Die bedeutendsten Maler der Alten Zeit
Von Norbert Wolf
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Buchvorschau
Die bedeutendsten Maler der Alten Zeit - Norbert Wolf
EINFÜHRUNG
Der amerikanische Schriftsteller und Europa-Tourist Mark Twain mochte sie nicht, die ins Pantheon abendländischer Kultur entrückten Künstler, wie er 1869 schrieb. Er verurteilte sie als Fürstenknechte und ihre Arbeiten als devote Ergüsse: »Und wer malte dieses Zeug? Je nun, Tizian, Tintoretto, Paul Veronese, Rafael […]«. Gewiss, ihre Bilder sind schön, »aber ich fahre fort, gegen den sklavischen Geist zu protestieren, der diese Meister zu bereden wusste, ihre edlen Gaben mit Schmeichelei gegen solche Ungeheuer zu prostituieren, wie die französischen, venezianischen und florentinischen Fürsten vor zwei- oder dreihundert Jahren allesamt waren.« Und der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard ätzt in seiner 1985 erschienenen Komödie Alte Meister: »Sie malten doch immer eine […] geheuchelte Welt, für die sie sich Geld und Ruhm erhofften; alle haben sie nur in dieser Hinsicht gemalt, aus Geldsucht und aus Ruhmsucht […] Jeder auch noch so geniale Pinselstrich dieser sogenannten Alten Meister ist eine Lüge […].«
In derart galligen Invektiven schwingt, abgesehen von der Kritik am »affirmativen Charakter« einer sich in den Dienst der Oberschicht stellenden Kunst, noch ein ganz anderer Unterton mit: die Frage nämlich, warum überhaupt die Kunstgeschichte bestimmte Künstler, bestimmte Maler, zu Genies erklärt hat; welche »undurchsichtigen« Kriterien dafür verantwortlich waren, sie in den »Himmel« der Kunst zu heben.
Gewiss: Ihre Bilder sind schön, dessen waren sich auch Mark Twain und Thomas Bernhard bewusst. Und hatten ihre Bilder einmal den kanonischen, den »klassischen« Status erreicht, dann stand der Apotheose ihrer Schöpfer nichts mehr im Wege (vereinzelte Stimmen ausgenommen). Nicht immer freilich verlief der Weg zum Olymp bruch- und reibungslos, doch am Ende bewirkte er meist, dass die (in aller Regel ja auch berechtigte) »Promotion« der Alten Meister seitens der Fachleute eine fraglose Bewunderung seitens des breiteren Publikums nach sich zog. Jener Frag-losigkeit wirkt der vorliegende Band entgegen, indem er die Kriterien herausstellt, die innerhalb der Parameter westlicher Kunst die überragende »Größe« der ausgewählten Künstler konstituieren.
Die bedeutendsten Maler der Alten Zeit – 60 Namen, vom europäischen Mittelalter bis zum Ende des Rokoko. Ein solches Unterfangen muss sich über die Grenzen klar sein, an die es unweigerlich stößt. Das beginnt schon beim Kapitelumfang, will man das Buch in einem überschaubaren Rahmen halten. Auf jeden Maler können in diesem einbändigen Werk nur wenige Seiten entfallen. Doch der Autor und der Verlag begreifen das als »fruchtbaren Zwang«, direkt zur Kernfrage vorzudringen: eben der nach der Genialität der »Meister«.
Stilgeschichte wird bei all dem kaum eine Rolle spielen (als Leitfaden – nicht mehr und nicht weniger – ist allerdings ein entsprechender Überblick vorausgeschickt), ebensowenig die übliche Künstlerbiographie. Kommentierte Literaturangaben und ein Künstlerregister ermöglichen freilich auch den Zugang zu solchen Bereichen. Bewusst ist auf Bebilderung verzichtet. Denn die Frage nach der fundamentalen Bedeutung der ausgewählten Maler wird in der Regel nicht durch die vereinzelte Bildanalyse, sondern übergreifend beantwortet. Verlag und Autor wenden sich also an jene Leser, die nach wie vor auf die Transparenz des geschriebenen Wortes vertrauen und sich nicht mit dem Durchblättern bunter Bilderbücher zufriedengeben.
