Neuburg an der Donau: Kleine Stadtgeschichte
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Buchvorschau
Neuburg an der Donau - Thomas Götz
Thomas Götz / Markus Nadler / Marcus Prell / Barbara Zeitelhack
Neuburg an der Donau
Kleine Stadtgeschichte
UMSCHLAGMOTIVE
Vorderseite: Blick von der Insel auf die 1827 errichtete Donaubrücke und das Ostplateau des Neuburger Stadtberges mit Schloss, ehemaligem Jesuitengymnasium und Hofkirche. –
Postkarte, gelaufen am 14. Juli 1905. Privatbesitz.
Rückseite: Blick auf die Flaniermeile am Donaukai. – Adobe (Sina Ettmer).
BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
2., aktualisierte Auflage 2022
© 2022 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg
Tel. 0941/920220 | verlag@pustet.de
ISBN 978-3-7917-3379-1
Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: www.martinveicht.de
Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany 2022
eISBN 978-3-7917-6228-9 (epub)
Unser gesamtes Programm finden Sie unter www.verlag-pustet.de
Inhalt
Vorwort
Von der Frühzeit bis zur Spätantike (Marcus Prell)
Am Anfang war das Meer / Antoniberg / Altsteinzeit / Mittelsteinzeit / Jungsteinzeit / Bronzezeit und Hallstattzeit / Latènezeit / Archäologische Heimatforschung / Archäologie aus der Luft / Römer / Venaxamodurum
Neuburg im Mittelalter (Marcus Prell)
Frühes Mittelalter / Nivuinburcg / Bistum und Bischofssitz Neuburg / Herzog Heinrich IV. und die Benediktinerinnen / Romanik in Bergen / Ruine Alte Burg / Ludwig der Gebartete: Gefangennahme in Neuburg / Obere und Untere Stadt
Haupt- und Residenzstadt der »Jungen Pfalz« (1505–1808) (Markus Nadler)
Gründung des Fürstentums Pfalz-Neuburg / Verheißungsvoller Beginn unter Pfalzgraf Ottheinrich (1502–1559) / Das Residenzschloss / Jagdschloss Grünau / Gestüt Rohrenfeld / Die fürstliche Residenzstadt / Die Bürgerstadt / »Die Stadt selbst ist freundlich …« / Die Donau und die Stadt / Die jüngere Linie des Hauses Pfalz-Neuburg / Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm (1614–1653): Rückkehr zum katholischen Glauben / Hofkirche »Unserer Lieben Frau« / Die Schweden in Neuburg / Auf dem Zenit: Philipp Wilhelm, der »Schwiegervater Europas« / Viele Anlässe für Festlichkeiten / Die große und letzte Generation des Fürstenhauses: Neuburg als Nebenresidenz (1690–1742) / Kurfürst Karl Theodor (1742–1799): »Herr der sieben Länder« / Das Donaumoos wird besiedelt / Die letzte Hofhaltung in Neuburg: Ende des Fürstentums
Der lange Weg in die Kleinstadt-Moderne: Neuburg im Jahrhundert des Bürgertums (1800–1914) (Thomas Götz)
Ohnmacht statt Aufbruch: Das Stadt-Bürgertum im Ausgang des Ancien Régime / »Alles wurde so durcheinander geworfen«: Krieg und Umbruchkrise um 1800 / Verbürgerlichung durch Provinzialisierung? Biedermeier und Vormärz / »Stadt II. Classe« im Rahmen der bayerischen Gemeindeverfassung / 1848: Keine Revolution – und die Folgen / Lebensverhältnisse nach der Jahrhundertmitte / Gefährdeter Stadtfriede: Reichsgründung, Kulturkampf, »zweite Weltwirtschaftskrise« / Ein drittes ›goldenes Zeitalter‹: Wachstum, Modernisierung und Stadtausbau um 1900 / Gemeindefinanzen im Umbruch / Kleinstadtgesellschaft vor der Demokratie / Das bürgerliche Neuburg: Opfer seiner Fürsten?
