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wagnerspectrum: Heft 2/2012, 8. Jahrgang, Schwerpunkt: Wagner und München
wagnerspectrum: Heft 2/2012, 8. Jahrgang, Schwerpunkt: Wagner und München
wagnerspectrum: Heft 2/2012, 8. Jahrgang, Schwerpunkt: Wagner und München
eBook456 Seiten5 Stunden

wagnerspectrum: Heft 2/2012, 8. Jahrgang, Schwerpunkt: Wagner und München

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Über dieses E-Book

Editorial
Aufsätze zum Schwerpunkt: D. Borchmeyer: „Barrikadenmann und Zukunftsmusikus“ - Richard Wagner erobert das königliche Hof- und National-Theater. Uraufführungen, Erstaufführungen und Inszenierungen Wagners in München 1855–1888 – V. Naegele: Richard Wagner und Ludwig II. von Bayern - Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft in München – M. Stephan: Die Hundertjahrfeier für Richard Wagner 1913 in München – E. Burmeister: Das Münchner Festspielhaus – Aufsätze – P. Gülke: Die Dresdner Jahre - Wagners „Achsenzeit“ – M. Schneider: „Dämmerndes Wähnen“ - Zu Wagners Lichtregie und Rezeptionsästhetik – H. Holzhauser: Der „Beidler-Prozess“ des Jahres 1914 - Isolde Beidler gegen ihre Mutter Cosima Wagner – D. Vergauwen: Wagner und die Freimaurer - Die Wagner-Mode in Brüssel (1870–1900) – U. Bermbach: „Buchgaden“ - Die Bibliothek von Houston Stewart Chamberlain – Besprechungen / Bücher – CDs / DVDs
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Sept. 2014
ISBN9783826080142
wagnerspectrum: Heft 2/2012, 8. Jahrgang, Schwerpunkt: Wagner und München

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    Buchvorschau

    wagnerspectrum - Udo Bermbach

    Kongresse

    Aufsätze zum Schwerpunkt

    „Barrikadenmann und Zukunftsmusikus" –

    Richard Wagner erobert das königliche Hofund National-Theater

    1

    Uraufführungen, Erstaufführungen und Inszenierungen Wagners in München 1855–1888

    Dieter Borchmeyer

    Vielverschlagner Richard Wagner

    Aus dem Schiffbruch von Paris

    Nach der Isarstadt getragner

    Sangeskundiger Ulyß!

    Ungestümer Wegebahner,

    Deutscher Tonkunst Pionier,

    Unter welche Insulaner,

    Teurer Freund, gerietst du hier!

    Georg Herwegh

    „Hand weg von meiner Partitur! Das rat’ ich Ihnen, Herr; sonst soll Sie der Teufel holen!"2 Diesen liebenswürdigen Appell richtet Richard Wagner im September 1869 an Kapellmeister Franz Wüllner, den der Münchner Hoftheaterintendant Karl von Perfall beauftragt hat, Das Rheingold zur Uraufführung zu bringen. Die Operngeschichte ist reich an Beispielen für verzweifelte und tragisch erfolglose Bemühungen von Komponisten, ihre Werke auf die Bühne zu bringen. Dass indessen ein Komponist die erste Aufführung seiner eigenen Oper zu hintertreiben sucht, hat Seltenheitswert.

    Fünf Opern Wagners sind am Königlichen Hof- und National-Theater uraufgeführt worden – drei davon gegen seinen Willen. Er scheint Aufführungen seiner Werke in München fast häufiger missbilligt als befürwortet zu haben – bis hin zu seinem erfolglosen Versuch, Separatvorstellungen des Parsifal für Ludwig II. in der bayerischen Hauptstadt zu verhindern. Noch in seinem allerletzten Brief vom 10. Januar 1883 sucht er den königlichen Freund davon abzubringen, „dieses mein Weltabschieds-Werk" von Bayreuth nach München zu verpflanzen.3 Nicht einmal Wagners Tod, der diesen Brief gewissermaßen zu seinem Letzten Willen machte, konnte den König zum Verzicht auf seinen Plan bewegen. Und so kam es denn am 3. Mai 1884 zur inoffiziellen Münchner Erstaufführung des Parsifal im Rahmen des Spielplans der königlichen Separatvorstellungen.

