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Sherlock Holmes und die schwarze Kobra
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eBook316 Seiten4 Stunden

Sherlock Holmes und die schwarze Kobra

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Über dieses E-Book

Der Meisterdetektiv im Land der tanzenden Schlangen

Sherlock Holmes reist mit dem Ehepaar Tristram nach Indien, wo David ein Stück Land geerbt hat. Auf dem Weg dorthin will er in Bombay im Auftrag seines Schwagers eine Büste bei Konsul McGregor abliefern. Doch der reiche Schotte erinnert sich nicht mehr daran, Modell für dieses Kunstwerk gesessen zu haben. Das weckt natürlich Holmes' Neugier. Während eines Empfangs im Hause des Konsuls stirbt ein Diener, der dem Meisterdetektiv geheime Informationen angeboten hat, am Biss einer Brillenschlange.
Nur kurze Zeit später wird in der Bibliothek der Asiatic Society ein wertvolles Kultgefäß für den Schlangenkult gestohlen und Holmes erhält den Auftrag, es wiederzubeschaffen. Dieser Fall führt ihn und seinen zeitweiligen britischen Assistenten auf die geheimnisvolle Insel Elephanta, an den Hof des Raja von Adipur und mitten hinein in die angsteinflößende Finsternis der Hindu-Tempel.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Okt. 2016
ISBN9783954413393
Sherlock Holmes und die schwarze Kobra

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    Buchvorschau

    Sherlock Holmes und die schwarze Kobra - Franziska Franke

    Notar

    1. Ankunft in Bombay

    Endlich zeichnete sich die Küste des indischen Subkontinents vor meinen von der Hitze gereizten Augen ab. Unsere kleine Reisegruppe würde sich also bald auflösen. Holmes hatte uns trotzdem bisher weder mitgeteilt, wie lange er in Bombay bleiben wollte, noch was er überhaupt in Indien zu tun gedachte. Möglicherweise schwieg er sich aus, damit ich mich nicht an seine Fersen heftete, vielleicht hatte er aber zu diesem Zeitpunkt auch noch kein konkretes Ziel.

    Meine Frau und ich wollten hingegen nach Simla weiterreisen, wo ich zwei Jahre zuvor ein kleines Grundstück von einem abenteuerlustigen Onkel geerbt hatte. Es war gewiss weit weniger wert, als die Reise dorthin kostete, weshalb ich bisher noch keine Anstalten unternommen hatte, mein Erbe in Augenschein zu nehmen. Aber als Holmes angekündigt hatte, dass er nach Indien reisen würde, änderte das schlagartig meine Einstellung zu dem Grundstück. Ich wünschte nur, er hätte diesen Plan bereits in Ägypten geäußert. Dann wären wir nicht von dort erst nach Florenz zurückgekehrt.

    Am Nachmittag verkündete ein ohrenbetäubendes Tuten der Schiffssirenen unsere Ankunft in Bombay. Vor uns lag eine ausgedehnte, volkreiche Stadt, die wie Venedig durch Landgewinnung aus mehreren kleinen Inseln gebildet worden war. Heute wurde sie durch einen Bahndamm mit dem Festland verbunden. Auf dem Pier wimmelte eine Menschenmenge bunt durcheinander: indische Diener, Hafenbeamte, Pagen mit großen Namensschildern und die Schlepper der Hotels. Dazwischen standen als Fels in der Brandung die Freunde und Verwandten der Passagiere.

    Staunend betrachtete ich die Szenerie am Hafen, denn Bombay war anders, als ich erwartet hatte: sowohl exotischer als auch stärker vom großstädtischen, modernen Leben geprägt.

    »Ich hatte mir die Stadt kleiner und weniger hektisch vorgestellt«, murmelte Violetta besorgt vor sich hin.

    Mir ging es ähnlich, weshalb ich unverzüglich meinen Reiseführer konsultierte. »Bombay ist seit der Eröffnung des Suezkanals der wichtigste Handelsplatz Indiens. Die Stadt hat 1891 immerhin 821.764 Einwohner und zwar 502.851 Hindu, 158.713 Mohammedaner, 48.597 Parsen, 30.708 eingeborene Christen, 17.387 Buddhisten, 10.541 Europäer, 1168 Eurasier sowie viele Araber, Perser, Chinesen und Neger«, las ich vor und überlegte belustigt, dass wohl seit Redaktionsschluss der eine oder andere von ihnen gestorben sein könnte. Außerdem hatte ich keine Ahnung, was Parsen waren.

