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Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs: Aus dem Leben des fulminanten Solo-Komödianten
Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs: Aus dem Leben des fulminanten Solo-Komödianten
Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs: Aus dem Leben des fulminanten Solo-Komödianten
eBook551 Seiten6 Stunden

Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs: Aus dem Leben des fulminanten Solo-Komödianten

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Über dieses E-Book

Seit über 30 Jahren ist der Schauspieler Bernd Lafrenz mit seinen einzigartigen, mehrfach preisgekrönten Shakespeare-Solo-Komödien erfolgreich.
Die Anglistin Yvonne Jäckel durfte ihn auf einigen seiner Theater-Tourneen quer durch Deutschland begleiten und einen Blick hinter die Kulissen werfen. In Zusammenarbeit ist ein Buch entstanden, das Einblicke sowohl in die Entwicklung von Lafrenz’ Shakespeare-Adaptionen, als auch in die Welt des freien Theaters gewährt.
Lafrenz schildert die wichtigsten Stationen seiner beruflichen Laufbahn von den ersten Bühnenerfahrungen in seiner Geburtsstadt Kiel, bis hin zu den noch heute gespielten neun Solo-Programmen frei nach Shakespeare: Hamlet, Macbeth, Othello, Romeo und Julia, König Lear, Der Sturm, Ein Sommernachtstraum, Der Widerspenstigen Zähmung und Die Lustigen Weiber von Windsor.
Neben Anekdoten am Rande der Auftritte und Interviews mit Theaterleitern sowie mit Lafrenz’ langjährigem Regisseur Abel Aboualiten findet man hier Interessantes zu diversen Aspekten rund um Shakespeare und das Theater seiner Zeit, aber auch zu anderen Theaterformen, die Lafrenz’ Spiel beeinflusst haben.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum2. Mai 2016
ISBN9783741204104
Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs: Aus dem Leben des fulminanten Solo-Komödianten
Autor

Yvonne Jäckel

Yvonne Jäckel studierte Anglistik und Italienisch an der Freien Universität Berlin. Ihre Magisterarbeit in englischer Sprache widmete sich Shakespeare. Seit 2011 arbeitet sie als freie Übersetzerin für die Sprachen Englisch und Italienisch und übersetzt vor allem Literatur und Künstlerwebsites. Mehr auf www.Jaeckel-uebersetzungen-translations-traduzioni.de.

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    Buchvorschau

    Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs - Yvonne Jäckel

    Über das Buch

    Seit über dreißig Jahren ist der Schauspieler Bernd Lafrenz mit seinen einzigartigen, mehrfach preisgekrönten Shakespeare-Solo-Komödien erfolgreich.

    Die Anglistin Yvonne Jäckel durfte ihn auf einigen seiner Theater-Tourneen quer durch Deutschland begleiten und einen Blick hinter die Kulissen werfen. In Zusammenarbeit ist ein Buch entstanden, das Einblicke sowohl in die Entwicklung von Lafrenz’ Shakespeare-Adaptionen als auch in die Welt des freien Theaters gewährt.

    Lafrenz schildert die wichtigsten Stationen seiner beruflichen Laufbahn von den ersten Bühnenerfahrungen in seiner Geburtsstadt Kiel und den ersten Projekten mit seinen Theater-Lehrern Peter Nickel, Johannes Galli, Philippe Gaulier und Benito Gutmacher bis hin zu den noch heute gespielten neun Solo-Programmen frei nach Shakespeare: Hamlet, Macbeth, Othello, Romeo und Julia, König Lear, Der Sturm, Ein Sommernachtstraum, Der Widerspenstigen Zähmung und Die Lustigen Weiber von Windsor, das im Shakespeare-Jahr 2014 im Theater Wolfsburg uraufgeführt wurde.

    Neben Anekdoten am Rande der Auftritte und zahlreichen Interviews mit Theaterleitern sowie mit Lafrenz’ langjährigem Regisseur Abel Aboualiten findet man hier Interessantes zu diversen Aspekten rund um Shakespeare und das Theater seiner Zeit, aber auch zu anderen Theaterformen, die Lafrenz’ Spiel beeinflusst haben.

    Mehr auf www.lafrenz.de; Kurzfilme bei YouTube

    Über die Autorin

    Yvonne Jäckel studierte Anglistik und Italienisch an der Freien Universität Berlin. Ihre Magisterarbeit in englischer Sprache widmete sich Shakespeare. Seit 2011 arbeitet sie als freie Übersetzerin für die Sprachen Englisch und Italienisch und übersetzt vor allem Literatur und Künstlerwebsites.

    Mehr auf www.Jaeckel-uebersetzungen-translations-traduzioni.de.

    INHALT

    Vorwortvon Klaus Buchmann, Kulturamtsleiter Biberach

    Kapitel I: „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind"

    Tour 1: Von König Lear in Hamm zum Sommernachtstraum in Reinbek

    Vorgeschichte: wie es zu diesem Buch kam (inkl. Kurzbeschreibung der Stücke Othello, Macbeth, Romeo und Julia, Der Sturm, Hamlet und Liebe, Lust und Leidenschaft)

    Rückblende/Biografie: 1955-1983: Kindheit und Jugend in Kiel – Studium – erste Theatererfahrungen – Gründung Theater König Alfons – Zusammenarbeit mit Johannes Galli: Schneewittchen, Die Prüfung, Kain und Abel – Premiere des ersten Shakespeare-Solos Hamlet

    Festival von Avignon

    Commedia dell’arte

    Rekonstruktion des Globe-Theaters

    Johannes Galli

    Die Royal Shakespeare Company

    Cardenio

    Interviews: 1. Bernd M. Kraske (Kulturzentrum Reinbek)

    2. Andreas Etienne (Haus der Springmaus, Bonn)

    Kapitel II: William Shakespeare – Wahrheit und Legende

    Interviews: 3. Margret Geelen (Agentur Kontrapunkt, Köln)

