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Im Garten der Gefühle
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eBook320 Seiten4 Stunden

Im Garten der Gefühle

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Über dieses E-Book

Für eine brisante Reportage erhält Alexandra den Auftrag, undercover intime Details über die Mode-Magnatin Susanne von Saalfeld herauszufinden. Alexandra gibt sich als Gartenarchitektin aus und kommt Susanne näher als geplant. Doch noch bevor Alexandra ihren wahren Beruf beichten kann, prangen bereits skandalträchtige Schlagzeilen in der Boulevardpresse - Susanne zieht sich wütend zurück. Alexandra versucht verzweifelt alles Menschenmögliche, um Susanne von ihrer Liebe zu überzeugen ...
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783956090028
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    Buchvorschau

    Im Garten der Gefühle - Ina Sembt

    Ina Sembt

    IM GARTEN DER GEFÜHLE

    Roman

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-95609-002-8

    Coverfoto:

    © Dmitri Zakovorotny – Fotolia.com

    Ich bin el!es sehr dankbar für die Möglichkeit, meinen Roman zu veröffentlichen. Ein weiteres dickes Dankeschön an meine Lektorin Silke Lambert für ihre inspirierende Zusammenarbeit.

    Für Siggi

    im März 2012

    1. Kapitel

    »Alexandra, hast du ein paar Minuten Zeit für mich?« Regine, die Chefredakteurin, war am Telefon. Ihre Stimme verhieß, dass sie keine Widerrede duldete – wie meistens.

    Alexandra hätte nicht sagen wollen, dass es unangenehm war, hier zu arbeiten: in der Redaktion eines Frauenmagazins, das zufällig Alexandras Namen trug. Aber Regine war zweifellos das, was man heutzutage wohl ein Alphaweibchen nannte. Sie ließ keine Gelegenheit aus, die Chefredakteurin herauszukehren, und konnte ihren Mitarbeiterinnen damit ganz schön auf die Nerven gehen. Außerdem war sie ehrgeizig und zielstrebig, und Unpünktlichkeit war ihr ein Graus. Wenn sie »jetzt« sagte, dann meinte sie »jetzt«. Alexandra brach also sofort alle Arbeit ab und eilte umgehend in Regines Büro.

    Im Grunde verstand sie sich gut mit Regine. Die hatte sie bei der Gründung von »Alexandra« vor einigen Jahren als eine der ersten Mitarbeiterinnen von einem anderen Frauenmagazin abgeworben, das immer mehr in den Boulevard-Journalismus abzudriften drohte. Alexandra kam die Arbeit mit einer Frauenzeitschrift, die deutlich mehr Gewicht auf Kultur und Politik und vor allem Qualität legte, sehr entgegen, und sie hatte voller Enthusiasmus zugesagt. Bisher war sie nicht enttäuscht worden. Die Arbeit machte ihr großen Spaß, und sie konnte dabei sogar ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: dem Lesen. Zum überwiegenden Teil rezensierte sie Romane, die neu auf dem deutschen Buchmarkt erschienen, und ab und zu auch einen englischen Titel. Sie führte Interviews mit den Schriftstellerinnen, organisierte Lesungen junger, aufstrebender Autorinnen und plante hin und wieder auch Vorträge von Wissenschaftlerinnen oder Künstlerinnen. Außerdem lernte sie eine Reihe von Verlegerinnen kennen, denen sie ab und zu über die Schultern schauen durfte, um danach eine Reportage über deren Arbeit zu schreiben. Insgesamt war ihr Job also vielfältig, abwechslungsreich – und vor allem kulturell anspruchsvoll.

    Irgendwann hatte allerdings auch das Frauenmagazin »Alexandra« einsehen müssen, dass gewisse Verkaufszahlen für das Überleben einer Zeitschrift, die noch dazu die Hälfte der Menschheit ausklammerte, unverzichtbar waren – und dass sich diese Werte ohne eine Boulevard-Sparte nicht halten ließen. Alexandra sollte es recht sein, solange sie nicht mit hineingezogen wurde.

