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Das Wunder von Frauenchiemsee
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eBook390 Seiten5 Stunden

Das Wunder von Frauenchiemsee

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Über dieses E-Book

Frauenchiemsee 1003: Sophia, Schwester des Markgrafen Hezilo von Schweinfurt, lebt im Kloster Frauenwörth als Schützling von Äbtissin Tuta. Gerne würde sie Nonne werden. Als sie zur Ehe mit dem Grafen Adalbert gezwungen wird, fügt sie sich jedoch in ihr Schicksal, da dieser droht, ansonsten das Kloster zu zerstören. Nachdem er Feuer gelegt hat, kann Sophia in der allgemeinen Verwirrung fliehen. Sie wird von Azo de Casale gerettet, jedoch von ihm nach Italien entführt. Auf der Reise kommt sie dem rauen Mann immer näher. Währenddessen hat auch Tuta mit ihren Gefühlen zu kämpfen. Sie muss sich mit Gerhard von Seeon auseinandersetzen, der auf Geheiß König Heinrichs II. das Grab der seligen Irmengard öffnen will …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Feb. 2015
ISBN9783475544521
Das Wunder von Frauenchiemsee

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    Buchvorschau

    Das Wunder von Frauenchiemsee - Doris Strobl

    Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2015

    © 2015 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

    www.rosenheimer.com

    Titelbild: Franz von Defregger

    Lektorat und Satz: Bernhard Edlmann Verlagsdienstleistungen, Raubling

    eISBN 978-3-475-54452-1 (epub)

    Worum geht es im Buch?

    Doris Strobl

    Das Wunder von Frauenchiemsee

    Frauenchiemsee 1003: Sophia, Schwester des Markgrafen Hezilo von Schweinfurt, lebt im Kloster Frauenwörth als Schützling von Äbtissin Tuta. Gerne würde sie Nonne werden. Als sie zur Ehe mit dem Grafen Adalbert gezwungen wird, fügt sie sich jedoch in ihr Schicksal, da dieser droht, ansonsten das Kloster zu zerstören. Nachdem er Feuer gelegt hat, kann Sophia in der allgemeinen Verwirrung fliehen. Sie wird von Azo de Casale gerettet, jedoch von ihm nach Italien entführt. Auf der Reise kommt sie dem rauen Mann immer näher. Währenddessen hat auch Tuta mit ihren Gefühlen zu kämpfen. Sie muss sich mit Gerhard von Seeon auseinandersetzen, der auf Geheiß König Heinrichs II. das Grab der seligen Irmengard öffnen will …

    Denen, die Gott lieben,

    verwandelt er alles in Gutes.

    Auch ihre Irrwege und Fehler

    lässt Gott ihnen zum Guten werden.

    Augustinus von Hippo (354 – 430)

    Kapitel 1

    Kloster Frauenwörth, Chiemsee, Bayern

    im Jahr des Herrn 1003, Juni

    »Herrgott, steh uns bei«, flüsterte Äbtissin Tuta, als sie die Rufe vernahm. Die Vigil, das mitternächtliche Gebet zu Ehren Gottes, musste bald beginnen. In den langen Jahren, die sie bereits im Kloster lebte, hatte Tuta sich daran gewöhnt, nicht viel zu schlafen. Heute fühlte sie eine ungewöhnliche Müdigkeit.

    Irritiert blickte Tuta aus ihrer Äbtissinnenzelle. Das Stimmengewirr kam näher. Das verhieß nichts Gutes. Nachts lag für gewöhnlich eine friedliche Stille über der Insel. Die Fischer, die hier lebten, schliefen um diese Zeit.

    Da sie wegen der Hitze in Leibwäsche und Unterkleid geschlafen hatte und nicht, wie es die Ordensregel vorsah, komplett angezogen, legte sie hastig ihre langärmelige, aus dunklem Leinenstoff gefertigte Tunika an.

    Eilig gürtete sie ihre Taille, hängte die Kette mit dem goldenen Kreuz um ihren Hals und zog den Brustschleier aus hellem Leinen über ihren Kopf. Mit geübtem Griff schlang sie feine, weiße Stoffstreifen um ihr brünettes Haar, um die Stirn und das Kinn zu bedecken.

    Als sie erneut einen kurzen Blick aus der fensterlosen Öffnung warf, sah sie, dass um die äußeren Klostermauern Männer standen. Sie hielten Fackeln in den Händen. Der Schein des Feuers und die düster aussehenden Gestalten wirkten bedrohlich. »Bitte, Himmelvater, hilf deinen treuen Dienerinnen!«, flehte die Äbtissin leise und bekreuzigte sich. Tuta griff nach der Kerze, die ein fahles, flackerndes Licht spendete. Sie verließ ihre Zelle und traf in dem halbdunklen Gang auf Schwester Elisabeth.

