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Ein Bund des Schicksals: Darkhanium 7
Ein Bund des Schicksals: Darkhanium 7
Ein Bund des Schicksals: Darkhanium 7
eBook1.237 Seiten17 Stunden

Ein Bund des Schicksals: Darkhanium 7

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Über dieses E-Book

Die verschiedenen Gefährten haben sich widerwillig damit abgefunden, die Bürde eines besonderen Schicksals zu tragen, und haben sich zu einer Zweckgemeinschaft zusammengeschlossen, um gegen den Dunklen Feind in der Verfluchten Stadt anzugehen, der Ciruna mit Krieg und Unheil überzieht. Angeführt von Torias Alfaran, einem Paladin des Konzils des Lichts, streben sie dem sagenumwobenen Orakel von Râhl entgegen, in der Hoffnung, an der heiligen Stätte mehr über Ihre rätselhafte Bestimmung in Erfahrung zu bringen.
Doch der Feind bleibt nicht untätig und schickt finstere Schergen aus, um der Bedrohung entgegenzuwirken, die ihm durch die Heldengruppe erwachsen könnte, und zugleich seine eigenen Begehren voranzutreiben
Durch die Machenschaften des Hexenmeisters dazu gezwungen, von ihrem Vorhaben abzuweichen, müssen die Gefährten neue Wege einschlagen und Gefahren unterwegs überwinden, die das noch junge und unsichere Bündnis untereinander immer wieder erschüttern. So müssen sie auch lernen, miteinander auszukommen und ihre Unterschiede zu ihrem Vorteil zu nutzen, denn nur vereint wird es ihnen möglich sein, den Feind dereinst zu bezwingen.
Verfolgt von einem namenlosen Geschöpf des Hexenmeisters versuchen die Helden in der Hafenstadt Anacca einen kühnen Kapitän zu finden, der sich bereit erklärt, ihre besondere Gemeinschaft auf seinem Schiff über das Meer der Stürme zu führen, denn im fernen Süden erhoffen sie weiteren Aufschluss über ihr ungewisses Los in Erfahrung zu bringen.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum5. Juli 2022
ISBN9783740705244
Ein Bund des Schicksals: Darkhanium 7
Autor

Peter Bur

Geboren am 20. Oktober 1982 in Biel in der Schweiz. Seit 2016 verheiratet und wohnhaft in Ipsach, nahe Biel. Schreibt seit 1998 nebenberuflich und mit wachsendem Eifer an seinem gewaltigen Fantasy-Epos Darkhanium, einem Werk, dessen Umfang ihm wohl noch ein ganzes Leben an Schreibartbeit abverlangen wird - oder vielleicht auch zwei.

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    Buchvorschau

    Ein Bund des Schicksals - Peter Bur

    Kapitel 1

    Zaghaft blinzelte die bleiche Wintersonne hinter den weissen Wolkenfetzen hervor, die wie löchrige Laken und ausgefranste Bänder den blaugrauen Himmel überzogen. Eine steife Brise aus dem Westen scheuchte die Schleierbänke über das von lichten Waldflecken gesprenkelte Hügelland und trieb sie den schier endlosen Grassteppen Altoroshs zu, die sich gleich einem grünlichen Meer gen Norden und Osten erstreckten, bis zum fernen Horizont und noch weit darüber hinaus.

    Joran Saller lehnte sich gemütlich im Sattel zurück, wandte sein Gesicht dem Himmel entgegen und liess die zart glitzernden Sonnenstrahlen über seine entspannten Züge streicheln. Noch vermochte das blasse Licht der Tayisscheibe kaum Wärme zu spenden, zu kraftlos war ihr Glanz. Der Winter hielt das weite Land nach wie vor in kaltem Griff gefangen und schien nicht gewillt, seine Herrschaft bald aufzugeben. Dennoch genoss der junge Ritter die sanften Berührungen des Tagesgestirns in vollen Zügen, denn sie erschienen ihm wie die milden Küsse einer übersinnlichen Gespielin, die ihn gefühlvoll liebkoste. Auf ihn, der an das harsche, eisige Klima des hohen Nordens gewöhnt war, wirkte dieses schwache Glühen winterlichen Wohlwollens beinahe schon wie das angenehme Strahlen eines jungen Frühlingsmorgens, und nach fast zwei Tagen Aufenthalts im ewigen Nebelmeer von Altorosh und drei weiteren wenig erfreulichen Reisetagen unter einem tristen, bedeckten Himmel, begrüsste er das schüchterne Erscheinen der Sonne mit einem behaglichen Seufzen.

    Leider währte dieser wohltuende Moment nur kurz, denn bald schon verschwand die fahle Scheibe hinter neuerlich sich verdichtenden Wolkenfeldern, die das Sonnenlicht eifersüchtig einfingen, es filterten und schliesslich als matte Helligkeit auf die Welt niedersandten, welche die Hügelkuppen, die blattlosen Bäume, die im Lufthauch raschelnden Sträucher und das welke Gras in graue Schatten kleidete.

    Des lieblichen Sonnenscheins beraubt, senkte Joran sein Gesicht und öffnete die Augen, die in einem solch tiefen Blau funkelten, dass selbst geschliffene Saphire sich gegen ihre Farbenpracht geradezu wüst und unscheinbar blass ausnahmen. Schweigend blickte er sich um und betrachtete die langsam ansteigende Landschaft, durch welche seine Gefährten und er sich in gemächlichem Schritt bewegten. Er beäugte die kahlen Bäume ringsumher, die an ihm vorbeiglitten, und musterte eher teilnahmslos die fein geschwungenen Anhöhen und rundlichen Erhebungen, die an manchen Stellen von eisverkrusteten Schneeresten wie mit weissen Klecksen betupft waren. Gelegentlich machte er einen kleinen Vogel aus, der aufgeplustert im Gezweig hockte oder geschwind über seinen Kopf hinweg flatterte, um irgendwo zu landen und zwischen den Büschen auf dem harten Boden nach Essbarem zu picken. Einmal meinte er gar, einen Hasen im Gesträuch erspäht zu haben, der sich jedoch in wilden Sprüngen davonstahl, als die bunte Gemeinschaft nicht eben leise herankam und ihn verschreckte.

    Bald gelangweilt von der zwar eindrücklichen, aber letztlich nicht sonderlich aufregenden oder abwechslungsreichen Natur, wandte der junge Ritter sein Augenmerk von der winterlich kargen Umgebung ab, durch die sie in loser Ordnung voranstapften. Mit einem Seufzen beugte er sich im Sattel vor und beklopfte den kräftigen Hals seines unermüdlich marschierenden Hengstes Aldaram, worauf der stolze Rappe zufrieden schnaubte und wiehernd seine Mähne schüttelte, dass das Geschirr hell klimperte.

    Ein weiches Lächeln tanzte über die Lippen Jorans, und er murmelte einige freundliche Worte ins Ohr seines Reittiers, während er weiterhin mit der behandschuhten Hand dessen Hals streichelte. Noch nach mehr als drei Tagen zeigte er sich insgeheim erstaunt darüber, dass es dem Paladin, dem Anführer ihrer seltsamen Schar, gelungen war, den Hengst nur mithilfe einer abgebrochenen Speerspitze, die Joran bei sich aufbewahrte, binnen weniger Augenblicke über hunderte von Meilen aus Londurin im hohen Norden nach Altorosh im Süden zu versetzen. Bislang war er als Ritter des nördlichen Königreichs, wo für gut zehn Monate im Jahr nur Eis und Schnee regierten, kaum mit Magie in Berührung gekommen und kannte sie fast ausschliesslich nur aus Sagen, Märchen und alten Berichten. Dass er in den vergangenen Tagen und Wochen jedoch mehrfach Zeuge der unvorstellbaren Möglichkeiten geworden war, die sich einem Magiekundigen eröffneten, machte ihm einmal mehr bewusst, dass er als Krieger und Soldat solchen Mächten wenig entgegenzusetzen hatte. Und dieser Gedanke hatte durchaus etwas Erschreckendes an sich.

    Doch das sind Dinge, über die ich mir hier und heute nicht den Kopf zerbrechen muss, meinte er zu sich und bemühte sich, anderen, leichteren Gedanken Raum zu lassen.

    Der kalte Wind frischte weiter auf und schlug den schweigsam voranziehenden Gefährten in beissenden Böen entgegen. Selbst Joran begann ein wenig zu frösteln, zog seine dunkelblaue Jacke enger um die Schultern und zupfte den hochgeschlossenen Kragen seines roten Wamses zurecht. Es verwunderte ihn etwas, dass ihm die hiesigen Witterungen dermassen zu schaffen machten, waren sie im Vergleich zum schneidenden Wind und der beissenden Eiseskälte seiner fernen Heimat Londurin doch fast schon angenehm und erträglich. Entweder war er in den wenigen Tagen, seitdem er durch die wilden, menschenleeren Weiten des südlichen Altoroshs zog, merklich verweichlicht, oder die passende und modisch durchaus ansprechende Garderobe, die Torias Alfaran ihm in seiner Grosszügigkeit überlassen hatte, bot einen weitaus geringeren Schutz vor der winterlichen Witterung als der dicke Wollstoff seiner Uniform.

    Vielleicht aber hatte er auch nur ein wenig Bewegung nötig, um seinen zitternden Körper besser zu durchbluten. Seit ihrem Aufbruch in der grauen Frühe des diesigen Morgens – was nun schon einige Stunden her war – hatte er bloss auf dem Rücken seines Pferds gesessen und kaum einen Finger gerührt. Aus diesem Grund durfte es ihn eigentlich nicht erstaunen, dass er sich nur schwerlich erwärmen konnte und sich sein Rücken trotz seiner Jugendlichkeit etwas steif anfühlte. Es ist wirklich längst überfällig, dass ich mich endlich aus dem Sattel bequeme und zumindest einige Meilen zu Fuss zurücklege, wie es die meisten meiner neuen Gefährten ebenfalls halten, sagte er im Stillen zu sich.

