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eBook519 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Veronica, Chefin des familieneigenen Konzerns, überfährt mit ihrem Porsche die Aushilfskassiererin Rose, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Veronica lässt Rose mit bester medizinischer Versorgung gesundpflegen, und aus anfänglicher Freundschaft entsteht sehr bald Liebe ... doch Veronica hat Rose bisher noch nicht gestanden, dass sie damals den Porsche fuhr ...
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783941598560
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    Buchvorschau

    Bitte verzeih mir - Brenda L. Miller

    PhotoCase.com

    Rose Grayson zog den Reißverschluss ihrer dunkelblauen Sweatjacke zu und stülpte sich die Kapuze über den Kopf. Die Kordel zum Festbinden der Kapuze fehlte; sie war sicherlich schon lange, bevor Rose die Jacke im Secondhand-Laden gekauft hatte, verloren gegangen. Zweifellos würde ihr gleich der erste beißend kalte Windstoß die Kapuze wieder vom Kopf fegen, aber Rose hatte nichts anderes, um sich vor der eisigen Kälte zu schützen. Mutlos blickte sie aus dem Schaufenster auf den hell erleuchteten Parkplatz des Supermarkts, in dem sie stundenweise arbeitete. Eigentlich hatte sie gehofft, irgendwann eine Vollzeitstelle zu bekommen, doch angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage wurden kaum noch Leute fest angestellt. Wegen der verrückten Zeiten ihrer Schichten bei Money Slasher war es ihr nicht möglich, noch einen weiteren Teilzeitjob anzunehmen, aber Rose konnte es sich nicht leisten zu kündigen. Sie hatte sich wochenlang bei sämtlichen Supermärkten in Albany beworben, ehe sie diesen Job bekam.

    Wie vom Wetterbericht vorhergesagt, hatte sich aus den unscheinbaren Schneeflocken, die zu Beginn ihrer Schicht vom Himmel gerieselt waren, inzwischen ein ausgewachsener Schneesturm entwickelt. Mittlerweile lag der Schnee schon dreißig Zentimeter hoch auf den Straßen, und ein Ende des Schneefalls war nicht abzusehen. Rose warf einen Blick auf ihre abgetragenen Turnschuhe und seufzte. Das war der größte Nachteil an ihrem drei Kilometer weiten Heimweg: Ihre Füße würden auf dem langen Marsch garantiert zu Eisblöcken gefrieren – ganz zu schweigen von ihrem restlichen Körper. Ab und an hatte sie Glück und konnte mit Kim, der Leiterin des Supermarkts, mitfahren, aber heute hatte Kim schon eine Stunde früher Feierabend gehabt. Also holte Rose tief Luft, schob sich die blonden Haare unter die Kapuze und trat hinaus in die erbarmungslosen Naturgewalten.

    ~*~*~*~

    Veronica Cartwright warf zum zehnten Mal in einer Stunde einen Blick auf ihre diamantenbesetzte Uhr. Es gab nichts Schlimmeres für sie, als einen Abend bei Sam’s zu verbringen, dem vornehmen Fischrestaurant, in dem sich die Reichen und Mächtigen aus Albanys High Society gern trafen. Allabendlich konnte man dort den Gouverneur, Mitglieder des Senats und andere Mitglieder der oberen Zehntausend treffen, die gern hundert Dollar für ein Abendessen ausgaben. Der Oberkellner kannte jeden ganz genau und verteilte die Gäste auf den entsprechenden Plätzen. Niemals würde eine Frau wie Veronica, die eines der größten Familienunternehmen der Gegend führte, neben einem Gast platziert werden, dem nicht einmal sein eigenes Haus gehörte. Doch trotz der weltberühmten Küche des Restaurants ging Veronica nur äußerst ungern hier essen. Sie fand einen Abend zu Hause mit einem einfachen Essen, das sie sich auf dem Nachhauseweg beim Chinesen geholt hatte, weitaus angenehmer als mit den Reichen und weniger Reichen zu verkehren.

    An diesem Abend hatte sie jedoch keine andere Wahl gehabt. Mark Grace, der Vorsitzende einer städtischen Kommission, die Genehmigungen für gewerbliche Grundstücksnutzungen vergab, blockierte eine Genehmigung, die ihr Unternehmen dringend benötigte. Es war nun ihre Aufgabe, die Wogen wieder zu glätten und die Genehmigung durchzuboxen. Ihre Cousins leiteten eine Kette von Autowaschanlagen namens Cartwright Autowäsche, eines der vielen Tochterunternehmen des Familienkonzerns. Zwar brachte die Firma im Hinblick auf ihre Erträge der Familie nicht viel Gewinn, dafür war sie in der Öffentlichkeit um so bekannter. Es gab dreißig Autowaschanlagen in der Gegend, für die in zahlreichen Fernsehwerbespots geworben wurde. Der Slogan »Cartwrights – und Ihr Auto fühlt sich gut!« war äußerst erfolgreich und hatte den Namen des altehrwürdigen Finanzmagnaten in allen Haushalten der Stadt bekannt gemacht.

    John und Frank, Veronicas Cousins und Geschäftsführer der Firma, hatten vor, eine neue Filiale an der Ecke Lake und State Street zu errichten. Es handelte sich um eine vorzügliche Lage in einem Wohngebiet. Sie hatten schon den Eckladen erworben, der zuvor dort gewesen war, sowie die angrenzenden Häuser, in der Hoffnung, dadurch leichter an die Genehmigung zu kommen. Doch nun erhob Grace als Vorsitzender der Kommission den Einwand, dass dadurch drei von Albanys ›schönen, alten Gebäuden‹ zerstört würden, nur wegen einer ›sinnlosen Autowaschanlage‹.

    Sämtliche Gesprächsrunden und Verhandlungen scheiterten, und auch das Versprechen, im Gegenzug öffentliche Projekte mit großzügigen Spenden zu unterstützen, hatte zu keinem Ergebnis geführt. Selbst konkrete Bestechungsversuche waren erfolglos geblieben. Als den Brüdern nichts mehr einfiel, wie sie den Vorsitzenden doch noch umstimmen könnten, wandten sie sich an Veronica, um das Problem zu lösen. Mark Grace stürzte sich voller Begeisterung auf die Gelegenheit, eine der begehrtesten Frauen der Stadt kennenzulernen, und bestand darauf, sich mit ihr zum Abendessen zu treffen.

