Der Tod ist ein täglicher Gast: Holländische Geiseln und Widerstandskämpfer 1944/45 in den Arbeitserziehungslagern Zöschen, Schafstädt und Ammendorf/Osendorf
Von Martin Pabst
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Über dieses E-Book
In seiner verdienstvollen Dokumentation beschreibt der Cuxhavener Autor Martin Pabst, der sich bis zu seinem Tod im Jahr 2002 diesem Spezialgebiet geschichtlicher Forschung zugewandt hat, das Leben, Leiden und Sterben der holländischen Häftlinge in den sogenannten Arbeitserziehungslagern Mitteldeutschlands anhand von Augenzeugenberichten und Dokumentationen aus Merseburger Archiven und erschließt uns auf diese Weise Tatsachen, die bisher wenig oder gar nicht bekannt gewesen waren.
Martin Pabst
Martin Pabst ist 1926 in Bad Lauterberg geboren. 1935 zog er mit seiner Familie nach Merseburg, wo sein Vater eine Stelle als Pfarrer antrat. Hier besuchte er bis zum Jahre 1944 das Domgymnasium. Wie viele junge Männer seines Jahrgangs, wurde er im letzten Oberschuljahr als Luftwaffenhelfer rekrutiert und anschließend zum Arbeitsdienst und zur Wehrmacht eingezogen. Aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, nahm er ein Studium der evangelischen Theologie auf. Das führte ihn über Halle (Saale) und Göttingen nach Basel, wo er Schüler des Theologie-Reformers Karl Barth wurde. Nach dem Ersten Theologischen Examen war Pabst als Lehrvikar in Schkopau bei Merseburg, Naumburg und Leipzig tätig. 1954 übersiedelte er in die BRD und besuchte dort das Predigerseminar. Im Anschluss an das Zweite Theologische Examen führte ihn sein Einsatz als Pfarrer über Hamburg und dann bis 1991 nach Cuxhaven. In unermüdlicher Archivarbeit erforschte er Dokumente und Zeitzeugenberichte, die sich mit den sogenannten Arbeitserziehungslagern Hitlerdeutschlands in der Mitteldeutschen Region Halle-Merseburg beschäftigen. Insgesamt entstanden sechs Bücher, die den Aufbau, die Verwaltung und die Maschinerie der Grausamkeit in den verschiedenen Arbeitserziehungslagern bekunden. Martin Pabst verstarb im Jahre 2002. Sein wissenschaftlich-publizistisches Wirken ist aus der europäischen Forschung über die Geschichte Deutschlands zur Zeit Hitlers nicht wegzudenken.
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Buchvorschau
Der Tod ist ein täglicher Gast - Martin Pabst
ZU DIESER AUSGABE:
Am 16. April 1944 wurden 468 Holländer in Beverwijk als Geiseln verhaftet und zunächst zum polizeilichen Durchgangslager Amersfoort gebracht. Nach Angaben des Niederländischen Reichsinstituts für Kriegsdokumentationen sind am 6. und 28. Juni 1944 Transporte mit 726 Geiseln von Amersfoort zu den Arbeitsämtern in Halle (Saale) und Merseburg abgefahren. Unter diesen Deportierten befanden sich auch die Geiseln von Beverswijk, die zuerst ins Arbeitserziehungslager Spergau bei Merseburg eingeliefert wurden. Nach der Zerstörung des Lagers Spergau durch einen Luftangriff am 29. Juli 1944 kamen die holländischen Geiseln zunächst in das Lager Schkopau/Korbetha. Nach Aufbau des Lagers Zöschen im September 1944 wurden die holländischen Geiseln dorthin gebracht. Ein Außenkommando, bestehend aus holländischen Häftlingen, arbeitete später beim Aufbau eines Flugplatzes bei Schafstädt. Von dort gelangten die Überlebenden in ein Lager in Ammendorf.
In seiner verdienstvollen Dokumentation beschreibt der Cuxhavener Autor Martin Pabst, der sich bis zu seinem Tod im Jahr 2002 diesem Spezialgebiet geschichtlicher Forschung zugewandt hat, das Leben, Leiden und Sterben der holländischen Häftlinge in den sogenannten Arbeitserziehungslagern Mitteldeutschlands anhand von Augenzeugenberichten und Dokumentationen aus Merseburger Archiven und erschließt uns auf diese Weise Tatsachen, die bisher wenig oder gar nicht bekannt gewesen waren.
