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Die Habsburger ohne Reich: Geschichte einer Familie seit 1918
Die Habsburger ohne Reich: Geschichte einer Familie seit 1918
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eBook312 Seiten3 Stunden

Die Habsburger ohne Reich: Geschichte einer Familie seit 1918

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Über dieses E-Book

Die Geschichte der Habsburger im 20. Jahrhundert: Dieter Kindermann ist ein persönlicher Freund der Familie Habsburg, er kennt ihre Geschichte und auch persönliche Details aus ihrem Leben wie kaum ein anderer. In diesem Buch spannt er den Bogen von 1918, als die kaiserliche Familie von Eckartsau ins Ausland floh, bis heute: Er blickt zurück auf das Leben von Ex-Kaiserin Zita, bei deren Rückkehr nach Österreich auch er eine Rolle spielte. Er porträtiert den leidenschaftlichen Europäer Otto Habsburg, Sohn des letzten Kaisers. Er erzählt von dessen Kindern, etwa Walburga Habsburg-Douglas, Abgeordnete im schwedischen Parlament, und Gabriela Habsburg, georgische Botschafterin in Deutschland, von Beruf Bildhauerin. Und natürlich von Karl Habsburg, Chef des heutigen Hauses Habsburg, und seiner Frau, der Kunstmäzenin Francesca Thyssen-Bornemisza.
Entstanden ist ein Buch, das ein facettenreiches, noch kaum erforschtes Bild der heutigen Familie Habsburg zeichnet und in Rückblenden ein Stück österreichischer Geschichte erzählt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Nov. 2012
ISBN9783218008662
Die Habsburger ohne Reich: Geschichte einer Familie seit 1918

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    Buchvorschau

    Die Habsburger ohne Reich - Dieter Kindermann

    Einleitung – das »Comeback« der Habsburger

    »Die Geschichte lehrt ständig, findet aber keine Schüler«, schrieb die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Tatsächlich werden oft Schlussfolgerungen und Tatsachen wie Äpfel und Birnen durcheinandergeworfen. So auch beim Haus Habsburg, das 600 Jahre hindurch regierte. Bis zur Urkatastrophe des Ersten Weltkrieges. Bis zum Zusammenbruch des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn 1918. Die Angehörigen der kaiserlichen Familie wurden 1919 von der Ersten Republik enteignet und des Landes verwiesen. Sofern sie nicht auf Herrschaftsansprüche und Mitgliedschaft zum Hause Habsburg-Lothringen verzichteten. Stationen des Exils folgten: Madeira, wo am 2. April 1922 Kaiser Karl starb, Spanien, Belgien.

    Otto von Habsburg setzte 1938 wichtige politische Akzente, als Adolf Hitler immer unverhohlener mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich drohte. Er forderte Kanzler Kurt Schuschnigg auf, ihm die Kanzlerschaft zu übergeben, um Widerstand zu leisten. Vergeblich. Nach der Okkupation erregte der Kaisersohn weltweit Aufsehen, als er energisch gegen diesen »flagranten Rechtsbruch« protestierte. Adolf Hitler persönlich erteilte den Befehl, ihn steckbrieflich wegen Hochverrats quer durch Europa verfolgen zu lassen. Otto von Habsburg und seine Brüder verhalfen Hunderten, vermutlich Tausenden Österreichern zu Visa, zur Flucht über die französisch-spanische Grenze.

    In den USA setzte er sich bei Präsident Franklin Delano Roosevelt dafür ein, dass Österreich wieder auf der Landkarte entsteht. Dankbarkeit ist bekanntlich keine politische Kategorie. Und so blieben für den Kaisersohn die Grenzen seiner Heimat nach 1945 weiter geschlossen. 1961 gab er die von der Republik geforderte Verzichtserklärung ab. Als der Verwaltungsgerichtshof diese als ausreichend bezeichnete, kam es zu innenpolitischen Turbulenzen. Erst 1966 konnte Otto von Habsburg nach Österreich einreisen. Das Verhältnis zwischen der Republik und dem Kaiserhaus begann sich zu normalisieren. Schritt für Schritt. Mit dem Shakehands zwischen Kanzler Bruno Kreisky und dem Kaisersohn 1981 usw.

