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Die großen Reden der Weltgeschichte
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eBook286 Seiten3 Stunden

Die großen Reden der Weltgeschichte

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Über dieses E-Book

Der Band bietet eine Auswahl berühmter Reden der Geschichte von der Antike bis in die Zeitgeschichte in neuer Übersetzung. Von der Gefallenenrede des Perikles bis zu Winston Churchills entschlossener Kampfansage an Hitlerdeutschland, von Moses bis zum Kardinal von Galen, von Martin Luther bis zu Martin Luther King bietet der Band große Redetexte mit einer historischen Einführung. Neben den klassischen Reden großer Männer enthält die Auswahl aber auch die historischen Reden großer Frauen: die Goldene Rede von Elizabeth I. und die erste Rede einer Frau in einem deutschen Parlament. Der Band wird durch eine kleine Auswahl bedeutender Reden in der Literatur abgerundet.Eine Auswahl berühmter Reden von der Antike bis zur Gegenwart in neuer Übersetzung.
SpracheDeutsch
Herausgebermarixverlag
Erscheinungsdatum6. Okt. 2015
ISBN9783843802215
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    Buchvorschau

    Die großen Reden der Weltgeschichte - Martin Kaufhold

    MOSES

    Rede am Ende der vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste

    (13. JAHRHUNDERT V. CHR.)

