Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Alle Jahre wieder: Kurzgeschichten zum Weihnachtsfest
Alle Jahre wieder: Kurzgeschichten zum Weihnachtsfest
Alle Jahre wieder: Kurzgeschichten zum Weihnachtsfest
eBook141 Seiten1 Stunde

Alle Jahre wieder: Kurzgeschichten zum Weihnachtsfest

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Karl-Heinz Ganser: Der geklaute Weihnachtsbaum
Eleonore Nickolay: Der Mantel
Anne Frisch: Die Bräute von Tobago
Kiané Novinshoar: Das Fest der Liebe
Ingrid Kubisch: Dem Weihnachtsmann lüftet sich die Kapuze
Friedhelm Rudolph: Weihnacht in Wangerland
Antonia Stahn: Als der Nikolaus den kleinen Felix rettete
Elke Link: Der anonyme Weihnachtsbrief
Karin Reddemann: Liebe Lüge im Schnee
Helmut Wemer: Brief nach Cincinnati
Silke Klaassen-Boehlke: Wie der Weihnachtsmann sein blaues Kostüm in ein rotes wechselte
Christiane Weber: Der Himmel ist heruntergefallen
Hannelore Sagorski: Alle Jahre wieder …
Eva Markert: Das Weihnachtsalbum
Patrick Alexander Kostka: Weihnachten 2004
Sabine Ludwigs: Der Engel im Heuhaufen
Rainer Kodritsch: Rosalindes Bescherung
Andrea Spakowski: Das Weihnachtslied der Wildnis
SpracheDeutsch
HerausgeberHenss, Ronald
Erscheinungsdatum25. Juli 2012
ISBN9783939937760
Alle Jahre wieder: Kurzgeschichten zum Weihnachtsfest

Ähnlich wie Alle Jahre wieder

Ähnliche E-Books

Anthologien für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Alle Jahre wieder

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Alle Jahre wieder - Ronald Henss

    Karl-Heinz Ganser

    Der geklaute Weihnachtsbaum

    In zwei Wochen war Weihnachten. Das erste Fest nach dem schrecklichen Krieg.

    Ich war damals gerade elf Jahre alt und hoffte insgeheim, dass es nun richtige und große Geschenke geben würde. Aber als ich meiner Mutter den Zettel mit meinen Wünschen zusteckte, sah sie mich traurig an und schüttelte nur ihren Kopf. Der Krieg war zwar zu Ende, aber ich ahnte, dass sich für mich doch nicht viel geändert hatte.

    Eines Abends unterhielten sich meine Eltern darüber, dass dieses Jahr wohl kein Weihnachtsbaum aufgestellt werden könnte. Rund um unser Dorf waren alle Wälder vermint und es war zu gefährlich, einen Baum zu schlagen.

    Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass wir Weihnachten ohne einen Tannenbaum feiern sollten.

    Mein Vater hatte mir einmal gesagt, dass Minen hochgehen, wenn man drauftritt. Daraus folgerte ich, dass ich mit meinem Gewicht als Elfjähriger bestimmt keine Mine zur Explosion bringen würde.

    Ohne zu Hause etwas zu sagen, schlich ich mich einige Tage vor Heiligabend mit einer kleinen Säge in den nahe gelegenen Wald. Als ich von einem Seitenweg aus in eine zerschossene Schonung hineinging, sah ich zwar das große Schild mit der Aufschrift „Achtung Minengefahr!", aber als ich ein wunderschönes kleines Fichtenbäumchen vor mir entdeckte, empfand ich keine Angst mehr. Vorsichtig kroch ich auf allen Vieren hin und sägte es ab.

    Stolz wollte ich es gerade aufheben, da spürte ich plötzlich, wie eine harte Hand mich von hinten packte.

    Erschrocken drehte ich mich um und blickte in das wütende Gesicht eines amerikanischen Soldaten. Er schimpfte und schrie in einer Sprache, die ich nicht verstand. Immer wieder zeigte er auf das Minenhinweisschild und redete ununterbrochen auf mich ein.

    Heute weiß ich noch ganz genau, welche Todesangst ich damals ausgestanden habe. Ich stand regungslos da und starrte den Mann nur an. Als der Soldat schließlich zu seinem Jeep zurückging, dachte ich nur noch: „Jetzt holt er eine Knarre und erschießt dich."