    »Ob uns ein Hotelpage abholt?«, fragte Violetta und ließ ihren Blick suchend über die Menschenmenge schweifen.

    »Wohl kaum, denn das Schiff hat mehrere Stunden Verspätung«, schaltete sich Holmes ungeduldig mit den Fingern auf der Reling herumtrommelnd ein, aber die Andockprozedur war noch immer nicht beendet.

    Am späten Nachmittag gingen wir endlich die Gangway hinunter. Hitze und Lärm schlugen uns am Ufer entgegen. Als wir die Zollformalitäten in einer staubigen Baracke hinter uns gebracht hatten, fielen ganze Scharen von Kulis über uns her, die sich anboten, unser Gepäck zu tragen oder uns in der Stadt herumzuführen. Zwischen den dunkelhäutigen Einheimischen mit ihren weißen Gewändern war der schwarz gekleidete Holmes eine sehr auffällige Erscheinung, zumal er die meisten Inder um Haupteslänge überragte.

    »Sie wollen uns bestimmt unsere Koffer rauben«, vermutete Violetta, argwöhnisch die einheimischen Kofferträger betrachtend, die sich bereits unseres Gepäcks angenommen hatten.

    »Durchaus möglich, aber wenigstens fahren hier die Wagen nicht in der falschen Richtung!¹«, erklärte Holmes gut gelaunt und winkte dann eine Droschke herbei. »Hotel Bristol«, rief er dem Kutscher zu, einem drahtigen, kleinen Mann mit großer Nase.

    Konsul Angus McGregor, ein Kunde meines Schwagers, hatte uns das Hotel empfohlen, da es nicht zu teuer war und angeblich trotzdem europäischen Hygiene-Standards entsprach.

    Nachdem die Gepäckträger unsere Koffer im Fahrzeug verstaut hatten, ging die Fahrt so ungestüm los, dass mein Magen einen Satz machte und ich mich vorsichtshalber am Sitz festklammerte. Aber bald bogen wir in eine belebte Straße ein, in der die Kutsche nur noch langsam vorankam. Draußen mischten sich Lastenträger, die überfüllte Schubkarren vor sich herschoben mit Lebensmittelhändlern, die ihre Waren laut anpriesen, weiß gekleidete, arme Hindus mit reichen Landsleuten in farbigen Kleidern und den wichtigtuerischen Beamten der Britischen Kolonialmacht. Letztere hatten mit gewaltigen Bauten der Innenstadt ihren Stempel aufdrückt. Endlich hielten wir vor dem Hotel Bristol, einem modernen Bau, der auch in London hätte stehen können. Aber wahrscheinlich sahen Hotelbauten mittlerweile überall gleich aus.

    »Wir haben telegrafisch zwei Zimmer auf die Namen Sigerson und Tristram bestellt«, sagte Holmes zum Rezeptionisten, einem fetten Inder, der nach einigem Suchen unsere Namen in seinem Gästebuch fand. Während Holmes die vorgeschriebenen Eintragungen erledigte, ließ ich meinen Blick durch die Halle wandern, die mit ihren durchbrochenen Bronzelampen und in Rottönen gemusterten Textilien wenigstens etwas exotisches Flair verströmte.

    Hotelpagen schleppten unser Gepäck eine herrschaftliche, von einem karminroten Läufer bedeckte Treppe hinauf. Das Gästezimmer war jedoch weit weniger luxuriös, als ich es angesichts des Eingangsbereiches erwartet hatte. Es war zwar geräumig und auf den Parkettfußböden lagen dicke Orientteppiche. Aber die Betten waren unbequem, und die schon etwas angestoßenen Schränke aus dunklem Holz rochen vermodert. Zwei niedrige, wackelige Stühle und ein kleiner Tisch mit matt gescheuerter Platte rundeten die schäbige Einrichtung ab. Betrachtete man allerdings die Lebensverhältnisse der meisten Einwohner Bombays, so hatten wir sicherlich eine akzeptable Unterkunft gefunden, zumal das Hotel sehr zentral gelegen war.