    »Alexandra, du wohnst doch in diesem kleinen Kaff jenseits von Düsseldorf?«, begann Regine das Gespräch, ohne sich groß mit Höflichkeiten aufzuhalten.

    Vor etwa eineinhalb Jahren war Alexandra nach der Trennung von ihrer letzten Partnerin aus der gemeinsamen Wohnung in Düsseldorf in ein kleines Bauernhaus an der holländischen Grenze gezogen. Sie hatte damals schwer an der Trennung zu knabbern gehabt. Aber der Umzug war der Beginn eines neuen Lebens, und inzwischen liebte sie ihre Freiheit ebenso sehr wie ihre neue Heimat.

    Wollte Regine jetzt smalltalken oder führte sie irgendetwas im Schilde, fragte Alexandra sich nun. Ersteres war angesichts von Regines effizienter Arbeitsweise und der Tatsache, dass sie so gut wie nie private Gespräche mit ihren Mitarbeiterinnen führte, ziemlich unwahrscheinlich. Da musste also noch irgendwas kommen, etwas Hinterhältiges.

    »Hm-hm«, machte Alexandra erst einmal nur. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, dachte sie sich.

    »Na, dann rate mal, wer auch da wohnt!«

    »Mein Bäcker, meine Buchhändlerinnen . . .«, antwortete Alexandra arglos.

    »Sind die etwa populär?«

    »Bei mir schon!«

    »Ich merke schon, du stehst auf dem Schlauch. Der Name Susanne von Saalfeld, sagt der dir was?«

    »Das ist doch die schwerreiche Fabrikantengattin.«

    »Nicht ganz. Gattin stimmt zwar – oder besser: stimmte. Aber die Fabrik gehört ihr, und er ist nur der Gatte. Jetzt geht er bei der Scheidung leer aus, weil die Frau von und zu schlauerweise einen Ehevertrag abgeschlossen hatte. Der Exgatte ist obersauer. Ging durch alle Magazine.«

    »Du weißt doch, dass ich hier nicht die Boulevard-Tussi bin«, wandte Alexandra ein. Ihr war immer noch nicht klar, worauf die Chefredakteurin hinauswollte. »Aber das hab ich auch gehört, dass sie sich hat scheiden lassen. Alles andere interessiert mich allerdings einen feuchten Furz.«

    »Etwas mehr Stil, wenn ich bitten darf. Es sollte dich nämlich interessieren. Du darfst auf dem Feld des gehobenen Boulevard-Journalismus investigativ tätig werden und dich mal wieder ins richtige Journalistinnenleben stürzen.«

    »Wie meinst du das?« Alexandra setzte sich kerzengerade. Das konnte nicht Regines Ernst sein. Sie wusste doch, dass Alexandra den Boulevard hasste und obendrein am Schreibtisch am glücklichsten war.

    Regine machte ihre Andeutungen deutlicher: »Du wohnst genau in dem Ort, in dem auch Frau von Saalfeld neuerdings wohnt. Sie ist frisch geschieden, und es geht das Gerücht, dass sie ihren Mann wegen einer Frau verlassen hat. Und du bist lesbisch.«

    »So ganz kann ich deiner Argumentation nicht folgen. Ich soll voyeuristisch tätig werden, weil ich lesbisch bin? Ich bin für Boulevard absolut ungeeignet!«, versuchte Alexandra mit so viel Nachdruck wie möglich eine Absage zu formulieren.

