunklen Leibern unzählige Blitze in entsetzlicher Wildheit aufgelodert waren, welche sich mithin immer wieder als vielverzweigte Entladungen in die ungeheuren Wogen des Meeres gestürzt hatten. Jetzt schien die Sonne, das güldene Geschenk des Gottes Tayis an die sterbliche Welt, Zeichen seiner Allmacht und seiner gerechten Wache, mit überwältigender Pracht, herrschte unangefochten über alle Gefilde des Seins, doch noch vor wenigen Stunden erst hatten finstere Walzen gleich dämonischen Abgesandten aus der unendlichen Dunkelheit Voromals ihr strahlendes Antlitz verschluckt, und Regenfluten waren mit schmerzender Wut aus ihren Bäuchen niedergeprasselt.

    Noch lebhaft und mit grossem Schrecken konnte sich Darrien an das heftige Unwetter erinnern, das ihn um den Schlaf gebracht hatte. Wellen, hoch wie Berge, aufgepeitscht vom heulenden Sturmwind, waren über der Seestern hereingebrochen und hatten etlichen Schaden angerichtet. Nur wenig hatte gefehlt, dann wäre das mächtige Schiff der Gewalt des Meeres zum Opfer gefallen und mitsamt Mannschaft und Ladung in den Tiefen der erbarmungslosen See versunken, wie so manches vor ihm.

    Womöglich wäre es so gar besser gewesen, und ich müsste nun nicht mehr hier schuften, ging es dem jungen Darrien durch den Sinn. Vielleicht wäre der Tod auf dem Meer eine Erlösung aus diesem elenden Leben, welches das meine ist.

    Mit einem schweren Seufzen bannte er diesen bitteren Gedanken aus dem Kopf und liess seinen Blick über das Deck des Schiffes gleiten. Verdrossen und lustlos betrachtete er die zahlreichen Schäden, die es genommen hatte. An einigen Stellen waren Bordwand und Reling geborsten, Kisten und Fässer waren aus ihren Befestigungen gerissen und über das Deck geschleudert worden, wo sie an den Aufbauten zerschellt waren. Ihr Inhalt – allerlei Nutzgegenstände, ein Teil der Verpflegung und Unrat – lag nun verstreut herum, gemeinsam mit Haufen aus dunklem Seetang, den die Wellen aus den Tiefen heraufgewürgt hatten und der nun in der brennenden Sonne mit widerlichem Geruch verfaulte. Der Segelbaum des Hauptmastes war gesplittert und die Takelage gerissen. Doch Darrien wusste, dass es weitaus schlimmer hätte kommen können. Einzig die schwarzen Segel, die viel zu spät eingeholt worden waren, hatten arg unter dem Tosen des Sturms gelitten; der starke Wind hatte sie beinahe völlig zerfetzt. Die lose am Mast baumelnden Überreste mussten nun von kundigen Matrosen geflickt werden, was wohl eine geraume Zeit in Anspruch nehmen würde.

    Während Darrien beiläufig und ohne grosse Begeisterung dem geschäftigen Treiben an Bord der Seestern zusah und die vielen rauen Seeleute dabei beobachtete, wie sie emsig umherliefen, die ihnen zugewiesenen Aufgaben in Angriff nahmen und bereits die ersten Reparaturen verrichteten, fielen seine braunen Augen einmal mehr auf die grosse Insel, die sich unweit des Schiffes in überwältigender Schönheit und traumhafter Idylle aus dem funkelnden Blau des Meeres erhob. Ihr endloser Sandstrand war weiss wie der Schaum auf den sanften Wogen des Wassers, das mit ewig währendem Rauschen die malerischen Gestade des Eilands anspülte. Dahinter stieg das dichtbewaldete Land, ein Flechtwerk aus lebendigem Smaragdgrün und vielfacher Formenpracht, allmählich an und formte die Wurzeln der stolzen Berge, die sicherlich über zweitausend Schritt hoch in den Himmel ragten. Ihre zerklüfteten Gipfel, kahl und hart, schimmerten im hellen Licht der Sonne, als würden Adern aus Silber und Gold sie durchziehen.

    Darriens Gedanken verloren sich bei diesem wundersamen Anblick in den grünen Tiefen des exotischen Waldes, aus welchen jener zarte Duft hervorging, der schon vor dem Sonnenaufgang seine Sinne verzückt hatte. Wie gern nur würde er unter dem schattigen Dach der riesigen Bäume umherwandeln und den lieblichen Geruch der üppig wuchernden Pflanzen einatmen, die ihn mit ihrer Pracht lockten. Es wäre wahrhaft wundervoll, wenn ich mich auch nur für einen halben Tag in jenem fruchtbaren Paradies dort ergehen dürfte, das mich mit seinem lieblichen Zauber umgarnt und mich wie mit einer flüsternden Stimme zu sich ruft. Mehr würde ich auch nicht verlangen.

    „Heda, du kleiner, jämmerlicher Krakenmolch! Steh nicht blöd in der Gegend herum, nichtsnutziger Wicht. Wenn du nicht bald den Mopp schwingst und die Sauerei hier aufräumst, verpasse ich dir eine Tracht Prügel, dass deine dürren Knochen noch in hundert Jahren klappern. Los, arbeite gefälligst, du faule Ratte, oder du wirst Bekannschaft mit meiner Faust machen!"