    4. Claus Lehmann (Leiter Jugendkulturring Bielefeld)

    FOTOS

    Kapitel III: „Was Ihr nicht tut mit Lust, gedeiht Euch nicht"

    Tour 2: Premiere von Der Widerspenstigen Zähmung in Minden

    Rückblende/Biografie: 1980/81: Kennenlernen von Bernd Lafrenz und Abel Aboualiten – 1989: erste Zusammenarbeit bei Macbeth

    Stierkämpfe in England im 16. Jahrhundert

    Die Geschichte der Pantomime

    Marcel Marceau

    Die Universität von Padua

    Interviews: 5. Abel Aboualiten (Regie)

    6. Bertram Schulte (Intendant a. D., Stadttheater Minden)

    Kapitel IV: Bernd Lafrenz erzählt:

    Meine Pilgerfahrt nach Stratford-upon-Avon

    Interviews: 7. Siegfried Keuper (Theaterdirektor a. D., Theater Itzehoe)

    8. Nick Haberstich (Leiter Theater am Martinstor, Freiburg)

    Kapitel V: „Weißt du, warum einem die Nasemitten im Gesicht steht?"

    Tour 3: König Lear und Ein Sommernachtstraum in Bernburg; inkl. Interview mit Achim Thom (1)

    Rückblende/Biografie: 1984-1990: Vorbilder – Lehrer: Philippe Gaulier und Benito Gutmacher – Stücke: Brot, Faust ver-rückt, Molière und ich, Caligula, Bleib im Pyjama

    Das Vagabundengesetz von 1572

    Benito Gutmacher

    Philippe Gaulier

    Entwicklung des Berufsschauspielertums in England

    Zuschauerbericht: Waldemar Häußer zu Molière und ich

    Interviews: 9. Martin Setz (Intendant a. D., Theater Bernburg)

    10. Gundula Ott (Kulturreferentin der Arbeitnehmerkammer Bremerhaven)

    FOTOS

    Kapitel VI: „Dies über alles: Sei dir selber treu!"

    Tour 4: Macbeth in Reinbek; Der Widerspenstigen Zähmung in Itzehoe; Romeo und Julia in Bad Oeynhausen; Liebe, Lust und Leidenschaft in Höxter; inkl. Interview mit Achim Thom (2)

    Rückblende/Biografie: 1989- Gegenwart: Macbeth; Othello; Entstehung der Erzählfiguren – Veränderungen von Der Widerspenstigen Zähmung gegenüber der Premiere – Romeo und Julia Minne, Mord und Memmen/Liebe, Lust und Leidenschaft Der Sturm – allgemeine Themen zur Arbeit mit Shakespeare

    The Scottish Play

    Zuschauerbericht: Bärbel und Waldemar Häußer zu Minne, Mord und Memmen

    Interviews: 11. Dagmar Korth (künstlerische Leiterin Freie Kulturinitiative Höxter)

    12. Michael Oberhaus (Lüdinghausen)

    13. Klaus Buchmann (Kulturamtsleiter Biberach)

    Kapitel VII: Bernd Lafrenz erzählt:

    Nach 33 Jahren wieder in der Kieler PUMPE

    Schlusswortvon Bernd Lafrenz

    Danksagung

    Anhang a) Stimmen aus dem Publikum:

    Minden: Angelika Hornig

    Saulheim: Bärbel und Waldemar Häußer

    Bremerhaven: Frau Meyer zu Schweicheln

    Reinbek: Frau Grundmann

    Bad Oeynhausen: Raymond Culp und Elizabeth Fauver aus den USA

    Bernburg: Frau Pikarski

    Mayen: Frau Katharina Klaes

    Bonn: Pedro und seine Mutter

    Freiburg: Anthony Marshall

    Anhang b) Zeittafel Bernd-Lafrenz-Biografie

    Anhang c) Chronologie Shakespeares Dramen

    Anhang d) Bildnachweis

    Anhang e) Auswahlbibliografie/Quellenangaben

    Vorwort

    Ver-rückt nach Shakespeare

    Was bringt einen Schauspieler dazu, mehr als dreißig Jahre die Stücke eines einzigen Autors zu inszenieren, zu spielen, aber auch mitunter zu interpretieren?

    Und wieso spielt Bernd Lafrenz seither seine Shakespeare-Stücke vor vollen Häusern und einem begeisterten wie treuen Publikum?

    Vor über dreißig Jahren wurde Bernd Lafrenz mit dem Shakespeare-Virus infiziert. Gott sei Dank!

    Denn seither sorgt er dafür, dass Hamlet, Othello & Co. auch auf den Kleinkunstbühnen dieser Welt regelmäßig zu erleben sind. Dabei wurden Shakespeares Werke aber nie effekthascherisch umgesetzt oder zum Klamauk oder zur Klamotte reduziert. Bernd Lafrenz schlüpft dabei selbst in alle Rollen und verleiht den Requisiten und Kostümen vielerlei überraschende Funktionen.

    Dies ist so überzeugend, dass er sich nicht nur in Deutschland einen Namen als Ein-Mann-Theater erspielt hat. Einladungen zu Theaterfestivals in Südfrankreich nach Avignon, Monaco, Cannes etc. in französischer Sprache zeugen davon.

    Überhaupt ist es faszinierend, wie Lafrenz Tag für Tag von einem Stück zum anderen zu wechseln vermag, ohne dabei Texte, Rollen und Requisiten zu verwechseln.

    Shakespeare war kein Intellektueller oder Gelehrter. Er war ein erfolgreicher Theatermacher und Volksschauspieler in seiner Zeit. Und Bernd Lafrenz ist es heute.

    Lafrenz schafft durch die Reduktion der Texte auf das Wesentliche, die sprachliche Adaption in die Jetztzeit – immer wieder mit Textsprenkeln aus Originalübersetzungen –, die exakte Charakterisierung der Figuren und die neugeschaffene Rahmenhandlung, aus der die Stücke entspringen, eine Stimmung, die Shakespeare munter, locker und begreifbar macht. Und dies hätte Sir William sicher gefallen.

