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Die Hand der Fatme
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eBook255 Seiten3 Stunden

Die Hand der Fatme

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Über dieses E-Book

Die junge Yvonne Roland hat sich auf eigene Faust auf eine gefährliche Reise nach Südtunesien begeben, um ihren Bruder Gaston zu retten, der als Soldat dort zurückgeblieben ist und jetzt, krank und dem Tod nahe, im Krankenhaus der Oase El-Ariana liegt. Dabei wird sie von ihrem Verlobten Hugo Wallot verfolgt, der ihr die Reise eigentlich strengstens verboten hat und sie nun zurückholen will. Kurz vorm Ziel lernt sie einen geheimnisvollen Fremden kennen, Sidi Frank, genannt "Der Jäger", den ein unglückliches Schicksal nun ruhelos durch die Wüste und über die Salzseen Nordafrikas ziehen lässt. Er schenkt ihr ein seltsames Amulett, das ein Araber verloren hat und das seinem Träger stets Glück bringen soll: Die Hand der Fatme. Und Glück kann Yvonne gebrauchen. Denn sobald Hugo Wallot sie aufgestöbert hat und sie nun merkt, dass sie für Sidi Frank viel mehr empfindet als für ihren so kreuzbraven und biederen Verlobten, überstürzen sich die Ereignisse und die Hand der Fatme scheint Yvonne zunächst einmal nur Aufregung zu bringen ... Stratz' stimmungsvoller nordafrikanischer Liebes- und Abenteuerroman überzeugt nicht zuletzt auch durch seine gelungenen Landschaftsbeschreibungen.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711507087
Die Hand der Fatme

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    Buchvorschau

    Die Hand der Fatme - Rudolf Stratz

    www.egmont.com

    Erstes Kapitel

    Im Anfang war alles wüst und leer ... Und leer wie im Anfang aller Dinge war jetzt noch die Wüste — gespenstisch kahl, furchtbar in ihrer Ursprünglichkeit wie am ersten Schöpfungstag. Zerrissene, schwindelnd hoch gezackte Steinkämme, millionenfaches Geröll grosser und kleiner Felsblöcke an ihren Flanken und in den Schuttfeldern der Täler, nur da und dort lederhart gebrannte Büschel des Steppengrases dazwischen. Sonst kein Baum, kein Blatt, kein Wasserplätschern, kein Vogellaut und Menschenruf und Windeswehen, kein Wölkchen an dem fahlblauen Himmel. Nur immer die eine, die Herrin über alles, der Wildnis Leben und Tod zugleich, die glühende Sonne der Sahara da oben in scheitelrechter Mittagssommerhöhe. Zwischen ihr und der verdorrten Erde brannte und flackerte die Luft in unsichtbarem Feuer. Sie zitterte, dass Berg und Fels und Tal mitzuschwingen, als das einzig Lebende in der Runde mitzukeuchen und mitzubeben schienen. Und es war in der Todesstille, als stöhnten die Steine und sänge der Staub durch das flammende Schweigen eintönig, unermüdlich ein feierliches: Im Anfang war alles wüst und leer! Dies hier ist die Welt, nicht was ihr Menschen kennt und bewohnt, nein, dies hier, das Nichts, aus dem ihr kommt, zu dem ihr geht, das immer war und sein wird, aller Dinge Wiege und Grab von Ewigkeit zu Ewigkeit ...

    Und wer da atmete und einsam stand und hinausschaute in die Wüste, dem bangte die Frage auf den Lippen: Herr, warum schufst du dies? Und die Wüste schaute in ihn, und aus seinem tiefsten Innern kam die Frage zurück: Und warum schufst du mich? Warum das Sein, das Ringen zum Licht, das Sehnen nach der Sonne, wo doch die Sonne spricht: Wen ich lieb hab’, den verbrenn’ ich! — wo doch die Leidenschaft spricht: Das Herz, das mein ist, wird an mir zur Asche! Und nichts bleibt von all den heissen Flammen als die Wildnis ... die da aussen und die schlimmere da innen — abgestorben, was einst grünte, wie das Gras am Boden, versiegt die Hoffnungen wie die Quellen im Gestein, nichts übrig als die Erinnerung. Und die heisst: die Reue ...

