Das Himmelsblau lastet auf meinen Lidern: Ein trotziges Trostbüchlein
Von Johano Strasser
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Über dieses E-Book
Exemplarisch lässt sich mit dem Publizisten und Schriftsteller, von 2002 bis 2013 Präsident des deutschen PEN-Zentrums, fragen, ob es so etwas gibt wie einen romantischen Rationalismus, einen elegisch getönten Fortschrittsglauben, einen Utopismus, der den eigenen Verheißungen misstraut.
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Buchvorschau
Das Himmelsblau lastet auf meinen Lidern - Johano Strasser
Trostbüchlein
Über dieses Buch
Poetische Texte mit überraschenden Wendungen und Blickwechseln: Literarisch-philosophisch geht Johano Strasser der Vieldeutigkeit seines Alltags nach. Launig und nachdenklich zugleich sieht er sich vordergründig als selbstverständlichen Teil seiner Welt – doch zwiespältig sind die Impulse, denen er, denen wir alle heute ausgeliefert sind. Mit leisem Humor findet Strasser zum Reiz des Alltags.
Exemplarisch lässt sich mit dem Publizisten und Schriftsteller, von 2002 bis 2013 Präsident des deutschen PEN-Zentrums, fragen, ob es so etwas gibt wie einen romantischen Rationalismus, einen elegisch getönten Fortschrittsglauben, einen Utopismus, der den eigenen Verheißungen misstraut.
Über den Autor
Johano Strasser, geb. 1939 in Leeuwarden (Niederlande), ist Philosoph und Politikwissenschaftler. Er lebt in Berg am Starnberger See. Von 1971 bis 1975 stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender, ab 1973 Mitglied in der Grundwerte-Kommission beim Parteivorstand der SPD. Von 1980 bis 1988 Mitherausgeber und Redakteur der politisch-literarischen Zeitschrift L’80. Seit 1983 freier Schriftsteller. Von 2002 bis 2013 Präsident des PEN-Zentrums Deutschland.
Johano Strasser veröffentlichte zahlreiche Sachbücher, Romane, Hörspiele, Theaterstücke und Gedichte. Seine Bücher wurden mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet.
Zur Einleitung: Haltung bewahren
Die Handgriffe sitzen. Ich nehme den Wasserkocher, halte ihn unter den Wasserstrahl, stelle ihn zurück auf die Kontaktplatte, drücke auf den Kippschalter. Sobald das Wasser kocht, hänge ich einen Teebeutel in den Steingutbecher, gieße das sprudelnde Wasser darauf. Während der Tee zieht, gehe ich in der Küche auf und ab, vier Schritte hin, vier Schritte her. Nach drei Minuten den Teebeutel herausziehen, einen Schuss Milch in den Tee, drei Löffel Zucker. Drei. Ich brauche den Zucker als Anschubenergie für den Tag. Den Becher mit beiden Händen haltend, trete ich wie ein Schlafwandler auf die Terrasse hinaus. Erst jetzt, ganz allmählich, setzt die Wahrnehmung ein. Ich blicke in das Grün des Gartens, nehme einen, noch einen Schluck aus dem Becher, schmecke die Süße des Tees, atme die Frische des Morgens, meine Augen streicheln Büsche und Bäume, ich lausche auf das Flüstern des Windes.
Ich entdecke mich.
So fängt bei mir der Tag an, jedenfalls im Sommer. Im Winter gehe ich zumeist gleich die Treppe hinauf und setze mich an meinen Schreibtisch, schalte den Computer ein, blättere, während das Programm sich aufbaut, in einem Buch oder schaue aus dem Fenster auf den wintergrauen See und den vom Raureif weißen Rasen. Rituale des Alltags. Sie helfen uns, Tritt zu fassen in einem Tag, der sich mit einer Vielfalt von Möglichkeiten und Zwängen verlockend und bedrohlich zugleich vor uns aufbaut. Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen? Soeben noch war ich ein selbstverständlicher Teil meiner Welt, aber sobald mein Kopf sich einmischt, steht sie mir, stehe ich mir selbst als Problem gegenüber: Was von gestern her unerledigt blieb, was unbedingt getan werden muss, was ich stattdessen tun könnte, was ich auf jeden Fall vermeiden sollte, was ich keineswegs vergessen darf.
Als Kind hatte ich lange Schwierigkeiten, Traum und Wirklichkeit auseinanderzuhalten. Ich erzählte arglos Dinge, die ich im Traum erlebt hatte, als wären sie mir in Wirklichkeit passiert. Du spinnst, sagten die Spielkameraden oder: Du lügst. Aber ich hatte nur Schwierigkeiten, Innenwelt und Außenwelt getrennt zu halten, das bloß Vorgestellte vom Wirklichen oder Tatsächlichen zu unterscheiden. Später, im Studium entdeckte ich, dass auch Descartes sich mit diesem Problem herumgeschlagen hatte, bis er sich mit dem »Ich denke, also bin ich« entschlossen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog. Mir selbst ist dieser imposante Entfesselungstrick allerdings nie ganz gelungen. Wild mit den Flügeln schlagend, konnte ich mich zuweilen für einen kurzen Moment in beträchtliche Höhen erheben, fiel aber immer wieder in den Sumpf der lebendigen Zwiespältigkeiten zurück.
Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass mein Vater Österreicher war. Er wurde zwar in St. Louis (USA) geboren und verbrachte die längste Zeit seines Lebens in Frankreich, in den Niederlanden, in Deutschland und in den Vereinigten Staaten, aber wohin es ihn auch verschlug, er blieb doch unverkennbar Österreicher, genauer: Wiener, ein Projektemacher von urbaner Neugier und Umtriebigkeit und zugleich ein romantischer Träumer und tief melancholischer Zauderer. Heute frage ich mich manchmal, ob es so etwas wie einen romantischen Rationalismus gibt, einen elegisch getönten Fortschrittsglauben, einen Utopismus, der seinen eigenen Verheißungen misstraut. Bei meinem Vater gab es das offenbar, und je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass ich viel von dieser merkwürdigen Ambivalenz geerbt habe.
Mein Vater konnte mit Begeisterung ein Projekt entwickeln und mitten im Pläneschmieden plötzlich innehalten, seufzen und in seinem österreichisch gefärbten Deutsch sagen: »Schwamm drüber, ’s wird eh nichts draus«, um gleich darauf mit der Entfaltung seiner kühnen Idee fortzufahren. Viele Jahre später, wenn in einer der politischen Auseinandersetzungen, in die ich verwickelt wurde, die Fronten allzu klar, die sich gegenüberstehenden Gewissheiten allzu ehern erschienen, erinnerte ich mich daran. Es half mir, mich zumindest für einen Augenblick aus der Logik des Konflikts zu lösen, und es schärfte mir den Blick für den dunklen Rest, der bei aller zur Schau gestellten Gewissheit unseren Projekten anhaftet.
Der dunkle Rest. Das ist das, was sich mit den Cartesischen klaren und deutlichen Begriffen, was sich mit den kompliziertesten Algorithmen und der gigantischsten Rechnerleistung nicht erfassen lässt. In unserer wissenschaftlich-technischen Weltsicht gilt er entweder als peinlich oder vernachlässigbar. Aber wer sagt denn, dass er uns nicht nur deshalb als Restgröße erscheint, weil wir uns angewöhnt haben, die Welt da draußen und die Welt in uns als durch und durch rationales System zu betrachten? Vielleicht, denke ich manchmal, ist dieser Rest gar kein Rest, vielleicht