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Letzte Ruhe am Rheinknie: Spaziergänge zu bemerkenswerten Toten auf Basels Friedhöfen
Letzte Ruhe am Rheinknie: Spaziergänge zu bemerkenswerten Toten auf Basels Friedhöfen
Letzte Ruhe am Rheinknie: Spaziergänge zu bemerkenswerten Toten auf Basels Friedhöfen
eBook294 Seiten3 Stunden

Letzte Ruhe am Rheinknie: Spaziergänge zu bemerkenswerten Toten auf Basels Friedhöfen

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Über dieses E-Book

Auf den fünf heute noch genutzten Friedhöfen auf basel-städtischem Boden liegen unzählige Persönlichkeiten begraben, die Lokal-, Landes- und manche sogar ein Stück Weltgeschichte geschrieben haben. Der Autor lädt dazu ein, auf ausgewählten Routen über den Wolfgottesacker, den Israelitischen Friedhof, den Friedhof am Hörnli, den Gottesacker Riehen und den Friedhof Bettingen die Grabstätten einiger dieser Menschen zu besuchen und ihre Geschichten zu entdecken. Für die körperlich leicht zu bewältigenden und geistig stimulierenden Spaziergänge, die kein kräftezehrender Bildungsmarathon werden sollen, wurden die an den vorgeschlagenen Strecken Ruhenden weder einem Bedeutungsranking folgend ausgewählt, noch mit dem vermessenen Anspruch auf Vollständigkeit versammelt.
Dafür finden sich ein Couturier, ein doppelt besternter Cuisinier, der Erfinder der lila Kuh, das reale Vorbild der Hanna aus Max Frischs «Homo faber», ein Kleinbasler Postbeamter, der mit einer Fehlentscheidung in die Fussballgeschichte einging, ein deutsch-baltischer Chemiker, dessentwegen Generationen von Kindern Unmengen von Spinat verspeisen mussten, und übrigens auch der Begründer der Promenadologie, der Spaziergangswissenschaft, unter den vorgestellten Menschen, die in Basel ihre letzte Ruhe gefunden haben.
SpracheDeutsch
HerausgeberZytglogge Verlag
Erscheinungsdatum17. Juni 2021
ISBN9783729623484
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    Buchvorschau

    Letzte Ruhe am Rheinknie - Thomas Blubacher

    Inhalt

    Cover

    Impressum

    Titel

    Vor-Letzte Worte

    Die Toten von Basel

    Wolfgottesacker

    Israelitischer Friedhof

    Friedhof am Hörnli

    Der westliche Bereich

    Der östliche und der zentrale Bereich

    Gottesacker Riehen

    Friedhof Bettingen

    Friedhofspläne

    Dank

    Personenregister

    Über den Autor

    Über das Buch

    Thomas Blubacher

    Letzte Ruhe am Rheinknie

    Autor und Verlag danken für die Unterstützung:

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    Ruth und Paul Wallach Stiftung

    Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur für die Jahre 2021 – 2024 unterstützt.

    © 2021 Thomas Blubacher

    Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat und Fotos: Thomas Gierl

    Umschlaggestaltung: Kathrin Strohschnieder

    eBook-Produktion: 3w+p, Rimpar

    ISBN ePub: 978-3-7296-2348-4

    ISBN mobi: 978-3-7296-2349-1

    www.zytglogge.ch

    Thomas Blubacher

    Letzte Ruhe

    am Rheinknie

    Spaziergänge zu bemerkenswerten

    Toten auf Basels Friedhöfen

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    Vor-Letzte Worte

    Zugegeben, keiner der fünf noch heute genutzten Gottesäcker auf basel-städtischem Boden spielt in der Champions League der Prominentenfriedhöfe. Auf dem Père Lachaise in Paris pilgern jährlich 3,5 Millionen Menschen zu den sterblichen Überresten von Oscar Wilde und Marcel Proust, Edith Piaf und Jim Morrison. Am Eingang des Wiener Zentralfriedhofs, bekanntlich halb so gross wie Zürich, aber doppelt so lustig, ergiessen sich aus Bussen ganze Reisegruppen, die den Wunsch nach einem Selfie vor den Grabmalen von Beethoven und Brahms, Curd und Udo Jürgens haben oder sich angesichts der Büste Helmut Qualtingers mit einem seligen «Karl, du bist es nicht» auf den Lippen ihres fortdauernden irdischen Daseins erfreuen. Und der Dorotheenstädtische Friedhof in Berlin lässt bildungsbürgerliche Herzen höher wallen bei der glücklicherweise einseitig postmortalen Begegnung mit Hegel und Fichte, Bertolt Brecht und Heiner Müller. Selbst das Zürcher Sihlfeld punktet mit Zelebritäten wie Gottfried Keller und Johanna Spyri, August Bebel und Henri Dunant.