    München ist neben Bayreuth die Wagner-Stadt schlechthin. Kein anderer als Ludwig II. hat sie dazu gemacht. Als er den Thron bestieg, stand das hiesige Opernpublikum Wagner noch keineswegs enthusiastisch gegenüber. 1845 hatte der Komponist der Münchner Intendanz die Partitur des Rienzi geschickt – und sie unausgepackt zurückerhalten. Zum ersten Mal war am 1. November 1852 ein Werk von ihm in München erklungen: die Tannhäuser-Ouvertüre, von Franz Lachner im Allerheiligen-Konzert der Musikalischen Akademie dirigiert. Das Publikum reagierte damals teils ratlos, teils empört zischend. Ein Misserfolg auf der ganzen Linie, der sich auch in den Pressestimmen spiegelte. Gleichwohl plante Franz Dingelstedt, seit einem Jahr Intendant des Münchner Hoftheaters, eine Aufführung des Tannhäuser, und er nahm sogar schon Verhandlungen mit Wagner in seinem Züricher Exil auf. Doch Regierung und Presse protestierten: „Der Orpheus, welcher im Dresdener Mai-Aufstande [1849] durch sein Saitenspiel Barrikaden gebaut, ins Zuchthaus zu Waldheim [wo auch Wagners revolutionärer Freund August Röckel einsitzt] gehört er, nicht in das Münchner Opernhaus."4 Vor allem dem bayerischen Außenminister Ludwig von der Pfordten, der in den Revolutionsjahren Minister des Königs von Sachsen gewesen war und nun eine Wagner-Aufführung wegen der engen Beziehungen des bayerischen zum sächsischen Hof nicht verantworten wollte, war der „Barrikadenmann" ein Dorn im Auge. Nach der Münchner Lohengrin-Erstaufführung von 1858 bekennt er dem Schauspieler Philipp Schröder-Devrient seinen „persönlichen Widerwillen gegen Wagner":

    „Diese Überhebung der Persönlichkeit, wie sie in Richard Wagner auftrete, sei das zerstörende Moment unsres heutigen Lebens und Staatswesens, und wenn die Fürsten nur ein wenig zusammenhielten, wie die Demokraten es tun, so dürfte Wagnersche Musik nirgends aufgeführt werden."5

    Dingelstedt musste zunächst zurückstecken, doch zwei Jahre später konnte er bei König Max, der Wagner aufgeschlossen gegenüberstand, unterstützt von dem Wagner-begeisterten Herzog Max in Bayern (durch den einige Jahre später Kronprinz Ludwig Wagners Schriften Das Kunstwerk der Zukunft und Zukunftsmusik kennenlernen sollte) die Genehmigung zur Aufführung des Tannhäuser durchsetzen. „Wir wollen nicht sächsischer sein als der König von Sachsen", soll der König im Hinblick auf die Tatsache gesagt haben, dass auch das Dresdener Opernhaus wieder Werke Wagners in seinen Spielplan aufgenommen hatte.6 Am 12. August 1855 ging Tannhäuser unter der musikalischen Leitung von Franz Lachner zum ersten Mal mit triumphalem Erfolg über die Bühne des Hoftheaters. Die Bühnenbilder stammten von Heinrich Döll, Simon Quaglio und seinem Sohn Angelo, der zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Onkel (1778–1815) Angelo II genannt wird (die Quaglios waren eine aus aus Laino bei Como stammende, seit dem späten 18. Jahrhundert in der bayerischen Hauptstadt wirkende Maler- und Bühnenbildnerfamilie, deren Nachkommen bis heute in München leben). Die Kostüme der Tannhäuser-Erstaufführung stammten von Franz Seitz. Es ist das gleiche Team, das auch den ersten Münchner Lohengrin am 28. Februar 1858 aus der Taufe heben wird. Angelo II Quaglio, Heinrich Döll und Franz Seitz werden noch für die Ausstattung der von Wagner dirigierten Erstaufführung des Fliegenden Holländers (1864), der Uraufführungen von Tristan und Isolde (1865) und Die Meistersinger von Nürnberg (1868), ja überhaupt für alle Wagner-Inszenierungen der folgenden Ära zuständig sein.

    Anders als heute verhielt sich das Münchner Publikum des 19. Jahrhunderts dem Neuen gegenüber aufgeschlossener als die überwiegend konservative Kritik, die denn auch die Zuschauer wegen ihrer Begeisterung über den Tannhäuser als novitätenlüstern tadelte. Die Erstaufführung des Lohengrin zweieinhalb Jahre später freilich stieß beim Münchner Publikum auf weit weniger Enthusiasmus. Dass das Hof- und Nationaltheater wenige Jahre später zum Mekka des Wagnerianismus werden sollte, war jedenfalls trotz der Begeisterung von König Maximilian II. für Wagners letzte romantische Oper nicht im Entferntesten zu ahnen.

    Ludwig II. und Richard Wagner

    Der König und sein Mystagoge

    Weil einmal ein goldner Regen

    In den Schoß des Künstlers fällt –

    Ruiniere meinetwegen

    Alle Könige der Welt.

    Hol den Hort der Nibelungen,

    Den versunknen aus dem Rhein!

    Und was Orpheus einst gesungen,

    Sollt’ es dir unmöglich sein?