    EINFÜHRUNG

    Diese Sammlung von bedeutenden Reden beginnt mit einem sehr alten Text. Einem Text, der am Anfang der jüdisch-christlichen Tradition steht und der einige zentrale Grundlagen und Erfahrungen dieses neuen monotheistischen Glaubens in den Worten des Moses prägnant formuliert. Moses hielt diese Rede in einem historischen Moment. Vierzig Jahre war er mit den Israeliten durch die Wüste gezogen, und nun standen sie vor dem Einzug in das verheißene Land. Die Aussicht auf das Land, in dem Milch und Honig fließen, hatte das unterdrückte Volk dazu bewegt, seine Häuser in Ägypten zu verlassen, um unter der Führung des Moses in eine neue Zukunft aufzubrechen. Es wurde ein langer und gefährlicher Weg. In Ägypten waren die Nachfahren Abrahams, Josefs und Jakobs zu einer großen Bevölkerungsgruppe geworden. Ihre Vorfahren waren in das Land gekommen, weil sie in ihrer Heimat nicht überleben konnten. Doch die anfängliche Wertschätzung hatte sich gewandelt, und die Israeliten waren zu Knechten und Sklaven geworden. Moses, dem Gott in einem brennenden Dornbusch erschienen war, um ihn dazu zu berufen, die Israeliten aus Ägypten hinauszuführen, organisierte den geheimen Auszug (Exodus) aus dem Land der Bedrückung. Die Flucht wurde entdeckt, und der Pharao nahm mit seiner Streitmacht die Verfolgung auf. Die Israeliten konnten sich mit dem Zug durch das Schilfmeer retten, in dessen zurückströmenden Fluten die Ägypter ertranken. In dieser Rettung der Israeliten aus aussichtsloser Lage bewies Gott seine Unterstützung für sein Volk. Es waren Erfahrungen dieser Art, auf die sich Moses in seiner Rede bezog, wenn er die Israeliten ermahnte, die Gebote Jahwes zu befolgen. Nur dann konnten sie weiterhin auf seine Hilfe zählen. Auf dem Weg durch den Sinai empfing Moses die Zehn Gebote (Du sollst neben mir keine anderen Götter haben / Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen / Gedenke des Sabbats: Halte Ihn heilig / Ehre Deinen Vater und Deine Mutter, damit Du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, Dir gibt / Du sollst nicht morden / Du sollst nicht die Ehe brechen / Du sollst nicht stehlen / Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen / Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen / Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgend etwas, das deinem Nächsten gehört). Neben diesen elementaren Grundregeln, die auf zwei steinernen Tafeln niedergeschrieben waren und in einem besonderen Schrein, der sogenannten Bundeslade, verwahrt wurden, erhielt Moses zahlreiche Weisungen über die Regeln für den Gottesdienst, das Leben der Priester und das soziale Leben. Auf der Einhaltung dieser Regeln beruhte der Bund, den Gott mit den Israeliten geschlossen hatte, und das schärfte Moses seinen Zuhörern in seiner Rede noch einmal nachdrücklich ein („Denn darin besteht Eure Weisheit und Eure Bildung in den Augen der Völker). Die Berechtigung der bevorstehenden Landnahme beruhte darauf, dass die Israeliten die Gebote und Weisungen Jahwes befolgten. Wiederholt hatten die Israeliten auf der langen Wanderschaft durch die Wüste an Gott gezweifelt und gegen seine Vorgaben verstoßen. Sie waren dafür hart bestraft worden. Moses zitiert das Beispiel der Israeliten, die gegen das zweite Gebot verstoßen hatten. Sie hatten zu engen Umgang mit den Frauen eines Volkes gehabt, bei dem sie sich auf ihrer Wanderung eine Zeitlang aufgehalten hatten (Num. 25,1-18), und sie hatten auch deren Gott angebetet. Zur Strafe wurden sie getötet. Die lange Zeit in der Wüste sollte dazu dienen, die Israeliten ihre alten Gewohnheite vergessen zu lassen und sie auf die neue Lebenssituation einzustimmen. Der Erwerb des versprochenen Landes hing aber von ihrer Bundestreue ab. Nur wenn sie die Gesetze Gottes befolgten, konnten sie auf seine Unterstützung hoffen. Und von dieser Unterstützung hing ihr Erfolg bei der Eroberung des Landes und bei der Behauptung in dem eroberten Land ab. Gott hatte Moses immer wieder daran erinnert, und deshalb erinnerte Moses die Israeliten in der hier aufgenommenen Rede noch einmal leidenschaftlich an diese Voraussetzung. Wer die Gebote Gottes befolgte, der konnte im Gegenzug aber auch auf seine Hilfe im täglichen Leben rechnen. Darin bestand die Zusage. Es war die Zusage eines Gottes, der streng darauf achtete, nicht in Bildnissen dargestellt zu werden. Darin unterschied er sich von den Göttern der Nachbarvölker. Die Rede des Moses dreht sich um den Bund Gottes mit dem Volk Israel und sie zeigt in formaler Hinsicht die Züge von Verträgen, wie sie zur damaligen Zeit in diesem Umfeld üblich waren. Sie ist überliefert im Buch Deuteronomium, dem fünften Buch des Alten Testaments. Das Buch Deuteronomium bildet damit den Abschluss der fünf Bücher Mose, der hebräischen Tora. Der Name bedeutet das „wiederholte Gesetz. Tatsächlich verzeichnet das Buch die letzten Reden des Moses, der die Israeliten vor seinem Tod noch einmal eindringlich an die gemeinsamen Erfahrungen der langen Wanderschaft und an die Gebote für das Zusammenleben in dem neuen Land erinnert. Die Worte sind sein Vermächtnis. Er selber durfte das verheißene Land nicht betreten, als Sühne für die Verfehlungen der Israeliten auf der Wanderschaft. Seine Rede ist die Rede eines Mannes, der seine Mission erfüllt hat, und der das Ziel des langen Weges vielleicht noch sehen, aber nicht erreichen kann. Es ist die eindringliche Mahnung eines Menschen, der vierzig lange Jahre die Verantwortung für seine Leute getragen hatte, und der um ihre Schwächen wusste. Er ruft ihnen die gemeinsamen Erfahrungen noch einmal in Erinnerung und hofft, dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Der Text hat so den Charakter eines Testamentes und als solches ist das Buch Deuteronomium verschiedentlich charakterisiert worden. Seine Überlieferung ist nicht ganz klar, und es ist umstritten, wieviel von dem Buch auf die Zeit des Moses zurückgeht. Doch soll diese Diskussion hier zurückstehen, denn in der hier vorliegenden Sammlung soll den Texten zunächst der Vorrang gebühren. Die Rede des Moses ist ein kraftvoller Auftakt.

    REDE

    Und nun, Israel, höre die Gesetze und Rechtsvorschriften, die ich euch zu halten lehre. Hört und ihr werdet leben, ihr werdet in das Land, das der Herr, der Gott eurer Väter, euch gibt, hineinziehen und es in Besitz nehmen.

    Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen; ihr sollt auf die Gebote des Herrn, eures Gottes, achten, auf die ich euch verpflichte.