    Wir waren von der Reise erschöpft und gingen daher früh zu Bett. Trotzdem schlief ich schlecht, denn die feuchte Luft machte mir zu schaffen. Außerdem hatte ich, als Folge der langen Seefahrt, die ganze Nacht noch immer das Gefühl, dass mein Bett schwankte.

    »Denk dran, dass du für Andrea eine Skulptur ausliefern musst«, ermahnte mich Violetta am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück. »Am besten du erledigst es gleich. Dann haben wir den ganzen Nachmittag Zeit, um die Stadt zu besichtigen.«

    »Willst du mich wirklich nicht begleiten?«, fragte ich und starrte feindselig auf ein sehr schweres Paket, das in der Ecke auf dem Boden stand. Es enthielt die Büste des bereits erwähnten Mister McGregor, der sich von meinem Schwager Andrea Boldoni hatte porträtieren lassen.

    »Nein, das wäre wirklich übertrieben! Es ist schließlich kein gesellschaftlicher Besuch, du sollst doch nur eine Skulptur abliefern«, erwiderte meine Frau belustigt.

    Wahrscheinlich wollte sie lieber zum Telegrafenamt, um ihrem Bruder mitzuteilen, dass sie sicher in Bombay angekommen war. Auch nach mehreren Jahren gemeinsamen Lebens hatte ich den Eindruck, dass Violetta sich mehr ihrer Großfamilie als ihrem Ehemann zugehörig fühlte.

    »Der Konsul wohnt am anderen Ende der Stadt. Außerdem bin ich nicht der Laufjunge deines Bruders«, versuchte ich sie umzustimmen, denn ich bedauerte inzwischen, an Bord ohne groß nachzudenken in die Auslieferung eingewilligt zu haben.

    »Jetzt stell dich nicht so an! Der Konsul weiß, dass du Andreas Schwager bist. Er wird dich bestimmt nicht für einen Laufburschen halten«, sagte meine Frau, während sie mir meinen Hut reichte und entschlossen die Zimmertür öffnete. »Die Statue ist bereits bezahlt. Du musst sie nur übergeben.«

    »Wenn es denn sein muss!«, ergab ich mich in mein Schicksal und hob das Paket an.

    »Und iss unterwegs nichts bei fliegenden Händlern«, ermahnte mich meine Frau. »Hier gibt es Krankheiten, deren Namen wir nicht einmal kennen. Die Frauen der Offiziere an Bord haben immer wieder betont, dass man in Indien nichts essen oder trinken soll, das nicht abgekocht ist.«

    »Keine Sorge. Ich komme so schnell wie möglich zurück. Ich habe nämlich keine Lust, ohne dich in Bombay herumzulaufen«, versicherte ich ihr, doch in Wahrheit befürchtete ich, Holmes könnte sich während meiner Abwesenheit aus dem Staub machen.

    Ich gab zwei Hotelpagen ein reichliches Trinkgeld, damit sie für mich die schwere Büste zur nächsten Haltestelle der Stadtbahn schleppten. Von dort fuhr ich mit einem modernen Zug in die Villenvorstadt Malabar-Point, die sich auf dem gleichnamigen, steilen Vorgebirge ausdehnte, das sich im Südwesten Bombays erhob. Hier befand sich unter anderem der Gouverneurspalast. Auch Konsul McGregors Villa, die sich zum Glück nicht weit entfernt von der Haltestelle befand, war äußerst stattlich. Wie die meisten Gebäude des Viertels war sie nicht im einheimischen, sondern im europäischen Stil erbaut. Dem Bronzeschild neben der Haustür entnahm ich, dass Mister McGregor als Honorarkonsul für baltische Kaufleute zuständig war. Ein richtiger Konsul hätte sich bestimmt die Skulptur von einer Spedition schicken lassen. Außerdem bezweifelte ich, dass sich viele Balten nach Indien verliefen. Kopfschüttelnd betätigte ich den Klingelzug, und augenblicklich riss ein blasser Dienstbote mit typisch englischer Physiognomie vehement die Haustür auf. Wie ich später feststellte, handelte es sich um den Kammerdiener des Hausherrn.

    »Kommen Sie herein! Konsul McGregor erwartet Sie bereits«, forderte er mich auf, noch bevor ich mich vorgestellt hatte. Vermutlich hatte er mich an dem Paket erkannt, das ich vor der Tür abgestellt hatte.

