Begraben aber nicht vergessen – Spaziergänge über hannoversche Friedhöfe
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Über dieses E-Book
Barbara Fleischer
Barbara Fleischer, Dipl.-Bibliothekarin, ist Wahlhannoveranerin. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit den Biografien von 'Frauen an der Leine' und nimmt für Stattreisen Hannover e.V. Interessierte mit auf den gleichnamigen Stadtspaziergang.
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Buchvorschau
Begraben aber nicht vergessen – Spaziergänge über hannoversche Friedhöfe - Barbara Fleischer
Barbara Fleischer
Begraben aber nicht vergessen
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Spaziergänge über hannoversche Friedhöfe
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
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Bildnachweis:
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© Lehmanns Media GmbH, Berlin 2017
Helmholtzstr. 2-9
10587 Berlin
Umschlag: Bernhard Bönisch
Satz & Layout: LATEX(Zapf Palatino) Volker Thurner, Berlin
Druck und Bindung: Totem • Inowrocław • Polen
ISBN 978-3-86541-897-5 www.lehmanns.de
1 Geweihte Erde – ewige Ruhe im Schatten der Kirchen
Die letzten Spuren des Kirchhofes um die Kreuzkirche
Geburt und Tod – der Anfang des menschlichen Lebens und sein Ende – gehören zusammen. Ist die Geburt einerseits Anlass zur Freude, so bedeutet der Tod andererseits Schmerz und Trauer. Schon in frühen Kulturen hielten es die Angehörigen des Verstorbenen für ihre menschliche Pflicht, den Toten würdig zu bestatten. Im Griechenland der Antike glaubte man, Unbestattete würden als ruhelose Geister umherwandeln, dieser Glaube setzte sich fort in dem Aberglauben, spukende Gespenster seien Tote, die keine Ruhe gefunden hätten. Aus der Sorgfalt, mit der die Bestattung durchgeführt wurde, entwickelte sich ein feierliches Zeremoniell um den Verstorbenen. Jede Kultur und jede Religion hatten und haben ihre eigenen Bestattungsriten.
Ausgeschlossen von der Liebestätigkeit an den Toten waren Selbstmörder und Hingerichtete. Ein mit dem Tode gestrafter Mensch, wenn er schon, wie die Worte lauten, ehrlich gerichtet ist, wird nicht auf diesen Kirchhof genommen sondern außer der Mauer eingescharrt, galt ebenfalls für die hannoverschen Friedhöfe. Auch vom Blitz Erschlagene fanden dort keinen Platz, glaubte man doch, eine höhere Macht habe auf schreckliche Weise ihrem Leben ein Ende gesetzt. Ungetaufte Kinder wurden ebenfalls nicht innerhalb der Friedhofsmauer begraben. Da die Säuglingssterblichkeit in früheren Jahrhunderten sehr hoch war, mussten diese möglichst rasch nach der Geburt getauft werden. Nur so erhielten sie ein christliches Begräbnis. Manchmal war es aber gerade die Durchführung der Taufhandlung, die zum Tode der Kinder führte. In großen Taufbecken, die noch heute zu den Schätzen vieler Kirchen gehören, wurde eine Ganzkörpertaufe vollzogen. Da das Wasser im Becken zwar gesegnet und damit heilig war, aber nicht frei von Keimen, infizierten sich die kleinen Täuflinge oft über die noch nicht verheilte Wunde an der Nabelschnur. Unkenntnis hygienischer Zusammenhänge kostete sie das Leben.
Der Aufwand für die Bestattung hing, ähnlich wie heute, mit der sozialen Stellung einer Person zusammen. So richteten im kaiserlichen Rom vornehme Familien auf ihren Grundstücken private Grabanlagen ein, unterirdische Grabkammern, die von einem Mausoleum gekrönt wurden. Das Grab galt als „Domus auch „Domus aeterna
– ein zweites, ewiges Haus, in dem der Tote einen immerwährenden Schlaf schlief. Demzufolge musste dieses Haus auch mit allen Bequemlichkeiten des irdischen Lebens ausgestattet sein, Grabbeigaben wie Hausgeräte, aber auch Waffen und natürlich Speisen und Getränke gehörten dazu. Grabschänder und -räuber, die sich am Besitz der Toten vergriffen, wurden verflucht und hart bestraft. Unfreie Menschen hingegen, Sklaven und Besitzlose, verscharrte man in Massengräbern.
Waren im römischen Reich die Verbrennung der Toten und ihre Beisetzung in Urnen üblich, so erlaubten der jüdische und später auch der christliche Glaube nur das Bestatten der Leiche. Aus christlicher Sicht galt die Beerdigung des Körpers als Voraussetzung für die Auferstehung des Leibes. Hatte man in frühchristlicher Zeit, immer bedroht von Verfolgung, Krypten und Katakomben als Zufluchtsstätte für Lebende und Tote benutzt, so entwickelten sich in den folgenden Jahrhunderten Gebräuche für einen Totenkult in der Öffentlichkeit. Bestattungen waren zwar eine Familienangelegenheit, ein letzter Dienst, der Verstorbenen erwiesen wurde, aber die Feier fand öffentlich und nicht nur innerhalb der Familie statt. Der feierliche Ritus in Gegenwart eines Priesters, bei dem vom Tod, aber auch von der Auferstehung gesungen wurde, das dreimalige Streuen von Erde auf den in ein Tuch gehüllten toten Körper und ein Leichenessen gehörten dazu. Im Mittelalter fanden die Toten ihre letzte Ruhe auf dem Kirchhof, der bei der Kirche lag. Auf dem Weg zum Gottesdienst passierten die Gläubigen die Gräber und wurden so an die Endlichkeit des irdischen Lebens erinnert.