    Basel kann immerhin mit einem Rekord aufwarten: Der Friedhof am Hörnli ist der grösste der Schweiz, und so ruhen dort natürlich nicht nur die beiden berühmten Karls, also Barth und Jaspers, sondern etliche weitere bemerkenswerte Persönlichkeiten – wie auch auf den anderen Gottesäckern des Kantons. Einige Namen sind wie jener Alfred Rassers wohl allen geläufig, bei anderen bedarf es vielleicht einer kleinen Anschubhilfe: Selbst wer noch nie vom Nobelpreisträger Tadeus Reichstein, geschweige denn von der Reichstein‐Synthese gehört hat, kennt ohne Frage das Vitamin C. Wieder andere ehedem Ge- und Verehrte sind in Vergessenheit geraten, lohnen aber eine Wiederbegegnung oder Neuentdeckung.

    Dazu laden die vorgeschlagenen Spaziergänge ein, und so wurden die an den Routen Ruhenden weder einem Bedeutungs- noch einem Popularitätsranking folgend ausgewählt, geschweige denn mit dem vermessenen Anspruch auf Vollständigkeit versammelt. Lokalhistorisch Bewanderte werden das Fehlen so mancher Person beklagen, die sich in Basel um, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie durchaus verdient gemacht hat, Kunstinteressierte den einen oder anderen längst verblichenen Schöpfer farbenfroher Malereien vermissen, Theaterbegeisterte einstmals gefeierte Bühnenstars, denen die Nachwelt, wie man weiss, ohnehin keine Kränze flicht. Und, horribile dictu, nicht einmal alle, deren Namen sich mit «Veegeli-Vau» oder «ckdt» schreiben, werden gebührend gewürdigt. Dafür ein Couturier und ein doppelt besternter Cuisinier, der Erfinder der lila Kuh und das reale Vorbild der Hanna aus Max Frischs «Homo faber», ein Kleinbasler Postbeamter, der mit einer Fehlentscheidung Fussballgeschichte schrieb, und ein deutsch-baltischer Chemiker, dem wir den spinatverschlingenden Matrosen Popeye verdanken.

    Dass alte weisse Männer oder in diesem Falle tote weisse Männer dominieren, ist keine programmatische Absage an Frauenquote und Diversity, sondern spiegelt die historische Realität. Der Verzicht auf Sternchen oder Gap ist der vermeintlich besseren Lesbarkeit geschuldet und wird, hiermit sei’s versprochen, spätestens bei der zehnten Auflage korrigiert, wenn sich Augen und Ohren sicherlich an eine gendersensible Sprache gewöhnt haben. Apropos: Sollten Sie diese Erstausgabe in zwanzig oder dreissig Jahren antiquarisch erwerben, werden Sie einige dann aufgelassene Gräber vergeblich suchen, dafür aber Grabsteine entdecken, deren Besitzer bei der Drucklegung noch munter Tennis gespielt haben.

    Viel Freude also beim Flanieren über Basels Friedhöfe – nach dem Motto: «Ich lebʼ, weiss nit wie lang, ich sterbʼ und weiss nit wann, ich fahrʼ, weiss nit wohin, mich wundertʼs, dass ich fröhlich bin.»

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    Die Toten von Basel

    Ob die Gäste, die im Café Zum Kuss an der Elisabethenanlage «Totebeinli» verzehren, wissen, dass sie im einstigen Leichenhaus des St. Elisabethen-Friedhofs einkehren? Sind sich Spaziergänger, deren Kinder das ägyptisch anmutende «Pfludder-Tempelchen» beim Sandkasten im Kannenfeldpark mit Kreide bekritzeln, bewusst, dass es sich um das Grabmal des Philologen Johann Jakob Merian handelt, das letzte übrig gebliebene des Kannenfeld-Gottesackers? So mancher aufgelassene Friedhof hat Relikte hinterlassen, sei es die Miniaturausgabe des Pantheons im Rosentalpark, die einst als Abdankungskapelle diente, sei es die Villa der «familea Kita Horburgpark», die mit einem Zwillingsbau den Portalbereich des Eingangs zum Horburg-Friedhof bildete. Die meisten Gottesäcker aber sind spurlos verschwunden.