    Diese raue, krächzende Stimme riss Darrien mit unliebsamer Gewalt aus seinen sehnsüchtigen Träumereien. Etwas verstört und bang blickte er in das vernarbte, wettergegerbte Gesicht eines älteren Mannes, der ihn mit wütendem Blick mass.

    T-tut mir leid, hauchte er sogleich kleinlaut und beschämt über seine spröden Lippen und nahm den zerlumpten Mopp wieder in die Hände. Seufzend schrubbte er die Planken des Schiffes, sammelte die übelriechenden Seetangklumpen auf und warf sie über Bord, wie es ihm am Morgen aufgetragen worden war. Er hasste diese Arbeit, doch er konnte sich nicht dagegen wehren, dass man ihm stets die mühsamsten, undankbarsten Aufgaben zuwies.

    Darrien fühlte sich auf diesem Schiff wie ein gefangenes und erniedrigtes Tier, ein unterjochter Sklave, der mit Füssen getreten wurde, denn niemand brachte ihm auch nur einen Anflug von Respekt entgegen. Jeder behandelte ihn wie ein Stück Dreck, wie Schlachtvieh, und nicht selten erntete er Schläge und allerlei andere körperliche Züchtigungen von den verrohten, grimmigen Seefahrern, die ihn nur mit Verachtung und Spott straften und ihn auf grausame Art quälten, wenn ihnen der Sinn danach stand. Kaum liessen sie ihm Zeit, sich ein wenig zu erholen, zwängten ihm immer neue müssige Arbeiten auf, scheuchten ihn umher, lachten hönisch über ihn und liessen ihren Ärger und ihre Bosheit an ihm aus. Jede Aufgabe, die niemand übernehmen wollte, wurde ihm aufgebürdet, und so bestand sein Leben nur aus Kummer, Demütigungen, Strafen und harter Arbeit, für die er aber keinen Lohn und keine Dankbarkeit erhielt.

    Darrien war erst sechzehn Jahre alt und auf diesem elenden Schiff gefangen, seit er denken konnte. Seine gesamte Welt – alles, was er kannte und erfahren hatte – bestand allein aus diesem hölzernen, stinkenden und schonungslosen schwimmenden Kerker, von dem es kein Entkommen gab. Nicht einmal in all den Jahren war es ihm vergönnt gewesen, Land zu betreten. Stets hatte man ihn in seine winzige Kammer unter Deck gesperrt, wenn die Besatzung mitunter in den Häfen und Ankerplätzen von Bord ging, um sich für einige Stunden oder Tage mancherlei Vergnügungen hinzugeben. Viel war er in der weiten Welt schon herumgekommen und hatte doch nichts von den vielfältigen Wundern und Herrlichkeiten gesehen oder von ihren Köstlichkeiten und Zerstreuungen kosten dürfen.

    Schon als kleines Kind hatte er viele Leiden ertragen müssen, denn die Besatzung der Seestern bestand nur aus groben Unholden, wüsten Halsabschneidern und skrupellosen, schwarzherzigen Schurkinnen, die sich nicht davor scheuten, Kinder zu misshandeln und ihnen Gewalt anzutun. Er fragte sich immer wieder, weshalb ihm die Götter ein solch hartes Schicksal auferlegt hatten. Muss ich vielleicht dieserart für eine schreckliche Tat büssen, die mein Vater, den ich niemals kennengelernt habe, begangen hat? Oder bin ich verflucht, ein Kind der Schande, das keine Gnade von den Göttern erwarten darf?

    Eine schillernde Träne rollte ihm über die knochige Wange, während er, über seinen alten Mopp gebeugt, mit schmerzendem Rücken das Deck fegte. Kurz hielt er inne und wischte sich schniefend mit dem Handrücken die salzige Nässe aus dem Gesicht. Was gäbe ich nur dafür, wenn ich endlich den Mut und die Kraft fände, mich aus diesem Gefängnis des Kummers und des Elends zu befreien und mein Leben nach eigenem Ermessen zu gestalten? Habe ich nicht schon genug gelitten?

    Darrien war trotz seines jungen Alters grossgewachsen, dafür aber von schlanker und schmächtiger, geradezu ausgemergelter Gestalt. Sein Körper machte einen zerbrechlichen Eindruck, als bestünde er nur aus spröden Knochen, Sehnen und dünner Haut. Das dunkle Haar trug er kurz; es war zerzaust, ungepflegt und strohig. Sein feingeschnittenes, schmales Gesicht lag stets in trüben, ernsten Zügen, die selten nur von Heiterkeit erhellt wurden, und in seinen braunen, tristen Augen stand das Leid geschrieben, das er in den vielen Jahren auf der Seestern hatte erdulden müssen. Gekleidet war er in ein abgenutztes, schmutzig graues Hemd, das ihm lose um den dürren Leib fiel. Seine langen Beine wurden von zerschlissenen blauen Hosen bedeckt, deren zerfranste Fetzen ihm nur bis unter die aufgeschürften Knie reichten, und um die Taille hatte er sich eine verschossene grüne und fleckige Schärpe gebunden. Schuhe trug er keine.

