Erwin Steinhauer - Der Tragikomiker
Von Erwin Steinhauer und Fritz Schindlecker
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Über dieses E-Book
Im Fernsehen war er unter anderem in Quoten-Hits wie "Der Sonne entgegen", "Polt", "Trautmann", "Brüder", "Salzbaron" und – aktuell – in "Die Toten von Salzburg" zu sehen. Alle Jahre wieder begeistern die Weihnachts-Blockbuster "Single Bells" und "O Palmenbaum". Und schon in den 1980er-Jahren standen Kabarettfans vor "Kulisse" und "Spektakel" Schlange, um Karten für eines seiner Solo-Programme zu ergattern.
Diese Biografie erzählt Spannendes und Heiteres aus dem Leben eines großen Künstlers. Fritz Schindlecker war schon in den 1980ern für Erwin Steinhauer als Kabarettautor tätig. In den letzten Jahren veröffentlichten beide gemeinsam vier Bücher.
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Buchvorschau
Erwin Steinhauer - Der Tragikomiker - Erwin Steinhauer
GROSS IN KLEINKUNST
Woher genügend Finger nehmen, um auf alle Sauereien zu zeigen – oder zumindest im Vorübergehen an jedem Saustall anzuklopfen?
Kay LORENTZ
Deutscher Kabarettist, Mitbegründer des Düsseldorfer „Kom(m)ödchens"
1920–1993
Ich definiere den Humor als die Betrachtungsweise des Endlichen
vom Standpunkte des Unendlichen aus.
Christian MORGENSTERN
Deutscher Lyriker
1871–1914
Wo weder zum Weinen Kraft ist noch zum Lachen, lächelt der Humor unter Tränen.
Karl KRAUS
Österreichischer Satiriker und Dramatiker
1874–1936
Im Mai 1984 läutete in meiner damaligen Wohnung in der Wiener Mollardgasse das Telefon. Ich hob ab und eine mir unbekannte Stimme sagte:
„Grüß Sie, Herr Schindlecker! Mein Name ist Steinhauer. Wolfgang Steinhauer. Ich bin der Vater von Erwin. Den werden Sie vielleicht ja kennen."
„Nicht persönlich, erwiderte ich. „Aber von der Bühne – natürlich!
Erwin war damals bereits am Wiener Burgtheater engagiert. Und er hatte auch schon zwei sehr erfolgreiche Solokabarett-Programme hinter sich. Aber ich kannte ihn natürlich schon lange vorher.
Ende 1975 oder Anfang 1976 hatte ich das vierte Programm der Kabarettgruppe „Keif im Kärntnertortheater gesehen. Es machte zügig eine Titelmutation durch: Zuerst hieß es „999 Jahre Österreich
, um dann – sich dem Jahreswechsel anpassend – in „1000 Jahre Österreich" umbenannt zu werden. In demselben Jahr, in dem die USA ihren 200. Geburtstag feierten, zelebrierten wir Österreicher den tausendsten.
Auf der Bühne wirkten damals fünf Akteure, von denen ich zwei noch aus meiner Tullner Zeit kannte: Das waren Erich Demmer und Wolfgang A. Teuschl. Gemeinsam mit SchulkollegInnen hatte ich damals gleich nach der Matura einen „Jugendclub gegründet, der eine ganze Reihe von „linken Kulturveranstaltungen
organisierte, was damals im Herzen des agrarischen Tullnerfelds ein durchaus kühnes Unterfangen war.
Trotzdem brauchten wir uns nicht über mangelndes Publikumsinteresse zu beklagen – viele Künstler mit großem Bekanntheitsgrad traten damals bei uns auf: Schriftsteller wie Peter Henisch oder Peter Turrini machten Lesungen, es gab Musikdarbietungen von exil-chilenischen und lokalen Bands, Dieter Haspels legendäres „Cafétheater gastierte bei uns mit Nestroys „Freiheit in Krähwinkel
.
Unter den Künstlern, die im „Jugendclub" auftraten, waren auch der Liedermacher Erich Demmer und der Schriftsteller Wolfgang A. Teuschl. Beide hatten Anfang der 1970er-Jahre bereits respektable Erfolge erzielen können.
Demmer war mit seinem Protestsong „Heidschi-Bumbeidschi-BUMM-BUMM! sogar schon im ORF-Jugendmagazin „Ohne Maulkorb
in der „größten Medienorgel des Landes" aufgetreten, wie ORF-Langzeit-General-intendant Gerd Bacher seinen Wirkungskreis zu benennen beliebte.
Teuschl hatte sowohl beim breiten Publikum als auch beim Feuilleton einen literarischen Hit gelandet: mit „Da Jesus und seine Hawara", der in Insider-Kreisen bis heute legendären Übersetzung eines Teils des Neuen Testaments ins Wienerische.
Neben diesen beiden Herren gehörte zur damaligen Besetzung Alfred auch „Frede" Rubatschek, den ich dann ab Mitte der 1980er-Jahre als äußerst fähigen Aufnahmeleiter sowie erfolgreichen Theater- und Filmproduzenten kennenlernen durfte.