    Bestattungen wurden auf dem Gebiet des heutigen Kantons Basel-Stadt vorgenommen, seit Menschen hier ansässig waren. In Riehen fand man sogenannte Glockenbecher-Gräber aus der Zeit des Spätneolithikums, einfache Grabgruben, in denen die Toten in Hockerstellung beigesetzt wurden. Internationales Aufsehen erregte die Ausgrabung einer rund 150 000 Quadratmeter umfassenden keltischen Grosssiedlung am linken Rheinufer, unterhalb der heutigen Dreirosenbrücke. Die engen, nur wenig eingetieften und meist in Nord-Süd-Richtung angelegten Grabgruben datieren vom 3.  bis zum Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. und zeugen von den komplexen Totenritualen der jüngeren Latènezeit. Man fand neben Schmuckstücken wie Perlen und Armringen aus Glas auch Beigaben wie Münzen oder Keramikgefässe, mit denen die Toten für ein Weiterleben im Jenseits ausgestattet wurden. Im Areal zwischen den Strassenzügen Aeschenvorstadt, Elisabethenstrasse, Henric Petri-Strasse und Sternengasse wurden in den vergangenen zweihundert Jahren über vierhundert Gräber entdeckt, die ältesten aus der spätkeltisch-römischen Übergangszeit um Christi Geburt, die jüngsten aus dem 7. Jahrhundert. Ein fränkisches Gräberfeld am heutigen Bernerring stammt aus der Zeit zwischen 530 und dem beginnenden 7. Jahrhundert, etwa derselben Zeit wie Gräber der Alamannen in Kleinhüningen, bei der Schwarzwaldallee und bei St. Theodor.

    Die etwa zwanzig bekannten Basler Begräbnisplätze des Mittelalters befanden sich innerhalb des Wohngebiets bei den Pfarr- und Klosterkirchen. Einige Gräber bei der Pfarrkirche St. Theodor reichen zurück auf das 11. Jahrhundert. Im frühen 12. Jahrhundert übertrug Bischof Adalbero III. dem Chorherrenstift St. Leonhard das Bestattungsrecht auf eigenem Friedhof; die ältesten dort entdeckten Gräber stammen aus der Zeit zwischen 1200 und 1360. Die erstmals 1206 erwähnte Johanniterkommende unterhielt in der heutigen St. Johanns-Vorstadt einen Kirchhof, der heute vollkommen verschwunden ist; auch beim Kloster Klingental deutet nichts mehr auf einen Friedhof hin. Der einstige Laienfriedhof des nach der Reformation von 1529 geschlossenen Predigerklosters wurde berühmt durch den «Basler Totentanz», der Mitte des 15. Jahrhunderts von einem Schüler Konrad Witz’ auf die Innenseite der sechzig Meter langen und zwei Meter hohen Friedhofsmauer gemalt wurde, im Lauf der Jahrhunderte verwahrloste und 1805 zerstört wurde. 23 Bild- und drei Textbruchstücke konnten gerettet werden, 19 von ihnen sind im Historischen Museum ausgestellt. Das Friedhofsareal dient heute als öffentlicher Park; die Tramhaltestelle «Totentanz» wurde aus Rücksicht auf das angrenzende Spital umbenannt und heisst seit 2004 «Universitätsspital». Nicht in die Kunst-‍, sondern in die Geschichtsbücher eingegangen ist der Kirchhof von St. Jakob, auf dem sich 1444 die Eidgenossen in der Schlacht gegen die zahlenmässig weit überlegenen Armagnaken verschanzten: «Wie wilde Tiere im brennenden Käfig wüteten sie, ums blutrote Schweizer Panner geschart. Ein immerwährendes Aufblitzen der Schwerter und das Krachen der Knüttel kam aus ihrem Haufen, als wären sie ein eingeschlossenes Donnerwetter», heisst es in Meinrad Lienerts 1914 veröffentlichten «Schweizer Sagen und Heldengeschichten». Für die Bestattung der rund 1300 Toten musste der Kirchhof erheblich erweitert werden, heute ist aus ihm eine Gartenanlage geworden. Allenfalls noch zu erahnen ist auch der Kirchhof der 1864 abgerissenen Pfarrkirche St. Elisabeth im Pfarrgarten der heutigen Elisabethenkirche.

