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Herzfleischentartung: Roman
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eBook202 Seiten2 Stunden

Herzfleischentartung: Roman

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Über dieses E-Book

Wider besseres Wissen konstatiert ein Arzt im Innviertler NS-Lager Weyer lange Zeit harmlose Todesursachen - bis er Ende 1940 mitten im Dritten Reich die Staatsanwaltschaft einschaltet. Ludwig Lahers Roman ist ein beklemmendes Werk, das sich über weite Strecken der Sprache und Logik der Mörder bedient.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum5. Nov. 2012
ISBN9783709974506
Herzfleischentartung: Roman

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    Buchvorschau

    Herzfleischentartung - Ludwig Laher

    Geburtstag.

    I.

    Franz Kubinger ist fünfundvierzig, gottgläubig, verheiratet, kinderlos, unbescholten, er hat die Volksschule absolviert und eines Tages im Jahre 1939 eine gute Idee. Der fleißige Franz hat es bis zum Gaufachabteilungsleiter der Deutschen Arbeitsfront gebracht und kennt seinen Gauobmann gut. Der Gauobmann der DAF heißt formell August Eigruber, in Personalunion vor allem Gauleiter von und bald Reichsstatthalter in Oberdonau. Aber Kubinger kennt auch Eigrubers Vertreter im Amt gut, Franz Stadlbauer heißt der Mann. Auf den geschäftsführenden Gauobmann und den Gauleiter, guten Ideen gegenüber stets aufgeschlossen, wird Verlaß sein.

    Kubinger, politischer Idealist der ersten Stunde, lebt in Linz an der Donau, ist seit 1933 schon eingetragener Parteigenosse und Haushälftenbesitzer an einem der landschaftlich schönsten Plätze im romantischen Salzkammergut. Dort möchte er am liebsten auch seine gute Idee verwirklicht sehen, die Fachleute von der Wildwasserverbauung jedoch raten dringend ab davon. Ungelernte Arbeitskräfte könnten den tosenden Gebirgsfluß nicht zähmen, meinen sie, ganz ausgeschlossen. Aber sie hätten da was, eine Alternative quasi, nur leider weit weg. Warum nicht eine reichlich überflüssige Moorlandschaft entwässern? Einem verdienten Ortsgruppenleiter der NSDAP, Bürgermeister obendrein und Obmann der lokalen Wassergenossenschaft wäre auf diese Weise sehr geholfen.

    Franzens Begeisterung hält sich in Grenzen, aber um der guten Idee willen fügt er sich drein. Vom Gauleiter und Reichsstatthalter erwirkt er alsdann einen Brief an sich persönlich, darin erfährt er befriedigt, daß in dem Franz Kubinger und August Eigruber aufgezwungenen Kriege die Arbeitskraft jedes einzelnen Arbeitsfähigen zur Erfüllung diverser Aufgaben zum Einsatz kommen muß. So ist es, nickt Franz. Manche wollen aber partout nicht mitmachen, wird ihm erwartungsgemäß beschieden, und die kommen jetzt in eine Anstalt, ins Gaulager für Unwillige, für Arbeitsscheue, Asoziale. Die gute Idee des Franz. Um Lagerinsassen auszuwählen, einzuweisen, pädagogisch zu betreuen und gegebenenfalls wieder zu entlassen, wird ein Gaubeauftragter für Arbeitserziehung bestellt. Mit diesen Geschäften wird Pg. Franz Kubinger betraut, steht da schwarz auf weiß. Jetzt ist er endlich am Ziel seiner Wünsche, jetzt ist der Franz Herr über Leben und Tod.