    Im Jahr 1990 lernte ich Bernd Lafrenz und „seinen" Shakespeare bei einer Aufführung von Hamlet kennen und lieben. Zum ersten Mal genoss ich die Aufführung eines Theaterklassikers so richtig, und in der Folge zog es mich regelmäßig zu den Aufführungen von Bernd Lafrenz.

    Mittlerweile ist Bernd Lafrenz seit zwanzig Jahren mit seinen Stücken auch in meinen Spielstätten zu Gast. Waren bei der ersten Aufführung „nur" 100 Theaterbesucher zugegen, steigerte sich dies in kurzer Zeit auf bis zu 500. Seit 2002 spielt Bernd Lafrenz regelmäßig im Komödienhaus, unserer Kleinkunstbühne. Hier war im September 1761 erstmals ein Werk William Shakespeares in deutscher Sprache aufgeführt worden: Der Sturm, in der Übersetzung von Christoph Martin Wieland und gespielt von der Bürgerlichen Komödiantengesellschaft, dem heutigen Dramatischen Verein.

    Bernd Lafrenz ist in diesen Jahren zur „Marke" geworden. Alle seine Inszenierungen waren mittlerweile zu sehen, viele bereits ein zweites Mal, und jedes Jahr kommen neue Gäste und viele Wiederholungstäter zu seinen Aufführungen. – So hält er Sir William Shakespeare und seine Werke lebendig.

    Klaus Buchmann, Kulturamtsleiter Biberach,

    23. Januar 2016

    Kapitel I: „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind"

    Tour 1: Von König Lear in Hamm zum Sommernachtstraum in Reinbek

    Mittwoch, 28. Oktober 2009.

    Schauplatz: das Kurhaus Theater in Hamm. Hier gibt Bernd Lafrenz heute Abend König Lear.

    Schon erklingt die Shakespeare-Musik, die ich so liebe.

    Beim Kartenkauf wurde mir verraten, dass es in Hamm viele eingefleischte Bernd-Lafrenz-Fans gibt. Offenbar sitze ich jetzt mitten unter ihnen, denn um mich herum wird spekuliert, wer wohl diesmal ins Stück mit einbezogen wird. „Wenn er auf uns zukommt, zeigen wir alle auf Dieter!", wird beschlossen. Die Zuschauer sind schon jetzt bestens gelaunt.

    Wenn man die Shakespeare-Adaptionen von Bernd Lafrenz kennt, ist das ja auch kein Wunder!

    Auch mich hat die Vorfreude gepackt, denn ich habe schon einige seiner Stücke gesehen. Zum ersten Mal habe ich ihn vor fünfzehn Jahren auf der Bühne erlebt, damals, während meines Anglistik-Studiums ...

    1994. Shakespeare-Tage in Weimar.

    Das war immer wie auf Klassenfahrt! Mit den besten Freundinnen unterwegs in Sachen Shakespeare! Vormittags Vorträge, zwischendurch Pizza, gigantische Eisbecher und Spaziergänge im Park an der Ilm zum Shakespeare-Denkmal (Foto S. →) oder zu Goethes Gartenhaus, abends Theater, anschließend: Zimmerfete mit Cider und englischen Chips.

    Kein Wunder, dass uns während der einen oder anderen Veranstaltung und leider auch während so mancher Theatervorführung die Augen zufielen ...

    Aber am Abend des 3. November bin ich hellwach!

    Auf dem Programm steht Othello – frei nach Shakespeare, von und mit Bernd Lafrenz.

    Als echte Shakespeare-Enthusiasten sind wir es ja bereits gewohnt, wenn die Stücke gekürzt dargeboten oder, wie z. B. bei der bremer shakespeare company, die Rollen von nur wenigen Darstellern verkörpert werden; aber Shakespeare als komödiantische One-Man-Show – so etwas habe ich zuvor noch nie gesehen!

    Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht einer Nebenfigur, die im Original nur ganze sechs Zeilen Text hat. Der Herold Ferdinand von Seite 36 eines gewissen gelben Büchleins hat sofort mein Herz erobert! Seit mehreren Jahrhunderten – „genauer gesagt seit meiner Geburt als Rolle 1604" – steckt er schon mit all den anderen Rollen in dem Buch und hat sich von denen so viel abgeguckt, dass er die ganze Story mittlerweile im Alleingang darstellen kann.

    Das Beste dabei: Das Publikum darf mitmachen!

    So sind die Zuschauer einmal die aufgewühlte See, ein andermal „fechten einige Leute als Türken die Seeschlacht gegen Othello; dann wiederum sind Nachtgeräusche gefragt, wobei ich meinen erprobten Käuzchenruf zum Besten geben kann. Irgendwann muss meine Freundin Sabine niesen. Sogleich ruft Bernd Lafrenz: „Gesundheit, Jago!

    Herrlich, wie spontan er auf das Publikum reagiert!

    Die lustigste Stelle ist natürlich der langersehnte „große" Auftritt des Herolds! Dabei kommen alle von der ersten bis zur letzten Reihe zum Einsatz. Zwar weigert sich Sabine strikt, wegen Ferdinand in Ohnmacht zu fallen, und auch unter den hehren Shakespeare-Forschern ist die Bereitschaft dazu nicht allzu groß, aber mir macht das Ganze Riesenspaß.

    Flugs wird die Szene wegen der mangelhaften Beteiligung gleich noch einmal wiederholt. Na, also! Geht doch. Später erfahren wir: Bernd Lafrenz findet offenbar jedes Mal einen Grund, diese Szene zu wiederholen.

    Aha! Es ranken sich also bereits Legenden um diesen Mann!

    Von mir aus hätte das Stück ewig weitergehen können. Was für ein Abend! Diese Darbietung ist mit einem Wort: genial!

