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Fluchtpunkt Basel: Menschen aus Kunst und Kultur im Exil 1933 bis 1945
Fluchtpunkt Basel: Menschen aus Kunst und Kultur im Exil 1933 bis 1945
Fluchtpunkt Basel: Menschen aus Kunst und Kultur im Exil 1933 bis 1945
eBook410 Seiten4 Stunden

Fluchtpunkt Basel: Menschen aus Kunst und Kultur im Exil 1933 bis 1945

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Über dieses E-Book

Zwölf Porträts schildern die unterschiedlichen Schicksale von Kunst- und Kulturschaffenden, die aus dem «Dritten Reich» nach Basel flohen. Darunter die Literaten Hans Weigel und Alexander Moritz Frey, die Organistin Lili Wieruszowski, drei Germanisten, die unter dem Pseudonym Stefan Brockhoff Kriminalromane mit Lokalkolorit verfassten, und der einst bestbezahlte deutsche Stummfilmstar Ludwig Trautmann. Den Journalisten Berthold Jacob kidnappte im Kleinbasel die Gestapo. Der Nazi-Günstling Gustaf Gründgens floh nur aus taktischen Gründen nach Basel. Margit von Tolnai verstiess gegen das Arbeitsverbot und wurde interniert. Während Gustav Hartung als engagierter Antifaschist den Nationalsozialisten verhasst war, entwickelte sich Wilhelm Kiefer im Exil zum überzeugten Anhänger Hitlers. Käte Rubensohn diente als Inspiration für eine der berühmtesten Romanfiguren der Schweizer Literatur. Und der in Basel aufgewachsene, aber nach Deutschland ausgewiesene Rainer Brambach floh zurück in seine Heimatstadt.Pointiert und kenntnisreich zeigt der Autor in seinen Lebensbeschreibungen die Bandbreite des Exils in Basel auf.
SpracheDeutsch
HerausgeberZytglogge Verlag
Erscheinungsdatum11. Sept. 2023
ISBN9783729624061
Fluchtpunkt Basel: Menschen aus Kunst und Kultur im Exil 1933 bis 1945

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    Buchvorschau

    Fluchtpunkt Basel - Thomas Blubacher

    Inhalt

    Cover

    Impressum

    Titel

    Fluchtpunkt Basel

    Ach, lieber Tod von Basel

    Stefan Brockhoff alias Dieter Cunz, Oskar Koplowitz und Richard Plaut

    Eine eigenartige Rolle

    Wilhelm Kiefer

    «Hirtenknabe, der Diplomatenfrack steht dir nicht»

    Gustav Hartung

    «Herr Jesu Christ, dich zu uns wend»

    Lili Wieruszowski

    Ein Sieg der öffentlichen Meinung über das Hitler-Regime

    Berthold Jacob

    Filmprominenz von vorgestern

    Ludwig Trautmann und Sabine Gräfin von Lerchenfeld

    Dem Intendanten «wie ein treuer Hund» ergeben

    Erich Zacharias-Langhans und Gustaf Gründgens

    Kriegskamerad eines «erfolglosen Postkartenmalers»

    Alexander Moritz Frey

    «Krasse Verfehlungen» einer Ausländerin

    Margit von Tolnai

    Max Frischs «jüdische Braut aus Berlin»

    Käte Rubensohn und Otto Rubensohn

    Zurück über den Stacheldraht

    Gertrud Ramlo und Hans Weigel

    Ein deutscher Deserteur aus Basel

    Rainer Brambach

    Personenregister

    Über den Autor

    Über das Buch

    Thomas Blubacher

    Fluchtpunkt Basel

    Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021‍–‍2024 unterstützt.

    Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel.

    Die Publikation wurde gefördert durch:

    empty

    Elisabeth Jenny-Stiftung

    © 2023 Thomas Blubacher

    Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Thomas Gierl

    Coverbild: Ernst Ludwig Kirchner, Barfüsserplatz in Basel, 1936/1937

    Umschlaggestaltung: Hug & Eberlein, Leipzig

    eBook-Produktion: 3w+p, Rimpar

    ISBN ePub: 978-3-7296-2406-1

    www.zytglogge.ch

    Thomas Blubacher

    Fluchtpunkt Basel

    Menschen aus Kunst und Kultur im Exil 1933 bis 1945

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    Fluchtpunkt Basel

    «Ich fühlte mich schlecht, und der Eindruck der Besichtigung, die eine abscheuliche und niederdrückende Vorstellung von deklassierter Existenz gab, verschlimmerte den Zustand meiner Nerven, die zu Hause bis zu Tränen versagten»,¹ notierte Thomas Mann am 3. Mai 1933 in sein Tagebuch. Hätte der emigrierte Grossschriftsteller nach einer Hausbegehung in Riehen nicht bitterlich weinen müssen, sondern sich, wie der in Basel lehrende Philosoph Karl Joël ihm nahegelegt hatte, tatsächlich am Rheinknie niedergelassen – wer weiss, vielleicht wäre Basel als Wohnsitz des gefeierten Literaturnobelpreisträgers ein Zentrum des deutschsprachigen Literaturexils geworden.