    Aus diesem Grund hatte Veronica inmitten eines der schlimmsten Schneestürme, die Albany seit Jahren erlebt hatte, ihr schönes Haus verlassen müssen, um Grace bei einem Abendessen davon zu überzeugen, den gewünschten Antrag zu genehmigen. So etwas gehörte zum Geschäft, und Veronica war daran gewöhnt. Das einzige Problem bestand darin, dass sich Grace offensichtlich mehr als nur ein nettes Essen von Veronica erhoffte. Weil er darauf bestanden hatte, sich gleich an diesem Abend mit ihr zu treffen, hatte sie keinen Tisch reservieren können. Der Oberkellner musste sie also zuerst an die Bar setzen, während er verzweifelt versuchte einen Tisch für die Präsidentin des Cartwright-Konzerns und ihren Gast aufzutreiben.

    Während sie dort warteten, musste sich die attraktive Frau mit den blauen Augen und den tiefschwarzen Haaren anhören, wie dieses armselige kleine Würstchen von Mann neben ihr mit seinen akademischen Titeln prahlte. Mit einem unglaublichen Selbstvertrauen versicherte er ihr immer wieder, wie clever er sei und dass sie es bestimmt sehr genießen würde, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Das einzige, was diesen Abend etwas erträglicher machte, war der ausgezeichnete Wein, den der Oberkellner ihr immer wieder nachschenkte. So konnte sie sich wenigstens einen angenehmen Rausch antrinken, während sie zuhörte, wie sich ihr Gegenüber aufplusterte.

    Eineinhalb Stunden später saßen sie endlich an einem Tisch und bekamen ihr Essen serviert. »Wirklich, Veronica, Sie haben einen ausnehmend schönen Namen. Ein wunderschöner Name für eine wunderschöne Frau.« Grace verirrte sich mit seiner Gabel auf ihren Teller und stahl ihr ein Stückchen von ihrem gebackenen Hummer. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie ernsthaft der Meinung sind, dass in einer derartig angenehmen und vornehmen Gegend eine Autowaschanlage gebaut werden soll. Stellen Sie sich doch nur einmal vor, wieviel zusätzlichen Verkehr das zur Folge haben wird. Außerdem werden die Leute durch den Lärm, den diese Maschinen machen, in ihrem Schlaf gestört.« Seine Gabel holte sich ein weiteres Stück Hummer von ihrem Teller, diesmal den Überrest des Schwanzes. »Sie würden doch sicherlich auch nicht gern in der Nähe einer Autowaschanlage wohnen, oder?«

    Veronica beobachtete verärgert, wie der beste Teil ihres Hummers im Mund ihres Tischgefährten verschwand. Sie war den ganzen Abend über höflich und zuvorkommend gewesen, doch nun war es an der Zeit, diesem Winzling vor ihr eine Lektion zu erteilen. Sie tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und richtete ihre stählernen blauen Augen auf Grace.

    »Die Autowaschanlage ist lediglich von morgens acht Uhr bis abends zehn Uhr geöffnet. Ich bin also sicher, dass kein Mensch deswegen in seinem Schlaf gestört wird, und wenn Sie noch einmal ein Stück Hummer von meinem Teller klauen, werde ich Ihnen meine Gabel in die Hand rammen, verstanden?« sagte sie ruhig und nahm einen Schluck von ihrem Wein. »Wir beide wissen ganz genau, dass in diesem Gebiet auch jetzt schon jede Menge Verkehr herrscht. Außerdem haben sich die Bewohner ausdrücklich für die Autowaschanlage ausgesprochen, zumal dadurch zehn Arbeitsplätze geschaffen werden. Was glauben Sie wohl, wie die nächste Wahl ausgehen würde, wenn wir den Demokraten diese kleine Information in die Hände spielen würden? Wie würde sich das wohl auf Ihren Posten auswirken, wenn der neue Bürgermeister sich plötzlich entschließen sollte, in seiner Verwaltung einmal gründlich auszumisten?«

    »Ach Miss Cartwright, das ist doch nichts weiter als heiße Luft«, sagte Grace, lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Natürlich war das Rauchen im Restaurant nicht gestattet, doch Grace glaubte fest daran, dass seine Stellung es ihm erlaubte, sich jederzeit über ein seiner Meinung nach sinnloses Gesetz hinwegzusetzen. »Die Cartwrights haben die Republikaner schon immer unterstützt. Das weiß doch jeder.« Er nahm noch einen Zug von seiner Zigarette.

    Der Rauch kitzelte Veronicas Nase. »Tatsächlich?« sagte sie und leerte ihr Glas.

    Bei dem Gedanken an die Bombe, die sie gleich unter dem unglücklichen Kommissionsvorsitzenden zünden würde, konnte sie sich ein Lächeln kaum verkneifen.

    »Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Grace. Die Cartwrights haben im Lauf der Jahre mehr als einen Demokraten unterstützt, und nun, da ich den Konzern leite, wird sich diese Zahl sicherlich noch weiter erhöhen.« Ihre blauen Augen bohrten sich in seine, während sie sich vorbeugte, ihm die Zigarette aus dem Mund nahm und sie mit der Glut in seine gefüllte Hummerkrabbe steckte. »Mir persönlich ist diese Genehmigung vollkommen egal, ich möchte nur meinen Cousins einen Gefallen tun. Ich werde liebend gern hunderttausend Dollar für die nächsten Wahlen spenden, wenn ich Sie dadurch von Ihrem Posten vertreiben kann. Vielleicht bekommt ihn dann jemand, dem Arbeitsplätze wichtiger sind als irgendwelche albernen Machtspielchen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.« Sie warf ihm ein bezauberndes Lächeln zu. »Entweder Sie spielen den Guten, der neue Arbeitsplätze in die Gegend bringt, oder Sie sind der Idiot, der aus dem Amt gewählt wird – was ist Ihnen lieber?« Doch schon während sie dies sagte, fasste Veronica den Entschluss, dass es bald einen neuen Kommissionsvorsitzenden geben würde. »Ich glaube, damit ist unsere Besprechung beendet. Ich hoffe, dass Ihnen das Essen gefallen hat.«

    Auf seinen verwunderten Blick hin fragte sie sarkastisch: »Was? Haben Sie ernsthaft geglaubt, Sie würden heute Abend bei mir zum Zug kommen, Mr. Grace?« Ihre Augen musterten ihn rasch von oben bis unten. »Tut mir leid, aber ich schlafe nicht mit Hunden. Schließlich weiß man nie, ob sie vielleicht Flöhe haben.« Sie nahm ihre Aktentasche und ging mit großen Schritten aus dem Restaurant.