    Der Mann, der so dachte und als der einzige Mensch auf viele Stunden im Umkreis auf halber Höhe des urweltlich wilden, mächtigen Felsenkessels stand und vor sich hinstarrte, kam jetzt allmählich aus seinem düsteren Träumen wieder zu sich. Er bückte sich nach der Last, die er von hoch oben, von den äussersten Graten, in stundenlangem Tasten zwischen gleitendem Schotter und wankenden Riesenblöcken auf seinen Schultern herabgetragen hatte. Es war ein Gewirr fahlbraun-rötlicher Haarmassen, die sich an einzelnen Stellen zu langzotteligen Polstern und buschigen Kämmen verdichteten. Zwei halbmondförmige, plump gerippte dicke Säbel ragten daraus hervor und liessen das seltene Wild Südtunesiens, ein junges Mähnenschaf, erkennen.

    Die Erlegung eines „Arui" war verboten. Das wusste auch der Jäger. Jedoch der Arm des Gesetzes reichte kaum bis in diese Einöden des Südens, kein Ohr hatte den Knall des Büchsenschusses vernommen, kein Auge Mensch und Mufflon beisammen gesehen. Und doch suchte sich der Weidmann unwillkürlich in der Deckung der zerrissenen Felsabstürze zu halten, während er mit seiner Beute auf dem Rücken weiter abwärts stieg. Er hätte es kaum nötig gehabt. Schon auf wenige hundert Schritte hob sich seine Gestalt kaum mehr von dem sonnenheissen Grau des Staubes und der Steine ab. Seine abgenutzten Gamaschen, die verschossenen Reithosen, die verblichene Leinwandjacke, die von Sonne und Regen ausgelaugte Mütze mit dem Nackenschleier gehörten ebenso in diese Wildnis wie sein Gesicht. Das war tiefbraun gebrannt, so dunkel, dass nur die Augen darin unruhig leuchteten. Und ebenso sonnensatte Farbe hatten die Hände.

    Die bogen jetzt sorgsam ein paar Zweige auseinander, das einzige Gebüsch weit und breit, im Schatten einer kleinen vorstehenden Felsplatte. Hinter dem Laub gähnte es seltsam schwarz; ein feuchter Modergeruch strömte da in die Glut des Tages hinaus. Er kam aus einem Spalt, der im Berge klaffte, lang wie der Rachen eines Riesen und so niedrig, dass man sich auf den Bauch legen musste, um hindurchzurutschen. Wer da drinnen war, der war geborgen vor Freund und Feind. Die Eingeborenen mieden ängstlich diese Schlünde, die als die Ausgangspforten unterirdischer, von Wasserbrausen und Fledermausgekicher erfüllter Höhlen in das geheimnisvolle, stundenweit verzweigte Innere der Bergwelt lockten und luden. Sie fürchteten sich vor den Geistern von El Mansur. Nur Räuber, Schafdiebe und Salzschmuggler wagten sich in dies Labyrinth und hausten in ihm als sicherem, sagenumwobenem Zufluchtsort. Ab und zu barg ein Jäger das heimlich geschossene Wild in dem kühlenden Schatten seiner Schwelle.

    Das hatte der Weidmann jetzt auch getan. Als er wieder hervorrutschte und sich aufrichtete, blendete ihn die Weissglut der Sonne am blauen Wüstenhimmel derart, dass er eine Weile mit halbgeschlossenen Augen seinen Weg zwischen den Steinmassen suchte, vorsichtig, um nicht mit der Hand ihre kochend heissen Aussenflächen zu berühren, und erst wieder aufblickte, als er auf der letzten Felswarte über der Steppe stand.

    Weit, weit schaute man da hinaus, in ein gewaltiges Halbrundbild, das rückwärts wie zu den Seiten die allmählich verflachenden, baum- und quellenlosen toten Berge abschlossen. Davor lag verdurstend, zu Staub und Stein gebrannt, ohne einen Strauch, ohne ein Rinnsal Wassers, ohne eine Menschenhütte, nur mit spärlichen Büscheln von Alfagras zwischen dem Geröll bestanden, die Niederung der Wüste und senkte sich immer tiefer und tiefer gen Süden, bis unter die Spiegelhöhe des fernen Meeres, hinab zu dem Land El-Dscherid, dem weiten Palmengarten Tunesiens, der Dattelkammer der Sahara, mit seinen riesigen, still die Einsamkeit mit der Schwermut einstiger Grösse erfüllenden Römertrümmern, mit den Zauberwäldern seiner Oasen und ihren finsteren, staubgebackenen und halbzerfallenen heiligen Städten, mit ihren feindlichen Wellen wandernden Sandes, dem schwefelgelben Reich der Dünen, mit dem Grauen seiner toten Berge und dunklen Geisterhöhlen und mit dem Mittelpunkt des Ganzen, dem unermesslichen Salzmeer.