    Doch Regine wurde langsam ungehalten. »Hab ich doch gerade gesagt: Die Dame wohnt bei dir um die Ecke.«

    »Ich hab keinen blassen Schimmer. Wo soll das denn sein?«

    »Ich hab die Adresse hier.« Regine reichte Alexandra ein Post-it, auf dem sie die Anschrift der Dame von Saalfeld notiert hatte. Tatsächlich sah es so aus, als sei die Wohnung nicht weit von ihrem eigenen Haus entfernt; jedenfalls hatte sie dieselbe Postleitzahl wie ihr Wohnort. Aber wirklich gut kannte sich Alexandra in den einzelnen Stadtteilen nicht aus, und Straßennamen hatte sie sich ohnehin noch nie merken können.

    So ein Pech, dass die Dame sich ausgerechnet in ihren Wohnort zurückziehen musste. Alexandra schluckte einen Seufzer hinunter. Jetzt hatte sie Boulevard am Bein.

    Regine sprach inzwischen schon weiter: »Also, ich dachte mir, du trittst als Gartenarchitektin auf, um den Kontakt herzustellen. Schließlich braucht die Gutste eine Gartenarchitektin, um ihren verwilderten Garten wieder in Schwung zu bringen.«

    »Davon habe ich doch keine Ahnung.«

    »Das stimmt doch gar nicht. Immerhin hast du mehrere Semester Gartenarchitektur studiert.«

    »Zwei, um genau zu sein.«

    »Ich sage doch: mehrere Semester. Außerdem interessierst du dich für Pflanzen. Wenn ich an deinen Garten denke, werde ich ganz neidisch.«

    »Ich kann ja mal deinen Garten neu gestalten«, warf Alexandra dazwischen. Im Stillen bereute sie ein wenig, dass sie ihre Kolleginnen einschließlich der Chefin im letzten Sommer zur Einweihungsparty ihres neu gestalteten Gartens eingeladen hatte. Dadurch hatten sie alle ihren selbst entworfenen Außenbereich kennengelernt und waren seither neidisch auf ihre gärtnerischen Fähigkeiten, und ständig wurde sie mit irgendwelchen banalen botanischen Fragen belästigt. Aber das Schlimmste war, dass sie sich mit der Offenbarung ihres gärtnerischen Könnens nun diese Boulevard-Geschichte eingehandelt hatte.

    »Lenk nicht ab«, warnte Regine. »Du musst dich halt ein bisschen einarbeiten.«

    Aber so schnell wollte Alexandra sich nicht geschlagen geben. »Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst. Was glaubst du, wie lange ich an meinem Garten geplant habe? Und Gartenarchitektur hat mit Hobbygärtnern nicht das Geringste zu tun.«

    »Du schaffst das schon. Für die Arbeit an diesem Auftrag bist du erst mal von allen anderen Dingen in der Redaktion befreit«, versuchte Regine ihr die Sache schmackhaft zu machen. »Sogar von den täglichen Konferenzen.« Den letzten Punkt betonte sie besonders, wohl wissend, wie sehr Alexandra gerade diesen täglichen Programmpunkt verabscheute. Denn in diesen Meetings musste sie sich derzeit fast pausenlos den neuesten Promi-Tratsch anhören, aus dem das nächste Heft, zwecks Steigerung der Verkaufszahlen, zum größten Teil bestehen sollte.

    »Dann hast du genug Zeit für die Vorbereitung«, ergänzte Regine ihre Anweisungen: »Schreib dich halt noch einmal ein und belege die Kurse, die du brauchst. Oder mach ein Praktikum in einem Gartencenter.« Augenscheinlich hatte sie sich die Sache schon bis ins letzte Detail überlegt.

    »Regine, es geht um Gartenarchitektur. Die lernt man nicht, indem man mal eben schnell einen Kurs an der Uni belegt, geschweige denn bei der Arbeit in einem Gartencenter.« Alexandra wollte immer noch nicht aufgeben, doch ihr Einwand klang schon sehr viel schwächer.

