Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Wagner und die Neue Musik
Wagner und die Neue Musik
Wagner und die Neue Musik
eBook407 Seiten5 Stunden

Wagner und die Neue Musik

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

S. Mauser: Wagner und die Neue Musik
W. Rathert: Offene Feinde und heimliche Freunde - Ursprünge und Motive des Anti-Wagnerismus in der Moderne
W. Hopp: Stimme als Paradigma - Wagner, Stockhausen: zwei musikalisch-„phonetische“ Zugänge zur tönenden Welt
M. Zenck: Wagner in perspective: Luigi Nonos Prometheo, Pierre Boulez und Wieland Wagner in Osaka/Bayreuth
M. Schwartz: „Der Unhold Wagner frisst alles.“ - Französischer wagnérisme nach Debussy – Julia Cloot: Gesamtkunstwerk und multimediales Musiktheater
S. Vill: Ring-Modulationen - Wagners Ring des Nibelungen in transmedialen Transformationen – Aufsätze: A. Jeßulat: Vergessen im Ring des Nibelungen - Zwischen Stilbruch und komponierter Geschichtsphilosophie
L. Lütteken: Der Wanderer und das Schwert - Siegfrieds Gesang an der Schmiede
Y. Nilges: Le vin herbé - Tristan nach Tristan. Frank Martins Post-Wagnerismus
Interviews: Mein Verhältnis zu Wagner - Zeitgenössische Komponisten zu Wagner
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Sept. 2014
ISBN9783826080043
Wagner und die Neue Musik

Ähnlich wie Wagner und die Neue Musik

Ähnliche E-Books

Musik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Wagner und die Neue Musik

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Wagner und die Neue Musik - Udo Bermbach

    Autoren

    Aufsätze zum Schwerpunkt

    Wagner und die Neue Musik

    Siegfried Mauser

    Dass Wagners Werk selbst die neue Musik seiner Zeit repräsentierte, steht außer Zweifel. Neben der zeitgenössischen Selbstverständlichkeit, Fokus und Orientierungspunkt der „Fortschrittspartei" zu sein, bestätigt dies besonders eindrücklich die unmittelbar anschließende, ebenso emphatische wie nachhaltige Rezeption der französischen Avantgarde des literarischen Symbolismus seit Baudelaire. Aber auch zu Beginn der Neuen Musik nach der Jahrhundertwende bleibt die Wirkmächtigkeit unübersehbar, in weitergedachten Ansprüchen der Idee des Gesamtkunstwerks – man denke nur an Skrjabins Mystères oder Schönbergs Glückliche Hand –, ebenso wie in der kompositionstechnisch nahezu omnipräsenten Auseinandersetzung mit dem Materialstand einer durchchromatisierten Tonalität. Am deutlichsten formulierten wohl die Vertreter der Wiener Schule ein entsprechend innovatives Geschichtsbild, das Wagners Errungenschaften seit dem Tristan als wesentlichen Schritt innerhalb der Teleologie von der erweiterten zur schwebenden Tonalität festschrieb. In Schönbergs Schaffen kann man diesen Dreischritt geradezu modellhaft nachvollziehen, etwa im Verhältnis von Werken wie Verklärte Nacht zu Pelleas und Melisande und schließlich den Klavierstücken op. 11.

    Nicht zu übersehen ist zudem der Sachverhalt, dass der Entwicklungsstand unmittelbar vor der Tonalitätsauflösung um 1910, die ein zentrales Signum des Beginns tatsächlich Neuer Musik (eben mit großem „N") ausmacht, nämlich die satztechnische Formulierung schwebender Tonalitätsverhältnisse, nahezu programmatisch bereits bei Wagner vorliegt: Schon die gestisch-expressiven Formeln am Beginn des berühmten Tristan-Vorspiels mit seinem gar nicht so kryptischen Akkord, der unmissverständlich die Bedeutung einer mehrfach alterierten Doppeldominante hat, enden jeweils auf den traditionellen Spannungsklängen von Dominantseptakkorden, die allerdings selbst nicht mehr aufgelöst werden, vielmehr, jetzt eine Formulierung Weberns paraphrasierend, die Grundtonart (in diesem Falle a-Moll), die zumindest dem Vorspiel zugrunde liegt, jedoch nie direkt erklingt, gleichsam schwebend im Hintergrunde halten. Sie bleibt zwar eine Art imaginäre, verpflichtende Bezugsgröße, tritt jedoch als solche nicht mehr direkt in Erscheinung.

    Auch am Beginn der Neuen Bildenden Kunst als abstrakter muss zumindest am Beispiel Kandinskys ein nachhaltiger Einfluss Wagners reklamiert werden, erneut nicht nur als Orientierung an Konzepten eines Gesamtkunstwerks, wie sie der „Gelbe Klang repräsentiert, sondern einer generellen Geisteshaltung, die eine spirituell-ästhetische Bekenntniskultur betreibt und, wie in Kandinskys Programmschrift „Über das Geistige in der Kunst, entsprechend begründet. Das dort entwickelte Denken in Kategorien einer Art geistiger Organizität, die den Weg zu entscheidender Konzentration auf das Wesentliche weist, und damit letztlich den Schritt in die Abstraktion systematisch und historisch begründet, zeigt nicht nur Parallelen zu den ästhetischen Legitimationsstrategien Schönbergs, sondern darüber hinaus auch zum geschichtsphilosophischen Konstrukteur Wagner.