    Georg Herwegh

    Am 2. Februar 1861, also drei Jahre nach der Erstaufführung, gestattete König Max seinem fünfzehnjährigen Sohn Ludwig, den Lohengrin zu sehen. Dieser erste Besuch einer Wagner-Aufführung wurde für den Kronprinzen ebenso zum Schicksalstag wie die erste Begegnung mit Tannhäuser am 22. Dezember 1862. Beide Ereignisse beging der König alljährlich als Feiertag. „Ende Dezember (22.) waren es volle 7 Jahre, daß ich Tannhäuser, am 2. Febr. 8 Jahre, daß ich Lohengrin zum ersten Male hörte, schreibt Ludwig II. am 10. Februar 1869 an Wagner; „diese Tage sind für mich Feiertage, deren Bedeutung für mich und mein Leben nicht einmal durch die höchsten Festtage der Christenheit erreicht wird.7 Ein Zeugnis für die Transsubstantiation der ersten Begegnung mit dem jeweiligen Wagner-Werk in ein quasi kultisch erinnertes mythisches Urereignis, in ein Privatmysterium, das von dem sakralen Verständnis der eigenen Königswürde bestimmt ist. In einem Brief an Richard Wagner vom 3. Januar 1872 bezeichnet Ludwig II. die „ideal-monarchisch-poetische Höhe und Einsamkeit" als seine Lebenssphäre.8 Deren Mitte aber ist für ihn das Werk Wagners. Welche Bürde es für diesen war, seine Musikdramen als Königsmysterien vereinnahmt zu sehen, wird sich zeigen.

    Kaum hatte Ludwig II. mit achtzehn Jahren den bayerischen Thron bestiegen (10. März 1864), erteilte er dem als Kabinettsvorstand fungierenden Hofrat von Pfistermeister den Auftrag, den Komponisten aufzusuchen und nach München einzuladen. Die Berufung Wagners in die bayerische Hauptstadt ist von ihm selbst wie ein Wunder aufgenommen worden, und doch war sie von frappierender Folgerichtigkeit. Ein Jahr zuvor, in seinem Vorwort zur Herausgabe der Ring-Dichtung (1863), hatte Wagner den berühmten Appell an einen deutschen Fürsten veröffentlicht, in seiner Residenz ein Festtheater für die Aufführung der Tetralogie zu ermöglichen. „Wird dieser Fürst sich finden? fragt Wagner da, und er zitiert Fausts Übersetzung des ersten Verses des Johannes-evangeliums: „Im Anfang war die That.9 Der Fürst hat sich gefunden. „Der Satz, welchen Sie in der Vorrede zum Gedichte ‚Der Ring des Nibelungen‘ anführen", schreibt Ludwig II. am 26. November 1864 an Wagner, „soll in das Leben treten; ich rufe es aus: Im Anfang sei die That!"10 Der König hat Wagner wirklich im letzten Moment vom Abgrund zurückgerissen, in den er sich schon stürzen sah. „Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muß mir jetzt begegnen; sonst ist's aus! schreibt er am 8. April 1864 an Peter Cornelius. Und die Ahnung sagt ihm verblüffend, „daß dieses liebliche Wunder jetzt unterwegs ist.11 Sechs Tage später lässt Ludwig II. Wagner die Einladung nach München überbringen, mit einem Porträt des Königs und einem Ring im Portefeuille.

    Es ist ein naheliegender Einfall von Annette Kolb gewesen, diese Episode in dem auf familiengeschichtliche Erinnerungen der Verfasserin gestützten Büchlein König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner als „Märchen" zu erzählen:

    „So und nicht anders nahm der wunderschöne junge König den funkelnden Ring von der Hand und gebot seinem obersten Kämmerer, nach Richard Wagner zu fahnden, bis er ihn fände, um ihm den Ring zu überreichen. ‚Und führt ihn mir eilends zu‘, rief er aus, ‚denn ich will ihn sehen. Mein halbes Reich ist er mir wert!‘ Der oberste Kämmerer sah die Ungeduld seines Herrn und erkannte, daß er seines goldenen Schlüssels, seiner sämtlichen Chargen und des Adlerordens zweiter Klasse verlustig gehen würde, wenn er ohne den Mann zurückkehrte. So machte er sich unverzüglich auf den Weg und fuhr kreuz und quer im Lande herum, um ihn zu suchen. Doch wo er auf seine Spur geriet, verwischte sie sich alsbald, wie schnell er sie auch verfolgte. […] In einem Stuttgarter Gasthof gelang es ihm endlich. Hochaufatmend meldete er seinen Besuch, bestand darauf empfangen zu werden, ließ sich nicht abweisen, überbrachte die Botschaft des Königs und überreichte den Ring. Da fühlte Richard Wagner, insgeheim stets auf das Wunderbarste gefaßt, ein Rauschen wie von Adlerflügeln. […] Dem Drängen des obersten Kämmerers, sich sofort zur Reise zu bereiten, widersetzte er sich nicht. Von ihm begleitet, fuhr er nach München und folgte dem Ruf des Königs, der ihn, strahlend vor Glück, mit einer Begeisterung ohnegleichen empfing. Alles sollte für sein Werk geschehen. Alle seine Wünsche wollte er erfüllen. Als aber Wagner die edle Natur des wunderschönen jungen Monarchen gewahrte, da stieg auch in ihm ein Jubel auf, und der Hauch einer neuen Jugend umwehte ihn. Seiner Freunde gedenkend, nicht Einen vergessend berief er sie alle."12