    Eine Weile blickte der Mann vom Felsen stumm auf das Bild, die Augen mit der Hand gegen den Feuerball am Himmel schützend, der schon, zu Beginn des Nachmittags, seine Bahn gegen Westen zu senken begann. Dann tastete er noch einmal, ob das Nackentuch, der Schutz gegen Sonnenstich und Hirnentzündung, auch fest genug sass und dicht die Haut umhüllte. Er stieg durch die kochende, zitternde Luft, in der alle Gegenstände ringsum wie von geisterhaftem, lautlosem Leben erfasst mitzuschwingen und zu atmen schienen, im Chaos des Felskessels hinab ins Tal.

    Dort hatte es im Frühjahr, zur Zeit der Wolkenbrüche, Wasser gegeben. Jetzt noch waren die spärlichen Halme des Riedgrases etwas länger, etwas grüner, nicht ganz so leichenhaft erstorben wie in der Steppe. Ein lediger Gaul weidete da und machte zuweilen ein paar ungefüge kurze Sprünge. Aber weit fort konnte er nicht von diesem Platz, wo ihn sein Herr diese Nacht über gelassen hatte. Denn seine Vorderbeine waren gekoppelt. Und ganz in der Nähe, zwischen glühenden Klippen versteckt, lagen auch Sattel und Zaumzeug, die der Jäger jetzt hervorholte und dem Tier auflegte. Er war froh, seinen getreuen Begleiter unversehrt wiederzusehen, und klopfte ihm beim Aufsitzen freundschaftlich auf die Mähne. Panther, die ihn hätten zerreissen können, gab es hier kaum mehr, und Hyäne und Schakal wagten sich nicht an solch einen Vierfüssler. Aber diebische Wüstenbeduinen hätten sich wohl einmal auf ihren Nachtwanderungen nach Weide und Wasser auch hierher verirren können.

    So zogen Mann und Ross in die Glut der Steinebene hinaus, deren verdorrte Stauden von Alfragras millionenfach, unbeweglich dastehend, vergeblich des leisesten Lufthauchs, des winzigsten, die nahe Abendkühle verratenden Wehens vom Westen harrten. Nichts rührte sich in dem schwülen Todesschweigen. Kein Mensch, kein Tier, nicht einmal ein Falke, eine Wüstenechse am Weg, ein paar geschäftig rennende Rebhühner, die sonst die Öde belebten, waren sichtbar. Was Blut in sich hatte, barg sich bang im sicheren Schlupfwinkel, bis die Sonne wieder einmal ihren zornigen Tageslauf vollendet und tröstendes, mildes Sterngeglitzer am Nachthimmel aufstieg.

    Der Reiter hielt auf eines der überall in der Ebene verstreuten Römerbollwerke zu, in dem wohl einst vor fünfzehnhundert Jahren einer der grossen Grundherren des Landes mit Weib und Kind und Sklavengesinde gehaust hatte. Niemand wusste mehr etwas davon, niemand hatte auch nur einen Namen für dieses Gemäuer oder eines der vielen anderen, die die Ebene bis zum Horizont füllten. Nur ein Wahrzeichen kannte man da: die beiden einsamen, ungebrochenen Säulen, die in der spielerischen Schönheit ihres marmornen Schnitzwerks wie zwei Wegweiser mitten in der Wüste standen. Sie waren ein Richtpunkt. An ihnen vorbei lief der Saumpfad gen Süden.

    Den erreichte jetzt der Reiter, und sein Schimmel merkte, dass die Karawanserei nicht mehr fern war. Dieser setzte sich, halbverdurstet wie er war, von selbst in Galopp. Auch hier, auf der hauptsächlich durch Räderspuren im Sand bezeichneten grossen Verkehrsstrasse, war kein Mensch. Nur ganz in der Ferne schimmerte das weisse Sonnendach einer Arabâ, des landesüblichen, federlos zwischen zwei Riesenrädern schaukelnden und von ein paar Maultieren gezogenen Kastens, in denen die reisten, die nicht reiten wollten oder konnten: Frauen, Handelsleute mit Waren, Kranke. Es ging unbequem und langsam genug, sosehr auch der vorn rittlings auf der wippenden Deichsel sitzende braune Fuhrmann die Tiere antrieb. Doch holte, bei der weiten Entfernung zwischen ihnen, der Reiter das Gefährt nicht mehr ein. Das war schon verschwunden, als er endlich von der Höhe einer kleinen Steppenwellung aus die Karawanserei vor sich liegen sah.