    Allerdings erfolgte die positiv konnotierte Auseinandersetzungsgeschichte mit Wagners Werk zu Beginn der Neuen Musik nicht flächendeckend und bruchlos; gerade die radikalen Absetzungstendenzen der französischen Musik um 1910 – mit Satie und Debussy als Protagonisten – suchen, wenn auch mit Bezug auf Wagners Werk, eine dezidierte Alternative. Die Ablehnung und ironische Kritik des Wagnérisme und des als allzu dominant wahrgenommene Einflusses der deutschen Musik auf die französische Romantik veranlassten eine Gegenposition, die sich kompositionstechnisch vor allem bei Debussy an der als Mechanik wahrgenommenen Leitmotivtechnik entzündete. Die Ambivalenz einer gesuchten Alternative einer spezifisch französischen Musikgeschichte zeigt sich allerdings in Debussys bleibender Verehrung für den Parsifal, dessen Spuren unverkennbar im eigenen, zentralen Musiktheater von Pelléas et Mélisande wieder zu finden sind. Allerdings sind die avancierten Werke wie das Ballet Jeux oder das Klavierprélude Brouillards, die Debussys Komponistenpersönlichkeit als eine der Vaterfiguren der Neuen Musik bestätigen, tatsächlich jenseits irgendeiner spürbaren Einflussnahme durch das Werk Wagners entstanden. Ihre „Klangchemie", so eine treffende Beschreibung des Komponisten Dieter Schnebel, verdankt sich einer innovativen Strukturbildung freigelassener Klanglichkeit, die weitestgehend die konventionellen Anziehungskräfte funktionaler Tonalität abgestreift hat und in freiem Spiel naturhaften Aktions- und Reaktionsverhältnissen zu gehorchen scheint.

    Aber auch die frühen, motorischen Entfesselungsrhythmen des jungen Bela Bartók (z.B. in Allegro barbaro), Sergej Prokofjews (z.B. in der Erstfassung der dritten Klaviersonate) und natürlich auch Igor Strawinskys Sacre du printemps verlaufen außerhalb des Nachwirkungskreises Wagner’scher Musik. Sie formulieren vielmehr im eigentlichen eine radikale Alternative, da das Ideal eines organisch verwobenen Klangstroms durch Kunstfertigkeiten kleinsten Übergangs (Chromatik und Leitmotivtechnik) gänzlich aufgegeben und die musikalische Wahrnehmung auf die Fixierung der je einzelnen Zählzeiten, der Abfolge von Schlägen und deren reguläre bzw. irreguläre Anordnungsformen bezogen ist. Musikalische Zeit verläuft in harten Schnittmustern und drastischen Impulsreihen – eine radikale Gegenposition zum naturhaften Organizitätsdenken Wagners.

    Trotz dieser Einschränkungen leistete Wagners Werk, einstmals Orientierung und Speerspitze des Fortschritts, auch am Beginn der Neuen Musik einen höchst bedeutsamen rezeptionsästhetischen Beitrag, wenn auch nicht exklusiv. Schon Alexander Zemlinsky hatte z.B. Arnold Schönberg als väterliche Lehrerperson die Anweisung mitgegeben, im eigenen Komponieren eine Integration zwischen Wagner’schen Errungenschaften, die vor allem im Bereich der Harmonik, Klangfarbe und prosaischer Motivbildung gesehen wurde, mit solchen von Brahms, die zentral dessen Kunst rhythmischer Polivalenzen und einer enorm verfeinerten motivischen Variations- und Verarbeitungstechnik betreffen, zu suchen. Diese Aufgabe stellte sich mehr oder weniger direkt vielen Komponisten der Jahrhundertwenden-Moderne, vor allem jenen der deutschösterreichischen Tradition wie Richard Strauss, Gustav Mahler und eben auch dem jungen Schönberg. Diese Moderne bildete tatsächlich den Vorhof zur Neuen Musik, die dann zunächst im Werk Schönbergs und seinen Schülern realisiert wurde – auch hier also ein Beitrag von Wagner-Rezeption neben anderen.