    Und sie hatte in der Tat keine Chance. »Das hier ist nicht verhandelbar. Ich möchte eine Exklusivgeschichte über Susanne von Saalfeld mit ihrer Neuorientierung auf dem Lesbenmarkt. Daraus könnte vielleicht sogar eine Serie werden – mal sehen. Du hättest also die Chance, in unserer Zeitschrift etwas Neues zu initiieren. Du wäschst ein bisschen schmutzige Wäsche, fügst einen Schuss Romantik hinzu und erwähnst die Millionen im Hintergrund. Und fertig ist die Erhöhung unserer Auflage.«

    »Wie stellst du dir die Kontaktaufnahme genau vor?«, fragte Alexandra, nun jeder Hoffnung beraubt, diese Geschichte doch noch abwenden zu können. Sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen.

    »Die Gute hat eine Anzeige geschaltet, in der sie eine Architektin für die Gestaltung ihres neu erworbenen Anwesens sucht. Ich habe dir in dieser Mappe einiges zusammenstellen lassen. Unter anderem findest du darin die Anzeige und einige andere nützliche Informationen über Madame.« Regine knallte einen Hefter, der ziemlich dick aussah, vor Alexandra auf die Tischplatte. Damit betrachtete sie die Sache offenbar als erledigt: »So, das war’s. Du kannst gleich mit weiteren Recherchen und ersten Gartengestaltungsentwürfen anfangen. Du erstattest regelmäßig Bericht, indem du mich per E-Mail auf dem Laufenden hältst. In die Redaktion kommst du besser nicht mehr, falls die Dame Erkundigungen einzieht.«

    »Sie wird sowieso sofort merken, dass ich keine Gartenarchitektin bin«, maulte Alexandra noch ein wenig. »Außerdem wird sie schnell herausfinden, wer ich bin, wenn sie ein bisschen googelt und meine Artikel findet.«

    Doch die Chefin wischte auch diese Bedenken vom Tisch. »Zum Glück hast du einen Allerweltsnamen: Alexandra Wegener. Du kannst also locker sagen, dass du nicht die bist, die du bist. Ach, übrigens: Wir haben vorsichtshalber dein Profil von unserer Homepage genommen.« Damit erhob sie sich von ihrem Stuhl und komplimentierte ihre Redakteurin hinaus, nicht ohne ihr mit einem dünnen Lächeln ein »Viel Vergnügen!« mit auf den Weg zu geben.

    Sie hatte also alles schon arrangiert, ohne Alexandra auch nur mit einer Silbe zu fragen. Seufzend fügte Alexandra sich in ihr Schicksal und ging in ihr Büro, um ihre Sachen zusammenzupacken.

    Das Schöne an einem geschenkten Tag ist, dass man im Prinzip machen kann, was man will. Die Sonne schien, der Himmel war blau, und Alexandra musste vorerst nicht in die Redaktion. Herrliche Aussichten . . . wenn da nicht die schier unmöglich scheinende Aufgabe auf sie gewartet hätte, eine Gartenarchitektin zu sein, die sie gar nicht war. Also schaute sie auf dem Heimweg beim Buchladen ihres Vertrauens vorbei und bestellte alles an Gartengestaltungsbüchern, was der Zwischenbuchhändler auf Lager hatte.

    Danach machte sie sich auf zu ihrem kleinen, schnuckeligen Bauernhaus, in dem sie zur Miete wohnte und einen wirklich beneidenswerten Bauerngarten angelegt hatte, der blühte und gedieh. Nicht übel, lobte sie sich selbst auf dem Weg in den Garten, wo sie zielstrebig ihren Lieblingsplatz ansteuerte: eine lauschige kleine Holzterrasse mit einem Ampelschirm in dezenter, der Umgebung angepasster Farbe. Dort gönnte sie sich erst einmal ein paar Minuten Pause in Form einer kleinen Augenpflege, während sie genussvoll ihren frisch aufgebrühten Darjeeling schlürfte.

    Vor ihrem geistigen Auge tauchte eine gutaussehende Mittvierzigerin auf, die auf sie zukam, um sie heftig und leidenschaftlich zu küssen . . .

