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Die vielleicht wahre Geschichte des Hans Ingo Glück: Der Zufall steuert das Schicksal
Die vielleicht wahre Geschichte des Hans Ingo Glück: Der Zufall steuert das Schicksal
Die vielleicht wahre Geschichte des Hans Ingo Glück: Der Zufall steuert das Schicksal
eBook256 Seiten3 Stunden

Die vielleicht wahre Geschichte des Hans Ingo Glück: Der Zufall steuert das Schicksal

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Über dieses E-Book

Ein Roman von Rudi Dieringer, der die kleinen und großen Abenteuer des Hans Ingo Glück erzählt. Dabei stellen sich die Fragen: Was ist Glück? Was ist Pech? Was ist Liebe? Geschieht alles rein zufällig? Sein und Schein. Oberflächlichkeit und das oft so grausame Nebeneinanderher-Leben. Zuweilen in lyrisch schöner Sprache beschrieben, dann wieder in schonungsloser Härte, sarkastisch, dunkel und humorlos schwarz. Nichts für schwache Nerven. Ein ständiger Wechsel wie die Wellenlinien unseres Lebens: genauso spannend und langweilig, sinnig und sinnlos, öde und sensationell.
Hans Ingo Glück kann in jedem von uns stecken - ein beängstigender Gedanke.
Hans, vom Glück nicht wirklich verfolgt. Unscheinbar. Unwichtig. Unbeachtet.
Amelie, seine erste große Liebe tötet er, ohne es wirklich zu wollen. Er wartet darauf, dass die Polizei ihn festnimmt und seiner gerechten Strafe zuführt. Doch nichts geschieht. Es folgen weitere schreckliche Verbrechen - durch seine Schuld. Aber er bleibt unbehelligt. So trauert er um seine Amelie und beginnt damit, ihren Tod zu rächen. Vielleicht nur, um selber bestraft zu werden?
Schließlich bricht er aus seinem stupiden Alltag aus und zieht los, um das Glück zu suchen. Er reist nach Apulien, Barcelona, Mallorca und sogar nach Havanna und New York. Durch viele unglaubliche Zufälle lernt der bis dahin unscheinbare Behördenangestellte aus München die Schönen, Reichen und Wichtigen der Welt kennen und glaubt irgendwann, selbst Teil von ihnen zu sein. Während der Opernfestspiele in Bayreuth entdeckt und erlebt er die fesselnde Erotik einer wunderschönen, reichen Frau und erfährt an außergewöhnlichen Orten unglaubliche Sexualität und die vermeintliche Liebe. Dabei spielen Glück und Zufall eine entscheidende Rolle. Doch er verstrickt sich dabei immer tiefer in kriminelle Machenschaften.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum9. Jan. 2017
ISBN9783743131880
Die vielleicht wahre Geschichte des Hans Ingo Glück: Der Zufall steuert das Schicksal
Autor

Rudi Dieringer

Geboren 1965 in der Nähe von Tübingen in Baden Württemberg. Arbeitet neben der Schriftstellerei als Dozent und Berater. Nach zahlreichen Veröffentlichungen unter verschiedenen Pseudonymen (Genre Krimi und Schwarze Komödie), nun dieser "schräge" Roman über einen teils grausamen Verlierer und Einzelgänger auf seiner Suche nach Anerkennung.

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    Buchvorschau

    Die vielleicht wahre Geschichte des Hans Ingo Glück - Rudi Dieringer

    Für meine liebe Familie,

    die zum Glück

    nicht so abgefahren ist wie Hans.

    „Zufall ist der gebräuchlichste

    Deckname des Schicksals"

    (Theodor Fontane)

    Der Inhalt

    Prolog

    Amelie

    Was ist Glück?

    Erster Teil: Glücklose Tage

    Wintertage

    Die Arbeit

    Pech, das Gegenteil von Glück?

