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Über dieses E-Book

"Jetzt" ist ein Interventionstext. Er hat sich aufgedrängt, da die wesentlichen Vorhersagen des Unsichtbaren Komitees nun eingetreten sind – deutlicher Abscheu vor der Polizei, Ernüchterung angesichts ermüdender Parlamentsdebatten, Blockade als zentrales Mittel, Wiederkehr der Idee der Commune, Widerstand, der von Radikalen auf das Bürgertum überspringt, die Weigerung, sich regieren zu lassen.
"Jetzt" ist am Anfang eines Jahres erschienen, in dem es für die Macht darum ging, unter dem Vorwand eines Präsidentschaftswahlkampfes all das wieder in das marode Gerüst der klassischen Politik zurückzupressen, was diese bereits jetzt übersteigt, sich ihr entzieht, ihrer überdrüssig ist.
Die massiven Protestbewegungen in Frankreich des Jahres 2016 sind Zeugnis eines politischen Konflikts, der in seiner Bedeutung dem Mai '68 in nichts nachsteht.
"Jetzt" entwirft einen alternativen Weg zur verordneten stickigen Atmosphäre, plädiert für ein anderes Modell als die Wahlen: für die Absetzung der Macht. Für neue Lebensformen und nicht für neue Verfassungen; für Verweigerung und Stille statt lärmender Proklamationen. Es wird keinen Umsturz der bestehenden Ordnung geben ohne das Bekenntnis zu einem wünschenswerten Leben. Die zerstörerische Kraft des revolutionären Prozesses kann nichts ausrichten ohne jene Ladung stiller Positivität, die jeder glücklichen Existenz innewohnt.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Nautilus
Erscheinungsdatum4. Okt. 2017
ISBN9783960540625
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    Buchvorschau

    Jetzt - Unsichtbares Komitee

    Morgen ist abgesagt

    Alle Gründe, eine Revolution zu machen, sind gegeben. Keiner fehlt. Das Scheitern der Politik, die Arroganz der Mächtigen, die Herrschaft des Falschen, die Vulgarität der Reichen, die Industriekatastrophen, das galoppierende Elend, die nackte Ausbeutung, der ökologische Untergang – von nichts werden wir verschont, nicht einmal davon, informiert zu sein. »Klima: 2016 heißestes Jahr« lautete eine Schlagzeile der Zeitung Le Monde, der sich mittlerweile fast jedes Jahr wiederholt. Alle Gründe sind gegeben, aber nicht die Gründe machen eine Revolution, sondern die Körper. Und die Körper sitzen vor den Bildschirmen.

    Man kann zuschauen, wie ein Präsidentschaftswahlkampf Schiffbruch erleidet. Dass der »wichtigste Moment im politischen Leben Frankreichs« zu einer einzigen Schießbude verkommt, macht die Fernsehserie nur umso spannender. Wer hätte sich ein neues Dschungelcamp mit solchen Figuren, solch schwindelerregenden Wendungen, solch grausamen Prüfungen, solch durchgängiger Demütigung träumen lassen. Das Spektakel der Politik überlebt sich als Spektakel ihres Zerfalls. Die Fassungslosigkeit passt gut in die widerwärtige Landschaft. Der Front national, diese politische Negation der Politik, diese Negation der Politik auf dem Terrain der Politik, steht logischerweise im »Zentrum« dieser Szene aus rauchenden Ruinen. Die Menschheit wohnt verzaubert ihrem Untergang bei wie einem erstklassigen Schauspiel. Sie verfolgt es so gebannt, dass sie nicht spürt, wie ihr das Wasser bereits zu den Fesseln reicht. Am Ende wird sie alles in Schlamm verwandeln. Das Schicksal der Schiffbrüchigen ist es, alles, was sie berühren, in Schlamm zu verwandeln.