    Das Rasthaus, ein niedriges, festungsähnlich einen Innenhof umschliessendes steinernes Viereck, war da gebaut, wo es Wasser gab. Und der Brunnen hier stammte noch aus Römerzeiten. Ein langes, rechteckiges Becken war da aus gigantischen Blöcken in die Erde hinein ausgemauert und speiste sich aus einer unterirdischen Quelle. Der Brunnenspiegel war trübe. Eine Staubschicht, tote Tiere, Strohhalme schwammen darauf, Frösche ruderten in ihm umher. Aber es war doch das Nass, das Labsal und die Lebensbedingung der Wüste —, und so hatte sich denn auch auf der anderen Seite der Zisterne, gegenüber der Karawanserei, ein ganzer Beduinenstamm angesiedelt. Ein Dutzend niedriger, rauchgeschwärzter Zelte stand da nebeneinander, in deren erstickend heissem Innern die Männer und Weiber der Nomadentruppe ruhten. Nur ein paar rote und blaue Kleiderfetzen halbwüchsiger Mädchen schimmerten herüber, ein paar Köter bellten, und näher am Wege stand, die äsende Kamelherde bewachend, ein einzelner braungebrannter Hirt mit breitkrempigem Strohhut und in weissem Burnus. Er nickte dem Europäer zu und grinste dann spitzbübisch hinter ihm her.

    Der Jäger war inzwischen durch das Tor der Wüstenherberge geritten und sorgte im Hof, in dem schon die eben angekommene Arabâ stand, vor allem für sein Pferd. Erst als das verpflegt war und sich behaglich am Boden wälzte, fragte er den neben ihm stehenden, von der Regierung mit der Aufsicht über die Karawanserei betrauten Araber, ob noch Platz für die Nacht sei. Gewiss, im Schlafraum sei erst ein junger Dattelreisender aus Marseille. Das andere Gemach sei von drei Frauen mit Beschlag belegt, die vorhin eingetroffen seien.

    Aber kaum hatte er die Schlafkammer betreten, einen halbdunklen, weissgetünchten, backsteinbelegten Raum, in dem drei eiserne Bettstellen mit Strohsäcken und ein paar Stühle standen, da hörte er den Marseiller, während der sich das Kinn zum Rasieren einseifte, mit schmachtender Stimme singen:

    „dites donc, ma belle!

    où est votre amant?"

    Der elegante, quecksilberne Knirps, der, wie die erste Schwalbe im Frühjahr, seinen Berufsgenossen, den übrigen erst im Herbst zur Zeit der Ernte eintreffenden Dattelreisenden, vorausgeeilt war, um jetzt schon in den Oasen des Südens, im Land El-Dscherid möglichst vorteilhafte Abschlüsse für sein Marseiller Haus zu machen, stellte sich dem Eingetretenen nicht vor — solche Formalitäten gab es hier unter Europäern nicht. Er sagte: „Wissen Sie, wer da nebenan ist?"

    Der Jäger tat, als hörte er ihn nicht. Ihn verdross der Mensch. Er stellte sich an die Wand und studierte aufmerksam die ihm längst bekannte, französisch und arabisch lautende Hausordnung, wonach die Reisenden vor Betreten der Karawanserei ihre Waffen zu entladen hatten und Kamele im Hof nur geduldet wurden, soweit sie nicht durch Zahl und Geruch lästig fielen, und vieles andere mehr. Aber der Marseiller, der kleine Mann mit dem Rasiermesser, liess sich nicht so leicht abweisen. Er verkündete triumphierend, wie einer, der sicher ist, mit seiner Neuigkeit gewaltigen Eindruck zu erwecken: „Zwei Mädchen von der Mission sind’s — zwei Engländerinnen! Sie sind von ihrem tunesischen Hauptquartier in Susa abgeschickt! Sie ziehen gegen den Teufel in der Sahara zu Feld! Sie haben es selbst gesagt! Sie wollen die Araber zum Christentum bekehren! Sie haben einen kleinen Kocher mit und eine Gummibadewanne und eine ganze Kiste voll arabischer Bibeln und Traktätchen — und sprechen auch selbst vorzüglich Arabisch — ganz allein ziehen sie durch die Welt. Das sind zwei verrückte Geschöpfe!"