    Behutsam zog er an den ledernen Zügeln, schnalzte mit der Zunge und brachte Aldaram dieserart zum Stehen. Leicht unbeholfen schwang er sich danach aus dem Sattel, streckte ächzend den Rücken durch und vertrat sich ein wenig die Beine, um die leicht verhärteten Muskeln zu lockern. Bereits diese spärlichen Bewegungen halfen, seinen Kreislauf anzuregen und die Gänsehaut loszuwerden, die ihn überkommen hatte.

    Während Joran sich reckte, stapfte der Erzzwerg Splitter Eisenschild an ihm vorbei, beladen mit seinem schweren Rucksack und der daran festgezurrten riesigen Streitaxt. Der Taroxon, der über ein mehr als mürrisches Gemüt verfügte, warf dem Ritter einen etwas missbilligenden Blick zu, die goldgelben Augen glitzerten unter den dichten Brauen hervor, die sich über der breiten Nasenwurzel trafen. Sein wie aus schroffem Granit gemeisseltes Gesicht verdunkelte sich in verdriesslichen Schatten, und er raunte irgendetwas in seinen wallenden braunen, von stahlgrauen Strähnen durchflochtenen und mit einigen aus Gold und Silber getriebenen Spangen geschmückten Bart, als er an Joran vorüber trottete.

    Dieser glaubte zu verstehen, dass Splitter einmal mehr eine abfällige Bemerkung über ihn machte, und hielt prompt in seinen Lockerungsübungen inne.

    Aber anstatt sich über jene sehr wahrscheinliche Brüskierung zu ergrimmen, nahm Joran sie nur mit einem schiefen Grinsen hin und schüttelte amüsiert den Kopf. Er schickte sich gar an, hinter dem griesgrämigen Lofarin herzugehen, der meist ein wenig Abstand zu den anderen hielt, da er selten Lust verspürte, sich mit hoffärtigen Menschen, weinerlichen Elfen, einfältigen Minotauren und albernen Calpiren zu unterhalten – wie er niemals müde wurde zu erwähnen. Der Ritter hatte irgendwie gelernt, das ständige Genörgel, die Lästereien und die mitunter barschen Kommentare des Zwergs wortlos über sich ergehen zu lassen und ihnen kaum noch Beachtung zu schenken. Er war sich fast gewiss, dass der grantige Taroxon aus böswilliger Absicht handelte, er schien nur immer wieder neue Gründe zu finden, sich mit Leidenschaft über etwas zu empören, und zögerte selten, diese Gelegenheiten beim Schopf zu packen.

    Joran erinnerte sich lebhaft an all die Streitereien, die Splitter in den vergangenen Tagen mit beinahe jedem anderen der Gefährten angezettelt hatte, indem er sich immer wieder über deren Eigenarten und typischen Verhaltensweisen aufgeregt, ihren jeweiligen Ansichten heftig widersprochen, sich über jedwede Kleinigkeit beschwert und alle Entscheidungen der anderen mit wahren Glanzstücken an Taktlosigkeit bemängelt hatte. Und wenn er gerade niemanden fand, den er ausschimpfen oder gar mit hochrotem Gesicht vor allen anderen zusammenstauchen konnte, liess er seinen nimmersatten Unmut stattdessen an der wehrlosen Umgebung aus, indem er wütend Steine zur Seite trat, die sich absichtlich vor seine Füsse gerollt hatten, fluchend auf Wurzeln stampfte, die ihn in böser Absicht zum Stolpern bringen wollten, oder einfach nur grundlos das welke Gras unter seinen schweren genagelten Stiefeln zerdrückte. Natürlich hatten auch das Wetter und vor allem der Wind schon häufig seinen Groll zu spüren bekommen, doch schienen die sich wenig um die Meinung eines unzufriedenen Zwergs zu scheren.

    Joran selbst hatte in den ersten Tagen ihrer gemeinsamen Fahrt mehrmals die unerfreuliche Angewohnheit Splitters am eigenen Leib erfahren müssen, an jedem und allem etwas auszusetzen. Zu Anfang hatten ihn die meist gemeinen Bemerkungen des Zwergs zweifellos verstimmt, und seine ewigen Beschimpfungen waren ihm sauer aufgestossen. Mehr als einmal hatte er sich genötigt gefühlt, sich gegen die haltlosen Anschuldigungen Splitters zur Wehr zu setzen, und dabei hatte er auch mal seine Beherrschung verloren. Der Zwerg erwies sich schlicht als zu stur und borniert, um auf nüchterne Erwiderungen einzugehen, und darum hatte selbst Joran sich nach ehrlichem, doch vergeblichem Bemühen, die sich anbahnende Auseinandersetzung mit geduldig und zuvorkommend formulierten Rechtfertigungen abzuwenden, dazu herablassen müssen, Splitter scharf anzuweisen, sich um seine eigenen Belange zu kümmern und ihn nicht weiter mit Bagatellen zu belästigen. Diese verbale Entgleisung hatte jedoch den jähen Zorn des Zwergs nur noch gesteigert und ihn dazu herausgefordert, den Ritter erst recht als verwöhnten, hochnäsigen Bengel und eitlen Nichtsnutz zu verunglimpfen.

    Am weitaus Häufigsten jedoch lieferte sich Splitter wüste Wortgefechte mit dem riesigen Minotaurenkrieger Blackflash, und obgleich deren Anfeindungen und lautstarke Auseinandersetzungen oftmals die allgemeine Stimmung der gesamten Gruppe in einen bodenlosen Abgrund rissen, kam Joran nicht umhin, den Zwerg für seine Tollkühnheit und an Irrsinn grenzende Unverfrorenheit fast ein wenig zu bewundern. Jeder andere – mit Ausnahme vielleicht von Torias und seinen beiden Getreuen – fürchtete den dunklen Zorn des schwarzen Kolosses, und daher vermieden es alle tunlichst, diesen gegen sich aufzubringen oder auch nur absichtlich seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ein jeder, der auch nur über ein Quäntchen Verstand und Lebenswille verfügte, zog es vor, nicht in die Nähe der gehörnten Ungetüme und ihrer kriegerischen, brutalen Natur zu kommen. Nicht so aber Splitter Eisenschild, der sich regelmässig in akute Lebensgefahr begab, indem er Blackflash aus irgendeinem nichtigen Grund anfuhr oder ihn herausforderte.

    Einzig dem beherzten Eingreifen Stormwinds, des jüngeren und etwas umgänglicheren Bruders Blackflashs, und einiger anderer Schlichter, die den wutschnaubenden Stierkrieger mehrmals tatkräftig davon abhalten mussten, den halb so grossen Taroxon in Stücke zu reissen, verdankte Splitter es, noch unter den Lebenden zu weilen. Doch weder wusste er ihren Beistand zu schätzen, noch lernte er daraus, sich dem schwarzen Minotauren gegenüber zu zügeln.

    Diese zumeist unnötigen Reibereien und Unruhen hatten dem Ansehen des Zwergs in der jungen Gemeinschaft arg geschadet, und nahezu alle gingen ihm vorsorglich aus dem Weg, da kaum einer es vermochte, ein vernünftiges Wort mit ihm auszutauschen. Auch Joran hatte am Ende des dritten Reisetages genug vom maulenden Taroxon und sich in seinem hilflosen Ärger an Torias gewandt, der den anhaltenden Nörgeleien Splitters mit unendlichem Gleichmut begegnete.

    Der Paladin war bereits von etlichen anderen wegen Splitters Eskapaden angesprochen und darum ersucht worden, ihm Einhalt zu gebieten, doch selbst sein überragendes Verhandlungsgeschick hatte den Zwerg kaum zum Schweigen animiert. Darum bot er dem jungen Ritter nur den wenig hilfreichen Rat, sich Splitter gegenüber geduldig zu zeigen und sich dessen laufende Verfehlungen nicht zu Herzen zu nehmen. Seiner Meinung nach würde sich der Taroxon ohnehin bald zu benehmen wissen, wenn er sich erst an die Mitglieder der Gruppe gewöhnt hatte. Er war der Überzeugung, dass sich Splitter auf diese verschrobene und bärbeissige Art nur an seine neuen Gefährten herantastete.

    „Und, fügte Torias mit einem seiner zarten Lächeln an, „es deucht mich, dass unser bärtiger Freund für einen Anhauch von Unterhaltung auf dieser eher trostlosen Wanderung sorgt, oder irre ich mich hierbei?

    Joran war über diese Antwort anfangs enttäuscht gewesen, hatte er doch grosse Hoffnungen in die Überredungskünste und das Durchsetzungsvermögen ihres strahlenden Anführers gesetzt. Doch schon am nächsten Tag begann er zu begreifen, dass Splitter wohl warhaft nicht aus bösem Willen Zwietracht stiftete, sondern auf jenem Wege nur einer inneren Unruhe Ausdruck verlieh, die auch Joran zuweilen verspürte.

    Mit dieser Erkenntnis fiel es dem Ritter fortan etwas leichter, die Mäkeleien und das Gemurre des Zwergenkriegers zu ertragen. Er lernte auch einzusehen, dass er sich selbst keinen guten Dienst erwies, die Rügen und Anfeindungen des Lofarin allzu ernst zu nehmen oder sich von ihnen irritieren zu lassen, auch wenn es ihm nach wie vor viel Überwindung und Selbstbeherrschung kostete. Gegen die sprichwörtliche Sturheit und Griesgrämigkeit eines Zwergs komme ich nicht an, musste er sich dann immer wieder erinnern und tief durchschnaufen. Ich könnte ebensogut versuchen eine Felswand mit meinen blossen Händen zum Einsturz zu bringen oder ein Feuer zu löschen.

    Sich auf Torias‘ Worte besinnend, begann er seither gar, daran etwas Gefallen zu finden, sorgte Splitter mit seinem ungehobelten und kratzbürstigen, aber irgendwie auch liebenswerten Betragen doch tatsächlich für ein wenig Kurzweil und Erheiterung auf der bisher eher eintönigen und ereignislosen Reise durch die Wildnis Altoroshs.