Von der »arg bedrängten« Stadt zum Mittelzentrum: Neuburg vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart (Barbara Zeitelhack)
Der große Krieg und der Abschied von alten Traditionen / Stadt und Garnison nach 1914 / Revolution? Die Räte in Neuburg / Die Sehnsucht nach der Monarchie / »Bleierne Zeit« und neue Hoffnungen / Neuburgs Gold: die Kieselerde / Karl »Carlos« Schott, der »Odysseus von der Donau« / Visionen: Naturheilbad und Kneippkurort / Aufstieg der NSDAP und »Machtergreifung« / Neuburg im Nationalsozialismus / Stadt und Garnison im »Dritten Reich« / Die Reorganisation kommunaler Strukturen und demokratischer Neubeginn / Kriegsschäden und Wiederaufbau / Wirtschaftlicher Neuanfang / Öffentliches Leben / Neue Heimat: Die Integration der Heimatvertriebenen / Heimatlos: Displaced Persons (DPs), Flüchtlingslager, Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber / Moderne Zeiten: Wirtschaftsaufschwung und Industrieansiedlungen / Von der Stagnation zur Stadterweiterung: Die städtebauliche Entwicklung im 20. Jahrhundert / Altstadtsanierung / Neuburg »mit der Zeyt« / Stadt und Garnison 1954 bis heute
Anhang
Zeittafel / (Ober-)Bürgermeister der Stadt Neuburg / Genealogische Übersichten / Literatur / Ortsregister / Personenregister / Bildnachweis / Autorinnen und Autoren / Stadtplan
Vorwort
Von Donaueschingen sind es 303, bis zum Schwarzen Meer noch 2476 Flusskilometer – Neuburg an der Donau, die alte Herzogstadt und ehemalige Residenz des Fürstentums Pfalz-Neuburg, lag und liegt am Schnittpunkt vieler Einflüsse: Geologisch betrachtet gehört sie als südlichster Ausläufer der Frankenalb noch zum Fränkischen, verwaltungspolitisch seit 1972 zu Oberbayern, vorher zu Bayerisch-Schwaben. Kirchengeschichtlich begegnen sich hier, nach einem Reformationsintermezzo, die Bistümer Augsburg und Eichstätt; mundartlich kreuzt sich hier Bairisches mit Schwäbischem, dem sich Richtung Norden Fränkisches beimischt.
Den Reichtum des Vergangenen erlebt man besonders intensiv an einem ruhigen Sonntagmorgen beim Streifzug durch die Altstadtgassen. Dann befällt den träumend Flanierenden dieses Gefühl von der Tiefe der Zeit, das nur historische Stadtkerne mit originaler Bausubstanz vermitteln. Wie von selbst drängen sich dem Staunenden – zumal am Karlsplatz, dem Herzen der Stadt – die naiv klingenden Fragen eines jeden neugierig Gewordenen auf: Wer lebte hier? Was hat sich ereignet? Und welche Geschichten haben sich überliefert?
Diese »Kleine Neuburger Stadtgeschichte« möchte Einheimischen und Gästen manche Frage in Wort und Bild beantworten, zum (Wieder-)Entdecken der vielfältigen historischen Zeugnisse in Neuburg und Umgebung einladen und vor allem Lust auf mehr Geschichte machen – denn die Geschichtsschreibung ist so wenig abgeschlossen wie die Geschichte selbst, und trotz reichhaltiger Fachliteratur fehlt im historiografischen Bild der Stadt noch so manche wichtige Facette. Das vorliegende Bändchen soll daher auch mehr Aufbruch als Abschluss sein. Dass hierbei gleich vier Autoren einträchtig ans Werk gingen, mag als Zeichen der reichhaltigen Geschichte der Donaustadt wie des in ihr herrschenden guten Einvernehmens gelten.
Unser historischer Parcours setzt früh an: Bereits zur Altsteinzeit suchten Menschen den Stadtberg und Höhlen im nahen Urdonautal auf. Vor 3000 Jahren war der Berg, ein ehemaliges Korallenriff des Jurameeres, schon großflächig besiedelt. Ein römisches Kastell sicherte den Donaulimes gegen die Germanen. Im Mittelalter verkehrten hier Herzöge und Könige. In der Frühen Neuzeit agierte die prächtig ausgebaute Residenzstadt zeitweise auf der Bühne europäischer Politik. Nach dem äußeren Bedeutungsverlust um 1800 wurden in der königlich bayerischen Provinzstadt schließlich die Weichen in Richtung Moderne gestellt und nach den folgenden Katastrophen des frühen 20. Jahrhunderts Schritt für Schritt die Grundlagen für ein prosperierendes Gemeinwesen gelegt – das sich heute, im Bewusstsein dieser Geschichte, zuversichtlich der Zukunft zuwenden kann.