    Vier Tage zuvor hatten Thomas und Katia Mann im vornehmen Basler Hotel Drei Könige «ein zu teures Doppelzimmer mit Bad»² bezogen, das sie am nächsten Tag «mit einem grösseren dreifenstrigen vertauscht» hatten. Doch auch in diesem Logis wurde der empfindsame Literat nicht glücklich, denn ein «Kanal-Zulauf in den Rhein»³ beeinträchtigte seine Ruhe. Die Manns trafen in Basel andere Exilierte, kamen mit dem Verleger Gottfried Bermann Fischer «auf die deutschen Dinge zu sprechen»⁴ und tranken Lindenblüten-Tee mit der Schriftstellerin Annette Kolb; beide waren nur auf der Durchreise. Auch der im März aus München nach Basel übersiedelte Publizist Wilhelm Kiefer besuchte sie im Drei Könige; von ihm soll noch ausführlich die Rede sein.

    Katia und Thomas Mann besichtigten «eine reizvolle moderne Wohnung»⁵ an der St. Alban-Anlage, fuhren mit dem deutschen Sozialphilosophen Herman Schmalenbach, seit 1931 Professor an der Universität Basel, nach Riehen, wo die «Besichtigung eines uns zugedachten, aber mir abscheulichen Hauses» den sensiblen Literaten so deprimierte, dass er nachts nur mit Hilfe des bewährten Mittels Phanodorm Ruhe fand. Am 4. Mai begutachtete Katia nach dem Mittagsmahl im Café Spitz «ein altes Haus in Riehen», das sie dem Gatten «als primitiv, aber würdig und besonders beschrieb. Es fehlt moderner Comfort, aber ein stilvoller Wohnsitz wäre geboten».⁶ Am liebsten hätte Thomas Mann sich im «alten Bauern-Herrensitz ‹Wenkenhof›»⁷ niedergelassen, doch dessen Besitzer Fanny und Alexander Clavel-Respinger dachten nicht daran, ihr herrschaftliches Anwesen zu räumen, auf dem sie schon Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal empfangen hatten.

    Bald darauf fand Erika Mann für ihre Eltern eine als angemessen akzeptierte Residenz in der Nähe Zürichs, und so übersiedelten diese am 27. September 1933 nach Küsnacht, wo der weltberühmte Autor mit offenen Armen und öffentlichen Ehrbezeugungen empfangen wurde. In Basel weilte er nur noch für Arztkonsultationen, Vorträge und um Vorstellungen des von Erika Mann gegründeten literarisch-politischen Cabarets Die Pfeffermühle zu besuchen, das erste Mal im März 1934, als es im 450 Zuschauer fassenden Gambrinus an der Falknerstrasse 35 gastierte. «Der Saal stark besetzt, fast ausverkauft. Aber das Publikum erwies sich als recht stumpf», so Thomas Mann, «wenn es auch mit gläubigem Beifall nicht kargte und namentlich bei politischen Gelegenheiten Überzeugung bekundete.»⁸ Statt Therese Giehse, die krank in der Basler Frauenklinik lag, trat Walter Mehring auf und trug erstmals seinen heute berühmten Emigrantenchoral vor: «Werft / Eure Hoffnung über neue Grenzen – / Reisst Euch die alte aus wie’n hohlen Zahn!»⁹

    Als Thomas Mann sich am 2. Mai 1933 beim Vorsteher des Polizeidepartements, Regierungsrat Carl Ludwig, der 1956/1957 im Auftrag des Bundesrats die als «Ludwig-Bericht» bekannt gewordene Studie Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart verfassen wird, «in Sachen unserer Niederlassung» erkundigte, erfuhr er: «Grösstes Entgegenkommen, Dispens von der Beibringung üblicher Papiere. Schon beim Empfang bedankte er sich für unsern Besuch. Ach, ja!»¹⁰ Anderes hätte das der sich «seiner singulären, mit anderen Schicksalen nicht zu verwechselnden Stellung»¹¹ bewusste Schriftsteller auch nicht erwartet.