    In der zweiten Entwicklungsphase der Neuen Musik, die man grob als satztechnische Konsolidierungsmaßnahmen ab den 20er-Jahren beschreiben könnte, kam es dann allerdings zum Bruch mit einer zuvor positiv konnotierten Wagner-Rezeption. Trotz der Spätblüte eines musikalischen Expressionismus – Bergs Wozzeck wäre hier zu nennen –, der sich immer seiner Wagner’schen Wurzeln bewusst blieb, und eines mittlerweile anachronistischen Überhangs wagnerianischen Komponierens, wurde die Zeit von (Neo)klassizismus, Klassizität und Neuer Sachlichkeit geprägt, deren Hauptvertreter wie Strawinsky und Hindemith, etwas später die Vertreter der „Group de Six, aber auch Kurt Weill und Hanns Eisler und sogar der dodekaphone Schönberg einen deutlich antiwagnerianischen Impuls zumindest mit sich trugen. Das deutliche bis aggressive Distanzverhalten zu Person, Werk und Weltanschauung Wagners unterstellt ihm die Inszenierung unangemessener phantasmagorischer Zustände – Theodor W. Adorno wird dieses Argument in seinem „Versuch über Wagner aufgreifen – und eine gefährliche, wirklichkeitsferne Ideologiebildung. Die Folge davon war eine radikale Spaltung der Wagner-Rezeption in eine emphatisch-konservative und schließlich deutschtümelnd reaktionär-faschistoide, die dann in den Wagner-Kult der Nazi-Zeit mündete, und eine ebenso radikal-ablehnende der rebellierenden Avantgarde, die dann in ein inneres oder äußeres Exil gezwungen wurde. Kompositionstechnische Aspekte des einstmals radikal fortschrittsorientierten Tonsetzers blieben in diesem Kontext entweder weitgehend unbeachtet oder wurden verdrängt und negiert. Die ideologische Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten demontierte die kompositionsgeschichtlich-ästhetische Bedeutung für die Entstehung und erste Entfaltung der Neuen Musik fast vollständig, die Aufbruchsenergien der Wagner’schen Musik schienen vergessen, überlagert oder marginalisiert. Auf gewisse Weise bestätigt dieser Verlauf der Rezeption von Wagners Werk und Ästhetik die Entwicklungsschübe der Neuen Musik selbst: Der emphatischen Bezugnahme am Beginn folgte die Distanzierung innerhalb der Stabilisierungsansätze, die dann im Kontext der Kulturbarbarei des Faschismus zur Ablehnung führte, die letztlich eine natürlich sich weiterentwickelnde Konsolidierung von Tonsatzprinzipien der Neuen Musik folgenreich behinderte.

    Die differente Rezeption von Wagner in der Geschichte der Neuen Musik der ersten Jahrhunderthälfte prägte zumindest teilweise auch die der zweiten, letztlich bis auf den heutigen Tag. Innerhalb einer geschichts- und gesellschaftskritischen Avantgarde war schwerlich Platz für das ideologisch belastete Werk, auch wenn gelegentlich kompositionstechnische Errungenschaften anerkannt wurden – Helmut Lachenmann wäre in diesem Zusammenhang als einer der wichtigsten Protagonisten zu nennen. Allerdings gab es schon in der unmittelbaren Nachkriegsgeneration gewichtige Ausnahmen, die gerade auf solche Einzelaspekte rekurrierten. Beispielsweise verdankt die spirituelle Modalität Olivier Messiaens mit ihrem leuchtenden Farbspektrum und der sakralerotischen Sinnlichkeit sicherlich einiges dem Wagner’schen Modell. Eine Generation zuvor muss wohl auch ein gewisser Einfluss Wagners auf die Klangkörperhaftigkeit der groß dimensionierten Orchesterwerke von Edgar Varèse konstatiert werden, und selbst die heteronomen Klangschichten eines Charles Ives, der nicht ohne Humor behauptete, er sei einfach besser als Wagner, verraten eine gewisse Nähe. Diese verläuft in den letztgenannten Fällen, so unterschiedlich sie im einzelnen auch sein mögen, über eine der auffälligsten Errungenschaften der Wagner’schen Musik, jenseits des Moderne-Topos fortgeschrittener Chromatik: Die von Carl Dahlhaus treffend als „Aktionszentren" charakterisierten Klangflächenkompositionen, die eine eigene Zeitkonstitution neben der linear verlaufenden des Leitmotivgewebes erzeugen, hatten als Modell für die Entwicklung der Neuen Musik ab den 60er-Jahren eine unerhörte Bedeutung. Bei Wagner findet man sie meist an zentralen Knotenpunkten des Handlungsfortgangs, den sie entweder eröffnen (z.B. im Rheingold-Vorspiel), prominent markieren (z.B. im „Waldweben" aus Siegfried) oder wirkungsvoll beschließen (z.B. im „Feuerzauber" aus der Walküre). Hier erreicht der musikalische Zeitverlauf durch meist kreisläufige Figurationsfelder eine neue Qualität klangräumlicher Zuständlichkeit, die sich in den vielfältigen Artikulationsformen der Klangkompositionen von Penderecki bis Ligeti und etlichen Varianten bis heute wiederfindet – Wagners Modell scheint hierfür, jenseits unterschiedlichster Realisierungsformen in technischen Details, ihr quasi archetypisches Vorbild zu sein. Jenseits der nach wie vor ungeklärten Kernfrage, welche Musik nach 1945 tatsächlich zum Bestand einer avantgardistisch sich verstehenden Neuen zu zählen sei, finden sich natürlich im Bereich dessen, was etwas oberflächlich-despektierlich „gemäßigte Moderne" genannt wird, vielfältige Wagner-Bezüge – besonders eindrucksvoll und deutlich wohl bei Benjamin Britten, dessen Tod in Venedig, sicherlich nicht zufällig über den Bezug auf Thomas Mann, eine Art revitalisiertes Musikdrama abgibt.