    Doch keine Sorge: Fortsetzung folgt. Am nächsten Abend wird Macbeth geboten – dabei tritt sogar Shakespeares Mutter in Erscheinung!

    An einer Stelle verteilt Bernd Lafrenz drei Zettel mit Regieanweisungen im Publikum. Was da wohl draufstehen mag? Leicht mulmig wird mir, als er anfängt, sich der Haarpracht der weiblichen Zuschauer für seine „Hexensuppe" zu bemächtigen – schluck! Was mein Haar angeht, da bin ich eigen. Zum Glück bleibe ich von diesem doch etwas gewagten Experiment verschont. Und die Keckheit verzeihe ich meinem neuen Helden schnell.

    Das Hexengekicher kann er jedenfalls fast so gut wie ich!

    Selbstverständlich ist das Publikum auch hier gehalten, Geräusche nachzuahmen, vor allem das Türenknarren im alten Gemäuer des Hauses Macbeth: „Niiijeeehhh!"

    Wie auch schon am Vorabend gebührt der Schlussapplaus dem Meister persönlich: Bernd Lafrenz hängt ein Shakespeare-Portrait auf, dem allen voran er selber Beifall spendet. Na, wenn das keine eindeutige Hommage an die Quelle der Inspiration ist!

    An diesem Abend gibt es auch Programmhefte. Auf der ersten Seite, unter dem Titelbild, steht ganz klein, sodass man es glatt übersehen könnte, „Theater König Alfons, Freiburg". Das klingt ganz so, als sei es eine größere Truppe ... Und ich dachte immer, Bernd Lafrenz mache alles allein.

    Klappt man das Heftchen auf, findet man eine kurze Inhaltsangabe des Stückes nebst Akteinteilung, die faszinierenderweise bei Bernd Lafrenz anders ist als bei Shakespeare. Über beider Leben kann man das Wichtigste in Kürze nachlesen. Das Schmankerl sind die Fotos: Für jede der Haupt- und Nebenfiguren hat Bernd Lafrenz eine andere charakteristische Mimik parat.

    Da sind auch die drei Hexen abgebildet, die bei ihm Olga, Elvira und Hermine heißen.

    Hab ich schon erwähnt, dass ich von den dreien die Hermine bin?

    Hermine – wie in den weltweit berühmten Geschichten um einen gewissen Zauberschüler. Aber die gab’s damals noch nicht. Die Hermine von Bernd Lafrenz war zuerst da. Jawohl! Ich kann’s beweisen. Ich hab das schwarz auf weiß.

    Darüber hinaus sind im Programmheft eine Reihe von Zeitungskritiken abgedruckt – den Kommentaren dort kann ich nur uneingeschränkt zustimmen! Ich schwärme allen vor, die in Weimar nicht dabei waren:

    Wenn bei euch einmal Bernd Lafrenz gastieren sollte: unbedingt hingehen!

    Für mich waren seine beiden Inszenierungen ganz einzigartig und ein großer Lichtblick in der ansonsten oft sehr angestrengten und schwermütigen deutschen Theaterlandschaft.

    Hamlet soll er auch machen ... Wie gern würde ich den mal sehen!

    2005. Berlin.

    Inzwischen habe ich mein Studium längst abgeschlossen – bei meiner Magisterarbeit ging es natürlich um Shakespeare!

    Es ist Sommer, und mein Shakespeare-Held kommt nach Berlin in die ufa-Fabrik! Mit Romeo und Julia (Foto S. →). Oh, wie wunderbar! Und es gibt Freikarten zu gewinnen!

    Ich rufe zum angegebenen Zeitpunkt dort an – und gewinne tatsächlich zwei Freikarten!

    Wen kann ich zu diesem denkwürdigen Wiedersehen mitnehmen?

    Meine Shakespeare-Mädels sind mittlerweile in der ganzen Welt verstreut: Sabine Thürwächter, die früher jahrelang das Studentenkolloquium bei den Shakespeare-Tagen geleitet hat, macht ihren Doktor in Südkalifornien; Miriam Loeben hat es nach London verschlagen, wo sie als Tours Manager beim London Symphony Orchestra arbeitet – sie ist somit Shakespeare am nächsten, die Beneidenswerte! –, und auch Bettina Hoven ist aus Berlin fortgezogen.

    Aber sie hat gerade Ferien und kommt mich besuchen. Das trifft sich gut! Sie wird gnadenlos mitgeschleift! Zumal sie die geschichtsträchtigen Auftritte in Weimar verpasst hat und Bernd Lafrenz bisher nur aus unseren Erzählungen kennt.

    Wie viele Jahre ist das jetzt her?

    Das Stück beginnt. Ich stelle fest: Er hat sich kaum verändert. Ein bisschen wohlgenährter sieht er vielleicht aus. Aber sonst genau wie damals. Es dauert keine fünf Minuten, und ich bin dem Charme seines Spiels genauso erlegen wie eh und je!

    Die Fechtszenen sind großartig, und Bettina und ich bewundern einmütig, wie Bernd Lafrenz mit nur wenigen Requisiten eine perfekte Illusion erschafft! Da gibt es zwei vielseitig einsetzbare Gitter, die abwechselnd als Requisitenablage, als liebeskranker Romeo, als erschlagener Mercutio und als Friedhofsgatter zu Juliens Gruft dienen.

    Ich schaue mich im Publikum um und bemerke mit Freude, dass auch die anderen Zuschauer von seiner Spielfreude angesteckt sind. Sicher hat Bernd Lafrenz heute viele Fans in Berlin gewonnen.

    Nach der Vorstellung sitzt er am Bühnenrand.

    Bettina sagt zu mir: „Geh doch zu ihm. Guck mal, er sitzt da ganz alleine. Hol dir doch ein Autogramm."

    Aber nein, da trau ich mich nicht. Schauspieler ... das sind doch Wesen aus einer anderen Welt ...