    Standesbewusst kommunizierte mit den Behörden auch der 1913 in den grossherzoglich hessischen Adelsstand erhobene Lederfabrikant Robert von Hirsch, selbst kein Künstler zwar, aber ein renommierter Kunstsammler. Nachdem er in Deutschland die ungeheure Summe von 1,3 Millionen Reichsmark «Reichsfluchtsteuer» bezahlt und Lucas Cranachs Gemälde Urteil des Paris zurückgelassen hatte, übersiedelte er 1934 nach Basel und ersuchte dort sogleich um die Niederlassung für sich «sowie für meinen langjährigen Diener [...] und dessen als Dienstmädchen bei mir tätige Frau»: «Durch meine Niederlassung würde eine der wohl wichtigsten Sammlungen, die sich derzeit in Europa noch in privatem Besitz befinden, hierher kommen.»¹² Sein Geschäftsfreund Fritz Schwarz-von Spreckelsen, Gründer und Verwaltungsratspräsident der Leder-Import AG, schwedischer und dänischer Honorarkonsul, in dessen Villa in der Gellertstrasse Robert von Hirsch vorerst wohnte, betonte gegenüber Carl Ludwig, dass Hirsch «eine ganz erstklassige Acquisition für die Stadt Basel bedeuten würde als Mensch, als Fabrikant und als Kunstfreund».¹³ Umgehend erteilte man Robert von Hirsch, der mittlerweile in einer noblen, vom Basler Christoph Bernoulli eingerichteten – heute längst zugunsten mehrerer Wohnblöcke abgerissenen – Villa im Louis-XIII-Stil an der Engelgasse 55 residierte, eine Aufenthaltsbewilligung und sicherte ihm die Niederlassungsbewilligung zu, die er am 4. Juni 1935 erhielt.

    Als er 1938 eingebürgert werden wollte, als Bewerber aber nachweisen musste, dass er in den letzten zwölf Jahren vor Einreichung des Gesuchs mindestens sechs Jahre in der Schweiz gelebt hatte, gab der Freund Schwarz-von Spreckelsen kurzerhand zu Protokoll, von Hirsch habe bereits seit Sommer 1932 bei ihm gewohnt. Dass dieser sich nicht habe anmelden können, «sei auf politische und wirtschaftliche Gründe zurückzuführen».¹⁴ Ein ziemlich durchschaubarer Schachzug, doch was in Fällen anderer Emigrierter¹⁵ schwerlich vorstellbar gewesen wäre, geschah: Die Behörden registrierten, obgleich keine schriftlichen Belege vorhanden waren, den 1. August 1932 als Einreisedatum. Die Administrativabteilung des Polizeidepartements empfahl die Einbürgerung Robert von Hirschs, da dieser «bei weitem aus dem üblichen Rahmen des Judentums»¹⁶ falle und sogar Stunden in Schweizerdeutsch nehme. Ob von Hirsch das Gesuch wieder zurückzog, weil er doch kalte Füsse bekam, bleibt unklar. Jedenfalls bemühte er sich 1940 abermals um das Bürgerrecht, mit Erfolg – keine geringe Rolle spielte womöglich, dass er im Jahr zuvor in Basel knapp über sieben Millionen Franken Vermögen versteuert hatte. Zum Dank stiftete er der Öffentlichen Kunstsammlung Paul Gauguins Ta Matete.

    Die meisten aus dem «Dritten Reich» Geflüchteten, darunter auch prominente Kulturschaffende, konnten sich solch eine zuvorkommende Behandlung nur erträumen. Nicht immer halfen Bekanntheit und Beziehungen, wie man im Fall von Alfred Philippson sieht. Um die Einreise des 1864 in Bonn geborenen, also 77-jährigen Geheimrats und weltberühmten Professors der Geografie bemühte sich 1941 Paul Vosseler, Präsident des Verbands der Schweizerischen Geografischen Gesellschaften, beim Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements, Bundesrat Marcel Pilet-Golaz. Philippson sei in Deutschland «seines Lebens nicht mehr sicher» und lebe dort «unter ständiger Furcht vor tätlicher Bedrohung». Der Verband empfinde es «als Ehrenpflicht», sich für Philippson einzusetzen. Diesem Asyl zu gewähren «würde auch die letzte Achtung steigern, die unser Land in der Welt geniesst».¹⁷ In Basel lebte bereits seit 1937 Philippsons Nichte, die ehemalige Kinderärztin und Archäologin Paula Philippson, doch könne diese, so Franz Merz, der Chef der baselstädtischen Fremdenpolizei, die Existenz des Geografen samt Frau und Tochter nicht sicherstellen. Zudem falle sie «als unangenehme Emigrantin auf, die durch ihr arrogantes Auftreten bei unserem Personal bekannt ist».¹⁸ Das Kontrollbureau lehnte das Gesuch wie üblich wegen «Überfremdung» ab, ebenso die Eidgenössische Fremdenpolizei.

