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Fast wolkenlos: Erzählungen
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eBook146 Seiten2 Stunden

Fast wolkenlos: Erzählungen

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Über dieses E-Book

Sommertage, in denen die Hitze über erntereife Felder flimmert, Nebelschwaden über dem Watt, in denen Menschen spurlos verschwinden. Drei verzweifelte Jungen im Krankenhaus in der onkologischen Abteilung. Agnes, die alte Jungfer, die ihre Familie regelmäßig heimsucht - Momentaufnahmen, mit genauem Blick für Situationskomik, aber auch die Tragik des Lebens sind festgehalten in diesem Band. Erzählungen mit unterschiedlichen Stimmungen, zum Wegwerfen spaßig, bewegend und zum Weinen schön, legt Traute Kunna vor, sprachlich gefärbt von ihrer Heimat im Norden. Ein Buch zum Lachen und Weinen gleichermaßen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Dez. 2017
ISBN9783746041124
Fast wolkenlos: Erzählungen
Autor

Traute Kunna

Traute Kunna, Jahrgang 1947, wächst in Bremerhaven an der Wesermündung auf. Hier geht sie in die Schule und verlebt eine glückliche Kindheit. Dem oft harten Alltag entflieht sie durch lesen. Zwischen den Buchdeckeln findet sie Welten, in denen sie sich zu Hause fühlt. Später zieht sie mit Mann und Sohn nach Bramel, einem Dorf in Niedersachsen und ergreift mutig ihr Leben, geprägt von tiefem Sinn für Humor auch in Situationen, die den Menschen an den Rand der Verzweiflung bringen. Dieser Humor ist in ihren Geschichten die tragende Kraft.

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    Buchvorschau

    Fast wolkenlos - Traute Kunna

    Für Volker, mit Liebe und Dank

    Für Sandra und Tobias, meine geduldigsten Zuhörer, und für Christine Krokauer, die mich ermutigt hat, meine Geschichten zu veröffentlichen.

    Inhalt

    Gedicht

    Martins Bucht

    Inselsommer

    Agnes kommt!

    Zu Hause, das ist eine blaue Wolldecke

    Die weiße Blume

    Und Morgen? – Morgen ist Nikolaus!

    An dich

    Nur eine Puppe

    Paulchen, der rote Flitzer und der Lover!

    Du kennen das Wally?

    Zufall?

    Gedicht

    Stille auf dem alten Kahn,

    aus der Tiefe dringen.

    Du und ich zusammenstehen,

    unsere Hände sich umschlingen.

    Dunkles Wasser bricht die Bahn,

    enger zieht er seine Kreise.

    Tränen in den Augen brennen

    und die Welt ist plötzlich leise.

    Mächtig schraubt er sie empor,

    höher Stück für Stück.

    Atemlos und unbedeutend,

    Zeit und Raum so weit entrückt.

    Fluke zwischen Meer und Himmel

    narbig graue Schwinge.

    Martins Bucht

    Hanna schreckte aus ihren Tagträumen und zuckte jedes Mal zusammen, wenn einer der tief herabhängenden Zweige der knorrigen Pinien mit einem blechernen, schnarrenden Geräusch das Dach des Busses streifte. Durch die lichten Äste drangen die Strahlen der frühen Nachmittagssonne und Quarze glitzerten, funkelten und tanzten wie Sterne an einem nächtlichen Himmel über das uralte dunkle Gestein der holprigen Straße.

    Der Fahrer hatte Mühe und es erforderte sein ganzes Geschick, das schwere Gefährt, das mehr rutschte als fuhr, sicher über die schmalen Kehren den Berg bis hinunter an das Meer zu bringen. Die wenigen noch verbliebenen Reisenden schauten erwartungsvoll aus den Fenstern, blickten gespannt auf ihr neues Feriendomizil, das sich in wenigen Augenblicken vor ihnen ausbreiten würde.

    Noch am Flughafen waren sie eine buntgewürfelte Schar von Feriengästen gewesen, doch nach und nach hatten sich die Reihen gelichtet. Die großen Hotels an der langen Promenade hatten viele von ihnen aufgenommen und sie in ihrer gewaltigen Maschinerie verschluckt. Einige Familien mit Kindern, drei ältere Ehepaare, ein junges Pärchen und Hanna waren schließlich übriggeblieben. Anfangs hatten sie versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen, doch da ihre Antworten ausweichend, wortkarg und einsilbig waren, gaben sie es auf.