    Aber es gab noch eine weitere Zäsur im Leben des Kaisersohns. Er erkannte, dass der Monarchismus überholt und ein vereintes Europa die Zukunft sei. Und vertrat die bayerische CSU zwanzig Jahre lang im Europarlament in Straßburg. Wurde zum Vordenker der EU, der Osterweiterung. Initiierte das legendäre »Paneuropa«-Picknick in Sopron mit. Teile der Habsburger-Gesetze sind heute totes Recht, wie etwa die Landesverweisung. Für die Mitglieder des Hauses Habsburg sind noch zwei Punkte offen: Sie empfinden den Ausschluss von der Kandidatur bei Bundespräsidentenwahlen als anachronistisch, wie der jetzige Amtsinhaber Heinz Fischer, die OSZE und die meisten politischen Parteien auch. »Bis zur 100-Jahr-Feier der Republik sollte das Problem aus der Welt geschaffen sein«, so Heinz Fischer zur APA. Und sie fordern weiter die Rückgabe ihres Privatvermögens.

    Wie es der kaiserlichen Familie heute geht? Otto von Habsburg, 97, hat sich nach einem schweren Sturz weitgehend von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er lebt in seiner Villa »Austria« in der bayerischen Gemeinde Pöcking am Starnberger See. Vier seiner sieben Kinder versuchen, in seine Fußstapfen zu treten: Sein ältester Sohn Karl ist jetzt Chef des Hauses Habsburg und Souverän des Ordens vom Goldenen Vlies. Dessen Bruder Georg vertritt Ungarn als Sonderbotschafter bei der EU und ist Präsident des Ungarischen Roten Kreuzes. Walburga sitzt als Abgeordnete der Regierungspartei »Moderata« im schwedischen Reichstag und in dessen außenpolitischem Ausschuss. Und Gabriela ist von Beruf Bildhauerin – und seit neuestem georgische Botschafterin in Deutschland.

    Die rund 500 Mitglieder des Hauses Habsburg leben weltweit verstreut – viele von ihnen in Österreich: Michael Salvator Habsburg-Lothringen aus Persenbeug ist ein gefragter Historiker. Dominik Habsburg-Lothringen setzt als Forstwirt in St.Andrä im Lavanttal voll auf erneuerbare Energien. Und Eduard Habsburg schreibt Bücher, Drehbücher und ist Pressesprecher des St.Pöltner Diözesanbischofs Klaus Küng.

    Wie ich dazu komme, über das Haus Habsburg zu schreiben, ist leicht erklärt. Die jüngste Tochter von Kaiserin Zita, Elisabeth von Liechtenstein, ersuchte mich 1982, bei Kanzler Bruno Kreisky zu intervenieren. Für ihre Mutter, die nach 63 Jahren Exil mit 90 nach Österreich zurückzukehren wollte, ohne auf irgendwelche Rechte zu verzichten. »So viel Republikaner müssen Sie schon sein, dass Sie Ex-Kaiserin sagen«, grantelte mich Bruno Kreisky an. »Der spanische König Juan Carlos hat mich schon auf Mallorca auf dieses Problem angesprochen«, fügte er in versöhnlicherem Ton hinzu. »Und ich habe versprochen, eine menschliche Lösung zu suchen.« Wie diese letztlich aussah, lesen Sie in dem Kapitel »Die Kaiserin und der Sonnenkönig«.

