Kottan ermittelt: Geschichte aus dem Wiener Wald
Von Helmut Zenker
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Über dieses E-Book
››Zenkers "Geschichte aus dem Wiener Wald" ist Kriminalroman und meisterhafte Milieustudie zugleich.‹‹ - Franz Schuh, VISA-Magazin
››Wir leben in einer Welt voll grotesker Versatzstücke, und mit diesen Versatzstücken jongliert Zenker so kunstfertig, dass es uns bundesdeutsche Krimischreiber fast neidisch stimmen könnte.‹‹ - Susanne Thommes
››Es ist erschreckend, weil alles der Wahrheit entspricht.‹‹ - Anonymer Polizist
››Ruhelos lässt Zenker den österreichischen Blätterwald rauschen. Ein Sittenbild.‹‹ - Wiener
Es handelt sich um eine aktualisierte Auflage! (13. Februar 2016)
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Buchvorschau
Kottan ermittelt - Helmut Zenker
Helmut Zenker
Kottan ermittelt: Geschichte aus dem Wiener Wald
(Roman)
Copyright © 2014 Der Drehbuchverlag, Wien und Jan Zenker
2. Auflage, 13. Februar 2016
Alle Rechte vorbehalten
eBook: Kottan ermittelt: Geschichte aus dem Wiener Wald (Roman)
ISBN: 978-3-99042-913-6
Inhaltsverzeichnis
Zu diesem Buch
Die Hauptpersonen
Ruhe vor dem Sturm
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Ruhe nach dem Sturm
Anmerkungen
Der Autor
Zu diesem Buch
Kottan ermittelt ist eine aktuelle Arzneimittelspezialität mit immunisierender Wirkung. Die sorgfältig abgestimmte Kombination bewährter Wirkstoff mit unüberlegten Formulierungen erlaubt sichere Vorbeugung und Therapie.
Zusammensetzung
Dieses Buch enthält (Brutto-Einwaage): 36.903 Worte, 2.185 Sätze, 490 Fragenzeichen.
Indikationen
Kottan ermittelt ist vor allem angezeigt bei chronischem Lesedrang, bei Schlaflosigkeit, und akuter bzw. subakuter Langeweile.
Dosierung
Erwachsene: 1-2mal wöchentlich ein Buch. Jugendliche (je nach Leseerfahrung) vertragen auch höhere Dosierungen.
Zur Beachtung
Kottan ermittelt kann die Wirkung auf Wirkungsdauer anderer Bücher empfindlich reduzieren. Beim Auftreten von Hautauschlägen, Nesselfieber oder anderer stärkerer Beschwerden sollten Sie das Lesen sofort abbrechen und das Fernsehprogramm Ihres Vertrauens konsultieren.
Hinweise
Gleichzeitiger Alkoholgenuss verstärkt den Effekt. Bücher daher für Kinder unerreichbar aufbewahren. Vor dem Lesen ist der Klappentext aufmerksam zu lesen. Darf nur in Buchhandlungen abgegeben werden. Bei unerwünschten Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Rezensenten. Kassenfrei. Lichtschutz nicht erforderlich. Verwendung erfolgt auf eigene Gefahr. Auch für Diabetiker und Schwangere geeignet. Hergestellt in Österreich.
Handelsformen
Bücher zu ca. 180 bis 200 Seiten und Anstaltspackungen. Ampullen und Suppositorien derzeit nicht lieferbar.
Helmut Zenker, Ges. ohne Haftung, A-1110 Wien.
Die Hauptpersonen
Ferdinand Heimlich, 42, Lebt nicht mehr lange.
Renate Murawatz, 27, Soziologie-Studentin, die auch in den Nächten durch die Stadt treibt.
Eva Heimlich, 45, Zunächst Gattin, später Witwe, die von Heimlichs Heimlichkeiten weiß.
Ludwig Sperber, 38, Sportsmann und Stellvertreter.
Werner Peterlik, 34, Stellvertreter des Stellvertreters.
Samad Schauki, 32, Verkauft Zeitungen und zieht Schwierigkeiten an.
Baren Kasimi, 35, Kommt auch aus Pakistan und ist mehr als geschäftstüchtig.
Josef Mikesch, 38, Detektiv und Amateur.
Drballa, 65, Hat seinen Vornamen vergessen und stolpert über eine Leiche.
