Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Court of Love
Court of Love
Court of Love
eBook280 Seiten2 Stunden

Court of Love

Bewertung: 4 von 5 Sternen

4/5

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Basketballspielerin Chris hat sich bei einem Spiel schwer verletzt und kommt ins Krankenhaus. Dort wird sie während der Rekonvaleszenz von der Physiotherapeutin Beth betreut. Die beiden verlieben sich ineinander. Beth hat sich vor kurzem von ihrer Freundin getrennt, für Chris gab es bis jetzt nur Basketball und das College. Sie weiß noch nicht, ob sie sich für Männer oder Frauen interessiert, und sie hat noch nie mit jemandem geschlafen ...
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783941598584
Court of Love

Mehr von Brenda L. Miller lesen

Ähnlich wie Court of Love

Ähnliche E-Books

Lesbische Literatur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Court of Love

Bewertung: 4 von 5 Sternen
4/5

1 Bewertung0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Court of Love - Brenda L. Miller

    Brenda L. Miller

    COURT OF LOVE

    aus dem Amerikanischen übersetzt und bearbeitet von

    Anja Hansen-Schmidt

    Originalausgabe:

    © 1997

    ebook-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    978-3-941598-58-4

    Coverillustration:

    © enterlinedesign – Fotolia.com

    Jetzt wirft sie den Ball! Und sie trifft! Nun braucht Christine Thompson nur noch einen einzigen Korb, um einen neuen Landesrekord aufzustellen! Berkley ist jetzt in Ballbesitz, die Spielerinnen werfen den Ball das Spielfeld entlang. Oh! Soeben hat Thompson sich den Ball geholt! Jetzt steht niemand mehr zwischen ihr und dem Landesrekord! Da läuft sie zum Korb! Oh nein! Thompson liegt am Boden. Das Spiel wird unterbrochen. Der Trainer kommt auf den Platz. Thompson hält sich das Knie. Das sieht böse aus. Trainer Robbins ruft nach den Sanitätern. Christine Thompson wird sich den Rekord heute wohl nicht mehr holen können. Man hilft ihr gerade vom Spielfeld. Lassen Sie uns hoffen, dass es nichts Ernstes ist. Schließlich ist diese Spielerin unsere Eintrittskarte zu den Endausscheidungen!

    Christine schaute auf ihr Bein. Das Knie war in dicke Bandagen gepackt und wurde von einer Schiene gestützt. Sie konnte immer noch nicht glauben, was geschehen war. Ihre Gedanken schweiften zurück zu dem Spiel letzte Woche.

    Sie hatte soeben einen Korb geworfen und war damit bis auf zwei Punkte an den Landesrekord herangekommen. Gerade eben hatte sie den Ball ergattert und rannte nun das Spielfeld hinunter. Ihr Fuß rutschte weg. Überrascht sah sie den Boden auf sich zukommen. Sie wurde abrupt im Fallen gestoppt, als ihr Knie trockenes Holz erreichte. Erstaunt und ungläubig hörte und fühlte sie, wie ihr Knie förmlich zersprang. Noch während sie zu Boden fiel, sah sie den glänzenden nassen Fleck, der ihren Sturz verursacht hatte, und sie wusste, dass es etwas Schlimmes sein würde.

    Und es war ernst, kein Zweifel. Sie hatte mehrere gerissene Bänder und eine Fraktur der Kniescheibe. Fünf Wochen dauerte die Basketballsaison noch an. Und sie war in der Abschlussklasse des Colleges. Das bedeutete, dass sie sich niemals rechtzeitig erholen würde.