Holländische Geiseln und Widerstandskämpfer 1944/45 in den Arbeitserziehungslagern Zöschen, Schafstädt und Ammendorf/Osendorf
Augenzeugenberichte holländischer Häftlinge und deutscher Anwohner, Dokumente aus Merseburger Archiven
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Frans Buschers Leidenszeit in Zöschen
Der Marsch der holländischen Häftlinge von Spergau nach Zöschen
Der Aufbau des Lagers Zöschen
Maurerarbeiten am Hauptgebäude
Zählappell am Morgen und am Abend
Erlebnisse bei Fliegeralarm im Stollen und beim Bombenentschärfen auf dem Sportplatz
Schikanen und Misshandlungen
Bohnenpflücken auf dem Felde
Zementsäcke schleppen
Prügel durch den Wachmann Gerbsch
Flucht aus dem Lager
Die Lagerstrafen
Unumschränkter Herrscher Tod - Wie Jan Hettema starb
Wie Peet starb
Wegen Mundraubs totgeschlagen
Wie der englische Pfarrer von den Kanalinseln starb
Lagerarzt, Krankenzelt und Beerdigungen - Der Eid des Hippokrates
Im Krankenzelt
Quarantäne und Entlausung
Es gab auch gute Deutsche
Gespräche mit Einheimischen
Die Entlassung der Holländer aus dem Lager
Zu Gast bei deutschen Familien in Zöschen
Das Ende des Lagers Zöschen
Zwölf Fragen an Frans Busschers
Gefangen im Schafstall - Joop Epskamp erinnert sich
Unterkunft auf dem Flugplatz in Schafstädt
Entlassung aus dem Krankenrevier Ammendorf - Freier Arbeiter bei Paul Geheb in Merseburg
Acht Fragen an Joop Epskamp zum Lager Zöschen
Sechs Fragen an Joop Epskamp zum Einsatz in Schafstädt
Aus dem Tagebuch von Herman Poelma
In Begleitung eines SS-Mannes vom Krankenhaus Halle-Dölau zum Lager Zöschen
Nichts als Elend - Ankunft im E.-Lager
Auf Todeskommando - Räumarbeiten in den Leuna-Werken nach Luftangriffen
Zu Hundert im Viehwagen in die Wildnis
Grausiger Kriegsalltag auf dem Flugplatz
Die Gummiknüppel der Schinder
Ein Pole wird zu Tode geprügelt
Die Leichen im Lager Ammendorf/Osendorf
Der Leidensweg des Christian Wolgemoed
Christian Wolgemoed erinnert sich
Anmerkungen von Frans Busschers zum Bericht von Christian Wolgemoed
Nachts träumten wir von Brot und Schinken - Rückschau eines unbekannten Holländers
Das deutsche Lagerpersonal
Personaldaten
Anzahl, Dienstantritt und Herkunft des Wachpersonals
Dreizehn Fragen an Frans Busschers zum Wachpersonal
Verfahrensprotokolle und Berichte aus holländischen Tageszeitungen über Prozesse niederländischer Gerichte gegen Wachmänner
Aus der Vernehmung von C. D.
