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Slumlords: Ihnen gehört die Stadt
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eBook273 Seiten3 Stunden

Slumlords: Ihnen gehört die Stadt

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Über dieses E-Book

Unweit der glitzernden Skyline der Frankfurter Bankenwelt brodeln die sozialen Unruhen. In Sichtweite des Wohlstands brennen die Autos in den Vorstadt-Ghettos. Ronnie, der Kokain-Dealer der Investmentbanker, versucht die Gratwanderung zwischen beiden Extremen: Während er sich wünscht, seine Eltern aus dem Problembezirk herauszuholen, muss er seine Kunden in Edelrestaurants und Luxusbordelle begleiten. Als eine Bankiers-Frau entführt wird, gerät Ronnie zwischen die Fronten – und muss inmitten von Rausch, Lust und Gewalt nicht nur sein eigenes Leben retten.
SpracheDeutsch
HerausgeberDittrich Verlag
Erscheinungsdatum15. Dez. 2017
ISBN9783947373130
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    Buchvorschau

    Slumlords - Carsten Regel

    Autoren

    1

    »Was würdest du tun, wenn ich dir anbieten würde, dass du mit einem Mausklick eine zehnköpfige Familie ruinieren könntest?« Der Fondsmanager war edel parfümiert. Seine Frage aber roch nach Hundescheiße.

    »Warum sollte ich das machen?«, antwortete ich ehrlich. »Ich kenne die Leute nicht, sie haben mir nichts getan.«

    »Das ist eine noble Haltung von dir, Ronnie«, lobte mich der Yuppie und hob sein Glas Champagner auf meine ethischen Grundsätze. Die anderen Gäste im Designer-Restaurant hielten sich bei ihrem Mittagstisch strikt an stilles Wasser, aber mein Kunde hatte auf der Toilette eine Line von meinem Kokain gezogen und trank um 12:39 Uhr lieber Taittinger. Wir prosteten uns zu, nahmen jeweils einen Schluck von der Brause, dann beugte er sich über die abgenagte Dorade auf seinem Teller nah an mich heran.

    »Aber, wenn ich dir jetzt unter dem Tisch einen Geldkoffer mit einer steuerfreien halben Million zuschiebe, der komplett dir allein gehören würde? Du müsstest nur mit einem Mausklick eine zehnköpfige Familie ruinieren, was würdest du dann tun?«

    Das war eine verfluchte Drecksfrage, und das wusste er. Bei so viel Geld wurde jeder nachdenklich, und so zögerte ich mit meiner Antwort, denn ich hatte keine. Er schniefte als Nebenwirkung vom Kokain. Sein Maul öffnete sich wie der eines Hais, der gierig eine Beute reißen will.

    »Der Witz an der Sache ist, dass die Begründung dafür, die Leute nun doch kaputtzumachen exakt dieselbe ist wie die, warum du sie ursprünglich nicht zerstören wolltest: Du kennst sie nicht!«

    »Deshalb suche ich in meinem Business lieber den persönlichen Kontakt«, griente ich ihn an. »Damit ich nicht in Versuchung gerate, meine Kundschaft mit toxischen Papieren zu verseuchen.«

    »Du ruinierst ihre Nasenscheidewand, ich ihre Altersvorsorge. Wo ist da der Unterschied?«

    Vor mir saß zwar der jüngste Spross einer angesehenen hessischen Kaufmannsfamilie, aber schon sein Vorname Harro klang eher nach einem Kampfhund, und weniger nach High Society. Er ließ kaum eine Gelegenheit aus, einem klarzumachen, dass man ihn besser nicht zum Feind hatte. Harro Strahlenberg war genauso alt wie ich, sechsunddreißig, ein Selfmademan, der es mit seinem Job zu noch mehr Wohlstand und einem Ex-Model als Ehefrau gebracht hatte. Sie lebten mit ihren zwei Kindern in einer Villa im Westend, die ich nicht betreten durfte, weil ich weder ein millionenschwerer Industrieller war, noch ein hochrangiges Mitglied der Frankfurter Gesellschaft. Sondern nur sein Dealer.