    Tränen schossen ihr in die Augen. Zwei jämmerliche Punkte. Das war alles, was sie benötigt hätte, um den Landesrekord zu holen. Die Ärzte hatten gesagt, dass sie Glück gehabt hatte. Mit Hilfe von rehabilitierenden Maßnahmen würde sie wohl in absehbarer Zeit wiederhergestellt sein. Glück, dachte Christine. Glück weshalb? Weil sie ihr Knie fünf Wochen vor den Finalkämpfen verletzt hatte? Ihr ganzes Leben hatte sie diesem Sport gewidmet, den sie über alles liebte. Auch ins College war sie über ein Basketballstipendium gekommen. Sie hatte einige neue Rekorde aufgestellt, zum Beispiel für die Punktzahl, die in einem Spiel erreicht worden war oder in einer Saison. Sie war der glänzende Stern am Sporthimmel ihres Bundesstaates. Ganz deutlich erinnerte sie sich an den Aufruhr in der Zuschauermenge, als sie den letzten Korb geworfen hatte. Sie hatte noch genau im Ohr, wie der Ansager sagte, dass sie nun nur noch zwei Punkte benötigen würde. Diese Punkte wären ihre Eintrittskarte in die Profiliga gewesen. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das kurze rote Haar. Was sollte sie jetzt nur tun?

    Elizabeth Bragg ging den Flur entlang. Eine Patientin hatte sie noch, dann konnte sie endlich nach Hause gehen. Sie schaute auf die Karteikarte. Christine Thompson, einundzwanzig, einsfünfundsiebzig, Basketballspielerin von der Morgan Universität. Patellafraktur und Bänderrisse. Operation vor fünf Tagen. Elizabeth hielt an Zimmer 423. Sie verglich den Namen an der Wand mit ihrer Patientenkarte. Dann klopfte sie kurz und trat ein. »Christine Thompson?« fragte sie.

    Die junge Frau setzte sich im Bett auf. »Ja.« Sie lächelte nicht, als sie die dunkelhaarige Frau ins Zimmer kommen sah. Es war eindeutig zu erkennen, dass sie Besuchen abgeneigt war.

    Elizabeth sah den abweisenden Ausdruck auf dem Gesicht der Patientin. Innerlich seufzte sie. Sie kannte solche PatientInnen zur Genüge. Sie waren schwierig und ständig unzufrieden. Die Aussicht, eine solche Patientin über längere Zeit behandeln zu müssen, erfreute sie nicht gerade. Aber es war ihr Beruf. Sie setzte ein freundliches Lächeln auf. »Ich heiße Elizabeth Bragg und bin Ihre Physiotherapeutin. Ich wollte mal schauen, wie es Ihnen so geht.« Elizabeth betrachtete die Tabelle am Ende des Bettes. »Wie ich sehe, heilt Ihr Knie ganz gut. Sie sollten also mit der Krankengymnastik nächste Woche anfangen können. Ich werde Sie für zwei Stunden am Montag eintragen. Da werde ich mir zunächst einen Eindruck verschaffen, wie weit die Heilung schon fortgeschritten ist.« Elizabeth bemerkte, dass die junge Frau sie nicht ansah. Statt dessen starrte sie aus dem Fenster. »Also, wir sehen uns dann am Montag.« Elizabeth wandte sich zur Tür.

    »Ja, klar. Ich hab ja eh nichts anderes zu tun«, murmelte Christine und schaute auf ihr eingegipstes Bein.

    Elizabeth sagte nichts. Es war offensichtlich, dass die junge Frau sehr unglücklich war. Aber das waren praktisch alle PatientInnen, die plötzlich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden. Elizabeth hoffte, dass es sich bei dieser Patientin wie bei hundert anderen um ein vorübergehendes Unglück handelte und nicht um einen bleibenden Schaden. Aber das würde sie am Montag genauer feststellen können. Sie nickte noch einmal kurz und verließ das Zimmer.

    Die Luft kühlte Elizabeths Gesicht, als sie zu ihrem Wagen lief. Sie drückte einen Knopf an ihrem Schlüsselbund. Von der anderen Seite des Parkplatzes hörte sie das vertraute Brummen, als der Motor ihres Autos ansprang. Sie hatte sich zwar niemals viel aus diesen Fernbedienungsanlassern gemacht, aber nachdem Susan ihn eingebaut hatte, musste sie feststellen, dass sie nicht mehr ohne einen leben mochte. Zu angenehm war es, an diesen kalten Tagen des Nordostens in ein bereits geheiztes Auto einzusteigen.

