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Überführungsstücke: Roman
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Überführungsstücke: Roman
eBook150 Seiten2 Stunden

Überführungsstücke: Roman

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Über dieses E-Book

Lahers Held ist ein Tausendsassa: bayerischer Justizverwaltungsinspektor und begnadeter Erzähler mit schauspielerischer Begabung, unterwegs auf den Kleinkunstbühnen der Republik.

Endlich kann Oskar Brunngraber, seit 25 Jahren Justizverwaltungsinspektor in einer Asservatenkammer, jemandem erzählen von den geheimnisvollen Beweisstücken, die in seinem Refugium lagern: von den Waffen und Drogen und Mordwerkzeugen und den kriminellen Hintergründen, die sich hinter ihnen verbergen und die auch Brunngraber meist nur ansatzweise kennt. Aber wenn seine Phantasie ihn dazu treibt, erfindet er ihnen wilde Geschichten, die es in sich haben. Und wie schwer es ihm manchmal fällt, diese Beweisstücke nach den gesprochenen Urteilen zu vernichten! - wenn man allein an den Marktwert draußen denkt, der BTM etwa, der Betäubungsmittel, die den größten Platz in der Kammer einnehmen und Gerüche verbreiten, die man aus den Kleidern nicht mehr herausbekommt. Die Überführungsstücke aus dem Hochsicherheitstrakt sind nicht nur dazu da, die Täter zu überführen, sondern auch Anlässe, die Welt zu deuten. Brunngraber sprudelt fast über vor Erfindungsreichtum und Sprachlust; ganz und gar nicht ist sein Leben reduziert auf das, was er in seinem Beruf täglich zu leisten hat, in den er ohnehin eher zufällig hineingerutscht ist.
Auf den Kleinkunstbrettern, die die Welt bedeuten, kennt man seinen Namen jedenfalls, und in der Leipziger »Pfeffermühle" gilt er gar als »Mimikmonster".
SpracheDeutsch
HerausgeberWallstein Verlag
Erscheinungsdatum1. Aug. 2016
ISBN9783835340404
Überführungsstücke: Roman

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    Buchvorschau

    Überführungsstücke - Ludwig Laher

    Bayer

    I

    Von Zeit zu Zeit, gesteht Brunngraber, da juckt es mich, und mich überkommt unbändige Lust, so ein bereinigtes Hanfsamentütchen wie dieses hier beim Stoßlüften einfach in den Hof zu entleeren. Direkt unter meinem Bürofenster findet sich nämlich an der Rückseite des Justizzentrums seit der Erweiterung ein dekoratives, aufwendig gestaltetes Biotop, Sumpf, Teich, künstliches Bächlein im Schotterbettchen, eine gefällig kupierte Wiesenfläche mit allerlei Pflanzungen. So etwas wie Kunst am Bau, nur eben Natur, genutzt in erster Linie von Hundebesitzern aus der ganzen Gegend. Ich stelle mir dann immer vor, dass Monate vergehen könnten, bis dort jemandem auffällt, da stimmt doch etwas nicht.

    Ehrlich gesagt, ich habe nicht die geringste Ahnung, ob das Zeug da unten im Schatten auch wirklich keimen würde, aber so ein gepflegtes kleines Hanfdickicht mitten in der Höhle des Löwen, das wäre doch was. Sehen Sie, solche und ähnliche Hirngespinste begleiten mich durch den Alltagstrott. Darf ich natürlich nicht laut sagen, versteht sich.

    Brunngraber ergänzt in der Maske des staatsanwaltschaftlichen Verwaltungsprogramms den Datenbestand zu dem unter Betäubungsmittel, kurz BTM, rubrizierten Überführungsstück auf seinem Schreibtisch um das Wort vernichtet und generiert so automatisch ein Vernichtungsprotokoll, das bis zur tatsächlichen Vernichtung in einem gesonderten Aktenordner geführt wird, den er, ohne einen Blick darauf zu verschwenden, mit sicherem Griff aus dem Regal schräg hinter sich zieht. Das Blatt wird noch gelocht und dann vorläufig abgelegt.