    »Hast du den Lärm gehört, meine Tochter?«, fragte die Äbtissin.

    Elisabeth blickte sie verwundert an und nickte stumm.

    Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang sprachen die Nonnen kein Wort, sondern regelten ihre Verständigung mit Handzeichen. Durch Anordnung der Äbtissin konnte das Schweigegebot aufgehoben werden. Das erschien Tuta in diesem Fall angebracht, und sie sagte zu Elisabeth: »Ich erlaube dir zu sprechen, meine Tochter. Ist bereits Zeit für das Gebet?«

    »Noch nicht, ehrwürdige Mutter«, erwiderte Elisabeth.

    Tuta ordnete an: »Betätige sofort die Glocke, damit die Mitschwestern erwachen.«

    Elisabeth eilte davon.

    Schwester Lioba, die Priorin von Frauenwörth und Novizinnenmeisterin, kam hinzu und musterte Tuta mit unsicherem Blick. Die Äbtissin berichtete ihrer Stellvertreterin, was vorging, und bat: »Geh mit den Mitschwestern ins Refektorium. Das Schweigegebot für diese Nacht ist aufgehoben.«

    Lioba lief zum Dormitorium, dem Schlafsaal, in dem ihre Mitschwestern gemeinsam mit den Novizinnen Nachtruhe hielten. Anschließend würde sie die Mädchen wecken, deren Erziehung man dem Konvent anvertraut hatte.

    Die Äbtissin erschauerte, als sie hörte, wie gegen das massive Holztor des Klosters gehämmert wurde. »Heda, aufmachen!«, forderte eine barsche Männerstimme. »Sofort öffnen!«

    Erleichtert vernahm Tuta in diesem Augenblick das Geläut der Glocke.

    Erneut schallte die Stimme herauf: »Aufmachen! Sofort!«

    Tuta ging mit raschen Schritten zur Klostertüre, um die Pförtnerin zu unterstützen, die für den Einlass der Besucher verantwortlich war. Schwester Annuntiatas körperliche Kräfte hatten aufgrund ihres hohen Alters in letzter Zeit enorm nachgelassen.

    Es kamen nicht viele Besucher auf die Insel. Die Römerstraße führte am gegenüberliegenden Ufer entlang. Selten ließ sich ein Reisender übersetzen und klopfte an das Portal. Ab und zu kamen Pilger, die am Grab Irmengards ihre Fürbitten darbringen wollten.

    Schwester Annuntiata öffnete die schmale Klappe, die es ermöglichte, dass der Besucher die Augen seines Gegenübers sah. Tuta hörte Schwester Annuntiatas unwirschen Tadel: »Was lärmt Ihr mitten in der Nacht? Seid Ihr verrückt? Ihr befindet Euch auf heiligem Boden.«

    Gebieterisch donnerte eine Männerstimme: »Schau zuerst, wer Einlass begehrt, Weib, und rede danach!«

    Eine Fackel wurde an das Gesicht des Mannes gehalten.

    Annuntiata versuchte sich ihr Erschrecken nicht anmerken zu lassen: »Graf Adalbert von Almau! Verzeiht, gnädiger Herr, ich erkannte Euch nicht!«

    Tutas Herz schlug rascher. Schon als Kind hatte sie sich vor ihrem unberechenbaren und jähzornigen Bruder Adalbert gefürchtet. Die halblangen blonden Haare des großen, muskulösen Mannes standen wirr in alle Richtungen. Sein Gesicht war von einer langen Narbe verunstaltet, die von der Stirn quer über die Nase bis zum Kinn lief. Durch die Kampfeswunde, die von einem Messer herrührte, sah er grausam und brutal aus. Er galt als rücksichtslos, geizig und machtgierig.

    Adalbert herrschte Annuntiata an: »Öffne das Tor, ich will meine Schwester sprechen!«

    »Die ehrwürdige Mutter Tuta hat sich bereits zurückgezogen«, erwiderte diese, tapfer darum bemüht, sich von seinem rüden Ton nicht einschüchtern zu lassen.