    Ein kräftiger Schlag auf seinen Hinterkopf liess Darrien plötzlich haltlos nach vorne stolpern. Nur mit Mühen konnte er sich vor einem Sturz bewahren, doch während seinem Taumel stiess er mit dem Fuss den kleinen Kübel an seiner Seite um. Das schmutzige Wasser floss über das Deck und machte seine Arbeit zunichte.

    Verdammt noch mal, du elender Nichtsnutz! Ich hab dir schon oft gesagt, dass du nicht träumend in der Gegend herumzustehen hast. Wenn ich dir sage, du sollst das Deck säubern und danach die Planken mit einer Bürst schrubben bis alles blitzt wie ein frisch polierter Silberteller, dann will ich, dass du es auch so machst, und das gefälligst heute noch. Oder willst du, dass ich wütend werde, du widerlicher, kleiner Bengel?

    Diese harten Worte entstammten der Zunge Carnbals, des grobschlächtigen Steuermannes der Seestern. Er war ein gewaltiger Mann, grösser noch als Darrien und um vieles kräftiger von Statur, ein furchteinflössender, bedrohlicher Koloss mit Stiernacken und wüstem Gesicht – ein Pirat und Schuft durch und durch. Seine dicken, fleischigen Arme konnten sich in ihrem Umfang beinahe mit Darriens hagerem Rumpf messen, und farbige Tätowierungen wucherten über seine breiten Schultern bis hinunter zu den mächtigen Handgelenken und zeigten allerlei grässliche Motive, von Seeungeheuern, Dämonen und waffenschwingenden Kreaturen bis hin zu grinsenden Totenköpfen. Auch seinen kahlrasierten Schädel hatte er sich mit etlichen Hautbildern schmücken lassen, die sich nun zu einem beeindruckenden Ornament vereinten. Sein Gesicht war vierschrötig und hässlich, besass ein breites, kantiges Kinn, eine kräftige Nase und engstehende, finstere Augen. Einige Narben zogen sich als helles Geflecht über die gebräunten und stoppeligen Wangen. Beide Ohren wurden von mehreren goldenen und silbernen Ringen geziert, die herrlich im Sonnenlicht glitzerten.

    Gekleidet war der Hüne in ein ärmelloses Hemd aus einfachem grauem Leinen, das auf der Brust geschnürt war. Dazu trug er weite Pluderhosen von dunkelroter Farbe, wie sie bei den Korsaren aus den Wüstenreichen Silems in Mode waren und die auch beim bunt gemischten und räuberischen Seefahrervolk vom Archipel Anklang fanden. Er hatte sich ebenfalls eine dunkle Schärpe um die Hüfte gebunden und war barfuss, und an einem breiten Schultergürtel aus Leder mit auffälliger Messingschnalle hing ein gewaltiger Krummsäbel.

    E-es tut mir leid, Carnbal. Es k-kommt sicher nicht wieder vor, glaube mir. Bitte, werde nicht wütend, murmelte Darrien eingeschüchtert, die Hände bereits in Erwartung eines nächsten Schlags halb erhoben und die Schultern eingezogen. Er wagte gar nicht erst, den Blick zu heben, da er das feurige Glühen in den dunklen Augen des Piraten fürchtete.

    Das will ich auch schwer hoffen, du mickriger Wurm, denn das verfluchte Unwetter der letzten Nacht hat mir die gute Laune gehörig verdorben, und da kann ich es nicht leiden, wenn ein kleiner Scheisser wie du mir blöd kommt, raunte Carnbal mit finsterer Miene. Wir befinden uns nicht auf einer netten kleinen Vergnügunsfahrt, wie sie die reichen Schnösel aus Libarien zu unternehmen pflegen. Also mach, dass das Deck endlich sauber wird, oder ich werde dafür Sorge tragen, dass du die nächsten Tage am Hauptmast festgebunden wirst, wo du dann in der sengenden Sonne schmoren kannst!

    Aye, Sir, erwiderte Darrien stumpf und kleinlaut und beeilte sich, den Mopp wieder über die feuchten Planken gleiten zu lassen, während Carnbal langsam davonging, den Jungen dabei aber fest im Auge behaltend.

    Mit eisernem Willen hielt Darrien seine Tränen zurück, denn er wusste, dass der kahlköpfige Pirat ihn noch beobachtete. Er spürte dessen gehässigen Blick in seinem Nacken und wollte es tunlichst vermeiden, abermals dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Angestrengt versuchte er, sich den Kummer nicht anmerken zu lassen, der sein Herz marterte, und zwängte sich eine starre Miene der Gleichgültigkeit auf. Doch trotz allem schimmerten seine Augen feucht im goldenen Glanz der Sommersonne.

    Die Verzweiflung liess Wut in ihm aufflammen, und immer heftiger begann er den Mopp über die dunklen Planken des Schiffs zu treiben. Seine Hände, die sich um den Schaft des Putzinstrumentes krampften, begannen zu schmerzen, als hätten sie Feuer gefangen.