    Bedächtig gießt er sich Kaffee nach und beißt ein großes Stück von seiner Vollkornsemmel ab. Brunngraber frühstückt immer erst im Büro, und das lediglich so nebenbei, wie er mit vollem Mund betont, bevor er die Arbeit und den Erzählfaden wieder aufnimmt.

    Einer von den Chemikern des Landeskriminalamts, die für die Beweiswürdigung tagein, tagaus beschlagnahmte Substanzen untersuchen, Wirkstoffgutachten nennen wir das, der ist zum Spaß und aus Neugier auf die Idee gekommen, ein Haar seiner sechsjährigen Tochter zu testen. Volltreffer. Er selbst wäre sogar ein Paradesuchtgiftler, hat er gescherzt, und in eine genaue Verkehrskontrolle sollte er nach Dienstschluss besser nicht geraten, man riecht es ihm förmlich an. Bei mir wird es nicht viel anders sein, fürchte ich. Ein halbes Stündchen in der Asservatenkammer, und ich bin ziemlich benebelt.

    In dem fensterlosen Bunker da unten habe ich ja praktisch keine Lüftung, das ist olfaktorisch nicht bloß anstrengend, sondern eine echte Zumutung, sage ich Ihnen. Ein einziger ebenso einsamer wie betagter Ventilator, direkt in die Wand integriert, setzt sich gemächlich in Bewegung, wenn die Tür aufgeht. Wie dieses bemitleidenswerte Gerät allein auf weiter Flur ausreichend Frischluft ansaugen soll, war mir schon immer ein Rätsel. Buchstäblich jedesmal, wenn ich durch die Sicherheitsschleuse durch bin, ekelt es mich ein wenig vor dem Schwall, der mich begrüßt, und ich möchte am liebsten auf der Stelle wieder umkehren. Gleichzeitig aber stellt sich eine Art Vertrautheit ein, für die mir die rechten Worte fehlen, die auch etwas Anziehendes hat, so blöd das klingen mag.

    Inzwischen hat Brunngraber den ordnungsgemäß beschrifteten Umschlag mit dem Hanfsamenplastikbeutel längst sorgfältig mit einem speziellen Klebeband versiegelt. Ein letztes Mal wird das nicht weiter zu verwahrende Verwahrstück den Weg ins Untergeschoß antreten, denn sein Beweiszweck hat sich mit Rechtskraft erledigt.

    Ganz am Anfang, das ist jetzt schon über fünfundzwanzig Jahre her, bin ich manchmal entgeistert im neonerleuchteten Archiv vor den BTM-Regalen gestanden und habe mir so richtig bewusst gemacht: Diese Haschplättchen, der Kokainpulverschnee, das Cannabiskraut, die bunten Ecstasy-Tabletten, der ganze zum Teil erbärmlich stinkende Kram da in den zahllosen Päckchen, das würde an einschlägigen Orten um sehr viel Geld gehandelt werden, um schwindelerregende Summen vermutlich, wenn man alles zusammennimmt.

    Und hier hinter den massiven Stahltüren in diesem nüchternen Raum unter diesen Umständen haben dieselben Dinge ihren Wert komplett eingebüßt, sieht man einmal davon ab, dass sie für weitere Ermittlungen und mögliche Gerichtsverfahren bereitgehalten werden müssen. Insofern haben sie eine Zeitlang schon noch eine gewisse Bedeutung, jenseits vom Handelswert natürlich.

    Sind die Fälle irgendwann aber rechtskräftig abgeschlossen, Brunngraber wirft bei diesen Worten wie zur Illustration das eben bearbeitete Kuvert mit den Hanfsamen zielsicher in die dafür vorgesehene Kiste unter dem Waschbecken, dann schlichte und staple ich die bereinigten Bestände unten auf einem meiner Transportwagen, wo sie geduldig ausharren, bis ich wieder genug Gift zusammen habe für eine kleine Dienstreise unter Polizeischutz, wir nennen es Sammeltransport, und zwar in die nächstbeste Müllverbrennungsanlage zur sogenannten finalen thermischen Vernichtung.