    Er berief sie alle – doch es fragt sich, ob sie das passende Märchenpersonal waren. Zu ihnen gehörten immerhin auch Wagners revolutionäre Kampfgenossen aus Dresden: der Barrikadenbauer Gottfried Semper und der soeben erst (1862) aus dem Zuchthaus zu Waldheim entlassene Musiker und politische Schriftsteller August Röckel. Und das Märchen, zu dem Annette Kolb Wagners Berufung stilisiert, erhält in Martin Gregor-Dellins Wagner-Biografie (1980) den Titel: „Eine Farce, erstklassig besetzt". Dazu der Biograf:

    „Denn die angeblich märchenhafte, glänzende und triumphale Episode, die Königsfreundschaft, als Erfüllung eines Traums und Höhepunkt einer Karriere oft gefeiert, erweist sich im nachhinein als das elendste, beschämendste und intriganteste Intermezzo."13

    Es sei hier darauf verzichtet, die unerfreulichen menschlichen Aspekte dieser Beziehung, vor allem was das Verhalten Wagners betrifft, noch einmal zu repetieren. Die künstlerischen Aspekte waren kaum weniger fatal; die Ursache dafür ist – anders als im Falle des menschlichen Scheiterns der ‚Königsfreundschaft‘, das eher auf Wagner zurückzuführen ist – vornehmlich in der Veranlagung des Königs zu suchen, dem Zeitgenossen ein spezifisch musikalisches Auffassungsvermögen abstritten. Zu instrumentaler Musik hatte er keine Beziehung, und auch in der Oper sei ihm die Musik, wie Luise von Kobell bemerkt hat, „mehr Zutat als Selbstzweck gewesen, denn „der Schwerpunkt einer Oper lag für ihn in der Dichtung und in der Dekoration.14 Dass das freilich übertrieben ist, zeigt eine merkwürdige Mitteilung Pfistermeisters in seinem Brief an Cosima vom 4. Juni 1865: „Als ich neulich", so habe ihm der König erzählt,

    „nach einem größeren Ritte Nachts ein warmes Bad, stehend im großen Baderaume, nahm, klatschte ich zufällig mit beiden Händen, aber abwechselnd und mit verschiedener Kraft, auf die Fläche des Wassers. Der dadurch verursachte Tonfall erinnerte mich sofort an das Leitmotiv von Tristan, so daß die ganze Scene – Isolde an Tristans Leiche – mit allen Einzelheiten der Musik, wie gezaubert, mir im Ohre lag."15

    Wagners Opern boten dem König den Stoff für seine Träume, waren die Droge, welche ihm seine Ekstasen und „Wonnen ermöglichte. Wie seine Träume beschaffen waren, in welcher Weise er die musikalisierten Mythen Wagners auffasste, dafür sind seine Schlösser fragwürdig-lebendige Zeugnisse. Goethes Wort von der Architektur als „verstummter Tonkunst (Maximen und Reflexionen 1133) bestätigt sich in den Königsschlössern auf ganz besondere Weise; sie sind verstummte Wagner’sche Musik – so wie Ludwig II. sie hörte: als den Klanggrund eines inmitten der modernen prosaischen Lebenswirklichkeit wieder aufsteigenden, mystisch verklärten Mittelalters. Wagner, das ist für Ludwig II. die Gralswelt mit ihrem tönenden Zauber, den klingenden Wundererscheinungen von Schwan und Taube, heiligen Gegenständen, hieratischen Gebärden, gesalbten und salbungsvollen Herrschern, poetisierter Geschichte und Naturzauber, einer vom Tagesgetriebe fortziehenden nächtlichen Klangreligion. Der aus geheimnisvoller Ferne heraufziehende Schwanenritter Lohengrin, der sich allein durch sein Charisma legitimiert, jede Frage nach seinem Namen und seiner Art abweist, war von Kindheit an die Identifikationsfigur des Königs, über deren Horizont er im Grunde nie hinausgekommen ist.

    München ist zur Wagner-Stadt geworden, zur Stätte von vier Wagner-Uraufführungen zu Lebzeiten des Königs, weil dieser – ein Unikum in der Operngeschichte – in seinem Theater die Mysterien suchte, welche seine Königsidee bestätigten. Daher die Unbeirrbarkeit, mit der er immer wieder gegen den Willen und die künstlerischen Qualitätsansprüche Wagners die Aufführung seiner Werke durchsetzte. Das war nicht einfach Herrscherwillkür, die den Autonomieanspruch des Künstlers nicht achtete, oder der im Falle des Rings berechtigte (weil vertraglich vom Autor zugesicherte) Besitzanspruch des fürstlichen Mäzens, sondern der Wahn, sein Mysterium haben zu müssen wie der Gläubige die Spendung der Sakramente. Hier kollidierten die Interessen des Künstlers, dem es nur um die adäquate Realisierung seines Werks ging, und des königlichen Mysten, der ebensowenig der theatralen Aufführung entbehren konnte wie Priester und Kultgemeinde der Vollziehung eines durch den Festzyklus des Kirchenjahrs zeitlich festgeschriebenen Rituals. Daß dies keine Übertreibung ist, geht aus dem ‚Königsbriefwechsel‘ zumal zur Zeit der Rheingold- und Walküre-Uraufführungen und der geplanten Parsifal-Separatvorstellungen mehr als deutlich hervor.