    Nachdem der Verband Schweizerischer Israelitischer Armenpflegen erklärt hatte, er werde für Alfred Philippsons Lebensunterhalt und Weiterreisekosten aufkommen, und durch Bemühungen von Vosseler und anderen eine Kaution in Höhe von 5000 Franken hatte aufgebracht werden können, stellte der Basler Advokat Hans Eckert ein Wiedererwägungsgesuch. Doch auch dieses wurde, obgleich nun eine Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung durch das Basler Kontrollbureau vorlag, von der Eidgenösssischen Fremdenpolizei am 30. April 1942 abgewiesen. Philippson und seine Angehörigen wurden im Juni 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er dank einer Intervention des bei der NS-Elite hoch angesehenen schwedischen Entdeckungsreisenden Sven Hedin immerhin den sogenannten «Prominentenstatus A» erhielt und von Oktober an seine Lebenserinnerungen Wie ich zum Geographen wurde verfasste. Der Basler Marcus Cohn, Sohn des 1926 verstorbenen ersten hauptamtlichen Rabbiners der Israelitischen Gemeinde Basel, Arthur Cohn, und Vater des späteren Oscar-gekrönten Filmproduzenten Arthur Cohn, war bekannt als «Anwalt einer gerechten Sache»,¹⁹ und hatte schon zahlreichen Verfolgten den Weg über die Schweiz nach Uruguay, Paraguay, Palästina oder in andere sichere Länder ermöglicht. Er bemühte sich am 19. Januar 1945 im Auftrag von Paula Philippson erneut, deren mittlerweile stark unterernährtem Onkel und dessen Familie zu einer Einreisebewilligung zu verhelfen, welche diesen in Theresienstadt «Erleichterungen bringen und sie vor weiteren Deportationen [in ein Vernichtungslager] schützen wird, auch für den Fall, dass sie die Einreise nach der Schweiz jetzt nicht antreten können».²⁰ Tatsächlich erhalten die Philippsons («Wohnort (Adresse): Theresienstadt, Seestrasse 26, Deutschland»²¹) am 13. Februar 1945 eine zwei Monate lang gültige Bewilligung, über die Grenzstellen Buchs oder St. Margarethen zum vorübergehenden Aufenthalt in Basel einzureisen. Dennoch forderte sie die SS-Lagerleitung am 20. April 1945 auf, sich für die «Einreihung» in einen «Transport» bereitzuhalten. Bevor es dazu kam, wurde Theresienstadt am 3. Mai 1945 dem Roten Kreuz übergeben, dann von der Roten Armee befreit und zunächst unter Quarantäne gestellt. Am 9. Juli 1945 konnten Alfred, Margarete und Dora Philippson schliesslich das Lager verlassen und nach Bonn zurückkehren, wo Alfred Philippson erneut an der Universität lehrte und 1953 im Alter von 89 Jahren starb.

    Bedingt durch die geografische Nähe zur Heimat sowie die kulturelle Verwandtschaft war die die Schweiz von 1933 an ein begehrtes Zielland der deutschsprachigen Emigration, insbesondere in deren erster Phase bis etwa 1936, die von der Hoffnung auf die baldige Rückkehr in ein vom Nationalsozialismus befreites Deutschland geprägt war. Schon 1933, als nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten innerhalb weniger Wochen mehrere Tausend Menschen Zuflucht in der Schweiz suchten, bestimmte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, dass Flüchtlingen kein Daueraufenthalt, keine Arbeitsbewilligung und keine staatliche finanzielle Unterstützung zu gewähren seien. Die Anerkennung als politischer Flüchtling, geregelt durch den Bundesratsbeschluss vom 7. April 1933, erhielt vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen «Machtergreifung» in Deutschland fast nur, wer hoher Staatsbeamter, Führer einer Linkspartei oder Autor von erheblichem Bekanntheitsgrad war und im Heimatstaat bereits persönlich verfolgt wurde, jedoch niemand, der aufgrund seiner oppositionellen Tätigkeit eine solche Verfolgung lediglich befürchtete. Jüdische Menschen galten, da «Flüchtlinge nur aus Rassengründen»,²² nicht als politische Flüchtlinge, Kommunistinnen und Kommunisten als unerwünscht und «asylunwürdig».²³ Zuständig für die Anerkennung als politischer Flüchtling war die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern.

    Das 1934 in Kraft getretene Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 sah drei Aufenthaltsformen vor: Die Niederlassung, die die Existenz gültiger Ausweispapiere des Heimatstaates voraussetzte, ermöglichte einen unbefristeten Aufenthalt. Die auf ein bis zwei Jahre befristete Aufenthaltsbewilligung wurde in der Regel für Arbeits- und Ausbildungsaufenthalte, also etwa ein Engagement an einem Theater oder ein Universitätsstudium, erteilt und hing ebenfalls von gültigen Ausweispapieren ab. Wer darüber nicht verfügte, etwa weil der deutsche Reisepass abgelaufen war, konnte gemäss Art. 5 und Art. 6 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer weder eine Aufenthalts- noch eine Niederlassungsbewilligung erhalten. In solchen Fällen wurde gemäss Art. 7 eine auf drei bis sechs Monate befristete Toleranzbewilligung ausgestellt, die die Leistung einer Kaution voraussetzte.

