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Nie am Ziel. Helmuth Lohner: Die Biografie
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eBook319 Seiten3 Stunden

Nie am Ziel. Helmuth Lohner: Die Biografie

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Über dieses E-Book

"Er war ein Genie und ein Urtalent. Ich glaube, er war von Anfang an Schauspieler" (Otto Schenk)
Er wollte weder Star noch Publikumsliebling genannt sein und war doch beides. Ein Jahrhundertschauspieler. Helmuth Lohner hatte viele Gesichter, nicht nur auf der Bühne. Er war der einzige Schauspieler, dessen außergewöhnliche Spannweite die Titelrolle im "Jedermann" wie auch den komödiantischen Teufel und den furchterregenden Tod umfasste. Zerrissen zwischen Glaube und Zweifel, zwischen Melancholie und Humor verläuft auch die Spur seines Lebens, der Eva Maria Klinger folgt. Die Kulturjournalistin zeichnet, unterstützt durch Gespräche mit Wegbegleitern wie Otto Schenk oder Christiane Hörbiger, das spannende Porträt eines großen Unzufriedenen, der sein Publikum packte und die Frauen bezauberte. Und sie erzählt gleichzeitig ein Stück deutschsprachiger Theatergeschichte der letzten 60 Jahre.
Mit zahlreichen Abbildungen
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Nov. 2015
ISBN9783903083097
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    Buchvorschau

    Nie am Ziel. Helmuth Lohner - Eva Maria Klinger

    Die wichtigsten Fragen beantwortet man immer mit seinem ganzen Leben

    Wir begegnen einander zufällig in der Wiener Innenstadt an der Ecke Kärntner Straße/Staatsoper. Es ist ein kühler Nachmittag im März 2010. Helmuth Lohner verlangsamt seinen sportlichen, etwas eckigen Gang, sobald er mich erkennt. Hautenge Hosen kleben an den schlaksigen, leicht nach außen gewölbten Beinen, und die teure, edle Jacke, eigentlich zu dünn für die Witterung, wirkt so unterspielt lässig, dass ich mit fragendem Blick über das feine Tuch streiche.

    Er nennt das italienische Label mit lächelndem Understatement. Es ist dieses typische, vertraute, fast verlegene Lohner-Lächeln, das Zurückhaltung, Unsicherheit womöglich, das jedenfalls seine tiefe Überzeugung ausdrückt, der Alltag, die Menschen, die Welt, und eben auch dieser kleine Hang zum Luxus seien nur mit Humor zu ertragen.

    Liebenswert ist der Mann, aber niemals liebenswürdig im wienerischen Sinn, wo meistens ein Hauch von Anbiederung oder verlogener Freundlichkeit mitschwingt.

    Und dann hat er sofort ein kleines Bonmot parat: »Als hätten wir’s uns ausg’macht«, sagt er.

    Wir haben es uns nämlich tatsächlich ausgemacht, allerdings erst für eine Viertelstunde später und im Kaffeehaus.

    Wir passieren die Rückseite der Oper, wo er seit der Silvesterpremiere 1979 in der bis heute unverwüstlichen Fledermaus-Inszenierung von Otto Schenk in den ersten Jahren danach an jedem Silvester den Frosch gespielt hat. Auch in München, Hamburg, Zürich, Bonn, Berlin und Lissabon ist sein betrunkener Dummkopf, der erstaunlich kluge, alljährlich aktualisierte Weltbetrachtungen zum Besten gibt, begehrt. Ich bin nicht sicher, ob das zur puren Unterhaltung wild entschlossene Silvesterpublikum das Bemerkenswerte seiner Rollengestaltung zu würdigen weiß. Dieser in der Operette unverzichtbare 3.-Akt-Komiker liefert in Lohners Darstellung nicht aus Lust am Blödeln komische Spaß-Einlagen ab, sein Gefängniswärter Frosch steht unter dem Schock einer existenziellen Bedrohung. Für ihn werden die sich überstürzenden, durch übermäßigen Schnaps-Konsum umso unverständlicheren Ereignisse zum ausweglosen Desaster, dem er mit Galgenhumor und einem akrobatischen Sprung auf den Kasten entflieht. Zum Verzweifeln komisch!

    Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat einmal noch vor Amtsantritt seinen 14-jährigen Sohn in eine Fledermaus-Vorstellung mitgenommen und ihm versprochen, dass er, aus Frankreich kommend und noch schlecht deutsch sprechend, während der vielen Dialoge im 3. Akt den Zuschauerraum verlassen darf. Der Bub war jedoch so fasziniert von Lohners Frosch, dass er in allen künftigen Vorstellungen ausschließlich den 3. Akt besucht hat.

    Niemals konnte man Helmuth Lohner in den unzähligen komödiantischen Erfolgs-Rollen platt servierter komischer Tricks überführen, obwohl er sie sich zweifellos minutiös zurechtgelegt hat. Es ist eines der Geheimnisse seiner bezwingenden Wirkung, dass seine der Lächerlichkeit preisgegebenen Figuren von einer Notlage in die Enge getrieben werden und gezwungen sind, die merkwürdigsten Maßnahmen zu ergreifen, um der schier unabwendbaren Katastrophe zu entfliehen.

    Auch in diesem Jahr, 2010, wird Helmuth Lohner zum Finale der Ära Holender am Silvesterabend noch einmal das Publikum in der Wiener Staatsoper zum Lachen bringen. Er arbeitet sowieso lieber, als an den zwangsveranstalteten Silvester-Partys teilzunehmen. Seine seit 18 Jahren an seiner Seite lebende Gefährtin Elisabeth Gürtler, die höchst erfolgreiche Chefin des Hotels Sacher und langjährige fabelhafte Organisatorin des Wiener Opernballs, der er 2011 das Ja-Wort geben wird, respektiert seine Silvesterverpflichtungen. Hat sie doch selbst an diesem Abend ihren Gästen und ihrem Personal im Hotel zur Verfügung zu stehen.

    »Wenn der Helmuth von der Vorstellung kam, hat er eine Kleinigkeit gegessen, und dann sagte er: ›Jetzt müssen wir das neue Jahr einläuten!‹ Wir sind Hand in Hand vors Hotel gegangen, haben die schweren Klänge der Pummerin ganz nah vom Stephansplatz gehört und in den vom Feuerwerk erleuchteten Himmel geschaut«, wird mir Elisabeth Gürtler nach seinem Tod sagen, und nachdenklich hinzufügen: »Wir haben eigentlich in all den Jahren trotz vieler Unterschiede nie ernsthaft gestritten, höchstens wenn Helmuth zu viel geraucht oder zu viel getrunken hat. Da konnte ich wirklich böse werden.«

    Das Café Sacher, wo der »Herr Lohner« vom Personal geliebt und verwöhnt wird, wo er, obwohl er täglich taxfrei dinieren könnte, peinlichst bedacht ist, jeden Mocca fürstlich zu bezahlen, lassen wir an diesem Nachmittag rechts liegen. Wir hatten das Café Tirolerhof, sein bevorzugtes Wiener Kaffeehaus, als Treffpunkt für das Interview vereinbart. Dort wird er nicht weniger respektvoll begrüßt. Er wird gemocht, weil er ein feiner Mensch ist, der Verständnis für die Mühsal der Beladenen hat und der sicher ein sehr guter Schauspieler ist, so liest man es zumindest in den im Café aufliegenden Zeitungen. Ein angesehener Direktor des Theaters in der Josefstadt war er bis vor ein paar Jahren auch, großer Kunstverstand, Weitblick und selten gewordene Anständigkeit wurden ihm attestiert.

    Wir bestellen Tee und Kaffee, Helmuth greift zur unverzichtbaren Zigarette. Wie oft klebte schon ein Entwöhnungspflaster an seinem Rücken, während er den Zigarettenrauch mit Genuss einsog! Den Tisch neben uns hält der Kellner frei.

