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In Grund und Boden: Eine Geschichte von Sein und Haben
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In Grund und Boden: Eine Geschichte von Sein und Haben
eBook178 Seiten2 Stunden

In Grund und Boden: Eine Geschichte von Sein und Haben

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Über dieses E-Book

Hoch droben in den Bergen, bei den Reichen und Schönen, tut sich Grausiges. Ein tödliches Mikadospiel fordert Opfer im Kreis erlauchter Wintersportgäste. Aber auch der Schneider-Bauer muss mitten in der Stallarbeit dran glauben: Hätte er doch seinen Boden verkaufen sollen! Inspektor Isidor Ibele kehrt zurück an seine erste Wirkungsstätte. Eine Heugabel als Mordwaffe, halsbrecherische Skiabfahrten, Wodka in Strömen und blutgetränkte Pisten: Wofür das alles?

Peter Natter ist ein Meister der authentischen Darstellung von Ländle und Leuten und überzeugt mit sympathischen Figuren, trockenem Humor, großer sprachlicher Kunstfertigkeit und Krimi-Spannung pur.

*****************

Kriminalfälle mit Inspektor Ibele
• Die Axt im Wald
• Ibeles Feuer
• In Grund und Boden
• Die Tote im Cellokasten
• Mord unterm Hirschgeweih

*****************

"ein kurzweiliger und lebhafter Ausflug nach Vorarlberg"
Die Presse, Duygu Özkan

"ordentliche regionale Kost mit einem guten Schuss Humor"
Tiroler Tageszeitung, Christian Windner
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum11. Aug. 2015
ISBN9783709936573
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    Buchvorschau

    In Grund und Boden - Peter Natter

    1847

    Zwei Spuren im Schnee

    Sein Zuvielhaben dringt dem Reichen  andauernd aus allen Poren.

    Martin Walser, Über Rechtfertigung, eine Versuchung

    Maximilian Antonius Petersen ist immer quer über die Skipisten gegangen. Zu Fuß, versteht sich. Nur heute braucht Petersen das nicht, denn es ist noch nicht so weit. Jung ist der Tag; unverbraucht, ausgeruht und frisch lädt er ein. Zur Stunde finden sich die Müßiggänger unter den Urlaubern am Frühstückstisch; die Sportlichen in den Skikellern und Wachsstuben; die andern im Bad, beim Friseur oder in den Armen, pardon: in den Händen der Masseurin. Man überlässt sich einem milden Diktat von Urlaubs-to-do’s; man gibt sich scheinbar willenlos einem vagen Getriebenwerden, dem vielzitierten und noch mehr strapazierten dolce far niente, der gehobenen Muße hin. Dr. Petersen jedoch ist keiner, der sich gehen lässt, Ferien hin, Ferien her. Meinetwegen: gehen hat lassen. Kein Mann der großen Worte, aber einer, der weiß, was zu sagen und zu tun oder eben nicht zu sagen und nicht zu tun ist. Je nachdem. Korrektheit ist seine Natur, durch und durch, bis zum sorgfältig gebügelten reinweißen Tüchlein in der linken Hosentasche. Dort, wo er herkommt, wird es gerne, also mit einem bewusst antiquierten Ausdruck, Büsdook genannt. So wie hierzulande in gewissen Landstrichen Lederhosen und Dirndlkleider dem selbstverherrlichenden Ausdruck überholter Geisteshaltungen dienen, so greifen Petersen und seinesgleichen auf die Sprache ihrer untergegangenen Ahnen zurück. Da, wo wir uns gerade befinden, ist das Büsdook zum profanen Sacktuch geworden oder überhaupt verschwunden und von billigem Einweg-Papierzeug abgelöst. O tempora, o mores. Kein Monogramm auf dem Tüchlein, so weit treibt Petersen den Kult um sich selbst nicht. Gar kein Kult, denn Kultisches liegt ihm, wie alles Neuheidnische, fern. Aber korrekt und vor allem konsequent ist er. Besonders wenn es um seine ureigensten Interessen geht, die er stets tunlichst im Verborgenen zu halten weiß. Seine ureigensten Interessen, so viel sei verraten, sind ökonomischer Natur. Das weiße Hemd trägt er wie eine zweite Haut, die Krawatte ist unvermeidlich und unauffällig, die Hose stets streng gebügelt, gerne mit Bundfalten und diskreten Stulpen. Warum nicht auch jetzt, im Skiurlaub? Noch dazu, wo man ausgesprochen mondän untergebracht ist, in einem Dorf, in einer Destination allererster Kategorie und in einem Haus von höchster Noblesse.