    Während Thomas Mann in der Schweiz Vorträge halten, in Zeitungen und im Oprecht-Verlag publizieren und im Sommer 1937 sogar eine eigene Exil-Zeitschrift Mass und Wert gründen konnte, waren die meisten literarisch oder künstlerisch Tätigen im Exil einschneidenden Einschränkungen durch die Fremdenpolizei ausgesetzt. Vor der Erteilung von Arbeitsbewilligungen holte diese in der Regel Gutachten ein, etwa beim Schweizerischen Schriftsteller-Verein, dem heutigen Schweizerischen Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverband, der aus politischen Gründen oder schlicht aus Furcht vor Konkurrenz meist negativ Stellung nahm. Schreibende von «geringerer Bedeutung» mussten mit Beschränkungen rechnen, durften beispielsweise zwar ihre Bücher verlegen oder ihre Stücke zur Aufführung bringen, aber sich nicht journalistisch betätigen. Grundsätzlich galt zum Schutz des schweizerischen Arbeitsmarktes ein striktes Arbeitsverbot für Emigrierte und Geflüchtete, das nicht zuletzt bezweckte, deren Integration in das soziale Leben der Schweiz zu verhindern und die Weiterwanderung zu beschleunigen: Da die Schweiz sich bezüglich der Flüchtlinge ausschliesslich als Durchgangsland betrachtete, waren diese verpflichtet, jede Möglichkeit zur Weiterreise bzw. Auswanderung in ein anderes Land wahrzunehmen.

    Zunächst blieb der Grenzverkehr relativ stabil, bis sich in den ersten Wochen nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 12. März 1938 rund 6000 überwiegend jüdische Menschen in die Schweiz retteten. Am 29. des Monats wurden die Grenzorgane über die Einführung der Visumpflicht für ehemalige österreichische Staatsbürger ab 1. April 1938 orientiert. So erfolgte im Sommer der Massenexodus aus Ostösterreich, vor allem aus Wien, über Vorarlberg in die Schweiz, meist illegal, zu Fuss über die grüne Grenze. Als ab 15. August österreichische durch deutsche Pässe ersetzt wurden, war es österreichischen Flüchtlingen zunächst wieder möglich, ohne Visum in die Schweiz einzureisen. Auf Vorschlag des Chefs der Eidgenössischen Fremdenpolizei, Heinrich Rothmund, beschloss die Schweiz die Visumpflicht für alle deutschen Staatsangehörigen ab 1. Oktober, was die Reichsregierung in Berlin jedoch ablehnte. Am 4. Oktober 1938 akzeptierte der Bundesrat die von Deutschland vorgeschlagene Kennzeichnung der Pässe jüdischer Deutscher mit einem «J»- Stempel.

    Der Bundesratsbeschluss über Änderungen der fremdenpolizeilichen Regelung vom 17. Oktober 1939 schuf den rechtlichen Status der Emigranten und Emigrantinnen, die in der Folge kantonale Toleranzbewilligungen erhielten. Unter Oberaufsicht des für die schweizerische Flüchtlingspolitik zuständigen Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, in dessen Führungsspitze antisemitische und fremdenfeindliche Tendenzen vorhanden waren und dessen Politik primär auf die Abwehr Geflüchteter ausgerichtet war, erhielten sie einen Aufenthaltsort zugewiesen und konnten seit 1940 für den Arbeitsdienst in ein Arbeitslager eingewiesen werden.²⁴ Bereits seit 5. September 1939 waren sämtliche Ausländerinnen und Ausländer visumpflichtig und mussten sich innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft anmelden. Alle nach diesem Stichtag illegal in die Schweiz Gekommenen sollten ausgewiesen werden.

    Basel und seine Umgebung, die Zäune am Badischen Bahnhof, die langsam fahrenden Züge Richtung Grenzach, die «Grüne Grenze» in den Wäldern der Eisernen Hand, boten bis zu ihrer Verschliessung mit Stacheldraht 1942 zahlreiche, wenn auch keineswegs gefahrlose Möglichkeiten, ohne Visum in die Schweiz zu flüchten. Die ortskundigen deutschen Behörden inklusive der Gestapo waren Ausreisewilligen sogar beim illegalen Übertritt in die Schweiz behilflich, da diese sich sonst im deutschen Grenzgebiet «aufstauen» würden.²⁵ In Lörrach trafen aus ganz Deutschland angeschleppte Personen, manchmal sogar in regelrechten Sammeltransporten, zwecks Abschiebung über die «Grüne Grenze» ein. Das Basler Polizeidepartement bezeichnete diese Praxis als «Überstellerei». Am 7. April 1941 erging die bundesrätliche Weisung, alle Juden seien unverzüglich zurückzuweisen. Im Kantonsgebiet aufgegriffene Flüchtlinge, besonders überstellte Personen, wurden im Polizeiwagen direkt vor das zuständige Amt in Lörrach zurückgebracht.