    Warum nur hassen mich die Götter?, fragte er sich im Stillen. Was habe ich Schlimmes verbrochen, dass ich mit einem solchen Leben bestraft worden bin? Warum schenken sie mir nicht die Kraft, mich endlich zur Wehr zu setzen, gegen die zahllosen Übergriffe der Besatzung? Ich bin kein Kind mehr, und muss endlich lernen, mich gegen diese Schurken und Halsabschneider zu behaupten. Er seufzte und schüttelte den Kopf. Doch ich mache mir nur etwas vor. Wenn ich nämlich aufbegehre, werden sie mich packen und totprügeln.

    Nach einer Weile hielt Darrien schnaufend inne, um sich einen Moment Ruhe zu gönnen, den schmerzenden Rücken durchzustrecken und seine Hände zu entlasten, wo sich neue Blasen und Schwielen gebildet hatten. Er richtete sich auf und stützte sich auf den Mopp. Schweissperlen glitzerten auf seiner gebräunten Stirn, sein Atem ging rasch. Tief sog er die warme Luft ein und entliess sie mit schweren Seufzern. Allmählich beruhigte er sich wieder, und Wut und Verzweiflung gingen in der trübseligen Teilnahmslosigkeit unter, in die sich seine Seele wie in einen Stahlpanzer hüllte, um nicht zu zerbrechen.

    Einmal mehr glitt sein trister Blick über die funkelnden Wogen des tiefblauen Meeres hin zu der grossen Insel, die ihm so wunderschön und einladend erschien, gleich einem vielfarbigen Juwel, welches den Tiefen des Ozeans entstiegen war, nur um sich im Glanz der Tayisscheibe in strahlender Majestät zu sonnen. Auch wenn er nicht wusste weshalb, wurden seine Augen immer wieder von diesem traumhaften Land angezogen, als läge ein verlockender Zauber darauf, der ihn in den Bann schlug. Der weisse Sandstrand, der üppige Dschungel und die hohen Berge fesselten seine Aufmerksamkeit mit unsichtbaren Stricken. Sein Herz verlangte danach, sich im Schatten der stolzen Bäume zu ergehen, inmitten einer erquickender Vielzahl bunter Pflanzen von unbeschreiblicher Schönheit. Welch traumhafte Orte mag diese Insel wohl in sich hüten?

    Darrien zuckte erschreckt zusammen, als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legte. Sein Körper versteifte sich unwillkürlich, da er erwartete, jeden Moment von einem schmerzhaften Hieb getroffen zu werden oder eine andere Bestrafung zu erfahren. Aber der Berührung folgte nichts. Langsam und vor Angst bebend wandte er seinen Kopf, um zu sehen, wer ihn beim Träumen erwischt hatte.

    Ich habe bemerkt, dass du wieder deinen Gedanken nachhängst, junger Mann, und es gefällt mir gar nicht, sagte die Frau, die hinter Darrien stand und ihn mit strenger Miene musterte. Ich an deiner Stelle würde lieber weiterschrubben, bevor jemand anderes dich sieht. Carnbal ist nicht weit, und er ist heute ziemlich schlecht gelaunt. Ein spöttisches Funkeln stahl sich auf einmal in ihre blauen Augen und ihre zarten Lippen kräuselten sich zu einem Schmunzeln. „Nun, eigentlich ist dieser hässliche Oger immer schlechter Laune. Wär ich allerdings auch, wenn ich mit einer solchen Fratze gestraft wäre."

    Grosse Erleichterung durchfuhr Darrien, als er die Piratin erkannte, die sich nun an seine Seite bewegte. Es war Dalma, eine junge, lebhafte Dame, deutlich zu hübsch für eine Piratenbraut in solch rauer Gesellschaft, die sich jedoch an Bord der Seestern viel Achtung und Respekt erworben hatte mit ihrer selbstbewussten und kecken Art und ihrem Geschick im Kampf und in nautischen Belangen. Sie war das einzige Besatzungsmitglied des Schiffs, das ihn anständig, gar liebevoll behandelte und ihm freundschaftlich verbunden war. Für ihre Gutherzigkeit und Milde war er ihr mehr als dankbar, und in ihrer Gegenwart fühlte er sich stets geborgen und sicher, denn sie verteidigte ihn vor den Grausamkeiten der Mannschaft, so gut sie es vermochte.

    Ich habe doch nur eine kleine Verschnaufpause eingelegt, verteidigte sich Darrien leise. „Es ist anstrengend das ganze Deck im Alleingang zu putzen. Und das in dieser sengenden Hitze." Er seufzte und wischte sich den Schweiss von der Stirn.

    Dalma schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln. Ich weiss, dass es nicht einfach ist. Aber ich will nicht, dass du wieder geschlagen und misshandelt wirst. Die gesamte Mannschaft ist gereizter Stimmung wegen des gestrigen Gewittersturms, und ich befürchte, dass diese Halsabschneider an dir sehr leicht ihren Unmut auslassen könnten, wie sie es immer wieder tun, wenn ich sie nicht davon abhalte. Achte heute besonders gut auf alles, was du sagst und tust. Es braucht nicht viel, um diese Mistkerle und Hurenweiber gegen dich aufzubringen.