    »Wecke sie auf! Denkst du, ich komme zu meinem Vergnügen mitten in der Nacht hierher?«

    Ich hoffe nicht, dachte Annuntiata. Als sie antworten wollte, trat Tuta zu ihr, zog sie vom Eingangstor weg und flüsterte: »Geh zu den anderen Frauen ins Refektorium!«

    Annuntiata versuchte, etwas zu erwidern, doch die Äbtissin legte ihren Zeigefinger auf die Lippen und flüsterte: »Geh rasch!«

    Tuta trat zur Besucherklappe und stellte sich auf die Zehenspitzen, um hindurchsehen zu können. Sie rief mit energischer Stimme: »Adalbert?«

    »Ah, Ihr seid noch wach!«, schnaubte er herrisch und fuhr betont zynisch fort: »Verehrte Äbtissin, öffnet das Tor! Der Sohn Eures edlen Unterstützers sowie seine Mannen bitten um Unterkunft.«

    Tuta runzelte unwillig die Stirn. Gleichzeitig dachte sie an die Regel, die Benedikt, der Ordensgründer, für die Aufnahme von Fremden aufgestellt hatte: »Alle ankommenden Gäste sollen wie Christus aufgenommen werden, denn er wird ja einmal sagen: ›Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich aufgenommen.‹ Allen soll man die ihnen zukommende Ehre erweisen, besonders den Glaubensgenossen und den Pilgern. Sobald ein Gast gemeldet ist, gehen ihm der Obere oder einige Brüder in allem Eifer und Liebe entgegen.«

    Vergib mir diese Sünde, Herr im Himmel, dachte Tuta. Es ist mir unmöglich, meinen Bruder zu lieben, nicht einmal gut leiden kann ich ihn. Ich bin nicht gewillt, ihn und seine Männer einzulassen.

    So freundlich wie möglich antwortete sie: »Adalbert, wie Ihr wisst, darf außer König Heinrich, dem Bischof und unseren Ordensbrüdern kein Mann den Kloster­bereich betreten. Ich lasse gerne für Eure Begleiter Speise und Trank hinausbringen.«

    Adalbert trat näher an das Klostertor und sagte mit halblauter, heiserer Stimme: »Frau Äbtissin, ich habe bedeutsame Nachricht, die ich sicher nicht vor dem Portal kundtun werde. Lasst mich eintreten! Meine Männer werden vor den Mauern warten.«

    Tuta atmete heftig. Mit Unbehagen dachte sie daran, ihn ins Besucherzimmer führen zu müssen.

    Vorsichtig öffnete die Äbtissin die schmale, in das Haupttor eingearbeitete Türe. Adalbert zwängte sich durch die Öffnung. Selbstgefällig und überheblich baute er sich vor seiner Schwester auf und maß sie mit eiskaltem Blick. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück.

    In den vergangenen Jahren hatte sie Adalbert nicht oft gesehen. Immer schon fühlte sie sich in seiner Gegenwart in höchstem Maße unwohl. Etwas Gefährliches ging von ihm aus. Doch in dieser Nacht spürte sie, dass ihr Bruder noch mehr Selbstherrlichkeit und Macht ausstrahlte als bisher. Ohne es erklären zu können, fühlte sie sich von ihm bedroht.

    »Nun, meine liebe Schwester, wollen wir hier am Eingang stehen bleiben, oder bittet Ihr mich weiter?«, fragte er mit erhobener Stimme.

    Sie zuckte zusammen und führte ihn in den Bereich neben der Pforte. Zwei Stühle und ein Tisch standen in der Mitte des Raumes. An der Wand hing ein großes, dunkelbraunes Kreuz, und die kleine Luke, die der Belüftung diente, war mit einem leichten Leinentuch verhängt. Das Zimmer wirkte düster und ungemütlich und machte keinen einladenden Eindruck.

    Tuta konnte sich nicht erklären, warum es ihrem Bruder gelang, sie derart aus der Fassung zu bringen.

    Während sie sich bemühte, ihr seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen, stand er breitbeinig da und ließ seinen Blick abschätzig durch die Kammer schweifen. Dann bemerkte er hämisch: »Welch vorbildliche klösterliche Einfachheit!«

    Verzagt dachte Tuta daran, was die Regel Benedikts zur Aufnahme von Gästen weiter anordnete: »Zuerst sollen sie miteinander beten und sich dann den Frieden bieten. Der Friedenskuss werde erst gegeben nach dem Gebete, wegen der Täuschungen des Teufels.«

    Um Himmels willen, überlegte sie, ihm den Friedenskuss geben?

    »Setzt Euch, Frau Äbtissin«, befahl er mit machtgewohnter Stimme.

    Tuta ärgerte sich über dieses ungebührliche Verhalten, doch eingedenk der Ordensregel erwiderte sie: »Wir wollen erst zusammen ein Gebet sprechen.«

    Adalbert zog eine Augenbraue nach oben und ließ sich mit mürrischem Gesichtsausdruck auf einen der Stühle fallen: »Wie konnte ich das vergessen«, seufzte er scheinheilig. »Fangt ruhig an zu beten, liebe Schwester.«

    Tuta stand mit undurchdringlicher Miene neben ihm.