    »Hast du noch Lust auf was Asiatisches zum Nachtisch?«

    »Boah. Ich bin schon total vollgefressen.«

    Harro schmatzte trocken, ohne etwas anderes im Mund zu haben als den bitteren Geschmack meines weißen Pulvers. »Ich rede von einer Apartment-Nutte.«

    Erstaunlich. Denn es war wohl der größte Vertrauensbeweis, zu dem dieser Oberschichten-Sohn in der Lage war, dass er mit einem Ghettokind wie mir solche standesunüblichen Nummern durchzog. »Du bist selbstverständlich eingeladen«, fügte Harro hinzu. Ich sah auf mein Business-Handy. Mein nächster Termin wollte mich erst in gut einer Stunde treffen, insofern hatte ich noch genug Zeit, um vorher auf fremde Kosten ein Luxus-Callgirl zu vögeln.

    »Dann geht die Rechnung hier auf mich.«

    Wir stießen mit unseren Gläsern darauf an.

    In der opulenten Altbauwohnung wurden uns von einer Madame sechs Mädchen vorgeführt, keine älter als fünfundzwanzig. Ich entschied mich für die langbeinige Indonesierin, denn sie war die hübscheste von allen. Harro nahm sich eine Blondine, die zwar billig aussah, aber das Preisschild auf ihrem knackigen Hintern belief sich auf 500 Euro die Stunde. Trotz seiner eleganten Gattin zog es Harro manchmal zu den Vorstadtnutten hin, neben denen ich aufgewachsen war: zu Prollmädchen mit Fingernägeln aus dem Nailstudio, primitiver Ausstrahlung, pudrigem Parfüm, rosa Lackstiefeln, Solarium-Bräune und aufgedonnerten Titten. Ich vermutete, dass er hier genau das Gegenteil von dem bekam, was es Zuhause gab. Seine Frau war so eine blasierte Tochter mit kühler Ausstrahlung aus gutem Hause, der man anmerkte, dass sich ihre Familie seit Generationen nicht mit der Arbeiterklasse vermehrt hatte, sondern es nur mit reichen Geschäftsleuten trieb. »Adelsinzest« nannte ich das immer, aber das behielt ich für mich, denn das hörten die Herrschaften nicht so gerne. Zudem stammte ich aus einer Hochhaussiedlung, und mir wäre die Bemerkung als purer Sozialneid ausgelegt worden, und das wäre schlecht fürs Geschäft.

    Meine für die nächste Stunde gekaufte Lady stammte aus Djakarta und wirkte wie eine Dame aus der dortigen Upper Class. Sie hatte grazile Gesichtszüge, eine sanfte Stimme und eine Pussy, die nach Pfirsich aus dem Delikatessenladen schmeckte. Daher hielt ich mich länger als üblich mit meinem Kopf zwischen den Beinen einer Frau auf. Anschließend nahm ich sie noch zwanzig Minuten durch, bevor ich mich wieder um meine Firma kümmern musste.

    Erst im Auto bemerkte ich, dass mein T-Shirt nach der Lotion roch, mit der die Apartment-Nutte eingecremt war. Mein ganzer Oberkörper muffelte nach irgendeiner exotischen Frucht und getrocknetem Schweiß, aber wenigstens hatte mein Sakko nichts abbekommen. Ich zog es während der Fahrt aus, denn ich musste zu einer Kanzlei ins Westend. Der Anwalt brauchte drei Gramm, aber mit der strengen Duftwolke konnte ich dort nicht liefern. Besser, wenn ich vorher duschte und die Klamotten wechselte. Dann klingelte mein Privat-Handy. Es war mein Vater. Ich ging ran.

    »Hast du schon die Nachrichten gehört?«, fragte er.

    »Nein«, antwortete ich knapp. »Bombardieren die Russen den Reichstag in Berlin?«

    »So ähnlich. Hier bei uns brennt es mal wieder.«

    »Bei euch Zuhause?«, erschrak ich.

    »Nicht in der Wohnung, aber unten überall. Die Müllcontainer sind angezündet worden, mehrere Autos haben die Chaoten abgefackelt und einigen Sperrmüll dazu.«

    Meine Eltern wohnten draußen in Griesheim, der Bronx von Frankfurt. Ein paar Jahre war es da ruhiger, aber mittlerweile fuhr selbst ich da nur noch hin, wenn es unbedingt sein musste. »Ist die Polizei schon vor Ort?«, fragte ich.

