Die unmögliche Leiche: Kriminalroman
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Über dieses E-Book
So kommt es auch. Doch es kommt auf leichten Füßen daher, mit stilistischer Finesse und als großartiges literarisches Verwirrspiel. Ein hochvergnüglicher Krimi - rabenschwarz, voller Witz und spannend bis zum überraschenden Schluss.
Von José Pablo Feinmann außerdem in der Edition diá:
Die Verbrechen des van Gogh. Kriminalroman
Aus dem argentinischen Spanisch von Thomas Brovot und Christian Hansen
ISBN 9783860345481
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Buchvorschau
Die unmögliche Leiche - José Pablo Feinmann
Über dieses Buch
Eine Besserungsanstalt für weibliche Jugendliche in den Weiten der argentinischen Pampa, eine attraktive, grausame Aufseherin, ein überforderter Direktor und Anna, die kleine Anna, in ihrer Schneiderwerkstatt auf der Suche nach der perfekten Puppe. Und ein Erzähler, der, um in eine Krimi-Anthologie aufgenommen zu werden, dem Verleger verspricht, ein nie da gewesenes Fest des Schreckens zu feiern.
So kommt es auch. Doch es kommt auf leichten Füßen daher, mit stilistischer Finesse und als großartiges literarisches Verwirrspiel. Ein hochvergnüglicher Krimi – rabenschwarz, voller Witz und spannend bis zum überraschenden Schluss.
»Ein furioser Einstand auf dem deutschen Buchmarkt!« (Der Spiegel)
»Der geistreichste, witzigste, spannendste, verquerste Roman seit Flann O'Briens ›Der dritte Polizist‹.« (Rheinischer Merkur)
»Ein geniales Buch.« (Zitty)
Der Autor
José Pablo Feinmann wurde 1943 in Buenos Aires geboren. Der Romancier, Journalist, Drehbuchautor und Philosoph ist Leitfigur einer Generation jüngerer argentinischer Schriftsteller. Neben zwölf Romanen schrieb er zahlreiche Essays und philosophische Abhandlungen, er ist Kolumnist der Tageszeitung »Página 12« und moderiert seit 2010 die vielbeachtete Fernsehsendung »Filosofía aquí y ahora«. Er hat mit prominenten Regisseuren zusammengearbeitet, darunter Eduardo de Gregorio und Hector Oliveira; zwei seiner Romane wurden verfilmt.
Der Übersetzer
Thomas Brovot, geb. 1958, übersetzt aus dem Spanischen und Französischen, u. a. Juan Goytisolo, Federico García Lorca, Mario Vargas Llosa, Joann Sfar. Für seine Übersetzungen wurde er mehrfach ausgezeichnet.
José Pablo Feinmann
Die unmögliche Leiche
Kriminalroman
Aus dem argentinischen Spanisch von Thomas Brovot
Edition diá
Inhalt
Einziges Kapitel
Postskriptum
Bibliographie
Impressum
Für María Julia und,
ganz besonders, Nicolás
Einziges Kapitel
Brief an den Verleger
Sehr geehrter Herr Verleger,
ich bin ein Mensch, der abgeschieden lebt, weit weg. Und weit weg nicht nur von der blendenden Welt der Literatur mit ihren Fürsten und Höflingen, sondern auch weit weg, abgeschieden von der Welt im Allgemeinen. Und wenn jemand so etwas sagt, also: die Welt im Allgemeinen, dann wissen Sie, was er damit meint: Er meint die Leute, Herr Verleger, die anderen. Schön, von ihnen, ihren Nöten und ihrem Drängen lebe ich also weit entfernt. Man könnte daher sagen, dass die außergewöhnlichen Ereignisse, die ich Ihnen in diesem Brief erzählen möchte, jeden anderen Menschen hätten betreffen dürfen, nur nicht mich. Trotzdem bin aber ich betroffen. Und wenn ich einen Satz geschrieben habe, der, so vermute ich, Ihre feine literarische Nase beleidigt, wenn ich geschrieben habe, Herr Verleger, außergewöhnliche Ereignisse, dann weil die Ereignisse dies waren: außer-gewöhnlich. So wie es auch, und man möge mir die hochtönenden Worte verzeihen, der Brief ist, den Sie gerade in Händen halten.
Trotz meiner abgeschiedenen Lebensweise ist eine beflügelnde Nachricht bis zu mir gedrungen: Ihr Verlagshaus bereitet eine Anthologie argentinischer Kriminalgeschichten vor. Bravo, Herr Verleger! Desgleichen weiß ich, dass Sie für dieses Unternehmen eine Reihe von Schriftstellern eingeladen haben, die gewöhnlich mit Geist und literarischer Qualität aufwarten.
