Meine Welt: Mein Kuba: Reisegeschichten von einer einsamen Insel
Von Kurt Lehmkuhl
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Über dieses E-Book
Ursprünglich sollte das Buch den Untertitel „Mit dem Fahrrad über eine fidele Insel“ haben. Aber dieser Titel wäre in zweifacher Hinsicht ein irreführender Etikettenschwindel gewesen. Zum einen hielten sich die Radtouren im begrenzten Rahmen, zum anderen hatte es nicht den Anschein, als seien die Menschen fidel. Vielmehr drängte sich das Gegenteil auf. Unter dem Mäntelchen des Lächelns und der gelegentlichen Höflichkeit zeigte sich eine Gleichgültigkeit, wobei zugleich die Hoffnung keimt, es könnte doch einmal anders – im Sinne von besser – werden.
Ob im Sinne von Raul oder im Sinne von Fidel? Oder kommt es ganz anders? Auch dies wäre nicht überraschend auf einer Insel, die spanische Kolonialzeit, Sklaventum, Revolution und ein einschneidendes Wirtschaftsembargo überstanden hat.
In Kuba gilt die negative Seite vom Spruch des Wasserglases: Das Glas ist halbleer, nicht halbvoll.
So ist es, aber so muss es nicht bleiben.
Und was tatsächlich aus diesem Land wird, ist spannend zu beobachten und ein Grund, in zehn bis 15 Jahren wieder dorthin zu fahren.
Kurt Lehmkuhl
Kurt Lehmkuhl wurde 1952 in der Nähe von Aachen geboren. Nach dem Abitur und dem Studium der Rechtswissenschaften war er über 30 Jahre lang für den Zeitungsverlag Aachen tätig, zunächst als freier Mitarbeiter, danach als Redakteur und als Lokalchef in Erkelenz. Nach seinem Ausscheiden aus dem Zeitungsverlag Aachen arbeitet er als freier Journalist für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im In- und Ausland. Neben der journalistischen Tätigkeit ist Kurt Lehmkuhl schriftstellerisch aktiv. Seit 1996 werden seine Romane veröffentlicht, beginnend mit "Tödliche Recherche". Häufig stehen aktuelle Themen oder regionale Besonderheiten im Mittelpunkt seiner Krimis, etwa der Aachener Karlspreis oder die Braunkohleförderung im Rheinland. Außerdem verfasst Kurt Lehmkuhl Reisereportagen und Kurzgeschichten und ist als Dozent für Kreatives Schreiben sowie als Moderator und Organisator von literarischen Veranstaltungen und als Herausgeber von Anthologien tätig. Gemeinsam mit dem Hör-buchsprecher René Wagner tritt er als "Die Vorleser" auf.
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Buchvorschau
Meine Welt - Kurt Lehmkuhl
Fahne.
1. Kuba schwarz-weiß
Es gibt angenehmere Ankunftszeiten als 21 Uhr auf dem Flughafen Juan Gualberto Gomez in Varadero, zumal, wenn nach einem rund elfstündigen Flug mit fünfstündiger Zeitverschiebung von FRA nach VRA noch ein Transfer in die 150 Kilometer nördlich gelegene Hauptstadt der Republik Kuba, Havanna, bevorsteht. Es ist schwül und längst dunkel; stockfinster sogar bei der nächtlichen Fahrt über die Insel. Die chaotische Gepäckausgabe mit Koffern von drei Flügen gut durcheinandergewürfelt auf drei Bändern, braucht sich nicht hinter der umständlichen Einreisekontrolle zu verstecken. Geduld ist gefragt, das Warten in einer Schlange; insofern gibt es schon kurz nach der Landung eine erste Lektion in kubanischer Entschleunigung. Niemand ist von übermäßiger Eile gepackt: der Mann am Gepäckband ebenso nicht wie der Polizist, der seinen Drogenspürhund schnüffelnd über die Koffer laufen lässt. Die Zöllnerin nicht, die Buchstabe für Buchstabe die Namensübereinstimmung zwischen Reisepass und Visum zu überprüfen scheint und danach umständlich mit einer Polaroidkamera ein Porträtfoto des Einreisenden macht, das prompt einem intensiven Vergleich mit der Ablichtung in den Pass unterzogen wird. Und auch der Vertreter des Reiseveranstalters nicht, der trotz Lesebrille erhebliche Probleme hat, den Namen des Ankommenden auf einer Liste zu finden.
Das Procedere nach dem Verlassen des Kontrollbereichs ist das offenbar weltweit übliche. Die Suche nach dem Repräsentanten des Veranstalters endet mit dessen Verkündung einer Busnummer. Der Fahrer des Busses mit der Nummer 2192, irgendwo und irgendwie doch noch gefunden in dem vom Lärm der laufenden Dieselmotoren getränkten, lichterlosen Busbahnhof, wird das Vergnügen haben, uns nach Havanna zu bringen. Ob das Vergnügen tatsächlich oder gar beiderseits war und ist, bleibt eine der unbeantworteten Fragen nach der Fahrt, die weit nach 22.30 Uhr begann und weit nach 1 Uhr im Hotel endete.