    Darrien sah sie einen langen Augenblick schweigend an. Jedes Mal, wenn sie in seiner Nähe war, fühlte er sich besser, als würde ihre blosse Anwesenheit seine Leiden lindern. Er mochte sie, denn sie war nicht nur freundlich und sanft, sondern auch wunderschön an Gestalt. Sie hatte langes rotes Haar, das ihr in feurigen Wellen über den Rücken fiel. Ihr Gesicht beherbergte feine Züge, eine zierliche Nase und volle Lippen, und ihre blauen, zart geschwungenen Augen vermochten sich mit der Farbe eines Sommerhimmels zu messen. Ihr Körper war kräftig und zierlich zugleich, wohlgeformt und mit sanften Rundungen und doch wie geschaffen für ein entbehrungsreiches, hartes Leben auf den endlosen Weiten der Meere.

    Ich bin dir dankbar für den guten Rat, meinte Darrien nach einer Weile kleinlaut und heftete seinen Blick auf das Deck des Schiffes. Aber wenn sie wirklich alle so übler Laune sind, werde ich ihren Boshaftigkeiten ohnehin nicht entkommen können.

    Dalmas Schmunzeln erstarb bei diesen düsteren Worten, denn sie trafen sie tief. Der schmächtige Junge tat ihr leid, denn kaum jemand behandelte ihn mit der nötigen Würde. Er war nicht mehr als ein wehrloser Sklave inmitten eines barbarischen Haufens. Dabei war er doch stets bemüht, sich anständig zu verhalten und es allen recht zu machen. Aber von einem hartherzigen Piratenpack konnte nicht erwartet werden, dass sie sich einem Jungen gegenüber zartfühlend und gerecht benahmen. Nahezu ausnahmlos waren die Männer und Frauen auf diesem Schiff unter schwierigen Umständen aufgewachsen und hatten schon früh lernen müssen, sich mit Gewalt und Tücke gegen die Widrigkeiten des Lebens zur Wehr zu setzen. Mildtätigkeit und Sanftmut waren ihnen daher gänzlich unbekannt.

    Wortlos betrachtete die Piratin den Schiffsjungen, während dieser wieder anfing, das Deck zu säubern. Sie mochte ihn sehr, denn trotz des schweren Lebens, das er führte, war sein Herz rein geblieben. Irgendwie war er etwas Besonderes, das wusste sie genau. Seit jenem Tag schon, an dem sie ihn als Säugling in einer Kiste auf dem Meer treibend gefunden hatte, verspürte sie diese Zuneigung zu ihm, die sich in den vielen Jahren gar noch vergrössert hatte. Er hatte etwas an sich, das sie nicht beschreiben oder bestimmen konnte, etwas Einzigartiges, und obgleich alle an Bord ihn nur mit Verachtung straften und ihn quälten, schienen doch die meisten unbewusst zu ahnen, dass ihn eine aussergewöhnliche Aura umgab, fast als wäre ihm dereinst ein eigentümliches Schicksal beschieden. Warum sonst hatte eine räuberische Gemeinschaft wie die ihre es stillschweigend hingenommen, dass ein unschuldiges Kind an Bord heranwuchs? Doch immer wieder fragte sich Dalma, ob sie dem Jungen wirklich einen Gefallen getan hatte, indem sie ihn bei sich auf diesem Schiff aufgenommen und grossgezogen hatte, denn bisher hatte er nur Häme, Demütigungen und Misshandlungen aller Art erfahren.

    Kannst du mir sagen, wohin uns der Sturm getragen hat? Gerne möchte ich wissen, wie die Insel heisst, vor der wir nun liegen?, fragte Darrien auf einmal und hielt wieder für einen Augenblick inne. Seine dunklen Augen ruhten auf dem fremden Land.

    Um ehrlich zu sein, weiss bisher niemand, wo wir uns befinden. Seit dem frühen Morgen versuchen wir fieberhaft zu ermitteln, in welche Region des Meeres der Sturm uns abgetrieben hat. Doch selbst Romehk ist zur Zeit völlig ratlos und vermag nicht mit Gewissheit zu sagen, wie weit wir von unserem Kurs abgekommen sind. Seltsamerweise scheint diese Insel auf keine Beschreibung zu passen, die wir kennen. Man könnte fast meinen, sie habe bis zu diesem Tag nicht existiert und wäre wie durch Zauberhand aus den Tiefen des Meeres aufgestiegen, gab ihm Dalma zur Antwort. Auch sie blickte nun auf das Eiland hinüber, doch ihre Züge zeigten keine Begeisterung, eher argwöhnisches Staunen.

    Soll das heissen, wir befinden uns in unbekannten Gewässern? Darrien wirkte erfreut, und ein Leuchten erglomm in seinen trüben Augen. Vielleicht ist dies eine Insel, die noch niemand entdeckt hat, und wir können sie nun benennen und sie als Erste erforschen und auskundschaften.