    Der Anlass für mein Interview, das im Aprilheft des Monatsmagazins Bühne erscheinen wird: Helmuth Lohner hat, entgegen seinen sehr glaubwürdigen Beteuerungen, nie mehr Theater spielen zu wollen, doch wieder eine Rolle gelernt. Diesmal sogar aus eigenem Antrieb und nicht, weil ihn entweder der Theaterdirektor Föttinger oder sein langjähriger Bühnenpartner Otto Schenk unter großen Anstrengungen zu einer Rolle überredet haben, was früher öfter geschehen ist und in den nächsten fünf Jahren zum Glück noch ein paar Mal passieren wird. Diesmal hat ihn ein Stück, das fast nur aus einer – seiner – Rolle besteht, gereizt.

    »Englische Freunde haben in London Jeremy Irons in einem Stück von Christopher Hampton gesehen. Sie waren so begeistert, dass sie es mir empfohlen haben«, entschuldigt Helmuth Lohner seinen Rückfall.

    Es handelt sich um die dramatisierte Fassung des Romans Die Glut von Sándor Márai. Mit der Grazer Intendantin Anna Badora war er darüber schon länger im Gespräch, sie interessiert sich für die Rechte an dem Stück, und vor allem für Helmuth Lohner. Die älteren Grazer Theaterliebhaber erinnern sich noch, dass er zur Wiedereröffnung des Schauspielhauses im Frühjahr 1964 mit einem gefeierten, unvergessenen Hamlet beeindruckte, den er »einschob«, obwohl er zu dieser Zeit fünf große Rollen an drei verschiedenen Bühnen spielte und einen Film drehte. Er war damals 31 und wurde landauf, landab als Jahrhundert-Talent gepriesen. Seinen Hamlet, die bedeutendste Shakespeare-Rolle überhaupt, musste er im Zeitraum von 13 Jahren in verschiedenen Inszenierungen auch in Basel, Düsseldorf und Zürich spielen. An die 300 Mal wird er Hamlet gespielt haben, aber »wirklich gut waren vielleicht nur drei Vorstellungen«, sagt er, der ewig mit sich Unzufriedene. Die Grazer Augenzeugen schrieben von einem »Mittelding zwischen einem Pessimisten und einem exaltierten Hysteriker«. (Österreichische Neue Tageszeitung) Im Kurier liest man: »Die oft seltsam brüchige Stimme im Gehäuse eines knabenhaften Leibes findet auch die ergreifenden Seelentöne und durchleuchtete das Wort oft ganz neu mit faszinierender Eindringlichkeit.«

    Hamlet, Komödie Basel, 1961 (Hamlet)

    Hamlet, Düsseldorfer Schauspielhaus, 1970 (Hamlet)

    Peter Simonischek, der wie Lohner später vom Tod im Jedermann zur Titelrolle aufsteigen wird, besuchte als 16-Jähriger die Vorstellung. Helmuth Lohners Hamlet gab die Initialzündung für den endgültigen Entschluss, Schauspieler zu werden. »Ich habe Helmuth Lohner um jeden Schritt auf der Bühne beneidet. Er war so zerbrechlich, so durchlässig, und er hatte eine wunderschöne Bühnenpräsenz. Ich war vollkommen gebannt.« (Peter Simonischek, Ich stehe zur Verfügung) Gegen den väterlichen Wunsch und neben dem offiziellen Architektur-Studium besuchte er daraufhin heimlich die Schauspielschule in Graz.

    Neben dem Grazer Hamlet hatte Lohner den Alfred in Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald, die Titelrolle in der Uraufführung von Max Frischs Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie, den Dauphin in George Bernard Shaws Die heilige Johanna, den frühreifen Knaben in Roger Vitracs absurder Farce Victor oder Die Kinder an der Macht und einiges mehr im Kopf. Auf solch unvorstellbare Kollisionen angesprochen, sagt Lohner knapp: »Ach, das war doch immer so. Entweder hab ich tagsüber gedreht und bin am Abend zur Vorstellung gefahren oder ich hab tagsüber Probe gehabt und habe am Abend in einem anderen Theater gespielt.«