Dennoch habe ich, warum es länger verschweigen, eine Gewissheit: Meine Kollegen (wenn man mir erlaubt, sie so zu nennen) werden Ihre Anthologie mit geistvollen Begebenheiten spicken, sprachlichen Kunststückchen, exotischen Gefilden, chinesischen – mutmaße ich – Vierteln und der einen oder anderen Leiche. Aber niemand, Herr Verleger, keiner von ihnen wird so viel Blut, so viele Verbrechen, so viele Verstümmelungen, kurz: so viele Tote zu bieten haben wie ich. Nehmen Sie also all Ihren Mut zusammen, lesen Sie weiter und feiern Sie dieses Fest des Schreckens.
Ich bin nicht der Held dieser Geschichte, aber ich bin ihr allernächster Zeuge. Und als solcher werde ich ihr Erzähler sein. Der Erzähler dieser Geschichte, nicht mehr und nicht weniger. Sie werden sich fragen: Ja was für eine Geschichte ist denn das? Ich werde es Ihnen sagen: Es ist die Geschichte einer Verführung. Ich schreibe, um Sie zu belügen, zu blenden, zu verführen. Mein literarisches Programm ist allein dies: Ich will in Ihre angesehene Anthologie aufgenommen werden, und ich werde nicht einen Tropfen Blut sparen, um es zu erreichen. So beginne ich hier nun also die atemberaubende Schilderung der Verbrechen, die Sie mit all Ihren Sinnen in Bann schlagen werden.
Sie wird Anna heißen. Ein kurzer Name, ich weiß. Aber zwangsläufig kurz, Herr Verleger. Denn sie wird die ganze Erzählung hindurch die kleine Anna sein. Und kleine ist, würde ich sagen, fast schon ein längeres Wort. Sie wird also ganz kurz Anna heißen, damit wir die kleine Anna zu ihr sagen können, ohne über das Ziel hinauszuschießen, ohne in irgendeine Maßlosigkeit zu verfallen, zumindest in dieser Hinsicht, denn in anderer wird es in dieser Geschichte an Maßlosigkeiten nicht mangeln, Herr Verleger, jawohl, und die erste schreit schon danach, erzählt zu werden.
Am Anfang von Anna, der kleinen Anna, steht das tiefste Entsetzen, die tiefste aller seelischen Verwundungen (ich sträube mich, Traumata zu schreiben). Wir brauchen eine große erschütternde Anfangsszene. Anna muss etwas sehen, was sie für ihr Leben zeichnet. Und zwar folgendermaßen: Sie wird ihre Mutter mit einem Unbekannten huren sehen (ein starkes, biblisches und treffendes Wort, Herr Verleger). Wo? Nehmen wir einen Ort: auf dem Küchentisch. Die kleine Anna (die hier, bei dieser ersten großen erschütternden Szene, neun Jahre alt ist) steht aus ihrem Bett auf, weil sie seltsame Jammerlaute gehört hat. Es ist zwei Uhr nachts. Anna lebt allein mit ihrer Mutter in einem bescheidenen Haus in einem Vorort von Buenos Aires. Nehmen wir an, sie hat ihren Vater nie kennengelernt, einen der vielen flüchtigen Liebhaber der Frau, die jetzt wie wild in der Küche hurt. Anna geht langsam und schweigend bis hierher. Bis in die Küche, nicht? Und da bietet sich ihr dieses danteske Bild. (Ich hebe einige Adjektive hervor, die für Ihren literarischen Geschmack vielleicht allzu deutlich sind, die ich aber, das verspreche ich, in der endgültigen Fassung streichen werde, sobald Sie mich autorisieren, die Erzählung für Ihre Veröffentlichung zu schreiben.) Ich schrieb also, dass das Bild, das sich der kleinen Anna bot, genau so war, wie ich bereits sagte: dantesk. Dort, auf einem schlichten und massiven Holztisch, liegt ihre Mutter, ihre herzensgute und heißgeliebte Mutter, die Beine gespreizt, die Kleider in grässlicher Unordnung, das lange Haar offen, einem Sturzbach gleich, mit verlorenem Blick, ihr keuchender Mund zu einer unfassbaren Grimasse verzerrt. Sie stöhnt, scheint zu leiden. Zumindest für die kleine Anna ist das auf der Stelle klar: Ihre Mutter leidet. Auf ihr, auf ihrer Mutter, zappelt ein Mann. Ein halb angezogener Mann. Ein aggressives, unbarmherziges Ungeheuer, das nicht aufhört, ihrer Mutter zwischen den Beinen wehzutun. Dort, wo aller Schmerz der Welt herzukommen scheint.