    „Ich denke, es sind drei? sagte der Jäger kurz, indem er sein Gewehr reinigte, einfettete und in die Ecke stellte. Er achtete kaum auf das Geschwätz. Der andere bestätigte: „Ja, aber die dritte gehört nicht dazu. Sie hat sich den beiden nur unterwegs angeschlossen. Ich glaube, schon an der Küste, weil ihr Begleiter oder ihr Diener, oder wer das nun war, dort krank geworden ist und sie nun ganz allein dastand. Nein, das ist kein Missionsmädchen. Sie ist viel zu hübsch dazu, sehr hübsch! Ich hör’ es durch die Wand: sie spricht nur mühsam mit den beiden anderen Englisch!

    „Jedenfalls belästigen Sie die Damen nicht!" sagte der Jäger kurz und so schroff und hart, dass der kleine Dattelmensch sich beinahe in sein spitzes Kinn geschnitten hätte, so erschrocken wandte er den Kopf herum. Aber sein Stubengefährte war schon wieder in den Hof hinausgetreten, ging um ein paar dort kauernde Kamele herum und durch den Torweg ins Freie zu dem Beduinenlager.

    Das hatte sich inzwischen belebt. Man rüstete zum Aufbruch. Die Zelte waren verpackt und verstaut, die Herden zusammengetrieben, die Kinder und Hunde eingefangen. Nur der riesige, viele Zentner schwere Stammesteppich, der allein eine ganze Kamellast ausmachte, wurde noch eben von den Männern unter grossem Geschrei zusammengerollt. Die Weiber und Mädchen befanden sich hoch zu Kamel über dem Gewimmel der Schafe und Ziegen. Sie sassen rittlings, die braunen Beine zu beiden Seiten herabbaumeln lassend, auf den gepolsterten Höckern. Sie hatten die schönen, grossäugigen, ernst blickenden Kinder auf dem Rücken oder in Körben rechts und links. Ihre blauen und roten Hemden leuchteten, und unter den scharlach- und blaufarbigen Kopftüchern lachten die harten, aber hübschen Züge und zeigten unter den blauen Tätowierstrichen der braunen Haut ihre weissen Zähne. Beim Anblick des Europäers hatte die Heiterkeit der Naturkinder sie alle ergriffen. Plötzlich lenkte die eine ihr Kamel herum und trieb es hinaus in die Wüste. Die anderen folgten ihr in lachender Flucht, dass Staubwolken hinter den Fussballen der Trampeltiere aufwirbelten und die Reiterinnen sich ducken und festklammern mussten, um nicht hinunterzufallen. Der Gold- und Silberschmuck, den sie nach Nomadenbrauch als den Hauptreichtum der Familien am Leibe trugen, tanzte und klirrte.

    Der Scheich des Tribus, ein gelassener Weissbart in weissem Mantel, ritt langsam hinterdrein. Der Jäger hielt ihn durch einen halblauten Zuruf an. Die beiden, Europäer und Beduine, kannten sich und gaben sich die Hand. Dann sprach der Jäger einige arabische Worte und wies nach den fernen Bergen, von denen er gekommen war. Damit war der Handel schon erledigt. Das Fleisch des Mufflons, das dort in der Höhle lag und in der Hitze doch sonst verderben würde, sollte als ein Geschenk des Jägers dem Stamme der Masghuna gehören. Dafür aber sollte der Scheich Fell und Gehörn aufbewahren und bei Gelegenheit die Beute nach Süden schicken, tief in die Sahara, wo das Haus des Jägers stand.

    Der Jäger nickte lässig mit dem braunen Kopf als Abschiedsgruss und dankte für das Salem des Wüstenhäuptlings, dann drehte er sich um und schritt wieder der Karawanserei zu.

    Dort schimmerten ein paar scharlachrote Jacken. Zwei Offiziere von den Spahis, der Eingeborenenreiterei, trabten auf Rappen durch das Tor. Der eine war mager, sehr elegant, mit scharfen, vornehmen Zügen, die besser auf die Pariser Boulevards als hier in die Wüste passten. Der andere war ein grauköpfiger, älterer Araber, wie jede Schwadron einen unter ihren Leutnants besass. Sie mochten auf einer Dienstreise begriffen sein. Ihre Burschen und Tragtiere waren noch weit zurück. Während der Pariser sich aus dem Sattel schwang, lief plötzlich ein angenehmes Erstaunen über sein bis dahin von der Hitze und dem langen Ritt ganz teilnahmlos gewordenes Gesicht. Er sagte halblaut zu seinem Gefährten: „Sehen Sie mal, Sidi Mussa ... welch ein hübsches Mädchen da drinnen im Hofe steht."