    Die – erst nach dem Krieg so benannte – «Wannseekonferenz» am 20. Januar 1942 in Berlin diente dazu, die begonnene Shoah im Detail zu organisieren, konkret: die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten zu organisieren. Nachdem auch im besetzten Frankreich die Abtransporte begonnen hatten, schloss die Schweiz am 13. August 1942 ihre Grenzen. Trotz massiver Proteste, unter anderem der Basler Karl Barth und Albert Oeri, bekräftigte der Bundesrat seinen Beschluss, jüdische Flüchtlinge seien an der Grenze zurückzuweisen, auch wenn sie an Leib und Leben bedroht seien. Lediglich entflohene Kriegsgefangene, Deserteure und jene wenigen, die als politische Flüchtlinge akzeptiert wurden, konnten noch auf Aufnahme hoffen. Der Basler Bankier Paul Dreyfus reiste mit der «Flüchtlingsmutter» Gertrud Kurz auf den Mont Pélerin, wo Bundesrat Eduard von Steiger seine Ferien verbrachte, schilderte in einem dreistündigen Gespräch die Situation im «Dritten Reich» und erbat die Wiederöffnung der Grenzen. Von Steiger sprach von «Gräuelmärchen», liess sich aber umstimmen und erteilte am 23. August 1942 die Weisung, «in besonderen Härtefällen keine Rückweisungen mehr zu verfügen».²⁶

    1942 differenzierten die Behörden die Exilierten in der Schweiz und schufen den Status des «sogenannten Flüchtlings»²⁷. Wie die – vor dem 1. August 1942 eingereisten – Emigranten waren auch diese Zivilflüchtlinge zur möglichst raschen Ausreise aus der Schweiz verpflichtet. Da dies wegen ihrer Gefährdung und der Kriegsumstände praktisch nicht möglich war, wurden Flüchtlinge, die ins Landesinnere gelangt waren und deren Ausschaffung als nicht «tunlich»²⁸ betrachtet wurde, in Arbeitslagern interniert. Arbeitsuntauglichen wurde meist ein Zwangsaufenthalt unter militärischer Aufsicht zugewiesen.

    Insgesamt wurden, so schätzt man, mindestens 30 000 Menschen, die in den Jahren 1933 bis 1945 Zuflucht suchten, von der Schweiz abgewiesen. Allein von Januar 1940 bis Mai 1945 gab es 24 398 aktenkundige Wegweisungen. Laut einer Statistik aus dem Jahr 1941 machten die 9 150 seit 1938 eingewanderten und die 10 279 Schweizer Jüdinnen und Juden zusammen lediglich 4,6 Prozent der Schweizer Bevölkerung aus, es konnte also keine Rede sein von einer «Verjudung» der Schweiz, ebenso wenig Basels: Hatte man während des Dreissigjährigen Krieges bei einer regulären Einwohnerzahl von 11 000 rund 7600 Geflüchtete beherbergt, lebten 1943 etwa 1400 jüdische Emigrierte und Flüchtlinge in der nun mehr als 160 000 Seelen zählenden Stadt, also 0,8 Prozent der Bevölkerung. Dass deren jüdische Organisationen für den Unterhalt aufkommen mussten, brachte diese zeitweise an den Rand ihrer finanziellen und personellen Kräfte.

    Erst am 12. Juli 1944 wurde die Anordnung gestrichen, Flüchtlinge «aus Rassegründen» seien abzuweisen. Ende 1944 durften einige Häftlinge der Konzentrationslager Bergen-Belsen und Theresienstadt gegen Bezahlung eines «Kopfgelds» an die Deutschen in die Schweiz ausreisen. Am 6. Februar 1945 rang sich der Bundesrat dazu durch, offiziell gegen die Massenvernichtung jüdischer Menschen zu protestieren. Bei Kriegsende am 8. Mai 1945 hielten sich etwas mehr als 115 000 geflüchtete Menschen in der Schweiz auf.

    Regierungsrat Carl Ludwig, der dem Basler Polizeidepartement bis 1935 vorstand, sah die grundsätzliche Diskussion über die «Überfremdungsfrage» als berechtigt an und hielt sich in der Regel streng an die Vorgaben des Bundes. Ab 1935 besass das «rote Basel» eine linke Mehrheit in der Exekutive. Mit Ludwigs Nachfolger, dem bisherigen Gewerkschaftssekretär Fritz Brechbühl, begann eine neue Periode der Basler Flüchtlingspolitik, die in der Nachkriegszeit den Ruf einer humanitäreren Praxis erhalten sollte, welche sich wohltuend von der derjenigen manch anderer Kantone abgehoben habe. Dennoch wurden allein zwischen August und Oktober 1938 84 jüdische Emigrierte dem Lörracher Bezirksamt überstellt. Tatsächlich gerieten Brechbühl und zwei seiner Chefbeamten Anfang 1939 in Konflikt mit der Eidgenössischen Fremdenpolizei, weil sie in rund 140 Einzelfällen die angeordneten Rückstellungen an die Grenze nicht befolgt hatten. Sie verteidigten sich unter Berufung auf «menschliche Überlegungen» und argumentierten, dass «die Basler Bevölkerung eine solche Praxis der Fremdenpolizei scharf verurteilen würde».²⁹ Später warnten die Berner Behörden den stellvertretenden Chef des Basler Kontrollbüros mit dem Hinweis auf das Schicksal des St. Galler Landjägerhauptmanns Paul Grüninger, der 1938 etwa 2000 Flüchtlinge gerettet hatte und wegen Missachtung von Anordnungen seiner Vorgesetzten fristlos entlassen worden war.³⁰