    Diese jahrzehntelange Rastlosigkeit mag seinen drahtigen Körper gestählt, aber seine inneren Energien wohl auch zeitweise erschöpft haben. Angesichts dieser enormen Anforderungen und der Tatsache, dass er »alles gespielt« hat, wie er immer wieder als Begründung fürs Aufhören anführte, musste man Verständnis dafür aufbringen, dass er sich mit 73 Jahren nach Ende seiner Direktionszeit von der Bühne verabschieden wollte, um nur noch Regie zu führen, zu lesen, Berge zu besteigen oder wochenlang endlose Strecken zu wandern. Allein. Eventuell in Begleitung eines schweigsamen Bergführers.

    Und er hat ja tatsächlich »alles gespielt«. Ich kenne in seiner Generation keinen anderen Schauspieler, der Schnitzler und Shakespeare, der Nestroy und Molière, der Hofmannsthal und Schiller, der Horváth und Kleist und Ibsen gleichermaßen überzeugend verkörpern kann, wie Helmuth Lohner es konnte. Zu all diesen diametral auseinanderliegenden Welten konnte er überdies in tragischen Rollen tief erschüttern wie er in komischen herzerfrischend erheitern konnte, ohne jemals dem Affen Zucker zu geben, ohne die dünne Grenzlinie zum Klamauk zu überschreiten.

    »Ich habe Nestroy nie als lustig empfunden!«, war seine lakonische Erklärung.

    Otto Schenk, der Lebensfreund, der ihn besser kannte als jeder andere, der mit ihm gemeinsam auf der Bühne stand, der ihn in seinen Inszenierungen besetzt hat, weil Lohner die Idealbesetzung war, gibt eine »schenk«-haft formulierte Analyse: »Der direkte Weg zu einer Rolle war ihm, wie mir, immer dubios und fad. Deshalb hat er die Sachen sehr ungeschickt begonnen, absichtlich, um ja nicht in eine selbstverständliche Gasse hineinzuschlittern. Wir nannten es, den Wahnsinn der Szene finden. Der Hofreiter oder der Titus Feuerfuchs denkt eigentlich an etwas anderes, als er spricht, er hat die Sorge, sich nicht zu verraten, und dadurch hat jede Szene bei ihm einen Zauber gehabt. Er hat nie direkt gespielt. Es war immer eine Spur von seltsamer Distanz darüber.«

    Helmuth Lohner war der einzige Jedermann auf dem Salzburger Domplatz, dem man sowohl den beklemmenden Auftritt des Todes als auch die komödiantische Zote als Teufel und die Titelrolle zumuten konnte.

    Sobald man ansetzte, seine vielseitige Kunst zu preisen, wehrte er ab, relativierte schnell mit einer bagatellisierenden Handbewegung: »Geh, a Schauspieler ist doch kein Künstler. Große Maler, Dichter, Komponisten – das sind Künstler.«

    Sein Publikum und seine Kollegenschaft, seine Direktoren und seine Regisseure hielten zeitlebens mehr von ihm als er von sich. Er kämpfte als immerwährender Zweifler an sich selbst um höchste Qualität und meinte, sie nie ganz zu erreichen. Wie es seiner Meinung nach auch wenige Kunstwerke gebe, die wirklich fertig seien. »Figaros Hochzeit und Tristan und Isolde und Vermeers Das Mädchen mit dem Perlenohrring, das sind fertige Kunstwerke«, sinnierte er öfter stockend und nachdenklich.

    Drei Monate vor unserem Gespräch im Café Tirolerhof hatte er also in Graz mit der Glut einen Sensationserfolg, und nun übernimmt sein »Haupthaus«, das Theater in der Josefstadt, die Produktion. Ein zweistündiger Fast-Monolog eines ehemaligen Generals, der ein schicksalhaftes Ereignis zerpflückt, das vor 41 Jahren seine Ehe und seine Freundschaft mit seinem Jugendfreund zerstört hat. Schicht für Schicht wird in diesem Psychokrimi die Vergangenheit aufgedeckt, 41 Jahre hat der Mann in völliger Einsamkeit über den Ehebruch, den Freundschaftsverrat, einen Mordversuch und die Flucht des Freundes nachgedacht.