    Der alte Unterleutnant Si Mussa ben El Hadschi Achmed war seit vielen Jahren ein Freund und Waffengenosse der Christen. Aber so weit war er doch noch in seinem Empfinden Moslem geblieben, dass er eine fremde Frau nicht so bewundernd musterte, wie dies sein Kamerad, der Leutnant de Castaing de Laprade, tat. Und der neben diesen beiden am Torweg stehende Jäger, der in das Innere der Karawanserei nicht sehen konnte, dachte sich: Das konnte keines von den beiden Missionsmädchen sein. Man hörte ja auch die beiden Engländerinnen deutlich in ihrer Kammer sprechen und mit Konservenbüchsen und Teekessel klappern. Das war wahrscheinlich die dritte, die Begleiterin, die sich ihnen unterwegs angeschlossen hatte. Schliesslich war es ja auch ganz gleich. Der Jäger hatte gar keine Lust, in den Hof zwischen die dort rastenden und kauenden Kamele zu treten und sich die Fremde anzusehen. Im Gegenteil, er schlenderte langsam trotz der Glut des Spätnachmittags wieder in das Freie hinaus.

    Er schritt längs des römischen Wasserbeckens dahin und betrachtete zerstreut ein paar Frösche, die sich an ein in den Teich gefallenes und ertrunkenes junges Huhn geklammert hatten und mit ihm wie auf einem Fahrzeug über den trüben, staubbedeckten Spiegel dahintrieben. Dann stiess er weitergehend mit dem Fuss gegen die halb im verdorrten Gras verborgenen Reste einer Puffotter, der bösen, armdicken und armlangen Giftschlange der Sahara, die den Menschen angreift. Irgend jemand hatte, wohl schon vor langer Zeit, dem Scheusal den Garaus gemacht. Es waren eigentlich nur noch Skelett und Hautfetzen übrig. Über die weg ging der Jäger weiter, einen kleinen Hügel hinan und hinab zu dem Platz, wo vorhin der Beduinenstamm gerastet hatte. Jetzt war da alles öde und leer. Aschenstellen, geschwärzte Steine, Hammelknochen, zertretene Büschel von Alfagras — das allein war übriggeblieben.

    Und wie er da stand und vor sich hinschaute, da hörte er hinter sich leise ein paar Steinchen rollen. Irgend jemand kam den Hügel herauf. Er wandte sich um und erblickte die Fremde, von der vorhin der Dattelreisende und der elegante Leutnant gesprochen hatten. Sie war auffallend hübsch. Nicht viel über zwanzig und nicht viel über Mittelmass, aber durch ihre Schlankheit grösser aussehend, in grauem Staubkleid, auf dem Kopf einen weissen Tropenhelm, der schiefsitzend die Stirne tief beschattete. Das gab zusammen mit dem Hintergrund von Weiss, das der ausgespannte Sonnenschirm und der die braunen Haare nonnenhaft einrahmende lichte Nackenschleier boten, dem länglichen bräunlichen Gesichtchen etwas Sonnenverbranntes, Abenteuerliches. Und ebenso schauten auch die hellen Augen ein wenig verdutzt durch die ungewohnte Umgebung und dabei erwartungsvoll, als müsste sich in nächster Zeit etwas ganz Besonderes ereignen — und nichts Erfreuliches. Es war ein bisschen Bangen in dem Blick.

    Jetzt ruhte der Blick auf dem Boden, wo das Steppenlager gestanden hatte. Ein Gegenstand blinkte da, etwas Glitzerndes, ein Schmuckstück, das eines der Beduinenmädchen bei ihrem Kamelgalopp verloren haben musste. Sie sah das silberne Ding wohl, aber sie machte keine Bewegung, es aufzuheben. Da trat der Jäger hinzu und nahm es aus dem Staube. Und in der Gemeinschaft, die der Fund zwischen ihnen gesponnen hatte, sagte er, die kleine Silberhand mit den fünf aufgereckten Fingern vorweisend: „Die Hand der Fatme zu verlieren — das wird einen Jammer geben ..."

    Da sie ihn schweigend anschaute und er merkte, dass sie offenbar ganz fremd hier im Lande war, erklärte er: „Die Hand der Fatme ist ein heiliges Zeichen für den ganzen Islam. Fatme war die einzige Tochter Mohammeds. Die Hand bringt Glück."

    Nun erwiderte sie, offenbar nur, um ihn nicht ganz ohne Antwort zu lassen: „Aber dem doch nicht, der sie verliert?"

    „Nein, aber dem,

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