    Der Kammerdiener geleitete mich in eine Art Vorzimmer, murmelte einige unverständliche Höflichkeitsfloskeln vor sich hin und verschwand hinter einer weiß lackierten Tür. Da mir der Diener meine Last nicht abgenommen hatte, deponierte ich das Paket auf einem mit Intarsien verzierten, runden Tisch, der in der Mitte des Raums stand, und schaute mich um. Von der Straße her drang der Geruch von fremdartigen Gewürzen durch das Fenster. Das war aber auch das Einzige, was mich daran erinnerte, dass ich mich nicht in London, sondern in Indien befand. Der Raum mit seinen dunklen, englischen Stilmöbeln und den gerahmten Stichen mit Jagdmotiven wirkte auf mich wenig einladend, wie ich überhaupt das ganze Haus eher imposant als anheimelnd fand.

    Ein paar Sekunden später wurde die Tür aufgerissen und gab den Blick auf den angrenzenden Raum frei, dessen Wände mit ausgestopften Tigerköpfen dekoriert waren. Mit erwartungsvoller Miene stürmte der Hausherr herein. Er war ein unauffälliger Mann um die vierzig, dessen buschiger Schnurrbart mich an ein Walross erinnerte. Bei meinem Anblick blieb er abrupt stehen. Der freudige Ausdruck verschwand von seinem Gesicht, während er mich von Kopf bis Fuß musterte. Offenbar hatte er jemand anderes erwartet.

    »Guten Morgen, Konsul McGregor, mein Name ist David Tristram«, stellte ich mich vor und überreichte dem Hausherrn meine Karte. »Ich bin der Schwager von Andrea Boldoni und bringe Ihnen die bestellte Büste.«

    Noch immer starrte Mister McGregor mich so fassungslos an, dass ich mich spontan erkundigte, ob ich mich in der Adresse vertan hatte. Natürlich war das eine dumme Frage, denn schließlich hatte ich Namen und Titel des Hausherrn auf dem Messingschild gelesen.

    »Nein, Sie sind hier völlig richtig«, beteuerte mein Gesprächspartner mit einem etwas gezwungenen Lächeln. Seine raue Stimme ließ einen Kettenraucher vermuten. »Ich bin Konsul McGregor. Ich vermute, die Büste ist da drin?«

    Er sprach das Wort Büste wie ein Schimpfwort aus und deutete dabei anklagend auf das sorgfältig verschnürte Paket.

    Kein Laut drang aus dem riesigen Haus, und ich fragte mich, ob es nur von ihm und seinem Diener bewohnt wurde.

    »Ja, das ist sie!«, bestätigte ich, während ich das gute Stück vorsichtig auspackte, damit Konsul McGregor es begutachtete. Ich konnte nur hoffen, dass sie ihm zusagte, denn ich hatte keine Lust, die schwere Skulptur wieder ins Hotel zurückzuschleppen.

    »Das Porträt ist sehr gut gelungen!«, sagte er mit einem erstaunten Lachen, das allmählich in ein leises Husten überging.

    Auch ich war von der Bildhauerarbeit angetan. Das Modell war durchaus wiederzuerkennen. Aber um wie viel imposanter sah sein marmornes Abbild aus! Es würde eine Zierde der Villa sein. Ich musste neidlos zugeben, dass mein Schwager Andrea immer besser wurde. Mittlerweile kamen seine Skulpturen fast an die seines berühmten Vaters Maestro Boldoni heran.

    »Was schulde ich Ihnen?«, fragte Mister McGregor, nachdem er sein Konterfei einige Augenblicke lang wie seinen Todfeind gemustert hatte.

    »Meine Frau sagte, dass die Büste im Voraus bezahlt worden sei«, erwiderte ich verblüfft, denn es kommt im Geschäftsleben selten vor, dass ein Kunde freiwillig zweimal zahlt – und schon gar nicht bei den happigen Preisen der Werkstatt meines Schwagers. Außerdem irritierte mich, dass mein Gesprächspartner die üblichen Höflichkeiten wie die Frage nach dem Befinden der Familie – mit einem kleinen Glas Sherry – übersprungen hatte und gleich zum geschäftlichen Teil übergegangen war. Noch nicht einmal einen Stuhl hatte er mir angeboten. Von einem Konsul hätte ich bessere Umgangsformen erwartet.