    Ich habe die Familie Habsburg seitdem nie aus den Augen gelassen. Weil es mich interessiert hat, wie die Zweite Republik mit dem früheren Herrscherhaus umgeht. Und da war schon ein interessantes Phänomen zu beobachten: Nach parteipolitisch motivierten Turbulenzen bewiesen republikanische Spitzenpolitiker Augenmaß und Sensibilität, wie Bundespräsident Heinz Fischer, der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol, Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Altlandeshauptmann Andreas Maurer usw. Das war aber nur möglich, weil der charismatische Europapolitiker Otto von Habsburg weltweit geachtet wurde. In meiner Laudatio, die ich zu seinem 95. Geburtstag im Haus der Industrie hielt, bezeichnete ich ihn als »Demokrat von Gottes Gnaden«.

    Dieter Kindermann

    Es war Teamwork

    Der Name des Autors steht auf der Titelseite. Aber dahinter steht ein Team großartiger Mitarbeiter. Und bei diesen möchte ich mich herzlich bedanken: bei meiner Frau Erika, ohne die das Buch nie zustande gekommen wäre, Programmleiterin Barbara Köszegi, Hirn und Motor des Projekts, Lektorin Marie-Theres Pitner, deren Wissen mich faszinierte, Chefkorrektorin Maria Theresia Fatoba, Chefmitarbeiterin Claudia Schwerer, »Paneuropa«-General Rainhard Kloucek und dessen Schwester Amanda Kloucek, den Habsburg-Anwälten Hans Peter Draxler und Wolfram Bitschnau, aber auch bei Rechtsanwalt Herbert Eichenseder. Es war, wie gesagt, Teamwork.

    Die Kaiserin und der »Sonnenkönig«

    Ministerratssitzung am 4. Mai 1982: Die Zeichen in der SPÖ-Alleinregierung standen auf Sturm. Erste Umfragen besagten einen klaren Erfolg des ÖVP-Volksbegehrens gegen das Konferenzzentrum in der UNO-City. (Tatsächlich wurde es dann mit 1,4 Millionen Unterschriften unterstützt.) Aber noch hoffte die SPÖ, das ORF-Duell zwischen Kanzler Bruno Kreisky und ÖVP-Chef Alois Mock am 7. Mai 1982 könnte einen Meinungsumschwung herbeiführen. Es sollte aber auch ein Fitnesstest dafür sein, ob der von schweren Augen- und Nierenleiden (Dialysepatient) gezeichnete Regierungschef bei der Nationalratswahl 1983 erneut antreten konnte. »Der Kanzler ist nach dem Ministerrat dennoch auf Ihr [anachronistisches?] Thema ansprechbar«, versicherte mir dessen Pressesprecher Wolfgang Petritsch. Dabei ging es um das Schicksal der letzten österreichischen Kaiserin und Königin von Ungarn, Zita.

    Anfang Mai 1982 hatte mich ein Anruf aus dem verträumten Renaissanceschloss Waldstein in Übelbach bei Graz erreicht. Am Telefon meldete sich Elisabeth von Liechtenstein, die jüngste Tochter von Kaiser Karl und Kaiserin Zita. »Meine Mutter wird jetzt 90, ist schon seit 63 Jahren im Exil und möchte nach Österreich zurückkehren«, erklärte sie. Mit dem Nachsatz: »Ohne auf etwaige Herrschaftsansprüche zu verzichten.« Und: »Können Sie uns unterstützen?«

    Als ich Bruno Kreisky nach dem Pressefoyer des Ministerrats im Steinsaal darauf ansprach, grantelte er: »Also so viel Republikaner müssen Sie schon sein, Herr Kindermann, dass Sie sagen: ›Ex-Kaiserin‹.« In versöhnlicherem Ton fügte er noch hinzu: »Der spanische König Juan Carlos hat mich schon auf Mallorca auf diese Problematik angesprochen. Und ich habe ihm versprochen, eine menschliche Lösung zu finden.«

    Typisch österreichische Lösung?

    »Und wie könnte die ausschauen?«, hinterfragte ich bei Bruno Kreisky, dem taxfrei der Titel »Sonnenkönig« verliehen worden war, keck. »Na ja, wir werden der Ex-Kaiserin ein Durchreisevisum ausstellen – und keiner wird nachschauen, ob sie dageblieben ist«, brummelte er.