    ~*~*~*~

    Rose überquerte die Straße und näherte sich dem Washington Park, einem riesigen, grünen Flecken inmitten der Stadt. Der Park wurde abends geschlossen, wegen der Kriminellen, Prostituierten und Penner, die sich im Schutz der Dunkelheit dort herumtrieben. Normalerweise ging Rose um den Park herum, aber das war ein beträchtlicher Umweg, und angesichts des beißenden Windes und der bitteren Kälte an diesem Abend wollte sie so schnell wie möglich nach Hause kommen. Während des kurzen Stück Wegs vom Supermarkt zum Park hatten sich ihre Ohren bereits knallrot gefärbt, und ihre Nase lief. Sie konnte ihre Zehen nicht mehr spüren, und die Taschen ihrer Sweatjacke konnten ihre Hände nur unzureichend vor der Kälte schützen. Wegen der Kälte und weil sie keine Fußspuren auf dem Weg sah, der in den Park führte, entschied Rose, dass es an diesem Abend nicht gefährlich sein dürfte, den direkten Weg durch den Park zu nehmen. Sie stapfte an der riesigen Statue vorbei, die den Eingang zum Park markierte, und an dem schneebedeckten Schild, das davor warnte, den Park bei Nacht zu betreten. Der heftige Wind riss ihr immer wieder die Kapuze vom Kopf und ihr schulterlanges Haar schlug ihr ins Gesicht. Ihr Körper zitterte vor Kälte, und sie konnte an nichts anderes mehr denken als daran, endlich die Haustür aufzuschließen und in ein schönes heißes Bad zu sinken. Der Schnee ging ihr bis zu den Knien, und jeder Schritt saugte die Kraft nur so aus ihr heraus. Nur noch ein kleines Stückchen, Rose, munterte sie sich in Gedanken auf.

    Auf halbem Weg durch den Park, die Lichter der Madison Avenue waren schon in Sicht, hörte Rose jemanden hinter sich näherkommen. Schnelle Schritte knirschten auf dem Schnee.

    »Da schau einer an. Was haben wir denn hier?« hörte sie von weitem.

    Rose drehte den Kopf und erblickte vier Männer, die sich ihr rasch näherten. Sie rannten nicht, liefen jedoch so schnell, wie es bei diesem Schneetreiben möglich war.

    »Komm schon, Süße, wir haben was für dich.«

    »Ja, komm, machen wir ’ne kleine Party.«

    Ihre Beine fühlten sich durch die Kälte an wie Blei, aber die Vorstellung, inmitten des dunklen Parks von vier Männern angegriffen zu werden, ließ Rose’ Schritte schneller werden. Sie versuchte ihre Verfolger zu ignorieren und hielt unbeirrt an ihrem Weg fest, doch die Männer gaben nicht auf.

    »Komm schon, Schlampe, Danny will doch nur ’n bisschen Spaß haben«, sagte der Mann, der ihr am nächsten gekommen war, und Rose’ Herz begann schmerzhaft in ihrer Brust zu schlagen. Sie musste hier weg, und zwar sofort. Stolpernd rannte sie durch den hohen Schnee auf die Lichter der Madison Avenue zu.

    Veronica fuhr die Madison Avenue so schnell entlang, dass der Porsche auf dem nassen Schnee ins Rutschen kam. So spät waren – bis auf ein Taxi ab und zu – keine anderen Autos mehr unterwegs. Ihre Gedanken kreisten um den unerfreulichen Abend, und sie bemerkte die Lark Street erst, als sie schon fast daran vorbeigefahren war.

    »Verdammt!« Es war die letzte Querstraße vor dem Park gewesen. Nun musste sie an ihm entlang fahren und hinterher abbiegen. Sie schaltete in den zweiten Gang und drückte auf das Gaspedal, entschlossen, so schnell wie möglich zur nächsten Kreuzung zu kommen. Obwohl sie langsamer fuhr als die erlaubte Geschwindigkeit, war sie zu schnell für die schlechten Witterungsverhältnisse. Plötzlich schoss eine Gestalt zwischen den geparkten Autos am Straßenrand hervor, ein Blitz aus Blau und Gold.

    Veronica stemmte sich mit beiden Füßen gegen das Bremspedal und riss das Lenkrad nach links, doch es war zu spät. Ihre Räder fanden im Schnee keinen Halt. Ein unheimliches Schweigen erfüllte die Luft, während sie beobachtete, wie die niedrige Haube des Porsche den Fußgänger erfasste und die hilflose Person gegen die Windschutzscheibe warf. Mehrere Autolängen später kam der rote Sportwagen zum Stehen, und der zusammengebrochene Körper rutschte von der Motorhaube in den Schnee.

    Einige Sekunden lang konnte Veronica nichts weiter tun, als das Lenkrad zu umklammern und den Riss zu betrachten, der sich wie ein Spinnennetz über ihre Windschutzscheibe zog, während ihr Herz erbarmungslos schlug. Oh mein Gott, ich habe jemanden überfahren.

    Mit zitternder Hand öffnete sie die Tür und kletterte aus dem Auto. Ihre Knie waren so wackelig, dass sie sich am Auto festhalten musste, um nicht umzufallen, während sie auf die bewusstlose Gestalt am Boden zustolperte. Hastig sah sie sich nach möglichen Zeugen um, doch um halb eins in einer Dienstagnacht lagen alle Leute schon im Bett. Die vier Männer, die ihr Opfer auf die Straße gejagt hatten, sah sie nicht. Sie hatten sogleich kehrtgemacht und waren wieder im Dunkel des Parks verschwunden.