    Ein verschmitztes Lächeln stahl sich nun in Jorans weiche Gesichtszüge, als er sich an den komischen Zwischenfall erinnerte, der sich am gestrigen Nachmittag zwischen Splitter und ihm ereignet hatte und der durchaus als Sinnbild für die abweisende, unversöhnliche und streitsüchtige Geisteshaltung des Zwergs angesehen werden konnte, mit der er sich selbst scheinbar vor allzu viel Vertrautheit schützte, als trüge er eine dorngespickte Stahlrüstung gegen die Nettigkeiten der anderen Mitglieder.

    Joran hatte sein Pferd eher ungewollt in die Nähe des Taroxon gelenkt, der für sich allein einige Schritt hinter dem rumpelnden Wagen durch die ersten Ausläufer des Hügellands gestapft war. Dabei hatte er bemerkt, dass Splitter ein wenig hinkte und hin und wieder beim Aufsetzen des linken Fusses gequält das Gesicht verzog und ein leises Stöhnen von sich gab, als hätte er sich den Knöchel bei einem Fehltritt lädiert. In gutmütiger Absicht und wider besseren Wissens hatte der Ritter den Zwerg sogleich nach dessen Befinden erkundigt.

    „Verzeiht mir, Meister Eisenschild, sprach er ihn höflich an. „Es liegt mir fern, Euch zu nahe zu treten, doch mir scheint, Euch bereite das Gehen gewisse Schmerzen. Ich hoffe sehr, Euch ist nichts Schlimmes widerfahren. Ansonsten bin ich gern bereit, Euch meine Hilfe anzuerbieten.

    Splitter hob daraufhin seinen Kopf und funkelte den jungen Ritter auf seinem schwarzen Ross misslaunig an. „Pah! Ich benötige keine Hilfe von einem selbstgefälligen Menschenknaben, schnaufte er abschätzig. „Scher dich weg und lass mich in Frieden, Bursche!

    So einfach liess sich Joran jedoch nicht abwimmeln, da er sich erhoffte, mit steter Freundlichkeit und einer gewissen Unnachgiebigkeit den eisernen Panzer des Zwergs doch noch durchbrechen zu können. Er beugte sich in seinem Sattel ein wenig zu Splitter herab. „Ihr zweifelt vielleicht an meinen Absichten, Herr Zwerg, doch ich versichere Euch bei meiner Ehre, ich nehme wahrlich Anteil an Euren Beschwernissen. Ich..."

    „Bist du taub oder nur schwer von Begriff, Junge?!, fuhr ihm Splitter heftig über den Mund. „Ich sagte, lass mich in Ruhe und geselle dich zu deinen Menschenfreunden. Ich habe deine Unterstützung nicht nötig, und dein Mitgefühl noch viel weniger. Schenke es lieber den beiden spitzohrigen Blümchenstreichlern, die dort vorne gehen, dann könnt ihr alle drei euch in innigen Umarmungen euer überwäl tigendes Weh vom Herzen heulen und euch gegenseitig mit Trost und Anteilnahme überhäufen, bis eure Tränen versiegen. Ich komme allein zurecht.

    Joran konnte sich ein feines Lächeln nicht verkneifen, als er den Zwerg dabei beobachtete, wie er zeternd mit den Armen fuchtelte und am Ende seiner Rede neben sich auf den Boden spuckte, wie er es häufig tat. Rasch fasste er sich wieder und sprach in ernstem Tonfall weiter: „Meister Eisenschild, es betrübt mich, dass Ihr mein Angebot der Hilfe mit solcher Inbrunst verschmäht, dennoch wage ich es, Euch stattdessen einen Rat zu erteilen: Wenn Ihr mir nicht traut, dann wendet Euch an jemand anderes in der Gruppe, den Ihr mehr schätzt. Ich bin überzeugt, er oder sie wird sich bemühen, Eure Schmerzen zu lindern."

    „Was faselst du die ganze Zeit von Schmerzen, Junge? Mir geht es ausgezeichnet. Ich habe keinerlei Beschwerden, das bildest du dir nur ein", behauptete Splitter halsstarrig und strengte sich an, das eindeutige Humpeln zu verbergen. Seine schroffe Miene blieb unbeweglich und hart wie eine steinerne Maske, und fast hätte er es geschafft, Joran zu überzeugen. Doch dann wurde er etwas übereifrig, und seine vernarbte Wange zuckte kaum merklich im Stich des Schmerzes.

    Joran blieb gleichfalls stur und runzelte leicht die Stirn. „Ihr mögt es vielleicht aus Gründen des Stolzes verleugnen, doch mich könnt Ihr mit Eurer Maskerade nicht täuschen, Herr Zwerg. Ich erkenne deutlich, dass Ihr auf dem linken Fuss hinkt, und ich bin um Euer Wohl durchaus besorgt. Schliesslich sind wir nun Gefährten, unterwegs auf einer schwierigen und ungewissen Mission, und wir sind alle aufeinander angewiesen. Darum ersuche ich Euch abermals: Lasst Euch von jemandem in der Gruppe helfen."

    Das finstere Gesicht Splitters verdunkelte sich noch weiter, und sein langer Bart bebte im Zittern brodelnden Zorns. „Ich brauche aber keine Hilfe, von niemandem!, grollte er und lief allmählich dunkelrot an. „Bei der Glut von Tarxossh Esse, lass dir eines gesagt sein: Ich habe in meinem ehrbaren Leben schon weitaus schlimmere Verletzungen erlitten und die Schmerzen stets stillschweigend ertragen, wie es sich für einen wahren Taroxim aus Fels und Feuer gehört. Ich werde nun nicht anfangen, mich bloss wegen eines verstauchten Knöchels bei Menschen oder Elfengesindel auszuweinen, nur weil ein naseweisser Knabe mich darum bittet. Also lass mich endlich in Frieden mit deiner klebrigsüssen Barmherzigkeit!

    „Darum geht es mir nun wahrlich nicht, Meister Eisenschild, erwiderte Joran etwas verwundert. „Eure Auffassung in dieser Hinsicht erscheint mir etwas abwegig. Einen Freund oder Weggefährten darum zu ersuchen, eine Verletzung zu behandeln, muss nicht bedeuten, dass man jammert oder verweichlicht ist. Mir ist es nur ein Anliegen, dass Ihr Eure Wanderung möglichst ohne Qualen fortführen könnt, denn schliesslich ist unser gemeinsamer Weg noch lang und beschwerlich.

    Splitter schnaubte. „Ja, beschwerlich, aber sicher. Allen voran für dich, verwöhntes Samtgesicht ", brummte er halblaut vor sich hin und spie abermals aus.

    „Was wollt Ihr damit andeuten, Meister Eisenschild?", fragte Joran postwendend nach, der alles deutlich verstanden hatte.

    „Was ich damit andeuten will?, wiederholte Splitter barsch und warf dem Ritter, der neben ihm her ritt, einen feindseligen Blick zu. „Was sprichst du, verhätscheltes Bürschlein, von beschwerlicher Reise, hä? Du thronst erhaben in deinem Sattel und lässt dich den ganzen Tag von diesem schwarzen Ungetüm durch die Gegend tragen. Was verstehst du schon von der Anstrengung eines tagelangen Marsches? Für dich ist diese Reise doch wie ein netter Ausflug mit einer noblen Gesellschaft. Also bitte, verschone mich mit deinem geheuchelten Mitgefühl und lass mich in Frieden.

    Joran furchte ob der geharnischten Antwort des Zwergs anfangs ungehalten die Stirn, doch dann entspannten sich seine Züge in einem Schmunzeln, als ihm eine passende Antwort einfiel. „Nun, das Angebot meiner Hilfe ist nach wie vor gültig.

    Ich bin durchaus bereit, Euch für den Rest des Tages meinen Hochsitz zu überlassen. Ich bin sicher, mein treuer Aldaram – er lehnte sich nach vorn und beklopfte den Hals des Hengstes – „würde Euch auf seinem Rücken dulden und Euch nicht abwerfen. Ihr habt mein Wort.

    „Niemals!, rief Splitter empört aus. „Soweit kommt es noch, dass ich mich auf dieses Biest setze! Eher würde ich mir von Goblins die Barthaare einzeln pflücken lassen, als mich in den Sattel eines Pferdes zu schwingen. Diese widerlichen Untiere sind Ausgeburten des Argalam und deines ganz besonders, denn er ist schwarz wie die Finsternis der Dreizehn Höllen. Ausserdem geht jeder ehrenhafte Taroxim zu Fuss, so will es der allmächtige Tarxosh und so ist es seit jeher! Nur verweichlichte Jammergestalten und faule Nichtsnutze reiten auf Tieren. Doch was kann man Besseres von euch kurzlebigen Langbeinen schon erwarten?

    Joran unterdrückte den Drang, breit zu grinsen und bewahrte mühsam eine kühle Miene. „Nun gut, wenn Ihr nicht wollt, lasst es bleiben. Ich könnte Euch aber zumindest für eine Weile von der Last Eures Gepäcks befreien, wenn es Euch recht ist, Herr Zwerg. Ich bin sicher, es marschiert sich bedeutend leichter, ohne diesen prall gefüllten Rucksack."

    Ganz entsetzt machte Splitter einen kleinen Satz und starrte den Ritter aus weit aufgerissenen Augen an, die funkelten wie Goldklumpen. Seine Hand fuhr an seinen breiten Gürtel, wo auf jeder Seite ein schwerer Dolch in beschlagener Scheide und noch dazu eine zweischneidige Handaxt steckte.

    „Lass ja deine langen Finger von meiner Ausrüstung, oder ich schneide sie dir ab!, drohte er wütend. „Mir ist nicht entgangen, wie du immer wieder heimlich mit gierigem Blick meine Sachen beäugt hast. Aber was ich in meinem Rucksack trage, geht dich nichts an. Es sind meine Habseligkeiten, und weder du noch sonst jemand wird je seine Hand daran legen, so wahr mir Tarxosh beistehe!

    Joran setzte zu einer entschuldigenden Antwort an, doch Splitter spie wieder einen schäumenden Speichelklumpen ins dürre Gras, machte eine wegwischende Handbewegung in Richtung des Ritters und beschleunigte seinen humpelnden Schritt, um sich von diesem zu entfernen, wobei er erbost vor sich hin brummte.

