Deggendorf: Kleine Stadtgeschichte
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Über dieses E-Book
und Wandel ebenso wie in kriegerischen AuseinanderSetzungen. Hier spiegelten sich im Kleinen viele wichtige Ereignisse der bayerischen und deutschen Geschichte.
Dieses Buch bringt Gästen und Einheimischen die reiche Geschichte einer l(i)ebenswerten Stadt nahe, die sich in den letzten Jahrzehnten erfolgreich zur Hochschulstadt und zum blühenden Wirtschaftsstandort entwickelte.
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Buchvorschau
Deggendorf - Lutz-Dieter Behrendt
Bildnachweis
Zum Buch
Deggendorf, Große Kreisstadt und „Tor zum Bayerischen Wald", wurde 1002 erstmals urkundlich erwähnt und war, an einem wichtigen Donauübergang gelegen, seit Mitte des 13. Jahrhunderts ein bedeutsamer Ort des bayerischen Herzogtums. Diese strategisch günstige Lage bezog das Deggendorfer Land in alle wichtigen Entwicklungen seit der Völkerwanderung ein – im friedlichen Handel und Wandel ebenso wie in kriegerischen Auseinandersetzungen. Hier spiegelten sich im Kleinen viele wichtige Ereignisse der bayerischen und deutschen Geschichte.
Diese Kleine Stadtgeschichte bringt Gästen und Einheimischen die reiche Geschichte einer l(i)ebenswerten Stadt nahe, die sich in den letzten Jahrzehnten erfolgreich zur Hochschulstadt und zum blühenden Wirtschaftsstandort entwickelte.
Zum Autor
Lutz-Dieter Behrendt,
Prof. Dr. phil. habil., geboren 1941, ist nach langjähriger Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Leipzig seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs Deggendorf; zahlreiche Veröffentlichungen u. a. zur Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung.
Lutz-Dieter Behrendt
Deggendorf
Kleine Stadtgeschichte
VERLAG FRIEDRICH PUSTET
REGENSBURG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6047-6 (epub)
© 2017 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2646-5
Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de
Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de
Vorwort
Tor zum Bayerischen Wald, Stadt zwischen Gäu und Wald, Donau-, Knödel-, Große Kreisstadt, Behörden-, Hafen-, Schul- und Hochschulstadt – der charakteristischen Beinamen sind viele, die die l(i)ebenswerte Stadt Deggendorf aufzuweisen hat, die in malerischer Umgebung an der Donau unweit der Isarmündung am Fuße des Bayerischen Waldes auf halber Strecke zwischen Straubing und Passau liegt. Heute erstreckt sich ihr Territorium über 77,20 km2 von der Donau in 310 m über dem Meeresspiegel bis zur Höhe von 1116 m am Breitenauer Riegel. Die Stadt mit über 36 000 Einwohnern gehörte nicht zu den bekannten Residenzstädten in Bayern. Sie war nicht Ort berühmter Schlachten oder Wiege vieler bedeutender Persönlichkeiten. Hier wurden keine bahnbrechenden Entdeckungen gemacht. Für einige war der Name der Stadt negativ besetzt durch den Judenpogrom von 1338 und die bis 1991 durchgeführte Gnad-Wallfahrt. Für viele Menschen in Deutschland wurde Deggendorf erst zum Begriff durch die verheerende Hochwasserkatastrophe im Juni 2013 und durch die Landesgartenschau 2014.
Dennoch verfügt Deggendorf über eine interessante, mehr als 1000 Jahre zurückreichende Stadt- und eine weit längere Siedlungsgeschichte im Umfeld. Seine Lage am Donaustrom, der west-östlichen Verkehrsachse in Europa, bezog das Deggendorfer Land in alle wichtigen Entwicklungen seit der Völkerwanderung ein – im friedlichen Handel und Wandel ebenso wie in kriegerischen Auseinandersetzungen. Hier spiegelten sich im Kleinen viele wichtige Ereignisse der bayerischen und deutschen Geschichte.