Paul Schremser, 55, Hat ein Bein verloren, aber den Kampf um die Dezernatsleitung gewonnen.
Adolf Kottan, 41, Schwört auf seine Lederjacke, steirisches Bier und sich selbst.
Alfred Schrammel, 50, Der dritte und letzte Mann im Morddezernat.
Heribert Pilch, 55, Ist seit wenigen Tagen bester Polizeipräsident aller Zeiten.
Heinz Bauer, 54, Stiefbruder von Pilch, regiert die Staatspolizei.
Der Roman spielt Ende der achtziger Jahre in Wien und Umgebung.
Ruhe vor dem Sturm
Wir klagen nicht, wir zagen nicht,
wir sind ja froh und jung.
Es glüht in uns, es sprüht in uns
hell die Begeisterung.
Volkslied
Major Kottan sitzt seit zehn Minuten unbewegt auf seinem Bürosessel, weil der auf die kleinste Bewegung des Kriminalbeamten mit Stöhnen reagiert. Er ist allein im Zimmer, wartet ab. Alfred Schrammel, seit Jahren Kottans eifriger, aber einfältiger Schatten, hilft derzeit im Raubdezernat aus. Paul Schremser, Kottans früherer, meistens zynischer Assistent und inzwischen Dezernatsleiter, informiert gerade die Staatsanwaltschaft über einen abgeschlossenen Fall, der sowieso unkompliziert ist. Ein Elektriker hat den Liebhaber seiner Frau erschossen und gleich darauf selber die Polizei antelefoniert.
So unaufregend sind acht von zehn Fällen. Die Aufklärungsrate im Morddezernat liegt immer noch über 90 Prozent. Kein Wunder, findet Kottan. Er greift nach der aufgerissenen Schachtel Maverick, legt sie aber schnell wieder zurück. Zurzeit bewilligt er sich nur eine Zigarette in der Stunde. Außerdem wechselt er dauernd die Marke, um auf keinen bestimmten Geschmack zu kommen.
Präsident Pilch schmückt sich, wie er es als Dezernatsleiter auch schon gemacht hat, bei jeder Gelegenheit mit der zweifelhaften Erfolgsbilanz des Dezernats. Während eines dreiwöchigen Aufenthalts in einer psychiatrischen Privatklinik, der seinem Amtsantritt vorangegangen ist, soll es angeblich gelungen sein, Pilchs Jagdfieber, das sich gegen Fliegen aller Art richtet, einzudämmen. Um 16 Uhr will Heribert Pilch wieder einmal bei einer Pressekonferenz rhetorisch und statistisch glänzen.
Eine der türkischen Putzfrauen kommt ins Zimmer und befördert Kottans Beine von der Schreibtischunterlage unter den Schreibtisch. Vor dem sich ausbreitenden Lysoformgeruch flüchtet Kottan in den Waschraum, wo es niederschmetternd nach Veilchen und Flieder duftet. Ein anonymer Witzbold hat einen Aufkleber auf dem rahmenlosen Spiegel fixiert: Sicherheitsbüro - nein danke! Auf der Toilette hat möglicherweise derselbe Täter einen Zettel mit Tixo am Spülkasten befestigt: Achtung Aids-Gefahr! Bitte nur von weitem hineinscheißen. Nach zehn Minuten kehrt Kottan in sein Zimmer zurück und öffnet ein Fenster.
Auf Schrammels Schreibtisch liegt neben dem angebissenen Emmentalerbrot ein Taschenbuch-Krimi von Mickey Spillane. Schrammel verschlingt nach wie vor Spillanes Romane; am liebsten die, in denen sich Privatdetektiv Mike Hammer schieß- und schlagwütig ins New Yorker Gangstergewimmel stürzt. Kottan liest ein paar Zeilen: ››Der kalte Regen prasselte gegen das Fenster und machte es zu einem schwarzen Spiegel, einem bösartigen, hässlichen Auge im Gesicht eines bösartigen, hässlichen Hauses. Die Szene hatte etwas Widerwärtiges, Faules und Schmutziges, fast Irreales.‹‹ Zwei Sätze findet Kottan ausreichend. Er weiß, Mike Hammer wird im korrupten Großstadt-Stall jeden Anschlag, jedes Komplott überleben. Vermutlich ist Hammer ebenso oft angeschossen worden wie sein Kollege vom FBI Jerry Cotton.¹
Der Beruf eines Polizisten ist in Wien keinesfalls übertrieben gefährlich, glaubt Kottan, wenn man nicht gerade vor einer gefährdeten Botschaft oder Sparkasse herumzustehen hat. Kottan ist als Kriminalbeamter nur selten attackiert worden, mit Schüssen nur ein einziges Mal. Eher gerät er schon in unnötige private Handgreiflichkeiten.