    Sie ging zu ihrem Wagen und wischte den Schnee von den Seitenfenstern. Nach dem Einsteigen schaltete sie die Scheibenwischer an. Sie machte sich nie die Mühe, das Auto mit der Bürste vom Schnee zu befreien. Lieber ließ sie die Wischer die Arbeit tun. Susan hatte ihr das oft genug vorgeworfen. Sie hatte gemeint, dass es unnötige Geldverschwendung sei, die Wischer so überzubeanspruchen, dass sie schneller als üblich ersetzt werden mussten. Merkwürdigerweise hatte Elizabeth diese Angewohnheit dennoch beibehalten. Es war eines der wenigen Dinge – wenn nicht überhaupt das einzige –, bei dem sie gewagt hatte, sich Susan gegenüber zu behaupten. Ansonsten hatte sie sich kaum je getraut, ihr zu widersprechen.

    Elizabeth stellte das Radio auf ihren Lieblingssender, dann fuhr sie los. Sie dachte weiter an Susan. Es war sechs Monate her, dass sie sich getrennt hatten. Der Schmerz war immer noch frisch. Susan war alles gewesen, was Elizabeth sich gewünscht hatte. Klug und gutaussehend. Dachte sie. Elizabeth hatte geglaubt, dass sie immer zusammen sein würden. Dann war sie eines Tages etwas früher nach Hause gekommen und hatte Susan mit einer anderen Frau im Bett erwischt. Elizabeth musste immer noch die Tränen zurückhalten, wenn sie daran dachte. Susan hatte so getan, als sei es ihr selbstverständliches Recht, mit anderen Frauen zu schlafen. Nein, nicht nur ihr Recht, sondern zudem auch Elizabeths Schuld. Denn Elizabeths Phantasielosigkeit im Bett könne einer Partnerin mit entsprechenden Ansprüchen – wie Susan – nur Langeweile verursachen.

    Elizabeth war fast im Boden versunken vor Scham und Wut. Sie wusste, dass es nicht stimmte, was Susan behauptete, aber sie konnte sich nicht gegen die Verdrehung der Tatsachen wehren. Das war Susans Spezialität gewesen: immer ihr – Elizabeth – die Schuld zuzuschieben für ihre eigenen Fehler. Und bis zu diesem unseligen Tag hatte Elizabeth sich das auch immer gefallen lassen. Es war ihr logisch erschienen, dass Susan recht hatte – recht haben musste –, auch wenn sie selbst es anders empfand. Susan würde schon wissen, was richtig war. Sie war so stark und groß – 

    Aber an diesem Tag war etwas in Elizabeth zerbrochen, in tausend kleine Teile zersprungen. Vielleicht der Glaube an die Wahrhaftigkeit, an die Unerschütterlichkeit der Liebe. Sie konnte sich nicht mehr dafür verantwortlich fühlen, dass Susan sie ausnutzte, über sie bestimmte und ihr keinen Raum zum Atmen ließ. In diesem Moment wurde Elizabeth bewusst, dass es eigentlich schon immer so gewesen war. Die ganzen zwei Jahre lang. Und sie explodierte. Sie wusste nicht, wie es geschehen war, sie wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie so etwas konnte.

    Susan hatte nur erstaunt die Augenbrauen hochgezogen und dann herablassend gelächelt. Wie immer, wenn Elizabeth versucht hatte, ihren eigenen Standpunkt zu vertreten. Susan nahm sie einfach nicht ernst und irgendwann gab Elizabeth ihre Bemühungen – die sie eh nicht sehr entschieden betrieben hatte – auf. Dann war wieder alles in Ordnung, Susan schenkte ihr eine Kleinigkeit – meistens etwas, das sie in keiner Weise gebrauchen konnte – und sie lebten weiter wie vorher. Elizabeth noch ein bisschen kleiner und Susan wieder einmal in ihrer Überlegenheit bestätigt, die sie eh nie in Frage stellte.