    Und überhaupt finde ich, Autogramme sind doch nur dazu da, um mit den Autogrammgebern ins Gespräch zu kommen. Und worüber sollte ich mit Bernd Lafrenz denn reden?

    Stattdessen entdecke ich seinen Tourplan, der am Eingang zum Mitnehmen ausliegt! Den überfliege ich schnell: Keine weiteren Termine in Berlin, schade. Für April und Mai 2006 sind „Ferien eingetragen – daneben steht in großen Lettern „VIVE LA FRANCE! Aha: ein Frankreich-Fan.

    Im Internet ist Bernd Lafrenz inzwischen auch vertreten! Auf seiner Website, www.lafrenz.de, finde ich nicht nur Fotos aus Othello, Macbeth und Romeo und Julia, sondern darüber hinaus aus Hamlet, König Lear, Der Sturm und Ein Sommernachtstraum.

    Eins ist klar: Irgendwann möchte ich die übrigen Stücke auch noch sehen!

    2007. Berlin.

    Ich bin restlos überwältigt vom Sturm. Diese Inszenierung, bei der Abel Aboualiten aus Paris (Foto S. →) Regie geführt hat, ist nicht nur urkomisch, sondern darüber hinaus wunderbar poetisch!

    Lang genug hat es gedauert, bis mich die Nachricht erreicht hat, dass Bernd Lafrenz erneut in Berlin zu Gast ist! Es ist November, und das Wetter verhält sich frei nach Shakespeare. Diesmal bin ich ganz allein in die ufa-Fabrik gekommen.

    Mich erwarten märchenhaft schöne, farbenprächtige Bilder mit exotischer Musikuntermalung und die verträumte Atmosphäre unterstreichenden Lichteffekten. Zeitweise komme ich mir vor wie bei „Tausendundeiner Nacht".

    Seine Ariel-Darstellung ist so einfach wie genial.

    Am meisten lachen muss ich beim Schiffbruch, der natürlich unter Zuhilfenahme der Zuschauer in Szene gesetzt wird. Ich sage nur: „Susch und „Wusch! Ich habe das Gefühl, irgendwo im Bernd Lafrenz drin ist ein Seemann verborgen. Mit welcher Inbrunst er den Schiffskapitän gibt und dazu auch noch das Schlusslied aus Was ihr wollt, „Hey ho the wind and the rain", zum Shanty umfunktioniert!

    Vielleicht hat er das aus einem früheren Leben ... oder das bringt es eben so mit sich, wenn man im hohen Norden, in Kiel, geboren ist.

    Erfrischend finde ich auch immer wieder die Mischung aus Shakespeare-Text und moderner Alltagssprache sowie die Schnipsel Italienisch und Französisch, die er hin und wieder einstreut.

    Und wieder gibt es ein besonderes, wandelbares Requisit: eine magische Schale, aus der Bernd Lafrenz so einige Überraschungen hervorzaubert, bis ihr zum Schluss ein Miniaturschiff entsteigt (Foto S. →), dem er vor nachtschwarzem Hintergrund eigenbäckig Wind in die Segel bläst. Was für ein phantasievolles Bild!

    Ich lausche auf Kommentare aus dem Publikum. „So etwas müsste es öfter geben!, seufzt jemand. „Das ist Humor mit Niveau, nicht bloßer Klamauk. Und ich nicke zufrieden vor mich hin.

    Nach der Vorstellung kündigt Bernd Lafrenz an, dass er im nächsten Sommer, im Juli, wiederkommen wird – mit Hamlet! Jippieh! Endlich Hamlet!

    Beschwingt mache ich mich auf den Heimweg.

    2008. Berlin.

    Es ist soweit: Hamlet – frei komisch nach Shakespeare! Seit 1994 möchte ich das schon sehen! Ein Traum wird wahr.

    In diesem Jahr werde ich wieder von zwei Shakespeare-Mädels begleitet. Bettina arbeitet inzwischen am Theater und hat mir versichert, dass Schauspieler auch nur ganz normale Menschen sind. So langsam beginne ich ihr zu glauben, denn unsere Freundin Alexandra Julius Frölich besucht jetzt eine Schauspielschule, und schließlich ist die „Kleene" ja auch ein ganz normaler Mensch.

    Auch Sabine ist auf Europaurlaub und mit von der Partie.

    Es ist entsetzlich heiß, selbst abends sind es noch über dreißig Grad. Das T-Shirt vom Redlands-Shakespeare-Festival, das mir Sabine aus den USA mitgebracht hat, wird jetzt eingeweiht!

    Bernd Lafrenz schwitzt auch und hat sich einen „Baum mit einem Handtuch" eingerichtet, auf den er des Öfteren zurückgreift.

    Meine Erwartungen an den Hamlet sind hoch – aber so sehr habe ich bestimmt noch nie gelacht!

    Es beginnt recht ungewöhnlich. Von hinten kommt ein Mann mit einer Maske durch die Zuschauerreihen, der sich ein paar Reihen vor mir auf einen freien Platz setzt und anfängt, Französisch zu reden.

    Das muss Bernd Lafrenz sein; ein anderer Schauspieler tritt ja bei ihm nicht auf ... oder doch? Hm ... die Tarnung ist perfekt; als Franzose ist er gar nicht wiederzuerkennen. Die Stimme ist irgendwie anders. Aber natürlich ist er es, wie sich herausstellt, als er die Bühne betritt.

    Auffällig sind die Masken, die im Hintergrund an der Wand hängen. Gut, bei Romeo und Julia gibt es den Maskenball, und im Sturm das von Ariel inszenierte Maskenspiel, aber Masken im Hamlet? Das ist ungewöhnlich.

    Sie symbolisieren jeweils eine der sieben Personen, die Bernd Lafrenz verkörpert: Hamlet, den Geist seines Vaters, Claudius, Gertrude, Ophelia, Laertes und den Hofnarren Yorrick, der dank Shakespeare als Totenschädel in die Geschichte eingegangen ist, bei Bernd Lafrenz aber quicklebendig durch die Handlung führt.