    Dalma lächelte milde. Möglich wäre es, obwohl ich davon nicht überzeugt bin. Von der Witterung her würde ich vermuten, dass wir uns immer noch Mitten im Sturmmeer befinden, wohl irgendwo zwischen dem Irbalos- Archipel und den Smaragdinseln, westlich der Küste von Khorome. Doch das Meer der Stürme sollte eigentlich keine unbekannten Inseln und unentdeckten Abschnitte mehr beherbergen. Schliesslich ist es das meistbefahrene, besterforschte Meer Cirunas.

    Aber die See ist gross. Wer kann schon wissen welche Geheimnisse sie in sich birgt? Darriens Augen glänzten hell, wie zwei schimmernde Sterne im samtschwarzen Mantel der Nirs.

    Dalma erwiderte darauf nichts. Sie erkannte die Freude in seinem schmalen Gesicht und wollte sie ihm nicht nehmen. Nur zu gerne überliess sie ihn seinem unbedarften, kindlichen Glauben, denn auch er hatte das Recht zu träumen.

    Darrien, ich störe dich nur ungern, aber bitte schwinge den Mopp und säubere das Deck, forderte Dalma den hageren Jungen, dessen Gedanken wieder in unbekannte Gefilde zu entfliehen drohten, mit sanftem Nachdruck auf. Die Sonne nähert sich ihrem Zenit, und bis dahin solltest du deine Arbeit hier erledigt haben, sonst ahne ich Böses.

    Darrien fuhr aus seinen sehnsüchtigen Tagträumen auf, schenkte der rothaarigen Piratin schüchtern ein herzliches Lächeln und setzte seine undankbare Aufgabe fort.

    Eine Weile noch beobachtete ihn Dalma dabei, dann schüttelte sie schmunzelnd den Kopf und ging selbst ihrer Arbeit nach. Während sie sich dem mächtigen Aufbau am Heck des Schiffes näherte, erteilte sie einigen schwatzenden Männern wütend Befehle. Dann verschwand sie im dunklen Türeingang der Trutz.

    Gut eine halbe Stunde später hatte Darrien das ganze Deck geputzt. Er stand am Bug der Seestern und stützte sich erschöpft auf den langen Wischmopp. Der Schweiss lief in Bächen an ihm herunter, denn es war drückend heiss. Noch immer war der Himmel völlig wolkenlos und erstrahlte in herrlichem Blau; die Sonne sandte ihre glühenden Fächer mit unbarmherziger Wut hernieder und liess das Deck in heissen Flirren wabern.

    Darrien sah auf das Meer hinaus. Schweigend betrachtete er das sanfte Spiel der glitzernden Wellen, die das schwere Schiff leicht ins Schlingern brachten. Immer wieder berührten die zarten Wogen die Bordwände, gleich Fingern, die genüsslich die Haut eines Geliebten streichelten. Wie gern nur wäre er hineingesprungen, nur um diese Berührungen selbst zu spüren und seinen ausgelaugten Körper abzukühlen?

    Der Junge seufzte schwer und riss den Blick vom Wasser fort. Er hatte keine Zeit sich in den Wellen des Meeres zu vergnügen, also schadete es nur, davon zu träumen. Bald war es Mittag, und bis dahin musste er den Tisch im Speisesaal gedeckt haben, damit die wichtigen Mitglieder der Mannschaft das Mahl einnehmen konnten. Schon seit einiger Zeit schwängerte ein würziger Geruch die warme Meeresluft, der Darrien das Wasser im Mund zusammenlaufen liess. Der Smutje kochte Fisch, nur leider würde er der Letzte sein, der davon kosten durfte. Vermutlich werde ich nur die stinkenden, widerlichen Reste abbekommen, eine eklige Fischbrühe, versetzt mit halbgarem Fleischfetzen und Eingeweiden, dazu etwas trockenes Brot. Allein der Gedanke daran, liess Übeklekit in seinem Magen aufsteigen, und der Appetit verging ihm.

    Der Schiffsjunge hob den Eimer vom Boden auf und schüttete das dreckige Wasser über Bord. Dann schulterte er den Wischmopp und schritt eilig ans andere Ende des mächtigen Schiffes, wo sich die vierschrötige Trutz wie die Brustwehr einer stolzen Burg auftürmte. Dort duckte er sich durch den niedrigen Eingang und hastete die knarrenden hölzernen Stufen bis zum untersten Deck hinunter, wo er die Putzwerkzeuge in einem kleinen Kämmerchen verstaute.

    Während Darrien die Stiege wieder erklomm, um in den Speisesaal zu gelangen, der sich ganz im Heck des vorkragenden Aufbaus befand – unmittelbar über der geräumigen Kajüte des Kapitäns – und sich über die ganze Breite erstreckte, spürte er, wie sein Magen heftig zu knurren begann. Der Duft des gebratenen Fisches durchflocht selbst die untersten Gänge des Schiffes und erweckte das Hungergefühl aus seinem Schlummer. Doch trotz diesem zwingenden Verlangen nach Nahrung, freute sich der Junge keineswegs auf das Essen, denn was ihm als Speise vorgesetzt werden würde, das frassen selbst die Hunde kaum.