    ›Fangt ruhig an zu beten!‹ – So wie er das betonte, hatte es wie eine Drohung geklungen. Schaudernd blickte sie auf das Kreuz, das auf der Längsseite des Raumes hing, und begann ein Paternoster zu sprechen. Adalbert stimmte murmelnd mit ein.

    Als sie geendet hatten, bot er ihr mit einem hämischen Grinsen seinen Handrücken dar. Als er ihr Zögern bemerkte, sah er ihr tief in die Augen und befahl: »Der Friedenskuss für Euren Lehnsherrn!«

    Tuta versuchte sich zu beherrschen und gelassen zu bleiben. Unter keinen Umständen würde sie ihm die Hand küssen. Was für ein unverschämtes Ansinnen, dachte sie und merkte, wie sie langsam wütend wurde. Was bildete sich Adalbert ein? Für sie als Äbtissin bestand die Verpflichtung zu einem Handkuss nur dem Bischof und dem König gegenüber.

    Adalbert streckte seine Hand aus, griff rasch nach Tuta und zog seine überraschte Schwester zu sich hinunter. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und äußerte gönnerhaft: »Ich komme in Frieden!«

    Das würde ich gerne glauben, dachte Tuta misstrauisch.

    Zögernd überwand sie sich, beugte sich zu ihm und küsste seine rechte Wange. Er lächelte herablassend.

    Wortlos ging sie auf die andere Seite des Tisches und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber: »Ihr spracht davon, der neue Lehnsherr zu sein?« Noch während sie die Frage stellte, dachte sie: Was für ein Unsinn! Er ist keineswegs mein Lehnsherr! Er weiß sehr wohl, dass die Benediktinerinnenabtei Frauenwörth ein Reichskloster und damit nur einem verpflichtet ist: dem König.

    Doch es war nicht zu übersehen, wie er seinen Auftritt genoss.

    »Ja, Lehnsherr«, bestätigte er mit salbungsvoller Stimme. »Unser hochgeschätzter Vater, Graf Gundolf, ist heute Morgen zu seinem Schöpfer heimgekehrt.«

    Trotz der stickigen Wärme, die in dem kleinen Raum herrschte, spürte Tuta, wie sich eine eisige Starre in ihr ausbreitete. Ihr Vater, den sie über alles liebte, der sie immer unterstützt und respektiert hatte, lebte nicht mehr? Er hatte das fünfzigste Lebensjahr schon überschritten, doch sein Tod kam überraschend.

    Vor ihr saß nun der neue Hausherr von Almau. Eitel, selbstgerecht, seine Freude und Genugtuung nicht verhehlend. Während Tuta die Tränen über die Wangen liefen, stieß sie mit erstickter Stimme hervor: »An was ist denn unser Vater so unverhofft gestorben?«

    Adalbert seufzte, rückte an den Tisch heran und beugte sich zu Tuta: »Er hat etwas gegessen, das ihm nicht so gut bekam.« Dann schwieg er. Sein Mund verzog sich zu einem boshaften Grinsen. Mit Befriedigung betrachtete er seine weinende Schwester, die niedergeschlagen auf ihrem Stuhl zusammensank.

    Vaters Liebling, dachte er verächtlich. »Trauert Ihr um den Vater oder um die Pfründe, die Ihr verlieren werdet?«, erkundigte er sich nach einer Weile.

    Fassungslos blickte sie ihn an und schluchzte: »Wodurch seid Ihr zu so einem gefühllosen, grausamen Mann geworden, Adalbert?«

    Statt ihr eine Antwort zu geben, erhob er sich. »Ich will Eure klösterliche Ruhe nicht länger stören.«

    Als er die Erleichterung in ihrem Gesicht sah, fuhr er fort: »Lasst meinen Mannen Trunk und Speise reichen! Mir holt das Fräulein Sophia von Schweinfurt. Sie wird meine Gemahlin werden und sofort mit mir kommen.«

    Der Äbtissin gelang es kaum, ihr Entsetzen zu ver­bergen. »Muss nicht Sophias Bruder, Hezilo von Schweinfurt, gefragt werden?«

    Schroff fuhr Adalbert sie an: »Was mischt Ihr Euch in Männerhändel ein? Gewiss ist Hezilo einverstanden, oder glaubt Ihr, ich habe es nötig, mir eine Frau zu rauben?«

    »Nein, das wollte ich nicht unterstellen«, erwiderte Tuta hastig. Dabei traute sie ihm eine solche Aktion durchaus zu. »Dennoch entspricht Euer Vorgehen nicht den üblichen Gepflogenheiten«, fuhr sie fort.