    Um den Körper herum hatte sich schon eine Blutlache gebildet, obwohl die extreme Kälte dafür sorgte, dass das Blut weniger rasch floss, als es normalerweise der Fall gewesen wäre. Veronica kniete sich neben der gekrümmten Gestalt auf den Boden und rollte sie mit ihrer behandschuhten Hand auf den Rücken. Sie keuchte, als sie in das zerschundene Gesicht einer jungen Frau blickte.

    »Ist schon gut, alles wird gut werden«, sagte sie zu der Bewusstlosen und sah sich suchend nach der nächsten Querstraße um. Es war die New Scotland Avenue. »Wir sind nur drei Blocks vom Albany Med entfernt«, sagte sie beruhigend, denn das Albany Med war ein bekanntes Krankenhaus. Rasch öffnete sie die Beifahrertür und zog an dem Hebel, der den Sitz nach hinten klappte. Ihr war zwar bewusst, dass sie die Verletzte vermutlich nicht bewegen sollte, aber die Blutlache wurde immer größer. »Wir sind zu dicht am Krankenhaus, um auf einen Krankenwagen zu warten«, sagte sie und zog die junge Frau nach oben. »Ich werde Sie zum Krankenhaus bringen. Dort wird man sich um Sie kümmern, das verspreche ich. Halten Sie durch.« Mit einem angestrengten Stöhnen schleppte sie die Bewusstlose zum Auto. Eine Minute später rasten sie bereits auf das Krankenhaus zu.

    Während sie auf die Einfahrt zuschoss, auf der in großen Buchstaben NOTAUFNAHME stand, fiel Veronica plötzlich ein, dass sie vielleicht Probleme bekommen könnte. Schließlich war sie nicht nur zu schnell gefahren und hatte jemanden dabei verletzt, sie hatte dazu auch eine Menge Wein getrunken. Das würde bei einem Alkoholtest sofort herauskommen. Darum riss sie im letzten Moment das Lenkrad zur Seite und stellte sich auf einen der Parkplätze für Ärzte. Im Dunkeln, wenn nur die Rückseite des Porsche zu sehen war, würde sich niemand darüber wundern. Sie stieg aus dem Auto, rannte auf die Notaufnahme zu und überlegte verzweifelt, was sie nun tun sollte. Da sah sie eine Bahre im Flur stehen. Ohne zu zögern packte Veronica die Liege und rollte sie durch die Glastür ins Freie. Aufgrund der vielen Stunden, die sie in ihrem privaten Fitnessstudio verbracht hatte, war es ein leichtes für sie, den schmächtigen Körper der Frau auf die Liege zu legen. »Wir sind jetzt im Krankenhaus. Dort wird man sich um Sie kümmern, das verspreche ich.« Als Veronica die Liege zum Eingang schob, rutschte ein kleines Portemonnaie aus der Hosentasche der jungen Frau und landete im Schnee. Veronica hob es auf, steckte es in die Tasche ihrer Lederjacke und schob die Liege so schnell wie möglich auf den Eingang zu.

    Sobald sich die Türen öffneten, rief sie laut: »Ich brauche Hilfe! Diese Frau ist von einem Auto angefahren worden!«

    Eine Krankenschwester und der diensthabende Arzt eilten herbei und begannen, sie zu untersuchen. »Wir haben hier mehrfache Knochenbrüche. Bitte schauen Sie nach, wer im OP Dienst hat«, sagte der blonde Arzt.

    Sofort eilte jemand los, um den Chirurgen zu benachrichtigen und Hilfe anzufordern, während die Schwester den Blutdruck der Verletzten maß.

    Veronica, die daneben stand, sah voller Entsetzen, wie der Arzt die Jacke und die Kleider der jungen Frau mit einer Schere aufschnitt. Alles schien voller Blut zu sein, vor allem die Hosen.

    Ein älterer Arzt kam mit vom Schlaf zerzausten Haaren dazu. »Was haben wir hier?«

    »Unfall mit Fahrerflucht. Mehrfache Brüche an Wade und Schienbein, Dr. Maise«, erklärte der junge Arzt. »Vermutlich auch innere Verletzungen. Das Auto ist offenbar sehr schnell gefahren.«

    »Bereiten Sie OP 2 vor. Wir benötigen sechs Blutkonserven, und bitte rufen Sie Gannon und Marks, damit sie uns assistieren.«

    Danach verstand Veronica kein Wort mehr von dem, was die beiden Ärzte miteinander sprachen. Sie steckte die Hände in die Jackentaschen und fühlte den kalten Geldbeutel des Unfallopfers zwischen ihren Fingern. Sie öffnete ihn und war überrascht, wie kläglich er gefüllt war. Es gab keine Fotos, keine Kreditkarten, nicht einmal einen Führerschein. Ein blauer Büchereiausweis wies die Verletzte als Rose Grayson aus und gab ihre Adresse mit Morris Street an. Eine Sozialversicherungskarte und eine Money Slasher Rabattkarte waren die einzigen weiteren Dinge, die die Besitzerin des Geldbeutels identifizierten. Sie öffnete das Geldfach und fand zwei Busfahrscheine, einen Hausschlüssel und zwölf Cent. Sonst war der Geldbeutel leer. Nun, wenigstens gibt es hier einen Namen und eine Adresse für die Krankenhausverwaltung, dachte sie und ging zu dem Zimmer, in dem die diensthabende Nachtschwester saß. Beim Näherkommen hörte sie zufällig die Unterhaltung der zwei Frauen hinter der Theke mit.