    So weit weg vom gemütlichen Zweitwohnsitz und wegen sonstiger zeitraubender Verpflichtungen will Kubinger sich aber nicht selbst die Hände schmutzig machen. Da kommt es äußerst gelegen, daß er nebenbei auch Obersturmbannführer im Stab der SA-Gruppe Alpenland ist. Franz bestimmt deshalb den bewährten Kameraden August Staudinger zum Lagerführer. Dieser fühlt sich beim Reichsarbeitsdienst sträflich unterbezahlt, ist als äußerst ehrgeizig bekannt und sucht deshalb ein verantwortungsvolleres Betätigungsfeld. Der Siebenundzwanzigjährige hat ursprünglich einmal Fleischhauer gelernt, vor der Heimkehr der Ostmark ins Reich verdingte er sich zeitweise als Bauernknecht, organisierte in seiner Freizeit im Wald Wehrsport- und Exerzierübungen für Gleichgesinnte und verhaftete am Tag X, dem zwölften März 1938, im Namen der neuen Machthaber unter anderen den Bürgermeister seiner Wohn- und tags darauf den Gendarmerierevierinspektor seiner Heimatgemeinde. Er scheint pädagogisch also bestens qualifiziert für Franz Kubingers unmißverständliche Vorgaben.

    In der Gauhauptstadt Linz unterhalten sich die beiden bald ausführlich über organisatorische Belange. Bei den Einzuweisenden, erklärt der Franz dem August offenherzig, handle es sich durchwegs um Leute, die nichts wert seien. Man möge sie daher bei Bedarf an Bäume binden und anständig schlagen. Ist das gedeckt? fragt August vorsichtig. Ja, meint Franz. Er könne aber unmöglich die Verantwortung übernehmen, wenn dabei einer sterbe, bohrt August nach. Alles gedeckt, weiß Franz.

    Die Zwangsauflösung der Gewerkschaften bedeutete die Geburtsstunde der Deutschen Arbeitsfront. Sie versammelt die in Industrie, Handel und Gewerbe tätigen Unter- und Arbeitnehmer des Dritten Reiches unter ihren breiten Fittichen und tut alles Weltanschauliche für die Steigerung der Produktivität. Die Mitgliedschaft bei der DAF ist, versteht sich, ebenso freiwillig wie obligatorisch. Der Gegensatz zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen erweist sich endgültig als überwunden. Wer daran nicht glaubt, für den haben sich Leute wie Franz Kubinger jede Menge gute Ideen einfallen lassen.

    Karl Gumpelmaier zum Beispiel mag den Ortswalter der Deutschen Arbeitsfront nicht, er mag die Deutsche Arbeitsfront nicht. Karl ist Geschäftsführer eines holzverarbeitenden Betriebes im unteren Mühlviertel und will dem Ortswalter keine DAF-Fahne abkaufen. Er will auch keine Betriebsspende für die Deutsche Arbeitsfront geben. Damit nicht genug, schickt Karl Gumpelmaier dem armen Ortswalter gar eine Mahnung, nur weil der das Brennholz nicht bezahlt, das er für sich privat bestellt hat. Ortswalter Gerstl schickt Karl Gumpelmaier zum Ausgleich Menschen, die ihn abholen. Der DAF-Funktionär hat nämlich dieser Tage ein nützliches Rundschreiben erhalten, das ihn wie alle Bürgermeister des Gaues, wie die Kreisleiter der NSDAP, die Landräte, Arbeitsämter und viele andere mehr ermächtigt, solche wie den lästigen Karl bequem loszuwerden.

    Gleich an der ehemaligen Grenze zum Altreich im äußersten Südwesten des Innviertels, St. Pantaleon heißt das Nest, haben sich findige Köpfe soeben daran gemacht, ein ungemein praktisches Arbeitserziehungslager einzurichten, und das wartet in Kürze auf Volksgenossen, die die Arbeit grundsätzlich verweigern, die dauernd blaumachen, am Arbeitsplatz fortwährend Unruhe stiften oder solche, die überhaupt jede Annahme einer Arbeit ablehnen, obwohl sie körperlich dazu geeignet sind. Sie müssen aber alle das 18. Lebensjahr erreicht haben. Auch asoziale Betriebsführer sind inbegriffen. Nur Fälle krimineller Natur können hieramts nicht behandelt werden. Und Schwerinvalide, weil schwere körperliche Arbeit geleistet werden muß. Ausgesprochene gewohnheitsmäßige Bettler sind unerwünscht, weil diese zu einer Arbeit nicht taugen.