    »Das stimmt. Sie haben völlig recht!«, erklärte Mister McGregor nach einer Schrecksekunde. Er griff sich mit einer fahrigen Handbewegung an die Stirn und wirkte überhaupt zunehmend nervös. Es herrschte eine angespannte Atmosphäre im Raum, die ich geradezu körperlich spürte. »Ich habe ganz vergessen, dass ich Ihnen das Geld schon in London gegeben habe.«

    Hatte er tatsächlich London gesagt? Fast wäre mir die Frage herausgerutscht, ob er Florenz gemeint hatte. Aber langsam war mir der Konsul nicht mehr geheuer. Was hatte ich mir da wieder eingebrockt! Ich erwartete jeden Augenblick, dass der Hausherr einen Klingelzug betätigte und zwei muskulöse Handlanger aus dem Hinterzimmer stürmten, um mich den Tigern zum Fraß vorzuwerfen. In den Kolonien war schon mancher spurlos verschwunden, ohne dass es die Behörden bekümmert hätte. Höchste Zeit, das Haus zu verlassen!

    »Genau so ist es«, sagte ich mit dem verbindlichsten Lächeln, das ich zustande brachte.

    »Sie müssen meine Zerstreutheit entschuldigen, aber ich gebe morgen Abend einen Empfang, und wir sind von den Vorbereitungen doch sehr in Anspruch genommen«, machte mein Gastgeber einen Versuch, die Ungereimtheiten zu erklären. »Wollen Sie uns nicht mit Ihrer Anwesenheit beehren? Der Einlass beginnt um sieben.«

    Die Einladung kam völlig unerwartet und war sicher nicht ernst gemeint, brachte mich aber dennoch kurz aus dem Konzept. »Vielen Dank! Ich weiß Ihre Freundlichkeit zu schätzen«, entgegnete ich möglichst unverbindlich, bevor ich mich verabschiedete und schleunigst das Haus verließ.

    Draußen atmete ich erleichtert durch und schwor, mich nie wieder unentgeltlich von der Familie Boldoni einspannen zu lassen. Noch immer etwas verwirrt eilte ich zur Haltestelle zurück. Kaum hatte ich die Hauptstraße erreicht, fühlte ich eine Hand in die Tasche meiner Jacke gleiten. Ich packte sie beim Gelenk, wirbelte herum und erblickte gerade noch einen mageren Jungen in einem dünnen, weißen Gewand. Der kleine Taschendieb wand sich los und rannte davon. Im letzten Moment, bevor er in der Menge verschwunden war, erkannte ich etwas Weißes in seiner Hand. Hatte ich gedankenverloren eine Visitenkarte in die Jackentasche getan? Die Überprüfung der Tasche ergab, dass auch mein Kleingeld fehlte. In Italien hatte ich mir nämlich angewöhnt, immer ein paar Münzen für Bettler griffbereit zu haben.

    Voller Mitteilungsdrang betrat ich eine halbe Stunde später das Hotel. Aber zu meinem größten Bedauern traf ich meine Frau nicht in unserem Zimmer an. Ich fluchte kurz vor mich hin, doch es war wohl sowieso besser, zuerst Holmes ins Vertrauen zu ziehen.

    Ich schritt zur Tür des Nachbarraums und klopfte an. Von drinnen vernahm ich ein unverständliches Brummen, das ich als Aufforderung einzutreten interpretierte. Als ich die Tür aufstieß, waberten mir Rauchschwaden entgegen, aber das Hotelzimmer war ordentlich und sauber, was für den Fleiß des Zimmermädchens sprach, denn Holmes richtete überall in wenigen Stunden ein namenloses Chaos an. Mit angehaltenem Atem durchquerte ich den Raum, schob die geschlossenen Vorhänge zur Seite und zog das typisch englische Fenster herunter, das mich immer an eine Guillotine erinnerte. Heiße Luft strömte herein, aber wenigstens war sie sauber, da das Fenster nicht zur Straße führte. Das mittägliche Licht, das in den Raum fiel, beleuchtete die lange Gestalt von Holmes, der auf dem Bett saß und die Saiten seiner Geige überprüfte. Seine Pfeife hatte er auf den Nachttisch abgelegt.

    »Mir ist eben etwas Seltsames passiert«, begann ich, ließ mich auf einen Stuhl fallen und berichtete dann von meinem Besuch beim Konsul.