    »Sieht aus wie eine Bedürftige. Tragen Sie als Namen einfach Jane Doe ein . . . Mal sehen . . .« Die Frau kramte in den Papieren auf dem Schreibtisch. ». . . Nummer 77. Sobald sie außer Lebensgefahr ist, wird man sie sowieso ins Memorial Hospital verlegen.«

    »Entschuldigung«, unterbrach Veronica. »Sie wurde von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Warum sollte man sie in ein anderes Krankenhaus verlegen?«

    »Sehen Sie«, sagte die Oberschwester, die laut dem Namensschild an ihrem Kittel Mrs. Garrison hieß. »Dieses Krankenhaus ist nach dem Gesetz des Staates New York dazu verpflichtet, alle Verletzten und Kranken, die hier als Notfall eintreffen, medizinisch zu versorgen. Doch sobald keine akute Lebensgefahr mehr besteht, können wir sie zu einem anderen Krankenhaus transportieren lassen, das seine Quote für die Behandlung Bedürftiger noch nicht erfüllt hat.«

    »Die Quote für die Behandlung Bedürftiger?«

    »Wir sind dazu verpflichtet, eine bestimmte Anzahl an Bedürftigen im Jahr kostenlos zu versorgen. Diese Quote haben wir bereits erfüllt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass diese Patientin kein Geld hat und vermutlich auch nicht versichert ist. Momentan wird sie operiert – eine Operation, die sie vermutlich niemals bezahlen wird. Dieses Krankenhaus kann sich nicht allein aus wohltätigen Diensten finanzieren. Wenn sie nicht bezahlen kann, wird man sie eben ins Memorial Hospital verlegen. Dort haben sie die Sozialquote für dieses Jahr noch nicht erfüllt.«

    Veronica verstand die Anspielung – keine Versicherung und damit auch keine Versorgung in der besten Klinik der Gegend. »Aber sie ist versichert«, platzte es aus ihr hervor, nachdem sie blitzschnell eine Entscheidung getroffen hatte. »Ich meine . . . ich kenne diese Frau. Sie arbeitet für mich.«

    »Sie ist versichert?« fragte die Schwester ungläubig. »Werte Dame, den Wind mit eingerechnet herrscht da draußen eine Temperatur von minus fünfzehn Grad. Sie läuft in einer Sommerjacke herum, die so aussieht, als käme sie aus der Altkleidersammlung. Versicherungsbetrug wird in diesem Staat schwer geahndet. Und wo ist denn ihre Versicherungskarte?«

    »Nein, ich sage Ihnen doch, sie ist versichert. Hier, sehen Sie.« Veronica griff in ihre Jacke und zog ihr Visitenkartenetui hervor. »Ich bin Veronica Cartwright. Ich leite den Cartwright-Konzern.« Sie warf einen kurzen Blick auf den Büchereiausweis in ihrer Hand und fuhr dann fort: »Miss Grayson hat eben erst angefangen, bei uns zu arbeiten. Vermutlich hat sie ihre Karte einfach noch nicht erhalten, aber ich versichere Ihnen, dass sie über mein Unternehmen versichert ist. Haben Sie irgendein Formular, das ich unterschreiben soll, um Ihnen dies zu bestätigen?«

    Die Krankenschwester, die nun merkte, dass sie möglicherweise einen Fehler begangen hatte, zeigte sich plötzlich sehr beflissen und zog einen Aufnahmeantrag hervor. »Bitte füllen Sie Punkt eins bis zehn nach bestem Wissen aus. Wissen Sie, ob Miss Grayson Familie hat?«

    »Nein, aber in unseren Unterlagen steht das sicher.«

    »Gut.« Die Krankenschwester wandte sich an ihre Kollegin. »Ändern Sie das Patientenblatt für Jane Doe 77. Ihr Name lautet . . .« Sie schaute Veronica fragend an.

    »Rose Grayson.«

    »Rose Grayson«, wiederholte Schwester Garrison, als ob ihre jüngere Kollegin es nicht schon beim ersten Mal gehört hätte.

    Veronica verließ die Patientenaufnahme und setzte sich in einen der orangefarbenen Stühle. Als sie ihre Jacke öffnete, bemerkte sie einen Blutfleck auf dem braunen Leder. Das ist Rose’ Blut, dachte sie und erschauerte, als ihr einfiel, dass sie dafür verantwortlich war. Schnell faltete sie die Jacke zusammen und legte sie neben sich. Dann nahm sie den Aufnahmeantrag und beantwortete die Fragen, so gut es ging.

    Drei Stunden später blickte Veronica besorgt auf die Uhr. Rose war immer noch im Operationssaal. Bislang war noch kein Arzt herausgekommen, und Veronica wurde angesichts dieser Ungewissheit zunehmend nervöser. Was, wenn sie stirbt? Kaum hatte Veronica diesen finsteren Gedanken abgeschüttelt, da drängte sich schon das nächste Problem in ihren Kopf. Bald würde es hell werden, und dann würde der Schaden an ihrem Fahrzeug nicht mehr zu übersehen sein. Das hätte unweigerlich Fragen zur Folge, die sie nur ungern beantworten wollte. Nach kurzer Überlegung ging Veronica zu dem öffentlichen Fernsprecher im Warteraum und nahm den Hörer ab. Während sie die vertraute Nummer wählte, dachte sie, welche Ironie des Schicksals es doch war, dass eine Frau, die sonst immer einen Gefallen gewährte, nun selbst um einen bitten musste.

    Beim dritten Klingeln meldete sich eine verschlafene männliche Stimme. »Wer das ist sollte besser einen verdammt guten Grund dafür haben.«

    »Frank, Ronnie hier.«

    »Ronnie?« Sofort veränderte sich der Tonfall. »He, Kusinchen, was ist passiert?«

    »Ich brauche . . .« Veronica schluckte. »Du musst mir einen Gefallen tun.«

    »Hast du diesen Idioten dazu gebracht, der Genehmigung zuzustimmen?«

    »Hör zu, Frank, das hier ist sehr wichtig.« Sie hörte das Klacken einen Feuerzeugs, während sich ihr Cousin eine Zigarette anzündete, um endgültig wach zu werden. »Du musst mein Auto abholen und mir ein anderes vorbei bringen.«

    »Seit wann bin ich dein persönlicher Abschleppservice?«

    »Seit ich einen ganzen Abend mit diesem Wichser Grace verbracht habe, um deinen Arsch zu retten«, knurrte Veronica. Verdammt, Frank, streit jetzt nicht mit mir herum. »Mein Wagen steht auf dem Parkplatz der Notaufnahme beim Albany Medical Center. Es muss jetzt gleich sein, du kannst auf keinen Fall bis morgen warten.« Es fiel ihr schwer, um diesen Gefallen zu bitten, aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Wenigstens wusste sie, an wen sie sich wenden konnte, wenn sie etwas diskret erledigt haben wollte. Ihr Lieblingscousin war überaus vorsichtig und verschwiegen.