    Oskar Heinrich und Heinrich Müller sind zwar ohne Zweifel Volksgenossen, jedoch noch längst nicht achtzehn. Das macht aber in der Praxis gar nichts. Die Burschen bringen den engagierten Betriebsjugendwalter der Papierfabrik Steyrermühl zur Weißglut, weil sie mit seiner HJ-Truppe um keinen Preis turnen und Fußball spielen wollen. Heute nicht und nie. Die zwei Jugendlichen werden fristlos entlassen, nach sechzehn Tagen überraschend wieder eingestellt, scheinen sie nun doch geläutert, bereit auch, Tore zu schießen und zu verhindern. Schon beim ersten Spiel liefert sich einer von ihnen prompt mit besagtem Jugendwalter ein hitziges Ohrfeigenduell, der hat gerade vom Rundschreiben erfahren und tatsächlich Glück: Sie nehmen gleich beide.

    Wladimir Bezdek ist zwar ohne Zweifel schon erwachsen, jedoch nicht Volksgenosse. Das macht aber in der Praxis gar nichts. Der einunddreißigjährige Mechaniker aus Clouboky bei Brünn arbeitet seit Jahren fleißig in der Gauhauptstadt Linz und liebt neuerdings ein deutsches Mädchen. Das spricht sich schnell herum im Betrieb, und einer aus dem Mechanikervolk geht pflichtbewußt zum Chef, meldet den flagranten Verstoß gegen das gesunde Volksempfinden. Der hat gerade das Rundschreiben mit dem praktischen Erlaß des Gauleiters abgeheftet und probiert es einfach auf gut Glück. Für Wladimir stehen die Lagertore weit offen.

    Im Weiler Weyer, Gemeinde St. Pantaleon, befindet sich ein ansehnliches Bauerngut mit angegliederter Gastwirtschaft, ausgedehnten Stallungen und einst über hundert Joch Grund. Es gehört Reichsdeutschen aus Bayern, sie haben die Liegenschaft bald nach dem Ersten Weltkrieg erworben. In der ganzen Gegend waren die Geratsdorfers die einzigen, die zu Zeiten des österreichischen Ständestaates keine Veranlassung sahen, der Vaterländischen Front beizutreten. In den Starhembergversammlungen rief man daher kurzerhand zum Boykott ihres Wirtshauses auf. Die Bauersleute mußten schließlich zur Begleichung der Bierschulden sogar anfangen, Land zu verkaufen.

    Auch jetzt, nach Anschluß und Kriegsbeginn, bietet die Gaststube meist mehr Platz, als dem Wirt lieb ist. Immer noch stehen die meisten Einheimischen vielem äußerst reserviert gegenüber, was sie mit der neuen Ordnung in Verbindung bringen. Zu allem Unglück fiel der Bauer vor zwei Jahren vom Dach, seither funktioniert sein rechtes Bein nur noch eingeschränkt. Eine Operation der Bäuerin kostete eine weitere Kuh, und einem gewissen Herrn Glück hat man leichtfertig Bürgschaft geleistet, das war noch viel teurer. Natürlich weiß Bürgermeister Michael Kaltenberger von den finanziellen Problemen der Familie mit ihren drei Kindern. Ihm schwebt deshalb vor, sein sehnlich herbeigewünschtes Erziehungslager bei ihnen daheim aufzuschlagen, der ideale Ort wäre das.

    Dieser Herr Kaltenberger waltet nicht nur als Bürgermeister, er leitet, wie wir schon erfahren haben, auch die Ortsgruppe St. Pantaleon der NSDAP und steht der Wassergenossenschaft als Obmann vor. Er gibt den Standesbeamten und den Dorfwirt, nebenbei hat er auch noch eine eigene Landwirtschaft im Ausmaß von immerhin dreißig Hektar, und als Viehhändler ist er in weitem Umkreis ein Begriff. Unter Kollegen macht er dem Wirt und Bauern Max Geratsdorfer in aller Freundschaft ein verlockendes Angebot, das der in seiner Notlage nicht ablehnen kann: Ich pachte Haus und Hof mitsamt dem Viehbestand, den Grün- und Ackerflächen auf sechs Jahre, investiere auch ordentlich in die Gebäude, weil die Partei hier ein mustergültiges Erziehungslager einrichten will. Schließt das Lager früher, was sehr unwahrscheinlich ist, erlischt das Pachtverhältnis nach ein paar Monaten Kündigungsfrist. Bis dahin sind deine Kinder jedenfalls groß und können übernehmen.