    Nun saß Hanna allein auf ihrer Bank und hatte zwar ab und an dem Kinderlachen aus den hinteren Reihen gelauscht und auch das leise, freudige Gemurmel der plaudernden Mitreisenden war ihr nicht entgangen, doch die endlosen Gespräche, das ewige auf sie Einwirken, war überall gleich gewesen. Was sie auch unternahm, was sie sagte und wo sie sich befand, immer waren es die anderen, die sie durchschaut hatten und am Ende versuchten, sie auf eine von ihnen so gut gemeinte eigene Bahn zu lenken. Da sie weder den Mut noch den Willen besaß, sich in diesem Tauziehen um ihre Psyche erfolgreich zu wehren oder gar zuzustimmen, den einen oder anderen Ratschlag anzunehmen, war sie wie eine Schlafwandlerin durch die letzten Jahre ihres Lebens gegangen. Dabei war es nicht der Schmerz, der an ihrer Seele genagt hatte, vielmehr waren es die Stille und diese große Leere, die ihren Tagesablauf und die endlosen Nächte bestimmten.

    Sie hatte die Augen geschlossen, döste vor sich hin und wusste auch so, ohne großartig den Blick durch die Scheibe nach draußen zu heften, was sie auf den letzten Metern erwarten würde. Es war, als betrachte sie Martins Diapositive an langen Winterabenden, wenn Langeweile sie übermannte, die Bilder in rascher Reihenfolge wechselten, bis sie sich schließlich übereinander schoben und vor ihren Augen zu verschwimmen anfingen. Hinter ihrer Stirn nahm das alte Haus von Antonia und Miguel, das so unverwechselbar in diese Landschaft gehörte, Form und Gestalt an: Das verschachtelte Dach mit den gewölbten Tonziegeln, die an manchen Stellen grau und mit Moosflechten überzogen waren, eng an das Bergmassiv geschmiegt. An der hellen Fassade üppige Bougainvillea von Pink bis zum tiefsten Rot. Wie oft hatte Martin ihr einige Zweige abgepflückt und ihr lachend hinter die Ohren gesteckt. „Hanna, hatte er gesagt, „weißt du eigentlich, wie hübsch du bist?

    Und dann die schwere, dunkel gebeizte Zederntür, die ewig in ihren Angeln quietschte, bis Martin schließlich zu einem Ölkännchen gegriffen hatte und ihr damit zu Leibe gerückt war. Die ersten geöffneten Blüten der Oleander-sträucher in einfachen, aus Ton gebrannten Kübeln, die auf den Stufen mit den bunten Keramikfliesen standen und zum Haus hinaufführten.

    Es müssen sechs sein, dachte Hanna fast trotzig, auf jeder Seite drei! Und nur um sich zu vergewissern, dass sie dort noch immer an derselben Stelle standen, riskierte sie fast vorsichtig und zaghaft einen Blick aus den Augenwinkeln.

    Es hatte sich nichts verändert. Auch die kleine Bank, auf der Martin so oft gesessen hatte, war noch immer da.

    Zufrieden stellte sie fest, dass selbst die Wäsche wie in den Jahren zuvor an langen Leinen flatterte, hinter dem schmiedeeisernen Balkongitter unter der gewölbten Mauer.

    Martin hatte mit Antonia und Miguel Freundschaft geschlossen. Hin und wieder war er mit ihnen zum Fischen hinausgefahren und so manchen Abend hatte er in ihrer Gesellschaft verbracht. Aber sie, Hanna, hatte keinerlei Lust auf neue Ferienbekanntschaften verspürt. Hin und wieder hatte sie zwar mit Antonia das eine oder andere Wort gewechselt, doch im Grunde waren beide für sie Fremde geblieben, denen sie nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen war. Am liebsten wäre sie mit Martin allein gewesen, denn sie vermisste ihn ständig, auch dann, wenn er sie nur für ein oder zwei Stunden allein ließ.

    Noch immer saß sie unbeweglich auf ihrem Sitz und deutlich vernahm sie die vielen erregten Zwischenrufe der Reisenden. Dicht gedrängt standen sie vor der großen Frontscheibe und blickten auf eine Landschaft, die einem Bilderbuch entsprungen zu sein schien und nicht eindrucksvoller hätte sein können.

    Als sei es mutwillig in das Gestein geschlagen, schlossen sich die schroffen, überhängenden Felsen zu einem Tunnel zusammen. Wie durch einen Rahmen betrachtet und an seinem Ende der Blick begrenzt, schimmerte das Meer in seinen vielfältigen Blautönen.

    Unter den Reisenden war es still geworden, denn im Gegenlicht der Nachmittagssonne lag nun die ganze Bucht mit ihrem winzigen, kaum zwanzig Meter langen Sandstrand vor ihnen. Angelehnt an das Bergmassiv tauchten die ersten Häuser, in den unterschiedlichsten Pastelltönen gestrichen, hinter den dunklen Felswänden auf.

    Überwältigt von diesem Anblick hatte auch Martin damals für Sekunden den Atem angehalten, ihre Hand ganz fest gedrückt und dabei andächtig geflüstert: „Oh, Hanna! Gibt es irgendwo einen Ort, ein Fleckchen Erde, das schöner ist?"