    Die Zuschauergeräuschkulisse ist in diesem Stück wesentlich vielfältiger als bei den anderen, was zwischenzeitlich schon einmal Verwirrungen verursacht. Kommentar Bernd Lafrenz alias Gertrude: „Also, Claudius, ich weiß ja nicht, was mit dem Volk los ist, die eine Hälfte tuschelt immer hinter meinem Rücken, und die andere verwechselt mich mit Ophelia!"

    Wie er auf die Zuschauer eingeht, ist einfach unvergleichlich!

    Irgendwann fängt das Publikum von sich aus an, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Geräusche zu machen, was von Bernd Lafrenz auch gebührend honoriert wird: „Mann, seid ihr aber gut drauf!" Der Schauspieler applaudiert dem Publikum! Das gibt es sonst auch nirgends!

    Ganz in seinem Element ist er, als die Theatertruppe bei Hofe erscheint; die stammt – wie könnte es anders sein? – bei Bernd Lafrenz aus dem Schwarzwald: „la troupe de la forêt noire". Wieder wird etwas Französisch angebracht.

    Sehr französisch geht es auch im zweiten Teil weiter, als Laertes auf seinem Heimweg durch Frankreichs Wälder reitet. Das Publikum mimt des Waldes Äste und schwingt die Arme im Winde hin und her.

    Da geschieht es!

    Auf einmal fühle ich mich am Arm – pardon: Ast – gepackt (mein Ast schlug offenbar gegen Laertes’ Auge) und schwupps – mit elegantem Schwung landet Bernd Lafrenz direkt auf meinem Schoß!

    Ach du meine Güte! Das ist eine Überraschung!

    Er hat mir die „berühmte" Rolle der französischen Krankenschwester zugedacht, die sich liebevoll des verletzten Laertes annimmt!

    Von der sommerlichen Atmosphäre und der heiteren Stimmung mitgerissen, tue ich, was die Rolle erfordert – und bekomme sogar einen Schlussapplaus im Scheinwerferlicht!

    Da hat mir das Shakespeare-T-Shirt wohl Glück gebracht!

    Das Publikum tobt.

    Vom Rest des Stückes hab ich allerdings nicht mehr viel mitbekommen ... Seit meinem „Gastauftritt" bin ich nur noch in völliger Euphorie gefangen. Nun gibt es für mich kein Halten mehr. Nach dem Auftritt spreche ich Bernd Lafrenz endlich an!

    Ich nehme meine Mädels ins Schlepptau und wundere mich über mich selbst: Auf einmal rede ich mit Bernd Lafrenz! Ich erzähle von Weimar, von Othello und Macbeth, von Romeo und Julia mit Bettina und dem Sturm in Berlin, und er staunt, seit wie vielen Jahren ich ihm schon zuschaue.

    Der ist ja unglaublich nett!

    Rundherum zufrieden verabschiede ich mich. Als ich mich umdrehe, stelle ich fest, dass Sabine und Bettina schon längst nicht mehr neben mir vorne an der Bühne stehen. Huch?! Hatte ich gar nicht gemerkt.

    Erst im Nachhinein fällt mir auf, dass er mich die ganze Zeit geduzt hat.

    Ich habe ihn gesiezt.

    Ich Esel.

    Wieder vergeht etwas Zeit. Ich fasse einen Entschluss: Ich schreibe eine E-Mail an Bernd Lafrenz. Erinnere ihn an unser Gespräch über Weimar, Othello und Macbeth. Und diesmal duze ich ihn auch.

    Er antwortet umgehend!

    So eine prompte Reaktion habe ich nicht erwartet!

    Unser E-Mail-Kontakt bleibt bestehen. Und auf einmal fallen mir 1000 Dinge ein, über die ich mit Bernd reden könnte! Ich habe sooo viele Fragen!

    Da könnte man glatt ein Buch drüber schreiben!

    Hm. Eigentlich gar keine schlechte Idee. Das, was ich wissen möchte, interessiert bestimmt auch andere.

    Sofort befrage ich die magische Kugel, jenes Zauberutensil, dessen Weissagungen stets zutreffen, zu diesem Projekt! Die Antwort, die ich erhalte, ist positiv: „Wer, wenn nicht du, Hermine? Wann, wenn nicht jetzt?"

    Das beflügelt mich!

    Als ich dann noch Anfang April 2009 auf seiner Internetseite entdecke, dass er ein neues Stück in Arbeit hat, bin ich vollends aus dem Häuschen!

    2009.

    Endlich kommt der große Tag: Nach fast einem Jahr sehen wir uns im Juni in Goslar wieder. Dort tritt Bernd mit seinem Jubiläumsprogramm Liebe, Lust und Leidenschaft auf.

    An diesem Tag ist er in Höchstform!

    Ich war ja zunächst etwas skeptisch: Highlights aus sieben Stücken – da kommt doch zwangsläufig jedes zu kurz! Aber ich irre mich gern: Die Szenenauswahl, die Übergänge, die Figuren, alles fügt sich perfekt ineinander; das Ganze ist so rasant, dass man kaum zu Atem kommt.

    Es gibt ein Wiedersehen mit Shakespeares Mutter, dem Herold aus Othello, dem Kapitän aus Der Sturm und, und, und ... En passant lobt Bernd noch die Herausgeber der ersten Shakespeare-Gesamtausgabe, der „First Folio" von 1623: John Heminge und Henry Condell. So lernt man auch noch etwas dabei!

    Ich bekomme diesmal sage und schreibe gleich drei Rollen: Ich bin die Annabelle (und hier enthüllt sich mir, was während des Macbeth auf einem der im Publikum verteilten Zettel steht!), werde in der Seeschlacht von Othello mit einem Schwerthieb getötet, und darf – ich kann mein Glück kaum fassen – auch noch die Julia sein!