    Genug der unerreichbaren Träumereien und an die Arbeit, ermahnte Alexandra sich selbst. Auf ihrer gemütlichen Gartenliege ausgestreckt, begann sie in dem Dossier von Regine zu blättern, um der Dame von Saalfeld ein wenig näherzukommen.

    Die Frau hatte eine interessante Vita: Jahrgang ’63, Studium der Germanistik und Amerikanistik, M. A. und Dr. phil. mit 28. Das nannte man ein Blitzstudium. Aber wie konnte man mit dieser Studienkombination ein Unternehmen leiten? Noch dazu eines, das in Mode machte?

    Neugierig geworden, begann Alexandra sich in dem Lebenslauf festzulesen.

    Nach der Promotion hatten offenbar Susanne von Saalfelds wilde Jahre begonnen: Amerika, Indien, Nepal, China, Japan, wieder Indien. Die Frau war herumgekommen und hatte so gut wie nichts ausgelassen. Alexandra kannte sich nicht einmal in der Hälfte dieser Länder aus und gestand sich verschämt ein, dass sie nicht einmal den Unterschied zwischen Buddhismus und Hinduismus genau kannte – sicher ganz im Gegensatz zu Frau von und zu.

    Dann brachen die Reisen unversehens ab. Frau von Saalfelds Eltern kamen bei einem Absturz ihres Privatjets ums Leben. So kam es dazu, dass sie mit knapp 33 ein großes Modeunternehmen leiten musste, das weltweit agierte. Das tat sie nun seit mittlerweile fast fünfzehn Jahren, und zwar ausgesprochen erfolgreich: Aus dem Dossier ging hervor, dass die von Saalfeld – die man ja eigentlich Frau Dr. von Saalfeld nennen müsste, ging es Alexandra durch den Kopf – expandierte und inzwischen diverse Modesparten dominierte. Ihr Privatvermögen belief sich auf mehrere Millionen Euro. Kein Wunder, dass sie bei ihrer Hochzeit vor drei Jahren auf einem Ehevertrag bestanden hatte, sehr zum Unmut ihres Gatten, Hajo Hannefeldt.

    Warum hatte sie so spät geheiratet? Inmitten der 40 war sie zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit nur noch knapp im gebärfähigen Alter gewesen, überlegte Alexandra. Um einen Erben dürfte es also wohl kaum gegangen sein. Sicher war es schwierig, einen passenden Partner zu finden, der es nicht auf ihr Geld abgesehen hatte. Warum hatte sie dann überhaupt geheiratet? Diese Frage schien jedoch niemanden zu interessieren; zumindest konnte Alexandra dazu nichts in dem Dossier finden. Das wäre doch ein Ansatzpunkt für eine weitere Recherche. Sie machte eine Notiz. Aber wer sollte schon darüber Auskunft geben können, wenn nicht die Dame selbst?

    Alexandra blätterte weiter und fand eine Reihe von Zeitschriftenartikeln, der erste datiert kurz vor der Hochzeit der von Saalfeld:

    Susanne von Saalfeld – eine Hardcore-Lesbe?

    Steht die millionenschwere Erbin des Saalfeld-Modekonzerns auf Frauen? Wie unser Magazin bereits berichtete, ist Susanne von Saalfeld mehrfach in Begleitung immer derselben Frau gesehen worden. Hand in Hand gingen sie in London über die Oxford Street zum Shoppen. In einer Londoner Lesbenbar wurden sie anschließend beim Küssen beobachtet. Was ist dran an dieser Beziehung? Handelt es sich nur um eine Affäre, oder steckt mehr dahinter?

    Wie uns aus gut unterrichteter Quelle mitgeteilt wurde, hat die besagte Frau ein Zimmer in der Londoner Villa der von Saalfeld. Die beiden sollen oft bis mitten in der Nacht rauschende Partys feiern. Alkohol und Drogen sollen ebenfalls im Spiel sein. Wir berichten weiter.