    Zweiter Teil: Hans‘ Reisen ins Glück

    Hans’ Reise nach Apulien

    Hans’ Reise nach Barcelona

    Hans’ Reise nach Mallorca

    Hans’ Reise zu den Festspielen nach Bayreuth

    Hans’ Kurz-Weltreisen nach Havanna und New York

    Dritter Teil: Das erzwungene Glück

    Übergabe in Bari

    Wieder zuhause und das Glück der Liebe

    Vierter und vielleicht letzter Teil

    Das Ende vom Glück?

    Des Vaters Tochter

    Das Leben im Paradies?

    Epilog

    Einsam gestorben

    Schönheit vergänglich

    gleich dem Blühen der Lilie

    Herz anhänglich

    Schmerz magnetisch

    Dunklen Tagen

    folgen helle Nächte

    Lachen gefoltert

    Freude erzwungen

    mit dem Leben gerungen

    Sinn gesucht

    Sonne gebucht

    Liebe gefordert

    Menschen geordert

    Gefühle zerstört

    niemand gehört

    Lebenslang gemauert

    keiner trauert

    Prolog

    Nachfolgende Handlungen und Personen wurden frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und wären rein zufällig. Ein Haftungsanspruch kann nicht erhoben werden.

    Hätte sich die vielleicht wahre Geschichte wirklich zugetragen, so begänne sie nach der Jahrtausendwende – die schrecklichen Ereignisse des 11. September 2001 noch in junger Erinnerung. Gerade deshalb war die Welt schon aus ihren Fugen geraten.

    Nichts schien mehr so, wie es sein sollte.

    Amelie

    Hans lachte. Er lag im Gras. Das Gras war wieder trocken. Es war sehr heiß und schwül. Neben ihm leuchteten die kleinen spitzen Brüste von Amelie. Sie sah zufrieden aus, außer mit einem winzigen Höschen war sie unbekleidet. Das Gras war hoch und nicht gemäht. Von der nahe gelegenen Wittelsbacher Brücke dröhnte Autolärm. Mal hörte man das schrille Martinshorn eines vorbeirasenden Streifenwagens, mal das ungeduldige Hupen der Autofahrer. Die Isar schien an diesem Tag besonders schmutzig und rauschend, das nahende Gewitter brummelte und donnerte vor sich hin. Hans beobachtete Amelie, ihre Haut weiß, ihre Pölsterchen noch kindlich charmant. Sie war sechzehn. Mit verschlossenen Augen verzauberte sie ihn durch einen fast lächelnden Blick – als ob sie schliefe. Er berührte ihre Wangen, sie waren noch rosig und warm. Es war kaum eine Stunde her, da hatte er ihr das Genick gebrochen.

    Sie waren ein schönes Paar. Auch wenn er über doppelt so alt war, man hatte es den beiden nie angesehen. Er wirkte wie ein Knabe. Sein großer Kopf mit den wachen, riesigen Augen, der Himmelfahrtsnase, den roten Pausbacken im ansonsten fahlen Gesicht, dem kleinen Mund oberhalb des spitzen, leicht hervorstehenden Kinns machten ihn weit jünger, als er war. So erschien er fast wie ein Kind. Man konnte ihn nicht deuten, weder Alter noch Wesen. Weder Herkunft noch Dasein. Weder Bildung noch Intelligenz. Er war nicht alt, nicht jung. Nicht reich, nicht arm. Nicht schön, nicht hässlich. Nicht da, nicht weg. Einfach nur unscheinbar. Keiner nahm von ihm Notiz. Auch keiner der zahlreichen Spaziergänger hier an den Isarauen. Nicht die ebenfalls im Gras liegenden Pärchen. Nicht die Schwulen und Lesben, die hier verliebt entlang stolzierten. Nicht die Jogger und Joggerinnen. Noch nicht einmal die vielen Hunde, die sich allein mit der Beobachtung ihrer Artgenossen und ihrer Notdurft beschäftigten. Keinen hat es interessiert, als er vor noch nicht einmal einer Stunde Amelies Genick brach. Eigentlich war er ein wenig wütend auf sie, denn sie hätte ja auch schreien können. Sie hätte sich wehren können. Sie hätte sich einfach so verhalten können, wie man es von einem Opfer erwarten sollte. Schließlich hat er ja nicht aus Versehen ihren Arm, sondern ihr Genick gebrochen. Nun aber lag sie da, stumm wie immer. Ahnungslos und naiv lächelnd.