Zeitungsberichte aus Amsterdam
„Het Paroll" vom 13. Oktober 1947
„Het Parol" vom 12. Mai 1948
Unbekannte Amsterdamer Tageszeitung vom 11. Mai 1948
Unbekannte Amsterdamer Tageszeitung vom 12. Mai 1948
Dokumente, Anwerbung und Rekrutierung des deutschen Wachpersonals betreffend
Reichsgesetzblatt 1938, Teil 1, Nr. 170, vom 15. Oktober 1938
Reichsblatt, Jahrgang 1939, Teil 1, vom 8. Juli 1939
Schreiben von Dr. Schaumburg, Leuna, an Filmfabrik Wolfen vom 29. Juni 1942
Bericht des Dr. Buergin, Bitterfeld, vom 26. Juni 1943
Aus dem Protokoll über das ehemalige Erziehungslager der Elbe AG in Piesteritz vom 11. März 1964
Aktenvermerk vom 29. September 1944
Holländische und andere Todesopfer auf dem Auefriedhof in Zöschen
Liste der Gräber vom 10. Oktober 1945
Schreiben des Landrats, Kreis Merseburg, 21. Juni 1946, an den Bürgermeister in Zöschen
Schreiben des Landrats, Kreis Merseburg, 30. April 1947, an den Gemeinderat in Zöschen
Schreiben des Landrats, Kreis Merseburg, 19. September 1947, an alle Bürgermeister
Liste der exhumierten Niederländer
Schreiben des Gemeinderates Zöschen, 20. April 1948; an die Kommandantur in Merseburg
Schreiben des Dienst Identificatie en Berging vom 5. Juni 1948 an den Bürgermeister Zöschens
Handgeschriebene Anmerkung der Gemeindeverwaltung Zöschen
Schreiben des Dienst Identificatie en Berging vom 22. Nov. 1948 an den Bürgermeister Merseburgs
Schreiben des französischen Ministeriums für Kriegsteilnehmer und Kriegsopfer; 21. Dezember 1950 an den Bürgermeister in Zöschen
Den Menschen zur Mahnung - Die Wiederherstellung des Zöschener Ehrenfriedhofs
Die Bürgermeisterin Edda Schaaf berichtet
Aus einer Rede des CDU-Landtagsabgeordneten Cornelius Nägler vom 28. Mai 1995
Ansprache von Edda Schaaf am 27. Mai 1996
Auszug aus der Predigt des Pastors H. Richter
Brief Frans Busschers vom 30. Mai 1997
Anlagen
Erlass zur Errichtung von AEL vom 28. Mai 1941
Lagerordnung für AEL vom 12. Dezember 1941
Allgemeine Lagerordnung
Das Schweigen der Angst - Erinnerungen deutscher Augenzeugen
Zweihundert Leute in einer Baracke - Otto Hofmann, 23. September 1992
Zementsäcke für die Bestattung - Otto Hofmann, 23. März 1997
Fußtritte für die Erschöpften - Sidonie Häusler am 30. Juni 1995
Befehlsempfänger in Holzpantinen - von Winfried Czepluch, damals Lehrling
Schreiben von Johanna Krupke aus Schafstädt vom 16. Juli 1996 an den Autor
Schreiben des Landkreises Merseburg-Querfurt, vom 13. Mai 1996 an den Autor
Nachrichten über die Anzahl der Häftlinge
Niederländisches Reichsinstitut für Kriegsdokumentation, Schreiben vom 25. März 1996
Notiz des Personalbüros BUNA, 31. Juli 1944
Notiz über eine Besprechung des Dr. Ecarius, BUNA, mit Herrn Elsner, Berlin, 4. August 1944
Notiz über eine Besprechung des Dr. Ecarius mit Dr. von Soiron am 10. August 1944
Zusammenstellung des Personalbüros Leuna vom 11. März 1945
Tagebuch von Walter Müller, 1. Mai 1945
Schreiben des AEL Zöschen vom 22. März 1945 an die Verwaltung des KZ‘s Buchenwald
Sterbefälle holländischer Häftlinge
Quellenangaben
Nachtrag
VORWORT ZUR ERSTAUSGABE
Am 16. April 1944 wurden 468 Holländer in Beverwijk als Geiseln verhaftet und zunächst zum polizeilichen Durchgangslager Amersfoort gebracht. Nach Angaben des Niederländischen Reichsinstituts für Kriegsdokumentationen sind am 6. und 28. Juni 1944 Transporte mit 726 Geiseln von Amersfoort zu den Arbeitsämtern in Halle (Saale) und Merseburg abgefahren. Unter diesen Deportierten befanden sich auch die Geiseln von Beverswijk, die zuerst ins Arbeitserziehungslager Spergau bei Merseburg eingeliefert wurden.
Über das Schicksal der Holländer in Spergau handelt meine Broschüre „Das Arbeitserziehungslager Spergau bei Merseburg", die 1996 in der Reihe des Geschichtsstammtischs Leuna erschienen und über die Robert-Bosch-Stiftung Stuttgart zu beziehen ist. Nach der Zerstörung des Lagers Spergau durch einen Luftangriff am 29. Juli 1944 kamen die holländischen Geiseln zunächst in das Lager Schkopau/ Korbetha. Nach Aufbau des Lagers Zöschen im September 1944 wurden die holländischen Geiseln dorthin gebracht. Von Zöschen aus wurde ein Kommando holländischer Häftlinge zum Aufbau eines Flugplatzes nach Schafstädt geschickt. Von dort gelangten die Überlebenden in ein Lager in Ammendorf.