Neuburg an der Donau, Sommer 2012
Thomas Götz, Markus Nadler,
Marcus Prell, Barbara Zeitelhack
Dieser Befund gilt auch heute noch, und das Interesse an der kleinen Residenzstadt Neuburg scheint ungebrochen. Wir freuen uns sehr, dass der Pustet-Verlag zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung jetzt eine 2., aktualisierte Auflage dieser Kleinen Stadtgeschichte herausgibt – mit kleinen Änderungen bei Titel, Layout und Inhalt. Neuburg hat inzwischen die 30 000 Einwohner-Marke überschritten und erfreut sich nach zwei Jahren Pandemie wieder steigender Besucherzahlen. Unser aller Dank gilt dem Verleger Friedrich Pustet und der Lektorin Christiane Tomasi, die auch die Neuauflage in bewährter Art und Weise betreut hat.
Neuburg an der Donau, Sommer 2022
Thomas Götz, Markus Nadler,
Marcus Prell, Barbara Zeitelhack
Von der Frühzeit bis zur Spätantike
Tatsächlich! Es gab in Neuburg ein Leben vor Pfalzgraf Ottheinrich. Bereits zur Altsteinzeit zogen der Stadtberg und sein Umland die Menschen an. Neolithische und bronzezeitliche Siedler, Kelten, Römer und Germanen folgten. Um die besonders geschützte Lage der heutigen Altstadt am eigenen Körper zu spüren, sollte man die 93 Stufen von der Donau zum Hotel Schöne Aussicht emporsteigen. Von dort sieht man auf das Donautal und die flachen Ausläufer der südlichen Frankenalb. Anwohner mit dem Privileg einer freien Sicht nach Süden erblicken bei Föhnwetter sogar die Alpenkette. Dies alles lag einmal unter Wasser.
Am Anfang war das Meer
Vor etwa 150 Millionen Jahren tummeln sich in den Lagunen des tropischen Jurameers Fische, Muscheln und Ammoniten. Eine Art dieser Kopffüßer trägt nach dem Neuburger Fundort gar den Namen Aspidoceras neoburgense. Hin und wieder zeigt sich ein Archäopteryx am Himmel. Er ist von einer Landmasse bei Solnhofen gestartet. Die Kalkschalen der abgestorbenen Meerestiere füllen nach und nach die tieferen Senken am Meeresboden und vermischen sich dort mit Schlamm. So entstehen Schicht um Schicht die Neuburger Bankkalke, eine geologische Besonderheit: Es handelt sich um die deutschlandweit obersten und damit jüngsten Juraschichten, genannt Weißjura Malm Zeta 6. Sie treten im oberen Abschnitt der Steilwand des Finkensteins und im ehemaligen Steinbruch der Nachbargemeinde Oberhausen offen zu Tage, wo hin und wieder Geologie-Professoren mit ihren Studenten Steine hämmern.
Das flache, warme Wasser begünstigt das Wachstum von Korallen, Muscheln, Algen und Schwämmen, die Riffe bilden. Aus solch einem massigen Riffkalk besteht der Neuburger Stadtberg. Am Nachtbergweg und im Stadtgraben sind für das geübte Auge noch heute die Skelettreste von Steinkorallen zu erkennen, ebenso im aufgelassenen Steinbruch Laisacker, wo 21 Korallengattungen nachgewiesen wurden. Ehemalige Riffe säumen auch den Wanderweg von der Grotte unterhalb des Arco-Schlösschens bis zur Mariengrotte vor Joshofen. Sie bestehen aus etwas härterem Dolomit, der dem Kalk sehr ähnlich ist. Zum Klettern eignen sich die Felsen um Neuburg nicht besonders. Die markanten Riffkalke zwischen Konstein und Aicha im nahen Urdonautal hingegen bieten Bergsportlern Touren in allen Schwierigkeitsgraden.
Grotte im ehemaligen Korallenriff unterhalb des Arco-Schlösschens. Am Felsen, dessen überhängender Teil 2022 aus Sicherheitsgründen gesprengt wurde, sind historische Hochwassermarken angezeichnet. Zwei Fische auf blauem Schild markieren die alte Fischwassergrenze zwischen Neuburg und Joshofen.