Früher hat Kottan gern die Kriminalberichte der Woche mit Allan Wilton gelesen. Die rot-weiß-roten Heftromane gehörten seiner Großmutter, die schließlich auf Sigurd, Akim und Micky Maus umgestiegen ist. Immerhin hat sie Kottan erfolgreich von Arzt- und Schicksalsromanen ferngehalten.
Im Horoskop des Kurier steht: ››Es wartet heute viel Arbeit auf Sie. Wahrscheinlich sogar in ungewohnter Umgebung.‹‹ Bis jetzt ist kein Fall in Sicht. Soll er sich Hoffnungen auf einen Mord machen, der ihn dienstlich auf die Bermudas bringt? Im Horoskop der Einheitszeitung heißt es: ››Ärger am Nachmittag.‹‹²
Schremser kommt grußlos, verblättert fast automatisch das aufgeschlagene Taschenbuch Schrammels und schnuppert am Käsebrot. Er entscheidet sich dann doch für eine seiner Mentholzigaretten, mit denen er sich, wie er ständig behauptet, schon ein komplettes Bein weggeraucht hat. Schremser setzt sich hin, stellt die Krücken ab und dreht das japanische Transistorradio auf: die Verkehrshinweise, die darauf hinweisen, dass es ohnehin keine Störungen auf Österreichs Straßen gibt; dann Schlager von vorgestern. Kottan beobachtet Schremsers Rauchringe, die durchs Büro schweben.
Kurz nach zwölf wird Schrammel vom Raubdezernat dankend retourniert, weil er ein paar unüberlegte Fragen beim Verhör gestellt hat. Heute bemerkt er ausnahmsweise, dass jemand sein Buch verblättert hat. Vermutlich absichtlich verblättert.
››Wer war das?‹‹, will er wissen.
››Frag den Abendwind‹‹, singt hauchend eine französische Sängerin im Radio, in die Kottan vor 20 Jahren verliebt war. Schremser und Kottan machen ahnungslose Gesichter.
››Schweinerei‹‹, sagt Schrammel und fängt wieder auf der ersten Seite an.
Um 14 Uhr stellt sich im Polizeiwachzimmer in der Bäuerlegasse der 47jährige Hubert Maly, der behauptet, eine Frau umgebracht zu haben. Um 14 Uhr 20 stehen Kottan und Schremser schon im Mordzimmer der Zweizimmerwohnung in der Karajangasse. Die ermordete Frau heißt Ingeborg Köberl, Malys Lebensgefährtin, 68. Sie liegt erwürgt auf der Rollmatratze eines Campingbetts. Die Rollmatratze ist rosa geblumt.
Maly hat mit der Frau 13 Jahre zusammengelebt, ihre Ersparnisse und ihre winzige Rente ausgegeben. Der Toten hat er mit einer alten Krawatte den Unterkiefer nach oben gebunden.
Mit offenem Mund habe sie einen vorwurfsvollen Eindruck auf ihn gemacht, erklärt Maly im staubigen Stiegenhaus. Er traut sich auch in Begleitung nicht mehr in die Wohnung. Kottan gibt er eine kurze Darstellung. Bis zum letzten Jahr habe er noch gearbeitet: Hilfsarbeiten bei Firmen im Bezirk, die inzwischen rar geworden sind. Dann verlegte er sich auf das Versetzen von Schmuckstücken der Lebensgefährtin. Gestern kam es nach einer gemeinsam geleerten Flasche Wachauer Marillenbrand zu einem Streit, wie er in ähnlicher Form schon oft stattgefunden hatte. Es gab Vorhaltungen der Frau, er solle sich endlich wieder ernsthaft um eine Arbeit bemühen.
››Ich hab sie erwürgt, mit den Händen, weil sie so laut war und mir auf die Nerven gegangen ist, mit den dauernd gleichen Sätzen.‹‹
In der Likörstube Rosi an der Ecke habe er sich dann zu Ende betrunken und die Nacht auf dem Bretterboden neben der Leiche verbracht. Gestellt habe er sich, weil er bestimmt schnell erwischt worden wäre.