    Mit Peter Simonischek, Anna Badora und Elisabeth Gürtler, Graz 2009

    »Das gibt es, dass ein Mensch mit entscheidenden Dingen in seinem Leben nicht fertig wird. Viele Menschen reden sich ihr Leben schön, aber ob sie glücklich sind, weiß niemand. Es hat doch jeder Mensch etwas erlebt, das er nie verwindet oder nie vergisst. Das kann Glück oder Tragik sein.«

    Vor dem Auftritt: Die Glut, Schauspielhaus Graz, 2009 (Henrik)

    Helmuth spricht stockend, er ringt sich jede Silbe ab, als wäre das Wort nicht gut genug oder zu banal, als könnte es seinem Anspruch nach Klarheit und Wahrheit nicht genügen.

    »Der Mann ist ein eisiger Typ. Er entschied, seine Frau nach diesen Vorfällen nie mehr zu sehen, obwohl sie im selben Gutshaus wohnten. Sie tut mir leid, ich kann ihren Ausbruch aus dieser konventionellen Ehe verstehen und ihr nicht bös sein, dass sie sich in einen Romantiker verliebt hat. Sándor Márai sagt in diesem Text viel Wahres. ›Wenn unsere Liebe den anderen nicht glücklich macht, was in der Welt gibt uns das Recht, Treue zu erwarten?‹ zum Beispiel oder ›Wer sich weigert, einen Teil anzunehmen, will das Ganze‹ oder ›Die wichtigsten Fragen beantwortet man immer mit seinem ganzen Leben.‹ – Beim Lesen des Stücks erklangen in mir sofort die Schalmeien, trotz der größten Bedenken, die ich bei jeder Rolle habe. Einen Schauspieler, der bei Richard III. keine Bedenken hat, den gibt es nicht.« Er lacht sein leicht krächzendes Lachen.

    Anna Badora musste ihm gleich neben der Bühne ein Kabäuschen bauen, weil er vor dem Auftritt so zitterte, dass er den Weg von der Garderobe zur Bühne scheute. Auch bei der bevorstehenden Übernahme an die Josefstadt wird man seinen Schminktisch hinter der Bühne einrichten.

    »Bei dieser Rolle hab ich bezweifelt, ob ich die Möglichkeit finden werde, Dramatik in diesem langen Monolog aufzubauen. Ich habe eben einen fast schon übertriebenen Respekt vor der Schauspielerei. Für mich war es nie leicht. Deshalb hab ich mich auch nie um eine Rolle gerissen. Ich musste immer überredet werden.«

    Das kann einer leicht sagen, den die Intendanten in Berlin, Zürich, München, Hamburg, Düsseldorf und Wien mit Angeboten umworben, ja überschüttet haben. Und selbst in den neun Jahren als Direktor des Theaters in der Josefstadt wählte er keine Stücke mit Rollen »für sich«, obwohl er jede Freiheit dazu gehabt hätte.

    »Es war eigentlich immer an jedem Theater, an dem ich war, eine schöne Zeit. Es gibt keines, wo ich nicht gern war«, erinnert sich mein jugendlicher, gut trainierter Gesprächspartner, der in einem Monat seinen 77. Geburtstag feiern wird. Er hat immer noch ein bubenhaftes, glucksendes Lachen und eine kindliche Freude an einer skurrilen Situation, wie sie soeben im Lokal passiert: Ein mit zwei riesigen weißen Stoff-Servietten fuchtelnder Kellner versucht in heroischem Abwehrkampf eine resolut auf unseren Nebentisch zustrebende, auffallend herausgeputzte Dame von ihrem Vorhaben abzubringen und in einer etwas entfernteren Fensternische unterzubringen, Trost spendende Worte findend: »Gnädige Frau, von dort können S’ alles gut überblicken.« Er wirft uns nach geglückter Intervention einen erleichterten Blick zu.