    Das Aldoro in Lech kommt Petersen so weit entgegen wie irgend möglich. Mangelnde Tradition verbirgt sich geschickt hinter spektakulärer Zeitlosigkeit, pompöser Stil übertüncht fehlende Wurzeln. Antonius Petersen ist Anwalt, das heißt, er waltet überall dort, wo lukrative Agenden, renditereiche Investitionen und bevorzugterweise attraktive Immobilien winken. Nicht umsonst entstammt er einer uralten Hamburger Reeder- und Kaufmannsfamilie. In seinem Denken vereinen sich kühl kalkulierendes Hanseatentum, generationenübergreifender Sinn für bleibende Werte und ein couragiertes, um nicht zu sagen heißblütiges Element, das er seiner brasilianischen Großmutter verdanken dürfte. Dass das Alter der Familie, des Clans, mit dem erworbenen Reichtum direkt korrespondiert, versteht sich von selbst. Die gut und gern hundert hoch qualifizierten Spezialisten und Spezialistinnen in Petersens auf internationales Wirtschaftsrecht, Vermögensmanagement und Treuhändertum spezialisierter Kanzlei ihrerseits bestätigen auf das Eindrücklichste bzw. das Einträglichste das schöne Schriftwort, wonach jenen gegeben wird, die haben.

    Die zweite Hälfte dieses berüchtigten Verses (Mt 25,29) birgt außer einer im gegebenen, leider nicht vernunftdominierten Kontext nicht weiter zu verfolgenden logischen Inkonsequenz eine tragische Wahrheit, die für unsere Geschichte, wie sich bald zeigen soll, größte Wichtigkeit erlangen wird, wenn es im heiligen Text lapidar heißt: »Von dem aber, der nicht hat, von dem wird selbst das, was er hat, weggenommen werden.«

    Prägnanter kann es nicht ausgedrückt werden, was Eugen Schneider im Lauf der vergangenen fünf Jahrzehnte widerfahren ist. Mit der scheinbaren Widersprüchlichkeit des Bibelwortes hat er keine Probleme. Eugen Schneider ist Landwirt, Bauer. In Lech am Arlberg. Schon lange fühlt er nicht nur, er erfährt es am eigenen Leib, dass man einem immer noch etwas wegnehmen kann, auch wenn schon lange nichts mehr da ist. Denn wenn die materiellen Güter längst weg sind, dann holen sie deine Ehre und dein Ansehen, und zuletzt pressen sie die Lebensfreude und den Glauben aus dir heraus. Bauer sein in Lech, da bist du per se ein Relikt, ein Fossil, ein Überbleibsel, ein Anachronismus, ein Wiedergänger fast schon, ein Unwesen. Eugen Schneiders Hof war einst so weit das Auge reichte von saftigen Wiesen und Weiden umgeben. Einst, als noch der Urgroßvater darauf wirtschaftete. Jetzt bleibt den wenigen Kühen auf den verbliebenen Grünflächen kaum Platz, sich umzudrehen, umgeben von bedrohlich nahe gerückten, schneller als einem lieb sein kann aus der Mode geratenen Neubauten: Hotels und Pensionen, Restaurants, Cafés, Geschäfte. Kein Meter wird verschenkt. Nur hinter dem Haus, dem Wald zu, wo er zuerst sanft und dann steil ansteigt nach Hochlech hinauf, dort bleiben Schneider und seinem Erben noch ein paar Hektar Boden. Noch.

