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Conny Cöll - San Franzisko 1906
Conny Cöll - San Franzisko 1906
Conny Cöll - San Franzisko 1906
eBook273 Seiten3 Stunden

Conny Cöll - San Franzisko 1906

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Über dieses E-Book

Samuel Brady, G-Mann Nr.6 der Gruppe Sinclar, wird der „Traurige" genannt. Merkwürdig seine Herkunft – merkwürdig und seltsam seine Art zu leben, zu wirken, zu kämpfen – und merkwürdig sein Schicksal, das in diesem Band offenbar wird.

Happy Tim, Old Tom und Patsy Townsend sind drei Originale, Überbleibsel aus der längst versunkenen alten „wilden" Zeit, als San Franzisko noch ein unbedeutendes Städtchen war. Diesmal sind es gleich drei G-Männer, die einen zähen, tollkühnen Kampf gegen den Sumpf Friskos führen – Conny Cöll, der „Kleine Benjamin" und Samuel Brady, der „Traurige" – ein Dreigespann, das begeistert!

Unglaublich hart die Kämpfe, ungewöhnlich die dramatischen Schicksale, unvorstellbar die entfesselten Naturgewalten, die wie das Strafgericht Gottes eine Riesenstadt in Schutt und Asche legten, damit sie aus den rauchenden Trümmern gereinigt und geläutert auferstehen konnte.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Nov. 2016
ISBN9783874116084
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    Buchvorschau

    Conny Cöll - San Franzisko 1906 - Konrad Kölbl

    San Franzisko 1906

    von Konrad Kölbl

    Inhalt

    Der „Traurige"

    In San Franzisko

    Der „Mandarin"

    Mary Dunkley

    Die Schlacht an der Barbaren-Küste

    Inferno

    Der „Traurige"

    Samuel Brady sah aus wie ein Gelehrter. Er war von hoher, schmächtiger Gestalt und seine leicht ergrauten Schläfen gaben ihm in Verbindung mit der großen Hornbrille, die er ständig zu tragen pflegte, das Aussehen eines Mannes, der über hohe geistige Qualitäten verfügen musste.

    Vom südlichen Texas bis herauf in die Gegend der Wichita-Mountains im Staate Oklahoma konnte sich niemand, der Samuel Brady kannte, erinnern, ihn schon jemals anders als in seiner langen, schwarzen Hose, seinem pechschwarzen, langärmeligen Wollhemd und seinem schwarzen, breitkrempigen Filzhut gesehen zu haben. In den kalten Monaten trug er eine pelzgefütterte Lederweste, die ebenfalls so schwarz gefärbt war wie die bequemen, weichen Schuhe, die er an den Füßen hatte.

    Alles an ihm war schwarz und traurig. Über den vollen Lippen wuchs ein schmaler Schnurrbart, dessen spitze Enden lange und würdevoll an den Mundwinkeln vorbei nach unten hingen.

    Samuel Brady hatte große, melancholische Augen. Wenn seine pechschwarzen Pupillen zwischen den langen, dunklen Wimpern groß und nachdenklich in die Welt schauten, dann lag etwas von jener Traurigkeit in ihnen, die so charakteristisch für seine ganze äußere Erscheinung war.

    Samuel Brady war ein Träumer – so hatte es wenigstens den Anschein. Und eigentlich traute man ihm nicht zu, einer männlichen Regung fähig zu sein. Das einzig Männliche an seiner ständig leicht nach vorne gebeugten Gestalt war der breite, patronengespickte Waffengürtel, den zwei solide Fünfundvierziger Colts zierten. Niemand aber, der Samuel Brady sah, der ihm irgendwo in den Mittelweststaaten zufällig begegnete, glaubte im Ernst daran, dass diese traurige Erscheinung schon jemals einen brauchbaren Schuss daraus abgegeben haben konnte.

    Nur wenige Menschen wussten um das große Geheimnis, das diesen Mann umgab. Er besaß einen großen Namen – einen berühmten Westnamen, den man nie und nimmer hinter diesem Mann, der wie ein ewig grübelnder Gelehrter aussah, vermutet hätte ...

    Der „Traurige"! – so lautete er.