Für mich als vor über 20 Jahren zugereisten Historiker mit dem Schwerpunkt Osteuropa, der hier von Anfang an freundlich aufgenommen wurde, trug die Beschäftigung mit der Stadtgeschichte entscheidend dazu bei, mich an der Donau heimisch zu fühlen. Die vielseitige Tätigkeit im Deggendorfer Stadtarchiv, zahlreiche Vorträge und Aufsätze zu den unterschiedlichsten Perioden und Problemen der Stadtgeschichte schufen die Voraussetzungen, um mich an eine Kleine Deggendorfer Stadtgeschichte zu wagen, zu der ich von verschiedener Seite wiederholt gedrängt wurde. Mit der Abfassung dieses Bändchens möchte ich den Bewohnern der mir lieb gewordenen Stadt etwas von dem zurückgeben, was mich mit Deggendorf innerlich verbindet. Zugleich hoffe ich, dass auch die Besucher der Stadt mit Hilfe dieses Büchleins den gastfreundlichen Ort und seine Bewohner besser kennen und schätzen lernen.
Der kurze Abriss der Stadtgeschichte verlangte eine Konzentration auf das Wesentliche. Im Zentrum steht die historische Vergangenheit der ursprünglichen Stadt Deggendorf. Aber auch die im 20. Jh. eingemeindeten Ortsteile werden berücksichtigt, wenn sich bei ihnen Wichtiges ereignet hat. Die Darstellungsweise folgt dem historischen Ablauf, bestimmte Entwicklungslinien werden allerdings mitunter in Längsschnitten zusammenhängend behandelt. Quellengrundlage sind in erster Linie Materialien des Stadtarchivs, die Stadtgeschichten und -chroniken meiner Vorgänger Georg Bauer, Pater Wilhelm Fink, Erich Kandler und Johannes Molitor, die Grabungsergebnisse des Kreisarchäologen Dr. Karl Schmotz und des leider viel zu früh verstorbenen Stadtarchäologen Manfred Mittermeier, die inzwischen 38 Bände der Deggendorfer Geschichtsblätter, die Reihe Deggendorf. Archäologie und Stadtgeschichte des Stadtmuseums, die geschichtswissenschaftliche und heimatkundliche Literatur mit Bezug zu Deggendorf sowie literarische Zeugnisse über die Stadt.
Vor- und frühgeschichtliche Spuren im Deggendorfer Raum
Wie der gesamte bayerische Donauraum ist auch die Gegend um Deggendorf reich an archäologischen Spuren zur Vor- und Frühgeschichte. Sie sind kaum im ursprünglichen Stadtgebiet, wohl aber in den eingemeindeten Ortsteilen zu finden, vorwiegend rechts der Donau, seltener auf dem linken Donauufer. Die ältesten Siedlungen des heutigen Deggendorfer Territoriums befanden sich im Gäuboden bei Fischerdorf und Natternberg. Seit Mitte des 6. Jhs. v. Chr. lebten in den fruchtbaren Lössgebieten an der Donau steinzeitliche Menschengruppen, die Ackerbau und Viehhaltung betrieben, bereits eine Vorratshaltung kannten, in festen Häusern wohnten, die Keramikherstellung beherrschten und ihre Toten rituell beerdigten. Sie bevorzugten für die Ansiedlung Hochterrassen mit Wassernähe.
Auf dem Natternberg bestand wohl schon in der Jungsteinzeit um 5000 v. Chr. zeitweilig eine Siedlung der sog. Linearbandkeramik. Während der Eisenzeit, der Hallstatt- und Latènezeit wurde der Natternberg nur sporadisch von Menschen aufgesucht. Im mittleren und jüngeren Abschnitt der Urnenfelderzeit (10.–8. Jh. v. Chr.) war hier ein Siedlungsschwerpunkt, eine dauerhaft bewohnte Höhensiedlung, vergleichbar der Höhensiedlung auf dem Bogenberg. Sie bildete den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt einer ganzen Reihe von gleichzeitig bestehenden Flachlandsiedlungen, die sich von Steinkirchen über Uttenkofen bis Mainkofen erstreckten. Beim Bau der Trasse der A3 Deggendorf–Straubing wurde nördlich des Natternberges ein Urnenfriedhof mit 81 Gräbern entdeckt, der wahrscheinlich die Begräbnisstätte für die Bewohner der Höhensiedlung war. Auch von den Römern ist der Berg zumindest vorübergehend als Wachstation genutzt worden. Eine Befestigungsanlage ließ sich jedoch nicht nachweisen. Wann der am Nordhang verlaufende Wall angelegt wurde, ist noch ungeklärt.