    Als einziger mittelalterlicher Kirchhof zumindest teilweise erhalten hat sich jener neben der um 1270 als Teil eines bereits bestehenden cluniazensischen Klosters erbauten St. Alban-Kirche, der noch bis 1872 als Bestattungsort für wohlhabende Basler Familien diente und 2012/13 restauriert wurde. Das älteste zu identifizierende Epitaph stammt aus dem Jahr 1593. Auf Grabsteinen entlang der Nord- und der Südmauer kann man Namen wie Bernoulli, Burckhardt, Heusler, Iselin, Merian, Preiswerk, Staehelin und Thurneysen lesen. In Grab S 30 A ruht seit seinem Freitod im Jahr 1854 der Architekt Melchior Berri, der Schöpfer des «Basler Dybli».

    Grabmale und Epitaphe finden sich selbstverständlich auch innerhalb der Kirchen. Im Chor des Münsters kann man das einzige figürliche königliche Grabmal der republikanischen Schweiz bestaunen: die prächtige, mit den Wappen Österreichs, des römisch-deutschen Reiches und der Steiermark verzierte Grabtumba für den 1281 aus Wien überführten Leichnam der Königin Anna von Habsburg, der Gemahlin des ersten römisch-deutschen Königs Rudolf von Habsburg und Stammmutter der Habsburger-Dynastie. Ihre Gebeine wurden allerdings 1770 auf Verfügung Kaiserin Maria Theresias nach St. Blasien und 1809 nach St. Paul im Kärntner Lavanttal verlegt. Im nördlichen Seitenschiff liegen zu Füssen eines Epitaphs aus rotem Kalkstein die Gebeine des grossen Theologen und Humanisten Erasmus von Rotterdam, der 1536 in Basel verstarb und, obgleich Katholik, im protestantischen Münster bestattet wurde. Der Doppelkreuzgang des Münsters diente, bis es dort im 19. Jahrhundert schlicht zu eng wurde, als Bestattungsort für Basels Elite. Hier ruhen der Reformator Johannes Oekolampad, der Humanist Thomas Platter, der Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein, der Mathematiker Jacob I. Bernoulli und der Philosoph Isaak Iselin. In der Peterskirche befinden sich ausser der Grabplatte für den Buchdrucker Johann Froben, deren dreisprachige Inschrift Erasmus von Rotterdam und Sebastian Münster verfassten, Epitaphien für die Mathematiker Johann I. Bernoulli, Nicolaus I. Bernoulli und Daniel Bernoulli.

    In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verdoppelte sich die Stadtbevölkerung auf 30 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Neben der Überfüllung der Kirchhöfe war es eine Typhusepidemie im Jahr 1814, die die Stadt veranlasste, neue Bestattungsorte zu suchen – man befürchtete, die Beisetzung der Toten mitten in den Wohnquartieren stelle eine Ansteckungsfahr dar. Zwischen 1817 und 1832 wurden drei Gottesäcker eingeweiht: zuerst der Elisabethengottesacker als Friedhof der Münstergemeinde, dann, als Ersatz für den 1825 geschlossenen Friedhof zu St. Leonhard und als erster Gottesacker vor der Stadtmauer, der Spalengottesacker (heute befindet sich dort der Botanische Garten) und schliesslich der Friedhof St. Theodor im Kleinbasler Rosental, dort, wo in unserer Zeit auf dem unterdessen stark verkleinerten Areal Zirkusse ihre Zelte aufschlagen. Er diente als Ersatz für den Theodorskirchhof, wodurch die «dissmahligen Ruehstätten der bereits Entschlafenen biss zu ihrem künftigen Auferstehungstage ohngestört bleiben können». 1845 folgte der Äussere St. Johann-Gottesacker als Spitalbegräbnisstätte; bis 1985 hatte auf dem Areal die Stadtgärtnerei ihr Domizil, deren Anlagen bis zur polizeilichen Räumung 1988 von Kulturschaffenden genutzt wurden. 1992 übergab man der Öffentlichkeit den fertig gestalteten St. Johanns-Park – in dem noch immer Hunderte Tote ruhen. 2015 wurden wegen eines Leitungsbaus 54 vollständig erhaltene Bestattungen geborgen, anthropologisch untersucht und mit dem Gräberverzeichnis sowie den überlieferten Krankenakten des Bürgerspitals abgeglichen. Das Skelett des 1799 geborenen, 1859 als Alkoholiker verstorbenen Hafners und Taglöhners Johann Salathé etwa zeigt am Hüftgelenk und an den Wirbeln ausgeprägte Spuren von Arthrose und lässt Rückschlüsse auf ein von harter Arbeit geprägtes Leben zu. Charakteristische Rillen im Zahnschmelz und der Zustand der Zahnwurzeln zeugen von Hunger und Mangelernährung während der Kindheit, aber auch noch in der Jugend – der Ausbruch des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa im Jahr 1815 hatte gravierende Ernteausfälle in der Schweiz zur Folge. Auch der ab 1849 belegte und bis 1881 genutzte Friedhof bei der Kleinhüninger Dorfkirche ist heute eine Grünanlage.