    Maximilian Antonius Petersens Korrektheit beruht im Wesentlichen auf einem weiter nicht hinterfragten dynastischen Selbstverständnis. Richtig ist, was Petersens nützt. Wer Petersens nicht nützt, schadet sich. So einfach ist das. Petersens Weltbild folgt dem Drall, der ein einstmals praktisches, kaufmännisch orientiertes Interesse im Lauf der Jahrhunderte zusehends in ein aristokratisch-elitäres Denken hat kippen lassen. Naturgemäß auch in ein Denken, das mit Fug und Recht schlicht ein Rechnen genannt werden darf und nicht zuletzt unter dem viel geschmähten Namen Kapitalismus, oder neudeutsch new economy, Berühmtheit erlangte. Wie es so ist, folgt auch hier das Menschenbild jenem von der Welt unweigerlich nach. Somit ist, um exakt zu sein: war der Weg geebnet für Petersens über weite Strecken ebenso sorgloses wie letztlich menschenverachtendes Dasein. Im Augenblick, auf dem Sonnenbalkon seiner Suite, hoch über dem Lecher Dorfzentrum, umgeben von glitzernden Skipisten, fröhlichen Millionären und willigem Personal, fühlt er sich folglich ganz in seinem Element. Seine Frau Mathilde ist unterwegs. Wenn er sich an ihren Abschiedsgruß richtig erinnert, dem er kaum seine halbe Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist sie in der Obhut ihres Shopping-Coachs ausgeflogen. Der Skianzug von gestern dürfte über Nacht aus der Mode gekommen sein; oder war es nur das Seidencape? Der Shopping-Coach, er nennt sich Cyril, ist von unsäglicher Fröhlichkeit und Glätte und steht im Dienst des großen, siebenstöckig in den Berg hinein gebauten Modehauses unten in der Dorfmitte. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, von der sich Petersen die Sicht auf das extravagante und zugleich gewöhnliche Treiben gerne versperren lässt, steht nichts von dem, was hier heroben Sache ist. Aber viel anderes, dem der allzeit arg beschäftigte Mann sich nicht verschließt. Das Rumoren, Klappern und Rauschen hinter ihm dringt nicht in sein Bewusstsein. Das Tun und Treiben der Zimmermädchen geht ihn nichts an; die Zimmermädchen selbst noch weniger. Da ist der hanseatisch stolze Charakter denn doch solider als die Triebkraft internationaler Finanzbosse, die schon einmal einen Strauß zu viel ausfechten. Petersens Kahn segelt in weitaus stilleren Wassern. Sie sind so still wie tief, und nur wenn man genau hinhört, zischt und braust es, wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt.

    Nur manchmal schiebt Petersen den FAZ-Vorhang zur Seite und lässt ein Bild auf sich wirken, das sich ihm zur Linken präsentiert. Er schaut dann auf ein derzeit meterhoch mit Schnee bedecktes, von wenigen Tannen bewachsenes, für hiesige Verhältnisse erfreulich ebenes, noch unbebautes Stück Land zwischen Lechbach und Wald. Es bildet ein bevorzugtes Objekt von Petersens Begierde. Er will diesen Boden haben. Hat er ihn erst einmal, wird er dem milliardenschweren Krösus, in dessen Haus er jetzt sitzt, zeigen, dass Reichtum mehr ist als Geld. Dann wird es ihm nicht mehr passieren, mit einem Typen wie diesem Salvatore Scarlatti aus Neapel mit seiner lächerlichen weißen Weste auch nur die Tiefgarage teilen zu müssen! Kommt doch schon leichte Unordnung in Petersens rigid beherrschte Züge, wenn er nur daran denkt, wie er nach Jahrzehnten als Stammgast aus dem Alpenhof ausgezogen ist, nachdem es bei aller Grandezza des Hauses nicht mehr klar war, ob man sich in einem Luxushotel oder auf einem balkanischen Rummelplatz befindet. Vielleicht war auch die Grenze des Zumutbaren endgültig überschritten, als man begann, mit einem Höllenkerl namens Raoul Kenner halblegale Kochsessions zu veranstalten, bei denen sich Herr Petersen zu seinem ausgesprochenen Missfallen von aufgeputzter Ländle-Prominenz umringt sah, die sich in den Augen des Hamburger Großbourgeois eben doch etwas anders, etwas weniger unwiderstehlich darstellt als in der kleinräumig-engstirnigen Ländle-Betrachtungsweise. Wo sich ausgemusterte Airline-Beautys mit arg gestutzten Flügeln, im Glanz trendsettender Mode-Labels schattenhaft auftretende Kleiderhändler oder die üblichen abgehalfterten Donald-Trump- und Jay-Gatsby-Verschnitte aus der lokalen Großindustrie tummeln, kann sich Petersen ohne Weiteres heraushalten. Braucht er diesen Umgang, um überteuerte Leckerbissen von zweifelhafter Beschaffenheit löffelchenweise schlucken zu dürfen? Es mag ja sein, dass man für solche Semiseria-Kulinarik von Lustenau, Lochau oder Lauterach herauf fährt, aber sicher nicht von Hamburg herunter! Zugegeben, als Zwischenlösung ist das Aldoro nicht zu verachten. Typen wie Signor Scarlatti und der schwarze Helikopter auf dem Dach der Garage oder das aufgekratzt-arrogante Getue der Geschäftsführerin machen aber auch hier schnell klar, dass à la longue kein Bleiben ist. Es wäre ja gelacht, wenn einer wie Petersen sich in dem Gebirgsnest nicht sein eigenes Domizil zu beschaffen wüsste!