    Wenn an irgendeiner Tischrunde, an der Theke einer Kneipe, am Lagerfeuer einsamer Weidereiter oder sonst an einem Platz, an dem redefreudige Cowboys, Trapper oder Goldgräber zusammenkamen, von einem Samuel Brady die Rede gewesen war, so hatte dieser Name nur uninteressiertes Kopfschütteln hervorgerufen, da er vollkommen unbekannt war. Wurde aber die Rede auf den „Traurigen" gebracht, dann begannen sofort die Augen der Boys zu leuchten und plötzlich erinnerte man sich der zahlreichen Stories, die über diesen seltsamen Mann im Umlauf waren.

    Einmal war Samuel Brady mitten unter einer Schar erzählungsfreudiger Weidereiter gesessen. Der Abend war wunderschön gewesen. Er hatte es sich am wärmenden Lagerfeuer bequem gemacht und mehrere Stunden lang den begeisterten Reden gelauscht, die dem G-Mann Nummer 6 der berühmten Gruppe des Obersten Sinclar gewidmet waren. Samuel Brady hatte die begeisterten Berichte der jungen Menschen nicht ein einziges Mal unterbrochen. Es hätte da Verschiedenes zu berichtigen gegeben. Mit Staunen hatte damals der andächtig Lauschende von Taten erfahren müssen, von denen er wirklich keine Ahnung hatte. Der „Traurige sollte sie in Mexiko erlebt haben! Samuel Brady konnte aber mit Sicherheit behaupten, dass dieser erfolgreiche G-Mann Nummer „Sechs der’ Sinclar-Gruppe noch nie in seinem Leben in Mexiko gewesen war. Samuel Brady wusste das ganz genau. Er wusste das so genau, dass er hätte ruhigen Gewissens tausend Eide darauf schwören können, und zwar deswegen, weil er nämlich selber dieser „Traurige" war, der sich unter diesem Namen solch großer Popularität in allen Mittelweststaaten erfreute.

    Damals hatte er einige Zweifel an der Echtheit der erzählten Stories aufkommen lassen und damit eine Situation heraufbeschworen, die für seine Person fast verhängnisvoll geworden wäre. Der „Traurige gehörte einmal zu den wenigen Nationalhelden, an dessen tollkühnen Taten sich die leicht entflammbare, begeisterungsfähige Jugend berauschte. Alles, was über ihn erzählt wurde, war so absolut wahr und unantastbar, dass jegliche abfällige Bemerkung unweigerlich eine fürchterliche Tracht Prügel für den verwegenen Zweifler nach sich gezogen hätte. Und die Story, die der „Traurige dort unten in Mexiko erlebt haben sollte, war so unvorstellbar tollkühn, dass sie nur mehr mit jenen Vorkommnissen verglichen werden konnte, die sich vor einigen Monaten im Panama-Gebiet, kurz vor Vollendung der Arbeiten an dem gewaltigen Kanalprojekt zugetragen hatten.

    „Boys!", hatte Samuel Brady der Schar erklärt, „der ,Traurige’ war in Panama nicht mit dabei gewesen! Es handelte sich um die ,Unzertrennlichen’! Der ,Traurige’ hatte sich noch nie in Mexiko oder gar noch südlicher befunden ...

    Es waren böse Augen und angriffslustige Gesichter gewesen, in die Samuel Brady hatte blicken müssen. Das hätte er nämlich nicht sagen dürfen! Das war gegen die guten Sitten gewesen! An den Taten eines Mannes, der mit zu den acht Nationalhelden des Landes gehörte, konnte nicht gezweifelt werden und wenn der lang aufgeschossene rothaarige Boy, der diese Story erzählte, behauptete, dass der „Traurige" Seite an Seite neben ihm gestanden, gefochten und gekämpft hatte – so lange, bis der glorreiche Sieg an die Fahne der Gerechtigkeit geheftet werden konnte – dann war dies in der Tat auch der Fall! Verdammt nochmal! Daran gab es nichts zu deuteln! Das war ein Evangelium, genauso wahr und unantastbar wie jenes, das der Pfarrer jeden Sonntag im nahen Gotteshaus verkündete.

    Samuel Brady hatte noch einmal versucht, diese Story richtigzustellen, und da wäre er beinahe gelyncht worden. Bei jenen großen Ereignissen in Panama war der „Traurige dabei gewesen – an ganz hervorragender Stelle, gleich neben der Nummer „Eins der Sinclar-Gruppe – und damit – basta ...