    Er streckte sich: »Na ja, was man so hört, scheint Fräulein Sophia ein bisschen sonderbar zu sein. Wenn nicht gar verrückt! Da ich um ihre Schönheit weiß, stört mich das aber nicht.«

    Adalbert verschwieg seiner Schwester, dass es nicht nur Sophias Liebreiz war, der ihn magisch anzog. Sicherlich hatte er sich oft vorgestellt, wie es wäre, wenn die anmutige, zarte Sophia mit ihm das Lager teilte. Aber die stattliche Mitgift, die Hezilo bereitstellte, gefiel Adalbert ebenso. Und auch der gesellschaftliche Aufstieg, der mit dieser Ehe verbunden wäre. Den Bund, den er mit Hezilo geschlossen hatte, um mit ihm einen Aufstand gegen König Heinrich zu entfachen, erwähnte er Tuta gegen­über nicht.

    »Aus welchem Grund erreichte mich keine Nachricht von Graf Hezilo? Wieso kommt er nicht persönlich, um seine Schwester dem Bräutigam zu übergeben?«

    »Er hat dem König Heeresfolge zu leisten, meine liebe Schwester. Genug gesprochen jetzt, holt mir meine Braut!«

    Unsicher darüber, ob ihr Bruder die Wahrheit sagte, wollte Tuta zunächst einmal Zeit gewinnen und schlug daher vor: »Wollt Ihr mit Euren Getreuen nicht ein Nachtlager aufschlagen? Mit Sicherheit ist es für Sophia viel angenehmer, bei Tag zu reisen.«

    Energisch schüttelte er den Kopf und fauchte: »Bemüht Euch nicht, ich möchte sofort zur Burg Almau zurückkehren. Für einen bedeutenden Mann wie unseren Vater gilt es eine würdige Abschiedsfeier vorzubereiten. Da will ich meine Braut an meiner Seite wissen.«

    Tuta stand auf und ging zur Tür. »Ich hole Sophia«, flüsterte sie, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.

    Als sie den Raum verließ, rief er ihr nach: »Ich will sofort aufbrechen! Beeilt Euch!«

    Nachdem Tuta den Raum verlassen hatte, sprang Adalbert vom Stuhl auf. Die erwartungsvolle Erregung, die ihn erfasst hatte, zwang ihn, unruhig in der Kammer auf und ab zu gehen. »Weiber«, schnaubte er verächtlich.

    Er dachte an jenen Tag zurück, an dem ihm der Vater stolz mitgeteilt hatte, dass seine geliebte Tochter als Äbtissin von Frauenwörth eingesetzt werden sollte. »Adalbert, was für eine Ehre für das Haus Almau! Deine Schwester wird Äbtissin von Frauenwörth! Ich muss sofort damit beginnen, die Aussteuer für ihre Erhebungsfeier anzuschaffen.«

    »Ja, welche Auszeichnung«, heuchelte Adalbert und dachte misslaunig an die Kosten, die diese neue Position unweigerlich mit sich bringen würde.

    »Was meinst du, es ist doch angemessen, ihr den Nießbrauch von Oberbuchberg zu überschreiben, oder?«

    »Oberbuchberg?«, echote Adalbert. »Ein stattliches Gut! Ist das nicht zu viel? Es gibt jedes Jahr üppigen Ertrag.«

    »Genau deswegen, Adalbert!«

    Dem Sohn blieb nichts anderes übrig, als seinen Ärger hinunterzuschlucken.

    »Wie kam König Otto dazu, meine Schwester zur Äbtissin zu berufen?«, fragte er stattdessen, um weiterhin Interesse vorzutäuschen.

    »Ich denke, dass Herzog Heinrich von Bayern seine Hand im Spiel hatte und eine entsprechende Empfehlung aussprach. Immerhin kennt er Euch beide von Kindes­beinen an.«

    »Das ist gut möglich«, sagte Adalbert.

    »Wie auch immer«, fuhr der Vater fort. »Schick gleich den Verwalter zu mir, er muss die besten Handwerker auf die Burg holen.«

    Für die Feierlichkeiten zur Erhebung Tutas hatte man bewusst den 16. Juli gewählt, den Todestag der so innig verehrten Irmengard. Spöttisch hatte Adalbert seinen Vater gefragt: »Aus welchem Grund huldigt man der ehemaligen Äbtissin Irmengard?«

    »Mein Sohn, sie entstammt königlichem Geblüt«, antwortete der Vater. »Eine Tochter von Ludwig dem Deutschen und Urenkelin von Karl dem Großen. Sie ist 866 gestorben.«

    »Da blieb viel Zeit, um Legenden zu erfinden!«, entgegnete Adalbert spöttisch.