    Also eine typisch österreichische Lösung, die sich letztlich aber erübrigte, weil Ludwig Adamovich den Stein der Weisen fand. Er war damals Leiter des Verfassungsdienstes im Kanzleramt, später oberster Verfassungshüter der Nation – und ist heute Berater von Bundespräsident Heinz Fischer. Auf dem Weg zu seinem Büro im zweiten Stock des Leopoldinischen Traktes der Hofburg überwiegt imperialer Glanz: eine Saalflucht mit Konferenz- und Veranstaltungsräumen. Alles in gold-weißem Neo-Barockstil: mit roten Teppichen, Riesenspiegeln, Kachelöfen, Ananas-Damast-Tapeten, Gemälden von Monarchen wie Leopold II., aber auch den bisherigen Bundespräsidenten der Zweiten Republik.

    »Ich habe mich damals auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Februar 1980 gestützt«, erinnert sich Ludwig Adamovich. Es besagte, dass laut § 2 des Habsburger-Gesetzes 1919 nur jene Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen landesverwiesen seien, die kraft Abstammung einen Nachfolgeanspruch auf den Thron hätten. Und das auch nur dann, wenn sie nicht ausdrücklich auf ihre Mitgliedschaft zur eigenen Familie verzichtet und sich als getreue Staatsbürger der Republik bekannt haben. »Ein Nachfolgerecht kraft Abstammung konnte aber durch Verehelichung mit einem Mitglied des Hauses Habsburg-Lothringen nicht erworben werden«, schrieb Robert Sedlacek vom Kabinett Kreisky dem Buchautor Erich Feigl. »Folgt man dieser Rechtsauffassung, unterliegt die ehemalige Kaiserin nicht der zitierten Bestimmung des Habsburgergesetzes.«

    Der »Habsburg«-Anwalt Wolfram Bitschnau kommentierte das trocken: »Demnach war Kaiserin Zita seit 1919 zu Unrecht des Landes verwiesen.«

    Zita: »Man ist, was man ist«

    16. Mai 1982, Grenzübergang Feldkirch-Tisis: Die Monarchin betrat erstmals nach 63 Jahren Exil wieder österreichischen Boden. Fast blind, schwer auf zwei Stöcke gestützt, ganz in Schwarz gekleidet. »Kein Mensch kann erahnen, was das für mich bedeutet«, sagte sie. Niemand war zu ihrer Begrüßung gekommen – außer dem Fotografen Johannes Greifeneder. Zita besuchte das Grab ihrer ältesten Tochter Adelheid in der Tiroler Gemeinde Tulfes, zu deren Beisetzung sie, die Mutter, 1971 nicht hatte einreisen dürfen.

    10. November 1982 bei Elisabeth und Heinrich von Liechtenstein in Schloss Waldstein bei Graz: Ich fragte Zita, die hier einige Urlaubstage verbrachte, ob sie sich noch als Kaiserin fühle. »Man ist, was man ist«, erwiderte sie mit mildem Lächeln.

    13. November 1982: Tausende Menschen strömten in den Stephansdom. Es herrschte lebensgefährliches Gedränge. Kardinal Franz König zelebrierte eine Messe für Zita. »Ihr tiefer Glaube ist ihr in den vielen Jahren des Exils eine Stütze gewesen«, erklärte er. Applaus brandete auf, die Kaiserhymne »Gott erhalte« wurde angestimmt.

    Wie viel Monarchisten gibt es noch?