    Samuel Brady hatte damals bestürzt geschwiegen. Es wäre nun gefährlich gewesen, noch ein weiteres Wort zu riskieren. Er wollte den braven Boys, die soeben so begeistert von ihm geschwärmt hatten, nicht wehe tun. Und so hatte er sich schweigend darauf beschränkt, sich darüber zu freuen, dass man eine solche hohe Meinung von ihm hatte, dass man sogar in Texas sein Loblied in solch hohen Tönen sang.

    Er wusste über die Story von Panama ganz genau Bescheid, hütete sich aber, nochmals darauf zurückzukommen. Das wäre bestimmt nicht gut ausgegangen ...

    Damals aber hatte er den eifrigen Boys eine große Gefälligkeit erweisen können. Während sie sich nämlich am wärmenden Lagerfeuer so vortrefflich unterhielten, wurde, kaum eine halbe Meile von ihnen entfernt, eine Herde kostbarer Zuchtpferde, die ihrer Aufsicht anvertraut gewesen war, gestohlen. Es war Samuel Brady gelungen, in verhältnismäßig kurzer Zeit die Diebe einzuholen und gefangen zu setzen, während die bestürzten und vollkommen kopflos gewordenen Cowboys in alle möglichen und unmöglichen Richtungen davongaloppiert waren. Als die prachtvollen Mustangs wieder brav und vollzählig in ihren Pferchen standen – sie hatten den aufregenden Zwischenfall als willkommene Unterbrechung ihres langweiligen Daseins betrachtet – war Samuel Brady von allen Seiten als der Retter aus einer unheilvollen Lage gefeiert worden und ganz am Schluss,’ als er sich schon von den braven Boys verabschiedet hatte, musste er noch die Worte jenes lang aufgeschossenen, rothaarigen Bengels vernehmen, der vorhin diese außergewöhnliche Story erzählt hatte – die Story von Panama ...

    „Ihr seid ein famoser Gent, Fremder, lauteten sie, „und wir haben Euch eine Menge zu verdanken! Darum geben wir Euch den guten Rat, nie wieder daran zu zweifeln, wenn von ihnen die Rede ist ...

    „Von ihnen?"

    „Jawohl – von ihnen! Von den ,Unzertrennlichen’, von Hal Steve, Neff Cilimm, Ed Springs und vor allem von ihm, von dem größten dieser G-Männer, von Trixi ..."

    „Habe ich das getan?" Fast erschrocken war es aus dem Munde Samuel Bradys gekommen.

    „Das habt Ihr, Fremder! Denn auch der ,Traurige’ gehört zu diesen berühmten Boysl Was wäre unser Land, wenn wir sie nicht hätten – ein Banditenparadies, in dem sich kein anständiger Mensch mehr wohlfühlen könnte! Das wäre es, Fremder, was ich Euch noch sagen wollte!"

    „Werde es mir zu Herzen nehmen, Boys!", hatte damals Samuel Brady genickt und er war in dieser Stunde mächtig stolz darauf gewesen, dass man überall, wohin er kam, eine solch hohe Meinung von ihm hatte. Von ihm und seinen Kameraden. Von der Sinclar-Gruppe, die doch nur aus acht Mitgliedern bestand, aus acht Männern, die weder Tod noch Teufel fürchteten, die ein Wesentliches dazu beigetragen hatten, dass es in den Mittelweststaaten kaum mehr zu größeren Bandenbildungen kam. Vereinzelte Verbrechen waren ständig an der Tagesordnung, sie waren noch zu allen Zeiten vorgekommen und werden auch wohl nicht auszurotten sein, so lange diese schöne Welt besteht – nicht nur in jenem Land, das man als das wildeste des Kontinents bezeichnete. Innerhalb der letzten drei Jahre waren es insgesamt vierzehn starke Banditenbanden gewesen, die in den Mittelweststaaten ihr Unwesen getrieben hatten. Nur eine davon wurde in der Nähe von Dallas von der Bürgerwehr und drei starken Sheriffaufgeboten aus den umliegenden Orten zusammengeschossen, während die Liquidation der restlichen dreizehn zum Teil sehr starken Verbrecherorganisationen auf das Konto der G-Männer des Obersten Sinclar zu buchen war.