    Beide lagen sie so, bis die Dämmerung einbrach. Auf der Brücke leuchteten die Straßenlaternen. Passanten gingen vorüber. Spaziergänger mit Hunden. Walker mit Stöcken. Walker ohne Stöcke. Jogger. Keiner nahm Notiz. Kein Hund schnupperte an der toten Amelie. Hans griff ihre Arme und zog sie die paar Meter zur Böschung. Dann kugelte er sie den fünf Meter hohen Abgrund hinunter. Die Isar war durch die andauernden Regenfälle bereits zum rauschenden Fluss geworden. Amelie wurde sofort erfasst und mitgerissen.

    Hans wusste, er würde seiner lieben Amelie folgen. Er würde bald sterben. Er hing am Leben, auch wenn es ihm bisher die Schönheit verweigert hatte. Er dachte an die vielen Schwerkranken, die sich sträubten gegen das Unheil in ihnen, sich sträubten gegen das langsame Dahinsiechen, sich sträubten gegen den unerträglichen Schmerz, der sich in ihnen ausbreitete. Die bei ihren Familien, bei ihren Kinder bleiben wollten, die sich nicht vorstellen konnten, sie nie mehr um sich zu haben.

    Hans hatte große Angst vor dem Tod. Was würde sein, wenn das Licht erlosch? Was würde sein, wenn er an einem Abgrund stünde, vielleicht auf dem Balkon im zehnten Stock eines Hochhauses, den ersten Schritt erst hinauszögerte, dann aber unumkehrbar sprang? Was würde in diesen langen Sekunden, in denen der Tod nicht mehr aufhaltbar wäre, durch seinen Kopf gehen? Hans stellte sich einen Aufprall vor. Einen dumpfen Schlag. Ein platzendes Trommelfell. Einen großen, unbeschreiblichen Schmerz. Das Brechen der Knochen. Das Verrenken des Kopfes. Das Daliegen auf dem Asphalt. Die Augen sähen die Straße. Doch das Blut, das aus ihnen quölle, würde die Konturen des Bildes verwischen. Der Schädel wäre vom Aufprall so deformiert, dass er sich der Straße anpassen würde. Blut, warmes Blut ränne langsam aus dem Mund, aus den Ohren, aus der Nase. Er hätte keine Möglichkeit, es mit der Hand wegzuwischen. Das Atmen fiele schwer, da das Blut in die Luftröhre gesogen würde. Das Gesäß wäre kaum zu spüren, nur die Wärme der unwillkürlichen Entleerung der Gedärme und der Blase. Die Hose zerrissen, darin Kot und Urin. Hans erschauerte über diese schreckliche Vorstellung. So zu liegen, jemals so dazuliegen, bereitete ihm Angst. Mehr Angst als vor dem Schmerz hatte er davor, in diesem Moment zu wissen, in wenigen langen Sekunden oder wenigen langen Minuten tot zu sein. Woran würde er dabei denken? An die ihm in bedingungsloser Liebe verbundenen Menschen? An das Entsetzen, sich nicht mehr von ihnen verabschieden zu können? An das Leben, das nun langsam, aber unaufhaltsam zu Ende ging? Oder an das, was bevorstünde? An das Dunkel, das jetzt nur noch ein schwarzes Nichts wäre und keine Gedanken mehr erzeugte. Wie ein nächtlicher Traum, an den man sich am darauf folgenden Morgen nicht mehr erinnern konnte? Die feinen roten Härchen in seinem Nacken und auf seinem Unterarm begannen sich zu kräuseln und richteten sich über einer Gänsehaut auf. Die ganze Vorstellung bereitete ihm Unbehagen.