2 Die Altstädter Kirchhöfe und der St. Nikolai-Friedhof vor der Stadt
St. Nikolai-Friedhof, im Hintergrund der Klagesmarkt (Wikipedia, Axel Hindemith)
In Hannover gab es um die drei Kirchen der Altstadt ebenfalls Kirchhöfe, und zwar um Marktkirche, Kreuzkirche und Aegidienkirche. Neben der Aegidienkirche markiert die Mauer um den kleinen Platz noch heute die Lage des ehemaligen Kirchhofs und auch an der Kreuzkirche gibt es noch ein kleines Mäuerchen sowie ein paar alte Grabsteine. Ansonsten verweisen keine weiteren Spuren auf diese Friedhöfe. Aus Knochenfunden wird geschlossen, dass der Kirchhof um die Marktkirche der größte Begräbnisplatz in der Altstadt war. Im kleinen Kreuzkirchhof gab es dagegen bereits im 15. Jahrhundert nicht mehr genug Platz, um alle Toten der Gemeinde zu bestatten. Er stand nur noch Personen aus sozial höheren Schichten zur Verfügung, einfache Menschen setzte man auf dem St. Nikolai-Friedhof vor der Stadt bei.
Ein Begräbnisplatz befand sich bei der Heilig-Geist-Kirche (1875 abgerissen) in der Nähe des Steintores. Das Hospital Sankt Spiritus, Heilig-Geist-Spital und Stift waren 1256 durch eine Stiftung hannoverscher Bürger gegründet worden. Lahme und Blinde erfuhren hier die nötige Pflege, aber auch Reisende wurden beherbergt. Später gewährte man alten Menschen lebenslange Aufnahme; waren sie arm, konnten sie sogar kostenlos wohnen. Das Stift zog im 19. Jahrhundert in ein Haus in die später nach ihm benannte Heiligengeiststraße und ist heute ein Senioren- und Pflegeheim.
Ein begehrter Bestattungsplatz unter den hochgestellten Familien war der Friedhof des Minoriten-Klosters, einer Unterabteilung des Franziskanerordens, der 1533 mit Beginn der Reformation in Hannover aufgelöst wurde. Die Beisetzung in einer Mönchskutte – so die Überzeugung der Gläubigen – würde den Weg ins himmlische Paradies verkürzen. Das Kloster hatte zudem eine bevorzugte Lage innerhalb der Stadt. Auf der einen Seite geschützt durch Stadtmauer und Leine, öffnete es sich mit der anderen Seite zur Leinstraße, der breitesten und schönsten Straße der Stadt. Doch war es von der Gunst der machtvollen Mönche abhängig, ob sie Personen, die nicht zu ihrem Orden gehörten, das Privileg gewährten, bei ihnen die Ewige Ruhe zu finden. Nachdem das Gebäude für ein paar hundert Jahre als Stadtschloss der Welfenfamilie gedient hat, ist es heute Sitz des Niedersächsischen Landtages.
Gefürchtet war im Mittelalter die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten, denn es gab keine wirkungsvollen Möglichkeiten, Seuchen zu verhindern. Die eng bebauten Straßen der Städte begünstigten den Verlauf von Epidemien. Als besonders ansteckend galten die Aussätzigen, die Leprösen. Aus Furcht vor dieser Krankheit entstanden deshalb an vielen Orten außerhalb der Stadt Hospitäler für die Leprakranken. In Hannover wurde vor dem Steintor das Hospital „Sankt Nikolai" gegründet, benannt nach dem Heiligen Nikolaus von Myra, dem Schutzpatron der Schiffer. Seiner gedenkt man am 6. Dezember, seit dem 16. Jahrhundert gilt er als Gabenbringer besonders für Kinder.
Bald schon wurden neben dem Hospital – ebenfalls vor den Toren der Stadt – ein Friedhof angelegt und eine eigene Kapelle gebaut. In dieser „capella leprosum extra muros", der Leprösenkapelle vor den Mauern im südlichen Teil des Friedhofs, versammelten sich die Insassen des Hospitals zum Gottesdienst. Sie gehörte zum Kirchensprengel von St. Spiritus. Im 19. Jahrhundert, nachdem der St. Nikolai-Friedhof nicht mehr belegt wurde, hatte sie zuerst der englischen Gemeinde, dann verschiedenen Freikirchen als Gotteshaus gedient. Bei den schweren Bombenangriffen auf Hannover in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 wurde sie stark zerstört. Heute gibt es nur noch wenige, inzwischen restaurierte Reste dieses ältesten Bauwerks Hannovers. 1953, bei den Maßnahmen des Wieder- und Neuaufbaus der zerstörten Stadt, wurde die Kapelle abgerissen. Lediglich der Chorraum aus hellem Kalkstein steht an der verkehrsreichen Straße an der Goseriede gegenüber der ehemaligen Städtischen Badeanstalt, deren Räume jetzt die Kestner-Gesellschaft für ihre Kunstausstellungen nutzt. Die letzten Sanierungs- und Umgestaltungsarbeiten fanden zwischen 2012 bis 2016 statt. Nachdem eine Baggerschaufel Gebeine freilegt hatte, ging man etwas rücksichtsvoller mit dem historischen Ort um. Im Innenraum der Kapelle