Zu Beginn der Kreidezeit vor rund 135 Millionen Jahren hebt sich das Land aus dem Wasser. Während der folgenden viele Millionen Jahre andauernden Trockenperiode verkarstet die Landschaft. Hohlräume und Spalten entstehen, bis das Gebiet erneut vom Meer überflutet wird. Feinkörniger Quarzsand aus winzigen Schwammnadeln lagert sich ab, die berühmte Neuburger Kieselerde. In die verwitterten Jurasedimente sickert Kieselsäure, so dass sich Eisenerze und Hornsteine in Form von Knollen oder Platten bilden.
Vor 65 Millionen Jahren, im Tertiär, beginnt dann die Formung der heutigen Landschaft. Die Auffaltung der Alpen hat zur Folge, dass breite Flusssysteme alpine Kiese, Sande und Tone vom Süden zur Alb transportieren. An Stellen, die nun wasserundurchlässig geworden sind, entstehen kleine Seen und Tümpel mit Süßwasserkalken. Auf dem Plateau des Neuburger Stadtberges leben in dieser Zeit nachweislich Wasserschildkröten. Weitere Zeugen dieses Zeitalters wie versteinerte Hölzer, Krokodilzähne oder Süßwasserschnecken finden sich in Sandgruben und auf Äckern. Gegen Ende der Tertiärzeit, vor etwa 2,6 Millionen Jahren, bildet sich die Urdonau heraus. Sie fließt bei Rennertshofen durch das heutige Wellheimer Trockental (Urdonautal) nach Norden und schneidet dabei tiefe Mäander in die Alblandschaft. Zunächst verlagert sie ihren Lauf vom Altmühltal ins Schuttertal. Vor etwa 90 000 bis 70 000 Jahren, so die jüngsten Erkenntnisse der Geologen, durchbricht sie die Felsbarriere zwischen dem Stepperger Antoniberg und dem gegenüberliegenden Stätteberg in Richtung Neuburg. Die Donau kann sich dahinter in ein gemachtes Bett legen, denn Wasserläufe hatten bereits von Neuburg aus ein Tal in Richtung Stepperg ausgeformt.
Während der Stadtberg also schon rund 150 Millionen Jahre alt ist, kommt die Donau relativ spät hinzu. Neuburg, besser gesagt das Neuburger Jurariff, liegt nun an der Donau, und diese schwemmt im Westen und Südwesten der Stadt Massen von Kies an. Der kräftige Sog der nach Süden ausgreifenden Flussarme begünstigt die Ausräumung des Donaumooses in Richtung Ingolstadt. In höheren Lagen wie dem westlichen Neuburger Stadtgebiet und der Albhochfläche zwischen Donau und Schutter trägt der in Flusstälern besonders heftige Wind während der Würmeiszeit (115 000–10 000 Jahre vor heute) fein erodiertes Steinmaterial in Form von Löss und Sand herbei. Die Schotterablagerungen am südlichen Donaurand zwischen Neuburg und Ingolstadt erschweren gegen Ende dieser Eiszeit den Abfluss der Donaumoosbäche und des Grundwassers. Es bildet sich eine flache Seenlandschaft, die nach und nach vermoort und bis zu zehn Meter mächtige Torfschichten aufbaut. Bis zu seiner Trockenlegung und Besiedelung am Ende des 18. Jahrhunderts gilt das Donaumoos als größtes Niedermoor Südbayerns.
HINTERGRUND
ANTONIBERG
Der Antoniberg bei Stepperg gilt als Ort zum Krafttanken. Mit seinen von alten Linden umgebenen Kapellen zählt er zu den historisch und landschaftlich reizvollsten Plätzen im Raum Neuburg. Einige hundert Meter stromabwärts überquerte im 2. Jahrhundert n. Chr. eine römische Brücke die Donau. Bei klarer Sicht erkennt man in der Ferne die Kirchtürme von St. Peter und der Hofkirche am Neuburger Stadtberg. Folgt man dem Wanderweg an der Donau, gelangt man kurz vor der Usselmündung zu einer kleinen Strudellochhöhle. In früheren Zeiten, erstmals um 1285 erwähnt, setzte hier ein Fährmann über.
Warum dieser erdgeschichtliche Prolog? Er liefert die Erklärung für zahlreiche Entwicklungen in der folgenden Kulturgeschichte