Schon in diesen frühen Kabaretttagen erwies sich Frede als Organisationstalent, wie Erwin Steinhauer betont. Auf der Bühne wirkte er allerdings nicht unbedingt „Kainz-Medaillen- oder Iffland-Ring-verdächtig. Und so wurden ihm meist stumme Rollen zugedacht. Im Regelfall spielte er Gegenstände wie Tische oder Kästen. Ein nicht uninteressantes Regiekonzept in einer Zeit, in der das „Regietheater
gerade eine seiner vielen Hochblüten erlebte.
Rubatscheks Schweigsamkeit wurde mühelos von jenen beiden Herren kontrastiert, die ich damals noch nicht kannte.
Denn als Land-Ei waren mir die ersten drei Programme des „Keif leider „entschlüpft
. Jetzt aber durfte ich miterleben, wie Lukas Resetarits und Erwin Steinhauer in vielem brillierten: Sie erzählten schräge Geschichten, setzten eindrucksvolle Politpointen und zeichneten sich durch unglaublich schnellen Erzählstil und „körperbetontes" Spiel aus.
Erwin imponierte mit seiner tänzerisch-leichtfüßigen Eleganz, die man ihm bei den körperlich sichtbaren Spuren, die seine Vorliebe für „doppeltpanierte Schopfbratenschnitzeln" hinterlassen hatte, niemals zugetraut hätte.
Ich war damals sicher nicht der einzige 22-Jährige im Publikum, der sich dachte: „DAS ist nicht mehr Papas Kabarett, das ist unser Kabarett!"
Und das war ja auch der Sinn der Sache.
Dazu muss man wissen, dass viele aus unserer Generation mit den Kabarettrebellen der 1950er- und 1960er-Jahre aufgewachsen waren:
Unsere Eltern hatten die Platten von Gerhard Bronner, Helmut Qualtinger und Georg Kreisler im Plattenschrank und wir konnten die Travnicek-Sketche auswendig rezitieren.
Im Duett mit Bronner oder Quasi sangen wir „Der Papa wird’s schon richten, den „Bundesbahnblues
oder den „Gschupften Ferdl. Und sobald wir damit fertig waren, gingen wir mit Kreisler in den Park zum „Tauben Vergiften
.
Aber Anfang der 1970er-Jahre war von aufmüpfigem Kabarett wenig zu merken. Qualtinger konzentrierte sich auf vielbeachtete Lesungen aus Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit und gelegentliche, oft skandalumwitterte Rezitationen aus Adolf Hitlers „Mein Kampf
.
Georg Kreisler war in die Bundesrepublik übersiedelt und schrieb dort deutlich mehr Chansons mit feinsinnig surrealen Anklängen als angriffige Kabarett-Songs.
Und Gerhard Bronner war auf viele seiner Ex-Kollegen böse und noch böser war er auf die „neuen Linken".
Die schossen ja damals wie Fliegenpilze nicht nur aus den braunen Böden Deutschlands, sondern auch aus jenen des österreichischen Vaterlandes – so ab 1970/71, also mit einer kleinen Verspätung zu den deutschen 68ern.
Altmeister Bronners wöchentliche Ö3-Sendung „Schlager für Fortgeschrittene erhielt bald unter den linken Studenten und all denen, die dies noch werden wollten, den Beinamen „Schläge für Fortschrittliche
.
Denn er verdächtigte alle, die sich nur eine Handbreit links vom sozialdemokratischen Mainstream aufhielten, der Sympathie für den Terrorismus der RAF. Sogar sein Altkollege Kreisler musste sich einmal eine solch wenig schmeichelhafte Etikettierung gefallen lassen.
Kurz gesagt: Die Kabarett-Heroes unserer Kindheit und frühen Jugend waren mehr oder weniger abgetreten. Trotzdem kann man nicht sagen, dass die Kabarett-Szene öd und leer gewesen wäre – ganz im Gegenteil:
Nach dem Tod von Karl Farkas 1971 hatte Martin (eigentlich: Horst) Flossmann das Kabarett „Simpl" übernommen und mit neuem Ensemble – Tamara Stadnikow, Edith Leyrer, Louis Strasser, Hans Harapat und Kurt Sobotka – erfolgreich weitergeführt.
Und 1971 gewann das aus dem Bühnenkabarett „Würfel hervorgegangene Fernsehkabarett „Lodynskis Flohmarkt Company
die „Goldene Rose von Montreux. Die Truppe – unter anderen mit Myriam Dreifuss, Felix Dvorak, Günter Tolar und Peter Lodynski – verwies damals immerhin die Boys von „Monty Python
auf Platz zwei!!
„KEIFEN" STATT UNTERRICHTEN
Was damals aber fehlte, war ein politisches Kabarett. Eines, das dem Zeitgeist entsprach und in satirischer Form das ausdrückte, was die damals Zwanzig- bis Dreißigjährigen wollten und fühlten.