    »Nicht, dass ich wüsste. Aber das Fernsehen ist da«, bemerkte mein Vater unaufgeregt. Er hatte von seinem Balkon im sechsten Stock einen Tribünenplatz, wenn die Randale losgingen. Meistens prügelten sich Jugend-Gangs und demolierten, was gerade so im Wege stand.

    »Ich bin gerade bei der Arbeit«, erzählte ich die Wahrheit. »Geht bitte nicht raus, ich komme später zu euch. Braucht ihr was?«

    Mein Vater überlegte nicht lange. »Whisky wär schön.«

    Zuhause warf ich das Shirt in die Wäsche und duschte mich kurz ab. Mit dem Handy am Ohr lief ich barfuß über den Pitch Pine-Boden und erklärte der Sekretärin des Anwalts, dass ich mich um eine Viertelstunde verspäten würde. Im Wohnzimmer nahm ich mir eine Zigarette von dem flachen Glastisch. Zum Rauchen stellte ich mich ans halboffene Fenster. Ich blickte aufs beschauliche Sachsenhausen. Asoziale wie am Frankfurter Berg gammelten hier nicht herum. Es war vor allem unauffällig, was für mich entscheidend war. Ich wollte eine smarte Bude in einer ruhigen Gegend und kein Angeber-Penthouse mit Designereinrichtung, bei der sich jeder fragen würde, womit ich mein Geld verdiente.

    Ich lenkte meinen wuchtigen SUV vorsichtig durch die engen Einbahnstraßen entlang der schnieken Stadthäuser. Anfang der Siebziger Jahre lieferten sich hier wütende Studenten dauernd Schlachten mit der Polizei. Davon war im Westend schon lange nichts mehr zu spüren. Die ehemaligen Steineschmeißer wohnten jetzt hier und waren genau die langweiligen Schnösel geworden, die sie seinerzeit bekämpft hatten. Mein Kunde gehörte nicht zu dieser Generation. Dennis war in den Achtzigern großgeworden, mit Lifestyle statt mit politischen Parolen, mit Yuppies statt mit Hippies, und statt LSD mit Geld als bewusstseinserweiternder Droge. Als ich seine Kanzlei betrat, führte auch ich Rocks bei mir, jedoch kleingehackt und zum Verzehr geeignet. Ich drückte ihm in seinem Büro drei G davon in die Hand, er gab mir zwei Hunderter dafür.

    »Alles gut?«, fragte er.

    »Muss«, antwortete ich. Er nickte. Mehr Zeit hatte der Fachanwalt für internationales Steuerrecht nicht für mich.

    Je mehr ich stadtauswärts auf die tristen Hochhäuser zufuhr, desto stärker zog sich mein Magen zusammen. Ich parkte meinen schwarzen Koloss einen Kilometer entfernt von der Siedlung einfach auf der Tankstelle, bei der ich für meine Mutter einen in Cellophan gewickelten Blumenstrauß kaufte. Für meinen Vater besorgte ich dort eine Flasche Whisky. Für ihn war Bourbon die Krone der Schöpfung, am liebsten mit ordentlich viel Cola gepantscht. Ich wünschte ihm, dass es gegen die chronischen Rückenschmerzen half, wegen denen er frühverrentet wurde.

    Ich griff die Whiskyflasche am Hals, so dass ich notfalls damit zuschlagen konnte, falls mich irgendwelche Penner ausrauben wollten. Konnte hier schnell mal passieren. Aufgrund der Asis hier ging meine Mutter nur früh zum Supermarkt, weil die arbeitslosen Wichser da noch schliefen. Deren jugendliche Kids auch, sonst machte es ja keinen Spaß, die Schule zu schwänzen. Jedenfalls war es immer mein Hauptgrund, warum ich damals nicht zum Unterricht erschien. Weil ich auspennen wollte.