    »Die Notaufnahme? Ronnie, ist alles in Ordnung mit dir?«

    »Sei still, Frank. Ich möchte nicht, dass du Agnes aufweckst. Ja, mir geht’s gut, bin nur etwas durcheinander.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Du musst unbedingt herkommen und das Auto abholen.«

    »Kann man noch damit fahren, oder hast du es um einen Baum gewickelt?«

    »Die Windschutzscheibe und die Motorhaube sind beschädigt. Am besten, du fährst damit um ein paar Ecken und stellst es dann auf einen Abschleppwagen.«

    »Himmel, du bist auch gar nicht anspruchsvoll, was? Dafür muss ich John um Hilfe bitten. Ich kann keinen Abschleppwagen fahren und gleichzeitig noch ein zusätzliches Auto mitbringen.«

    »Stell das zweite Auto einfach auf den Abschleppwagen, dann schaffst du das auch allein. Aber bitte beeil dich.« Sie beendete die Verbindung und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Während sie zum hundertsten Mal gelangweilt durch die uralte Ausgabe einer Frauenzeitschrift blätterte, betrat Doktor Maise endlich den Raum.

    »Grayson. Wartet hier jemand wegen Grayson?« fragte er laut, obwohl Veronica die einzige Anwesende war.

    »Hier.« Schnell erhob sie sich. »Wie geht es ihr?«

    »Den Umständen entsprechend. Sie schläft nun. Sind Sie mit ihr verwandt?«

    »Äh . . . nein. Ich bin ihre Arbeitgeberin.«

    »Mhm . . . Haben Sie schon ihre Familie verständigt?«

    »Noch nicht. Meine Sekretärin kümmert sich darum«, log sie. »Wie geht es ihr?«

    »Nun, beide Beine sind mehrfach gebrochen, und sie hat einen Riss im Schädelknochen davongetragen, vermutlich von dem Aufprall auf die Straße. Dazu kommen noch Abschürfungen und ein Schnitt in ihrem Gesicht, der genäht werden musste. Keine inneren Verletzungen. Sie wird sich wieder erholen, aber vermutlich wird es einige Zeit dauern, ehe sie wieder arbeiten kann.« Er nahm seine Brille ab und wischte sich über die Augen. »Ich würde sagen, etwa zwei bis drei Monate, bis die Knochen in den Beinen wieder zusammengewachsen sind, dann noch weitere drei bis sechs Monate Krankengymnastik.«

    »Oh Gott.« Veronica sank erschüttert auf einen der unbequemen Stühle. Sie konnte es nicht fassen, dass sie innerhalb eines Sekundenbruchteils das Leben eines Menschen für so lange Zeit ruiniert hatte.

    »Haben Sie den Unfall gesehen?« fragte der Arzt und riss sie wieder aus ihren Gedanken.

    »Ähm . . . nein. Habe ich nicht«, antwortete sie und betete, dass Frank nicht wieder eingeschlafen war, sondern sich mit einem Abschleppwagen auf dem Weg zu ihr befand.

    »Nun, das junge Mädchen ist jedenfalls mit großer Wucht von dem Wagen erfasst worden. Vermutlich war es irgendein Betrunkener, der nicht einmal bemerkte, dass er sie angefahren hat.«

    »Vermutlich«, wiederholte Veronica.

    »Wenn Sie mich nun entschuldigen, ich möchte noch einmal nach ihr sehen.« Er verließ das Wartezimmer.

    Veronica sah ihm nach, Tausende von Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Die Frau – Rose – würde leben. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, aber die Schuldgefühle nagten weiter an ihr. Innerhalb eines kurzen Augenblicks hatte sie die Beine der jungen Frau zerschmettert und sie vielleicht lebenslang zum Krüppel gemacht.

    ~*~*~*~

    Veronica hatte die Augen geschlossen, Müdigkeit drohte, sie zu übermannen. Minuten später wurde sie jedoch unsanft geweckt, als ihre Nase von dem durchdringenden Geruch eines allzu verschwenderisch aufgetragenen Aftershaves attackiert wurde.

    »Kusinchen!«

    »Hi, Frank«, sagte sie müde, während er sich auf den Stuhl neben ihr plumpsen ließ. »Hast du alles erledigt?«

    »Alles paletti«, sagte er stolz und reichte ihr einen Schlüsselbund. »Der blaue Mazda. Dritte Reihe, rote Nummernschilder. Nicht zu übersehen.«

    »Danke.«

    »Kein Problem. Ich freue mich doch, wenn ich meinem Lieblingskusinchen mal einen Gefallen tun kann.« Er lächelte und zeigte eine blitzende Reihe von Zähnen, die viel zu weiß waren, um echt zu sein. »Was ist passiert? Hast du jemanden angefahren?«

    »Halt den Mund«, zischte sie durch zusammengebissene Zähne, überrascht, wie dämlich ihr Cousin zu sein schien.

    »Oh, tut mir leid.« Er hielt die Hände beschwichtigend nach oben. »Mensch, hast du deine Tage, oder was?«

    Sie versuchte innerlich ganz ruhig zu bleiben, und erwiderte: »Danke, dass du dich darum gekümmert hast, Frank. Tu mir einen Gefallen und sorge dafür, dass der Porsche zu mir in die Garage gestellt wird. Ich werde Hans bitten, sich darum zu kümmern.«

    »Ich verstehe nicht, warum du ihn fragst, und nicht Michael. Du weißt doch, dass er ein Autohaus . . .«

    »Michael hat eine Toyota-Vertretung. Er repariert Autos, die zwanzigtausend oder dreißigtausend Dollar wert sind, keine Porsches. Hans ist der beste Automechaniker, den ich kenne. Sorge du einfach dafür, dass der Wagen in die Garage kommt, so dass man ihn nicht sieht. Fahr den Jeep beiseite, wenn du Platz brauchst.«

    »Also gut«, seufzte er ergeben, im Wissen, dass sie sich sowieso nicht umstimmen lassen würde, und sah sich suchend im Raum um.