    Betrübt und mit hängendem Kopf schlich Darrien durch die dunklen Gänge der unteren Decks, die nur ungenügend von einigen kleinen Öllampen oder ehernen Laternen beleuchtet wurden, welche an den dicken Holzwänden befestigt waren oder an Ketten von der Decke baumelten. Schwere Seufzer voller Sehnsucht quollen über seine Lippen, denn nur zu gerne hätte er auch vom Fisch gekostet. Aber er wusste, dass dieser Wunsch niemals in Erfüllung gehen würde. Eher werden der Kapitän und seine Mannen die Fische damit füttern als die Reste mir zu überlassen.

    Plötzlich blieb Darrien auf den ersten Stufen der Treppe stehen, die zum grossen Saal heraufführte. Er war sich ziemlich sicher etwas gehört zu haben, das ihn verwunderte und ihn stutzig machte. Gespannt lauschte er und hielt den Atem an. Aus dem Zimmer des Kapitäns drangen ungewöhnliche, geradezu verdächtige Geräusche. Jemand schien dort aufgeregt umherzugehen, aber der Kapitän selbst – das wusste der Junge ohne Zweifel – hielt sich auf dem Achterdeck auf und begutachtete von dort aus die Schäden der Seestern.

    Vorsichtig näherte sich Darrien dem Raum und bemerkte, dass die Tür einen Spaltbreit geöffnet war. Mit bebendem Herzen verharrte der Junge im engen Gang davor, denn er wagte es nicht, noch weiter vorzurücken und denjenigen zu überraschen, welcher sich dort eingeschlichen hatte. Neugierig spähte er durch den Schlitz in die Kammer, in der leisen Hoffnung, etwas zu erkennen.

    Genau in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und Darrien schreckte zurück. Aus dem lichtdurchfluteten Zimmer trat eine Person, die es eilig zu haben schien, aber dann augenblicklich inne hielt, als sie den Schiffsjungen bemerkte.

    Was, bei allen Dämonen der Niederhöllen, hast du hier zu suchen, du niederträchtige Ratte?, erscholl eine eigenartige Stimme in scharfem Ton, der wie die Klinge eines Messers in Darriens Mark fuhr. Obwohl ihr Klang rau und harzig war, liess sich in ihr dennoch der Hauch einer sanften Melodie erahnen.

    Darrien begann verängstigt zu zittern, als er die Person erkannte. Vor ihm stand Romehk, der Navigator der Seestern. Er besass nach dem Kapitän den grössten Einfluss auf dem Schiff und genoss unter den finsteren Gesellen eine fast uneingeschränkte Befehlsgewalt, da jeder ihn irgendwie zu fürchten schien. Das aber war nicht weiter verwunderlich, bedachte man die ungewöhnliche Abstammung und Herkunft Romehks, war dieser doch ein Elf, ein Mitglied jenes uralten und geheimnsivollen Volkes aus dem fernen Aldana, dem die Menschen allerlei wunderliche Kräfte nachsagten. Nur war Romehk kein hehres Wesen von edler und wunderschöner Gestalt, wie sie in unzähligen Sagen und Liedern beschrieben, sondern ein schauriger Kerl mit einem finsteren Gemüt und unheimlicher Ausstrahlung.

    Es... es tut... tut mir wirklich leid. Ich... ich... wollte nicht..., stammelte der Junge und wich vor dem Piraten zurück, der ihn aus dunklen, unergründlichen Augen zornig musterte.

    Romehk starrte Darrien nieder, als versuchte er, ihn mit seinem flammenden Blick zu töten. In seinen braunen, mandelförmigen Augen schien ein unirdisches Feuer zu glühen, das alles in finsterer Wut verzehrte. Das schmale, einst wohl bildschöne Elfengesicht war völlig entstellt, denn die weichen, eingefallenen und fast totenbleichen Züge lagen unter abscheulichen Schmucknarben verborgen, die das gesamte Antlitz wie Schwären oder verschorfter Aussatz verunstalteten. Romehk hatte sich den fahlen Schädel kahlrasiert; nur ein dicker geflochtener Zopf aus dunklen Haaren quoll über seinen Rücken. Einzig die spitzen Ohren deuteten noch darauf hin, dass er dem edlen Volk der Aldanoi angehörte. Alle anderen Merkmale seines Geschlechts waren mit furchtbarem Eifer aus seiner Erscheinung getilgt worden.

    Halt dein Maul, du erbärmlicher Wicht! Ich will dein Gejammer nicht hören. Sage mir lieber, warum du dich hier herumtreibst, zischte Romehk, trat auf den eingeschüchterten Jungen zu und packte ihn grob an den knochigen Schultern. Mit erstaunlicher Kraft stiess er ihn gegen die Wand.

    Obwohl der hässliche Elf um einen ganzen Kopf kleiner war als der grossgewachsene Darrien und von Gestalt her kaum kräftiger zu sein schien, konnte sich der Schiffsjunge nicht gegen ihn zur Wehr setzten. Hilflos stand er Romehk gegenüber und wimmerte leise wie eine gequälte Katze. Tränen rollten in silbrigen Rinnsalen über seine Wangen.