    Na ja, das war der typische Boulevard-Tratsch. Nicht wirklich ernst zu nehmen. Von dem, was in dem Artikel stand, musste eigentlich nichts stimmen. Und was sollte überhaupt eine »Hardcore-Lesbe« sein? Dass eine Frau, nur weil sie mit einer anderen Frau Händchen haltend über die Straße ging und sie küsste, als Hardcore-Lesbe bezeichnet wurde, ließ nicht darauf schließen, dass die Schreiberin sich sonderlich gut auskannte. Im Grunde waren die beschriebenen Vorgänge einfach nur harmlos, ja, geradezu bieder. Wenn das Hardcore sein soll, dann frage ich mich, wie die über wirklichen Hardcore schreiben würden, dachte Alexandra und grinste.

    Was hatte Susannchen kurze Zeit nach dem Erscheinen dieses Artikels dazu bewogen, die Öffentlichkeit durch ihre Heirat zu beruhigen? Irgendetwas musste sie enorm unter Druck gesetzt haben – anders war dieser Schritt nicht zu erklären, fand Alexandra. So richtig konnte sie sich nicht vorstellen, dass es dabei nur um Susannes Lesbischsein gegangen war. Schließlich war das hier das dritte Jahrtausend, und sogar die christlichen Demokraten konnten sich inzwischen nicht mehr dagegen wehren, die eingetragene Partnerschaft zuzulassen. Was also hatte die schwerreiche Erbin, der ihr guter Ruf angesichts der Millionen im Hintergrund doch wohl schnurz hätte sein können, in eine bürgerliche Ehe getrieben? Vielleicht eine Klausel im Testament oder so etwas Ähnliches? Noch eine Notiz.

    Das ist ja eine richtig spannende Recherche . . . wenn nur der Grund dafür nicht so niederträchtig wäre: eine Schwester im Herzen – falls sie denn eine war – auszuhorchen, dachte Alexandra. Das In-die-Pfanne-Hauen einer Schwester gehörte wahrlich nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen und auch nicht zu ihrem Konzept von professionellem Journalismus. Mal sehen, was ich daraus machen kann . . . Vielleicht käme ja eine Hommage an Frau von Saalfeld dabei heraus. Das könnte sie eher mit ihrem journalistischen Gewissen vereinbaren.

    Sie las den nächsten Artikel über die Hochzeit derer von Saalfeld. Die behielt ihren Namen – was Alexandra nicht wirklich überraschte –, und er übernahm ihren und trug fortan den melodiösen Doppelnamen »Hajo Hannefeldt-von Saalfeld«. Dass so etwas im heutigen Namensrecht überhaupt erlaubt war! Aber ein Adelsprädikat machte sich gut im Namen. Sicher hatte er bei der Scheidung ihren Namen behalten.

    Es war eine pompöse Hochzeit gewesen, erfuhr Alexandra, mit allem Zipp und Zapp und von allem nur das Beste. Na ja, das kann man wohl auch erwarten bei Adels, wenn sie nicht am Hungertuch nagen, oder?, dachte Alexandra. Die vielen Fotos von der Hochzeit, auf denen natürlich in der Hauptsache das Brautpaar zu sehen war, zeigten eine nicht wirklich glücklich wirkende Susanne, die ernst in die Kamera blickte, als wisse sie bereits, dass alles nur eine Lüge war.

    Alexandra musste an einen Song von Joan Baez denken, Lady Di and I. Lady Di habe eine Träne verdrückt, als sie bei ihrer Hochzeit mit Charles vom Balkon schaute, hieß es darin – weil sie gewusst habe, dass der letzte Traum des Jahrhunderts eine Lüge sei. Wie wahr, dachte Alexandra. Eine Lüge war es von vornherein gewesen, sowohl für Lady Di als auch für Susanne von Saalfeld. Aber in Bezug auf Susanne konnte sich Alexandra immerhin noch etwas Traurigeres vorstellen, als sich von einem Ehemann zu trennen, mit dem man keine Zukunft hat.