Der Fahrer des Busses, der hierzulande wahrscheinlich nicht mehr für eine Personenbeförderung zugelassen worden wäre und in dem gerade einmal eine Handvoll Touristen Platz genommen hatte, gab sich alle Mühe, den ausländischen Gästen die Schönheit seiner Insel zu zeigen. Jedenfalls nutzte er jede Gelegenheit, um in irgendein Dorf abzubiegen statt auf gerade Strecke zu bleiben.
Das Problem – um es in der Sprache der allgemeingültigen Weisheiten auszudrücken: In der Nacht sind alle Katzen grau. Oder, um auf den Punkt zu kommen: Meistens war es stockfinster. Die weit geschwungene Lichterkette deutete in der Ferne auf eine Bucht mit einer dichten Bebauung hin. Urplötzlich tauchen im fahlen Schein einer einzelnen Straßenleuchte Menschen auf, wenige Tramper in der Nacht, einzelne junge Frauen oder auch kleinere Gruppen. Die Straßen sind fast leer. Autofahren um Mitternacht ist nicht die Regel auf Kuba.
Der Busfahrer steuert auf eine in der Dunkelheit liegende Hotelanlage hin. Sie wirkt zunächst ungenutzt, ehe ein spärlich beleuchteter Eingang das Gegenteil zu erkennen gibt. Der Chauffeur lässt zwei Touristen aussteigen und nach einem Gespräch in der Lobby mit einem Bediensteten wieder in den Bus zurück. Er hat sich geirrt.
Erste Zweifel an seinen Ortskenntnissen kommen auf.
Die übermüdeten Gäste aus Europa hängen in ihren Sitzen, lassen die rumpelnde Fahrt durch die Dunkelheit über sich ergehen.
Endlich, es ist nach Mitternacht, ist Havanna erreicht. Auch die zunächst fehlgeleiteten Fahrgäste sind noch an Bord, obwohl sie gar nicht nach Havanna wollten. Die weltberühmte Hauptstadt Kubas wirkt wie die bisherige Umgebung: meistens menschenleer und katzengrau. Autos sind fast keine unterwegs. Auf der vierspurigen Straße kann sich der Fahrer die ihm genehmste Fahrbahn aussuchen. Wie aus dem Nichts tauchen am Straßenrand Menschen auf. Sie sitzen im Dunkeln auf der Kaimauer, die entlang des Meeres die Straße säumt. Dass wir auf dem bekannten Malecon, unterwegs sind, der sieben Kilometer langen Promenadenstraße von Havanna, wird erst am nächsten Tag bei einer Stadtrundfahrt bewusst und auch erklärt. Die Fotos von dieser Kaimauer sind überall zu sehen, wenn über Kuba und Havanna berichtet wird; bunte Fotos mit zumeist fröhlichen Menschen.
Aber um diese Zeit, quasi zur Geisterstunde, ist es farblos, schwarz und weiß an dieser Bucht, am Malecon.
Es sind sehr viele junge Leute, die sich dort treffen. Sogar zu dieser späten Stunde gibt es noch kleine Verkaufsstände. Erst tagsüber ist später ein Grund zu verstehen, warum sich die Menschen dort aufhalten. Die Wohnungen sind klein und stickig in der Metropole, da ist der Aufenthalt im Freien und in der Kühle der Nacht allemal angenehmer.
Viel Zeit für neugierige Blicke auf die Menschen, die sich an manchen Stellen in großen Gruppen zusammengefunden haben, bleibt nicht, der Busfahrer biegt auf eine innerstädtische Schnellstraße ab. Auch diese Straße hat er fast für sich. Er findet ein Hotel, das tatsächlich zwei Mitreisenden als Herberge dienen soll. Danach beginnt eine abenteuerliche Stadtrundfahrt durch die 2,1-Millionen-Stadt. Der Fahrer kennt und findet den Weg zum nächsten Hotel nicht. Er kurvt durch die nahezu leeren Straßen, die nur spärlich beleuchtet sind. Er fährt rückwärts aus Einbahnstraßen wieder hinaus. Durchfährt einen Kreisverkehr mehrere Male, bis er sich für eine Ausfahrt entschieden hat, um wenig später zum Kreisverkehr zurückzukehren.
Havanna zeigt sich trist und grau, fast tot und leer. Nur ab und zu ist ein Auto meist nur schemenhaft zu erblicken. Ob es sich um die legendären Oldtimer handelt oder um moderne Modelle, lässt sich nur erahnen. Es wird noch Zeit und Gelegenheit sein, sich mit der besonderen Autowelt Kubas zu beschäftigen. In der Nacht sind auch die Fahrzeuge wie ihre Umgebung, einfach nur schwarz-weiß. Sollen dies die