Die eklatanteste Schwierigkeit des Projektes lag aber zweifellos in der Auswahl der Künstler. Sicher, Namen wie Giotto, Leonardo, Dürer, Rubens, Rembrandt und viele andere mehr warfen keinerlei Probleme auf. Hinsichtlich des einen oder anderen Künstlers jedoch, den ich trotz eines vielleicht geringeren Bekanntheitsgrades in meine Liste aufgenommen habe, vor allem aber hinsichtlich der Maler, die ich ausgeklammert habe, wird sicher manche Leser-Erwartung enttäuscht werden. Subjektive Auswahlkriterien waren wohl nicht ganz zu vermeiden. Im Grunde hätte ich begründen müssen, warum bestimmte Namen in meiner Synopse nicht erscheinen – doch das wäre ein Buch für sich geworden; viele Maler, die es nicht bis zum Hauptdarsteller »geschafft« haben, tauchen aber wenigstens im Register auf, wo auch ihre Lebensdaten zu finden sind.
Ich hoffe dennoch, mit diesem Überblick dem Leser einen Kanon der größten Meister und eine nachvollziehbare Begründung für deren künstlerische Größe an die Hand zu geben.
VOM MITTELALTER BIS ZUM ENDE DES ROKOKO.
EIN STILGESCHICHTLICHER LEITFADEN
DAS MITTELALTER
Kaisertum und Papsttum, Heiliges Römisches Reich und moderne Nationalstaaten, der feudalistische Adel und das selbstbewusste Bürgertum der Städte, der traditionelle Klerus und die neuen Bettelorden des 13. Jahrhunderts, Ritter, Kreuzfahrer, diesseitsorientierte Händler und Bankiers, ökonomischer, technologischer und wissenschaftlicher Aufschwung auf der einen, Aberglaube, Inquisition, fürchterliche Pestepidemien auf der anderen Seite – das sind nur wenige Stichworte für das bunte und kontroverse Spektrum, das diese Epoche charakterisierte und auf die Kunst einwirkte. Das Mittelalter war nicht einfach nur »finster«, es war daneben aufgeklärt, tolerant und innovativ – nicht umsonst wachsen aus ihm im 15. Jahrhundert die Entdeckungsreisen und die Gestalt eines Kolumbus, aber auch der Buchdruck eines Gutenberg heraus, Personen und Phänomene, mit denen die Historiker die Neuzeit beginnen lassen. Und auch zur Reformation eines Martin Luther, die zu den entscheidenden Kriterien der Neuzeit zählt, hat das Mittelalter die Vorbedingungen geschaffen.
FRÜHMITTELALTER (8.–11. JAHRHUNDERT)
Die vage klingende Klassifikation »Frühmittelalter« bzw. »frühmittelalterliche Kunst« bezieht ihre Berechtigung daraus, dass die beiden oft an ihrer Stelle genannten Stile des Karolingischen und des Ottonischen an den dynastischen Verhältnissen und an den Phänomenen im Heiligen Römischen Reich orientiert sind und deshalb wichtigen Kunstäußerungen in anderen Gegenden des Abendlandes nicht gerecht werden. Zu letzteren gehört beispielsweise die irisch-angelsächsische (»insulare«) Kunst. Herausragende Kunstleistungen sind die berühmten Werke der Buchmalerei, deren bedeutendste Schöpfungen vom späten 7. Jahrhundert bis in die Jahre um 800 reichen. Auch in Spanien blühte ein ganz eigener, unverwechselbarer Stil, der mozarabische, der eine maurisch geprägte christliche Kunst und Architektur im 10. und 11. Jahrhundert in den ehemals arabisch besetzten Gebieten dominierte.