    Ludwig II. hat sich Sage und Geschichte zu einem Privatmythos von autistischem Gepräge zurechtgebildet. Deutlichste Dokumente dafür sind die befremdliche Einrichtung der Separatvorstellung und eben die Königsschlösser, die nicht – als öffentliche Ostentation der Königswürde – in der Residenzstadt, sondern abseits von München in einem entlegenen Gebirgstal (Linderhof), auf einer Bergspitze (Neuschwanstein) oder auf einer Insel (Herrenchiemsee) gebaut wurden – allein für das königliche Auge bestimmt. Der Blick des Volkes sollte sie nicht ‚besudeln‘, und nach seinem Tod wollte er sie in die Luft gesprengt wissen. An die Stelle eines geschichtlichen Traditionszusammenhangs, der den legitimierenden Grund der Institution des Königtums bildet und in öffentlicher Repräsentation demonstriert wird, tritt eine von der Gegenwart abgelöste mystifizierte Geschichte, die eben nicht mehr an dem Ort, wo sie sich ereignet hat oder auf den sie als ihren Fluchtpunkt bezogen ist, vergegenwärtigt wird, sondern in ein weltentrücktes Traumimperium verlegt und von einem König zelebriert wird, der am Ende – wie er am liebsten für sich allein Theater spielen lässt – nur noch für sich selber König ist. Ihm, dem öffentliche Repräsentation ein Gräuel ist, wird seine imaginäre Königsherrschaft mehr und mehr zu einer einzigen Separatvorstellung. Dieser autistische Rückzug auf die eigene Traumwelt ist nicht zuletzt auf die staatsrechtliche Position des bayerischen Königs zurückzuführen. Dieser war im Grunde der Gefangene eines modernen Verfassungsstaats, dessen eigentliche Macht in den Händen einer elitären Ministerialbürokratie lag.

    Der bayerische König, so sehr sich Ludwig I. dagegen aufgelehnt hatte und sein Enkel Ludwig II. sich auflehnen wird, ist weder ein absolutistischer noch ein Volkskönig, sondern ein Ministerkönig gewesen, dem diese Minister zwar seine kostspieligen Träume – soweit er sie sich im Rahmen der Zivilliste, also der jährlichen Zahlungen aus der Staatskasse leisten konnte –, aber nicht die Realität überließen. Es brauchte einige Zeit, bis Ludwig II., der sein Amt mit ambitiösen politischen Vorstellungen angetreten hatte, das begreifen sollte. Sein Thron war im Grunde nur noch der poetische Überbau eines prosaischen Minister- und Beamtenstaats, wie er in der Montgelas-Zeit nach den rationalistisch-traditions-feindlichen Prinzipien eines aufgeklärten Bürokratismus konstruiert worden war. Die Ministeroligarchie spielte ungefähr die Rolle, welche in Preußen der Aristokratie zukam (die in Bayern kein entscheidender Machtfaktor war). Schon Ludwig I. hatte versucht, diese prosaischen Staatsverhältnisse durch eine Art weiß-blauer Königsromantik zu verbrämen. Sein freilich immer noch herrschaftsbegabtes Kunstkönigtum entweltlichte sich unter Ludwig II. zu dem sprichwörtlichen Märchenkönigtum. Die Differenz zwischen dem ersten und dem zweiten Ludwig offenbart sich am sinnfälligsten in den gegensätzlichen Tendenzen ihrer Bauleidenschaft. Die Bauten Ludwigs I. sollten sichtbar „Ornamentum für Stadt und Land" sein (Hermann Bauer16), während Ludwig II. seine Schlösser hermetisch von Stadt und Land abzuriegeln suchte.

    Das Desinteresse des Königs an der Realpolitik verwandelte sein Herrscheramt mehr und mehr in eine pseudosakrale Fassade, hinter deren Bildern von Macht und Majestät, welche eine Art ‚Opium fürs Volk‘ bildeten, die Ministerialbürokratie die eigentlichen Staatshandlungen vollzog. Seine Scheinsouveränität trieb den König in immer weltfernere Scheinwelten.

    Zum Spielzeug ist das Szepter dir geworden,

    Ein Zauberstab für eitle Phantasien,

    Nur Wundermärchenbilder zu gestalten

    Scheint dir die königliche Macht verliehn.