    »Österreich ist eine Republik ohne Republikaner«, hatte Staatskanzler Karl Renner nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 geätzt. Bruno Kreisky wiegelte 1982 Proteste seiner Parteifreunde gegen die Habsburg-Nostalgie mit den Worten ab: »Die Republik ist stark genug, um das auszuhalten.« Tatsächlich bestätigten das Meinungsumfragen des Fessel-GfK-Institutes, wie Peter Ulram analysierte. »1951 hingen noch 21 Prozent der Monarchie nach, 1980 nur noch fünf Prozent. Heute dürften es noch weniger sein: vermutlich zwei bis drei Prozent.«

    8. März 1983 in der Schweizer Gemeinde Zizers an der Verbindungsstraße vom Bodenseeraum nach Chur und zu den Bündner Alpenpässen. Ringsum schneebedeckte Gipfel, die Pfarrkirche St. Peter und Paul, die reformierte Kirche St. Andreas, das Untere Schloss mit dem Kuppelturm. Hier ist das Altersheim untergebracht, in dem Kaiserin Zita die letzten 27 Jahre ihres 63-jährigen Exils verbrachte – von 1962 bis zu ihrem Tod am 14. März 1989.

    Aufschrift auf der Serviette: »Ihre Majestät«

    Anfang März 1983 »gewährte« mir die Kaiserin eine »Privataudienz« in Zizers: In ihrem kleinen Appartement ein Foto ihres ältesten Sohnes Otto von Habsburg, ein Gemälde von Kaiser Franz Joseph und Erzherzog Karl, ihrem Mann, ein Schwarzweiß-Fernseher, an dem sie jeden Abend die »ZiB 1« verfolgte. In ihrem Speisezimmer ein Herz-Jesu-Bild, auf dem Esstisch eine Serviette mit der Aufschrift »Ihre Majestät«. Wir kamen natürlich darauf zu sprechen, dass ihr der sozialdemokratische Kanzler die Rückkehr in das republikanische Österreich ermöglicht hatte. »Bruno Kreisky wäre für mich auch als k. u. k. Ministerpräsident vorstellbar gewesen«, streute sie dem sozialdemokratischen Regierungschef Rosen.

    »Das war nur eine Captatio, eine Dankesbezeugung der Ex-Kaiserin dafür, dass ich sie wieder nach Österreich habe einreisen lassen«, schmunzelte Kreisky. »Aber k. u. k. Ministerpräsident, das übersteigt meine Vorstellungskraft.« Und leicht ironisch: »Ich wäre damals nicht einmal an die Pforte Ihrer Gnaden gelangt.«

    Österreichs letzte Kaiserin, die mitten in die Geschichte der Zweiten Republik geplatzt war, ließ sich davon aber nicht beeindrucken. »Kaiser Karl hat im Jahre 1918 Karl Renner (dem späteren Republikbegründer, Staatskanzler und Bundespräsidenten) den Posten eines Ministerpräsidenten angeboten. Und dieser schien nicht abgeneigt zu sein, wurde aber von seiner eigenen Partei zurückgepfiffen.« (»Es gab Zeitzeugen, die das bestätigten, aber keinen Beweis dafür«, so der Historiker und Renner-Biograf Siegfried Nasko.) Zita legte allerdings noch ein Schäuferl nach, indem sie erzählte: »Ich habe sie ja alle gekannt. Sie wurden mir alle vorgestellt, die sozialdemokratischen Spitzenpolitiker: Victor Adler, Karl Seitz, Theodor Körner, Karl Renner usw.« Und nach einer Gedankenpause: »Mein Gott, ich hab den Eindruck gewonnen: Hier stehen Österreicher vor mir. Schauen Sie, die einen Leute sind etwas links, die anderen wieder etwas rechts. Aber es kann doch jeder das sein, was er will.«

    Wolfgang Petritsch: Hintergründe

    Wolfgang Petritsch war, wie erwähnt, Pressesprecher von Bruno Kreisky, später Hoher EU-Repräsentant in Bosnien und Herzegowina. Und ist jetzt Botschafter bei der OECD in Paris in der Rue Albéric Magnard. »Bruno Kreisky kam aus einem größeren Österreich«, erklärt er den psychologischen Hintergrund des ehemaligen Kanzlers. »Er hat auch Österreich immer größer gesehen, als es seine geografischen Grenzen sind. Und er wollte Brücken schlagen– vom alten Österreich in die Zweite Republik.«