    Da war die Bande James Baxters, die in der Nähe von Mesa bei Phönix in Arizona von Hal Steve, der Nummer „Zwei, in einem beispiellos heldenhaften Feuergefecht ausgerottet wurde. Auch die Kerle Hal Tupethers erlitten das gleiche Schicksal. Diesmal aber war es Neff Cilimm, die Nummer „Drei, der dieses Vernichtungswerk vollbrachte. Die „Unzertrennlichen – Fred Lokh und „Kamerad Brash – konnten zwei verwegene Schlachten als „sieghaft geschlagen nach Prescott, dem Sitz der G-Mannschaft, melden. Ed Springs erledigte in Zusammenarbeit mit dem „Traurigen die Gomorro-Bande in Pine Bluff im Staate Arkansas. Ihnen gelang es auch, die verwegenen Bankräuber von Little Rock zu stellen und bis auf den letzten Mann von dieser Erde hinwegzutilgen.

    Der vielleicht todesmutigste Kerl der Sinclar-Leute, der härteste Schläger dieser berühmten Gruppe, das „Original unter den G-Männern, der „Kleine Benjamin, ein riesenhafter Kerl von weit über zwei Metern Körperlänge, den die Natur mit Kräften ausgestattet hatte, die nur mit denen eines jungen Präriebüffels verglichen werden konnten, zerschlug allein und ohne Mithilfe die Mammut-Bande Tex Billers. Er zerschlug sie so vernichtend, dass von ihr nicht mehr der kleinste Überrest am Leben blieb – und er gebrauchte dazu nur seine riesigen Fäuste. Er leistete eine Arbeit der Zerstörung, die diesen G-Mann mit dem merkwürdigen Namen „Der Kleine Benjamin zum Schrecken aller dunklen Elemente besonders im Staate Ohio machte. Bei diesem tollkühnen Kampf war buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Allein im Staate Ohio kamen auf das Konto dieses bärenstarken Burschen wohl ein gutes Dutzend weiterer Erfolge im Dienste der Banditenbekämpfung und fast in allen Fällen war es einfach unmöglich, die erledigten Banditen, Raubmörder, Straßenräuber, die diesem Boy in die Hände fielen, zu identifizieren. Und er legte auch wenig Wert darauf – der „Kleine Benjamin! Sein Lebensgrundsatz war – er hielt ihn für den vernünftigsten, den ein Mann in seiner Position haben konnte: nämlich, dass der beste Bandit ein toter sei – –

    Das war fast die Hälfte dieser Bandenorganisationen. Die andere Hälfte – und unter ihnen die schwersten und unverdaulichsten Brocken, kamen auf das Konto nur eines Manns, des erfolgreichsten der G-Mannschaft, der Nummer „Eins", den die Natur mit Gaben ausgestattet hatte, wie keinen anderen seiner sieben Kameraden, die geschworen hatten, das Bandenunwesen in den Mittelweststaaten auszurotten mit Stumpf und Stiel. Und ohne Gnade. Die dankbare Mitwelt hatte diesem gefürchteten Killer einen Westnamen angehängt, dessen Nennung allein schon genügte, abgebrühte, total verkommene und skrupellose Verbrecher blass werden zu lassen – Trixi!

    Wie dieser Mann in Wirklichkeit hieß, wussten nur wenige. Und diese wenigen schwiegen. Es hatte keinen Sinn, Reklame mit diesem Namen zu machen. Das wäre seinem Träger gefährlich geworden, denn gegen hinterlistige Schüsse, gegen niederträchtige Angriffe aus dem Verborgenen, war auch der Tapferste nicht gefeit. Dieser Mann aber hatte einen Beschützer, wie ihn noch selten ein Banditenjäger hatte, einen vierbeinigen Kameraden, dessen Liebe und Anhänglichkeit ihn einfach unbezwingbar machten.

    Samuel Brady hatte diesen Mann besonders in sein Herz geschlossen. Er liebte ihn geradezu, wegen seiner Bescheidenheit, wegen seines kameradschaftlichen Geistes, wegen der freundlichen, sanften Art, sich in allen Lagen seines Lebens zu geben, die niemand hinter diesem wohl größten Banditenkiller des Wilden Westens um die Jahrhundertwende vermutet und gesucht haben würde. Der „Traurige war schon wiederholt mehrere Wochen mit Trixi zusammen gewesen, hatte mit ihm die tollkühnsten Abenteuer erlebt – diese liefen der Nummer „Eins förmlich nach, er brauchte nicht nach ihnen zu suchen – aber nie war ihm in seiner Nähe die Zeit zu lange geworden. Im Gegenteil – jede Stunde hatte neue Überraschungen, neue Ereignisse, neue Gefahren gebracht – –

    Wie würde sich Samuel Brady freuen, wenn ihn sein neuer Auftrag, der ihn in die Riesenstadt San Franzisko rief, wieder mit ihm zusammenführen würde. Er hoffte dies inständig, denn die Aufgabe, die ihm Oberst Sinclar zugeleitet hatte, war die schwierigste in seiner bisherigen Laufbahn. Sie konnte ihm genauso gut einen neuen Lorbeerkranz wie aber auch einen anderen mit schwarzen Schleifen bringen ...