    Es war seltsam leise im Ghetto, nur die Luft stank nach dem verbrannten Plastik der Müllcontainer. Bei einigen Autos waren die Scheiben eingeschlagen, aufgerissene Säcke mit Altkleidern lagen in den Sträuchern, zwei versiffte Sofas versperrten mir den Bürgersteig, so dass ich über ein Stück Rasen ausweichen musste. Alles ganz normal hier. Dann hörte ich fette Hip Hop-Bässe und aggressiven Rap, den jemand laut bei offenem Fenster aufdrehte, damit alle was davon hatten. Das brachte den kleinen Köter zum Kläffen, den ein älterer Mann an der Leine ausführte. Und da der Terrier nicht versuchte, mir an die Gurgel zu springen, erreichte ich ungefährdet den 19-stöckigen Betonsilo, in dem die Familie seit 1979 wohnte. Er war seitdem nicht schöner geworden.

    Es duftete appetitlich nach Kuchen, der im Ofen aufgewärmt wird, als ich die Wohnung betrat. Mein Vater nahm mich in Empfang, da er meiner Mutter untersagte, die Tür zu öffnen. Aus Sicherheitsgründen. Hinter mir wurde sofort mit drei schweren Riegeln wieder dicht gemacht. Solche Maßnahmen waren hier schon in den Achtziger Jahren normal. Trotz der Schlösser wirkte meine Mutter blass im Gesicht. Ich drückte sie und überreichte ihr die Blumen. »Alles okay bei dir?«

    Sie winkte zu eilig ab. Um mich nicht zu beunruhigen. Das deutlichste Zeichen, dass was faul war. »Mach dir keine Sorgen«, spielte sie es runter. Worauf ich begann, mir Sorgen zu machen.

    Mein Vater hatte nur Augen für die Whiskyflasche. Er musterte sie wie edlen Bernstein. Schraubte sie auf und schnüffelte am offenen Hals. Dann sah er mich dankbar an. »Diesen guten Geschmack hat dir bestimmt eine Frau beigebracht, oder?«, mutmaßte er.

    »Wie du weißt, habe ich beruflich mit Alkohol zu tun«, erinnerte ich ihn an meine offizielle berufliche Existenz als Teilhaber einer Cocktailbar.

    »Hast du denn eine Freundin?« Mein Vater erkundigte sich vordergründig höflich, starrte mich aber an wie bei einem Polizeiverhör. Dieser beschauliche Familienkreis schien mir nicht der passende Rahmen, zuzugestehen, dass ich vor allem Kokshuren und Apartmentnutten bumste.

    »Nichts Festes.« So wich ich meinen Eltern genauso aus wie sie mir. Ein Wecker klingelte in der Küche.

    »Ah, der Pflaumenstreusel!« Meine Mutter hob es aus dem Sessel. Sie flitzte zum Backofen wie eine 15-Jährige zum ersten Date. Eine schwere Krankheit plagte sie wohl eher nicht. Ich hörte wie sie das Blech auf den Herd packte.

    »Ist mit ihr alles in Ordnung?«, flüsterte ich meinem Vater zu.

    »Sie hat es wieder ein wenig mit den Nerven. Nimmt aber Tabletten.«

    Fast hätte ich ihm aus Fürsorge angeboten, ihr amerikanische Pillen zu besorgen. Die waren hier zwar illegal, aber ich konnte die locker an den Start kriegen. Doch meine Mutter kredenzte mir schon ein warmes Stück von meinem Lieblingskuchen. Mit Sahnehäubchen am Tellerrand, woran man merkte, dass sie früher in einem Café gearbeitet hatte. Essen wollte sie heute nichts. Wegen Magenproblemen.

    Draußen ging ein Böller hoch. Ein Kanonenschlag. Wir waren im sechsten Stock, hatten die Fenster geschlossen, aber der Knall kam bei uns an, als wäre das Ding im Badezimmer explodiert. Meine Mutter zuckte vor Schreck zusammen. Mein Vater reagierte nicht. So was gehörte hier zum Alltag wie ein vollgepisster Fahrstuhl.

    »Wie geht es Hansi?«, fragte ich nach dem Schulfreund meines alten Herren, der im Block gegenüber wohnte.

    »Hat Liebeskummer«, hielt er mich knapp.

    »Seine jugoslawische Freundin hat ihn sitzen lassen«, fügte meine Mutter hinzu. Ich war mal wieder erstaunt, dass ein langzeitarbeitsloser Alkoholiker wie Hansi trotzdem immer noch eine abkriegte. Aber menschlich war er schon schwer in Ordnung.