HINTERGRUND
Nordwestlich des Urnenfriedhofes wurde bei archäologischen Grabungen eine große Kontinuität der Besiedlung festgestellt. Sie reichte von Siedlungsresten und einer Grubenbestattung der jungsteinzeitlichen Münchshöfener Kultur (spätes 5. Jh. v. Chr.) über Spuren der älteren Urnenfelderzeit (10. Jh. v. Chr.) bis zu einem von Gräben umgebenden Herrenhof der späten Hallsteinzeit (6./5. Jh. v. Chr.). Nicht weit davon entfernt, jenseits der Verbindungsstraße Natternberg–Mettenufer, stieß man auf eine kleine Siedlung aus zwei Häusern der mittleren bis späteren Bronzezeit (14./13. Jh. v. Chr.), die wohl nicht dauerhaft bestand.
Auch bei Fischerdorf wurden Siedlungsspuren unterschiedlichen Alters festgestellt, so der jungsteinzeitlichen Altheimer Kultur (ca. 3900–3500 v. Chr.), eine mittelbronzezeitliche Grabhügelgruppe mit etwa 100 Grabstellen, die wichtige Erkenntnisse über die Bestattungs- und Beigabensitten sowie die Bevölkerungsstruktur des 15. und 14. Jhs. v. Chr. in Niederbayern vermittelten, sowie aus der Hallsteinzeit (ca. 700–450 v. Chr.). Bestattungen der Münchshöfener Kultur wurden auch bei Rettenbach entdeckt.
Abb. 1: Darstellung der Natternbergsage auf einem Notgeldentwurf von Margarete Schneider-Reichel, 1920
Im 7. Jh. begann die frühmittelalterliche flächige bajuwarische Aufsiedlung südlich der Donau, worauf Fundstellen u. a. bei Mainkofen, Fehmbach, Uttenkofen und Steinkirchen verweisen. Bei Grabungen während der Innensanierung der Rettenbacher Kirche Mariä Heimsuchung wurden Fundamentreste entdeckt, die darauf hinweisen, dass hier schon eher als im links der Donau gelegenen Deggendorf ein kirchlicher Bau vorhanden war. So deuten Pfostenverfärbungen und Keramik aus dem 8./9. Jh. auf eine karolingerzeitliche Holzkirche hin. Ende des 1. Jhs. stand hier eine vorromanische steinerne Saalkirche von 7 x 11 m mit hufeisenförmiger Apsis.
Die natürlichen Gegebenheiten auf der linken Donauseite waren wegen der nahen Vorberge des Bayerischen Waldes und der morastigen Niederungen weniger günstig für eine dauerhafte Besiedlung. Dennoch wurden auch hier Siedlungsspuren gefunden, die älter als die Stadt Deggendorf sind. Die am Katharinenspital bzw. bei Ausgrabungen am Oberen Stadtplatz aufgefundenen bronzezeitlichen Scherben stammen wegen ihrer Geringfügigkeit kaum von Ansiedlungen. Die ältesten Siedlungspunkte links der Donau lagen außerhalb des historischen Stadtterritoriums. Auch die nächsten Siedlungspuren haben mit dem eigentlichen Deggendorf nichts zu tun. Es handelt sich um bajuwarische Gräber mit Schwertbeigaben (Sax) aus dem späten 7. Jh., die Anfang des 20. Jhs. in der Gemarkung Deggenau aufgefunden wurden. Die Fundstelle befindet sich am nördlichen Ausgang der Deggenauer Talbucht, am Fuße des Weinberges, 700 m von der Deggenauer Ortsmitte und 400 m von Steinriesl entfernt. In Schaching wurden bei der Kirche unter einem barocken Friedhof karolingisch-ottonische Siedlungsspuren aus der Zeit zwischen dem 8. und beginnenden 10. Jh. entdeckt. Zwei Gräber verweisen eindeutig auf das 8. Jh. Diese Siedlung bezeichnete die östliche Begrenzung des Mettener Gebietes. Sie entstand etwa gleichzeitig wie die in Rettenbach auf der anderen Donauseite.
Deggendorf gab es damals noch nicht – das Gebiet der späteren Stadt war siedlungsfrei. Die ältesten Funde gehen erst auf das ausgehende 10. Jh. zurück und kommen vom Gelände der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt.