    Joran gab es infolgedessen auf, dem bärbeissigen Taroxon einen Gefallen erweisen zu wollen und liess ihn ziehen. Er schüttelte nur lächelnd seinen Kopf und sah dem davonstürmenden Zwergen nach, der aus trotzigem Stolz heraus lieber mit schmerzendem Knöchel über Stock und Stein hinkte, als sich von irgendjemandem helfen zu lassen. Dies war der Moment gewesen, da der junge Ritter endlich verstanden hatte, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, Splitter vollkommen zufrieden zu stellen. Irgendwie würde dieser es immer zustande bringen, Anstoss an etwas zu nehmen, selbst wenn man das genaue Gegenteil von dem machte, worüber er sich zuvor mit Eifer beklagt hatte.

    Joran blinzelte die Erinnerungen aus seinen Augen und marschierte auf dem Trampelpfad durch das stetig ansteigende Hügelland, das die wilden Ebenen von Altorosh vom zivilisierten Hochland Heidenbrucks trennte, einer ländlichen Provinz des gewaltigen Vielvölkerstaats Kymmeria, welcher vom hohen Kaiser in Phallurdas, der grössten und vielleicht prächtigsten Stadt Cirunas regiert wurde. Er zog Aldaram sanft an den Zügeln hinter sich her, während er in ausreichender Entfernung dem nach wie vor mürrisch wirkenden Zwergen folgte.

    Wie erwartet erwies es sich als vorzüglicher Einfall, einige Meilen zu Fuss zurückzulegen, denn die körperliche Betätigung vertrieb die Kälte rasch aus den versteiften Gliedern des jungen Ritters. Bald schon störte sich Joran nicht länger am frostigen Wind, der über die abgerundeten Hügelgrate fegte, das dorre Gras und die knorrigen Sträucher peitschte und um seine Ohren pfiff. Er schlenderte gemächlich den von den Vorderleuten ausgetretenen Weg entlang und liess abermals seinen Blick über das unberührte Land gleiten.

    Es war still und friedlich an diesem frühen Nachmittag, und Joran schätzte die Ruhe nach all den Unstimmigkeiten der letzten Tage, auch wenn er sich eine etwas aufregendere Aussicht versprochen hatte. Obgleich die Gefährtenschaft schon seit über einem Tag langsam, aber beständig in höhere Lagen aufstieg, vermochte der Ritter, wenn er einen Blick zurückwarf, kaum etwas von der sagenhaften Weite der Prärie auszumachen, da immer wieder aufragende Hügelschultern und langgestreckte Erdwölbungen seine Sicht behinderten. Geführt von Torias, dem hoheitsvollen Paladin, der die bunte Schar von den Göttern auserwählter Streiter aus allen Ecken und Winkeln der Welt zusammengerufen und unter sich geeint hatte, bewegten sie sich nahezu immer in den Senken und Gruben zwischen den stetig anwachsenden Erhebungen vorwärts, und nur selten gelang es dem Ritter zwischen zwei Flanken hindurch ein winziges Stück der endlosen Ebenen zu erhaschen, die sich wie ein dunstiger Ozean unter ihm ausdehnten.

    Schulterzuckend widmete sich Joran wieder dem näheren Umland, das sich in seinem Winterkleid eher karg und unscheinbar präsentierte. Da die Gefährten aufgrund des unwegsamen Geländes und der unterschiedlichen Ausdauer in teilweise weiten Abständen voranschritten, befand sich zurzeit niemand in unmittelbarer Nähe zum Ritter, Splitter allein ausgenommen. Zwar erfassten seine umherschweifenden Augen immer wieder die eine oder andere vertraute Gestalt, die allein oder in einer kleinen Gruppe marschierte, doch waren sie alle mehr als einen Steinwurf entfernt.

    Weit vor sich gewahrte Joran Torias, der die Gemeinschaft unermüdlich zwischen den Hügelschultern, Kuppen und Senken hindurch leitete, stets darum bemüht, die einfachste Passage zu finden, sodass auch Balron, der dunkelhäutige Steinzwerg, auf seinem schweren Wagen den langgestreckten Aufstieg möglichst ohne Schwierigkeiten zu bewältigen vermochte. Auch wenn er sie nicht sehen konnte, wusste der Ritter, dass Jendara Mondschatten als Kundschafterin den Paladin mit ihrem scharfen Blick und ihrem feinen Gespür tatkräftig unterstützte. Gelegentlich wurde die Elfe von einem oder mehreren der Calpire begleitet, die als geübte Jäger gleichfalls enorme Kenntnisse im Aufspüren geeigneter Wege und dem Umgehen möglicher Hindernisse besassen, wiewohl sie sich in jener weitläufigen, vegetationsarmen und ihnen fremden Gegend weit weniger gut zurechtfinden dürften als in ihrer üppigen, dampfenden Dschungelheimat von Khorome, jener grossen Landmasse im Südosten, von Melaos durch das Meer der Stürme und das Meer der Morgenröte getrennt.

    Ebenfalls fast eine Bogenschussweite voraus wagten es seine beiden Freunde seit Kindertagen Torac und Talina ein wenig vom vorgeschriebenen Weg abzugehen und kletterten turtelnd und vergnügt eine kleine Anhöhe empor, die von einem Hain niedriger Bäume gekrönt wurde. Joran lächelte über das fast kindische Liebesspiel des jungen Ehepaares, denn er glaubte zu wissen, dass die beiden in der Hoffnung, sich im Schutz des kleinen Wäldchens für zumindest einige Augenblicke ungestört ihrer Leidenschaft hingeben zu können, ehe sie sich wieder in die Gruppe einfügen und benehmen mussten, jenen entlgenen Ort ansteuerten. Er gönnte ihnen diesen Moment inniger Zweisamkeit von ganzem Herzen und freute sich im Stillen mit ihnen.

    Gleichwohl aber verspürte er alsbald wieder diesen brennenden Stich tief in sich, wenn er an Talina dachte und wie sie mit seinem besten Freund Zärtlichkeiten austauschte. Seit Jahren schon mühte er sich damit ab, jene unpassende Empfindung in sich abzutöten und wie ein Unkraut auszumerzen, über den Schmerz hinwegzukommen, der seit jenem Tag in ihm loderte, da er beide heimlich dabei beobachtet hatte, wie sie in der schmalen Seitengasse hinter der alten Backstube der Oberstadt von Sepharis ihre ersten leidenschaftlichen Küsse getauscht hatten als sie sich unbeobachtet wähnten. Damals waren sie alle noch kaum mehr als Kinder gewesen, die eben die ersten verwirrenden Passionen der Jugend empfanden.

    Doch für Joran hatte dieser Tag nur grosse Bitterkeit und Kummer bereitgehalten, die er noch immer nicht ganz verwunden hatte. Und es gab Momente, da haderte er insgeheim mit seinem törichten Herzen, das ihn jene erschütternde Entdeckung einfach nicht vergessen liess und in ihm eine quälende Frage weckte, die sich niemals beantworten liess: Was, wenn sie mich damals in jener Gasse geküsst hätte?

    Ärgerlich verbannte Joran den Gedanken und die qualvollen Erinnerungen aus seinem Kopf und erstickte die aufwallende Eifersucht im Keim, ehe sie ihn zerfressen konnte. Es war falsch, seiner geheimen Sehnsucht zu frönen, denn sie führte nur in dunkle Abgründe, die er nicht aufsuchen durfte. Talina und Torac waren ihm beide lieb und teuer, und ihr gemeinsames Glück erfüllte auch ihn mit Freude. Ausserdem verdienten sie es, ihre Ruhe zu haben, ohne von ihm bespitzelt zu werden, und daher lenkte er seine Aufmerksamkeit von den beiden weg.

    Schweigend und für sich stapfte Joran weiter, und Aldaram stolzierte hinter ihm her. Gewiss hätte der Ritter sich mühelos dem einen oder anderen zugesellen können, indem er zu den Vorangehenden aufschloss oder auf einen Nachzügler wartete, aber er genoss durchaus den Moment des Alleinseins und liess die vergangenen paar Tage noch einmal in seinem Geist vorbeiwehen.

    Wie von Torias bei ihrem gemeinsamen Aufbruch aus dem uralten und vergessenen Heiligtum angekündigt, hatte sich die Gemeinschaft in westlicher Richtung durch das geheimnisvolle Nebelmeer von Altorosh bewegt. Erst gegen Abend hatte sich der undurchdringliche, kalte Brodem gelichtet und den Blick auf die Grasebenen freigegeben, die vom zarten Licht der aufgehenden Monde übergossen wurden. Joran war von der atemberaubenden Aussicht und der schieren Weite der ungestümen Wildnis, die selbst Nimloas eisige Flächen fast kümmerlich wirken liess, tief beeindruckt gewesen, und auch einige der anderen hatten gestaunt.

    Die erste Nacht verbrachten sie im Schutz einer Kuhle, die von blattlosen Birken umstanden war, und wie schon in den Ruinen des antiken Heiligtums, zauberte ihnen Balron Sternschneid aus dem mitgeführten Proviant ein vorzügliches Abendessen, das sie alle genüsslich am grossen Feuer verzehrten.

    Um den Hunger Silbersturms, Maliks grossem Reitwolf, zu stillen, hatte Jendara an jenem Abend einen kleinen Springbock geschossen, während Taskril, der durch zauberhafte Speisekristalle zur Grösse eines Falken geschrumpfte Eowarhil Toracs, eine Maus in der Ebene erlegt hatte. Aldaram und Valmaros, Torias‘ edler Zebrir mit dem gestreiften, nebelgrauen Fell, und die beiden Maultiere Balrons ästen derweil das welke Gras.

    Nach dem üppigen Mahl verebbten die Gespräche ziemlich schnell, da die meisten von der Reise müde waren und sich eine Lagerstatt aus Decken um das knisternde Feuer errichteten, das die Kälte der Winternacht ein wenig fernhielt. Torias entschied, dass es sinnvoll sei, eine Nachtwache in drei Schichten zu unterhalten, da es durchaus vorkommen konnte, dass sich wilde Tiere in der Dunkelheit anschlichen, um über den Proviant oder die angebundenen Pferde und Maulesel herzufallen. Auch würde durch eine Wache sichergestellt, dass die wärmenden Flammen nicht erloschen.