    »Mister McGregor kann kaum so zerstreut sein, dass er Florenz mit London verwechselt. Auch die Tatsache, dass er sich nicht mehr daran erinnert, eine größere Summe bereits bezahlt zu haben, ist befremdlich«, bemerkte Holmes, der während meines Berichts aufgestanden war und nun mit dem Rücken an den Schrank gelehnt aus dem Fenster schaute.

    »David!«, hörte ich im gleichen Augenblick meine Frau im Flur rufen. »Kannst du bitte die Tür aufmachen? Mein Schlüssel ist ganz unten in meiner Tasche!«

    Bevor ich auch nur aufgestanden war, hatte Violetta bereits dreimal ungeduldig an unsere Zimmertür geklopft.

    »David! Bist du in der Badewanne?«, hörte ich ihre mittlerweile leicht ungehaltene Stimme.

    Ich öffnete die Tür und räusperte mich.

    »Ich bin im Zimmer von Holmes«, gab ich bekannt und bedeutete Violetta mit einer Geste, sich zu uns zu gesellen.

    Mit besorgter Miene folgte sie meiner Aufforderung. »Was ist passiert?«, fragte sie, kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.

    Holmes machte eine einladende Geste auf einen freien Stuhl, und meine Frau nahm Platz, während ich mich auf dem anderen Stuhl niederließ.

    »Es wäre nett, wenn Sie Ihrer Frau noch einmal alles ausführlich schildern. Vielleicht erinnern Sie sich dabei noch an weitere Einzelheiten«, forderte Holmes mich auf, was mich unangenehm an die Polizei erinnerte, der man immer alles mehrfach erzählen musste.

    Widerwillig tat ich, wie mir geheißen. »Ich möchte zu gern wissen, wen er statt meiner erwartete«, überlegte ich, nachdem ich geendet hatte.

    Holmes warf mir einen schwer zu deutenden Blick zu. »Diese seltsame Geschichte hat wahrscheinlich eine ganz harmlose Erklärung.« Ich war sicher, dass er das nur behauptete, um Violetta und mich zu beruhigen. »Trotzdem sollten Sie besser im Hotel bleiben, bis ich diesen Konsul McGregor unter die Lupe genommen habe.« Ich wollte protestieren, aber Holmes ließ mich nicht zu Worte kommen. »Sie haben Mister McGregor gegenüber hoffentlich nicht zufällig das Hotel Bristol erwähnt?«

    »Nein, das habe ich nicht«, beteuerte ich.

    »Das ist gut«, brummte Holmes, legte seine Geige neben sich, griff nach seiner unvermeidlichen Pfeife und begann sie zu stopfen.

    »Er wird trotzdem wissen, dass wir hier abgestiegen sind«, gab ich zu bedenken, »schließlich war er es, der uns das Hotel empfohlen hat.«

    »Da bin ich mir gar nicht so sicher. Immerhin ist ihm auch entfallen, dass er sich hat porträtieren lassen«, entgegnete Holmes und zündete seine Pfeife an.

    Als sie brannte, stand er auf und begann, mit der Pfeife im Mundwinkel im Raum auf- und abzugehen. Nach der dritten Runde blieb er abrupt stehen und schaute meine Frau an. »Mrs Tristram, seien Sie doch bitte so freundlich, mir alles zu erzählen, was Sie über Mister McGregor wissen.«

    »Mister McGregor ist ein in Bombay ansässiger schottischer Kaufmann. Er hat einen Besuch bei Geschäftspartnern in London mit einer Italienreise verbunden. Ein anderer Brite hat ihn dort auf die Werkstatt meines Bruders aufmerksam gemacht«, antwortete Violetta nach kurzem Nachdenken.

    »Es war nicht zufällig Mortimer Hopper?«, fragte ich besorgt, da ich dem zwielichtigen Kunsthändler alles zutraute.

    Meine Frau zuckte entschuldigend mit den Schultern, was wohl bedeutete, dass sie es nicht wusste.