    Doch wie verblüfft war ich, als er mit vier riesig großen Tafeln Schokolade zurückkam. Ich konnte es nicht fassen, was er jetzt tat. Mit Kordel band er die Schokolade an die Äste des Bäumchens. Schmunzelnd drückte er mir dann den geschmückten kleinen Baum in die Arme. Bevor er mit dem Geländewagen davonbrauste, hörte ich ihn noch in gebrochenem Deutsch „Frohe Weihnachten!" rufen.

    Wir haben zu Hause in den folgenden Jahren viele und herrliche Weihnachtsbäume gehabt. Das geklaute Bäumchen von Weihnachten 1945 aber wird für immer etwas Einmaliges bleiben.

    Eleonore Nickolay

    Der Mantel

    Als Kalle vom Klo kam, sah er den roten Mantel am Rande der Waschbeckenreihe auf der schmalen, gefliesten Ablage liegen, sorgfältig in der Hüfte gefaltet, so dass er nicht mit dem verdreckten Boden in Berührung kam. Draußen hatte sich der makellose Neuschnee bereits in klumpigen Matsch verwandelt, der in den tiefen Rillen der Wintersohlen festpappte, um schließlich in Räumen wie diesem hier schmutzigbraune Lachen zu hinterlassen.

    Der Gedanke, den Mantel zu klauen, kam ihm augenblicklich. Sofort meldete sich eine innere Stimme, die er für die seiner Mutter hielt, obwohl er schon lange nicht mehr wusste, wie ihre Stimme klang. Sie sagte energisch, es sei doch völliger Unsinn, was er da vorhabe, konnte ihn aber nicht davon abhalten, sich in den folgenden Minuten so zu benehmen, als gehöre Diebstahl zu seinem Tagwerk. Vorsichtig begab er sich zum letzten Becken. Beim Händewaschen schielte er mit gesenktem Kopf mal nach rechts, um sich zu vergewissern, dass der Mantelbesitzer nicht erschien, mal nach links, um den Mantel genauer zu betrachten.

    Es war keines dieser dünnen Filzexemplare, wie es sie zur Weihnachtszeit in jedem Billigladen zu kaufen gab. Nein, dieser hier war von bester Qualität, ein dicker, flauschiger Mantel; und der weiße Pelz an Kapuze und Ärmeln sah echt aus. Wem gehörte er bloß?

    Der Besitzer könnte hinter einer der verschlossenen Türen sitzen. Kalle drehte sich zum Handtuchspender und zog ein sauberes Stück Tuch von der Rolle. Während er sich die Hände abtrocknete, lauschte er angestrengt nach typischen Toilettengeräuschen. Er konnte kaum glauben, dass jemand solch einen Mantel einfach vergessen konnte oder gar absichtlich liegen gelassen hatte. Unschlüssig schaute er in den Spiegel, als könnte sein Konterfei ihm Antwort geben. Kalle sah heute Morgen gut aus. Ausgeschlafen und rasiert wirkte er jünger, wenn auch nicht so jung, wie er tatsächlich war. Das Leben auf der Straße hatte ihn schneller altern lassen und es würde ihn, das wusste Kalle, auch früher sterben lassen. Aber die letzte Nacht hatte er in einer der Notunterkünfte zugebracht, hatte geduscht und gefrühstückt.

    Wieder schielte er zum Mantel. Es wurde Zeit, sich zu entscheiden: Abwarten, ob der Mantelbesitzer tatsächlich nicht auf dem Klo war, oder das Stück jetzt schnappen und sofort verschwinden. Er entschied sich für Letzteres, schulterte seinen Rucksack und griff nach dem Mantel.

    Wieder hörte Kalle eine Stimme, dieses Mal die seines Kumpels, da war er sich sicher. „Du Spinner!", hörte er ihn sagen. Wäre Tom jetzt hier, er hätte brüllend gelacht. Aber er war letztes Jahr gestorben. Aus lauter Verzweiflung hatte Kalle sich damals der Winterkälte aussetzen wollen. Sich besaufen, einschlafen und nicht mehr aufwachen. Ein einfacher, ein sanfter Tod. Aber dann hatte Tauwetter eingesetzt und als später wieder lebensgefährliche Kälte herrschte, hatte ihn längst der Mut verlassen.