    Am Ende dieses temperamentvollen Streifzugs durch siebenmal Shakespeare und fünfundzwanzig Jahre Bernd Lafrenz steht, wie ich es schon fast erwartet hatte, der Epilog aus Macbeth: „Tu was du willst, und sei du selbst!" – Ich vermute, das ist angelehnt an das Hamlet-Zitat „Dies über alles: Sei dir selber treu".

    Ja, nach diesem Motto lebt Bernd Lafrenz; das ist unverkennbar!

    Aber denkt man, dass das Stück nun vorbei sei, hat man weit gefehlt!

    Den in meinen Augen absoluten Höhepunkt bildet eine Pantomime, die schon zum Auftakt zu sehen war und nun noch einmal ganz am Schluss die Darbietung abrundet: Hierbei werden von Bernd gleichermaßen im Schnelldurchlauf alle Figuren in Gestik und Mimik kurz angedeutet!

    Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde ... Wie kommt er nur immer auf diese sagenhaften Ideen?!?

    Nach der Vorstellung bin ich vollkommen high. Ich schwebe mindestens zehn Zentimeter über dem Boden. Als hätte ich was genommen. Dabei war es bloß Shakespeare. Ich glaube, ich kann jetzt nachvollziehen, was einen Menschen dazu treibt, Schauspieler zu werden. Da steht man ja total unter Strom. Bernd hat mich richtig angesteckt.

    Ich gehe zu ihm an die Bühne und stelle mich vor. Er sagt mir, dass er schon zwischendrin überlegt hat: „Das könnte Yvonne sein."

    Sabine hatte recht: Er kann sich an mich aus Berlin nicht mehr wirklich erinnern. Sie hat es so gesehen: „Du hast die einmalige Chance, einen zweiten ersten Eindruck zu machen!"

    Der scheint geglückt zu sein!

    Eins ist mir gleich bei den ersten Worten, die wir wechseln, klar: Das ist der positivste Mensch, der mir je begegnet ist! Soviel geballter Optimismus ist mir noch nie entgegengeschwappt! Bernd wirkt vollkommen glücklich und eins mit sich.

    Er spricht mir ganz viel Mut zu für meinen Weg als Schriftstellerin und sagt viele weise Dinge zu mir. Zu dem Einwand meiner Eltern, dass das Schreiben „brotlose Kunst sei: „Das sind doch nur die Gedanken!

    Die Schranken würden nur im Kopf existieren.

    „Eltern machen sich doch immer Sorgen."

    Da spricht offenbar der Vater in ihm.

    Dann sagt er noch: „Es kommt nicht so sehr darauf an, wie toll die Ideen sind, die man hat, sondern auf die ENERGIE, mit der man hinter dem steht, was man macht."

    Also nehme ich mir vor, mit so viel positiver Energie wie möglich meine Pläne zu offenbaren.

    Gerade spricht er die wohl ermutigendsten Worte, die ich je im Leben gehört habe: „Du kannst alles sein, was du willst!"

    Ja! Ich wäre gern eine Schriftstellerin, die ein Buch über ihn schreibt!

    Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Wagemutig packe ich alles in einen Satz: „Wie wär’s, wenn ich als nächstes deine Biografie schreibe?"

    Er zögert etwas vor Überraschung, und ich gebe zu bedenken: „Es kommt natürlich darauf an, wie gerne du von dir erzählst."

    Da schaut er mich an, als wolle er sagen: Och, das wird sicher kein Problem werden ...

    Zwar macht er mir nicht sofort eine Zusage; er ist jedoch aufgeschlossen und sagt nicht gleich nein. Zuerst möchte er etwas von mir lesen. Er fragt mich, ob ich Anglistin sei und ob ich seine Biografie auf Englisch oder Deutsch schreiben will.

    Zum Abschied drückt er mich noch einmal genauso fest wie im Stück als Richie die Annabelle!

    „Wir bleiben in Kontakt!"

    Ich glaube, er ist mir gewogen.

    Gleich am folgenden Wochenende stelle ich ihm eine Mappe zusammen mit Sachen, die ich geschrieben habe.

    Bernd mailt zurück, dass er sich eine „berufliche Biografie durchaus vorstellen könnte, doch bittet er mich um Geduld: „Gut Ding will Weile haben.

    Und nun sitze ich hier in Hamm und bin sehr gespannt, wie Bernd sich letztendlich entscheidet. Für diese Reise hat mir die Zauberkugel die Vertiefung neuer Freundschaften vorausgesagt.

    Doch zunächst einmal freue ich mich auf die Vorstellung von König Lear!

    Die Spannung steigt; die höfische Musik verklingt; der langerwartete Auftritt beginnt.

    Bernd trägt das Kostüm eines Narren mit Eselsohren und bringt mich damit gleich zum Schmunzeln!

    Ähnlich wie im Hamlet ist der Narr die Figur, die durch das Stück führt.

    Aber eigentlich handelt es sich um einen fahrenden Schauspieler, der sich in den Narren hineinversetzt hat. Damit erhält die Handlung eine metadramatische Ebene: Im Grunde ist König Lear ein Spiel im Spiel.

    Bernd bringt somit seine große Leidenschaft für das Theater sehr anschaulich zum Ausdruck.

    Von dem Schauspieler im Narrenkostüm bekommen die Zuschauer auch ihre Regieanweisungen.

    So wird zu Anfang im Thronsaal eine Fanfare eingeübt – schließlich kann der König nicht ohne Fanfare auftreten! Die Melodie ist nicht ganz einfach, aber das Publikum ist gelehrig: König Lear erscheint, und die Handlung nimmt ihren Gang (Foto S. →).

    Bestechend sind im ersten Akt die Farben: königsblau und leuchtend rot. Dazu stilechte goldene Bourbonenlilien. Die königlichen Farben werden den königlichen Töchtern zugeordnet: rot für Goneril, blau für Regan. So bekommt der Zuschauer bei der Frauendarstellung eine visuelle Orientierungshilfe.