    Tatsächlich kam Bruno Kreisky aus einer altangestammten Industriellenfamilie. Er trat trotz seiner bürgerlichen Herkunft als Mittelschüler der sozialistischen Bewegung bei. Ganz einfach deshalb, weil ihn die erschreckende Armut in der Ersten Republik zutiefst aufgewühlt, erschüttert hatte. Kreisky wurde wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt – zuerst vom austrofaschistischen Ständestaat und dann vom NS-Terrorregime ins Gefängnis geworfen. Bis ihn eine glückliche Fügung 1939 in das schwedische Exil verschlug.

    Nach der Auferstehung, der Wiedergeburt Österreichs 1945, begann der unaufhaltsame Aufstieg von Bruno Kreisky: Staatssekretär, Außenminister, Bundeskanzler. Dreimal errang er die absolute Mehrheit: 1971, 1975 und 1979. 1983 wollte er es noch einmal wissen: »Entweder die Absolute oder ich trete zurück.« Aber Kreisky bekam nur noch die relative Mehrheit. Und nahm konsequenterweise den Hut. Das ist bei den Politikern von heute nicht mehr so selbstverständlich.

    Die Österreicher schätzten seine gesellschaftspolitischen Reformen, etwa beim Eherecht. Der Mann als Patriarch, als Haupt der Familie, musste abtreten. Aber Kreiskys Wirtschaftspolitik standen sie zunehmend skeptisch gegenüber. »Ein paar Milliarden Schulden mehr bereiten mir weniger schlaflose Nächte als ein paar Hunderttausend Arbeitslose«, sagte er – und baute einen Schuldenberg auf. Der Kanzler erklärte Journalisten die große weite Welt, vor allem die Nahostpolitik, bei der er kräftig mitmischte, geizte aber auch nicht mit Erinnerungen an die Monarchie.

    Und da gab es einige. Etwa an seinen Großonkel, den liberalen Abgeordneten Josef Neuwirth im Reichsrat, wie der Nationalrat damals hieß. Darin waren acht Nationen vertreten: Deutsche, Tschechen, Polen, Ruthenen, Rumänen, Kroaten, Slowenen und Italiener. Aufgeteilt in die Fraktionen Christlichsoziale, Sozialdemokraten, Großdeutsche, den sogenannten Polenklub usw. Es wurde wilde Obstruktionspolitik betrieben, wie Hellmut Andics in seinem Buch »Luegerzeit« schildert. Mit Kindertrompeten, Pfeifen, Blechtöpfen, Kochtopfdeckeln als Tschinellen, Trommeln, Absingen nationaler Kriegslieder usw.

    Kreiskys Großonkel Josef Neuwirth sollte (so die Familienfama) Finanzminister werden. Franz Joseph hat angeblich bei jedem Ministerkandidaten hinterfragt, wie er’s mit der Religion halte. Als sich bei Josef Neuwirth herausstellte, dass er ein konfessionsloser Jude war, hat der Monarch – zumindest laut Bruno Kreisky – gesagt: »Einen Juden hätt’ ich genommen – aber keinen konfessionslosen.«

    Kreisky: »Ein grausiger Tag«

    »Über Franz Joseph wurde in unserer Familie mit großem Respekt gesprochen«, erinnerte sich der Kanzler in seiner Biografie »Zwischen den Zeiten«. Aber die Anekdoten über ihn kamen dabei nicht zu kurz. So fragte der Kaiser nach einem Gerangel im Reichsrat: »Sind die Sozialisten so jung, dass sie über Bänke springen können?« Die Antwort: »Majestät, bei den Sozialisten springen auch die Alten über Bänke.« Oder: Karl Seitz, der spätere Wiener Bürgermeister, kam zu einer Audienz weder im Frack noch in Uniform, sondern im Gehrock. Der Kaiser wollte wissen, warum die Sozialisten keinen Frack trügen. »Majestät, auch das Proletariat hat sein Zeremoniell«, erwiderte Seitz.