    »Dein türkischer Kumpel war neulich mal hier«, teilte mir mein Vater mit.

    »Hakan?«

    »Genau. Na, der Vogel sieht ja auch nicht gerade gesund aus.«

    »Ach, der kifft nur zu viel und geht zu wenig an die frische Luft. Was wollte er denn?«

    »Brauchte 20 Euro. Hab ich ihm gegeben.«

    Ich nickte und griff in meine Jackentasche. Ich nahm einen Zwanziger aus dem Portemonnaie und legte ihn auf den Tisch. Meine Eltern hatten es nicht dicke, und ich würde es bei Hakan auf die Rechnung schreiben.

    »Hat er gesagt, wo er sich rumtreibt?«

    Mein Vater schüttelte den Kopf. Und steckte sich den Schein ein.

    Dann musste ich aufbrechen. Hatte noch Kundschaft. In einer Unternehmensberatung in Sachsenhausen. Mutter packte mir fast den ganzen Rest des Supermarktkuchens in einen unbenutzten Pizzakarton, den sie wahrscheinlich für genau solche Fälle parat hatte. Ihre Haushaltsorganisation war umsichtiger als die meisten Staatshaushalte aufgestellt. »Ich melde mich die Tage«, versprach ich an der Wohnungstür und drückte meine Mutter. Meinem Vater schüttelte ich die Hand.

    Mein SUV stand mit unzerstochenen Reifen nicht aufgebrochen auf der Tankstelle. Er war tatsächlich fahrtüchtig. Ich packte die Schachtel auf den Rücksitz und fuhr zu einer Controllerin, die ihren Geburtstag feierte. Eine aparte Blondine aus dem Rheinland, die ich gerne mal flachlegen würde und die heute 35 wurde, wie mir die Zahl auf der Torte verriet. Die Lady trug einen engen schwarzen Rock, der ihr bis kurz vor die Knie ging. Sie grinste gierig, als ich ihr zwei Gramm überreichte. Ich wollte ihr gerade anbieten, sie als nachträgliches Geschenk zum Essen einzuladen, aber sie ließ mich stehen, um mit den Briefchen eilig aufs Klo zu verschwinden. Wahrscheinlich vögelte sie lieber wohlhabende Bosse von börsennotierten Konzernen? Zum Trost griff ich mir einen Pappteller und packte ihn am Buffet voll mit geräuchertem Lachs, eingelegten Paprikastreifen, gebratenen Auberginen und Baguette mit Kräuterbutter. Ich fraß das Zeugs im Auto, weil ich keinen Bock auf eine Party hatte, auf der nur Yuppies waren und alle blöd rumstanden. Als Nachtisch zog ich eine Line von der schwarzen Member Card eines Nightclubs.

    Angeballert fiel mir Hakan ein. Was hatte die Schlampe bei meiner Familie zu suchen? Und sie auch noch anzubetteln! Der Kerl regte mich auf. Vollgefressen mit teuren Häppchen und dem trommelnden Pulver im Hirn, kriegte ich das Kotzen. Dass meine Eltern immer noch in diesem Scheißhaufen lebten. Und die Asozialen gab es da schon immer. In meiner Schulzeit kamen Klassenkameraden mit blauen Flecken oder aufgeplatzten Lippen in die Schule, weil ihnen der dauerbesoffene Vater eine mit der Faust reingehauen oder die hysterische Mutter bei der Ohrfeige mit ihren langen Fingernägeln die Wange blutig gekratzt hatte. Solche Wunden waren damals in der Gegend ein normaler Anblick. Aber es gab auch Eltern, denen es hinterher peinlich war, und dann mussten die Kids vor den Lehrern seltsame Ausreden erzählen. Dass sie mit dem Fahrrad hingefallen waren oder von einer Türkengang verkloppt wurden.