    Amelie wusste nicht, dass sie sterben würde, sie konnte sich nicht auf ihren Genickbruch vorbereiten. Sie war einfach tot, rasend schnell tot. Sie brauchte sich diese entsetzlichen Gedanken nicht machen. Sie musste ihre Gedanken nicht auf die bevorstehende Dunkelheit richten. Ein schöner Tod, dachte Hans und beneidete Amelie. Doch, wo war sie jetzt? Sah sie sich selbst in der Isar treiben? Sah sie Hans, der sich große Sorgen um ihren Verbleib machte? Wo war sie? In einer anderen Welt? Einer neuen, einer schöneren Welt? Oder einfach nur im Nichts?

    Hans lag da, im hohen Gras, und stellte sich das Nichts vor. Konnte man sich das Nichts überhaupt vorstellen? Er versuchte es, aber er konnte es nicht. Hans stellte sich das Nichts als große Tragödie vor, wenn es Menschen gab, die man liebte, die man wirklich und ohne Bedingungen liebte. Wenn diese Menschen den Sterbenden, den Toten weiterliebten und dachten, dass sie diesen Menschen nie mehr im Arm halten könnten, sich mit diesem Menschen nie mehr streiten könnten, nie mehr gemeinsam lachen könnten, sich nie mehr gemeinsam freuen könnten. Das Nichts ist etwas Furchtbares, dachte Hans – der schrecklichste Zustand überhaupt.

    Hans ging völlig verwirrt, ein wenig taumelnd und unheimlich traurig nach Hause und wartete, dass ein Kommissar an seiner Wohnungstür klingelte, um ihn zu verhaften. Er wartete eine halbe Stunde, eine ganze Stunde, die halbe und schließlich die ganze Nacht, bis er dann im Morgengrauen völlig übermüdet auf seinem kleinen Sofa einschlief. So lag er bis lang in den Nachmittag hinein. Sein Schlaf wurde nicht gestört, durch keinen Kommissar, durch kein Telefon, durch nichts und niemanden. Hans wunderte sich sehr darüber.

    Nachdem er eine Stunde in der Badewanne verbracht hatte, trauerte er um Amelie. Sie war ein guter Mensch. Er hatte sie geliebt. Und er liebte sie immer noch. Auch über ihren Tod hinaus.

    Irgendwann klingelte es dann doch an seiner Tür. Hans erschrak und öffnete mit zitternden Händen. Doch es war nur der Hausmeister, der ihm mitteilte, dass die Feuerwehr gerade dabei war, seinen Keller auszupumpen. Das Grundwasser hätte sich bedrohlich durch die vielen Regenfälle erhöht. Der Sylvensteinspeicher im Isarwinkel bei Lenggries in den Bergen sei geöffnet worden. Die Isar wurde dadurch zur reißenden Gefahr für die ganze Stadt, insbesondere für die Anwohner der Auen. Das Grundwasser verschlammte und wässerte die Keller des ganzen Viertels.

    Er schaute sich im Fernsehen die Nachrichten an. Durch gebrochene Dämme, eingestürzte Brücken, abgeknickte Bäume, überschwemmte Straßen gab es zu diesem Zeitpunkt sehr viele Unfälle. Bereits zehn Opfer forderte die beängstigende Situation allein im Süden Deutschlands. Eines dieser bedauernswerten Opfer sollte die arme Amelie gewesen sein.

    In Hans staute sich überdimensionale Wut. Wut auf diese Naturkatastrophe. Sie hatte ihm seine liebe Partnerin geraubt. Die junge, rosige Amelie. Warum gerade sie, dachte er, und seine gewaltige, aufgestaute Wut vergrößerte sich ins Unermessliche.