    Aber auch Pierre Boulez als eine der Zentralfiguren der Darmstädter Avantgarde und damals mit der radikalste Wortführer einer bedingungslosen Fortschrittsideologie im Zeichen des Serialismus, fand, trotz konsequent antifaschistischer Impulse und radikaler Absetzungstendenzen von der Vergangenheit, früh versöhnliche Worte, vermittelt allerdings durch seine dirigentische Tätigkeit. Wieland Wagner hat ihn 1966 nach Bayreuth geholt, wo er den bis heute schnellsten Parsifal dirigierte, und 1976 wurde ihm schließlich von Wolfgang Wagner die Leitung des Jahrhundertrings überlassen. Bereits im Jahr 1968, inmitten der rebellischen Studentenunruhen, fällt folgende bemerkenswerte Äußerung: „Der Text drückt die Ideologie aus, aber die Musik bleibt ihr gegenüber hartnäckig verschlossen."¹ Boulez versucht hier den revolutionären Charakter der Wagner’schen Musik zu retten – und hierbei steht er wohl auch in der Tradition der französischen Wagner-Verehrung seit Beginn der Moderne –, indem er das Integral des intendierten Gesamtkunstwerks Wagners auflöst und die als obsolet wahrgenommene Sprachschicht als Ausweis reaktionärer Ideologie konsequent von den kompositorischen Errungenschaften trennt, die davon nicht beschädigt werden können.

    Selbst unter den dezidiert antifaschistisch und gesellschaftskritisch agierenden Vertretern Neuer Musik gibt es zumindest einen prominenten Wagner-Sympathisanten, der nicht nur die Wesendonck-Lieder instrumentierte, sondern auch ein Hauptwerk seines Konzertschaffens an Wagner orientierte: Hans Werner Henzes Tristan für Klavier, großes Orchester und Zuspielungen vertritt ein klassisches Beispiel seiner Ästhetik eines imaginären Theaters, das sich hier u.a. in einem spannungsreichen Bild einer kompositorischen Auseinandersetzung von Wagner und Brahms (beide werden zitiert) entwickelt. Dem monumentalen Werk liegen einige Klavierstücke zugrunde, die dann später aus der Partitur herausgelöst wurden und sich als Präludien zu Tristan in ihren vielfachen Umspielungstechniken der Tristan-Harmonik als eigentlicher Kern des Werks erweisen. Die wohl gewagteste Parallelisierung findet sich bei Nike Wagner, die am Ende ihres vor allem kulturgeschichtlich höchst aufschlussreichen Beitrags „An des Wahnes Faden – Wagners Nachwelt"² die provozierende Frage stellt: „John Cage ein Wagner unseres Jahrhunderts?"³ Das mäandernde Freilassen kompositorischer und klangzeitlicher Vorgänge im Werk Wagners wird mit Recht, trotz der natürlich offensichtlichen ästhetischen Divergenzen, in den Blickwinkel Cage’schen Komponierens gerückt. Dem gegenüber erscheint die Parallel-konstruktion der ästhetischen Ansprüche Karlheinz Stockhausens, vor allem in seinem monumental entworfenen und noch immer nicht im Ganzen aufgeführten Gesamtkunstwerk Licht, das in einer individuellen Privatmythologie die sieben Wochentage vertont, relativ auf der Hand zu liegen und wurde bereits 1984 in einem umfangreicheren Beitrag des Komponisten Klaus K. Hübler thematisiert.⁴ Von der Intention, einen eigenen Wallfahrtsort zu kreieren, bis zum Anspruch einer totalen Aufschlüsselung mythischer Weltbedingtheit reichen die Parallelen, und selbst das kompositionstechnische Rekurrieren auf Formeln, die auseinander hervor wachsen, lässt Beziehungen zu Wagners Absichten erkennen.