    Es geht nicht mehr darum, diese Welt zu kommentieren, zu kritisieren, anzuprangern. Wir leben umgeben von Schwaden an Kommentaren und Kommentaren über die Kommentare, Kritiken und Kritiken der Kritiken, Enthüllungen, die nichts bewirken außer Enthüllungen über die Enthüllungen. Dieser Nebel beraubt uns jeden Zugriffs auf die Welt. Es gibt nichts zu kritisieren bei Donald Trump. Das Schlimmste, was man über ihn sagen kann, hat er bereits aufgegriffen, sich einverleibt. Er verkörpert es. Mit allem, was man ihm vorwerfen könnte, brüstet er sich. Er ist seine eigene Karikatur, und stolz darauf. Selbst die Schöpfer von South Park werfen das Handtuch: »Es ist ziemlich kompliziert jetzt, wo die Satire Wirklichkeit geworden ist. Wir haben wirklich versucht, über das zu lachen, was da gerade passiert, aber wir konnten nicht folgen. Was passiert ist, war so viel komischer als alles, was wir uns ausdenken könnten. Daher haben wir beschlossen, die Sache fallen zu lassen, sie ihre Komödie spielen zu lassen, und wir werden unsere eigene machen.« Wir leben in einer Welt, die sich jenseits jeder Rechtfertigung eingerichtet hat. Kritik kann da nichts mehr ausrichten, Satire ebenso wenig. Sie verpuffen. Weiterhin Diskriminierung, Unterdrückung, Ungerechtigkeit anzuprangern und darauf zu warten, dass dies etwas bringt, ist überholt. Die Linksradikalen, die glauben, man könne noch immer etwas bewirken, wenn man am schlechten Gewissen ansetzt, täuschen sich schwer. Sie können noch so sehr öffentlich ihre Wunden lecken, ihr Klagelied anstimmen und glauben, damit Sympathie zu erheischen, sie werden nur Verachtung ernten und den Wunsch, sie zu vernichten. »Opfer« ist in allen Stadtvierteln der Welt zum Schimpfwort geworden.

    Es gibt einen sozialen Gebrauch der Sprache. Niemand glaubt mehr daran. Ihr Kurs ist in den Keller gerasselt. Daher diese inflationäre Blase aus globalem Geschwätz. Alles, was sozial ist, ist verlogen. Das ist mittlerweile allen klar. Es sind nicht mehr nur die Regierenden, die Werbeleute und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die »Kommunikation machen«, jeder Ich-Unternehmer, den diese Gesellschaft aus uns zu machen versucht, praktiziert unaufhaltsam die Kunst der Public Relations. Die Sprache ist zum Kommunikationsmittel geworden und ist nicht mehr selbst wirklich, sondern ein Werkzeug der Einflussnahme auf die Wirklichkeit, um Wirkungen entsprechend unterschiedlich bewusster Strategien zu erzielen. Die Wörter werden nur noch in Umlauf gebracht, um die Sachen zu verdrehen. Alle fahren unter falscher Flagge. Die Anmaßung ist Allgemeingut geworden. Man schreckt vor keinem Paradox zurück. Der Ausnahmezustand ist Synonym für den Rechtsstaat. Man führt Krieg im Namen des Friedens. Die Unternehmer »bieten Stellen an«. Die Überwachungskameras sind »Einrichtungen zur Videosicherheit«. Die Henker beklagen sich, dass sie verfolgt werden. Die Verräter beteuern ihre Aufrichtigkeit und Treue. Die Mittelmäßigen werden überall als Vorbild angeführt. Auf der einen Seite steht die reale Praxis, auf der anderen der Diskurs. Er ist der gnadenlose Kontrapunkt, er ist die Perversion aller Konzepte, die universelle Täuschung seiner selbst und der anderen. Überall geht es nur um Wahrung oder Ausweitung von Interessen. Umgekehrt bevölkern immer mehr Schweigsame die Welt. Manche von ihnen explodieren in einem Akt des Wahnsinns, in immer kürzeren Abständen. Wen erstaunt das noch? Sagt nicht mehr: »Die Jungen glauben an nichts mehr.« Sagt: »Scheiße! Sie schlucken unsere Lügen nicht mehr.« Sagt nicht mehr: »Die Jungen glauben an nichts.« Sagt: »Verdammt! Wenn es so weitergeht, werden sie den Zusammenbruch unserer Welt überleben.«

    Der Kurs der Sprache ist in den Keller gerasselt, und trotzdem schreiben wir. Denn es gibt einen anderen Gebrauch der Sprache. Man kann über das Leben sprechen, und man kann vom Leben aus sprechen. Man kann über die Konflikte sprechen, und man kann vom Konflikt aus sprechen. Das ist weder dieselbe Sprache noch derselbe Stil. Es ist auch nicht dieselbe Vorstellung von Wahrheit. Es gibt einen »Mut zur Wahrheit«, der darin besteht, sich hinter der objektiven Neutralität der »Tatsachen« zu verstecken. Es gibt einen anderen, der findet, dass ein Wort, das zu nichts verpflichtet, das nicht für sich zählt, das seine Stellung nicht aufs Spiel setzt und nichts kostet, nicht viel wert ist. Die ganze Kritik des Finanzkapitalismus sieht blass aus angesichts der zertrümmerten Schaufensterscheibe einer Bank, über die sich quer der tag zieht: »Hier habt ihr eure Risikoaufschläge!« Es ist nicht Unwissenheit, wenn die »Jungen« in ihren politischen Slogans eher die Punchlines der Rapper aufgreifen als die Maximen von Philosophen. Und es geschieht aus Anstand, wenn sie nicht das »Wir geben nicht nach!« aufgreifen, das Aktivisten genau dann hinausposaunen, wenn sie auf der ganzen Linie nachgeben. Die einen sprechen nämlich über die Welt, die andern aber von einer Welt aus.