Die karolingische Kunst konzentriert sich auf die Kunst des fränkischen Reiches (also die Kernlande des späteren Frankreich und des Heiligen Römischen Reiches) während der Regierungszeit der Karolinger. Das heißt sie begann um die Mitte des 8. Jahrhunderts und endete im ostfränkischen Reichsteil im frühen 9. Jahrhundert, im westfränkischen erst im ausgehenden 10 Jahrhundert. Das kulturelle Leben der karolingischen Zeit war geprägt durch den von Karl dem Großen (742–814) in Konkurrenz gegen Byzanz entwickelten Anspruch der »renovatio« (»Erneuerung«) des römischen Imperiums, der in der sogenannten »karolingischen Renaissance« Ausdruck fand, in dem Bemühen, Anschluss an die repräsentative spätantike und frühchristliche Kunst Italiens zu finden. Zugleich band die christliche Kirche das Abendland universal zusammen. Sie erzeugte eine abendländische Kulturgemeinschaft, in der ein reger Gedanken- und Formenaustausch zu einer kaum überschaubaren Vielgestaltigkeit führte. Nirgends zeigt sich dies wohl deutlicher als in der herrlichen karolingischen Buchmalerei und Elfenbeinschnitzerei. Die Miniaturenkunst kulminierte in der Hof- und Palastschule und Werken wie dem Wiener Krönungsevangeliar (Wien, Schatzkammer) um 800. Einige erhaltene Wandmalereien, Mosaiken, Fragmente von Glasmalereien sowie wunderbare Zeugnisse der Goldschmiede- und kirchlichen Schatzkunst fügen sich zu einem bunten und kostbaren Gesamtbild damaliger Kunst – auch wenn man berücksichtigen muss, dass diese auf Klöster und einige urbane Zentren in einem ansonsten von Wildnis und von einem heidnischen Umfeld beherrschten Europa beschränkt blieb.
In der Kirchenarchitektur wurde der Typus der frühchristlichen Basilika maßgebend, wenn auch um doppelchörige Anlagen und Westwerke bereichert (Centula, Corvey usw.); zusätzlich spielte der Zentralbau eine Rolle. Letzterer ist unter anderem vertreten durch das herrlichste, in vielem noch original erhaltene Bauwerk karolingischer Zeit, die Aachener Pfalzkapelle (um 800 geweiht). Ihre Bronzetüren und Emporengitter dokumentieren im Übrigen, dass man damals auch auf dem Feld der Gusstechnik wieder an die Erfahrung der Antike anzuknüpfen suchte.
Die Zeit der politischen Reorganisation des Reiches unter den sächsischen Herrschern im Heiligen Römischen Reich bezeichnet man als »Ottonik« (919–1024), gelegentlich klassifiziert man auch die unter den ersten salischen Herrschern bis gegen 1056 entstandenen Werke als »spätottonisch«. In anderen Regionen Europas entspricht die Phase ab circa 1000 der Frühromanik. In der Ottonik lag das kulturelle Schwergewicht auf dem kaiserlichen Stammland Sachsen. Aber auch Köln, Essen, Fulda, Trier, Regensburg, Salzburg, die Reichenau und andere Produktionszentren spielten eine herausragende Rolle. In ihnen allen machte sich ein beträchtlicher byzantinischer Einfluss bemerkbar. Zu Meisterleistungen der Kirchenarchitektur trat eine Bildhauerkunst, die die ersten selbständigen Kultbilder (Essener Madonna, Gero-Kreuz in Köln usw.) und mit der Tür des Hildesheimer Doms ein Glanzstück des Bronzegusses hervorbrachte. Elfenbeinschnitzereien, Reliquiare, Buchdeckel, Antependien usw. und nicht zuletzt die deutsche Reichskrone belegen das künstlerische Vermögen dieser Zeit. Der wichtigste Zweig der ottonischen Kunst aber war zweifellos die Buchmalerei, vertreten insbesondere durch die exorbitanten, auf der Reichenau entstandenen liturgischen Handschriften um 1000.