    Sein Vater gab zu bedenken, dass Irmengard bereits zu Lebzeiten als heilige Frau Verehrung entgegengebracht wurde. »Während sie Frauenwörth als Äbtissin vorstand, gab es durch ihre Wohltätigkeit im Chiemgau keine Armen. Sie verfügte wohl auch über besondere Heilkräfte. Wenn deine Schwester an diesem Tag ihre Weihe empfängt, steht sie in höchstem Maße unter dem Schutz Irmengards.«

    »Das verstehe ich«, heuchelte Adalbert. Insgeheim tat er es aber als abergläubischen Unsinn ab.

    Der neue Herr von Almau blieb ruckartig stehen, als könne er auf diese Weise gleichzeitig den Lauf seiner Gedanken anhalten. »Ab sofort ist Schluss mit der großzügigen Unterstützung Frauenwörths«, brummte er. »Im Gegensatz zu meinem Vater und dem König glaube ich nicht, dass die Gebete von Nonnen mein Leben und mein Sterben günstig beeinflussen.«

    Wo blieb Tuta? Energisch riss er die Türe auf, spähte in den Klosterhof, den er menschenleer vorfand. »Geduld, Adalbert, hab Geduld!«, ermahnte er sich.

    Eine unbändige Freude stieg in ihm auf. Ab sofort ging alles nach seinem Willen. Er herrschte jetzt über weite Teile des Chiemgaus. Endlich konnte er handeln, wie es ihm beliebte, und brauchte nicht mehr das Einverständnis des Vaters. Schon länger plante er zusammen mit Markgraf Hezilo von Schweinfurt, gegen den König aufzubegehren. In ihren Augen hatte er Versprechen nicht eingehalten, die er bei seiner Königswahl gegeben hatte. Jetzt würden sie bald zur Tat schreiten. Als Gegenleistung für seine Waffenhilfe hatte Adalbert die Heirat mit Sophia gefordert und zu seiner Überraschung die sofortige Zustimmung Hezilos erhalten.

    »Eine der schönsten Frauen des Reiches wird bald in meinen Armen liegen«, murmelte er. »Dann habe ich alles erreicht, was ich mir ersehnte und erträumte.«

    Auf dem Weg zum Refektorium versuchte Tuta, ihren zitternden Körper unter Kontrolle zu bekommen. Ein heftiger Schwindel erfasste sie und zwang sie, stehen zu bleiben. Ihr Vater gestorben, im schlimmsten Fall von ihrem Bruder vergiftet. Sophia gezwungen, das Kloster zu verlassen. Und das alles vollkommen unerwartet! Schluchzend wisperte sie: »Bitte, Irmengard, hilf!« Dann begann sie zu murmeln: »Pater noster, qui es in caelis …«

    Nachdem sie das Vaterunser zu Ende gebetet hatte, fühlte sie sich ruhiger. Mit einem Blick nach oben sagte sie halblaut: »Dein Wille geschehe, Herr!« Es fiel ihr jedoch schwer, in dieser Situation Gottes Willen ohne Aufbegehren anzunehmen.

    Einige hohe Herren des Reiches hatten ihre Töchter unter den Schutz des Klosters gestellt. Im abgelegenen Inselkloster wuchsen die Mädchen geschützt vor aufdringlichen Verehrern auf. Gut vorbereitet durch eine exzellente Erziehung übergab man sie ihrem Bräutigam, sobald sie das heiratsfähige Alter erreichten.

    Derzeit hielten sich vier junge Damen zur Ausbildung im Kloster auf: Sophia von Schweinfurt, Gisela und Gundred von Hetzenstein und Mechthild von Meckenburg. Sie residierten in schön ausgestatteten, komfortablen Zimmern. Einbezogen in den Tagesablauf des Konvents sollten sie, wie die Nonnen, Mildtätigkeit, Demut und Schweigen üben. Ihr Leben bestand aus einem stetigen Wechsel zwischen Gebet und Arbeit, ganz im Sinne des heiligen Benedikt von Nursia.

    »Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden«, hatte dieser in den Ordensregeln festgelegt. Eingedenk dessen sang man vor dem Morgengrauen die biblischen Psalmen. Kurz nach Sonnenaufgang wurde die heilige Messe gelesen. Die sogenannte Gebetsmeinung umfasste Fürbitten für den König, den Herzog und alle Unterstützer des Klosters. Für das Seelenheil anderer Menschen zu beten galt als unverzichtbare Aufgabe der Nonnen.