    Was ist Glück?

    Tage später saß Hans in einer alten Münchener Studentenkneipe unweit der Universität und sinnierte, ob er denn jemals glücklich war. Er erinnerte sich an seine Schulzeit und das ständige Vorlesen-Müssen des Märchens „Hans im Glück. Genau in diesem Moment begannen zwei gut gekleidete Herren mittleren Alters am Nebentisch eine Unterhaltung über das Glück. Hans wunderte sich über diesen merkwürdigen Zufall, eigentlich glaubte er nicht an Zufälle, gemäß einem Zitat Theodor Fontanes, das er sich auch seit seiner Schulzeit merken konnte: „Zufall ist der gebräuchlichste Deckname des Schicksals.

    Hans belauschte das Gespräch der beiden Männer. Sie philosophierten, wie Hans es tat, sie rätselten über das Phänomen Glück. Sie fragten sich, ob es sich über einen Lottogewinn, ein großes Haus oder eine intakte, gesunde Familie definieren ließe.

    „Du weißt ja, ich habe seinerzeit in Tübingen studiert. Ich konnte mich ewig nicht entscheiden was, so habe ich mich für Psychologie im Hauptfach eingeschrieben, obwohl ich wusste, dass ich niemals Psychologe werden wollte", erzählte der eine, lachte und sein Gesprächspartner lachte ebenfalls.

    „Dich könnte ich mir nie als Psychologen vorstellen. Ich erinnere mich an meine erste Vorlesung, als wäre es gestern gewesen. Ich dachte, es würde erzählt werden, wie die ganze Studiererei funktioniert, doch es wurde kein Wort über die Mensa, Immatrikulation, Sekretariat oder Klausuren verloren."

    „Das war bei mir anders!, lächelte sein Gesprächspartner. „Ich fragte mich nach einer Woche, wann geht es denn endlich los? Da stand plötzlich Professor Mayr-Wittgenstein vor über 100 Frischlingen im Hörsaal. Der war damals schon über sechzig Jahre alt, ein grauhaariger Mann, der weit über die Uni Tübingen hinaus bekannt war.

    Der Gesprächspartner schaute, als würde ihn diese Geschichte interessieren.

    „Das war noch ein richtiger Hörsaal. Kein Seminarraum, sondern eine Art Kinosaal mit steil aufsteigenden hölzernen, viel zu engen Bänken. Erst war es sehr unruhig. Die Studenten lachten, redeten miteinander, kicherten und machten allerlei Blödsinn mit kleinen Papierfliegern oder Papierkügelchen – wie sie es von der Schulzeit noch gewohnt waren. Da fragte der Professor mit seiner extrem tiefen, sehr sonoren Stimme" – und er versuchte ihn dabei nachzuahmen, auch seine Gesichtszüge wurden ernst.

    „‚Liebe Studierende, sehr verehrte Damen, sehr verehrte Herren, ich stelle Ihnen jetzt eine einfache Frage. Beantworten Sie sie mir: Was ist Glück‘?"

    Dann erzählte er in normalem Ton weiter.

    „Die jungen Studenten streckten ihre Köpfe lachend zueinander. Jeder sagte etwas. Jeder wusste etwas. Jeder wusste irgendwie, was Glück ist. Jeder hat es erlebt. Jeder wünscht es sich, sucht es, fordert es, verwirft es. Der Professor ging mit nach hinten verschränkten Armen durch die steilen, hölzernen Reihen und er begann damit, einzelne Studierende oder angehende Studenten persönlich zu fragen."

    Und seine Stimme wurde wieder theatralisch dunkel:

    „‚Sie, ja, Sie – wie heißen Sie? Sie wissen sicherlich, was Glück ist‘!"

    Jetzt komm zum Punkt!", antwortete der Gesprächspartner. Aber sein Freund ließ sich dadurch nicht beirren.