Maly wird abgeholt, überstellt. Kottan wartet nicht ab und lässt Schremser, Schrammel und die Beamten vom Erkennungsdienst zurück.
Mit dem heute sechsten Becher Kaffee geht Kottan im Büro ans offene Fenster. Maly hat Kottan zuletzt mit feigen Augen gefragt, ob er im Untersuchungsgefängnis mit Schlägen zu rechnen habe. Den aktuellen Mord glaubt Kottan schon mehrmals erlebt zu haben: ähnliches Milieu, ähnliche Motive, abgebrochene Lebensläufe, ähnliche Vorgeschichten. Viel lieber würde er einen Gangster von Format in die Enge treiben.
Auf der anderen Seite des Hofes öffnet (einen Stock höher) der Polizeipräsident sein Fenster und will sich mit Armzeichen bemerkbar machen. Kottan reagiert absichtlich nicht.
››Was ist jetzt, Kottan?‹‹, schreit Pilch. ››Ist der Fall fertig?!‹‹
Kottan nickt seinem Vorgesetzten zu. Pilch macht eine Bewegung, als wäre ihm der Hemdkragen zu eng.
››Kann ich ihn in die Statistik aufnehmen? In einer halben Stunde ist Pressekonferenz!‹‹
››Leck mich am Arsch‹‹, sagt Kottan, nur leise, und schmeißt das Fenster zu.
1
Es war einmal ein Land,
ein sehr merkwürdiges Land,
in dem alle Menschen normal waren,
geistig wie körperlich,
von einigen Ausnahmen abgesehen.
Kurt Schwitters
Ab etwa 17 Uhr wird vom Verlag der Einheitszeitung die Ausgabe des nächsten Tages ausgeliefert. Die Abend- und Nachtkolporteure der EZ versammeln sich wie jeden Tag schon eine halbe Stunde vorher im betonierten Hof der Druckerei, schlüpfen in ihre dünnen, violetten Jacken und tauschen Neuigkeiten aus. Dabei bleiben sie je nach Herkunft in drei Gruppen. Die meisten Verkäufer kommen aus Pakistan, 120 aus der Türkei. Indien ist mit 40 Sikhs vertreten.
Keiner der Kolporteure ist beim Zeitungsverlag angestellt. Rechtlich betrachtet sind sie alle kleine freie Unternehmer und sogar Pflichtmitglieder der österreichischen Handelskammer: seltsame Unternehmer, die in Abbruchhäusern, ausrangierten Wohnmobilen und Zelten hausen.
Samad Schauki, vor 32 Jahren in Bahalwapur geboren und seit 20 Monaten in Wien, findet sein Namenskärtchen auf der Korktafel neben dem Eingang zum Verwaltungsgebäude. Schauki weiß, was das bedeutet: ein Gespräch mit Ferdinand Heimlich, der unbestrittenen Macht beim Vertrieb der EZ. Heimlich teilt den Kolporteuren die Standorte in Wien zu. Er allein entscheidet, wer Chancen hat, vom Zeitungsverkauf mehr als nur existieren zu können.
Heimlich herrscht seit zehn Jahren über die Zeitungsverkäufer. Für die Vergabe der besten Verkaufsplätze hat er sich von Anfang an bezahlen lassen. Die Prämien, die er den gedemütigten Unternehmern abnimmt, verdreifachen sein ohnehin überdurchschnittliches Einkommen. Schauki, der seit Monaten einen akzeptablen U-Bahn-Standort hat, macht sich noch keine Sorgen.
››Wahrscheinlich ist nur eine Rate fällig‹‹, sagt er zu seinem Cousin Baren Kasimi, der an seinen blauen Fingernägeln kaut. Der dürre, einen Meter 70 große Mann betritt den dunklen Ziegelbau, geht über den knarrenden Holzboden zu Heimlichs Büro. Auf der Milchglasscheibe steht in Klebebuchstaben: Ing. Heimlich, Organisation Straßenverkauf. Neben der Tür blinkt die elektrische Nachricht: Betreten verboten. Heimlich verhandelt anscheinend mit einem anderen Verkäufer.
Durch ein verdrecktes und geflicktes Fenster beobachtet Schauki die Gruppe der Türken. Einer der älteren trägt mit großen Gesten ein Erlebnis der letzten Nacht vor. Der