    ... und Samuel Brady war diesmal fast von der zweiten Möglichkeit überzeugt.

    Erst gestern hatte ihn in Santa Clara in der Nähe des Virgin-Rivers im Staate Utah die Depesche aus Prescott erreicht. Es stand nicht viel darin. Nur einige Worte, die im Grunde genommen nichts und doch wieder so viel besagten:

    Nr. 6 – Brady – dringend.

    Sofort San Franzisko stop „Mandarin’ überfällig.

    Verstärkung unterwegs. – Zentrale. So lautete der Funkspruch, den ihm der Sheriff von Santa Clara in handschriftlicher Form übermittelte. Was Samuel Brady aber an diesem Text am meisten interessierte, war die Tatsache, dass Oberst Sinclar noch einen weiteren Mann nach San Franzisko beordert hatte. Folglich musste es sich um eine außerordentlich schwere Aufgabe handeln, die zu erfüllen er allem Anschein nach nicht ausreichend war.

    Trotz des Vermerkes in der Depesche, dass er sich sofort nach San Franzisko zu begeben habe, fiel es dem „Traurigen" nicht ein, deswegen die Railway zu benützen. Das hatte Zeit. Und auf einige Tage kam es sicher nicht an.

    Samuel Brady hatte beschlossen, auf seiner treuen „Lady, einem geduldigen, hochbeinigen Pferdemädchen, durch die Staaten Nevada und California zu reiten. Auf diese Weise kam er zwar eine ganze Woche später in San Franzisko an. Das kam ihm aber sehr gelegen. Samuel Brady hatte nämlich eine Angewohnheit, die ihm schon manchen Nutzen gebracht hatte und von Vorteil gewesen war. Er liebte es, über irgendein Problem tagelang nachzudenken, ehe er sich ans Werk machte. Und diesmal galt es, gründlich nachzudenken. Da war also von einem „Mandarin die Rede, der überfällig war, und hier gab es nun viele Kombinationen, viele Mutmaßungen und verschiedene Richtungen. Es konnte sich um einen einfachen Namen handeln – und warum sollte zum Beispiel ein biederer Südländer nicht „Mandarin heißen – es konnte aber auch von einer Bezeichnung, einem Titel die Rede sein! Vielleicht von einem Chinesen? Gab es denn nicht in San Franzisko ein riesiges Chinesenviertel, das an Verbrechertum nichts mehr seinesgleichen hatte in allen achtundvierzig Staaten der Union? Und wo sollte Samuel Brady diesen Kerl, diesen „Mandarin oder dessen Organisation finden? Was hatte es mit ihm für eine Bewandtnis?

    Fragen über Fragen! Niemand, auch Oberst Sinclar nicht, konnte von ihm verlangen, dass er sich Hals über Kopf in diese finsteren Geheimnisse stürzte, dass er sich einfach in die schnellfahrende Railway setzte, um schon nach wenigen Stunden in der Riesenstadt zu sein! Gut Ding will Weile haben. Da gab es so Vieles, was des gründlichen Nachdenkens wohl wert war ...

    Und Samuel Brady pflegte, wie schon gesagt, gründlichst nachzudenken – –

    Der „Traurige" war ein seltsamer Mann und sein Leben barg ein tragisches Geheimnis – – Nur wenige Menschen wussten darum. Samuel Brady hatte seinen Namen zu hohen Ehren gebracht. Schon seine Zugehörigkeit zu der berühmten und erfolgreichen G-Mannschaft des Obersten Sinclar brachte ihm großes Ansehen ein. Aber leider war dies nicht sein richtiger Name. Dieser lautete ganz anders, nämlich Samuel Danten. Schon vor mehreren Jahren, ehe er noch als sechstes Mitglied den gefürchteten Langreitern des Obersten Sinclar beigetreten war, hatte er sich von diesem Namen abgewandt. Er schämte sich, ihn zu tragen, obwohl er von einem braven Vater und einer ehrlichen, rechtschaffenen Mutter stammte. Der Grund zu dieser Handlungsweise waren seine beiden Brüder, die vollkommen aus der Art geschlagen waren, die schon als halbflügge Jungen von der rechten Bahn abgekommen, sich immer mehr zu Tunichtguten und später zu regelrechten Verbrechern entwickelt hatten.