    Das weitere Anwachsen der Bevölkerung führte in den 1860er-Jahren zur Überbelegung auch dieser Begräbnisstätten, und die wenig pietätvollen Zustände dort machten die Anlage neuer Friedhöfe unumgänglich. 1866 beschloss der Stadtrat den Bau zweier grosser Friedhöfe ausserhalb des Stadtgebietes, der eine dauerhafte Lösung des Problems darstellen sollte. Auf der Suche nach geeigneten Grundstücken fand man eine Weide, auf der der Patron des Gasthauses Zur Kanne in der Spalenvorstadt seine Enten in freier Bodenhaltung hielt. 1868 wurde dort der im Stil englischer Parkanlagen gestaltete Gottesacker auf dem Kannenfeld für die linksseitig des Birsigs gelegenen Quartiere eröffnet; der Spalen-‍, der Innere St. Johann- und der Spitalgottesacker wurden geschlossen. Davon begeistert zeigten sich weiss Gott nicht alle – zu weit entfernt von der Stadt war ihnen der neue Friedhof. Die Katholiken klagten, dass es nun nicht mehr möglich sei, den Sarg mit dem Verblichenen auf den Schultern von dessen Wohnhaus, wo man ihn aufgebahrt hatte, zum Grab zu tragen; die Reformierten monierten, der einsame Landweg zum Friedhof biete für einen würdigen Trauerzug mit bekränztem Leichenwagen keine adäquate Kulisse. Dennoch wurde 1872 der damals ebenfalls weit ausserhalb der Stadt gelegene Gottesacker auf dem Wolf eingeweiht, der der übrigen Grossbasler Bevölkerung dienen sollte; die Friedhöfe St. Elisabethen, St. Alban und St. Jakob wurden aufgelassen. Als Ersatz für den Friedhof St. Theodor im Rosental wurde 1890 auf den bis dahin hauptsächlich als Weideland genutzten Dreirosenfeldern der Horburggottesacker errichtet, auf dem 1898 das erste Krematorium Basels den Betrieb aufnahm – gegen massiven Protest insbesondere der Katholiken, die Feuerbestattungen als «neuheidnisch» ablehnten. Vor der offiziellen Einweihung wollte man die Anlage mit zwei Leichnamen testen. Als Erstes sollten unter Anwesenheit zahlreicher Schaulustiger die sterblichen Überreste eines verstorbenen Sträflings kremiert werden. Doch der Heizer bediente die Anlage falsch und verlor, als Gase entwichen, das Bewusstsein, worauf sich die Angehörigen des zweiten Toten dann doch für eine Erdbestattung entschieden.