    Es interessiert mich, wie tief Helmuth Lohner in eine Figur eindringt, um sie sich anzueignen. Man kann mit ihm wunderbar über Gott und die Welt, Kunst und Politik reden, nur nicht über ihn selbst. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schauspielern spricht er über sich einsilbig und lenkt ab.

    »Ich lerne den Text und mithilfe des Textes versuche ich, die Figur zu finden. Erst aus der Kenntnis des Textes kann man etwas machen, sonst wäre es ja aufsagen. Ich wollte mich nie verstellen, sondern immer derjenige sein. Dann lese ich viel zusätzlich. Diesmal habe ich den Roman mehrmals gelesen, das Stück natürlich auch, und mich mit der erschütternden Biografie von Sándor Márai beschäftigt. Wie kommt er zu dieser extremen Geschichte?«

    Da ist sie wieder, die unstillbare Neugier nach Literatur und deren Schöpfer, die Lust, sich in andere Personen zu verwandeln. Diese meisterhafte Studie einer unbewältigten Seelenpein hat der ungarische Autor Sándor Márai 1942, mitten im Krieg, veröffentlicht. Doch erst nach seinem Tod, 1989, löst die Wiederentdeckung des Romans mit 200 000 verkauften Exemplaren einen regelrechten Márai-Hype aus. Er hat zwei Verfolgungen überstanden, zuerst unter den Nazis und dann unter den ungarischen Kommunisten, er verließ Ungarn, obwohl er sich zeitlebens als ungarischer Schriftsteller verstand, zog quer durch Europa bis nach Amerika, wo er sich niederließ. Er beging Selbstmord.

    Die Kritiken von der Grazer Glut-Premiere hatte ich schon gelesen: »Seelenqual und Selbstanklage, Erstarrung oder Furor in fast Thomas Bernhard’scher Manier – all das zaubert … er mit Gesten, Blicken und prägnanter Raufaserstimme quasi aus dem Schauspielerärmel«, lobt der Kritiker der Kleinen Zeitung. Es wird auch in Wien eine bewegende Etüde eines hin- und mitreißenden Schauspielers.

    Für dieses Jahr ist keine Regiearbeit vereinbart. In Düsseldorf hat er mit Molières Eingebildetem Kranken vor fünf Jahren seine letzte Schauspielregie hinter sich gebracht.

    »Mich interessiert eigentlich nur das Musiktheater. Ich gehe auch nicht mehr ins Theater. Nur in die Oper geh ich gern, sehr gern. Musik ist meine Leidenschaft von Kindheit an.«

    So sehr, dass er träumte, Opernsänger zu werden, bis er akzeptieren musste, dass die Stimme nicht ausreicht.

    Wir verlassen vergnügt das Kaffeehaus und plaudern über die Zukunft. Helmuth ist körperlich fit, geistig flink und neugierig auf das Leben. Ich glaube, es wird immer so weitergehen. Vielleicht wünsche ich es auch nur.

    In einem Monat wird Helmuth seine Wortbrüchigkeit fortsetzen und an der Josefstadt in einem Schnitzler-Stück spielen, das er auswendig kann, wie er sagt, weil er drei Mal die Hauptrolle gespielt hat: Er war am Burgtheater, in Zürich und im Theater in der Josefstadt der Hofreiter im Weiten Land, »die böseste Männerfigur, die je geschrieben wurde«, wie er meint. »Er hintergeht seine Frau nach Strich und Faden und knallt den jungen Nebenbuhler eiskalt ab, nur weil er den Blick der Jugend nicht erträgt.« Und nach einer Pause fügt er an: »Stark autobiografisch vom Schnitzler.«

    Er verliert sich in Gedanken. Wahrscheinlich fällt ihm zu Schnitzler gerade wieder viel ein.

    Nach einer Weile setzt er fort: »Die Burgtheater-Aufführung, die der Otti inszeniert hat, war die beste, mit der Jesserer als Genia, dem Muliar als Natter, der Nicoletti als Frau Wahl und dem Liewehr als Aigner, dem

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