    So tadelt Franz Pocci den König in einem Gedicht aus dem Jahre 1871.17 Die Ministerialbürokratie störte das nicht, solange die Phantasiespiele Ludwigs II. sich in verantwortbaren finanziellen Grenzen hielten und er sich in ihre Politik nicht einmischte. Sie benötigten das monarchische Prinzip als Schutzideologie, welche die politischen und sozialen Missstände übertünchte und ihre eigene beherrschende Stellung sicherte.

    Der in einen bloß noch ideologischen Raum abgedrängte König schuf sich ein absolutistisches Scheinimperium in seinen Schlössern, zumal in dem Versailles nachgebildeten Herrenchiemsee. Lohengrin und Ludwig XIV., das sind gewissermaßen die Pole, zwischen denen das Selbstverständnis des Königs schwankte: der keiner Legitimation bedürfende Schwanenritter und der über den Gesetzen stehende absolutistische Herrscher, dessen Hof und Schloss zu Versailles auch im Zentrum des Spielplans der Separatvorstellungen Ludwigs II. gestanden haben. Nichts aber war Richard Wagner mehr zuwider als gerade die absolutistische Hofzivilisation des französischen 17. und 18. Jahrhunderts. Als er zwei Wochen vor seinem Tod von der Einrichtung des Schlosses Herrenchiemsee erfährt, „schämt er sich der Aufzeichnung Cosimas am 30. Januar 1883 zufolge „des ganzen Verhältnisses. Beklagt es, daß nicht Rothschild ihm eine Million geschenkt.18 Das ist die zynische Absage an eines der lebensbestimmenden Ideale Wagners, war es doch stets sein Bestreben gewesen, die Kunst zu entkommerzialisieren: zumal durch die Festspielidee und das Mäzenatentum des Patronatsvereins. Nun aber will Wagner-Wotan die Welt dem Walten Alberichs, der Macht und dem Fluch des Goldes überlassen? Gewiss ist das nur eine momentane Affektaufwallung Wagners, aber sie ist bezeichnend. Zur gleichen Zeit als Wagner in Bayreuth sein auf das griechische Amphitheater rekurrierendes Festspielhaus mit seinem ‚demokratischen‘ Zuschauerraum errichtete, das sich vom herkömmlichen Logentheater, in dem sich die gesellschaftliche Rangordnung widerspiegelt, bewusst absetzte, plante Ludwig II. im Park von Linderhof ein Rokokotheater ganz in dem von Wagner bekämpften feudal-höfischen Geiste, das im Grunde nur für einen einzigen Zuschauer bestimmt war: den König in der mit beispiellosem Prunk ausgestatteten Mittelloge. An der Bayreuther Idee hatte Ludwig II. begreiflicherweise kein Interesse. Dass er nach langer Weigerung das Unternehmen schließlich doch finanziell unterstützte – freilich nur auf Kreditbasis –, ist dem Gefühl der Treueverpflichtung gegenüber Wagner zu verdanken, nicht ideeller Überzeugung. Eigentlich wollte er Wagner für sich allein. Die in München vorgezogenen Uraufführungen des Rheingold und der Walküre sowie das Drängen auf Separataufführungen des Parsifal zeigen, wie fremd dem König die Wagner’sche Festspielidee im Grunde geblieben ist.

    In seiner gleichzeitigen Verehrung für Bourbonenherrschaft und Schwanenrittertum vereinnahmte Ludwig II., wie gesagt, Geschichte wie Sage für seinen Privatmythos. Diesen versuchte er immer wieder in seiner unmittelbaren Umgebung dingfest zu machen. Wie er Versailles nachzubauen versuchte, so verwandelte er die fiktiven Schauplätze der Musikdramen Wagners in Räume seiner eigenen Lebenswelt: Die wichtigsten Zeugnisse dafür sind die Venusgrotte, die Hundinghütte und die Einsiedelei des Gurnemanz in und bei Linderhof – und vor allem das ganze Schloß Neuschwanstein, das ein „Tempel" Wagners werden sollte, eine Summe seiner Opern, zumal des Tannhäuser und Lohengrin, die der König stets als Einheit sah. Der Kunsthistoriker Hermann Bauer hat von Ludwigs Manie einer „Verifizierung" seiner Traumwelten gesprochen.19 In deren Umkreis gehört auch sein durch nichts zu hemmender Drang, Parsifal von Bayreuth nach München, in seine unmittelbare Umgebung zu ziehen und ihn gewissermaßen in die Karwochenliturgie zu integrieren. Das stand in diametralem Gegensatz zur Kunsttendenz Wagners, dem seinem Traktat Religion und Kunst (1880) zufolge daran lag, die „mythischen Symbole der Religion, welche diese „im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem „sinnbildlichen Werthe nach zu erfassen, „um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.20 Ludwig II. hingegen will nun einmal alle mythischen Symbole ‚im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen‘ und bleibt unbeirrbar dabei, „daß zu einer Aufführung des ‚Parsifal‘ die Poesie des Frühlings, der Zauber einer wiedererwachenden Natur, kurz die zeitliche Nähe des heiligen Karfreitags gehöre", wie der Hofsekretär von Bürkel Cosmia Wagner am 20. Januar 1883 mitteilen lässt. Bayreuth scheint für den König ein Irrtum zu sein!