ROMANIK (UM 1000–UM 1200)
Der Begriff »Romanik« wurde im 19. Jahrhundert auf eine Epoche angewandt, deren Anfänge etwa in den Jahrzehnten um 1000 liegen und die später von der Gotik abgelöst werden wird: in Frankreich, was die Skulptur und Architektur betrifft, bereits um 1140/45, in Deutschland erst in einer Übergangsphase des frühen 13. Jahrhunderts. Hier war die Romanik auf die ottonische Kunst gefolgt und hatte mit der Herrschaft der Salier (ab 1024; »salische Kunst«) eingesetzt (zum Beispiel der Dom von Speyer).
Die Romanik bedeutete eine Synthese und einen Neubeginn zugleich. Sie fasste die diversen Strömungen des Frühmittelalters zusammen und verarbeitete sie zu einer eigenen, oft auch monumentalen Sprache, die freilich in viele »Dialekte« gegliedert war, entsprechend den nationalen Besonderheiten, die sich nun vermehrt herauszukristallisieren begannen. Die klösterlichen Reformbewegungen, die großen Pilgerfahrten und Kreuzzüge, die machtpolitische, aber auch geistig-ideologische Auseinandersetzung zwischen Papsttum und Kaisergewalt – all das stand für die leidenschaftliche religiöse Aktivität, die in unerhörter Intensität alle sozialen Schichten erfasste. Deshalb war das Sakralgebäude und seine Monumentalisierung das absolute Hauptanliegen der Epoche. Die romanische Bauplastik leistete mit der Kapitellskulptur und vor allem den Tympanonreliefs über den Portalen ihr Bestes und fand nicht zuletzt entlang der Pilgerstraßen von Frankreich ins nordwestspanische Santiago de Compostela ein unerschöpfliches Betätigungsfeld. Die Ausstattung der Kirchen reicherte sich um unzählige Objekte an, besonders die Goldschmiede- und Metallkunst entfaltete in liturgischem Gerät und Reliquiaren ein Höchstmaß luxuriöser und künstlerischer Leistungskraft. Ein neues Verständnis für die Plastizität des Körperlichen, die sich auch in diesem Medium zunehmend erweist, führte in der Freiskulptur zum ersten profanen freistehenden Monumentaldenkmal der Kunstgeschichte, zum Braunschweiger Löwen, 1166. In der romanischen Malerei war in allen Ländern die monumentale Wandmalerei vorherrschend (in Italien hielt man stattdessen vielerorts am Mosaik fest), Tafelmalerei in Form von Antependien und Retabeln ist erst aus dem 12. Jahrhundert erhalten. Die Buchmalerei blühte weiter, figürlich geschmückte Wandteppiche (Teppich von Bayeux, um 1070) erhielten zum Teil riesiges Format, und auch die Glasmalerei eroberte immer größere Dimensionen (Augsburger Prophetenfenster, um 1130).
GOTIK (UM 1140/45–UM 1500)
Als Ursprungsland des gotischen Stils gilt das französische Kronland, die Île-de-France. Im Lauf der Jahrhunderte und von Land zu Land schälten sich schließlich derart viele stilistische Unterschiede heraus, dass letztlich nur noch eine Form als übergreifende Stilkategorie übrigzubleiben scheint, der Spitzbogen: das Resultat einer innovativen Baukonstruktion, die keinerlei Gemeinsamkeiten mehr mit irgendwelchen antiken Vorbildern oder Regeln besitzt (weshalb die »Gotik« für italienische Renaissancetheoretiker auch der »antiklassische« Stil schlechthin war). Aus dem Spitzbogen wachsen noch die kompliziertesten Gewölbe und Maßwerkformen des 15. Jahrhunderts hervor, und er beherrscht als ornamentales und gliederndes Prinzip auch die gotisch-lineare Formensprache anderer Kunstzweige.
Die spezifische Bautechnik, die einen Großteil der statischen Elemente als Strebewerk nach außen verlagerte und im Inneren zu einer Skelettbauweise (das Kreuzrippengewölbe durch Dienste und Pfeiler abgestützt, die Wände dazwischen als nichttragende »Füllwände«) führte, ermöglichte eine »Lichtarchitektur«, in der die farbigen Glasfenster eine überragende Rolle spielen. Deutschland und Italien nahmen die Gotik nur zögernd und verspätet auf.