    Viele Jahre später las ich, dass häusliche Gewalt gegen Kinder in Unterschichtenfamilien sieben Mal so häufig vorkam wie in bürgerlichen Elternhäusern. Bei den Reichen wurde mit Prügel nur gedroht, während im Ghetto wirklich zugeschlagen wurde. Das war der Unterschied. Plötzlich fiel mir ein, dass mir ein Rentner mal eine geklebt hatte, weil ich mit einem schwarzen Filzstift eine Bushaltestelle beschmierte. Ich muss etwa 13 gewesen sein. Ich schlug ihm als Antwort seine dicke Hornbrille aus dem Gesicht. Sie knallte auf den Bürgersteig und ging kaputt. Dann lief ich weg. Weil ich Schiss hatte, dass meine Eltern die teuren Gläser würden bezahlen müssen.

    Jetzt hockte ich in einem Panzer, der mich das Doppelte von dem gekostet hatte, was Vater und Mutter im Jahr als Rente bezogen. Während sie bei Discountern einkauften, um über den Monat zu kommen, stopfte ich mir feines Finger-food rein, ohne dafür einen einzigen Cent zu blechen. Jedes Gramm Kokain, das ich zog, war kostspieliger als die Lieblingshose meiner lieben Mutter. Um eine Stunde eine Apartmentnutte lecken und ficken zu dürfen, legte ich mehr Geld auf den Tisch als an den Geburtstagen der beiden Menschen, die mich auf diese Welt gebracht und großgezogen hatten. Niemals hatten sie auch nur ansatzweise ihre Hand gegen mich erhoben. Ich gehörte zu den privilegierten Kindern in dem sozialen Brennpunkt, die nie von ihren Eltern geschlagen worden waren. Und als Dank ließ ich sie in diesem Ghetto verschimmeln. Das fucking Zeugs brannte nicht nur in meiner Nase, es verätzte vor allem meine Nerven. Ich schlug die Hände vors Gesicht. Weil ich heulen musste.

    2

    Die gläsernen Banktürme thronten wie eisige Gletscher über der City. Gigantische Stalaktiten, die bedrohlich aus dem Boden wucherten. Hinter den abweisend bläulich schimmernden Fassaden war es bitterkalt. Es fröstelte mich jedes Mal, wenn ich einen der Tower betrat und dort Kunden mit Kokain beliefern musste. Aber wenigstens war das Drogengeschäft in Frankfurt eine krisenfeste Branche: Wenn die Investmentbanker Erfolg hatten, zelebrierten sie ihn mit meinem Pulver und wenn sie Geld verloren, koksten sie, um nicht die Nerven zu verlieren. So war unabhängig von jedweder Kursentwicklung Kokain die perfekte Aktie. Sie hatte in dieser Stadt immer Konjunktur. Dabei waren die meisten Banker echte Spießer. Nerds in Anzügen, die den ganzen Tag vor ihren Bildschirmen hingen und mit einem Mausklick viele Millionen verspekulierten. Meine Pharmazeutika interessierten sie nur als Zusatz-Kick, denn ihre wahre Droge war das Geld. Ihr Heroin war der Dollar, und dem waren sie verfallen wie Junkies.

    Mein Business lebte aber auch von den Brokern, die wussten, dass sie mega langweilig rüberkamen, sich aber trotzdem cool und sexy fühlen wollten. Insofern erfüllte meine Ware eine soziale Aufgabe. Sie hob das Selbstwertgefühl dieser Spritzer, die sich auf ihre Tradergeschäfte einsam vor dem Computer einen runterholten.

    Nur Idioten verkauften tatsächlich ein ganzes Gramm Kokain, ich hingegen verpackte immer nur 900 Milligramm. Keiner hatte nachts eine Waage dabei, mit der er es kontrollierte, von daher gab es auch keine Beschwerden. Diese Methode war für mich bares Geld wert, denn ich vertickte im Schnitt 200 Portionen im Monat und sparte auf die Weise 20 Gramm, was meinen Umsatz um 1500 Euro monatlich steigerte. Allein durch diese winzige Maßnahme holte ich jährlich 18.000 Euro mehr aus meiner Ware heraus, ohne für diesen Bonus irgendjemanden ruinieren zu müssen.

    Vor der Schicht besorgte ich Nachschub in meinem Kokainlager. Es war in einem Keller untergebracht, den ich von einem Typen gemietet hatte, der keine Fragen stellte, warum ich mehrere alte Waschmaschinen einlagern wollte. Dafür drückte ich ihm jeden Monat pünktlich 200 Euro in die Hand. Die ausrangierten Maschinen waren hervorragende Verstecke,

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