    Die ästhetische Versinnbildlichung der religiösen Zeichen, die Wagner im Parsifal erstrebt, wird von Ludwig II. also rückgängig gemacht, seine Symbolwelt wieder sakralisiert, ja sakramentalisiert. Das zeigt sich auch in Ludwigs Brief an Wagner vom 30. August 1877, in dem er die „Einsiedlerhütte" bei Linderhof beschreibt:

    „Alles mahnt mich dort an jenen feierlich ernsten Charfreitagsmorgen Ihres wonnevollen Parcifal […]. Dort auf geweihter Stätte höre ich ahnungsvoll schon die Silberposaunen aus der Gralsburg erschallen; dort höre ich im Geiste die heiligen Gesänge aus Montsalvat vom unnahbaren Berge herniedertönen; dort ist mir so wohl zumute, bei jener Quelle, wo Parcifal des wahren, ächten Königthums Weihe empfing, das durch Demuth und Vernichtung des Bösen im Inneren erworben wird, worin die wahre Gewalt liegt!"21 (Es folgt der Hinweis auf Kundrys Taufe und Erlösung.)

    Unverkennbar bezieht der königliche Briefschreiber Parsifal auf sich selbst, auf die Weihe seines eigenen Königtums, auf die sakramentale Entsühnung, die er stets ersehnte (gerade im Hinblick auf seine onanistischen und homosexuellen Neigungen). Das Erlebnis des Parsifal wird für ihn zu einem Heilsversprechen, und so ist verständlich, dass es ihn drängt, das ‚heilige‘ Werk in seine Nähe zu ziehen und separat für sich aufführen zu lassen.

    Der überspannte Ton des ‚Königsbriefwechsels‘, in den Wagner aufgrund seiner materiellen Abhängigkeit von diesem merkwürdigsten aller Mäzene mit tiefem Unbehagen (wie wir aus den Cosima-Tagebüchern wissen) einstimmte, ist nur von dem Erlösungsbegehren des Königs her zu verstehen, der in Wagner seinen Mystagogen, ja einen Heiland sah. Darum das tiefe Befremden über die menschlichen Unzulänglichkeiten seines Heilsspenders – von dessen Werk er doch Entsühnung und Erlösung erhoffte –, das Entsetzen zumal über den jahrelangen Betrug Wagners und Cosimas an ihm, der sich für den rein platonischen Charakter ihrer Beziehung öffentlich verbürgt hatte.

    So sehr es Hochachtung verdient, dass Ludwig II. trotz aller menschlichen Enttäuschungen Wagner nicht hat fallen lassen, so wenig ist doch zu verkennen, dass ohne ihn sein Leben das Gravitationszentrum verloren hätte. So verwandelte er seine Beziehung zu ihm in ein Ideal, dessen Kollision mit der Wirklichkeit vermieden wurde, indem er Wagner aus dem Wege ging (nach 1868 kam es nur noch zu zwei Begegnungen zwischen König und Künstler). Die Beziehung funktionierte zuletzt nur noch literarisch: Die Freundschaft wurde zum Briefroman, dessen eigentlicher Autor der König gewesen ist. Der ‚Königsbriefwechsel‘ ist in seiner verquasten Kunstreligiosität fast frei von Kritik und Auseinandersetzung. Kam es zu einer Missstimmung, hüllte sich der König in Schweigen, der Briefwechsel ruhte – bis er von ihm im alten Ton wieder aufgenommen wurde, als wäre nichts gewesen. Er, dem sein Leben längst zur Fiktion geworden war, der sich in poetische Illusionen einhüllte, ja einmauerte, wähnte, durch die stets erneute Einstimmung auf den überschwänglichen Ton der ersten Stunde das Ideal der Einheit von Sänger und König „auf der Menschheit Höhen" (Schiller: Die Jungfrau von Orleans I,2) immer wieder herbeizwingen zu können. Wagner hat in einem Gespräch mit Cosima am 1. November 1870 Ludwig II. hellsichtig mit dem Prinzen Oronaro in Goethes dramatischer Satire Der Triumph der Empfindsamkeit verglichen, der sich in einer künstlichen Scheinwelt verschanzt, die vollständig an die Stelle der Realität tritt, ja der eine Kunstfigur, ein Puppe der wirklichen Geliebten vorzieht. In ganz ähnlicher Weise hat Ludwig II. schließlich ein Phantom Wagners an die Stelle seiner realen Persönlichkeit gesetzt, die ihn so oft desillusionierte.