Die Plastik blieb in der Gotik nach wie vor meist mit der Architektur verbunden und entfaltete sich an Portalen usw. zu teilweise riesigen Programmen, wie Frankreich vorexerzierte. Deutschland bot herausragende Beispiele der hochgotischen Plastik (Straßburg, Magdeburg, Bamberg, Naumburg usw.), aber auch solche der Spätgotik (»Schöne Madonnen«, der geschnitzte Flügelaltar des 15. und frühen 16. Jahrhunderts).
In jenen Regionen, die das französische Architektursystem bevorzugten, hatte die Malerei zunächst ihr wichtigstes Betätigungsfeld zweifellos auf dem Sektor der Glasmalerei. Doch auch die Buchmalerei erhob sich zu neuer Blüte. Die Manessische Liederhandschrift belegt, dass mit dem 14. Jahrhundert die profanen Auftraggeber immer wichtiger wurden, eine Tendenz, die in den Stundenbüchern des 15. Jahrhunderts neue Schwerpunkte in Burgund und den Niederlanden schuf. Seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts nahm nördlich der Alpen auch die Tafelmalerei einen stets gewichtigeren Raum ein. In den deutschsprachigen Regionen zum Beispiel wird sie mit Lukas Moser, Konrad Witz, Stefan Lochner, Michael Pacher, Martin Schongauer und anderen Künstlern des 15. Jahrhunderts zur Dürer-Zeit und zur Renaissance hinführen. Und Deutschland war es auch, das im 15. Jahrhundert die Druckgraphik auf ihren Erfolgsweg schickte. Die neuen künstlerischen Zentren, die um 1400 an den Höfen entstanden waren (Paris, Bourges, Dijon, Prag, Mailand usw.), brachten mit ihrer Luxuskunst und ihren verfeinerten Formen nochmals eine einheitliche europäische Formensprache hervor, die der so genannten »Internationalen Gotik«, die sogar Impulse auf die um 1420 in Italien mit Macht einsetzende Frührenaissance abzustrahlen vermochte.
ZWEI SONDERFÄLLE: DAS TRECENTO UND DIE ALTNIEDERLÄNDISCHE MALEREI
Die italienische Trecentokunst (14. Jahrhundert) versteht man heute zumeist als ein Vorspiel der Renaissance des 15. Jahrhunderts. Die Architektur zwar verblieb zumeist in konsequent gotischer Orientierung, wenn auch in einer bezeichnend italienischen Version, die nicht wie in Frankreich oder Deutschland zur hochgradigen Wandauflösung tendiert, sondern reichlichst Mauerflächen als Tummelplatz ausgedehnter Wandmalereien beibehält. Die Bildhauerei allerdings beschritt vor allem mit den Arbeiten eines Giovanni Pisano ein Terrain, das entscheidende Merkmale der Renaissanceskulptur vorbereitete. Und vollends die Malerei entwickelte seit Giotto und in dessen Nachfolge eine den Horizont der kommenden Jahrhunderte programmierende Bildsprache, mit der nicht umsonst die heutige Kunstwissenschaft die Geschichte der neuzeitlichen Malerei und die »Erfindung« des autonomen, des eigengesetzlichen Bildes beginnen lässt.
Etwa gleichzeitig, als in Italien zu Beginn des 15. Jahrhunderts der Grundstein für die Renaissance gelegt wurde, bildete sich in den südlichen Niederlanden das andere große Zentrum neuzeitlicher Kunst in Europa heraus. Bewunderndes Staunen riefen schon bei Zeitgenossen des In- und Auslandes die niederländischen Gemälde, Altäre und Buchmalereien des 15. Jahrhunderts hervor. Eine Revolution der Wahrnehmung verband sich in ihnen mit einer außerhalb Italiens und seiner Trecento-Tradition bisher noch unbekannten Aufwertung der Malerei als eines autonomen, selbstbewussten künstlerischen Mediums; feierlichste Stimmungen und ein die Sinne überwältigender Farbluxus gingen mit faszinierendem Detailrealismus und moderner empirischer Naturbeobachtung eine perfekte Synthese ein, die diese Kunstproduktion aus dem Gros des gotischen Stils als etwas ganz Besonderes heraushebt.