Entscheidend für die Stadtentstehung: Der Donau-Übergang
Ausgrabungsfunde brachten Hinweise darauf, dass schon seit grauer Vorzeit bei Deggendorf ein Donau-Übergang bestand. So wurden im bronzezeitlichen Gräberfeld von Fischerdorf in einem Frauengrab Reste einer ornamentierten Goldscheibe gefunden, die große Ähnlichkeit mit Exemplaren aus dem Pilsener Becken in Böhmen hat. Unterhalb des späteren Deggendorfs mündet die Isar in die Donau. Sie brachte auf ihrem Weg vom Gebirge so viel Geröll und Geschiebe mit, dass die Donau vor der Mündung wesentlich breiter und flacher wurde. Es entstand hier eine Furt, an der man den Strom bei Niedrigwasser relativ problemlos durchschreiten, durchreiten oder sogar durchfahren konnte. Der Übergang wurde schon in vorgeschichtlicher Zeit genutzt, um in das dunkle Waldgebirge vorzudringen, so dass sich ein uralter Handelsweg herausbildete, der später vom Urfahr (der Straßenname Uferplatz erinnert an diese Bezeichnung) direkt am Findlstein vorbei über den Geiersberg, Simmling, Haslach und Ringelswies (Ringsweg) zur Rusel und weiter über Hermannsried, Bischofsmais, Fahrnbach, Augrub, Reinhardsmais, Regen und Zwiesel nach Böhmen bis Gutwasser (Dobrá Voda), Hartmanitz (Hartmanice) und Schüttenhofen (Sušice) führte. Die Wege durch das Gebirge waren keine breiten Straßen, sondern Steige, auf denen Saumtiere die Waren transportierten. Ein Saum war die Last, die sie zu tragen vermochten.
Bei Ausgrabungen in der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt 1981/82 wurden unterhalb der Kanzel keltische Siedlungsreste gefunden. Es handelte sich um Pfostenspuren und Funde von Graphittonkeramik der Spätlatènezeit (2.–1. Jh. v. Chr.) aus Abfallgruben. Der Platz der Kirche war von Kelten genutzt, um möglicherweise von hier aus den Donau-Übergang beobachten zu können. Sie füllten sogar das damals zur Donau und dem Bogenbach abfallende Gelände auf und planierten es. Ein latènezeitliches Messer, das bei der Gründung der Pfeiler für die neue Maximiliansbrücke 1998 im Flussbett der Donau gefunden wurde, war ein weiterer Hinweis auf diese Siedlung, die aber nicht dauerhaft bestand.
Während östlich und westlich von Deggendorf das Land den Klöstern Niederaltaich (gegr. 741, nach neuesten Forschungen zwischen 744 und 748) und Metten (gegr. um 766) übergeben wurde, blieb der Donau-Übergang in der Hand des Herzogs. Hier griff der Gäuboden mit einer kleinen Bucht über die Donau hinaus – eine hervorragend geeignete Stelle, um den Handelsweg von Süden nach Böhmen strategisch beherrschen zu können. Der Flussübergang war ausschlaggebend für die spätere Stadtentstehung.
Der aus Böhmen an die Donau bei Deggendorf führende Altweg wurde 1029 in einer Niederaltaicher Urkunde erstmals als die Straße, die nach Bayern führt, genannt. Im Laufe der Zeit bürgerte sich der Name Böhmweg für diese Verbindung ein.
Deggendorf im frühen und hohen Mittelalter
1002 – die Erstnennung Deggendorfs
1002 trat Deggendorf in die geschriebene Geschichte ein. In diesem Jahr übernahm der deutsche König Heinrich II. (1002–24) die Regentschaft. Wie es üblich war, ließen sich die weltlichen und geistlichen Herrschaften beim Regierungsantritt eines neuen Königs ihren Besitz bestätigen, so auch das Nonnenkloster Niedermünster in Regensburg. Bei der Aufzählung von dessen Liegenschaften und Gütern taucht auch deggindorf cum decimis et usibus suis (Deggendorf mit seinen Zehnten und Nutzungen) auf, ohne dass der Umfang des Besitzes näher bestimmt wurde. Dennoch lassen sich aus diesen sechs dürren Worten in der Königsurkunde vom 20. November 1002 einige Schlussfolgerungen ableiten: Der Ortsname mit der Endung -dorf verweist darauf, dass es sich nicht nur um ein paar einzelne Häuser, sondern schon um einen gewissen Siedlungsmittelpunkt handelte. Die Formulierung Deggendorf mit seinen Zehnten deutet auf das Vorhandensein einer Pfarrkirche hin, und die Formulierung mit seinen Nutzungen zeigt an, dass Niedermünster hier über einen größeren Besitz verfügte.
