Meine Nachbarin, der Künstler, die Blumen und der Revolutionär
Von Martin Felder
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Über dieses E-Book
Der Autor macht sich auf die Suche nach seiner, der ersten, Nachbarin. Sie treibt ihn in die Welt hinaus, nach Berlin, Hamburg und endlich nach Paris.
Martin Felder präsentiert mit "Die Nachbarin, der Künstler, die Blumen und der Revolutionär" einen Debütroman mit viel Esprit und Wortwitz. Sein Buch ist formal und inhaltlich ebenso gewagt wie gelungen. Lassen Sie sich darauf ein.
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Buchvorschau
Meine Nachbarin, der Künstler, die Blumen und der Revolutionär - Martin Felder
ROMAN
Ich beobachte einen Vogel. Er stößt sich vom Rasen ab, fliegt zwischen den Bäumen empor zum Sims meines Fensters. Hier fällt er einfach um und bleibt liegen.
Irgendeiner stört mich immer, wenn ich an den Rosen meiner Nachbarin rieche. Vor zwei Tagen war es der Briefträger mit dem misstrauischen Blick. Gestern die Schwester der Nachbarin, eine bedrohlich weiße Handtasche aus Leder hing an ihrer Schulter. Zum Glück hat sie mich nicht gesehen. Heute ist es ein zufälliger Passant. Er bringt mich von allen in die schwierigste Situation.
Der junge Mann gegenüber ist eigenartig. Er schläft am Tag und ist in der Nacht wach. Ich sehe ihn nur am Morgen. Wenn er die Rollläden hinunterkurbelt, bleich und sichtlich ermüdet. Ich bin sicher, er arbeitet in der Nacht. Aber wirklich wissen kann ich es natürlich nicht, weil ich nachts schlafe. Vielleicht ist er auch Künstler. Ich kenne einige Künstler, und die schlafen meistens am Tag. Am Abend gehen sie dann aus, trinken viel, und wenn sie nach Hause kommen, setzen sie sich an die Arbeit.
Schaue ich aus dem Küchenfenster, sehe ich eine riesige Baustelle. Seit einem Jahr marschieren Männer mit orangefarbenen und gelben Helmen auf. Sie graben, bohren, schweißen und machen Dinge, für die ich nicht einmal Worte habe. Ich habe mir letzte Woche einen dieser gelben Helme besorgt. Nachts bin ich auf die Baustelle gestiegen, mit einer Taschenlampe ausgerüstet. Neben dem Zementmischer habe ich ein Exemplar gefunden. Seither stehe ich morgens um sechs Uhr auf. Ich trinke einen Kaffee, aus dem Küchenfenster blickend. Um sieben tauchen die Männer auf. Ich setze mir den Helm auf, wie sie, und mache mich an die Arbeit.
Ich stehe vor dem Kiosk am Bahnhof und betrachte Zeitschriften. Ein Herr stellt sich neben mich und verlangt Zigaretten. Gleichzeitig erscheint ein alter Mann und beginnt, weil er nicht gleich bedient wird, vom Krieg zu erzählen. Er sagt, das seien noch andere Zeiten gewesen. Man habe sich tapfer gewehrt. Und oft habe man zu wenig zu essen gehabt.
Dann informiert er sich über Kaugummis. Er will den Unterschied wissen zwischen Schpiermint, Menthol, Fruht und Zitrone. Ich versuche, ihm so gut wie möglich beizubringen, dass Schpiermint etwas fröhlicher schmecke als Menthol, dass aber Menthol auch gut sei, dass Zitrone etwas saurer zwischen den Zähnen liege als Fruht. Die beiden Letzteren unterschieden sich von den zwei Ersteren dadurch, dass sie einen größeren Speichelfluss im Mund provozierten. Er sagt, dann nehme er Zitrone.
Seit ich den Helm habe, stehe ich um sechs Uhr auf. Ich habe festgestellt, dass Punkt halb zehn alle Maschinen stillstehen, die Helme aufgehängt werden und die Arbeiter im Café auf der anderen Straßenseite verschwinden. Heute gehe ich mit. Zwar finde ich an ihrem Tisch keinen Platz mehr, aber gleich daneben ist einer frei.
Die Kühe reißen mit ihren rauen Zungen das Gras ab. Sie sehen alle gleich aus. Ich stoße mich nachdenklich vom Ast und flattere davon.
Der Mann von gegenüber taucht auf. Er sieht sehr verschlafen aus. Ich blicke auf die Uhr. Während er sich an den Tisch der Frau mit dem Hinterkopf setzt, frage ich ihn, ob es nicht noch etwas früh sei. Er kommt zu mir hin und wirft einen Blick auf meine Uhr. Dann sagt er, ich hätte recht, und geht.
Ich habe die Blumen meiner Nachbarin heute mit Blumen aus verschiedenen anderen Gärten verglichen. Ich bin über Türen gestiegen, über Zäune, habe Gartenzwerge umgestoßen. Nirgends kamen die Blumen auch nur annähernd an die Blumen meiner Nachbarin heran. Auch wenn einige vielleicht etwas besser rochen.
Draußen heult eine Sirene. Ich eile zum Fenster in der Küche und blicke auf die Baustelle hinunter. Die Arbeiter stehen mit ihren gelben und orangefarbenen Helmen im Kreis und einer liegt am Boden. Er wird von zwei Pflegern in den Krankenwagen getragen. Ich nehme den Helm ab und drücke ihn an meinen Bauch. Eine dieser weißen Pflegerwesten würde mir auch vieles erleichtern.
Die dünne Frau geht jetzt schon zum vierten Mal an der roten Parkbank vorbei. Wie auffällig, dass ich jedes Mal dasitze.
Der Künstlernachbar will einige Texte lesen, die ich geschrieben habe. Als er fertig ist, sagt er, es wäre gut, wenn ich eine Geschichte schreiben würde, die verständlich ist. Ich beschließe, ihm einen Gefallen zu tun.
Der Hund trippelt. Seine Herrin im Pelzmantel verwirft die Hand: Sie fühlt sich hinterhergezogen. Ein Auto braust vorbei. Fellhaare bewegen sich.
Seit ich weiß, dass der Nachbar meine Geschichten lesen wird, stelle ich mir vor, wie er die Stirn in Falten legt und sich nachdenklich räuspert. Dann komme ich selten über die erste Zeile hinweg.
Ich schreibe einen Text, den ich ihm zum Lesen gebe, schreibe ich und gebe ihn ihm.
Ein Mann, dessen Name niemand aussprechen kann, geht in ein Restaurant, das niemand sehen kann. Er bestellt ein Bier, das niemand trinken kann, beschimpft den Wirt, der niemanden bewirtet, und sagt, es sei eine Zumutung. Erstens werde man in diesem Restaurant nicht bedient, zweitens sei das Bier nicht trinkbar. Der Wirt ist erstaunt, dass ein Gast in sein Restaurant, das niemand sehen kann, getreten ist. Weil er trotz der Gewohnheit, niemanden zu bewirten, ein freundlicher Mensch ist, will er ihm die Sache erklären. »Herr¼…«, beginnt er und stellt erstaunt fest, dass ihm der Name des Mannes nicht über die Lippen geht. Er verstummt. Der Gast verlässt fluchend das Lokal und kehrt nie mehr zurück.
Wenn ich die Leute am Bahnhof beobachte,