    Nach der Scheidung überschlugen sich die Gazetten mit ihren Schlagzeilen. »Von Saalfelds Hochzeit – alles nur Lüge?«, »Einmal lesbisch – immer lesbisch« (na ja, das ist auch gut so!, fand Alexandra), »Muss Millionenerbin das Erbe zurückgeben?« Das war ja interessant. Die Theorie von der Klausel im Testament, die die Heterosexualität von Susanne von Saalfeld forderte, schien sich zu erhärten. Aber ohne stichhaltigere Belege blieb sie reine Spekulation; da würde Alexandra schon etwas umfassender recherchieren müssen als in den Untiefen des Boulevard. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als tatsächlich persönlichen Kontakt mit Frau von Saalfeld zu knüpfen.

    In den folgenden Tagen arbeitete Alexandra an einer Kontaktaufnahme-Strategie. Dazu durchforstete sie zunächst gründlich die neu erworbenen Gartengestaltungsbücher und verbrachte Stunden mit intensiver Internet-Recherche. Als sie das so ermittelte Wissen nicht für ausreichend befand, bestellte sie weiter gehende Lektüre als Fernleihe in der Stadtbibliothek. Das konnte jedoch dauern, und so langsam drängte die Zeit – Regine machte ihr bereits ab und zu die Hölle heiß. Aber noch konnte Alexandra sie hinhalten, weil sie ja erst mal eine Einarbeitungsphase brauchte. Schließlich sollten ihre Gartengestaltungsvorschläge fundiert sein. Das musste selbst eine Sklaventreiberin wie Regine einsehen.

    Inzwischen war sie ein paarmal mit dem Fahrrad an der von Saalfeldschen Villa vorbeigefahren. Sie kannte das Anwesen bereits vom Sehen. Das Gebäude hatte offenbar lange Zeit leer gestanden; früher waren ihr immer die ständig geschlossenen Fensterläden aufgefallen. Aber jetzt waren sie geöffnet, und ihre zuvor grüne Farbe war einem dunklen Rot gewichen. Dadurch wirkte das recht klobige Haus nun ein wenig freundlicher.

    Alexandra fragte sich, wie eine einzelne Person in einem so großen Anwesen wohnen konnte. Sie selbst würde sich einsam und verloren fühlen – mal abgesehen davon, dass sie gar kein Geld hätte, die Räume alle mit Möbeln zu bestücken. Aber das war wohl das kleinste Problem, wenn man sich eine solche Behausung leisten konnte. Und bestimmt gab es jede Menge Personal, da hatte die Einsamkeit wahrscheinlich gar keine Chance.

    Dem Garten, stellte Alexandra nun bei genauerer Betrachtung fest, fehlte jeder Charme. Kein Wunder, dass Frau von und zu eine Gartenarchitektin sucht, dachte sie. Mitten auf dem ungepflegten Rasen stand etwa eine große, alte Eiche, um die irgendein Feld-Wald-und-Wiesen-Schreiner eine windschiefe Holzbank gezimmert hatte. Das alles sah nicht sehr einladend aus.

    Paparazzi sah Alexandra bei ihren Inspektionsbesuchen nie. Das konnte nur heißen, dass noch niemand genau wusste, wo die von Saalfeld logierte. Aber woher hatte Regine dann ihre Adresse, und wieso schickt sie ausgerechnet mich Promi-Muffel hierhin?, überlegte Alexandra. Da hat es in der Anzeigenannahme irgendeiner Zeitung des gehobenen Journalismus offenbar jemand nicht so genau mit dem Datenschutz genommen. Sie beschloss, sich bei Regine über gar nichts mehr zu wundern.