    Zu den tragischen Fällen gehört der des 1905 in Bratislava geborenen jüdischen Journalisten Nikolaus Strem, der am 27. Mai 1939 von Frankreich aus nach Basel gelangte. Drei Tage später erhielt er den Bescheid der Fremdenpolizei, dass sein Aufenthalt in der Schweiz verweigert werde und er bis 6. Juni auszureisen habe. Während sich Strem um eine Emigration nach Grossbritannien bemühte, gelang es der Israelitischen Fürsorge zwei Mal, eine Erstreckung der Ausreisefrist zu bewirken, zuletzt bis 9. Juli. In einem letzten Schreiben vom 19. Juli bat sie die Fremdenpolizei, Strems Namen «infolge Todesfall»³¹ von der Liste zu streichen: Aus Angst vor der Ausschaffung hatte er sich am 17. Juli 1939 das Leben genommen.

    Ende 1942 befanden sich bei rund 18 000 Zivilflüchtlingen rund 180 Literatinnen und Literaten sowie 150 Theaterschaffende in der Schweiz. Obschon sich die meisten prominenten Intellektuellen, literarisch oder künstlerisch Tätigen in Zürich und im Tessin aufhielten, konnte auch Basel als Exilort bekannte Namen aufweisen:

    Der 1884 in Berlin geborene, aus einem assimilierten, kaisertreuen jüdischen Elternhaus stammende Wilhelm Herzog, der als Journalist schon Ende der 1920er-Jahre hellsichtig «gegen den kommenden Krieg und gegen die heute bereits mit äusserstem Raffinement vorbereitete Kriegspsychose»³² gekämpft hatte, war seinerzeit einer der bekanntesten deutschen Publizisten. Einst hatte er Thomas Mann, dem er mittlerweile freundschaftlich verbunden war, zu wüsten Ausfällen hingerissen. Dieser hatte den Freund und Trauzeugen seines Bruders Heinrich Mann als «schmierigen Literaturschieber, der sich durch Jahre von einer Kino-Diva» aushalten liess», beschimpft (Herzogs erste Ehefrau war der hochbezahlte Stummfilmstar Erna Morena) und als einen «Geldmacher und Geschäftsmann im Geist von der grossstädtischen Scheisseleganz des Judenbengels».³³ Mann war, obgleich seine Frau Katia aus der bekannten jüdischen Familie Pringsheim stammte, keineswegs frei von Antisemitismus. Echauffiert hatte er sich vor allem wegen Herzogs Solidarität mit dem Sozialisten Kurt Eisner, der 1918 in München die Räterepublik ausgerufen und Herzog die Leitung des Presse- und Propagandabüros des Arbeiter- und Soldatenrats übertragen hatte. 1929 hatte Herzog zusammen mit Hans José Rehfisch Die Affäre Dreyfus verfasst, die exemplarisch die Entstehung von Rassenvorurteilen im Frankreich der Dritten Republik rekonstruiert.

    Am 13. Februar 1933 war Herzog zunächst ins südfranzösische Fischerdorf Sanary-sur-Mer emigriert, wo zahlreiche aus Deutschland geflüchtete Prominente Zuflucht fanden, von dort am 1. Oktober 1933 nach Zürich. Obwohl er seine zahlreichen Artikel in Schweizer Gazetten unter Pseudonymen veröffentlichte, wurde die Zürcher Fremdenpolizei auf seine Aktivitäten aufmerksam und verwarnte ihn. 1934 übersiedelte Herzog ins als weniger restriktiv geltende Basel, unterlag aber auch dort Beschränkungen: «Das heisst, es war von der Fremdenpolizei strengstens untersagt, eine Stellung anzunehmen oder auch nur zehn Franken durch Arbeit zu verdienen. Politische Artikel zu schreiben, war bei Strafe der Ausweisung aus der Eidgenossenschaft verboten. Ich betätigte mich trotzdem literarisch und politisch: Gestützt auf die Einladung von drei Basler Regierungsräten, regelmässig für ihre Arbeiter-Zeitung aussen- und kulturpolitische Artikel zu schreiben.»³⁴ Schon bald begann sich die Bundesanwaltschaft zu fragen, wer hinter den mit dem Kürzel «F» gezeichneten Artikeln stecken mochte. Herzogs Pseudonym wurde gelüftet, doch der Schutz seiner Gönner war so effektiv, dass er unbehelligt blieb. So war er einer der wenigen emigrierten Autoren, die längere Zeit im Schweizer Exil nicht nur leben, sondern auch Geld verdienen konnten. Als 1937 sein Stück Panama als Schweizer Erstaufführung am Stadttheater Basel gezeigt wurde, war das «von der seriösen Theaterkritik abgelehnte politische Tendenzstück» für den Basilisk, das Parteiorgan der Nationalen Volkspartei, Anlass zur Frage: «Erhält Basel ein Emigrantentheater?»³⁵