    Wenn da nur nicht dieser sture, verbohrte Bauer wäre, Eugen Schneider, der partout nicht verkaufen will. Das Reden mit dem Kerl ist völlig sinnlos. Erstens versteht Petersen den Dialekt nicht, in dem es von seltsamen Lauten nur so wimmelt. Zweitens geht von dem Mann ein schwer erträglicher Mief aus, der Petersen nach jeder Begegnung zwingt, gründlich zu duschen, den Anzug zu wechseln oder gar zwei, drei Seiten Zauberberg zu sich zu nehmen. Drittens aber ist Schneider nicht zu durchschauen, selbst nicht für einen wie Petersen, dem doch nun wahrlich wenig Menschliches fremd ist, vor allem wo es mit Geld, Besitz und Kalkül zu tun hat. Was der Eingeborene wirklich will, ist Petersen nach mehreren Gesprächen mindestens so unklar wie zu Beginn. Ihm Geld, unverschämt viel Geld anzubieten, hat nicht den geringsten Erfolg gezeitigt. Andererseits geht es ständig nur um Geld. Petersen ist mit seinem Latein am Ende. Die beiden Söhne von Schneider, der im väterlichen Dunstkreis vegetierende Jungbauer und der Skilehrer, ein Schnösel, vor dessen gockelhaften Avancen man mit Müh und Not Frau und erst recht Tochter in Sicherheit gebracht hat, scheinen noch verstockter zu sein als der Alte. Einzig Schneiders Frau, eine Zugereiste, punktet mit einer gewissen Zugänglichkeit für Formen, für nordländischen Charme und für Bares.

    Allerdings ist Schneider nicht das einzige Obstaculum. Das Sperrigste, was sich Petersens Ambitionen entgegensetzt, ist, um es gleich zu sagen, ein windiger Landsmann. Der hat sich neulich ebenfalls in den mittlerweile offen ausgetragenen Wettstreit um den Boden eingeklinkt. Offen, aber mit verdeckten Karten. Gustav Glück aus Wuppertal, ein Industrieller, der mit Frischhaltetüchlein und altem Frittieröl ein Vermögen gemacht hat. Ein Mann mit der Aura eines erkalteten Wienerwald-Hühnerflügels. Der ist sich natürlich nicht zu blöd für alle möglichen Allianzen. Sei es nun der alte Schneider selbst, der eine oder andere der heillos verschuldeten Hoteliers aus dem Dorf oder auch die oligarchischen Bewohner der Aldoro-Welt: Niemand ist vor Glücks unseligen Verbrüderungen sicher. Er tanzt auf allen Hochzeiten, d.h. auf allen Fünf-Uhr-Tees, in allen Discotheken, trinkt aus allen Becherchen, isst von allen Tellerchen, schläft in allen Bettchen und wirft mit seinem Geld herum, als wären es Schneebälle.

    Da sind die lokalen Investoren mit ihrem pennälerhaften Auftreten geradezu harmlos. Ihre vom vernebelten Rheintal aus gesteuerten Bemühungen, Schneider den Boden abzuluchsen, sind im Vergleich zu dem, was Petersen als gang und gäbe oder zur Not noch ehrlich anzusehen gewohnt ist, so harmlos wie eine schnurrende Hauskatze gegen einen hungrigen Löwen im Circus maximus. Noch dazu sind sie mit den kriminalpolizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Hausdurchsuchungen in ihren Büros ausreichend beschäftigt. Schneiders Grundstück, auf dem Petersen bereits seine Villa in der Form eines überdimensionierten Schiffschornsteins stehen sieht, eines etwas schiefen Prismas also, das man den Einheimischen im Notfall als eine stilisierte Schneewächte verkaufen wird, dieses Grundstück will er denen erst recht nicht überlassen. Ihr leicht bigottes, zwischen Heimattümelei und Möchtegernfinanzhai angesiedeltes biederes Getue macht ihm auch keine Angst, schon eher könnte es einem langsam auf die Nerven gehen. Der Bauer Schneider selbst mit seinen paar Rindviechern: Wie mühsam es doch immer ist, wenn einer oder eine nicht einsieht, dass seine oder ihre Zeit

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