    Bis zu jenem unseligen Tag. Wie oft hatte Elizabeth schon darüber nachgedacht, ob es richtig von ihr gewesen war, sich von Susan zu trennen. Nur wegen eines Seitensprungs? War sie zu intolerant? War unbedingte Treue denn so wichtig? Hatte Susan sie nicht immer gut beschützt und versorgt? All ihre Bedürfnisse befriedigt? Bis zu jenem Tag hatte Elizabeth wirklich versucht, sich das einzureden. Immer und immer wieder. Gegen alle Vernunft. Gegen alle Fakten, die dagegen sprachen. Und es war ihr auch immer wieder gelungen. Aber nun war die Grenze erreicht. Das Maß war voll. Irgend etwas brachte es zum Überlaufen. Ob es die andere Frau im Bett war oder einfach nur Susans Lächeln, das anzeigte, dass diese Situation genau wie jede andere zu ihren Gunsten ausgehen würde, dass Elizabeth sich wieder einmal unterordnen würde und selbstverständlich ihre – Susans – Bedürfnisse an erster Stelle stünden, Elizabeth wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie es nicht mehr länger ertragen konnte. Und sie ging.

    Sie hatte es oft bereut seither. Die ersten Tage danach, als sie allein im Bett aufwachte, als sie sich fragte, ob es das wert war. Ob ein bisschen Toleranz, ein bisschen Unterordnung nicht ein geringer Preis war für den Schutz vor der Einsamkeit. Die Angst vor der Einsamkeit war es vor allem immer gewesen, die sie bei Susan gehalten hatte. Auch wenn sie litt, war nicht alles besser, als allein zu sein? Allein aufzuwachen, allein einzuschlafen, allein einkaufen zu gehen? Für eine Person zu kochen statt für zwei? Elizabeth war tagelang mit geschwollenen Augen zur Arbeit gegangen und hatte nur mühsam die Illusion vor ihren Arbeitskolleginnen aufrecht erhalten können, dass sie an Heuschnupfen litt. Sie glaubte eh nicht daran, dass sie es ihr abnahmen, aber sie taten zumindest so.

    Als die ersten Wochen vorbei waren, ging es langsam aufwärts. Sie dachte nur noch jede Stunde an Susan und nicht mehr jede Minute. Dann gab es Tage, wo sie so beschäftigt war, dass sie überhaupt nicht an sie dachte. Oder erst, wenn sie nach Hause ging und den Fernanlasser betätigte, bevor sie in ihr Auto stieg. Sie wusste nicht, ob sie jemals über die Verletzungen hinwegkommen würde, die Susan ihr zugefügt hatte, aber es tat nicht mehr so weh. Das war doch schon ein gutes Zeichen, oder? Dennoch schwor sie sich, so schnell keine neue Beziehung einzugehen. Eigentlich brauchte sie sich das gar nicht vorzunehmen. Sie hatte eh keine Lust darauf. Wenn sie an eine Frau dachte, die sie begehren konnte und von der sie begehrt werden wollte, erschien immer noch Susans Gesicht vor ihr und ihr Bauch zog sich vor Sehnsucht zusammen. Niemand außer Susan hatte je dieses Gefühl in ihr ausgelöst. Aber gleichzeitig spürte sie auch den Knoten in ihrem Magen, der ihr sagte, dass eine Frau wie Susan nicht gut für sie war. Etwas anderes konnte sie sich dennoch nicht vorstellen. Dann lieber gar nicht. Sie seufzte und bog in die Einfahrt ihres Hauses ab oder vielmehr des Hauses, in dem ihre Wohnung lag. Das war ihr Nest. Sie würde es nicht so schnell verlassen.