    Joran, der nicht ganz so erschlagen war, wie manche der anderen, bot an, die erste Schicht zu übernehmen und Malik, der Freund seines Vaters und ihm selbst ein treuer Lehrmeister, schloss sich ihm an. Zu zweit spazierten sie um die Grube herum und unterhielten sich leise, achteten auf das Feuer und behielten die Umgebung im Auge. Doch ausser kleineren Tieren, die durch das Gras huschten und sich raschelnd in den Büschen verkrochen und einer in der Ferne vorbeiziehenden Büffelherde regte sich nichts in der Reichweite ihrer Sinne. Nach drei Stunden weckten sie Carvik und Jendara und legten sich schlafen.

    Während der nächsten zwei Tage marschierte die Gemeinschaft durch den südwestlichen Bezirk der Altoroshsteppe und näherte sich dem Hügelland, das sie bereits früh am Horizont ausmachen konnten. Die Reise verlief fast gänzlich ereignislos und einzig die unterschiedlich vollzogenen, meist eher verhaltenen Annäherungsversuche der einzelnen Mitglieder untereinander sorgten für etwas Abwechslung und Zeitvertreib.

    Jorans eigene Bemühungen, die noch jungen Beziehungen mit seinen neuen Weggefährten zu vertiefen, fielen sehr verschieden aus. Während er sich mit den einen rege auszutauschen und sie auf unbeschwerte Art besser kennenzulernen vermochte, verliefen die zaghaften Gespräche mit anderen eher harzig und wenig befriedigend, bei einigen gar fast schon feindselig. Von den Minotauren hielt er sich vorerst weitgehend fern, denn diesen blutrünstigen und furchtbaren Kolossen traute er nicht, auch wenn sie sich als weitaus zahmer und umgänglicher erwiesen hatten, als er zu Anfang befürchtet hatte.

    Doch wenngleich sie sich zurückhalten und niemanden bisher erschlagen haben, scheinen sie mir beseelt von einem grausamen, rohen und unbarmherzigen Wesen, das nur darauf wartet, auszubrechen und sich zu entfalten, war sich Joran gewiss. Es ist nur eine Frage der Zeit, und ich tue mich schwer, Meister Alfaran zu begreifen, der uns alle in Gefahr bringt, indem er solche Bestien unter uns duldet und sie wie Kameraden behandelt. Doch er scheint mir ein Freund des alten Schamanen zu sein und ihm zu vertrauen, und dieser gebietet wohl über die Brüder, die mir von allen am wenigsten behagen wollen.

    Die junge Zauberprinzessin Eila Tamunsuni – sie nannte sich nun Tochter des Tamun, seitdem sie von Torias erfahren hatte, dass die dunkle Königin Shakara Husratep nicht ihre leibliche Mutter war, wie sie bislang angenommen hatte – erwies sich hingegen als äusserst umgängliches und neugieriges Mädchen, das trotz ihrer gesellschaftlichen Stellung keinerlei hochmütige Wesenszüge erkennen liess. Sie scheute die Gesellschaft einfacher Krieger, wilder Calpire, rauer Zwerge und gar furchteinflössender Minotauren nicht und beklagte sich auch nicht wie ein verzogenes Gör über fehlenden Komfort oder die Mühsal einer langen Reise. Sie packte mit an, hielt wie alle anderen des Nachts Wache am Feuer und war sich nicht zu schade, den ganzen Tag zu Fuss durch unbewohnte Wildnis zu wandern.

    Mit ihr zu plaudern, bereitete dem Ritter grosses Vergnügen, zumal er erkannte, dass sie in gewisser Weise Gefallen an ihm gefunden hatte, auch wenn sie sich bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen. In manchen Belangen war sie für ihr Alter bereits sehr reif, in anderen durchaus noch unbedarft und wenig erfahren. Dies erklärte sich jedoch durch ihr Aufwachsen im Kokon der Lügen und Täuschungen ihrer falschen Mutter, den sie erst wenige Tage zuvor mit Torias‘ Hilfe hatte aufbrechen können.

    Eila berichtete offen und ungezwungen über das Leben in der Wüstenoase, über Land und Leute, Brauchtum, Tier- und Pflanzenwelt und allerlei anderes. Auch liess sie es sich nicht nehmen, von ihren Erlebnissen als kleines Mädchen, ihren wachsenden magischen Kräften und dem Umgang mit dieser seltenen Begabung zu erzählen, erwähnte auch freizügig die schon früh entwickelte Abneigung gegen ihre vermeintliche Mutter, der Dunklen Königin, und den blutigen Konflikt zwischen den Menschen und dem Echsenvolk der Achossiaz. Ihre Gemütslage änderte sich dabei laufend, passte sich der Stimmung der jeweiligen Szene an, so als ob sie mit ganzem Herzen jene Ereignisse noch einmal durchlebte. Manchmal sprach sie vergnügt und fröhlich, dann wieder traurig und von wehmütigen Seufzern unterbrochen, nur um sogleich wieder ihr Ängste und Sorgen, die sie damals geplagt hatten, mit wispernden Worten zu beschreiben oder sich abermals über etwas zu ärgern, das schon früher ihren Unmut erregt hatte, oder das ihr jetzt erst, wo sie die wahren Begebenheiten und Zusammenhänge kannte, richtig bewusst wurde.

    Auf diese Weise erfuhr Joran nicht nur viel über die Kultur und Lebensgewohnheiten der Silemer – zumindest jener Oasenbewohner – und einige oberflächliche, aber gleichwohl anspruchsvolle und schwer verständliche Dinge über Zauberei, die selbst die Geschichtsbücher und Legenden aus seiner Heimat bestenfalls anzudeuten vermochten oder schlicht falsch weitergaben, sondern er lernte die junge Magierin sehr gut kennen und freundete sich mit ihr an.

    Angeregt durch ihre Offenheit, berichtete auch er ohne Vorbehalte von seinem Leben in Londurin, erzählte – manchmal allein, dann wieder mit der Unterstützung seiner drei Gefährten – von seiner Kindheit, seiner Ausbildung zum Ritter und seinen Erlebnissen auf dem Schlachtfeld, beschrieb aber auch die Natur und die wilden Tiere seiner harten, doch wunderschönen Heimat, erklärte die Gesellschaft und ihre Sitten und Gebräuche und beschwor in blumigen, sehnsüchtigen Umschreibungen die weisse Pracht und ehrwürdige Herrlichkeit Sepharis‘. Dabei kam er nicht umhin, von den furchtbaren und tragischen Ereignissen der letzten Wochen zu sprechen, die schliesslich zur Eroberung seiner geliebten Heimatstadt durch die barbarischen Lukher und ihre finsteren Verbündeten geführt hatten.

    Die junge Zauberin zeigte sich darüber sehr betroffen, so wie sie zuvor äusserst aufmerksam seinen Schilderungen gefolgt war und jede Kleinigkeit mit glänzenden Augen und unstillbarer Neugier aufgesogen hatte. Ständig hatte sie Fragen gestellt, wollte noch über die unbedeutendsten Winzigkeiten mehr erfahren und bat darum, die Berichte und Erläuterungen noch zu vertiefen.

    Eila wiederum erzählte auch bereitwillig die für sie welterschütternden Ereignisse der vergangenen paar Tage, als Torias in ihren Träumen erschienen war und ihr dabei geholfen hatte, die Augen zu öffnen und die Falschheit Shakaras zu erkennen. Sie schilderte leidenschaftlich, wie sie und Dobin danach von den Achossiaz entführt wurden, nur um zu verstehen, dass die Echsen nicht jene blutrünstigen Bestien waren, wie sie von Shakara und den Soldaten dargestellt wurden, sondern ein ärmliches, hungerndes und unter sich zerstrittenes Volk, das nur versuchte, einen Anteil vom Überfluss der Oase zu erheischen, um ihre mageren, ausgezehrten Familien zu ernähren. Sie beschrieb sehr anschaulich, wie sie sich gefühlt hatte, als die Wahrheit in ihren getäuschten Verstand durchsickerte und die Achossiaz sie überdies zu ihrer Retterin erklärten, die nach alten Prophezeiungen dazu auserkoren war, nicht nur die sich befehdenden Stämme zu versöhnen, sondern alle gemeinsam vom Elend zu erlösen.

    Ihre Geschichte vom Gang durch die dunklen, endlosen und unheimlichen Tunnel hinab in die Unterwelt, die von schattenhaften Geistern bewohnt wurden, ihre Entdeckung einer uralten unterirdischen Stätte und ihre Auseinandersetzung mit jenen Wesen, um ein heiliges Amulett zu finden, das sie benötigte, um von allen Stammeshäuptlingen als die besagte Auserwählte akzeptiert zu werden, zog auch andere Zuhörer heran und schlug sie allesamt in ihren Bann. Sogar Splitter Eisenschild, der sich ansonsten herzlich wenig um die Lebensgeschichten und Abenteuer der anderen scherte, lauschte hingerissen und mit glänzenden Augen ihren Beschreibungen der weitverzweigten Gangsysteme, die sich angeblich unter der halben Wüste erstreckten, und der scheinbar uralten Ruine einer längst vergessenen Kultur. Nur bei der Erwähnung der Schattengeister, furchte sich seine Stirn verdrossen, und er liess ein spöttisches Schnauben vernehmen.

    Da der Austausch mit der jungen Zauberin dermassen fruchtbar und innig war, fand Joran in den ersten Reisetagen letztendlich kaum Gelegenheit, sich mit allen aus der doch beachtlichen Gruppe in gleicher Weise zu unterhalten. Mit Torias Alfaran und Balron führte er zwar auch einige längere Gespräche und erfuhr manches über sie – wenn auch längst nicht so viel wie über Eila – doch bei den anderen schürfte er bislang nur an der Oberfläche und erhielt daher nur eine Ahnung von ihrem Wesen und ihrem Erlebten.