    In der aktuellen Neuen Musik fällt besonders die emphatische Bezugnahme des so genannten „Komplexismus" auf Wagners Werk auf. Im Jahr 1999 wird von einem seiner Hauptvertreter Claus-Steffen Mahnkopf ein Sammelband herausgegeben,⁵ der in einem programmatischen Text als entscheidende Wegmarke der Entwicklung einer komplex sich verstehenden Moderne Wagner ins Blickfeld rückt: „Wagner ist zwischen Beethoven und Schönberg die Etappe des musikalischen Fortschritts im Sinne höherstufiger technischer Rationalität."⁶ Im Sinne eines strukturellen Überschussverhaltens, das komplexe Musiksprachen auszeichnet, wird eine Theorie des kompositorischen Systems Wagners entworfen. Etwas gewaltsam erscheint die historisch zentrale Konstruktion, dass im harmonischen Denken Wagners zugleich der Höhe- und Endpunkt tonaler Differenzierung erreicht sei und auf allen Ebenen der Komposition eine gleich hohe Komplexität der Gestaltung vorliegt. Angesichts gelegentlich etwas äußerlicher Leitmotivaneinanderreihungen, z.B. im I. Akt des Siegfried, der ja beim Komponisten selbst eine gravierende Krise auslöste, und den immer wieder vorzufindenden Sequenzmechaniken erscheint die komplexistische Überhöhung des Wagner’schen Tonsatzes durchaus etwas herbeigezwungen, ohne dabei natürlich die enormen Differenzierungsqualitäten, die dann letztlich als Vorstufe eigenen Komponierens gesehen werden, zu gering zu schätzen. Dennoch gälte es, an kompositorischen Details die „mindestens sechs (innovativen) Ebenen"⁷ des Wagner’schen Werks zu überprüfen. Darüber hinaus zeigt sich jedoch in dieser gesuchten Beziehung eine neue Dimension der Rezeption Wagners innerhalb der Neuen Musik: Sie verrät jetzt eine kompositorischkritische Annäherung, die noch in der Avantgarde der 50er- und 60er-Jahre gerade zur Ablehnung Wagners geführt hatte.

    Sicherlich ist das gesamte Panorama des vorgegebenen Themas nicht flächendeckend verhandelt – letztlich könnte dies nur innerhalb eines umfangreicheren Forschungsprojekts erfolgen. Dennoch zeigen die verschiedenen aufgezeigten Fluchtlinien eine vielfältige Präsenz, die gerade durch ihre individuellen Perspektiven besticht: Wagner ist und war nie tot, wie das Pierre Boulez auf provozierende Weise der Figur Arnold Schönbergs zugeschrieben hatte.

    Siegfried Mauser: Wagner and the „Neue Musik"

    The work of Wagner, representing the „neue Musik of his own time, has in various ways exerted tremendous influence on the development of music after 1900. This applies not only to works by Schönberg but also to works by Skryabin, Debussy, Bartok, Berg, and others. During the second stage of the „Neue Musik, beginning in the 1920s, the reception of Wagner fell into two distinct camps: those who maintained an emphatically conservative relationship to Wagner; and an avant-garde radically opposed to him. In the final analysis, this split, even today, continues to shape the development of music. In contradistinction to what Pierre Boulez said of Schönberg, Wagner is not now nor has he ever been dead.

    ____________

    ¹Zitiert nach Nike Wagner, Traumtheater. Szenarien der Moderne , Frankfurt/M. 2001, S. 318.

    ²Ebenda, S. 302ff.

    ³Ebenda, S. 322.

    ⁴Klaus K. Hübler, Und doch bin ich Mensch geworden – Karlheinz Stockhausen oder der Komponist als Gottessohn, in: Unsere Wagner. Joseph Beuys, Heiner Müller, Karlheinz Stockhausen, Hans-Jürgen Syberberg , hrsg. von Gabriele Förg, Frankfurt am Main 1984, S. 85ff.

    Richard Wagner – Konstrukteur der Moderne , hrsg. von Claus-Steffen Mahnkopf, Stuttgart 1999.

    ⁶Claus-Steffen Mahnkopf, Wagners Kompositionstechnik, in: Ebenda, S.163.

    ⁷Ebenda, S. 162.

    Offene Feinde und heimliche Freunde

    Ursprünge und Motive des Anti-Wagnerismus in der Moderne

    Wolfgang Rathert

    Für William Kinderman

    und Kathrine R. Syer

    I.