    Christine sah zu, wie die letzte ihrer Teamgefährtinnen das Zimmer verließ. Eigentlich wollte sie immer noch keine Gesellschaft, aber sie wusste auch, dass sie die Freundinnen nicht wegschicken konnte. Sie wollte raus aus dem Krankenhaus. Sie wollte raus aus diesem Bett. Jedesmal wurde sie zorniger, wenn sie das Bein in der Gipsschiene sah. Was sollte sie denn jetzt nur machen? Sie studierte Geisteswissenschaften, weil dies der leichteste Weg gewesen war, ihren Notendurchschnitt einigermaßen zu halten, während sie sich auf Basketball konzentriert hatte. Einige der Noten, die sie bekommen hatte, waren nicht gerade verdient gewesen, das wusste sie. Aber sie wusste auch, dass die finanzielle Unterstützung von ehemaligen Schülern sich verdreifacht hatte, seit sie am College war. Eigentlich war ihr die Uni sowieso egal. Studieren war nur die beste Möglichkeit für sie gewesen, weiterhin Basketball zu spielen. Darum hatte sie nur das Nötigste getan, das gefordert wurde. Damit hielt sie ihren Notenschnitt gerade so auf einem Niveau, wo sie sich ungestört ihrem Sport widmen konnte. Sie hatte oft die Hausaufgaben nicht gemacht und Unterrichtsstunden, Vorlesungen und Laborübungen verpasst, aber das war ihr immer egal gewesen. Das einzige, was für sie zählte, war zu spielen und zu gewinnen. Nun war das alles vorbei.

    Immer wieder gingen ihr die letzten Minuten vor dem fatalen Schritt durch den Kopf. Sie dachte an all die Bälle, die sie schon geworfen, die Punkte, die sie schon gemacht hatte. An die ersten Erfahrungen mit einem Basketball. Sie lächelte. Sie sah ihren Vater in Gedanken vor sich, wie er ihr in der Auffahrt des kleinen Hauses zeigte, was man alles mit einem Basketball anstellen konnte. Wie er sie hochhob, damit sie ihren ersten Korb machen konnte. Ein kleiner Dreikäsehoch mit einer tropfenden Nase. Und wie er sie beglückwünschte, als ob sie es ganz allein geschafft hätte. Das waren schöne Zeiten gewesen. Sie sah ihre Mutter aus dem Haus kommen und sie beide – Vater und Tochter – zum Essen rufen. Plötzlich verfinsterte sich Christines Gesicht. Sie erinnerte sich an den Ausdruck im Blick ihrer Mutter, die nie gewollt hatte, dass die Tochter Basketball spielt. Die sich immer ein Mädchen gewünscht hatte, das sich schminkte und für Jungs interessierte, für Schmuck und den ganzen Frauenkrimskrams. Die mit dem Vater stritt, dass er die Tochter nicht wie einen Sohn behandeln solle. Die Tochter und Vater verließ.

    Christine hatte sie nie sehr vermisst, aber die Missachtung, die ihre Mutter ihr und ihrem Sport entgegenbrachte, hatte ihr dennoch wehgetan. Sie dachte mit Wehmut daran, wie es sich wohl angefühlt hätte, Vater und Mutter bei den Wettkämpfen auf der Tribüne zu sehen. Beide klatschend und sie anfeuernd, wie sie es nur von ihrem Vater kannte. Wie es gewesen wäre, zu dritt nach Hause zu kommen und über das Spiel zu diskutieren. Eine erfolgreiche Sportlerin-Tochter mit ihren Eltern. Wie man es immer in den Illustrierten sah.

    Christine schüttelte den Kopf und versuchte, damit gleichzeitig auch die Erinnerung abzuschütteln. Mit so etwas wollte sie sich gar nicht erst beschäftigen. Dazu war sie nie der Typ gewesen. Sie hatte keine Probleme. Und wenn sie welche hatte, fraß sie sie in sich hinein und befreite sich beim nächsten Spiel davon oder mit hartem Training, bis sie fast nicht mehr laufen konnte. Das hatte noch immer geholfen. Dann ging es ihr wieder gut. Aber was konnte sie jetzt tun, wo sie ans Bett gefesselt war? Wo jede Bewegung, die über einen Gang zur Toilette hinausging, verboten war? Sie schlug mit der Faust auf die Bettdecke, dass es ein dumpfes Geräusch gab. Aber so konnte sie sich nicht abreagieren. Sie musste hier raus. Und zwar so bald wie möglich!