    Am 8. Mai 1939 heiratete der immerhin bereits 55 Jahre alte Herzog die 31-jährige, nach kurzer Ehe mit dem ebenfalls wesentlich älteren deutschen Schriftsteller Kurt Vollmoeller verwitwete Alice La Roche aus der angesehenen Basler Bankiersfamilie – gegen den Willen ihrer Eltern. Der von den Basler Behörden nur vorübergehend geduldete Staatenlose ohne Vermögen, noch dazu jüdischer Herkunft, Pazifist und ehemaliger Kommunist, war alles andere als der erwünschte Eidam für Robert La Roche, Mitinhaber des Bankhauses La Roche & Cie., Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung seit 1927 und Vorstandsmitglied der traditionsreichen «Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige». Robert La Roche enterbte seine Tochter und sprach zeit seines Lebens kein Wort mehr mit ihr, nicht einmal die Mitteilung von der Geburt seines Enkels wollte er zur Kenntnis nehmen.³⁶ Trotz seiner Heirat mit einer Baslerin erhielt Herzog jedoch keine unbefristete Aufenthaltsbewilligung. 1939 wurde er im südfranzösischen Sanary-sur-Mer vom Kriegsausbruch überrascht und wie Lion Feuchtwanger, Walter Benjamin und weitere Schriftstellerkollegen im Lager Les Milles interniert. 1941 erhielten er und seine Frau dank Thomas Mann und Albert Einstein USA-Visa und bestiegen ein Schiff nach Martinique, das jedoch zehn Kilometer vor seinem Ziel gekapert wurde. Bis 1945 war Herzog in Trinidad interniert.

    Noch heute populär ist Lisa Tetzners zusammen mit ihrem Ehemann Kurt Kläber verfasster, mehrmals verfilmter Jugendroman Die schwarzen Brüder über das von Hunger, Russ und Kälte geprägte Leben eines Tessiner Kaminkehrerjungen. Im Februar 1933 war der 1897 in Jena geborene Kommunist Kläber unter dem Vorwand, am Reichstagsbrand beteiligt gewesen zu sein, in «Schutzhaft» genommen worden. Tetzner, 1894 im sächsischen Zittau zur Welt gekommen und in einer strikt deutschnational orientierten Familie aufgewachsen, seit 1924 seine Frau, hatte die Freilassung erwirken, Kläber, dessen Werke der Bücherverbrennung zum Opfer fielen, in die Schweiz fliehen können. Wenige Tage später war ihm Tetzner gefolgt. Sie hatten sich in Carona im Tessin in der Nachbarschaft ihres Freundes Hermann Hesse niedergelassen; vorübergehend war auch der ebenfalls aus Deutschland geflüchtete Bertolt Brecht bei ihnen untergekommen. Wie üblich legte die Eidgenössische Fremdenpolizei ihre Gesuche um Arbeitsbewilligung dem Schweizerischen Schriftsteller-Verein zur Stellungnahme vor. Der empfahl für die als Märchenerzählerin profilierte Tetzner, die in Berlin Kurse in Sprecherziehung und Stimmbildung an der Schauspielschule des Deutschen Theaters belegt und an der Universität bei Emil Milan Vortragskunst studiert hatte, nur eine Arbeitserlaubnis als Rezitatorin, nicht aber als Schriftstellerin. Kläber erhielt gar keine Arbeitserlaubnis. Im Oktober 1934 erklärte der SSV, er habe angesichts der Tatsache, dass die «literarische Invasion» aus Deutschland stark nachgelassen habe, nichts dagegen, «dass Frau Lisa Kläber» auch als Schriftstellerin «die Arbeitsbewilligung bis auf weiteres erteilt wird.»³⁷ Obgleich ihr 1929 erschienener erster Jugendroman Hans Urian. Die Geschichte einer Weltreise 1933 in Deutschland verboten worden war, versuchte sie sich den dortigen Buchmarkt offen zu halten, trat 1934 dem Reichsverband Deutscher Schriftsteller bei und nahm im Jahr darauf Kontakt zum Präsidenten der Reichsschrifttumskammer Hans-Friedrich Blunck auf, um die Veröffentlichung ihres Buches Was am See geschah zu erwirken, das zwar erschien, aber bereits 1937 wieder verboten wurde. Danach bemühte sie sich verstärkt, sich auf dem schweizerischen Buchmarkt zu etablieren – mit Erfolg: Der Verlag Sauerländer nahm sie in seinen festen Autorenstamm auf.

    Im April 1937 trat Lisa Tetzner eine Stelle als Dozentin für Stimmbildung am 1925 gegründeten Kantonalen Lehrerseminar Basel an. Sehr zum Missfallen der Eidgenössischen Fremdenpolizei, die sie, den Einwendungen des Schweizerischen Schriftsteller-Vereins folgend, etwas spitz darauf hinwies, «dass Ihrem Aufenthalt in der Schweiz

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