RENAISSANCE UND MANIERISMUS (15.–16. JAHRHUNDERT)
In seiner heutigen kunst- und kulturgeschichtlichen Bedeutung wurde der Begriff »Renaissance« – verstanden als Wiedergeburt der Kunst aus dem Geist der Antike heraus – im 19. Jahrhundert in Frankreich geprägt. Der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt hat dann 1860 in seinem Buch »Die Kultur der Renaissance in Italien« dem Epochenbegriff allgemeine Bedeutung verliehen und die Kunst Italiens ab 1400 unter das Stichwort »Die Entdeckung der Welt und des Menschen« gestellt. Vergleichbar hatte bereits 1550 Giorgio Vasari von der »Rinascità« der Kunst im Trecento gesprochen, die sich, anders als das Mittelalter und die Gotik, erstmals wieder am Naturvorbild orientiert habe.
Die »Wiederentdeckung« der Antike ist als Stilkriterium zunächst problematisch, da ja auch frühere Epochen dieses Phänomen kannten. Es gilt also, das Spezifische der »Antikennachahmung« in der »eigentlichen« Renaissance zu verstehen. Man neigt heute dazu, nicht die Rückbesinnung auf antike Vorbilder als den Motor der Entwicklung anzusehen, sondern umgekehrt den Naturalismus als Ausgangspunkt zu nehmen, der dann den Künstlern erneut die Augen für die Antike öffnete.
Intellektuelle und Künstler sahen diese Antike erstmals auch im Rahmen eines neuartigen Geschichtsbewusstseins, weswegen sie sie historisch möglichst angemessen kennenlernen wollten: Quellenstudium und »archäologische« Recherchen waren deshalb für jeden, der sich seriös mit der Antike auseinandersetzte, eine unerlässliche Vorbedingung. Da die Kunst und die geistige Strömung im Italien des 14. Jahrhunderts schon entscheidend vorgearbeitet hatten, ist es nicht abwegig, dieses Trecento in die Vorgeschichte der Renaissance hereinzunehmen. Die Verwissenschaftlichung des Altertums ging parallel mit einer umfassenderen Intellektualisierung. Zunehmend stiegen nämlich die Anforderungen an die Bildung des Künstlers, der Auftraggeber und Mäzene, nicht zuletzt, um so die Kunst aus der früheren Bindung ans »einfache« Handwerk herauszulösen. Dementsprechend entstand eine reiche Literatur, in der die Künstler begannen, den Stellenwert der Kunst als eigenes Medium zu überdenken – was sich bis zum Wettstreit der Künste, dem »Paragone«, steigerte.
Die Kunsttheorie suchte quasi wissenschaftliche Regeln und Normen aufzustellen, nach denen Kunst lehr- und lernbar wurde, ein Lehrsystem, das die nun entstehenden Akademien praktizierten und an die nächsten Jahrhunderte weitergaben. Dieser Regelapparat lag oft auch dem Aufbau der immer zahlreicher werdenden Privatsammlungen zugrunde, die vom Kunsthandel, den Kennern und Mäzenen aufgebaut wurden.
Es wäre indes falsch, die an der Natur, der Antike, an der antiken Mythologie ebenso wie am wissenschaftlichen Denken des Humanismus ausgerichtete Renaissance als ein im Vergleich zum Mittelalter ganz und gar verweltlichtes Zeitalter zu begreifen. Zum einen bildete ja die religiöse Kunst weiterhin einen Schwerpunkt, zum anderen sollte die Natur nicht einfach nachgeahmt, sondern in ihrer Vollkommenheit gezeigt werden. Sie wurde zum »Buch«, aus dem man die göttliche Schönheit herauslesen konnte. In der Natur ist immer auch das Transzendente gespeichert, das man mit