    Im Anschluss an die Messe gab es für die Ordensfrauen im Refektorium eine kleine Schale warmer Mandelmilch, manchmal auch Hafergrütze. Während der Arbeitszeit, die gleich im Anschluss begann, wurde nur das Notwendigste gesprochen.

    Auch am Mittag, wenn die Sonne hoch am Himmel stand, traf man sich zum Gebet. Schweigend nahm man das einfache Mittagessen ein, eine der Schwestern las aus einem geistlichen Werk. Nach einer kurzen Ruhepause ging es wieder an die Arbeit.

    Sobald die Sonne unterging, stimmten die Schwestern Gesänge zur Ehre Gottes an. Nach dem Abendessen folgte die Zeit des Schweigens, der Stille, der inneren Einkehr. Nach Einbruch der Dunkelheit trugen die Frauen ein Dankgebet vor, baten Gott um eine gute Nacht und legten sich im Schlafsaal zur Ruhe. Gegen Mitternacht rief die Glocke erneut zur Versammlung, damit sie die Lobpreisungen anstimmen konnten.

    Tuta umklammerte den Rosenkranz, den sie in der eingearbeiteten Tasche ihres Unterkleides trug. Weiße Perlen hatte ein Goldschmiedemeister mit feinen Goldkettchen verbunden. Die filigrane Arbeit endete mit einem goldenen Kreuz, in dessen Mitte ein Rubin eingelassen war. Sobald Tuta den Rosenkranz in Händen hielt, dachte sie an die Worte des Vaters, als er ihr das wertvolle Geschenk anlässlich ihrer Äbtissinnenweihe überreichte: »Das Gold soll für die Beständigkeit zwischen dir und Gott stehen, damit dich das Vertrauen niemals verlässt. Der rote Stein symbolisiert das Herzblut, das dich mit deinem Schöpfer verbindet.«

    »Bitte, Gott, wieso schickst du mir so eine Prüfung?«, wisperte Tuta. »Gib mir die passenden Worte, Herr!«, flehte sie. Entschlossen schritt sie durch die Tür, die zum Refektorium führte. Sie rang um Fassung, als sie sagte: »Meine lieben Töchter, mein Bruder Adalbert brachte mir soeben die Nachricht, dass mein Vater in Gottes ewigen Frieden eingegangen ist.«

    Sie konnte nicht verhindern, dass Tränen über ihre Wangen liefen. Die bedauernden Worte der Mitschwestern taten ihrer Seele wohl. Sie hörte die Gebete, die man sofort zu sprechen begann. Jetzt fiel ihr Blick auf Sophia, die mit versteinertem, kreidebleichem Gesicht und geschlossenen Augen auf einem Stuhl kauerte.

    An ihre Mitschwestern gewandt bat Tuta: »Bitte geht in die Kirche und betet für die Seele des lieben Verstorbenen! Schließt die Türen und bleibt dort, bis ich zu euch komme!«

    Nach und nach verließen die Frauen den Raum. Sophia blieb reglos sitzen. Als Tuta mit ihr alleine war, sagte Sophia in die entstandene Stille hinein: »Ich werde keinesfalls mit ihm gehen!« Sie öffnete ihre blauen Augen und blickte die Äbtissin direkt an.

    Tuta nahm vorsichtig Sophias Hand und streichelte sie sanft. »Liebes Kind, hattest du wieder eine Vision?«

    Sophia nickte und starrte zu Boden. »Ja«, wisperte sie. »Wie immer wurde es vollkommen still um mich herum, und ein grellweißes Licht erschien mitten am Tag. Da sah ich einen Mann und erhielt die Botschaft, dass ich ihm folgen müsse.«

    »Es ist mein Bruder Adalbert«, offenbarte Tuta.

    »Adalbert?«, entgegnete Sophia entsetzt. »Als ich ihn das letzte Mal sah, hatte er keine Narbe.«

    »Wann bist du ihm begegnet?«, fragte Tuta erstaunt.

    Sophia hob ihren Blick und schaute die Äbtissin ver­legen an. »Kurz nach meinem elften Geburtstag. Als unser bairischer Herzog Heinrich in seinem Amt bestätigt wurde, gab es an seinem Hof in Regensburg ein glanzvolles Fest. Mein Bruder Hezilo ließ mich von Frauenwörth holen. Diesen entsetzlichen Abend werde ich nie vergessen.«

    »Willst du mir erzählen, was geschah?«, fragte die Äbtissin.