    „Wenn einer etwas sagte, redete der Professor ihn mit seinem Namen an. ‚Lieber Herr Nüßle, sind Sie sich da sicher‘? Er hinterfragte ständig alle Antworten.

    ‚Warum Herr Hauser‘? Du kannst dir nicht vorstellen, wie er damals die ganzen Kommilitonen verunsichert hatte.

    Heute weiß ich, dass das alles System hatte. ‚Sind Sie sicher, Frau Dittus‘? Das ging Ewigkeiten so, bis er im Hörsaal die Ruhe erzeugte, die er sich wünschte."

    Er schaute sehr nachdenklich.

    „Ja, es war so richtig unheimlich ruhig. Man konnte das Knarren der Holzdielen unter den Schritten des Professors hören. Man hörte nur noch die Schritte des Professors Mayr-Wittgenstein. Dabei wurden alle zunehmend unsicher. Kaum einer traute sich noch etwas zu sagen. ‚Was ist Glück‘?, wiederholte er seine Frage. Die Stille war beklemmend. Die Schritte des alten grauen Professors auf dem knarrenden Holzboden verliehen der Situation noch zusätzliche Mystik. Glaub mir, das war wie im Theater, richtig gruselig. Ich habe dies nie vergessen. Nie", wiederholte er sich.

    Hans hörte gespannt zu und er meinte, diese Stimmung, auch in der Kneipe an der Universität zu spüren.

    „Stille. Nur noch Stille. Und diese Schritte. Ich habe sie heute noch im Ohr. Der Professor brachte alle zum Schweigen und Nachdenken, und dies bei einer scheinbar so simplen Frage."

    Er trank sein Bier mit einem Schluck leer.

    „Jeder war neugierig, ob der erfahrene, weise Professor überhaupt eine Antwort gäbe. ‚Glück, das sind drei Dinge‘, sagte er. ‚Nur drei simple Dinge‘. Es war wieder total ruhig, die Studenten waren gebannt."

    Er simulierte weiter die dunkle Stimme des Professors.

    „‚Und genau das in einer bestimmten Reihenfolge. Erstens: Liebe‘ – er machte eine Pause. ‚Zweitens: Gesundheit‘ – er verlängerte seine Pause und schaute den steilen Hörsaal hoch. ‚Drittens: Zeit‘."

    Der Redner schaute seinen Gesprächspartner an, der nun sehr nachdenklich wurde.

    „Dann hielt der Professor noch eine kleine Ansprache, ich weiß nicht, ob ich sie wortwörtlich wiedergeben kann, aber ich versuche es:

    ‚Liebe Studierende, sehr verehrte Damen, sehr verehrte Herren, merken Sie sich bitteschön: Fehlt Ihnen eines dieser drei Dinge, dann sind Sie nicht glücklich. Nicht wirklich glücklich. Sie vermissen etwas, und wer etwas vermisst, der ist nicht glücklich. Sie merken, jeder hat seine eigene Definition von Glück. Das ist meine. Sie werden während Ihres Studiums noch viel von Gemütszuständen der teilweisen und absoluten Zufriedenheit hören. Vieles davon ist Schwachsinn‘. Dann ging der Professor zu seinem Pult, packte seine Brille in ein Etui, legte das Etui in eine alte Ledertasche und verabschiedete sich: ‚Machen Sie sich darüber Gedanken. Bis zum nächsten Mal. Auf Wiedersehen‘. Und er ging."

    Die beiden Männer mittleren Alters schwiegen einen langen Augenblick.

    „Heute, über zwanzig Jahre später, höre ich immer noch die Worte des grauen, alten Professors. Und ich weiß, er hatte recht."