    Einige, wie Splitter Eisenschild, Jendara oder Carvik, schienen kaum gewillt, mehr von sich preiszugeben, als unbedingt nötig, blieben verschlossen, argwöhnisch und vorsichtig, im Falle der dunkelhaarigen Elfenjägerin auch geheimnisvoll, oder reagierten wie Splitter gar abweisend und barsch auf gewisse Fragen und Versuche, mehr über sie in Erfahrung zu bringen.

    Andere, wie das Waldelfenpärchen Valista Pfauenauge und Fiariol Eichenblatt oder Eilas magerer elfischer Begleiter Dobin, verhielten sich eher schüchtern und befangen seinen Bemühungen und jenen manch anderer gegenüber, sie besser kennenzulernen. Zwar blieben sie stets höflich, antworteten artig, aber zurückhaltend und schienen gelegentlich gar erfreut über die Aufmerksamkeit, die man ihnen entgegenbrachte. Doch musste Joran ihnen förmlich jede Einzelheit mit bohrender Hartnäckigkeit aus der Nase ziehen, sodass er sich selbst bald an seiner Aufdringlichkeit störte und die Unterhaltungen aus Rücksicht auf seine scheuen Gegenüber ausklingen liess oder sie nur zögerlich fortführte, sehr darauf bedacht, ihnen nicht zu nahe zu treten. Da sie sich scheinbar auch kaum getrauten, mehr von ihm zu erfahren, erzählte er ihnen nur das Notwendigste, und die meist eher kurzen Gespräche wurden von langem Schweigen und wenig Leben begleitet.

    Mit Stormwind, seinem dunklen, furchteinflössenden Bruder Blackflash, den beiden Schamanen Hammer und Tearsdoor und den zwei anderen Calpiren Axis und Maryla indes hatte Joran bisher nur wenig gesprochen. Das aber lag aber im Falle der Calpire hauptsächlich daran, dass sie des Öfteren anderweitig beschäftigt waren, und weniger am mangelnden Interesse seinerseits.

    Die beiden Katzenmenschen waren fast unzertrennlich, und wenn sie nicht an der Seite Jendaras das Land erkundeten oder jagten, turtelten sie verliebt miteinander, und dabei wollte Joran sie nicht stören, obgleich er vermutete, dass die beiden es ihm nicht übelnehmen würden. Da Carvik kein Freund langer Unterredungen war und von eher grimmigem Gemüt, hatte Joran bis jetzt kaum Kenntnisse über die Geschichte und die Kultur der Calpire erlangen können, was ihn etwas enttäuschte. Doch ihre gemeinsame Unternehmung hatte erst begonnen, und bestimmt würde er noch die Gelegenheit erhalten, sich mit den eleganten Katzenmenschen anzufreunden.

    Auch die Annäherung an die Minotauren bereitete dem Ritter grosse Schwierigkeiten und kostete ihn Überwindung. Dies lag aber zum Teil bei ihm selbst begründet, denn er misstraute ihnen aus tiefstem Herzen, auch wenn er sich bemühte, dies nicht offen zu zeigen oder laut zu proklamieren. Es waren nicht allein Furcht und Argwohn, die ihn zurückhielten, eine Unterhaltung mit ihnen zu beginnen, sondern auch gewisse Vorbehalte und eine starke Abneigung ihnen gegenüber, die in seiner Vergangenheit verwurzelt waren. Denn schliesslich war Cyberius Saller, sein ruhmreicher Vater, im Kampf gegen Minotauren gefallen, die, ihrer gewalttätigen, unbarmherzigen Natur folgend, in Londurin eingedrungen waren um Tod und Verwüstung zu hinterlassen. Er hasste die Stiermenschen deswegen nicht – zumindest redete er sich dies ein –, doch empfand er gleichwohl einen starken Widerwillen ihnen gegenüber und wollte sie nicht um sich haben. Das Wissen, dass einer von ihnen für den frühen Tod seines Vaters verantwortlich war, machte es ihm sehr schwer, sie näher kennenzulernen, denn er hatte es den gehörnten Räubern niemals verziehen, dass er ihretwegen seinen Vater schon in jungen Jahren verloren und ihn kaum richtig hatte kennenlernen können. Auch wenn Blackflash und Stormwind keinen Anteil an dieser Tragödie hatten, die andere als ruhmreiches Ende eines grossen Helden feierten, nahm er es ihnen übel, als wäre es ihr verschulden.

    Trotzdem überwand sich Joran einmal dazu, die riesigen Hünen anzusprechen, wobei er die Unterstützung seiner Gefährten in Anspruch nehmen musste. Das Ergebnis war denn auch eher unbefriedigend und half nicht, seine schlechten Ansichten über die Minotauren zu revidieren oder auch nur zu mindern. Für ihn blieben sie brutale Schlächter, die nicht über viel Verstand zu verfügen schienen.

    Der Wortwechsel mit den beiden Kolossen fand daher auch ein rasches Ende. Zwar vertraute Stormwind den sepharischen Soldaten durchaus einige Kleinigkeiten an, doch schliesslich fuhr Blackflash seinen jüngeren Bruder grob über den Mund, weil dieser zu offenherzig über Dinge sprach, die Menschen und Angehörige anderer jämmerlicher und schwächlicher Völker nicht zu wissen brauchten, wie er meinte. Daraufhin brach zwischen beiden ein handfester Streit aus, und die Sepharier wichen vorsichtshalber einige Schritte von ihnen ab und gingen ihrer Wege.

    Dieses Erlebnis förderte das Selbstvertrauen nicht, das nötig war, um sich den Stierkriegern zu nähern, und Joran blieb, genau wie seine Freunde, seit diesem Tag auf Abstand zu den beiden, zumal er mehrmals beobachten konnte, wie Blackflash auch andere Neugierige immer wieder grollend verscheuchte oder ihnen gar offen drohte und jeden einschüchterte, der sich erdreistete, zu viele Fragen zu stellen.

    Hammer und Tearsdoor ihrerseits reisten meist zu zweit und waren stets in Gespräche vertieft, manchmal nur untereinander, zuweilen auch mit anderen, allen voran Eila, Torias oder den beiden Minotaurenbrüdern. Hammer, der alt und gebrechlich war und hin und wieder von einem hartnäckigen Husten gebeutelt wurde, der ihm arg zusetzte, nahm häufig das Angebot Balrons an, sich auf der Ladefläche des grossen, rumpelnden Fuhrwerks auszuruhen. So sass er oft zusammengekauert auf einer Kiste, während Tearsdoor sich aufopferungsvoll um ihren geachteten Meister kümmerte, der nur noch ein Horn besass, während das andere in einem Stumpf endete. Gelegentlich schlief er auch für einige Stunden zwischen dem Ladegut, und Tearsdoor rückte nur widerwillig von ihm ab und verdrängte ihre Sorgen um ihn in herzlichen Gesprächen mit ihrer neuen Vertrauten Eila, die sich fast immer um Magie und Zauberei drehten, wovon Joran nicht viel verstand. Dabei wurde sie stets finster von Blackflash beobachtet, der grimmig über den Alten und sie wachte.

    Stormwind wiederum hielt sich meist an der Seite seines Bruders auf, hatte sich aber auch bereits mit dem dunkelhäutigen Zwergen angefreundet, der für gewöhnlich den Wagen lenkte. Dies zeigte Joran einmal mehr, dass Stormwind wohl nicht ganz so unnahbar und furchteinflössend war wie sein riesiger Bruder, der von fast allen Mitgliedern der Gruppe angstvoll gemieden wurde. Vielleicht könnte ich versuchen, den weissen Stiermann in ein Gespräch zu verwickeln, wenn sein Bruder durch anderes abgelenkt ist, überlegte sich der Ritter immer wieder und zögerte dann doch aus Scheu und nur schwer zu überwindendem Widerstreben. Es hat noch Zeit, redete er sich dann ein, und doch wusste er im tiefsten Innern, dass er noch nicht bereit dazu war, sich mit einem gehörnten Ungetüm anzufreunden.

    Jendara Mondschatten, die geheimnisvolle Wiesenelfe, hatte er in den ersten Tagen ihrer Reise kaum zu Gesicht bekommen und daher auch nicht die Möglichkeit gehabt, sich ernsthaft mit ihr zu unterhalten. Als Späherin ging sie der Gruppe stets weit voraus und erkundete das wilde, unberührte Land, oder erlegte für die Gemeinschaft einige Hasen, Rebhühner und einmal auch einen stolzen Hirsch, die Balron am Abend in ein wunderbares Mahl zu verwandeln verstand. Obgleich die Ebenen flach und nur spärlich bewaldet waren, vermochte Joran nicht die geringste Spur der Aldani auszumachen, selbst wenn er an Torias Seite an der Spitze der Gemeinschaft ritt. Nur einmal tauchte sie plötzlich vor ihnen auf, fast als wäre sie aus dem Boden gewachsen, und berichtete dem Paladin von einem breiten Flusslauf, den sie bloss an einer Stelle sicher überqueren konnten, was die Gruppe daher zwang, einige Meilen nach Norden auszuweichen.

    Doch von dieser Episode abgesehen, sah der Ritter sie nur am Abend, wenn sie das Lager aufschlugen, und dann sass sie meist für sich und behielt in ewiger Wachsamkeit die Umgebung im Auge. Wenn er morgens in der Frühe erwachte, war sie stets schon wieder verschwunden, um einen sicheren Weg auszukundschaften.

    Am vierten Tag ihrer Reise erreichte die Gefährtenschaft schliesslich die Hügel, die die Westgrenze Altoroshs bildeten, und begannen den beschwerlichen Aufstieg unter nach wie vor grauem Himmel. Gegen Abend, als sie sich im Schutz einer Hügelschulter zur wohlverdienten Rast niederliessen, waren alle erschöpft und legten sich nach einem rasch verzehrten Essen schlafen.

    In jener Nacht ereignete sich ein kleines Abenteuer, das bisher einzige nennenswerte Geschehnis auf ihrer Reise, doch auch dies erwies sich letztendlich als harmlos und war nur von kurzer Dauer.