    »Jedenfalls hat Mister McGregor sich von Andrea porträtieren lassen, obwohl er nicht genug Zeit hatte, um bis zur Fertigstellung der Büste in Florenz zu bleiben, da er bereits eine Rückfahrkarte gebucht hatte. Als Andrea hörte, dass sein Kunde in Bombay wohnt, hat er ihn gefragt, ob er uns ein Hotel empfehlen könnte. Das hat wiederum den Konsul auf die Idee gebracht, dass wir die Büste bei ihm vorbeibringen könnten. Wie Sie sich vorstellen können, hat mein Bruder auf Vorauskasse bestanden, denn er hat in ähnlichen Fällen schon schlechte Erfahrungen gemacht.«

    »Sie kennen Konsul McGregor also nicht persönlich?«, fasste Holmes den etwas konfusen Bericht sachlich zusammen.

    »Leider nicht!«, bedauerte Violetta. »Ich halte mich nur selten in der Werkstatt auf. Der Konsul hat meines Wissens auch nur zweimal Modell gesessen. Ansonsten hat Andrea nach einer Fotografie gearbeitet.«

    »Das ist bedauerlich«, bemerkte Holmes mit erstaunlicher Beiläufigkeit. »Wenn ich mich richtig erinnere, so ist die Skulptur gerade noch rechtzeitig fertig geworden, um sie mitzunehmen?«, fragte er dann, was Violetta bestätigte. »Könnten Sie vielleicht abschätzen, wie viel Zeit seit der Abreise ihres Modells vergangen ist?«

    Meine Frau schaute einen Moment lang verdattert drein, was wohl an dem langen englischen Satz lag. »Das muss ich nicht schätzen. Mein Bruder hat gesagt, dass sich der Konsul am 14. Juli einschiffen will. Ich habe mir das Datum gemerkt, weil es der französische Nationalfeiertag ist«, verkündete sie dann, was wiederum Holmes für eine Sekunde aus dem Konzept brachte.

    »Es ist ein Jammer, dass ich nicht in meiner Kartei nachschauen kann, ob ich bereits eine Akte über Konsul McGregor angelegt habe«, überlegte er dann. »Es gefällt mir gar nicht, dass sein Name mit dem Buchstaben M beginnt.«

    Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob Holmes die tropische Sonne nicht bekommen war.

    »Weil das auch für Professor Moriarty, Cornel Moran und Mister Milverton zutrifft«, klärte er mich angesichts meines verblüfften Gesichtsausdrucks auf. »Aber auch für uns gibt es Arbeit! So trifft es sich gut, dass Mister McGregor morgen Abend einen Empfang gibt, was ich übrigens vorhin bereits auf der Gesellschaftsseite der Zeitung gelesen habe. Ich bin sicher, dass unsere Reisebekanntschaft Mrs Summerly uns eine Einladung besorgen kann.«

    Mrs Jane Summerly war eine leicht überspannte, sehr junge Frau, die an Bord unseres Schiffes mit der Behauptung, einer der Mitreisenden habe ihr den Verlobungsring gestohlen, für einen allgemeinen Aufruhr gesorgt hatte. Holmes hatte das Corpus Delicti binnen einer Stunde wiederbeschafft und so den Frieden gerettet. Der Ring war dann bei der Hochzeit der Verlobten sogleich zum Einsatz gekommen.

    »Uns?«, fragte ich erstaunt zurück, denn schließlich hatte Holmes mich eben erst unter Hausarrest gestellt. Dann erinnerte ich mich mit gemischten Gefühlen daran, dass Violetta an Bord des Schiffes Mrs Sigerson gespielt hatte. Das war aus Sicherheitsgründen geschehen. Sollten Professor Moriartys Schergen die Passagierlisten der Schiffe nach Übersee kontrollieren, würden sie einem verheirateten Mann keine Beachtung schenken. Meiner Meinung nach war diese Maskerade überflüssig, denn der Reisepass auf den Namen Sven Sigerson, den der Vetter unserer Florentiner Nachbarn angefertigt hatte, sah authentischer aus als die meisten echten Dokumente.

    »Mrs Summerly würde sich sehr wundern, wenn ich ohne meine Gemahlin den Empfang besuche. Da Mrs Tristram dem Konsul in Florenz nicht begegnet ist, besteht keine Gefahr, dass er sie wiedererkennt«, bestätigte Holmes meinen aufkeimenden Verdacht, aber er wirkte alles andere als begeistert.

    Meine Frau hingegen nickte mit leuchtenden Augen. Sie hatte sich in Florenz immer beschwert, dass sie sich nicht an unseren Ermittlungen beteiligen durfte.

    »Das

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