    »Ist das alles?« fragte Veronica ungeduldig und blickte demonstrativ von ihm zur Tür.

    »Du willst mir also nicht erzählen, was du hier zu suchen hast oder warum dein Auto so zerbeult ist?«

    »Frank, was mit meinem Wagen passiert ist und warum ich hier bin, geht nur mich etwas an. Ich frage ja auch nicht danach, wohin die Gewinne aus den Autowaschanlagen fließen.«

    »Okay, verstanden.« Frank war schlau genug, sie nicht zu verärgern. Er wusste genau, wie unberechenbar sie werden konnte. Er erhob sich. »Du hast ja meine Nummer, wenn du was brauchst.«

    »Genau.« Veronica öffnete die Zeitschrift vor sich und blätterte betont interessiert darin herum, zum Zeichen, dass er nun gehen konnte. Sie wartete, bis er den Raum verlassen hatte, ehe sie zum Stationszimmer ging und sich nach dem Zustand der jungen Frau erkundigte.

    Kurze Zeit später trat Veronica in das trübe Grau eines neuen Tages hinaus. Es hatte aufgehört zu schneien, und die Straßen waren voller Menschen, die sich durch den Schneematsch zu ihrer Arbeit kämpften. Sie zog noch einmal die Büchereikarte aus der Tasche und schaute auf die Adresse. Morris Street. Auf dem Weg zum Parkplatz überlegte sie, wo die Straße etwa liegen könnte. Da sie sich sicherlich in der Nähe des Parks und damit nicht weit vom Krankenhaus entfernt befand, dürfte es kein Problem sein, sie ohne Stadtplan zu finden.

    Das kleine, blaue Auto stand genau an der Stelle, die Frank ihr beschrieben hatte. Veronica warf ihre Aktentasche auf den Beifahrersitz und zwängte sich hinter das Lenkrad, während sie mit den Händen nach dem Hebel suchte, mit dem sich der Sitz zurückstellen ließ. Nachdem sie den Anlasser einige Male betätigt hatte, sprang der Motor stotternd an. Vorsichtshalber drückte Veronica noch einige Male auf das Gaspedal, bis sie das Gefühl hatte, dass der Wagen einigermaßen lief. »Frank, du Mistkerl«, fluchte sie, während sie mit diesem fahrenden Schrotthaufen langsam aus dem Parkplatz auf die Straße holperte.

    Veronica kam an zwei Querstraßen vorbei, ehe sie die Abzweigung fand, nach der sie suchte. Morris Street war früher einmal die Heimat von Ärzten und anderen wohlhabenden Familien gewesen, hatte sich jedoch schon vor langer Zeit in eine Straße verwandelt, die man vor allem wegen der häufigen Schießereien und dem Ungeziefer in den Wohnungen kannte. Die Häuser standen dicht an dicht, meistens mit nicht einmal einem halben Meter Abstand dazwischen. Veronica parkte das Auto in der einzigen Lücke, die sie weit und breit finden konnte, und ignorierte den leuchtend roten Feuerhydranten auf dem kaputten Gehsteig. Sie nahm ihre Tasche und kletterte aus dem Auto. Kurz überlegte sie, ob sie den Wagen abschließen sollte, entschied dann aber, dass der verbeulte Haufen die Mühe nicht wert war, und stapfte über die Schneewehe, um nach einer Hausnummer zu suchen. Die meisten Gebäude trugen keine oder nur unvollständige Nummern, doch schließlich fand sie das Haus, in dem Rose Grayson lebte.

    Vorsichtig stieg sie die losen und schlüpfrigen Stufen empor, die zu den Wohnungen im Erdgeschoß und im ersten Stock führten. Ein Blick auf die Briefkästen zeigte ihr dann jedoch, dass Rose im Souterrain wohnte. Veronica zog ein paar Briefe aus dem Briefkasten und machte sich wieder an den Abstieg. Sie fluchte über die eisverkrusteten Stufen und hielt sich vorsichtshalber an dem wackeligen Metallgeländer fest, während sie langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Unter der Treppe entdeckte sie schließlich eine Tür, deren Farbe schon größtenteils abgeblättert war, mit einem kleinen Pappschild, auf dem nur Grayson stand. Veronica klopfte einige Male, aber niemand antwortete. Vielleicht lebte die junge Frau allein. Sie griff in ihre Tasche, holte den Schlüssel aus dem zerrissenen Stoffgeldbeutel und schob ihn in das Schloss in der Türklinke. Es erforderte einige Versuche, doch endlich drehte sich der Schlüssel und gewährte Veronica Zugang zu dem Appartement.

    Zu sagen, dass Rose in tiefster Armut lebte, war noch eine freundliche Untertreibung. Das erste Zimmer, das Veronica betrat, war vermutlich das Wohnzimmer, obgleich man es an den Möbeln nicht erkennen könnte. Eine Gartenliege, an der bereits einige Streben fehlten, stand in der Mitte des Raums, mit einem Stapel an Büchern daneben, die allesamt einen Büchereiaufkleber aufwiesen. Ansonsten war das Zimmer leer. An den Wänden hing kein einziges Bild oder Poster, allerdings hätte vermutlich selbst ein Dutzend Bilder das Zimmer nicht gemütlicher machen können. Der Verputz war an vielen Stellen bereits abgebröckelt und zeigte das bloße Mauerwerk darunter. Die Decke war in einem ähnlich desolaten Zustand. Gelbe Wasserflecken bildeten ein Muster aus unregelmäßigen Kreisen, und an manchen Stellen schien sich die Decke schon zu senken. Veronica bezweifelte, dass es noch lange dauern würde, ehe sie vollständig einbrach.

    In der Wohnung war es schrecklich kalt, und ein Blick auf den Thermostat sagte ihr, warum. Er war mit Staub bedeckt, ein Zeichen dafür, dass schon lange niemand die Temperatureinstellung verändert hatte. Er war auf fünfzehn Grad eingestellt, doch wegen des Luftstroms, der durch die Ritzen der alten Fenster zog, lag die Temperatur eher bei zehn Grad.