    Die tatsächliche Lüge liegt nicht in dem, was man den anderen vormacht, sondern in dem, was man sich selbst vormacht. Erstere ist im Vergleich zu letzterer eher die Ausnahme. Die Lüge ist die Weigerung, gewisse Dinge zu sehen, die man sieht, und sie so zu sehen, wie man sie sieht. Die tatsächliche Lüge sind all die Bildschirme, all die Bilder, all die Erklärungen, die man zwischen sich und der Welt stehen lässt. Es ist die Art, wie wir täglich unsere eigenen Wahrnehmungen mit Füßen treten. Sodass es, solange es nicht um die Wahrheit geht, um nichts geht. Nichts wird es geben. Nichts außer diesem globalen Irrenhaus. Die Wahrheit ist nicht etwas, wonach man greifen müsste, sondern eine nicht ausweichende Beziehung zu dem, was da ist. Ein »Problem« ist sie nur für diejenigen, die bereits im Leben an sich ein Problem sehen. Sie ist nicht etwas, was man kundtut, sondern eine Art, in der Welt zu sein. Sie lässt sich also nicht besitzen, und genauso wenig akkumulieren. Sie findet in bestimmten Situationen und von Augenblick zu Augenblick statt. Wer die Falschheit eines Wesens, das Verhängnisvolle einer Repräsentation oder die Kräfte, die hinter dem Spiel der Bilder wirken, wahrnimmt, entzieht ihnen jede Macht über sich. Die Wahrheit ist volle Präsenz bei sich selbst und der Welt, vitaler Kontakt mit der Wirklichkeit, geschärfte Wahrnehmung der Gegebenheiten der Existenz. In einer Welt, in der alle spielen, sich jeder in Szene setzt, wo man umso mehr kommuniziert, je weniger tatsächlich gesagt wird, löst allein das Wort »Wahrheit« schon Lähmung, Gereiztheit oder Gekicher aus. Was in dieser Zeit an sozialem Verhalten vorhanden ist, hat die Gewohnheit angenommen, sich auf die Krücken der Lüge zu stützen, sodass man ohne sie gar nicht mehr weiterkommt. Es geht nicht darum, die »Wahrheit zu proklamieren«. Jenen die Wahrheit zu predigen, die nicht einmal minimale Dosen davon ertragen würden, bedeutet nur, sich ihrer Rache auszusetzen. Im Folgenden erheben wir keineswegs den Anspruch, »die Wahrheit« auszusprechen, sondern unsere Wahrnehmung der Welt, das, was uns wichtig ist, uns aufrecht und lebendig hält. Es gilt aufzuräumen mit dem gesunden Menschenverstand. Wahrheiten gibt es viele, aber nur eine Lüge, denn sie hat sich überall gegen die geringste Wahrheit verschworen, die an die Oberfläche kommt.

    Jahraus, jahrein hält man uns mit Tausenden Bedrohungen wach, die uns umgeben – den Terroristen, den inneren Störenfrieden, den Migranten, dem Faschismus, der Arbeitslosigkeit. So geht vor dem Hintergrund unvollendeter Komplotte und Hunderter abgewehrter Katastrophen der unerschütterliche Trott der kapitalistischen Normalität weiter. Unruhen ist die paradoxe Tugend zuzuschreiben, dass sie uns von der fahlen Ängstlichkeit befreien, die man uns Tag für Tag mittels Patrouillen bewaffneter Soldaten, Breaking News und Regierungsverlautbarungen einzuimpfen versucht. Und das können die Liebhaber dieser Trauerprozessionen namens »Demonstration« nicht hören, all jene, die bei einem guten Glas Rotwein dem bitteren Vergnügen frönen, eine Niederlage nach der anderen einzustecken, all jene, die großmäulig »Sonst knallt es!« herauslassen, bevor sie wieder brav in ihren Bus einsteigen. In den Straßenkämpfen hat der Feind, ob in Zivil oder in Kampfmontur, ein definiertes Gesicht. Er wendet hinreichend bekannte Methoden an. Er hat einen Namen und ein Amt. Im Übrigen ist er »Beamter«, wie er nüchtern erklärt. Auch der Freund hat erkennbare Gesten, Bewegungen und Erscheinungsbilder. Unruhen zeichnen sich durch die Glut der Gegenwärtigkeit bei sich selbst und den anderen, durch ein klares Gefühl der Zusammengehörigkeit aus, das zu erzeugen die Republik

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