    Diese Ausflüge stehen so alle paar Monate ins Haus, in der Regel zweimal im Kalenderjahr. Wir müssen sie laut Vorschrift übrigens ausnahmslos zu zweit unternehmen, weniger aus Sicherheitsgründen, dafür haben wir ja ohnehin die Polizeibegleitung, sondern wegen der Versuchung. Es gilt der alte Lenin-Spruch von wegen Vertrauen und Kontrolle, denn selbst Beamte sind letztlich nur Menschen, besonders ganz am Ende der Kette, wenn das BTM-Zeug, amtswegig betrachtet, praktisch eh schon gar nicht mehr vorhanden ist.

    Ein leitender Drogenfahnder von der Kripo hier in Bayern ist vor einiger Zeit mit sage und schreibe fast zwei Kilo Kokain im Wert von einer guten Viertelmillion erwischt worden. Für Schulungszwecke sei es ihm überlassen worden, war, glaube ich, anfangs seine wenig originelle Ausrede. Später hat der Mann sich vor Gericht dann doch zu einem umfassenden Geständnis bequemt. Er hat, wenn ich mich richtig erinnere, selber ein veritables Suchtproblem gehabt, ist beim Prozess herausgekommen.

    Also wird vor jeder Tour zum Verbrennungsofen selbstverständlich noch einmal peinlich genau überprüft, ob wir bis aufs letzte halbe Gramm auch wirklich alles eingepackt haben, was da aufgelistet ist. Wer vom Haus mir bei diesen Exkursionen jeweils auf die Finger schaut, bestimmt kurzfristig ausschließlich die Geschäftsleitung, das wechselt ständig. Eine weitere Präventionsmaßnahme.

    So weit, so gut. Was aber machst du, wenn du zum Beispiel hier im Büro einsam auf der Feinwaage nachwiegst, was die Polizei einem Verdächtigen abgenommen hat, und es stellt sich heraus, das sind gar keine vier Gramm Cannabis, wie da geschrieben steht, sondern bestenfalls schwache drei? Erst vorgestern habe ich mich wieder ordentlich ärgern müssen über so eine Schlamperei.

    Da kann ich ganz schön blöd dastehen, wenn das wer nachprüft und feststellt, bei der Polizei waren es noch vier und beim Brunngraber auf einmal nur noch schlappe drei Gramm. Theoretisch gäbe es sogar noch weit schlimmere Möglichkeiten: Lese ich etwa auf dem Lieferschein einer Neuanzeige etwas von hundertzehn Gramm Kokain, und die Waage bestätigt mir das auch exakt, mag sich im beigelegten Säckchen trotzdem bloß harmloses Milchpulver befinden und das Suchtgift über alle Berge sein. Ich kann nun einmal das elende Zeugs nicht persönlich verkosten, das kann niemand von mir verlangen.

    Man müsste also von allem Anfang an, schon bei der Polizei, immer zwei Leute aufeinander aufpassen lassen, und weil die ja gemeinsame Sache machen könnten, am besten gleich noch einen Dritten dazunehmen. Reiner Schwachsinn. Und auch da herinnen müsste mir bei jeder Verrichtung dauernd einer über die Schulter schauen. Also tendentiell doch mehr Vertrauen als Kontrolle. Gott sei Dank.

    Davon ganz abgesehen, ich kann es mir mittlerweile, ehrlich gesagt, überhaupt nur noch schwer vorstellen, auf Dauer jemanden Zweiten in meiner Kemenate sitzen zu haben, egal, was der oder die macht. Eine kleine Katastrophe wäre das für mich.

    So, und auf welch verschlungenen Ganglienwegen bin ich einsamer Beamtenwolf jetzt vor lauter Quatschen und Ratschen in dieses Katastrophenszenario hineingerutscht? Stimmt, über den Hokuspokus Warenwert, der sich bei mir in der Hexenküche namens Asservatenkammer im Handumdrehen in nullkommanichts auflösen kann.