    Veronica stellte ihre Tasche auf die Gartenliege und warf einen Blick auf die beiden Briefe, die sie aus Rose’ Briefkasten gezogen hatte. Der erste war lediglich eine Werbesendung, der einer gewissen ›Dose Graydon‹ einen Millionengewinn versprach, der andere dagegen kam vom Elektrizitätswerk. Obwohl sie wusste, dass sie das eigentlich nicht tun dürfte, öffnete Veronica den Brief mit einem ihrer gepflegten Fingernägel. Wie sie vermutet hatte, handelte es sich um die Nachricht, dass der Strom wegen nicht bezahlter Rechnungen abgestellt werden würde. Hastig steckte sie den Brief in ihre Tasche und ging ins Schlafzimmer, in der Hoffnung, dort einen Hinweis darauf zu finden, wen sie darüber informieren musste, dass die junge Frau im Krankenhaus lag.

    Das Schlafzimmer war ebenso aufschlussreich wie das Wohnzimmer. Ein kleines Klappbett stand an der Wand, daneben ein Klappstuhl, der offenbar als Schrankersatz diente. Darauf lagen zwei Paar Jeans, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hatten, sowie eine Reihe ebenso abgetragener Sweatshirts und ein Haufen Socken, die eher an Schweizer Käse erinnerten als an Fußbekleidung. Eine gründliche Durchsuchung des Raums, die mangels Mobiliar und Inhalt schnell erledigt war, förderte kein Adressbuch oder sonst irgendwelche persönlichen Besitztümer zutage. Keine Briefe von Freunden, keine Bilder, nichts, das darauf hinwies, dass Rose irgend jemanden kannte . . . oder dass irgend jemand sie kannte.

    Das Badezimmer war lediglich eine weitere deprimierende Station auf Veronicas Weg der Suche. Der Schrank enthielt nur ein fast leeres Deodorant und eine flach gedrückte Tube Zahnpasta, beides von der Billigmarke der Money Slasher Supermärkte. Über den Rand der Badewanne hingen ein abgewetztes Handtuch und drei Paar Unterhosen.

    »Wie kann man nur so leben?« fragte Veronica laut, ehe sie sich umdrehte, um das Bad wieder zu verlassen. Dabei fiel ihr etwas ins Auge, das sie zuvor übersehen hatte: zwischen Waschbecken und Wand stand ein kleines Katzenklo. »Wie schön, wenigstens lebt sie nicht ganz allein.« Wie auf ein Stichwort stromerte eine kleine, rotweiße Katze ins Bad, die nicht älter als drei Monate sein konnte, und miaute laut, um ihre Anwesenheit bemerkbar zu machen. »Hallo, meine Süße.«

    »Miaauuu!«

    Veronica beugte sich zu Boden, um das kleine Wesen zu streicheln, doch die Katze rannte davon in die Küche. »Komm her. Ich tu dir doch nichts.«

    »Miaauu!« Die Katze blieb in der Küchentür sitzen und weigerte sich näherzukommen. »Also gut. Dann eben nicht. Mir doch ganz egal.« Veronica ging an der Katze vorbei in die Küche und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan.

    Der Herd war ein alter Gasherd, der vermutlich zu Großmutters Zeiten noch recht gut funktioniert hatte. Auf ihm standen eine kleine Pfanne und ein Topf, im Ofen lag ein offenbar schon recht häufig verwendetes Stück Aluminiumfolie. Sie zog eine Schublade des Küchenschranks auf und trat schnell einen Schritt zurück, als mehrere Kakerlaken erschrocken herumrannten und versuchten, in die Dunkelheit zu entkommen. Schnell schob sie die Lade wieder zu, nicht ohne festzustellen, dass sie nichts weiter enthielt als etwas Besteck, das nicht zusammenpasste. Im Kühlschrank stand eine Milchflasche, die mit Wasser gefüllt war, ein halbes Glas Mayonnaise, eine Dose Margarine und eine fast leere Flasche mit Ketchup. Als Veronica nach der Schranktür griff, schmiegte sich die ängstliche Katze rasch an ihre Beine.

    »Miau, miau, miaauu!« Tatsächlich enthielt der Küchenschrank eine halbvolle Packung Katzenfutter sowie eine Packung Nudeln. »Miau, miaauuu?«

    »Schon gut, schon gut, ich hab’ ja verstanden«, beruhigte Veronica und zog die Schachtel heraus. Das weißrote Kätzchen tapste zu seiner Futterschüssel und wartete ungeduldig darauf, endlich gefüttert zu werden. »Wie viel essen so kleine Katzen wie du eigentlich?«

    »Miauu?«

    »Ach, egal.« Veronica füllte die Schüssel bis an den Rand mit Katzenfutter. »So, das müsste eine Weile reichen.« Ihr Blick fiel auf die Wasserschale. »Nun, Majestät, ich vermute, Ihr hättet gern auch etwas frisches Wasser?« Die Katze war zu sehr mit ihrem Essen beschäftigt, um zu antworten. Veronica ging zur Spüle und schüttete zuerst das alte Wasser aus, ehe sie den Hahn öffnete. Ein schreckliches Krachen ertönte in der Leitung, so dass sie den Hahn schnell wieder schloss. »Offenbar bekommst du dein Wasser aus dem Kühlschrank.« Sie füllte die Schale und stellte sie neben den Futternapf. Als sie ihre Suche fortsetzen wollte, ertönte ein Hämmern an der Tür.

    »Grayson, ich weiß, dass Sie da sind! Ich habe gehört, dass Sie den Wasserhahn angestellt haben!« brüllte eine zornige Stimme von der anderen Seite der Tür. »Es ist bereits der Dritte, und ich will die verdammte Miete haben – und zwar sofort!« Wieder hämmerte es an der Tür. »Verflucht noch mal, ich bin Ihr Gejammer leid. Wenn Sie sich die Wohnung nicht leisten können, hätten Sie eben nicht einziehen dürfen . . . Also her mit der Kohle, sonst setz’ ich Sie auf die Straße, wo Sie auch hingehören.« Die Tür flog auf und offenbarte

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