    Ihr habt mit eigenen Augen gesehen, was der Herr wegen des Baal-Pegor getan hat. Jeden, der dem Baal-Pegor nachfolgte, hat der Herr, dein Gott, in deiner Mitte vernichtet. Ihr aber habt euch am Herrn, eurem Gott, fest gehalten, und darum seid ihr alle heute noch am Leben.

    Hiermit lehre ich euch, wie es mir der Herr, mein Gott, aufgetragen hat, Gesetze und Rechtsvorschriften. Ihr sollt sie innerhalb des Landes halten, in das ihr hineinzieht, um es in Besitz zu nehmen.

    Ihr sollt auf sie achten und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennen lernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie Jahwe, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?

    Jedoch, nimm dich in Acht, achte gut auf dich! Vergiss nicht die Ereignisse, die du mit eigenen Augen gesehen, und die Worte, die du gehört hast. Lass sie dein ganzes Leben lang nicht aus dem Sinn! Präge sie deinen Kindern und Kindeskindern ein!

    Vergiss nicht den Tag, als du am Horeb vor dem Herrn, deinem Gott, standest. Der Herr hatte zu mir gesagt: Ruf mir das Volk zusammen! Ich will sie meine Worte hören lassen. Sie sollen lernen, mich zu fürchten, so lange, wie sie im Land leben, und sie sollen es auch ihre Kinder lehren.

    Ihr wart herangekommen und standet unten am Berg und der Berg brannte: Feuer, hoch bis in den Himmel hinauf, Finsternis, Wolken und Dunkel. Der Herr sprach zu euch mitten aus dem Feuer. Ihr hörtet den Donner der Worte. Eine Gestalt habt ihr nicht gesehen. Ihr habt nur den Donner gehört. Der Herr offenbarte euch seinen Bund, er verpflichtete euch, ihn zu halten: die Zehn Worte. Er schrieb sie auf zwei Steintafeln.

    Mir befahl damals der Herr, euch Gesetze und Rechtsvorschriften zu lehren, die ihr in dem Land halten sollt, in das ihr hinüberzieht, um es in Besitz zu nehmen. Nehmt euch um eures Lebens willen gut in Acht! Denn eine Gestalt habt ihr an dem Tag, als der Herr am Horeb mitten aus dem Feuer zu euch sprach, nicht gesehen. Lauft nicht in euer Verderben und macht euch kein Gottesbildnis, das irgendetwas darstellt, keine Statue, kein Abbild eines männlichen oder weiblichen Wesens, kein Abbild irgendeines Tiers, das auf der Erde lebt, kein Abbild irgendeines gefiederten Vogels, der am Himmel fliegt, kein Abbild irgendeines Tiers, das am Boden kriecht, und kein Abbild irgendeines Meerestieres im Wasser unter der Erde.

    Wenn du die Augen zum Himmel erhebst und das ganze Himmelsheer siehst, die Sonne, den Mond und die Sterne, dann lass dich nicht verführen! Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen. Der Herr, dein Gott, hat sie allen anderen Völkern überall unter dem Himmel zugewiesen. Euch aber hat der Herr genommen und aus dem Schmelzofen, aus Ägypten, herausgeführt, damit ihr sein Volk, sein Erbbesitz werdet wie ihr es heute seid.

    Zwar hat der Herr mir wegen eures Murrens gegrollt und mir geschworen, ich dürfe nicht über den Jordan ziehen und das prächtige Land betreten, das der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt. Ich muss in diesem Land hier sterben und werde nicht über den Jordan ziehen. Aber ihr werdet hinüberziehen und dieses prächtige Land in Besitz nehmen. Nehmt euch in Acht! Vergesst nicht den Bund, den der Herr, euer Gott, mit euch geschlossen hat. Ihr sollt euch kein Gottesbildnis machen, das irgendetwas darstellt, was der Herr, dein Gott, dir verboten hat. Denn der Herr, dein Gott, ist verzehrendes Feuer. Er ist ein eifersüchtiger Gott. Wenn du Kinder und Kindeskinder zeugst und ihr im Land heimisch seid, wenn ihr dann ins Verderben lauft und ein Gottesbildnis macht, das irgendetwas darstellt, wenn ihr also tut, was in den Augen des Herrn, deines Gottes, böse ist, und wenn ihr ihn erzürnt – den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an: dann werdet ihr unverzüglich aus dem Land ausgetilgt sein, in das ihr jetzt über den Jordan zieht, um es in Besitz zu nehmen. Nicht lange werdet ihr darin leben. Ihr werdet vernichtet werden.