Die Urkunde bezeichnet nicht den Beginn der Herrschaft Niedermünsters über Deggendorf. Seit wann der Ort Eigentum des Klosters wurde, lässt sich nicht genau feststellen. Eine Urkunde mit einer Besitzbestätigung beim Machtantritt König Ottos III. 983 ist nicht überliefert, und beim Regierungsbeginn von dessen Vater Otto II. 973 wird Deggendorf noch nicht erwähnt. Die in der Literatur häufig wiederholte Behauptung, die bayerische Herzogin Judith habe um 970 einen Hof in oder bei Deggendorf an Niedermünster geschenkt, lässt sich durch Urkunden nicht belegen. Deggendorf ist erst zwischen 973 und 1002 an das Kloster gefallen. Diese Schenkung mag durch Judith erfolgt sein, die dem Kloster gemeinsam mit ihrem Gemahl Heinrich I. (948–55) besondere Förderung angedeihen ließ. Als Witwe trat sie um 973 in das Kloster ein und stand ihm wahrscheinlich mehrere Jahre bis zu ihrem Tod 986 oder 987 als Äbtissin vor. Ebenso gut könnte auch ihre Schwiegertochter Gisela von Burgund († 1007), die Mutter König Heinrichs II., die Schenkung veranlasst haben, war doch Niedermünster das Hauskloster der herzoglichen Nebenlinie des ottonischen Kaiserhauses.
HINTERGRUND
Die niedermünsterische Propstei Deggendorf
Für das Kloster Niedermünster, das 1002 die Reichsfreiheit erhalten hatte und zu einem der reichsten und angesehensten Kanonissinnenstifte für adlige Damen wurde, hatte der Deggendorfer Besitz besonderes Gewicht. Hier wurde ein eigener Verwaltungsbezirk, eine Propstei, errichtet. Als Pröpste wurden Angehörige des niederen Adels, später bürgerliche Personen auf Lebenszeit eingesetzt. Der erste namentlich bekannte Propst war 1193 Heinricus praepositus de Tekkendorf (lat. prae-positus = Vorgesetzter). Propsteien gründete Niedermünster nur in wirtschaftlichen Schwerpunkten. 1444 gab es neben derjenigen zu Niedermünster außer in Deggendorf nur noch eine in Kallmünz. Der Propst war verpflichtet, den klösterlichen Besitzstand zu wahren und die Abgaben der Lehensträger einzutreiben. Die Untertanen hatten sowohl Naturalabgaben als auch Geldsteuern zu zahlen. Einen Teil der Einnahmen durfte der Propst behalten, was das Amt lukrativ machte. Der größte Teil ging direkt nach Regensburg. Die Deggendorfer Erträge reichten aus, um ein Drittel der Stiftsdamen zu versorgen. Aus ihnen wurde auch die Vogtsteuer für den Herzog beglichen.
Zu den Pflichten des Propstes gehörten die Besiegelung von Käufen und Verkäufen, die Erteilung von Heiratsbewilligungen für die Propsteiuntertanen sowie der Einzug der Laudemiengelder bei der Neuvergabe von Lehen und der Erbschaftssteuer. Er hatte das Recht zur Pfändung und verfügte über die niedere Gerichtsbarkeit gegenüber den Propsteiuntertanen. Als seine Amtsbezeichnung bürgerte sich seit Mitte des 15. Jhs. Propstrichter ein. Auch für Streitfälle zwischen Hintersassen der Propstei und Bewohnern der Stadt bzw. der umliegenden Dörfer war er zuständig. Kompetenzstreitigkeiten mit der Stadt oder mit den herzoglichen, später kurfürstlichen Pfleggerichten in Deggendorf, Natternberg oder Hengersberg waren folglich immer wieder an der Tagesordnung. Gesetzesübertreter versuchten die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Stadt, Propstei und Pfleggericht auszunutzen, um straffrei auszugehen.
Wie ausgedehnt der Besitz Niedermünsters in Deggendorf ursprünglich war, lässt sich nicht feststellen. Erst für das Jahr 1444 vermittelt ein Salbuch, das an Stelle eines durch ein Feuer vernichteten Verzeichnisses trat, den Besitzstand. Als zinspflichtig wurden 23 Hofstätten, ein Bauerngarten, eine Wiese sowie fünf Äcker aufgeführt. Die meisten konzentrierten sich in