    In Kaltenbergers zentral gelegenem Gasthaus ist immer viel los, kürzlich erst versammelten sich hier Frauen über Frauen im besten Feiertagsgewand zur eindrucksvollen Muttertagsfeier. Dabei stand natürlich die offizielle Ehrung der Deutschen Mutter durch Verleihung des Mutterkreuzes in Gold, Silber und Bronze im Mittelpunkt. Der Herr Ortsgruppenleiter, dessen Gattin Theresia ihm als Ortsfrauenschaftsleiterin treu zur Seite steht, ließ es sich selbstverständlich nicht nehmen, allen siebenundsechzig qualifizierten Gemeindebewohnerinnen die verdiente Auszeichnung persönlich umzuhängen und eindringlich auf ihre große Aufgabe im Schicksalskampf des deutschen Volkes zu verweisen.

    Wir kommen zufällig zurecht, als wahre Menschentrauben vor dem auch als Kino verwendeten Mehrzwecksaal anstehen. Zweimal hintereinander sind die Vorstellungen des Erfolgsfilms ‚Morgenrot‘ völlig ausverkauft. Unter nationalsozialistischer Führung kann ein Deutschland, das solche Helden hervorbringt, keinen Krieg verlieren, lautet die unmißverständliche Botschaft des aufwendigen U-Boot-Spektakels, das im Ersten Weltkrieg spielt. Zum Beweis garniert die neueste Wochenschau den propagandistischen Hauptinhalt des Streifens mit aufgeputztem Dokumentarmaterial über den fulminanten Siegeszug im Westen. Der alte Erzfeind Frankreich hat soeben kapituliert, als nächstes wird England dran glauben müssen.

    Es ist daher wirklich kein Wunder, daß Michael Kaltenberger erst jüngst von einem provokanten Gast bis ins Mark getroffen wurde: Der Mann wollte die Einschätzung des Hausherren, schon im kommenden Herbst werde der Krieg gar sein, nicht teilen. In den Abendnachrichten um zehn hatte es soeben geheißen, Calais sei gefallen, der Wirt gab England noch höchstens ein paar Wochen, worauf ich erwiderte, daß dieser Krieg solange wie der Weltkrieg, oder gar noch länger dauern würde und Amerika, sowie Rußland, kämen auch noch dazu. Darauf kam Kaltenberger zu mir, schimpfte mich einen schlechten Deutschen und schlug mir zweimal ins Gesicht, wobei ich zwei Zähne einbüßte. Dieser Vorfall wird selbstverständlich ein Nachspiel haben. Demnächst wird der vorlaute Wirtshausgast eine Vorladung zur Gestapo erhalten.

    Die Stimmung unter den meisten Bauernfamilien im Ort bleibt trotz der Propagandaflut reserviert bis ablehnend. Die Partei sieht sich deshalb genötigt, dem beschworenen großen Ganzen auf lokaler Ebene spürbare Wohltaten zur Seite zu stellen. Gerade läßt sie geeignete Räumlichkeiten adaptieren, um einen sogenannten Erntekindergarten einzurichten. So werden sich Landwirte und Gesinde heuer ohne Sorgen um den Nachwuchs völlig darauf konzentrieren können, Getreide und Gemüse einzubringen. Fleisch ist längst schon rationiert, eine Mißernte wäre nicht leicht zu verkraften.

    Die frisch angeheuerte Wachmannschaft des Erziehungslagers besteht, Respekt, aus lauter kleinen Führern. Im Zivilleben sind die Herren über die unteren Sprossen der Erfolgsleiter bislang nicht wirklich weit hinausgekommen, in der feschen braunen Uniform hingegen haben sie sich über das einfache Fußvolk längst erhoben und dürfen sich Oberscharführer und Truppführer, Obertruppführer und Sturmführer der SA-Standarte 159 nennen. Das klingt ausgesprochen gut. Endlich wird ihnen auch ein adäquates Aufgabengebiet zuteil, und ein bißchen stolz macht es sie schon, Positionen zu bekleiden, die in ähnlichen Anlagen der elitären SS vorbehalten sind.