    Anfangs hatten sie ganz oben am Hang ein Haus gemietet, aber irgendwann im Laufe der Zeit machten ihre morschen Kniegelenke den steilen Aufstieg von fast zwanzig Minuten nicht mehr mit und so bezogen sie eines der unteren, das für sie bequemer zu erreichen war. In all den letzten Jahren war es so gewesen, so auch jetzt.

    Als der Bus hielt, war Hanna die Erste, die ausstieg. Nur wenige Schritte noch und sie hatte ihr Ziel vor Augen. Da war schon der kleine Brunnen, in dessen Mitte auf einem Sockel eine verwitterte Meerjungfrau thronte. Bei jedem ihrer Aufenthalte hatte Martin vergebens den Versuch unternommen, mit ein wenig Zement die linke zerbrochene Fischflosse neu zu gestalten.

    „So kann sie doch niemals ins Meer zurück, was sagst du dazu, Hanna! Da müssen wir doch Abhilfe schaffen, findest du nicht?"

    Ein paar verrostete und verpackte Münzen klebten noch immer unangetastet auf dem Boden und Hanna hätte schwören können, dass es sich dabei vielleicht noch um Martins Geldstücke handeln könnte. Aber der Gedanke machte sie hilflos, weil sie ihn nicht zulassen wollte. So, wie sie alles aus ihrem Kopf verbannte, was auch nur im Geringsten mit Martin zu tun hatte.

    Vor zwanzig Jahren, vielleicht waren es auch schon ein paar mehr, hatten sie ein Zimmer im Ort in einem dieser riesigen Kästen gemietet, weil der Urlaub preiswert und das Geld knapp bemessen war. Aber immerhin – ihr erster gemeinsamer Urlaub mit den Kindern. Als sie auf einer Wanderung die Bucht und das Dorf entdeckt hatten, hatte Martin beschlossen, dass das fortan, für die Zukunft, ihr gesuchtes Paradies sei. Anfangs reisten sie nur einmal im Jahr hierher, aber irgendwann wollten die Kinder nicht mehr mit und machten eigene Reisepläne und somit kamen sie im Herbst und im Frühjahr.

    Jetzt war es Ende April und zum ersten Mal bezog Hanna das Haus allein. Martin war nicht mehr da. Eines Tages hatte er völlig unerwartet die Augen geschlossen, um sie nie wieder aufzumachen. Hanna hatte um ihren Martin getrauert und nichts weiter getan als über Wochen geweint, bis eine Zeit kam, in der eine grenzenlose Wut, ihren Körper und Geist beherrschte und über die Tränen siegte. Wie konnte er sie nur allein lassen? Sie, Hanna, die keinen Schritt ohne ihn ging!

    Als auch das vorüber war, blieben nur noch die Erinnerungen, die sie täglich übermannten und die sie am liebsten in den Karton zu Martins Fotoalben gesperrt hätte.

    Und nun fragte sie sich zum soundsovielsten Male, warum sie ausgerechnet hierherkommen musste. Warum ausgerechnet an Martins Bucht! Sicher, so ganz ihr eigener Entschluss war es nicht gewesen, denn die Kinder hatten sie gedrängt, ihr geraten, etwas zu unternehmen, um ein paar Ferientage zu genießen und nur aus Bequemlichkeit, der vielen Widersprüche müde, hatte sie letztlich diesem Vorschlag zu gestimmt.

    Nun war sie hier und wusste doch nicht so recht, was sie eigentlich hier sollte. Noch lag der Koffer unausgepackt in dem niedrigen Raum, und auch hier stand alles noch an seinem Platz. Die dunklen Rattan Möbel mit den gelben Bezügen, den passenden Vorhängen … selbst in der kleinen Küche hatte sich nichts verändert und die bunte Tasse mit dem abgeschlagenen Rand hing nach wie vor an einem Haken.

    Sie öffnete die Schiebetür mit den exakt 36 bleiverglasten quadratischen Scheiben. Manchmal, wenn Martin auf „Wanderschaft" gewesen war, wie sie es nannte, hatte sie einfach nur so dagesessen und plötzlich hatte sie angefangen, Dinge zu zählen und bewusst zu registrieren. Nun ging sie langsam die paar Schritte auf die schmale Mauer zu, die als Begrenzung der Terrasse zum Meer hin diente.

    Vier, vielleicht fünf Meter unter ihr rauschte und brodelte die See, schlugen die Wassermassen gegen die über Millionen von Jahren ausgewaschenen Steine. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht waren die steilen Felswände, die sich dunkel vor dem Blau des Wassers abhoben. Im Laufe der gemeinsamen Jahre hatte sie immer wieder versucht, die Bucht mit Martins Augen zu sehen, aber so ganz wollte es ihr nie gelingen. Zwar hatte sie sich hier immer wohlgefühlt, aber ebenso gut hätte er mit ihr an jeden x -beliebigen Ort reisen können. Die Hauptsache war doch, dass er bei ihr war!

    „Hanna, hier werden wir alt", hatte er gesagt.

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