    Hans lag da. Er lag einfach nur da. Und er spürte bei jedem Hieb die metallene Schnalle des ledernen Gürtels. Sein Vater hörte nicht auf, ihn zu schlagen. Es war längst nach Mitternacht. Hans hatte bereits seit Stunden geschlafen. Er weinte nicht. Er schrie nicht. Die metallene Schnalle prallte auf die immer gleichen Stellen des geschundenen kindlichen Körpers, der blutend aufriss. Hans konnte nicht weinen und er wollte nicht weinen. Der Schmerz war unerträglich und das Peitschen des Gürtels wollte nicht mehr aufhören. Sein Vater weinte. Seine Tante half ihm nicht. Hans war schuld und er musste diese Schuld ertragen.

    Erster Teil: Glücklose Tage

    Wintertage

    Die Weihnachtszeit war eben erst vorüber. Für das unnatürliche Ableben seiner geliebten Amelie sollte Hans unbehelligt bleiben. Ein tragischer Unfall, wie die Gerichtsmediziner nach dem Auffinden ihrer Leiche befanden. Man fand zwar kein Wasser in ihrer Lunge, doch wurde angenommen, dass sie von einem durch den Sturm geknickten oder umherfliegenden Ast erschlagen worden und dadurch ins Wasser gefallen war. Auch für den Umstand, dass sie nur mit einem Höschen bekleidet war, fanden sich Erklärungen. Ein Sexualdelikt konnte aufgrund ihrer jugendlichen Unversehrtheit rasch ausgeschlossen werden. Es gab viele weitere Opfer der reißenden Fluten. Die anfänglich eingeleiteten Ermittlungen, die einen gewaltsamen Tod überprüfen sollten, wurden schnell wieder eingestellt.

    So ließ man Hans in seiner unendlichen Trauer alleine. Er konnte den Tod Amelies kaum begreifen.

    An einem kalten Wintertag saß er in der Schnellbahnlinie, der S6, stadtauswärts in Richtung Starnberger See. Es war ein Samstagmorgen. Der Schnee puderte die stille Landschaft, die er durch das Zugfenster emotionslos an sich vorbeirauschen sah. Die schönen Villen links und rechts der Gleise kurz vor Starnberg beachtete er nicht. Er fuhr durch die blassen Bahnhöfe der ihm unbekannten Orte Planegg, Stockdorf, Gauting. Schließlich erreichte er Starnberg. Er roch den kalten See. Er setzte sich auf eine der eisigen, grünen Holzbänke an der Promenade. Das Geschrei der Möwen übertönte das der vielen Spaziergänger. Der schöne See, durchzogen von vielen einzelnen, brüchigen Eisplättchen, strahlte in winterlicher Eleganz. Auf dem Eis standen überall die Möwen. Stolz schwamm ein strahlend weißer Schwan um das Eis. Während Hans einfach nur da saß, überkam ihn wieder diese tiefe Trauer um Amelie.

    Warum eigentlich hatte er sie getötet? Warum musste sie sterben? Er selber fand darauf keine Antworten. Wie hatte er es geschafft, schmächtig wie er war, lautlos mit einem kaum wahrnehmbaren Ruck ihr Genick zu brechen, und dies unbemerkt von den ganzen Menschen und Hunden um ihn herum? Da saß er nun am See, schuldig und einsam. Allein und voller Selbstmitleid. Er hatte sich diesen Ort bewusst ausgesucht. Bereits vor Monaten, unmittelbar nach Amelies Tod, hatte er sich Gift besorgt. Ein weißes Pulver, das seinen Herzstillstand herbeiführen sollte, ganz ohne Qual, ganz ohne Schmerz. Er hatte eigens hierfür auf einem Flohmarkt einen alten aufklappbaren Ring erstanden. Er wollte seiner Amelie wieder nahe sein. Unendlich nahe. Er wollte mit ihr besprechen, weshalb sie sterben musste. Er wollte sie fragen, warum sie nicht geschrien hatte. Weswegen sie sich lustig über ihn gemacht hatte. Weswegen er hier auf Erden nicht bestraft würde. Er

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