    Ich... ich wollte doch... doch nur den Speisesaal bereit... machen. Es tut... tut mir leid, w-wenn ich dich g-gestört habe. Es lag... wirklich nicht i-in meiner Absicht... Darrien konnte vor Angst kaum sprechen. Er wagte es nicht, dem Elf in die Augen zu sehen, die so grausam auf ihm brannten.

    Romehk schnaubte nur und schlug dem Jungen hart ins Gesicht. Dein Gebrabbel kümmert mich nicht! Was hast du gesehen, du lausiger Bengel?

    Nichts, gar nichts, schluchzte Darrien und rieb sich die schmerzende Wange. „I-ich schwöre dir, d-dass ich nichts g-gesehen haben."

    Romehk vergrub seine schlanken Finger in den zerzausten Haaren des Knaben und zerrte seinen Kopf ungestüm zu sich herab, zwang den Jungen, ihn anzublicken. Gut, das will ich auch hoffen. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, dir die Augen auszustechen und deine Zunge herauszureissen. Du hast mich nicht gesehen, haben wir uns verstanden? Ich war niemals hier.

    Darrien gab keine Antwort, denn er kämpfte mit verkrampftem Kiefer gegen die Schmerzen an, die ihm die Zähren in die Augen trieben. Auch verstand er nicht recht, was der Navigator eigentlich meinte. Wieso ist es ihm dermassen wichtig, dass niemand von seinem Aufenthalt im Zimmer des Kapitäns erfahren durfte? Ein Verdacht stieg in ihm auf. Hat er womöglich etwas getan, das er als Geheimnis hüten wollte?

    Darriens Schweigen erzürnte den Elf nur noch mehr. Erneut ballte er die Faust und schlug zu, während er noch fester am Schopf des hilflosen Knaben riss, der laut aufschrie und um Gnade winselte.

    Hast du mich verstanden? Ist dir klar, was ich eben gesagt habe, du winselnder Wicht? Antworte!, raunte der Pirat, und sein fauliger Atem streifte Darriens Gesicht.

    Ja, ja, ja, stiess der Junge gequält hervor. Ich bin mit allem einverstanden, wenn du mich nur nicht noch weiter schlägst.

    Romehk schnaubte abschätzig und stiess den Jungen wieder gegen die Wand. Dann wandte er sich von ihm ab und schritt, ohne weitere Worte zu verlieren, eilig davon, war er sich doch gewiss, dass der Bursche schweigen würde.

    Darrien sank weinend nieder, das Gesicht in den Händen vergraben. Wähernd er seinen Kummer mit Tränen befeuchtete, erwuchs in ihm einmal mehr das heftige Verlangen, diesem alptraumhaften Leben endlich zu entfliehen. Hier, auf diesem Schiff, würde er niemals etwas Schönes erleben oder Glück erfahren. Stets bliebe er das Objekt des Hasses und des Spotts, denn die Mannschaft der Seestern würde ihn nie als vollwertiges und geachtetes Mitglied betrachten. Er war ein Sklave, wertloser als die Ratten, die sich in den unteren Decks tummelten und an den Vorräten knabberten. Aber so wollte er nicht weiterleben.

    Auf einmal erschienen vor seinem inneren Auge Bilder der geheimnisvollen Insel, die seinen Geist seit dem heutigen Morgen, als er sie zum ersten Mal in der zarten Dämmerung erblickt hatte, nicht mehr losliess und ihn mit ihrer lieblichen Pracht verzauberte. Die Erinnerung an dieses grüne Paradies, die deutlich in seinen Gedanken verankert war, tröstete ihn mit wohltuender Wärme und gab ihm Kraft. Vielleicht kann ich dort, unter dem hohen, grünen Blätterdach des dichten Dschungels, mein Leben neu beginnen, frei von der Tyrannei anderer Menschen.

    Darrien seufzte schwer und erhob sich wieder, um seine begonnene Arbeit fortzusetzen. Er wischte sich die Tränen und das Blut, das ihm von der aufgeplatzten Lippe tröpfelte, mit dem Ärmel weg und machte sich an den Aufstieg. Doch während er die Stufen zum Speisesaal erklomm, begann sich in seinem Kopf ein Fluchtplan zu entwickeln, denn sein Herz sehnte sich nach Freiheit. Auch wenn er überhaupt nicht wusste, was ihn in der Wildnis der Insel erwarten mochte, stand seine Entscheidung bereits fest, denn jedwede Gefahr und alle Unbilden einer tückischen Natur erschienen ihm erträglicher als die Marter und das Leid, das er tagtäglich auf diesem Schiff erdulden musste. Ich werde noch heute nacht, die Seestern verlassen, schwor er sich im Stillen, und sein Herz pochte freudig erregt in seiner Brust.

    Als er die Tür zum grossen Speisesaal aufstiess, ergoss sich goldenes Sonnenlicht über ihn, das durch die hohen Fenster am Heck mit ihren dicken Butzenscheiben zwischen einem Gitter aus Blei in den Raum fiel. Darrien blieb einen Moment stehen, denn er empfand plötzlich so etwas wie Vorfreude, und dieses Gefühl zauberte ein Lächeln in sein Gesicht. Beim Anblick des endlosen Meeres unter dem Glanz der Tayisscheibe

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