    Der Herr wird euch unter die Völker verstreuen. Nur einige von euch werden übrig bleiben in den Nationen, zu denen der Herr euch führt. Dort müsst ihr Göttern dienen, Machwerken von Menschenhand, aus Holz und Stein. Sie können nicht sehen und nicht hören, nicht essen und nicht riechen. Dort werdet ihr den Herrn, deinen Gott, wieder suchen. Du wirst ihn auch finden, wenn du dich mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele um ihn bemühst.

    Wenn du in Not bist, werden alle diese Worte dich finden. In späteren Tagen wirst du zum Herrn, deinem Gott, zurückkehren und auf seine Stimme hören. Denn der Herr, dein Gott, ist ein barmherziger Gott. Er lässt dich nicht fallen und gibt dich nicht dem Verderben preis und vergisst nicht den Bund mit deinen Vätern, den er ihnen beschworen hat.

    Forsche doch einmal in früheren Zeiten nach, die vor dir gewesen sind, seit dem Tag, als Gott den Menschen auf der Erde schuf; forsche nach vom einen Ende des Himmels bis zum andern Ende: Hat sich je etwas so Großes ereignet wie dieses und hat man je solche Worte gehört?

    Hat je ein Volk einen Gott mitten aus dem Feuer im Donner sprechen hören, wie du ihn gehört hast, und ist am Leben geblieben?

    Oder hat je ein Gott es ebenso versucht, zu einer Nation zu kommen und sie mitten aus einer anderen herauszuholen unter Prüfungen, unter Zeichen, Wundern und Krieg, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm und unter großen Schrecken, wie es der Herr, euer Gott, in Ägypten mit euch getan hat, vor deinen Augen?

    Das hast du sehen dürfen, damit du erkennst: Jahwe ist der Gott, kein anderer ist außer ihm.

    Vom Himmel herab ließ er dich seinen Donner hören, um dich zu erziehen. Auf der Erde ließ er dich sein großes Feuer sehen und mitten aus dem Feuer hast du seine Worte gehört.

    Weil er deine Väter lieb gewonnen hatte, hat er alle Nachkommen eines jeden von ihnen erwählt und dich dann in eigener Person durch seine große Kraft aus Ägypten geführt, um bei deinem Angriff Völker zu vertreiben, die größer und mächtiger sind als du, um dich in ihr Land zu führen und es dir als Erbbesitz zu geben, wie es jetzt geschieht.

    Heute sollst du erkennen und dir zu Herzen nehmen: Jahwe ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten, keiner sonst. Daher sollst du auf seine Gesetze und seine Gebote, auf die ich dich heute verpflichte, achten, damit es dir und später deinen Nachkommen gut geht und du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt für alle Zeit.

    PERIKLES

    Die Gefallenenrede

    (431/30 v. CHR.)