    Die Rezeption des Werkes von Wagner im 20. Jahrhundert ist bislang nicht systematisch erforscht worden. Wohl erscheint sein Name in zahllosen Darstellungen zur Musikgeschichte des letzten Jahrhunderts, meistens – kaum überraschend und völlig zu Recht – im Zusammenhang mit der Entwicklung des Musiktheaters zur Literaturoper,¹ selten aber hinsichtlich der ästhetischen Frontstellungen, die es provoziert hat. Während eine weltweite Hörergemeinde und eine nicht geringe Zahl von Komponisten Wagners Musik als Kern des musikalischen Kanons des 19. Jahrhunderts uneingeschränkt verehrt oder akzeptiert, sind die Motive der Gegner oder gar Feinde Wagners kaum untersucht worden. Fragt man nach den Gründen, so wäre es noch vor einem halben Jahrhundert selbstverständlich gewesen, darauf mit dem Hinweis zu antworten, dass Wagners Werk die eigentliche Zäsur sei, mit der das „lange" 19. Jahrhundert abgeschlossen und damit auch das Ende der von Wagner selbst wesentlich herbeigeführten Vorherrschaft der Dur-Moll-Tonalität herbeigeführt wurde. Tristan und Isolde standen für diese Auflösung der Tonalität und den Ausblick auf eine nicht mehr von Formen, sondern von Energien bestimmte Musik, der Ring der Nibelungen als Metapher für den Untergang einer alten Welt und die Wiederkehr des Mythos in der Prä-Moderne. Aber mit dem Parsifal folgte ein hybrides Werk, von dem kaum zu entscheiden war, ob es Abschluss oder Aufbruch war; seine Thematik scheint das letzte Wort zur einer das 19. Jahrhundert durchziehenden Kontroverse um die Frage der „Kunstreligion" zu sein, mit der Wagner zu den frühromantischen Wurzeln seiner Musikästhetik zurückkehrte. Zugleich ist die Musik Spiegel der ihn prägenden stilistischen Einflüsse (einschließlich der vielgeschmähten grande opera, deren Tableau-Technik hier in äußerstem Raffinement verwendet wird); die überwältigende Wirkung auf die nachfolgende, internationale Komponistengeneration und die Konsequenzen legt indes letzteres nahe. Wie weit die unmittelbare musikgeschichtliche Wirkung von Wagners Werk reichte, ist indes keineswegs ausgemacht: Endet sie mit der vielbeschworenen (aber deswegen nicht unbedingt triftigen) „Urkatastrophe (George F. Kennan) des Ersten Weltkriegs und dem Untergang des alten europäischen Staatensystems, woraus in den 1920er-Jahren zwangsläufig eine regelrechte Wagner-Abstinenz unter den Gegebenheiten der „Neuen Sachlichkeit folgte? Oder reicht sie bis zum Ende des nächsten Weltkriegs und wird literarisch durch Thomas Manns Doktor Faustus besiegelt, ein Roman, der als Nach- und Abgesang auf das 19. Jahrhundert zugleich ein Spiel mit den Mythen der Musikgeschichte war und einen kühnen, aber plausiblen Zusammenhang von Beethoven, Wagner und Schönberg schuf? Manns Berater Theodor W. Adorno hätte seine problematische, gleichwohl unterschätzte Wagner-Monografie nach 1945 wohl nicht mehr schreiben können, da ihr noch jenes 19. Jahrhunderts nahe ist, dem Rudolf Kassner mit seinem 1947 veröffentlichten Buch einen faszinierenden Nachruf schrieb, in dem er den transitorischen Charakter und die „Vermittlungsleistung des Jahrhunderts betonte, aber auch den Zusammenhang zwischen dem Siegeszug des Idealismus und seiner Kehrseite, dem Surrogat („Philosophie als Ersatz für Religion, Konzerthaus oder Theater als solcher für Kirche²). Und hier würde eine fundamentale Wagner-Kritik wohl anzusetzen sein, nämlich die Fragwürdigkeit eines Versuchs, mit den Mitteln des äußersten Surrogats seine eigene Künstlichkeit (und damit seinen Kunstcharakter) aufzuheben.

    II.

    Lohnt es sich demnach überhaupt, den Reaktionen auf Wagner im 20. Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg nachzugehen, wo doch das musikalische und geistige Vermächtnis spätestens 1945 an ein Ende gekommen schien? Sie waren mit der Katastrophe des Nationalsozialismus verbunden, sodass Wagner zu einer Hassfigur der Linken werden konnte – zu einem Antitypus Hitlers, wie ihn Ken Russell in seinem Film Lisztomania (Großbritannien 1975) ebenso überzeugend wie geschmacklos bezeichnet hatte. Eine solche Perspektive, so einleuchtend und attraktiv sie zunächst sein mag, verkennt oder unterschätzt die Dialektik der Musikgeschichte. Wagners Werk lebte weiter, und zwar – so banal es klingen mag – zunächst in Werken und ästhetischen Haltungen nachfolgender großer Komponisten wie Debussy oder Schönberg, aber auch nach 1945 in mäandernden, unterirdischen Strömungen, die Hans Werner Henze andeutete, als er 1966 anlässlich der Uraufführung der Bassariden die Überzeugung äußerte, „dass der Weg von Wagners Tristan zu Mahler und Schönberg noch lange nicht ausgeschritten ist, und mit den Bassariden habe ich versucht, ihn weiterzugehen."³ Auch galt die Kritik an der Ambiguität von Henzes Musik (wie auch der an Mahlers oder Schönbergs), ihrem Oszillieren zwischen revolutionären Gesten und altmeisterlichen Attitüden, mitunter eigentlich dem Übervater Wagner. Und auch die totgesagte Tonalität erlebte eine Wiederauferstehung zu Beginn der 1970er-Jahre, als sich postmoderne Positionen durchsetzten. Zwar gab es keine bekennenden Wagnerianer unter den jungen Komponisten mehr, die gerade durch das Jahr 1968 gegen die alten Götter immunisiert worden waren, mehr, aber die monumentale Klangsprache Wagners mit ihren Extremen von Rausch und Ikonostase bot sich immer wieder als ein Versuchsfeld an, wie etwa das Werk Wolfgang Rihms zeigt.