    Dass ihr die Villa schon früher aufgefallen war, würde sie jedenfalls als Motivation nutzen, um in Kontakt mit der neuen Besitzerin zu treten. Aus dem Gedächtnis zeichnete sie skizzenhaft das Anwesen mit dem dazugehörigen Garten auf und machte erste Umgestaltungsentwürfe. Das klappt ja ganz gut, sagte sie sich. Ich brauche nur mehr Informationen darüber, welche Pflanzen die von Saalfeld bevorzugt, damit ich mich von der Masse der Architektinnen, die sich zweifellos um den Auftrag reißen wird, abhebe. Also wieder auf in den Buchladen, der sich über eine neue, umfangreiche Bestellung zum Thema Pflanzen und Bäume freute. Außerdem zog Alexandra im örtlichen Gartenbaubetrieb, der auf Alleebäume spezialisiert war, einige Erkundigungen ein. So gewann sie bald konkrete Ansätze für die Gartengestaltung und konnte mit Hilfe eines speziellen Garten-Zeichenprogramms bereits die ersten Ausdrucke anfertigen. Die Spesenrechnung würde sich sehen lassen können!

    Diese ersten Entwürfe sahen jedenfalls gar nicht so übel aus. Vielleicht war an ihr doch eine Gartenarchitektin verloren gegangen. Aber die Hauptsache war, dass sie sich nun bereit fühlte, der Frau von und zu gegenüber als Profi mit maßgeschneidertem Dienstleistungsangebot aufzutreten.

    Aber wie das oft so ist, kam alles ein wenig anders, als Alexandra es so minutiös geplant hatte . . .

    2. Kapitel

    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

    Alexandra hatte die Frau auf dem Fahrrad nicht kommen hören, als sie durch den Gartenzaun auf den Garten blickte. Die Fremde verlangsamte ihre Fahrt. Sie hielt genau vor dem Gartentor, schloss es auf und schob ihr Fahrrad halb hinein.

    Das musste sie sein! Alexandras Herz begann schneller zu schlagen. Aber sie zwang sich zur Ruhe: Jetzt war absolute Professionalität gefragt.

    »Oh, nein«, sagte sie. »Entschuldigen Sie bitte. Ich bin schon mehrmals an dem Haus vorbeigekommen, und jetzt sind mir die roten Fensterläden aufgefallen. Sie passen viel besser zu dem Haus als die grün gestrichenen. Außerdem habe ich dabei einen Blick auf den Garten geworfen.«

    »Ich finde auch, dass die rote Farbe dem Haus mehr Pepp verleiht«, meinte Susanne von Saalfeld. »Sie haben völlig recht. Was halten Sie von dem Garten?«

    »Na ja, der Garten haut mich nicht gerade vom Hocker, wenn ich das so salopp ausdrücken darf«, erwiderte Alexandra in ihrer gewohnt schnoddrigen Art – und fragte sich gleich darauf, ob sie damit nicht etwas zu weit gegangen war.

    Aber die andere schien ihr die offenherzige Bemerkung nicht übel zu nehmen. »Wenn ich ehrlich sein soll: mich auch nicht. Er ist so einfallslos.«

    »Ja, ich glaube, das ist der richtige Ausdruck. Vor meinem geistigen Auge habe ich gerade einige Umgestaltungen vorgenommen«, ließ es sich Alexandra nicht nehmen, direkt schon mal auf ihre Fähigkeiten anzuspielen.

    »Tatsächlich? Was haben Sie umgestaltet?«, kam es zurück, neugierig und interessiert.

    »Ich würde alles zuerst einmal komplett herausnehmen, um dann den Gartenbereich in einzelne Teile abzugrenzen und verschiedene Arten von Gärten anzulegen.«

    »An welche Arten dachten Sie?«, fragte Frau von Saalfeld erwartungsvoll.

    »Kennen Sie die englischen Gärten?«, fragte Alexandra zurück.

    »Nur von Fotos. Ich war leider nie selbst dort.«

    Komisch, dachte Alexandra, da ist sie überall in der Welt herumgekommen und kennt die

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