    Der besseren Orientierung dient auch die Eselsbrücke für die Namen der beiden Söhne Gloucesters, „Edgar, der Gute – und Edmund, der Missgünstige". Das ging mir beim ersten Lesen auch so, dass ich diese beiden ständig verwechselt habe ... Was sich der Shakespeare bloß dabei gedacht hat, denen so ähnliche Namen zu geben, tststs! Und mit Bernd Lafrenz gibt es endlich einmal jemanden, der das offen ausspricht!

    Bravo!

    Als die Handlung an die Klippen von Dover verlegt wird, wird erneut das Publikum gefordert: Die rauschenden Wellen, die sich an den Felsen brechen, eignen sich ideal als Zuschauergeräuschkulisse. Übrigens werden die Klippen von Dover von einem etwa handtaschengroßen, unförmigen, dunkelrot-bräunlichen Sandstein verkörpert – die Zuschauer werden angewiesen, sich die charakteristische weiße Farbe des Gesteins vorzustellen.

    Die metadramatische Dimension der Inszenierung wird weiter entfaltet, als besagter fahrender Schauspieler ein Miniatur-Marionettentheater aus einem Koffer hervorzaubert. Jetzt hat Bernd sogar im wahrsten Sinne des Wortes alle Fäden in der Hand (Foto S. →)!

    Mitten im Spiel wird er jedoch von Ordnungshütern vertrieben und muss sein Mini-Theater einpacken, weil das Theaterspielen auf dem Marktplatz verboten ist.

    Einen weiteren Höhepunkt bildet die von passender Musik begleitete Schlacht mit den Franzosen! Ja, so kann man Massenszenen auch darstellen ...

    Das Reihensterben am Ende ist ebenfalls äußerst erfindungsreich umgesetzt. Kaum zu glauben, aber er stirbt wirklich in jedem Stück in jeder Rolle anders. Und in König Lear holt Bernd sogar die Sterbeszenen auf die Bühne, die sich bei Shakespeare nur hinter der Bühne abspielen.

    Nach dem Auftritt bin ich erstaunlicherweise die einzige, die auf Bernd zugeht. Der um mich herum sitzende „Fanclub" verlässt, inklusive Dieter, sang- und klanglos den Saal. Und ich hatte geglaubt, die wären alle mit Bernd bekannt.

    „Das war König Lear", ist das Erste, was Bernd zu mir sagt.

    Er lädt mich ein, noch mit ihm, seinem Techniker Achim Thom und dem Veranstalter in der dem Kurhaus angeschlossenen Gaststube etwas trinken zu gehen.

    Achim Thom hatte ich in Goslar nur ganz kurz kennengelernt; ich durfte mit ihm den Othello-Ozean zusammenfalten.

    Bernd verschwindet hinter der Bühne, um sich umzuziehen.

    Bereits nach wenigen Minuten kommt ein Mann auf die Bühne und spricht mich sehr nett an. Nein, das ist nicht Bernd ohne Maske, obwohl die Frisur der beiden nicht ganz unähnlich ist. Es ist Wolfgang Barth vom Kulturbüro der Stadt Hamm, der Veranstalter. Er führt mich zur Gaststube.

    Im Foyer schließt sich uns ein junger Mann an, der in Wolfgang Barths Musical-Amateurtheater mitwirkt. Es ist etwa Viertel nach zehn, und ich erlebe eine Art Kulturschock: Wir sind dort in der Gaststube die einzigen Gäste – für mich als Berlinerin ist das vollkommen ungewohnt!

    Bis Bernd und Achim mit dem Abbau fertig sind, unterhalten wir uns über Theaterinszenierungen im Allgemeinen und über illustre, zuweilen nicht realisierbare Sonderwünsche diverser Bühnenbildner und Regisseure. Ich finde das bereits ausgesprochen fesselnd und lehrreich, und die Zeit, bis Bernd und Achim zu uns stoßen, vergeht im Nu.

    Bernd bestellt eine Apfelsaftschorle, und unser Gespräch konzentriert sich nun auf Shakespeare.

    Wir alle kennen Shakespeares sämtliche Werke – leicht gekürzt.

    Bernd weiß zu berichten: „Ich habe damals noch die Urfassung gesehen.

    Besonders witzig fand ich, wie sich die Schauspieler bei den Königsdramen die Krone zuwerfen ‘Ich bin Richard III’, ‘Ich bin Heinrich IV’ und so weiter."

    Was witzige Shakespeare-Darbietungen angeht, da kann ich nur Heinrich VIII von Shakespeare und Partner wärmstens empfehlen.

    „Wer spielt da außer Norbert Kentrup noch mit?", möchte Bernd wissen.

    Ich sage, dass ich mir nur den Namen Andreas Erfurth gemerkt habe, weil mir der am besten gefallen hat. „Die Mimik – du liegst unterm Tisch!"

    Genau wie bei Bernd.

    Ich spreche ihn auf die Eselsbrücke für Edgar und Edmund in König Lear an.

    „Im Sommernachtstraum habe ich auch so eine Eselsbrücke", erläutert Bernd. „Die Namen Hermia und Helena kann man ja auch leicht verwechseln. Einmal habe ich einen Sommernachtstraum gesehen, der sogar absichtlich so inszeniert war, dass man die Namen der Liebenden durcheinanderbringt – das war von der Regie so gewollt. Hermia, Helena, Demetrius, Lysander, da wusste man gar nicht mehr, wer mit wem."

    Ich muss lachen. Bernd erzählt das auch so lebendig!

    Als nächstes berichte ich von einem eigenwilligen Regie-Ansatz der Royal Shakespeare Company aus Stratford-upon-Avon zu Shakespeares letztem komplett von ihm selbst verfassten Werk, Der Sturm, mit Patrick Stewart in der Hauptrolle des Prospero. Dieser Sturm spielte in der Arktis; bei der Szene, in der Ariel für Alonso, Sebastian, Antonio und Co.

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