    Als Kalle den Mantel an sich nahm, entdeckte er den dazugehörigen weißen Bart. „Wenn schon, denn schon", dachte er und schlug ihn in den Mantel ein. Wieder hörte er das schallende Lachen seines toten Kumpels und musste selber grinsen. Dann stieg er mit dem roten Bündel unter dem Arm hinauf in die Fußgängerzone. Es war nach elf, zwei Tage vor Weihnachten und emsiger Betrieb. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Kalle stellte sich unter das vorstehende Dach eines Ladens und ließ die Menschen an sich vorbeiziehen. Die meisten sahen schlecht gelaunt aus. Kalle begriff das nicht. Sie waren unterwegs um Geschenke zu kaufen, hatten also genug Geld, eine Arbeit, ein Dach über dem Kopf, hatten Familie und Freunde.

    Eine Verkäuferin trat aus dem Laden, hängte ein paar Herrenjacketts zu anderen auf einen Ständer und blickte streng zu ihm herüber. Lange konnte Kalle nicht mehr hier bleiben. Er kannte das. In ein paar Minuten würde der Herrenausstatter persönlich vor die Tür treten und ihn leise, aber bestimmt zum Gehen auffordern.

    Diese Aussicht störte Kalle heute einmal nicht. Ihm war eine Idee gekommen. Er würde sich ein ruhiges Plätzchen suchen, am besten in der nächsten U-Bahn-Station, wo er den Mantel überziehen und den Bart anlegen würde. In einer solchen Verkleidung konnte er sich den ganzen Tag unbehelligt in einem warmen Kaufhaus aufhalten. Und sollte wirklich einer merken, dass er nicht dahin gehörte, würde er kurzerhand das Kaufhaus wechseln. Es gab ja genug davon in der Stadt.

    Er war schon lange nicht mehr in einem Kaufhaus gewesen. Und jetzt fiel ihm auf, dass es viele solcher verschlossenen Orte für ihn gab. In kindlicher Vorfreude betrat Kalle das Kaufhaus. Die Wärme, die ihm entgegenschlug, überraschte ihn. Es war nicht die abgestandene Wärme aus den U-Bahn-Wagen, nicht die aus seinem Schlafsack, die seiner eigenen Ausdünstungen und es war nicht die sparsame Wärme aus der Notunterkunft. Die Wärme im Kauftempel mutete Kalle üppig an, verschwenderisch; und obwohl es von Menschen wimmelte, roch sie sauber, nach einem Hauch von guter Seife. Kalle kamen Erinnerungen aus der Kindheit. Das heiße Bad am Samstagnachmittag, die Wärmflasche unter der Bettdecke, der warme, weiche Druck der Lippen seiner Mutter, wenn sie ihm den Gute-Nacht-Kuss gab. „Jetzt nur keine Sentimentalitäten, dachte Kalle, „die führen zu nichts außer zu einem Besäufnis.

    „Zur Verlosung, dritte Etage, Spielwarenabteilung", säuselte plötzlich eine Verkäuferin neben ihm. Kalle erschrak. Offenbar hatte er schon viel zu lange dagestanden. Er machte eine linkische Handbewegung, die der Verkäuferin so etwas wie ein Danke signalisieren sollte und trottete brav in Richtung Rolltreppe. Wenn er nicht auffallen wollte, musste er in Bewegung bleiben, den Eindruck vermitteln, nach irgendwohin unterwegs zu sein. Er fuhr bis zur ersten Etage und fand sich in der Damenoberbekleidung wieder. Er ging vorbei an Röcken und Blusen, Westen und Mänteln, Hosen und Hüten. Er wusste ja, dass die Auswahl groß war. Er kannte das aus Schaufenstern und aus den Zeitschriften, die er bisweilen aus dem Abfall fischte. Aber so mittendrin zu stehen, verwirrte ihn nun doch. Die Frauen, die mit Kennerblick an den Ständern entlanggingen, lächelten ihm zu. Kalle war froh, dass der Bart den größten Teil seines Gesichtes verdeckte und niemand sah, wie er rot wurde. Seit Jahren hatten Fremde ihn

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1