    Mit der Inbetriebnahme des Zentralfriedhofs am Hörnli 1932 wurden sämtliche alte Gottesäcker geschlossen. Am 8. Dezember 1931 hatte die Regierung verfügt, dass die Begräbnisstätten Horburg und Kannenfeld auf Ende 1951 aufgehoben würden, ebenso der 1882 unmittelbar an der Landesgrenze eröffnete Kleinhüninger Friedhof. Allein der Wolfgottesacker blieb als historischer Bestattungsort und als Refugium wertvoller Grabsteine erhalten, noch heute werden dort Beisetzungen vorgenommen. Die Hälfte des Horburgfriedhofs, auf dem bis 1932 immerhin 20 290 Tote bestattet worden waren, ging 1940 an die Ciba und wurde nach Ablauf der Ruhefrist überbaut. Der Rest wird seit 1951 als Park genutzt, der heute mit Robi-Spielplatz, Planschbecken für Kleinkinder, Boulodrome, Slackline-Pfosten und Hundespielplatz samt Buddelecke lockt. Einige berühmte Grabmale verlegte man von dort auf den Wolfgottesacker, ebenso vom Kannenfeldfriedhof, als dieser 1952 aufgehoben wurde. Seit seiner Eröffnung hatte man dort rund 46 000 Menschen beigesetzt. Nun wurden 1300 Familiengräber und 6000 Reihengräber geräumt. 43 Lastwagenladungen Grabmale wurden im Rheinhafen verbaut, dreissig Lastwagen gelangten in die Langen Erlen, die gesprengten Überreste der auszementierten Familiengräber nutzte man für das Fundament des neuen Parkplatzes am St. Jakob-Stadion. Einige Grabmale an der Friedhofsmauer blieben zunächst erhalten, sind aber mittlerweile verschwunden, darunter auch jenes der 1877 verstorbenen Charlotte Kestner, der Tochter der als Lotte in Goethes Briefroman «Die Leiden des jungen Werthers» unsterblich gewordenen Charlotte Buff. Das gesamte Friedhofsareal wurde unter Federführung des Stadtgärtners Richard Arioli sukzessive in eine öffentliche Grünanlage umgewandelt, mit Spielplätzen und Planschbecken, einem mittlerweile zum Parkcafé erweiterten Kiosk sowie, auf Initiative des Komödie-Direktors Egon Karter, einem Gartentheater mit 400 Quadratmeter grosser Bühne und halbkreisförmigen, ansteigenden Sitzreihen für 1200 Zuschauerinnen und Zuschauer. Es wurde nicht nur von lokalen Bühnen und Truppen bespielt, 1977 gastierte sogar das avantgardistische Living Theatre aus New York mit seinen «Sieben Meditationen über den politischen Sadomasochismus». Passend zur Vergangenheit des Ortes zeigte das Theater Basel im Februar 1992, drei Jahre nach dem Suizid des Autors, eine Dramatisierung von Hermann Burgers Roman «Schilten»: die Geschichte eines jungen Dorflehrers, der die Nähe seiner Schule zum Friedhof nicht erträgt, seine Schüler in «Todeskunde» unterrichtet, an seiner Existenz verzweifelt, sich scheintot glaubt und nach seiner Entlassung ein ausuferndes Memento mori in Form eines Schulberichts verfasst, eine vergebliche Verteidigungsschrift gegen den Tod.

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    Wolfgottesacker

    Der seit 1995 unter Denkmalschutz stehende, dank alten Baumbestands und klassizistischer, neogotischer, von Renaissanceformen oder dem englischen Tudorstil geprägter Familiengrabstätten schönste aller Basler Gottesäcker liegt wenig idyllisch mitten im Gewerbegebiet Dreispitz, zwischen SBB-Gleisen, einem Rangierbahnhof und einem Tramdepot.

    Als die Stadt 1869 das leicht abfallende Terrain an der Ausfallstrasse nach Münchenstein als künftige Begräbnisstätte für die rechts des Birsigs wohnende Bevölkerung von Christoph Merians Witwe Margarethe pachtete (erworben hat sie es erst zwanzig Jahre später), befand es sich freilich in ländlich geprägter Umgebung, zwischen Feldern und Wiesen. Weil man erkannt hatte, dass die Bodenbeschaffenheit auf dem Wolffeld, das seine Bezeichnung den hier noch im 17. Jahrhundert umherstreifenden Wölfen schuldet, nicht ideal für die Leichenverwesung war, und man zudem eine Bodensenke aufschütten musste, liess man zunächst einmal grosse Mengen Erde vom Bruderholz hierher transportieren. 1870 konnte man mit der eigentlichen Gestaltung beginnen, nach einer Grundkonzeption Amadeus Merians, dem Basel das Café Spitz und den Neubau des Hotels Drei Könige verdankt. Man errichtete an der Südseite ein von Johann Jakob à Wengen entworfenes, dreibogiges Eingangsportal im neobyzantinischen Stil, an dessen Flanken sich ein Verwaltungs- und ein Gärtnerflügel anschliessen, und östlich davon ein Leichenhaus. Der geplante Zentralbau, eine imposante Kapelle, fiel Sparplänen zum Opfer – das erklärt den etwas überdimensioniert wirkenden asphaltierten Platz, auf den man nach dem Betreten des Friedhofs zustrebt. Im nördlich anschliessenden eigentlichen Begräbnisbereich legte man längs der Mauern Grüfte für die Verblichenen betuchter Familien an, im Zentrum günstige

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