Das vorliegende Buch beschreibt das Schicksal der holländischen Häftlinge in Zöschen, Schafstädt und Ammendorf. Herrn Frans Busschers aus Enschede und Herrn Joop Epskamp danke ich für umfangreiche Berichte. Beide Herren habe ich bei einer Gedenkfeier in Zöschen persönlich kennengelernt und stehe mit ihnen in brieflicher und telefonischer Verbindung.
Die Tagebuchaufzeichnungen von Herman Poelma, die bereits in holländischer Sprache in einem Buch von Harm Reinders veröffentlicht wurden, habe ich in einer deutschen Übersetzung von Frau Hannelore Hauptmann aus Zöschen bekommen.
Die Todesfälle unter den holländischen Häftlingen wurden nach Meldung der Gestapo bei den zuständigen Standesämtern eingetragen. Die Grabstellen waren: Auefriedhof in Zöschen, Gertraudenfriedhof in Halle (Saale) und Alter Friedhof in Obhausen. Nach einer Liste vom 21. Dezember 1991 wurden 98 sterbliche Überreste von holländischen Häftlingen nach Holland überführt. 46 Urnen von holländischen Häftlingen müssten noch auf dem Ehrenfriedhof in der Aue ruhen, der aufgrund der Verdienste von Frau Edda Schaaf 1991 wieder auf seinem ursprünglichen Platz geweiht wurde.
Nach gründlicher Prüfung habe ich beschlossen, eine Liste mit den Namen aller holländischen Todesopfer zu veröffentlichen; sie findet sich im Anhang dieses Buches.
Meine Arbeit wurde finanziell unterstützt vom Heimatverein Zöschen, dem Verein Sachzeugen der chemischen Industrie, dem Landrat des Landkreises Merseburg-Querfurt, dem Regierungspräsidium Halle (Saale) und dem Olefinverbund Schkopau.
Den Mitarbeitern der Urkundenstelle der Kreisverwaltung Merseburg-Querfurt, der Verwaltungsgemeinschaft Kötzschau in Zöschen, dem Kreisarchiv Merseburg, dem Landesarchiv Merseburg, den Werksarchiven Leuna und BUNA, die mir bei meiner schwierigen Arbeit geholfen haben, gilt mein besonderer Dank.
Cuxhaven, den 5. September 1997, Martin Pabst
FRANS BUSCHERS LEIDENSZEIT IN ZÖSCHEN
DER MARSCH DER HOLLÄNDISCHEN HÄFTLINGE VON SPERGAU NACH SCHKOPAU
Am Abend, in der Dämmerung, mussten wir antreten, und unter Aufsicht von halb und völlig betrunkenen Wachtmeistern marschierten wir los. Es schien uns eine Ewigkeit unter dem ständigen Geschrei der Wachtmeister. Gott sei Dank waren sie nicht imstande, uns zu schlagen. Als dann endlich das Kommando „Stillgestanden!" kam, bemerkten wir, dass wir wieder in Schkopau waren. Wir durften in die Baracken wegtreten und uns aufs Bett legen. Obwohl wir alle todmüde waren, konnten doch einige unter uns wegen des Hungers nicht sofort einschlafen. Ich fühlte mich zugleich glücklich und schuldig. Glücklich, weil wir zu dritt - durch meine Kenntnisse in der deutschen Sprache - Essen bekommen hatten, und schuldig, weil wir das den anderen verschwiegen hatten. Je länger unsere Gefangenschaft dauerte, desto klarer wurde mir, dass zwischen drei oder vier Personen zwar eine gute Freundschaft möglich war, aber auch jeder für sich selbst ums Überleben kämpfen musste.
Am nächsten Morgen, beim Appell, sahen wir, dass es dieselbe Baracke war, die wir am 6. Juli 1944 verlassen hatten. Noch immer rundherum mit Stacheldraht umgeben; aber jetzt waren auch Franzosen da. Dort gab es auch Duschen, und so konnten wir uns endlich einmal richtig säubern und die Unterwäsche waschen. Da wurde uns klar, dass unser Gepäck mit Unterwäsche, Oberbekleidung, Wintersachen und Schuhen verloren war beim letzten Angriff auf das Leuna-Werk und das Lager. Alles, was übrig geblieben