    Mitten in der Nacht wurde Joran durch einige aufgeregte Stimmen geweckt und fand das halbe Lager auf den Beinen. Benommen schälte er sich aus seinen Decken und bemerkte, dass einige der Gefährten ihre Waffen gezückt hatten. Unwillkürlich tastete auch er nach seinem Schwert und zog es blank, obwohl er nicht begriff, was vor sich ging. Doch noch ehe sein Verstand die klebrigen Netze des Schlummers abzuschütteln vermochte, legte sich die Unruhe auch schon wieder, und dankbar sank der Ritter wieder auf sein Lager und schlief ein. Erst am nächsten Morgen erfuhr er, dass ein Rudel Wölfe um das Lager geschlichen war und versucht hatte, eines der Maultiere Balrons zu reissen.

    All diese Erinnerungen rauschten Joran in einem Bildersturm durch den Kopf, als er am Nachmittag des fünften Reisetags hinter Splitter durch das steiler werdende Hügelland marschierte, das mitunter von spärlichen, bleichen Sonnenstrahlen gestreichelt wurde. Mit einer gewissen Befriedigung stellte er fest, dass der Zwerg nicht mehr ganz so stark humpelte wie am Vortag, so als hätte ihm jemand den verletzten Knöchel verbunden. Ob er dabei wirklich auf seinen Rat gehört und die Hilfe eines anderen beansprucht oder sich selbst versorgt hatte, vermochte Joran nicht zu sagen. Doch er tendierte zu Letzterem, da er Splitter trotz allem in den vergangenen Tagen ein wenig zu verstehen gelernt hatte.

    Der Ritter blinzelte überrascht, als er auf einmal Valista und Fiariol entdeckte, die vor ihm eine steile Hügelflanke hinunterkamen, um auf den von Jendara und Torias vorgelegten Weg zurückzukehren. Als er sie zuletzt gesehen hatte, waren die zwei Aldanoi noch weit hinter ihm gewesen und hatten sich mit Axis und Maryla unterhalten, zu denen sie mehr Zutrauen gefasst hatten als zu ihm. Anscheinend hatten auch sie sich für einen Moment von der Gruppe abgesondert, um einen Moment allein zu sein, und dennoch war es ihnen irgendwie gelungen, ihn zu überholen.

    Dicht nebeneinander, eingewickelt in die schweren, pelzgesäumten Umhänge, die Torias ihnen überlassen hatte, wandelte das Waldelfenpärchen über den mit im Wind tanzenden Gras bewachsenen Abhang. Sie schienen, wie so oft, verträumt und ein wenig entrückt und nahmen den Zwerg daher erst spät wahr, der am Fuss der Anhöhe an ihnen vorüberstampfte, und als würde sein Anblick sie erschrecken, fuhren sie zusammen und blieben abrupt stehen.

    Splitter warf ihnen nur einen scheelen Seitenblick zu und ging wortlos weiter, doch die beiden Elfen sahen ihm voller Unbehagen nach, und ihre schlanken, makellos schönen Gesichter wirkten dabei blass und angespannt. Sie fassten sich an den Händen, wie um sich gegenseitig zu stärken, und schauten sich danach tief in die Augen, wohl um in Gedanken einige Worte auszutauschen – eine übersinnliche Gabe ihres mit vielen Talenten gesegneten Volkes, um die Joran sie manchmal etwas beneidete, seit er davon erfahren hatte.

    Joran, der nur eine halbe Bogenschussweite hinter Splitter ging und alles beobachtet hatte, wunderte sich über das seltsame Verhalten der Aldanoi. Er wusste zwar, dass sich beide überhaupt nicht mit dem Zwergen verstanden, der sich nahezu ständig über das Volk der Elfen ausliess, mehr noch als über Menschen und Minotauren, als sähe er in ihnen den Ursprung allen Übels. Mit seinen verletzenden und bösartigen Bemerkungen hatte er die zartfühlende Valista daher auch schon mehrmals zum Weinen gebracht. Dennoch war es dem Ritter, dass sich beide nun vor dem schroffen Taroxon fürchteten, als wäre er ein abscheuliches Ungeheuer, das ihnen Harm zufügen wollte. Dies kam ihm dann doch etwas gar ungewöhnlich vor, und darum entschloss er sich, sie vorsichtig darauf anzusprechen.

    „Ich an eurer Stelle würde es vorziehen, noch einen Moment zuzuwarten und ihm einen gewissen Vorsprung zu lassen, sonst kommt er noch auf den dummen Gedanken, seinen stetig schwelenden Unmut über euch zu entladen", scherzte Joran und nickte in Splitters Richtung. Er hielt unmittelbar vor den Aldanoi inne und lächelte die beiden an, die nach wie vor einen aufgewühlten Eindruck auf ihn erweckten und reglos dastanden, wie wenn sie sich nicht getrauten weiterzugehen.

    Die Waldelfen sahen ihn einen Moment verständnislos an, erst dann begriffen sie, dass seine Worte als Witz gedacht waren. Fiariol blieb ernst, doch er stimmte dem Inhalt mit einem Nicken zu. Valista antwortete mit einem feinen Lächeln ihrer rosigen Lippen und seufzte. Ihre grossen, mandelförmigen Augen – grün wie das junge Laub eines Frühlingsbaums, über das sich goldene Sonnenstrahlen ergossen – blickten traurig, und das zittrige Lächeln erstarb viel zu bald.

    „Verzeiht, wenn ich aufdringlich wirke, doch ihr beide scheint mir ein wenig trübsinnig. Belasten euch Sorgen?", erkundigte sich der Ritter, da die Elfen schwiegen.

    Fiariols schlankes Gesicht verdüsterte sich, und ein Schleier zog über seine hellblauen Augen. „Die Anwesenheit des Zwergs warf sich wie ein Schatten über unser Gemüt und erstickte die Fröhlichkeit, die das spärliche Sonnenlicht weckte, antwortete er nach einem Moment. Seine Stimme war leise, schwang jedoch in angenehmen Klängen. „Es fällt uns schwer, in seiner Gegenwart Zufriedenheit und Glück zu empfinden.

    Joran nickte verständnisvoll. „Ich weiss, sein Benehmen lässt zu wünschen übrig, und der Umgang mit ihm erfordert viel Geduld und ein dickes Fell. Doch dürft ihr euch von ihm nicht eure Laune verderben lassen."

    Valista, die sich an ihren Geliebten lehnte, atmete geräuschvoll aus. „Ich spüre, du meinst es gut und möchtest uns helfen, Joran von Sepharis, doch dein Rat bringt uns keinen Trost, sprach sie mit flüsternder Stimme, zart und zerbrechlich, doch zugleich rein und wunderschön wie ihr ganzes Wesen. „Du bist ein Mensch und bist nicht fähig zu fühlen, was wir fühlen. Für dich mag es leicht sein, den Zwerg und seine wüsten Beschimpfungen, seinen nimmersatten Groll hinzunehmen. Doch uns fällt dies schwer, denn wir spüren den Hass und den Zorn, die von ihm ausgehen, in viel stärkerem Masse, und es erschüttert uns zutiefst, und lässt uns Kummer empfinden.

    Joran rückte ein wenig näher, denn bislang hatte Valista in seiner Gegenwart nicht über ihre Empfindungen und ihre äusserst feinsinnige Wahrnehmung gesprochen. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm allmählich Vertrauen entgegenbrachten.

    „Ich wage nicht, Eurem zarten Gespür zu widersprechen, Valista, doch für mich wirkt Splitter letzten Endes nicht wie ein schlechter Geselle. Ich bin der Ansicht, dass er nicht aus Niedertracht und Grausamkeit handelt. Er scheint grosse Vorbehalte gegen andere Rassen zu hegen, pflegt einen rauen Umgang und gerät leicht in Rage, das ist wahr. Aber so wie Ihr ihn eben beschrieben habt, könnte man fast meinen, er sei ein boshafter Schurke oder Schlimmeres."

    Valista schüttelte sanft den Kopf, und ihre halblangen Haare, die ihr porzellanes Gesicht und ihren schlanken Hals gleich silberweissen Seidenfäden umrahmten, gerieten durch die Bewegung leicht ins Tanzen.

    „Nein, so habe ich das nicht gemeint, entgegnete sie und blickte fast betroffen. „Ich kann durchaus auch viel Gutes in ihm spüren, doch versteckt er diese angenehmen Wesenszüge hinter einem felsenharten Panzer. Ich nehme auch Schmerz und Ängste wahr, nur schwach zwar, jedoch deutlich genug, um sich ihrer Anwesenheit sicher zu sein. Aber dennoch sind es vor allem seine dunklen Empfindungen, die wir einfangen, wenn er nahe ist, und sie stechen uns wie spitze Speere mitten ins Herz und bereiten uns Schmerzen. Er bringt uns keinerlei Zuneigung entgegen, nur Verachtung, Zorn und bitteren Argwohn, dabei haben wir ihm keinen Grund gegeben, uns damit zu strafen.

    Joran gewahrte mit leisem Bedauern, dass Tränen die herrlichen Augen der Elfe füllten, während sie sprach. Fiariol, dessen zarte Züge von Ingrimm gezeichnet waren, legte seinen Arm um sie und drückte sie tröstend an sich.

    Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, und der Ritter senkte taktvoll den Kopf, damit Valista sich wieder fassen konnte. Er wusste zwar aus alten Erzählungen, dass sich Zwerge und Elfen seit Urzeiten gegenseitig misstrauten und wenig für einander übrig hatten, doch Splitter benahm sich den beiden Aldanoi gegenüber etwas gar feindselig, als hätte er einen guten Grund, sie zu hassen. Joran begann sich zu fragen, welche Geschehnisse in seiner Vergangenheit den Zwerg veranlassten, sich derartig zu verhalten.

    Als er wieder aufblickte, hatte die Elfe ihre Tränen getrocknet, daher fuhr er fort: „Gebt ihm ein wenig Zeit und versucht, euch nicht zu sehr von seiner rüden Art verunsichern zu lassen. Splitters Manieren werden sich früher oder später bessern. Zumindest scheint Torias davon überzeugt, und ich vertraue mittlerweile seinem Urteil."