    Dass gerade der aus dem Staatsleben seiner Zeit als inkommensurabler Anachronismus heraustretende Monarch dem in seiner radikalen Opposition gegen den Kulturbetrieb des 19. Jahrhunderts unzeitgemäßesten Künstler die entscheidende Lebensstütze geboten hat, ist schon von Cosima Wagner als schicksalhaft bezeichnend empfunden worden: „einer Anomalie, wie du bist, soll sie ihrer eigenen Tagebuchaufzeichnung vom 19. August 1879 zufolge Richard vor Augen geführt haben, „konnte auch nur eine Anomalie helfen, für dich auch ein Leiden.22 Ein Leiden, da beide Anomalien sich nicht auf den gleichen Nenner bringen ließen, da die eine von der anderen forderte, was sie nicht leisten konnte und nicht leisten wollte.

    Wagners ‚Musterinszenierungen‘ in München

    im Spannungsfeld von Kunst und Politik

    Tiger, Affen, Schweinehunde,

    Meyerbären macht er zahm;

    Leider hab ich keine Kunde,

    Wie sich Sanchos Tier benahm.

    Aber laß des Esels Knirschen

    Dich nicht stören im Genuß!

    Iß, mit wem du willst, die Kirschen,

    Lieber Zukunftsmusikus!

    Georg Herwegh

    Noch im Jahr der Berufung Wagners nach München kommt es am 4. Dezember 1864 zur Erstaufführung des Fliegenden Holländers unter Wagners eigener Leitung (Franz Lachner hatte das Werk musikalisch einstudiert). Obwohl auf dem Theaterzettel Eduard Sigl als Regisseur erscheint, ist die Inszenierung im Wesentlichen das Werk Wagners gewesen. Von seinen realistischen Bildvorstellungen, die sich durchaus mit der naturalistisch-historistischen Bühnenmalerei der Döll und Quaglio vermitteln ließ, können wir uns aufgrund seiner zwölf Jahre zuvor verfassten Bemerkungen zur Aufführung der Oper ‚Der fliegende Holländer‘ ein gutes Bild machen. Wie sternenweit Wagner noch von den Symbolisierungstendenzen im Gefolge der Bühnenreform eines Adolphe Appia entfernt ist, zeigen etwa seine Ausführungen über die Behandlung der Schiffe, welche „nicht naturgetreu genug sein könne: „kleine Züge, wie das Rütteln des Schiffes durch eine anschlagende starke Welle (zwischen den beiden Versen des Steuermannliedes) müssen sehr drastisch ausgeführt werden.23 Die Präsentation der Schiffe geriet freilich in München angesichts der seinerzeitigen Dimensionen der Bühne des Hof- und Nationaltheaters eher unfreiwillig komisch: „Es machte lachen zu sehen", so spotten etwa die Münchner Neuesten Nachrichten in ihrem „Unterhaltungsblatt vom 8. Dezember 1864, „wie der Steuermann das Sprachrohr anlegte, um Leute anzurufen, die er fast mit der Hand erreichen konnte, oder zu hören, wie die Matrosen sangen ‚Steuermann, her zu mir!‘, während sie sich doch an ihm reiben konnten.24

    Neben den Schiffen müsse die „Aufmerksamkeit des Regisseurs namentlich der See und den „Nüancen des Wetters gelten, schreibt Wagner in seinen Bemerkungen. Überhaupt gelte es eine „genaue Übereinstimmung der scenischen Vorgänge mit dem Orchester, dem Dirigenten und Regisseure" zu erzielen. Dass Wagner, der die beiden letzten Funktionen bei der Münchner Erstaufführung in sich vereinte, hier genau zu realisieren suchte, was er gut zehn Jahre zuvor dramaturgisch entwickelt hatte, dafür gibt es gute Belege, zumal einen im Besitz der Bibliothek der Bayerischen Staatsoper befindlichen Klavierauszug mit eigenhändigen Regieanweisungen Wagners. Sie beziehen sich vor allem auf die partiturgerechte Visualisierung der Naturvorgänge. Für sie hatte Wagner in seinen Bemerkungen den „mannigfachen Wechsel der Beleuchtung und „die geschickte Benutzung von gemalten Schleierprospekten gefordert, „die bis in die Mitte der Bühne zu verwenden" sein sollten.25 Genau darauf richtete sich den Eintragungen im erwähnten Klavierauszug zufolge Wagners Augenmerk bei seiner Münchner Inszenierung in erster Linie. Offensichtlich wurde vor dem Rückprospekt eine Reihe von bemalten Schleierprospekten eingesetzt, die auf den Bühnenmodellen nicht zu sehen sind (schon dies zeigt, dass man sich von der bloßen Betrachtung von Modellen her nur ein unvollkommenes Bild von der tatsächlichen Gestalt der Bühne während der Aufführung machen kann). Minutiös schreibt Wagner in dem Klavierauszug die durch das Gaslicht ermöglichten Beleuchtungswechsel vor und hinter den sich hebenden und fallenden Schleiern vor. Den Pressestimmen zufolge scheint jedoch die

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