    Frische Mauern und Stacheldraht sichern das Gelände, soeben kommt ein Wagen durch das Tor. Karl Gumpelmaier muß aussteigen, die Fahrt hat mehrere Stunden gedauert. Kann aber auch sein, daß Karl wie viele Schicksalsgenossen per Zug eintrifft. Kraftfahrzeuge dürfen nämlich selbst von Parteidienststellen nur noch eingeschränkt benutzt werden. Die Eisenbahner haben bald ein Auge für solch kleine Grüppchen männlicher Reisender mit Fahrziel Bürmoos, dem nächstgelegenen Bahnhof, von denen nicht alle ein paar Stunden später sichtlich entspannt die Rückreise antreten. Wenn wir auch nicht genau sagen können, auf welchem Weg Karl Gumpelmaier angeliefert wird, was weiter geschieht mit ihm, darüber müssen wir keine Mutmaßungen anstellen, das wissen wir.

    Die Kerle waren nicht gerade gesprächig, als sie ihn mitnahmen. Warum sie ihn holten und wohin die Reise ging, sagten sie ihm nicht. Er hat einen Zorn und keinen kleinen. Denen wird er was erzählen, weiß er. Auf dem Weg zur Kanzlei der Lagerleitung sieht er aus dem Augenwinkel welche, die schauen nicht gut aus. Karl Gumpelmaier ist kurz irritiert. Drinnen vor dem Lagerführer will er auf den Tisch hauen, spricht von Willkür, protestiert lautstark gegen die lächerlichen Einweisungsgründe, die ihm jetzt knapp vorgelesen werden, aber da trifft ihn schon der erste präzise Fleischhauerfaustschlag, das Blut ist warm im Gesicht. Gumpelmaier wird sich schnell vieles abgewöhnen.

    Außerhalb des Lagers herrscht vergleichsweise beschaulicher Alltag. 1940 ist der Krieg weit weg, das Getreide steht schon hoch in diesem Frühsommer, hier leben vor allem Bauern. Die meisten Einwohner von Haigermoos und Umgebung hatten verhältnismäßig viel Freude mit dem österreichischen Ständestaat, mit den Klerikern und denen in Trachtenanzügen an der Macht. Die Nazis dagegen sind vielen in der Seele zuwider. Die blödesten Burschen, die nichts gelernt haben und nichts können, schimpfen brave Landwirte hinter vorgehaltener Hand, die stolzieren jetzt wie die Gockel in allen möglichen Uniformen herum, führen sich als Herren auf und stehlen dem lieben Herrgott den Tag. Über den Hochwürdigen Herrn Pfarrer und die göttliche Ordnung reißen sie ordinäre Witze, und brutal sind sie nicht nur, wenn sie gesoffen haben.

    Zum winzigen Haigermoos mit seinen gut sieben Quadratkilometern Fläche gehören auch die paar Häuser von Weyer. Nach dem Anschluß hat sich keiner gefunden, der den Nazi-Bürgermeister machen wollte, das heißt, sie haben schon einen eingesetzt, aber der hat sich nach ein paar Wochen ein Attest geholt, Nervenleiden. Also ist das Dorf kurzerhand eingemeindet worden, im größeren Nachbarort St. Pantaleon herrscht an Hakenkreuzlern nämlich kein Mangel. Da kann man eben nichts machen, nur beten und abwarten. Und nicht hinschauen, wenn die SA täglich zeitig in der Früh die klapprigen Häftlinge durch Wald und Flur treibt, gut drei Kilometer zum kleinen Fluß im Waidmoos.

    Der Große Brachvogel brütet dort noch regelmäßig, und den endgültigen Verlust des Birkwildes wird die Jägerschaft erst in sechsunddreißig Jahren beklagen. Ein paar Kilometer weiter im Südosten wird bereits seit den achtziger Jahren industriell Torf abgebaut, jetzt soll es dem gesamten verbliebenen Sumpfgebiet an den Kragen gehen. Schon 1935 wurde

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