    Fiariol setzte ein schiefes Grinsen auf. „Wenn Torias dieser Meinung ist, werden wir die Hoffnung bewahren. Nur leider sind Zwerge äusserst stur und in ihrer Auffassung so unbeweglich wie Felsbrocken."

    Joran lächelte und zwinkerte den beiden verschmitzt zu. „Macht euch deswegen nicht unnötig Sorgen, Freunde des Waldes. Es gibt Wege, einen Felsbrocken zu bewegen, auch wenn dieser meint, unnachgiebig und fest verankert zu sein."

    „Dann wollen wir darauf vertrauen", erwiderte Valista schmunzelnd, und ein weicher Schimmer erhellte ihre samtenen Züge.

    „Wir danken dir für deine freundlichen und aufmunternden Worte, Freund Joran, fügte Fiariol hinzu. „Dein gutmütiges Wesen lässt uns die Missgunst des Zwergs fast schon vergessen. Aber nun würden wir es vorziehen, wieder ein wenig allein zu sein, wenn es dir recht ist. Ich hoffe, du nimmst uns dieses Begehren nicht übel.

    Joran deutete eine Verbeugung an und liess die Elfen ziehen, die ihn beide mit einem dankbaren Lächeln bedachten und in unnachahmlicher Anmut an ihm vorüberwandelten. Verzaubert blickte er ihnen einen Moment lang nach, wie sie ihre weichen Stiefeletten bei jedem Schritt dermassen sanft auf den Boden setzten, dass das Gras kaum unter ihrem Gewicht erdrückt wurde. Bei diesem wundervollen Anblick kam sich Joran zum ersten Mal in seinem Leben schwerfällig vor, und darüber musste er grinsen.

    Kapitel 2

    Balron Sternschneid, Sohn des Bergand Funkelfaust, aus dem Golnish-Clan vom Stamme der Tolondin, sass auf dem holpernden Wagen und lenkte seine beiden Grautiere gekonnt durch das in erstarrten Riesenwellen ansteigende Land. Die ledernen Zügel führte er locker mit nur einer seiner dunklen Hände, die von schweren goldenen Ringen geschmückt wurden, während er in der anderen seine geschwungene, mit feinsten Schnitzereien verzierte Pfeife hielt. Er schob den langen Stiel zwischen seine Lippen, sog genüsslich den würzigen Rauch in seinen Mund und liess diesen eine Weile an seinem Gaumen entlang streichen, ehe er ihn aus dem Winkel wieder aushauchte.

    Ah, feinstes Xoldun-Kraut aus den sonnenbeschienen Tälern der Goldfelsen, seufzte er im Stillen. Es ist und bleibt der beste Tabak ganz Cirunas, war er überzeugt und schwelgte einen Moment in Erinnerungen an seine ferne Heimat im Süden des Roten Drachenwalls, die er in all der Zeit seiner Wanderschaft nur noch einmal besucht hatte, seitdem er vor bald einmal fünfundzwanzig Jahren ausgezogen war, um die Länder der Menschen zu bereisen. Schon wenig später aber liess er die sehnsüchtigen Bilder wieder verblassen und kehrte in die kalte Gegenwart von Altorosh zurück.

    In nachdenkliches Schweigen versunken, blickte der Zwerg zum bewölkten Himmel auf, der sich in der Abenddämmerung allmählich verdunkelte. Die Sonne war erst vor wenigen Augenblicken hinter den Hügelkuppen, die sich vor ihm in die Höhe wölbten, versunken, und ein letztes flammendes Glühen bestrich im Westen die fransigen Unterseiten der Wolkenschleier mit einem rötlichen Schimmer. Hinter ihm im Osten schielten die beiden Monde Kuldor und Xardun hinter den gleitenden Schwaden hervor; Ersterer strahlte in voller roter Pracht, Letzterer leuchtete als breite silberne Sichel auf Altoroshs Weiten herab.

    Der Wind, der schon seit zwei Tagen mit frostiger Inbrunst über das Hügelland fegte, nahm in jener zwielichtigen Stunde zwischen Tag und Nacht noch an Stärke zu. Mit gespenstischem Heulen pfiff er von den höheren Graten herunter und geisselte die Wolken eilig über den trüben Himmel. Weit im Westen rückten schwerere, schwarze Gebilde wie eine Armada aufgeblähter Luftschiffe heran, kalten Niederschlag oder gar heftiges Schneetreiben verheissend.

    Balron verzog ob jener wenig erfreulichen Aussichten düster sein braunes Gesicht und schlang den blauen Kapuzenumhang enger um seine breiten Schultern, um sich besser vor der schneidenden Brise zu schützen. Missmutig saugte er an der Pfeife, die er nun im Mundwinkel zwischen seinen Zähnen hielt, und blies die bläulichen Schwaden mit einem Seufzen auf der anderen Seite aus, wo sie sogleich vom Lufthauch zerfetzt und fortgerissen wurden. Er sehnte sich allmählich nach einer Rast, denn er wollte sich die Beine vertreten und anschliessend endlich ein vernünftiges Mahl einnehmen. Sein Hintern schmerzte vom langen Sitzen auf dem unbequemen, harten Bock, seine Schultern waren verspannt vom ewigen Rumpeln des Karrens, und sein Bauch verlangte lautstark nach Speis und Trank.

    Zwar war der Zwerg durchaus einverstanden mit Torias, der es vorzog, im Licht des Tages zu reisen. Doch da er der einzige in der Gruppe war, der es verstand, ein Fuhrwerk dieser Grösse zu lenken, war er dazu verdammt, während der ganzen Reise auf dem Bock zu hocken, und dies begann ihn langsam ein wenig zu verdriessen. Balron liebte es nämlich, wie jeder Taroxim, auf den eigenen Füssen über die feste Erde, das Werk des Grossen Baumeisters der Welt, zu wandern, aber die Umstände erlaubten ihm diese einfache Freude nicht. Und nun, am Ende des fünften Reisetags, verdüsterte dieser erzwungene Verzicht selbst sein geduldiges und heiteres Gemüt.

    Um in der winterlich kurzen Tagesspanne möglichst weit voranzukommen, legten sie unterwegs bloss drei kurze Rasten ein und ernährten sich am Mittag nur von kargem Wegbrot, um im Gegenzug dafür bereits am frühen Abend ein Lager aufschlagen und sich an einem ordentlichen Gericht stärken zu können. Dieser gestraffte Ablauf erlaubte es dem Steinzwerg kaum, auch nur für eine halbe Stunde seine Beine zu benützen, und deshalb harrte er jeden Tag ungeduldiger des abendlichen Unterbruchs, um endlich wieder ein wenig umherzugehen.

    Unruhig wippte er mit den Beinen und hielt Ausschau, wartete auf das Zeichen zum wohlverdienten Halt. Doch obschon sich bereits die nächtlichen Schatten in den Senken und Gruben zwischen den Anhöhen sammelten und unaufhaltsam an deren Flanken emporkletterten, vermochte Balron den ersehnten Wink nicht auszumachen.

    Verstimmt kauerte er sich auf dem Sitz zusammen, brummte einige unfreundliche Worte in seinen schwarzen Bart, den er zu zwei Zöpfen geflochten trug, und richtete seine dunklen Augen vor sich ins Leere. Er fragte sich ärgerlich, warum Torias nicht längst zur Rast aufgerufen hatte. Es lag gewiss nicht an einem Mangel geeigneter Stellen, um das Nachtlager aufzuschlagen, denn Balron hatte, ohne wirklich danach zu suchen, allein in der vergangenen Stunde drei Orte ausfindig gemacht, die genügend Platz für die gesamte Gesellschaft geboten hätten und noch dazu windgeschützt gewesen wären und leicht hätten gegen mögliche Überfälle wilder Menschen oder Tiere verteidigt werden können.

    Was nur hält diesen langbeinigen Scharlatan von Paladin nur ab?, schimpfte er für sich. Schliesslich waren sie heute, entsprechend dem schwierigen Gelände, gut vorangekommen, lagen im Zeitplan. Nirgendwo lauerten Gefahren, sie wurden nicht verfolgt und besassen dank dem Jagdgeschick Jendaras und der Calpire genügend Proviant für eine ganze Woche. Balron vermochte sich einfach keinen glaubwürdigen Grund vorzustellen, wieso sie sich nicht längst um ein wärmendes Feuer versammelt hatten, um den Tag in einer gemütlichen Runde ausklingen zu lassen.

    Wieder zog der Steinzwerg an seiner Tabakpfeife und spie den süsslichen Rauch mit einem Knurren aus. Gleich einem rastlosen Wanderer glitt sein Blick umher, streifte über das allmählich in Dunkelheit versinkende Hügelland, jagte über den wolkenverhangenen Himmel und tastete über die Gefährten, die sich in seiner Sichtweite befanden und schweigend vorwärts stolperten.

    Abgesehen von den beiden riesigen Stierkriegern, die so unermüdlich waren wie Ackergäule oder Ochsen, schleppten sich die Helden nur noch schwankend dahin, erschöpft vom stundenlangen Anstieg und frierend im eisigen Lufthauch.

    Eila, die junge silemische Zauberin, mühte sich unmittelbar vor Balron verbissen den steiler werdenden Pfad empor, und ihr prunkvoller Zauberstab diente ihr als Wanderstock. Sie ging mit gesenktem Kopf, den müden Blick auf ihre Füsse geheftet, die in weichen Lederstiefeln steckten und die sie scheinbar ohne nachzudenken immer weiter bewegte. Sie hatte sich in ihren dicken gesteppten Mantel gewickelt, der ihr bis zu den Knöcheln reichte und mit edlen Stickereien und Paspelierungen an den Borten und Säumen versehen war. Die weite Kapuze hatte sie zum Schutz gegen die Kälte und die steife Brise hochgeschlagen. Dennoch schien sie in der frostigen Witterung zu zittern.

    Kein klagender Laut jedoch verliess ihre zusammengepressten Lippen, und ihre Beherztheit und ihr eiserner Wille, durchzuhalten und die Strapazen der Wanderung zu bewältigen, erstaunte den Zwerg einmal mehr, hatte er doch von einer edlen

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