    EINFÜHRUNG

    Die Gefallenenrede des Perikles gehört zu den berühmtesten Reden der europäischen politischen Tradition. Mit Recht. Das Ideal eines freien, lebensbejahenden und dennoch nüchternen Gemeinwesens, das Perikles (ca. 500–429 v. Chr.) entwirft, erscheint auch aus dem Abstand von fast zweieinhalbtausend Jahren noch vorbildhaft. Es ist ein entspanntes Ideal, das dennoch den Härten der menschlichen Existenz und den Notwendigkeiten des menschlichen Zusammenlebens Rechnung trägt. Zwar verklärt Perikles das Gemeinwesen der Athener, aber da er gleichzeitig einen realistischen Blick auf seine toten Landsleute wirft, deren Schwächen im Leben er anspricht, bewahrt er ein ausgewogenes Maß. Dieses Maßhalten ist eines der zentralen Ideale der Athener, die er lobt. Das richtige Maß in den Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens, dies erscheint als das besondere Anliegen der Rede des Perikles. Daher ist sie für eine Tradition, die das Menschenbild des Perikles teilt, so vielfältig interpretierbar. Ein Zitat aus dieser Rede ist dem Entwurf für die europäische Verfassung vorangestellt. Dabei bringt der Text durchaus Probleme mit sich. Das Lob des Todes im Krieg fällt uns heute aus guten Gründen schwer, und ein solches Lob bietet die Gelegenheit zu manchem Missbrauch (1944 wurde die Gefallenenrede in großer Auflage in Deutschland gedruckt – als die Gelegenheiten, toter Soldaten zu gedenken, immer furchtbarere Ausmaße annahmen). Das Lob auf Athen, das Perikles so überzeugend formulierte, schloss zudem die Herrschaft Athens über manchen Nachbarn ein, den die Athenische Dominanz nicht freute, sondern drückte. Die Althistoriker zitieren häufig die berühmte Feststellung in der Rede des Perikles, dass Athen „die Schule von Hellas sei". Es war eine Schule, die nicht jeder freiwillig besuchte, und man wird nüchtern feststellen, dass eine solche Vorstellung in der Sache der berüchtigten Losung, dass am deutschen Wesen die Welt genesen solle, nicht ganz fern ist. Perikles formulierte freilich sehr viel eleganter als Wilhelm II. Und in einer Rede ist die Qualität einer Formulierung letztlich entscheidend.

    Als Perikles die Rede auf die Gefallenen hielt, befand sich Athen im Krieg mit Sparta. Der sogenannte „Peloponnesische Krieg dauerte fast dreißig Jahre (431–404 v. Chr.) und er endete schließlich mit dem Sieg Spartas. Perikles hielt seine Rede auf die Gefallenen am Ende des ersten Kriegsjahres, als die Athener noch voller Siegeszuversicht waren. Wir kennen den Text seiner Rede und die Ereignisse des Peloponnesischen Krieges aus dem Geschichtswerk des Thukydides (454–396 v. Chr.), der eine Zeitlang selber eine wichtige Rolle in der athenischen Politik dieser Jahre spielte, bevor er wegen eines militärischen Misserfolges in das Exil gehen musste. Thukydides gilt als einer der wichtigsten Väter der Geschichtswissenschaft. Er erklärt zu Beginn des Werkes, wie er an seine Informationen gelangte: „Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften des ersten besten aufzuschreiben, auch nicht ‚nach meinem Dafürhalten’, sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung …. Wir können also davon ausgehen, dass die Perikles-Rede, die Thukydides in seinem Werk wiedergibt, sorgfältig recherchiert worden ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Thukydides selber zugegen war, als Perikles die Gefallenen ehrte. Schließlich schilderte er selber das Begräbnis der Gefallenen als einen alten Brauch der Athener.

    Das Werk des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg bemüht sich nicht nur um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Ereignisse, sondern auch um eine Erklärung der Kräfte, die die Ereignisse bewirkten. Berühmt ist seine Unterscheidung zwischen dem Anlass des Krieges und seiner wahren Ursache: „Den wahrsten Grund freilich, zugleich den meistbeschwiegenen, sehe ich im Wachstum Athens, das die erschreckten Spartaner zum Krieg zwang."

    Tatsächlich war Athen im 5. Jahrhundert vor Christus zu einer bedeutenden Macht aufgestiegen, und die Rivalität mit Sparta hatte sich verschärft. In den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts hatten die Spartaner und die Athener gemeinsam und schließlich erfolgreich gegen die persischen Invasoren gekämpft. Von diesen Kriegen berichtet Herodot. In den Kriegen mit den Persern hatten sich die Kräfteverhältnisse zwischen Sparta und Athen allmählich verschoben. Das bis dahin dominante Sparta konnte seine Vormacht vor allem auf sein starkes Heer stützen. In den Kämpfen mit den Persern kam aber der neu gebauten Flotte der Athener eine immer größere Bedeutung zu, bis sie schließlich bei Salamis (480 v. Chr.) einen entscheidenden Sieg über die persische Flotte erringen konnte. Nur zwei Jahre später gründeten die Athener ein Städtebündnis auf der Grundlage ihrer Seemacht, aus dem die Mitglieder nicht mehr austreten konnten. Dieser Athenische Seebund stand Perikles vor

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