    Die Auseinandersetzung mit Wagner war nach 1945 zunächst hauptsächlich der Deutung seines musikdramatischen Werks gewidmet, (noch) nicht den möglichen kompositorischen Konsequenzen. Wieland Wagners Inszenierungen in Bayreuth schufen ein neues, anti-historistisches und gegen die begangene ideologischen Vereinnahmung gerichtetes Paradigma, während die musikalische Interpretation weiterhin in den Händen bewährter Kräfte wie Knappertsbusch oder Keilberth lag. Dass ein dem Verdacht des Wagnerianismus abholder Komponist wie Paul Hindemith nach Bayreuth eingeladen wurde, war eher ein Akt der symbolischen Wiedergutmachung an einem von den Nationalsozialisten geschassten Protagonisten der Neuen Musik in der Weimarer Republik und besaß sogar eine staatstragende Geste durch den Umstand, dass Hindemith in Bayreuth die Neunte Symphonie von Beethoven dirigierte. Hans Werner Henzes Wahlkampfrede für Willy Brandt und die SPD am geschichtsträchtigen und -mächtigen Ort Bayreuth 1965 lag auf einem anderen Feld, wenngleich politische, biografische und ästhetische Aussagen auch hier nicht zu trennen waren, wie Henzes ironische Verwendung des Wagner’schen Stabreims und seine subtilen Anspielungen auf den Revolutionär und Emigranten Wagner (und damit auf seine eigene Situation) für den Protest gegen die mögliche Aufrüstung der Bundesrepublik mit Kernwaffen zeigte.⁴ Erst mit Pierre Boulez wurde 1966 ein führender Komponist und Dirigent der Avantgarde eingeladen, Wagners Musik aus dem Geist der Avantgarde zu dirigieren und damit zu objektivieren – freilich aus einer französischen und nicht primär deutschen Perspektive und sicher nicht zufällig mit dem Parsifal. Dass die Inszenierungsgeschichte von Bayreuth mit der Einladung von Heiner Müller (Tristan und Isolde, 1996) und Christoph Schlingensief (Parsifal, 2008) Anschluss an die Avantgarde suchte und gewissermaßen die bisherigen „Feinde" einlud, zeigt indes, dass auch hier die alten Frontstellungen einer postmodernen Perspektive wichen. Mit Schlingensief war der Fluxus (oder das, was von ihm übrig geblieben war) auf dem Grünen Hügel angekommen – eine Entwicklung, die nun mit der künstlerischen Rezeption gleichzog.

    III.

    Es ist ein Gemeinplatz der Musikgeschichtsschreibung, dass das Verhältnis der musikalischen Moderne und Avantgarde zu Wagner erst nach 1918 abgekühlt und teilweise in einen regelrechten „Hass" umgeschlagen sei, die Wagner-Kritik dagegen schon früher – im Umkreis der schon zu Lebzeiten Wagners aus dem Boden sprießenden Parodien⁵ – eingesetzt habe. Tatsächlich ist auch diese Situation differenzierter zu betrachten, sowohl hinsichtlich der einzelnen Akteure als auch der jeweiligen nationalen Situation. Die Tatsache, dass Wagner im Kaiserreich eine übermächtige, nach seinem Tod geradezu unantastbare Stellung als Klassiker zu Lebzeiten einnahm – gewissermaßen das Pendant Goethes –, forderte desto stärker zum Widerspruch heraus, je stärker sein Werk ideologisch als staatstragend benutzt und sein revolutionärer Kern verdrängt wurde.⁶ Wagner selbst war daran beteiligt: In seiner Beethoven-Schrift von 1870 hatte er den gesellschaftskritischen, aufklärerischen und bürgerlich-revolutionären Gehalt von Beethovens Musik zugunsten einer pessimistischen (Schopenhauer), heroisierenden (Carlyle) und privatistischen, d.h. latent autobiografischen Sicht umgedeutet. Dies war umso bemerkenswerter und folgenreicher, als Wagner damit selbst – so erscheint es im Rückblick – den Weg zu einer ästhetisch progressiven Deutung und Rezeption seiner Musik in der aufbrechenden Moderne abschnitt, was die fatale (und im Einzelnen noch zu erhellende) Umdeutung seiner Gedankenwelt durch Cosima Wagner und Houston Stewart Chamberlain erst möglich machte.⁷ Eine weitere faszinierende Problematik kam hinzu: In welchen Deutungshorizont gehörte Wagners Musik? War sie Teil der Operngeschichte oder Teil einer umfassenden, also gattungsübergreifenden musikalischen Entwicklung? Der Blick auf die zeitgenössische und spätere Rezeption zeigt, dass hierauf verschiedene Antworten gegeben wurden: In der deutsch-österreichischen Instrumentalmusik traten Bruckner und Mahler das monumentale und symphonische Erbe an (mit entsprechenden gründerzeitlichen Symptomatiken), während Brahms – ungeachtet der „offiziellen" Feindschaft zu Wagner⁸ – und Schönberg aus dem genauen Studium der Partituren und intensiven Hörerfahrungen die wesentlichen intellektuellen und musiksprachlichen Konsequenzen zogen. Insbesondere Schönberg war, wie Constantin Grun in seiner umfassenden Studie⁹ gezeigt hat, in dieser Hinsicht der eigentliche Nachfolger Wagners, wenngleich diese Nachfolge durch den Einfluss Mahlers überlagert und verändert wurde, speziell was das Klangbild betraf. Eine Tagebuchnotiz Hanns Eislers aus den 1920er-Jahren demonstriert indessen, dass die nach 1900 geborenen Komponisten, die nach dem Krieg die Neue Musik gestalteten, diese Art der Rezeption als veraltet, wenn nicht sogar insgeheim als reaktionär empfanden:

    „Die Schönbergsche Musik ist im Grunde eine Reaktion auf das nachwagnersche Komponieren. […] Sie hat von Wagner […] Orchesterfarbe und Satz […] und einige harmonische Resultate übernommen und consequent weitergeführt."¹⁰

    Schönbergs spätere Rückkehr zur Tonalität hat nicht nur mit den Zwängen des amerikanischen Musiklebens zu tun, an dessen Geschmack er Konzessionen machen musste, sondern auch mit einer psychoanalytisch deutbaren Rückkehr des Verdrängten, wie Hans Keller feststellte.¹¹ Noch einmal treten die beiden Antipoden Brahms und Wagner in den Horizont: Brahms überdeutlich im Klavierkonzert op. 42, Wagner subtil in den gestischen Tonfällen, der Instrumentation und der chromatischen Durchtränkung des Genesis-Prélude op. 44 aus dem Jahr des Weltkriegs-Endes 1945, das gleichermaßen an Rheingold und Tristan anschließt.¹² War dies ein symbolischer Akt, der Neuanfang und Katastrophe im Wagner’schen Sinn als unauflösliche, aber nur mythologisch zu begreifende Dialektik fasste, oder war mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch der Verlust der Dur-Moll-Tonalität unwiederbringlich vollzogen? Es scheint, dass Schönberg in der von ihm durch die Art und Folge dieser im kalifornischen Exil komponierten Werke die Spannung zwischen Brahms und Wagner – die über den Parteienstreit zwischen „Klassizisten und „Neudeutschen hinaus zum Bruch der musikalischen Einheit des 19. Jahrhunderts dramatisiert worden ist – in einer Weise thematisierte, dass der drohende Verlust einer gemeinsamen musiksprachlichen und kulturellen Basis zwar dem Hörer bewusst gemacht, aber noch ein letztes Mal suspendiert wird. (Man darf nicht vergessen, dass Schönberg die Zwölftontechnik als Aufhebung und Erweiterung der traditionellen Tonalität begriff, nicht als einen Ersatz.) Es ist bemerkenswert, dass Henze 1973 mit seiner Tristan-Musik (preludes für klavier, tonbänder und orchester) diese Konstellation noch einmal aufgreifen sollte, doch war die Tonalität hier bereits zu einer Metapher geworden und die gewaltsam gegeneinander gerichteten Zitate aus Brahms’ Erster Symphonie und Wagners Tristan-Vorspiel Ausdruck eines post-historischen und daher krisenhaften künstlerischen Bewusstseins.¹³

    IV.

    Kehrt man zum zweiten Strang der Wagner-Rezeption nach 1882 zurück, dem Musiktheater, so dominierte zumindest in der deutschsprachigen Oper der von vornherein aussichtslose und zum Scheitern verurteilte Versuch eines Epigonentums. Strauss zog – nach der Feuersnot – für sich andere Konsequenzen, während die eigentliche Erneuerung im Verismus stattfand, dessen Sujets und musikalische Mittel sich diametral zum Wagner’schen Entwurf des Musikdramas verhielten. Erst Schreker vermochte es, eine eigenständige Konzeption zu entwickeln, bei der auch maßgeblich ist, dass Text und Musik in einer Hand blieben. Dasselbe gilt dann für Schönbergs Moses und Aron und – cum grano salis – für die beiden Opern Bergs, deren Libretti eine erhebliche Umarbeitung der literarischen Vorlagen von Büchner bzw. Wedekind darstellen, und für Busonis Doktor Faust. Ausgerechnet Paul Hindemith begab sich dann ab Mathis der Maler ebenfalls in diese Tradition, und nach ihm – was nur auf den ersten Blick frappierend, aber durch die französische Wagner-Rezeption und ihre Auswirkungen auf die westdeutsche Nachkriegs-Avantgarde erklärlich – Karlheinz Stockhausen (Licht) und Olivier Messiaen (Saint Francois d’Assise). Die in Frankreich stattfindende Rezeption in der Oper und im lyrischen Orchesterlied – in

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1