    Das gilt selbstverständlich in gleicher Weise für ganz andere Bereiche als das Suchtgift, zum Beispiel für die bildende Kunst: Da lese ich in der Zeitung, ein sündteuer gehandelter Max Ernst hätte sich als geniale Fälschung entpuppt, renommierteste Experten stehen jetzt bis auf die Knochen blamiert da. Ist mir natürlich sofort wieder meine Amtsgruft in den Sinn gekommen. Habe ich alles schon lagern gehabt da unten, jede Menge große Namen, Gemälde und Graphiken von Picasso, Renoir, Miró, Schiele, Klee und so weiter und so fort, sogar eine immerhin etwa so hohe Rodin-Plastik, Bronze-Guss, echt oder nicht echt, redlich erworben oder nicht. Jedenfalls hat der Besitzer weder brauchbare Belege vorweisen noch die Provenienz schlüssig dokumentieren können, also wem diese Kunstgegenstände davor gehört hatten.

    Ein paar Bilder waren ganz eindeutig gefälscht, die sind sofort eingezogen worden, aber bei anderen mochten sich die zugezogenen Gutachter nicht festlegen. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin kurzen Prozess gemacht und jeweils hinten auf dem Keilrahmen beziehungsweise sogar direkt auf der Leinwand zur Warnung einen deutlichen blauen Stempelvermerk anbringen lassen: ACHTUNG! KUNSTWERK IST VON ZWEIFELHAFTER HERKUNFT!

    Sie haben keine Vorstellung davon, wie sich der dubiose Besitzer deswegen ausgetobt hat bei der Übernahme dieser am Ende doch wieder ausgehändigten Asservate. Dazu habe die Justiz kein Recht gehabt, was wir uns einbilden würden. Wieso soll nicht auch ein Picasso schlechte Bilder gemalt haben? Sein vorsorglich gleich mitgebrachter Anwalt hat sich nicht so aufgeregt, dafür aber Schadenersatzklagen in irrwitziger Höhe angedroht, nicht zuletzt, weil sein Klient angeblich von uns verursachte kleine Beschädigungen, Einrisse und Klebespuren, geltend gemacht hat. Geworden ist nach meinem Wissensstand nichts daraus. Wird schon seinen Grund gehabt haben, vermute ich einmal.

    Höchst nachlässig in Noppenfolie gewickelt, hat der gute Mann schließlich die angeblich millionenteuren Museumsstücke ohne jeden weiteren Schutz in seinen alten Lieferwagen verfrachtet, statt dass er einen versicherten Spezialtransport organisiert hätte. Da kann man nur den Kopf schütteln.

    Perfekte, zumeist höchst einträgliche Fälschungen kommen an sich laufend herein bei dieser Tür, bis hin zum schweren, täuschend echt aussehenden SS-Ehrendolch samt Schaft made in USA, den bekannt-berüchtigten Wahlspruch Meine Ehre heißt Treue auf der Klinge, das ganze natürlich im aufwendig verzierten Behältnis, ausgelegt mit blutrotem Samt. Überhaupt die Legionen an NS-Devotionalienrepliken neben den immer noch vorhandenen Heerscharen widerlicher Originale, ein einziger Wahnsinn das. Da rumort es sauber im Untergrund, kann ich Ihnen flüstern, da kracht es im Gebälk, da schürt man Hass und schnürt man Stiefel. Würde mich nicht wundern, wenn uns bald einmal alles um die Ohren fliegt.

    Brunngraber lässt kurz von seiner Routinearbeit ab, bückt sich und zieht rechts unten eine Schreibtischlade heraus. Das da habe ich gestern extra auf die Seite gelegt, um es Ihnen zur Illustration vorzuführen. Er schiebt eine vergilbte Ansichtskarte über den Schreibtisch. Kommt danach wieder an seinen Platz als achtes Überführungsstück auf der schrecklich langen Liste ÜL 112 aus 16 und mit dem restlichen Nazi-Scheißdreck aus diesem Konvolut am frühen Nachmittag hinunter in die strenge Kammer.

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