Schon gut, ich werde mich kurz fassen: Die kleine Anna öffnet eine Schublade, nimmt ein riesiges Messer heraus und rammt es siebenmal in den Rücken des flüchtigen Hurers. Dieser, der flüchtige Hurer, schafft es trotzdem, auf die Beine zu kommen – ein wenig taumelnd, klar – und seine großen Hände – seine Pranken? – in Richtung Hals der kleinen Anna auszustrecken. Er sieht tatsächlich zum Fürchten aus: Er hat weit aufgerissene Augen und blutet aus Nase und Mund. Mit einem Heulen zwischen Raserei und letztem Röcheln stürzt er sich auf Anna. Unsere Kleine schwankt nicht. Sie hasst den flüchtigen Hurer und wird kein Erbarmen mit ihm haben. So dass sie ihm also das Messer auch noch in den Bauch stößt. Und jetzt allerdings, vielleicht einleuchtend, stirbt der flüchtige Hurer.
Nicht einleuchtend dagegen ist, was die Mutter der kleinen Anna tut. Zumindest für die kleine Anna ist es das nicht, einleuchtend. Denn statt ihr dafür zu danken, dass sie sie von einem solchen Ungeheuer (dem flüchtigen Hurer eben) befreit hat, fängt sie an, sie zu beschimpfen, mit unflätigen Ausdrücken, die so unflätig sind, dass ihre Bedeutung sich dem Verständnis der unschuldigen Anna entzieht: ihre Bedeutung, nicht ihr Sinn. Anders gesagt: Die kleine Anna nimmt den bedrohlichen Sinn wahr, der in diesen Worten mitschwingt. Kurzum, Herr Verleger: Die kleine Anna begreift, dass ihre Mutter böse auf sie ist. Sagen wir sogar wütend. Und mehr noch begreift sie das – mehr noch, meine ich, begreift sie diese Wut ihrer Mutter –, als sie sieht, wie sie sich auf sie wirft und dabei einen fürchterlichen Schrei ausstößt und mit ihren scharfen und funkelnden Nägeln nach ihrer Kehle (der zarten und weißen Kehle der kleinen Anna) greift. Beide Frauen, Mutter und Tochter, stürzen jetzt ineinandergeschlungen auf den groben Fliesenboden dieser tragischen Küche.
An dieser Stelle sollte ich, glaube ich, etwas erklären: Anna, die Kleine, hat ihr riesiges Messer nicht im Bauch des flüchtigen Hurers steckenlassen. Sie hat es dort hineingestoßen, das stimmt, aber dann hat sie es rasch und sauber wieder herausgezogen. Sie umklammert es also noch mit ihrer zähen kleinen Faust. Sie umklammert es, während sie sich mit ihrer Mutter auf dem groben Fliesenboden dieser, ich bleibe dabei, tragischen Küche wälzt. Doch jetzt – plötzlich und todbringend? – umklammert sie es nicht mehr. Jetzt, Herr Verleger, steckt das Messer bis ans fettige und blutige Heft mitten in der Brust dieser wildgewordenen, rachsüchtigen, hurenden Mutter. Und die kleine Anna schlägt ihre Augen unendlich weit auf und betrachtet das grauenerregende Schauspiel, das sich ihren Augen bietet. (Ich glaube, diese Passage ist noch nicht sehr gelungen, aber ich will versprechen, sie zu bearbeiten, sobald ich die Erzählung schreibe, die Sie, darauf vertraue ich, veröffentlichen werden.)
Was sieht die kleine Anna? Was für ein Schauspiel ist es, das – von der Erde aus, denn noch liegt sie dort: hingestürzt auf den groben Fliesenboden dieser, und ich sage es zum letzten Mal, tragischen Küche – ihre unendlich weit geöffneten Augen sehen? Anna sieht ihre Mutter, Herr Verleger, sieht, wie sie auf die Beine kommt, sieht (und hört selbstverständlich), wie sie heult, vor Wut und vor Schmerzen, wie sie mit ihren (beiden?) Händen das Messer packt und versucht, es sich aus der Brust zu reißen, sieht, wie sie sich das Messer endlich herausreißt, sieht (auch), wie dunkles, dickes Blut aus dieser Brust quillt, der Brust ihrer Mutter, und sieht, wie sie schließlich tot, mausetot, auf dem groben Fliesenboden dieser, sagen wir: schicksalhaften Küche der Länge nach hinschlägt.
Und das habe ich gut gesagt, Herr Verleger: schicksalhaft. Denn das Schicksal hat – Sie werden es nicht leugnen – viel zu tun mit dem starken Anfang dieser Geschichte. Denn Anna hat ihre Mutter nicht töten wollen: Es ist das Schicksal gewesen. Sie, Anna, wollte sie nur beschützen vor diesem lüsternen und gewalttätigen Ungeheuer, dem flüchtigen Hurer. Sie hat sie leiden sehen und wollte ihr das Leiden ersparen. Doch das Schicksal hat alles auf den Kopf gestellt: Anna hat ihrer Mutter das schlimmste, wenngleich letzte aller Leiden zugefügt: den Tod. Jetzt hält sie sie in ihren kleinen Armen und weint. Und während sie weint,