    Franz Joseph starb am 21. November 1916. Der Leichenzug führte von Schönbrunn über Mariahilf zur Kapuzinergruft. Die Kinder mussten am Straßenrand Spalier stehen, auch der fünfjährige Bruno Kreisky. »Es war ein eiskalter, grausiger Tag. Wir froren entsetzlich. Alles war in Schwarz gehüllt«, erinnerte sich der Kanzler.

    Aber zurück zum Johannesstift in Zizers im Schweizer Kanton Graubünden in das kleine Appartement von Ex-Kaiserin Zita. Anfang März 1983. Sie zeigte sich halb belustigt, halb irritiert über ein skurriles Scherzwort, das in Wien kursierte: »Kreisky tritt zurück, heiratet Zita und wird Kaiser von Österreich.« Mehr amüsierte sie, dass sich der Kanzler im März 1979 für eine Wahlkampfbroschüre vor dem Gemälde des jungen Kaisers Franz Joseph hatte ablichten lassen.

    »Na, was sollte ich denn machen?«, grantelte dieser auf meine Frage, wie sich das mit sozialdemokratischen Grundsätzen vereinbaren ließe. »Das Bild hängt halt seit ewigen Zeiten an der Wand des Ministerratszimmers im Kanzleramt in einem Gipsrahmen«, erzählte er. »Wer ist Ihr Lieblingsmonarch?«, wollte Barbara Stiglmayr von der »Südost-Tagespost« wissen. »Maria Theresia«, sagte Kreisky, der diese Journalistin nicht gerade liebte, weil sie ihn bei jedem Pressefoyer fragte, wann er endlich zurücktrete.

    Zita: »Mayerling war Mord«

    Ex-Kaiserin Zita drückte sich mühsam aus ihrem Sessel hoch und ging auf ihre beiden Stöcke gestützt zu einer Bildergalerie, wo sie mit fast unmajestätischem Stolz auf die Fotos ihrer Kinder, Enkel und Urenkel zeigte. Und erstmals auf ein Thema zu sprechen kam, das sie offenbar schon seit Langem beschäftigt hatte – und Sprengstoff enthielt. Und zwar auf das Drama vom 30. Januar 1889 im Jagdschloss Mayerling, das die k u. k. Monarchie in ihren Grundfesten erschüttern sollte.

    »Kronprinz Rudolf hat Baronesse Mary Vetsera und sich selbst nicht erschossen, sondern wurde das Opfer eines politisch motivierten Mordkomplotts«, behauptete Zita. Sie nannte dafür auch Zeugen, Mitglieder der kaiserlichen Familie, die in das Geheimnis von Mayerling eingeweiht worden seien: die Schwestern von Kronprinz Rudolf (Gisela und Marie Valerie), die Frau von Kaiser Franz Josephs Bruder Karl Ludwig (Maria Theresia), die Frau von Kaiserin Elisabeths Bruder Karl Theodor von Bayern (Herzogin Marie José) usw.

    Opfer einer Verschwörung

    »Das steht aber im Widerspruch zu den neuesten Rudolf-Biografien«, wagte ich einzuwenden. Ex-Kaiserin Zita blickte kurz auf, klopfte mit ihren Stöcken wie zur Bekräftigung auf den Fußboden. Und berief sich, wie gehabt, auf Zeugen, die ihre These »Mayerling war Mord« bestätigt hätten. Demnach habe es eine Verschwörung (Ungarn, Tschechen?) gegen Kaiser Franz Joseph gegeben. Man habe versucht, so die Monarchin, Erzherzog Rudolf in diese Konspiration einzubeziehen, da seine kritische Haltung gegenüber der Hofkamarilla und dem

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