    Das Wochenende brachte keine Erleichterung, nur Langeweile und wachsenden Ärger über die Ungerechtigkeit des Schicksals. Dennoch war Christine guter Dinge, als sie zum ersten Mal zur Krankengymnastik gebracht wurde. Ihr Bein war zuvor aus der Gipsschiene genommen worden und sie konnte kaum erwarten, es wieder in Form zu bringen. Ein Teil von ihr hoffte nach wie vor, dass sie es rechtzeitig zum letzten Spiel schaffen würde. Die Krankenpfleger rollten sie zu einem Gerät, das aussah wie ein Barren, nur etwas niedriger.

    Elizabeth kam zu ihr und lächelte sie aufmunternd an: »Also, die Idee an diesem Gerät ist, dass Sie sich daran gewöhnen sollen, Ihr Gewicht auf das gesunde Bein zu verlagern. Ich möchte nicht, dass Sie das rechte Bein schon belasten. Machen Sie kleine Schritte und nehmen Sie die Arme zu Hilfe, um sich zu stützen.« Elizabeth stand neben ihr, während die Pfleger Christine in den Stand halfen. »Lassen Sie sich Zeit. Denken Sie daran: kleine Schritte und das Gewicht weg vom rechten Bein.«

    Christine stützte sich auf ihre Arme und machte einen kleinen Schritt. Sofort schoss eine Schmerzwelle durch ihr verletztes Knie. Sie atmete tief ein. Dann machte sie noch einen Schritt. Diesmal achtete sie darauf, dass das Gewicht auf dem linken Bein lastete. Es tat immer noch weh, aber nicht so schlimm wie vorher. Sie ließ sich Zeit und bewegte sich mit Schritten, die kleinen Hüpfern ähnelten, den Barren entlang.

    »Sehr gut«, ermunterte sie Elizabeth. »Bleiben Sie bei den kleinen Schritten.« Nach einer Weile jedoch gewann Christines Ungeduld die Oberhand. Trotzig versuchte sie, ihr rechtes Bein zu belasten. Der Schmerz war so stark, dass sie zu Boden fiel. Elizabeth half ihr auf. »Ich habe doch gesagt, dass Sie das Gewicht nicht auf Ihr rechtes Bein verlagern dürfen. Wenn Sie es zu früh belasten, wird sich die Verletzung nur noch verschlimmern. Wollen Sie denn, dass ein bleibender Schaden zurückbleibt und Sie für den Rest ihres Lebens hinken müssen?« Elizabeth war sichtlich verärgert.

    »Nein«, kam die zornige Antwort und Christine griff wieder nach den Holmen.

    »Na schön, dann lassen Sie uns weitermachen. Kleine Schritte, das Gewicht auf das gesunde Bein verlagern.« Christine bekam den Dreh heraus und schaffte es, das Gerät hinauf und hinunter zu laufen, ohne dabei ins Straucheln zu kommen. »Das soll Sie daran gewöhnen, mit Krücken zu laufen«, sagte Elizabeth und beobachtete sie bei ihrem langsamen Weg entlang der Holme.

    Bei dem Gedanken an diese hässlichen Stöcke sträubte sich alles in Christine. Sie hatte sich noch nie zuvor an den Beinen verletzt und daher noch nie Krücken verwenden müssen. Sie hatte jedoch schon andere Mädchen mit Krücken gesehen. Für sie waren es die schlimmsten Geräte auf der Welt. »Ich möchte nicht mit Krücken laufen«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

    Elizabeth musste innerlich lächeln. Sie hatte die gleiche Aussage schon von anderen gehört. So sehr die Patienten die Krückstöcke auch hassten, sie hatten es immer geschafft, sie zu benutzen und, dank ihr, sogar gut damit zurechtzukommen. Sie machte eine Notiz auf der Patientenkarte. Dabei bemerkte Christine, dass Elizabeth Linkshänderin war.