Denn die politische Landschaft hatte sich seit Kurzem drastisch verändert. Kreiskys SPÖ-Sieg hatte 1970 vier Jahre ÖVP-Alleinregierung durchaus überraschend beendet. Bei einer nochmaligen Wahl im Jahr darauf errangen die Sozialdemokraten sogar die absolute Mehrheit.
Diesen Erfolg verdankten „die Roten in erster Linie den Frauen und den Jungen. Mit dem legendären Slogan „Gehen Sie ein Stück des Weges gemeinsam mit uns!
hatten die SP-Wahlstrategen den Angehörigen bürgerlicher Schichten angedeutet:
„Ihr müsst keine Sozis werden – aber wenn ihr dieselben Reformen durchsetzen wollt wie wir, dann wählt uns bittschön diesmal!"
Die Veränderungspläne waren vielfältig.
Die Familienrechtsreform stellte endlich die Frau in der Ehe rechtlich dem Manne gleich. Bis dahin – und das klingt heute in der Tat gespenstisch – musste eine Frau, die arbeiten gehen wollte, ihren Ehemann um „Einwilligung" bitten. Weiters sollte der Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Umständen entkriminalisiert werden. Beide Reformbestrebungen ließen viele Wählerinnen von den Schwarzen zu den Roten wechseln.
Für Jungwähler waren die angekündigte Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate und das In-Aussicht-Stellen eines Zivildienstes zwei attraktive „Wahlzuckerl".
Den Studentinnen und Studenten kam das neu geplante Universitätsorganisationsgesetz (UOG) entgegen. Denn es sollte die „absolute Herrschaft der Professoren einschränken, indem es für den „Mittelbau
, also die Assistenten, und auch für die Studierenden Mitspracheinstrumente installierte.
All diese Pläne wurden tatsächlich innerhalb relativ kurzer Zeit umgesetzt. Was aber jahrzehntelang liegen blieb, war die von den Sozialdemokraten geplante Bildungsreform:
Denn für deren Realisierung braucht es laut Verfassung eine Zweidrittelmehrheit. Und für die Kombination aus Ganztagsschule und Gesamtschule ALLER 6- bis 14-Jährigen war und ist die ÖVP bis heute nicht zu gewinnen.
Aber zurück in die rosaroten Jahre:
Im Frühjahr 1974 zogen zwei ambitionierte Germanistikstudenten hinaus aus dem staubigen Halbdunkel der Hörsäle, um in Gottes freier Natur zu dichten und zu denken.
Die beiden waren Erich Demmer und Erwin Steinhauer.
Und ihr Ziel war es, ein aufmüpfiges Kabarettprogramm zu schreiben, wie es die Welt noch nicht gehört, geschweige denn gesehen hatte. Sie eilten nach Neustift zum Heurigen, wo die ersten Sonnenstrahlen die Gastgärten bereits erwärmten und der Spritzwein noch wohlfeil war. Bald nahmen die ersten bitterbösen Kabarett-Nummern Gestalt an.
Und als man sie sich gegenseitig vortrug, meinte Erwin:
„Ich weiß net. Vielleicht sollten wir doch einen Profi-Autor beiziehen."
„Ich kenne da einen", erwiderte Erich.
„Wen denn?", fragte Erwin.
„Den Jesus! Und wir werden ab jetzt vielleicht seine Hawara!"
Einige Tage später las sich Wolfgang Teuschl mit Interesse das Vorgelegte durch und meinte daraufhin mit der gönnerhaften Art des Routiniers:
„Ja – da sind Sachen dabei, aus denen man schon was machen könnte!"
Freudestrahlend begab man sich im erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis auf die Suche nach weiteren Bühnentalenten. Man fand sie in der aus Norwegen stammenden Pianistin Kari Brass, im Liedermacher Erich Bernhardt und in Alfred Rubatschek, der bereits Bühnenerfahrung bei der aufstrebenden Folk-Musikgruppe „Die Schmetterlinge" gesammelt hatte. Sogleich setzte emsiges Proben ein.
NEIN.
STOPP.
Bevor die Proben beginnen konnten, gab es noch eine Intervention.
Erwins Vater klingelte zur Mittagszeit an einer Dichtertüre. Und nachdem der Poet verschlafen geöffnet hatte, verlor Herr Steinhauer keine Zeit mit barock anmutenden Einleitungsformulierungen, sondern kam gleich zur Sache:
„Bitte, Herr Teuschl, lassen S´ meinen Sohn in Ruh´! Er steht knapp vor Ende seines Doktoratsstudiums! Da hat er keine Zeit für andere Sachen."
„Herr Steinhauer", antwortete Teuschl nach einem kurzen Gähnen, „Ich habe Ihren Sohn eh in Ruh’ gelassen. Aber er sekkiert mich seit Wochen bis aufs Blut, dass ich in seine Kabarettgruppe miteinsteige. Und wissen Sie was, Herr