    »Ich fühlte mich unwohl, die Hofgesellschaft und die Gäste starrten mich neugierig an. In dem pracht­vollen Kleid, das ich tragen musste, bekam ich kaum Luft. Ich trat vor die Türe, bemerkte aber nicht, dass mir Graf Adalbert folgte.«

    »Und dann?«, fragte Tuta sanft.

    »Ehrwürdige Frau Äbtissin, er ist Euer Bruder, ich weiß nicht, ob ich …«

    Sie verstummte, und Tuta strich ihr aufmunternd über die Schulter. »Was tat er, liebes Kind?«

    Schamvoll wisperte Sophia: »Er packte mich und gab mir einen Kuss auf die Lippen. Sein Atem roch nach Wein. Er sagte, dass es für ein reizendes Mädchen gefährlich sei, ohne männlichen Schutz zu sein. Zum Glück kamen Damen der Hofgesellschaft vorbei, und er zog sich zurück.«

    Tuta schüttelte betroffen den Kopf und wagte beinahe nicht zu sagen, was sie der Gräfin zu verkünden hatte: »Mein Bruder möchte, dass du mit ihm gehst. Graf Hezilo gab ihm die Zusage, dass er dich als Ehefrau heimführen darf.«

    »Hezilo?«, hauchte Sophia entsetzt.

    »Ja«, erwiderte Tuta. »Du weißt, dass es das Recht der Männer ist, über unser Leben zu bestimmen.«

    Tuta sah Sophias unglückliche Miene und die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Mitleid mit dem Schicksal dieses Mädchens überkam sie. Dennoch würde sie ihr nicht helfen können. Sie hatte keine Möglichkeit, sich Adalberts Begehren zu widersetzen.

    Sophia sagte trotzig: »Ich will keinen Mann, ich will hier im Kloster bleiben!«

    »Wir wissen beide, dass dein Bruder nicht bereit ist, dich als Nonne im Kloster zu lassen. Erinnerst du dich, was unser Ordensgründer Benedikt über den Gehorsam schrieb?«

    Sophia nickte und antwortete: »Die höchste Stufe der Demut ist der Gehorsam ohne Verzug.«

    Tuta nickte zustimmend, doch Sophia brauste auf: »Ich will Gott gehorchen, aber keinem Ehemann.«

    Tuta seufzte: »Sophia, nimm es als Gottes Willen hin, dass Hezilo diesen Ehemann für dich erwählt hat. Zieh dir ein schönes Kleid an und komm dann zum Besucherzimmer.«

    Sophia sank auf die Knie und flehte: »Bitte, könnt Ihr mir nicht helfen?«

    Tief bewegt über ihre Worte sagte Tuta: »Sophia, glaub mir, es fällt mir schwer, dich gehen zu lassen. Doch wir wussten, dass es eines Tages geschehen würde. Du hast viele Menschen von ihren Krankheiten geheilt, es wird schwer, ohne dich zurechtzukommen.«

    »Nicht ich, Gott wirkte durch mich, ehrwürdige Frau Äbtissin. Vielleicht ist es wirklich Gottes Wille, dass ich Adalberts Ehefrau werde. Bitte segnet mich, bevor ich diesen Ort verlassen muss, an dem ich so viel Glück fand.«

    In diesem Moment wurde es Tuta erst voll bewusst, dass sie Sophia verlieren würde. Insgeheim hatte sie gehofft, dass Hezilo eines Tages dem Wunsch seiner Schwester entsprechen und sie für immer im Kloster lassen würde. Seit acht Jahren lebte Sophia hier. Die Entscheidung, das Mädchen an Adalbert zu geben, konnte Tuta nicht nachvollziehen.

    Tuta seufzte tief und half der knienden Sophia mit einer liebevollen Geste aufzustehen.

    Die Äbtissin nahm das wertvolle Geschenk des Vaters, ihren Rosenkranz, und legte ihn um Sophias Hals.

    Wieso ausgerechnet Sophia, Allmächtiger?, dachte sie verzweifelt. Wie eine leibliche Schwester ist sie für mich, es gibt keine Frau, die ich lieber habe als sie. Willst du sie mir tatsächlich nehmen? Sei barmherzig mit mir!

    Mit brüchiger Stimme betete sie: »Es segne dich der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Der gütige Gott gewähre dir Schutz und bleibe bei dir alle Tage, bis ans Ende der Welt.« Sie machte ein Kreuzzeichen über dem Kopf und dem Oberkörper Sophias.

    »Adalbert wartet«, sagte sie dann. »Komm ins Be­sucherzimmer, wenn du bereit bist!«

    Rasch wandte sie sich ab und

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