    Nach der vielen Arbeit schmerzten Christines Arme, aber sie wollte nicht aufhören. Immer und immer wieder schob sie sich zwischen den Barren von einer Seite auf die andere hindurch.

    Elizabeth schaute auf die Uhr. »Die Zeit ist um«, sagte sie. »Sie können jetzt in ihr Zimmer zurück.«

    Christine rollte verärgert mit den Augen. »Kann ich nicht noch ein bisschen weitermachen?« Ihre Arme zitterten bereits, aber das war ein bekanntes Phänomen für sie. Sie hatte oft bis zum Umfallen trainiert.

    Elizabeth weigerte sich jedoch. »Nein. Sie dürfen sich nicht gleich beim ersten Mal überanstrengen. Das wäre nicht gut. Wir sehen uns dann morgen wieder. Vielleicht können wir dann noch zehn Minuten anhängen«, fügte sie hinzu, bevor sie den Raum verließ.

    Auf dem Weg zurück in ihr Zimmer verfluchte Christine die Krankengymnastin. Sie hasste es, auf irgendeine Art dominiert zu werden. Zwar hatte sie sich immer an die Anweisungen des Trainers gehalten und auch ihren Vater respektiert, aber da war es ihr natürlich erschienen. Beide waren Männer und beide waren wesentlich älter als sie. Aber diese junge Frau, die zufällig ihre Behandlung übernommen hatte? Sie schien nur ein paar Jahre älter als sie selbst zu sein. Und wusste sie überhaupt, was sie tat? Wusste sie, wie wichtig es für Christine war, wieder spielen zu können? Oder tat sie nur einfach ihren Job, ohne Ansehen der Person der Patientin? Behandelte sie Christine mit den gleichen Methoden wie irgendeine Hausfrau, die zufällig beim Putzen von der Leiter gefallen war und sich das Bein gebrochen hatte?

    Christine war wütend, dass sie so wenig Einfluss nehmen konnte. Ihr Bein schmerzte, aber Schmerzen hatte sie immer ignoriert. Konnte diese doofe Krankengymnastin das nicht auch einfach tun? Da, wo es um entscheidende Dinge gegangen war, hatte Christine ihr Trainingstempo immer selbst bestimmt, hatte sich mehr abverlangt, als ihr Vater oder der Trainer je von ihr gefordert hätten. Und es hatte funktioniert. Ihre Grenzen zu überschreiten hatte sie immer ein Stück weitergebracht. Aber hier? Sie wusste nicht, was sie anrichten konnte, wenn sie etwas tat, was die Krankengymnastin oder die ÄrztInnen ihr noch nicht erlaubt hatten. Auf keinen Fall wollte sie ihre gesamte Zukunft als Sportlerin gefährden. Das hieß, sie musste sich auf die Kompetenz dieser in ihren Augen viel zu jungen Frau verlassen, und sie konnte nichts anderes tun, als das Tempo einzuhalten, das sie ihr vorschlug. Ihr aufzwang, wie Christine es empfand.

    Sie fluchte, aber sie legte sich ins Bett und ließ ihr Bein von einer Krankenschwester in der richtigen Position am Galgen fixieren. Wenn sie das Krankenhaus verließ, würde sie nie mehr auf dem Rücken schlafen – das schwor sie sich!

    Die Tage vergingen und Elizabeth brachte Christine immer wieder bis an ihre Grenzen. Christine hatte mittlerweile eingesehen, dass Krankengymnastik anstrengender sein konnte als die anstrengendste Trainingseinheit. Sie hatte geglaubt, all ihre Muskeln im

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1