    Dirk Danten hieß der eine und man nannte ihn einen Philosophen, weil er die Weisheiten dieses trüben Lebens in wunderschöne Worte kleiden konnte.[1]

    Und Jim Danten der andere. Auch dem zweiten Bruder haftete ein Namen an, der bezeichnend für dessen hervorstehendste Charaktereigenschaft war – in der Maske eines frommen, biederen Mannes seine abgrundtiefen Schlechtigkeiten zu tarnen – er lautete: Der „Jesuit".[2]

    Beide hatten schließlich doch ihr längst verdientes Ende am Galgen gefunden und in beiden Fällen war es ausgerechnet die Nummer „Eins" der G-Mannschaft gewesen, die den beiden berüchtigten Brüdern zu jener Freifahrt in die Hölle verholfen hatte.

    Samuel Brady hatte damals befreit aufgeatmet, als er von dem Tod der beiden erfuhr. Die Nummer „Eins" hatte selber diese Nachricht ins Hauptquartier gebracht, wo Trixi sich seinerzeit notgedrungen aufhalten musste und Samuel hatte das unrühmliche Ableben seiner beiden Brüder noch keine einzige Sekunde seines Lebens bedauern können.

    Nach einem Grund- und Richtsatz, den Samuel Brady ohne Sentimentalität über sein Leben gestellt hatte, erntete jeder am Ende den Lohn, den er verdient hatte. In Withewater im Staate Colorado lebte noch der alte Vater Samuels und immer, wenn der G-Mann in dieser Gegend zu tun hatte, stattete er diesem einen kurzen Besuch ab. Auch der Vater war ein Sonderling, wie seine drei Söhne. Es war die Einsamkeit der weiten Wälder Colorados, die ihn dazu gemacht hatte. Die Einsamkeit kann schön sein, sie formt den Menschen und macht ihn nachdenklich. Zu viel Einsamkeit aber macht ihn verschroben und wunderlich. Vater Danten hatte seine Sprösslinge immer auf diese Gefahr hingewiesen und ihnen geraten, sich Berufe auszusuchen, die es ihnen gestatteten, unter Menschen zu sein. Samuel, Jim und Dirk hatten diese Ratschläge befolgt. Sie waren nicht wie der Vater lange allein und ohne Ansprache als Trapper und Fallensteller durch die Wälder gezogen, sie hatten nicht monatelang in unwegsamen, abgelegenen Claims zugebracht und waren doch alle drei seltsame Käuze geworden. Das aber konnte nur im väterlichen Erbteil begründet gewesen sein.

    Dirk hatte einmal den Vater gefragt, woran man die Wandlung des normalen Geistes in den Zustand der Wunderlichkeit erkennen könne. Seine so unschuldig dreinblickenden Augen, die ständig an ein demutsvolles Rehlein erinnerten, waren dabei erwartungsvoll auf Vater Danten gerichtet gewesen. Dieser hatte damals leicht geschmunzelt und seine Antwort legte Zeugnis davon ab, dass er schon etwas tiefer in diese etwas absonderliche Materie eingedrungen war.

    „Dirk", hatte er damals gesagt, „das ist so einfach, dass ich mich wundere, es dir überhaupt erklären zu müssen! So lange du als schweigsamer, ruhiger Mann in der Wildnis lebst, so lange ist dein Verstand in Ordnung und du hast noch nicht unter der tödlichen Einsamkeit gelitten. Wenn du aber einmal anfängst, dir Fragen zu stellen, laut und weithin hörbar, dann bist du auf dem besten Wege, eine weiche Birne zu bekommen, dann beginnt schon das Gift zu wirken, dann bist du bereits auf dem Wege in den großen, dunklen Gang, den die anderen beginnenden Irrsinn nennen! Das aber ist noch nicht so schlimm! Es laufen so viele Kerle auf der Welt herum,

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